Geheimkult in Der Höhle
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Heute ist es so weit, endlich ist der Tag gekommen! Raetus wird in die Mithras- gemeinschaft aufge- nommen – diesem neuen geheimen Glaubenskreis, exklusiv für Männer, dem schon einige Bewohner der Schamser Talschaft ange- hören. Raetus weiss, dass ihm eine harte und lange Prüfungszeit bevorsteht. Mit lebensgefährlichen Proben wie etwa einer 50-tägigen Fastenzeit oder einer Kälte- probe, bei der er 20 Tage lang in Schnee und kaltes Wasser getaucht werden wird, muss er zuerst be- weisen, dass er einer «Neu- geburt» in diesen Glauben Geheimkult in überhaupt würdig ist. Zu nächtlicher Stunde wird er von einem ihrer Priester zum heiligen Platz der Höhle oberhalb des Flusses ge- bracht. Über in den Felsen Rekonstruktionszeichnung: © Atelier «Bunter Hund», Zürich, mit finanzieller Unterstützung der Burgergemeinde Bern In einer Höhle in Zillis-Reischen fanden zwischen dem 3. und 5. Jahrhundert nach Christus in Zillis. Sie zeigen, dass diese Halbhöhle im tiere. Vergleichbare Gefässe sind aus vielen geheime Zeremonien um eine 3. Jahrhundert nach Christus mit einer Holz- Versammlungslokalen römischer Kultge- orientalische Gottheit statt. Jetzt wand verschlossen wurde, um die Gescheh- meinschaften bekannt, die sich um rekonstruieren Archäologinnen nisse, die sich fortan während etwa acht ursprünglich im Vorderen Orient und die damaligen Geschehnisse. Generationen darin abspielen sollten, vor östlichen Mittelmeerraum beheimatete den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Gottheiten formiert hatten – so etwa Mithras oder Gottheiten des Weines und Von Schlangen umwundener Kelch des ekstatischen Rausches wie beispiels- Hunderte Münzen und Kristallfragmente weise Sabazios, Dionysos oder Bacchus. haben die Mitglieder der Gemeinschaft hier Von Christa Ebnöther, Maria Bütikofer einst mit einer Bitte oder einem Dank an die und Anaïs Corti Gottheit auf dem Höhlenboden und in den natürlichen Felsnischen deponiert. Diese Eine Nacht in der «Kulthöhle» im bündne- Votivgaben geben Zeugnis von den regel- Angebot in Planung rischen Zillis-Reischen vor 1800 Jahren mässigen rituellen Gesten einzelner Mit- Der von Berner Archäologiestudierenden könnte sich wie im Bild oben abgespielt glieder. Ungleich interessanter sind jedoch gegründete Verein ur.kultour möchte haben. Kultgemeinschaften, in deren die kollektiven Rituale, die Einweihungs- die Geschichte(n) der Höhle von Zillis Zentrum eine bestimmte Gottheit stand, zeremonien und Kultfeiern, die indes der Öffentlichkeit zugänglich machen. waren integraler Bestandteil der römischen weniger Spuren hinterlassen haben. Eine Noch in diesem Jahr sollen vor Ort zwei Religion. Eine besondere Stellung nahmen zentrale Rolle musste dabei zweifellos das Informationstafeln montiert werden, die Gemeinschaften um die sogenannten mit einer grünlichen Bleiglasur überzogene vertiefte und weiterführende Informa- Mysterienkulte ein: Die Initiations- und Ringgefäss gespielt haben, das aus fast 100 tionen werden ausserdem digital Weihezeremonien sowie das Schweige- Scherben zusammengefügt und rekonstru- verfügbar sein. Auf Wunsch werden gebot schafften ein hohes Mass an kollek- iert werden konnte. Auf einem hohlen Events durchgeführt, die es den Teil- tiver Identität, brachten es aber auch mit Tonring von etwa 30 Zentimetern Durch- nehmenden erlauben, mit allen Sinnen sich, dass zu diesen Geheimkulten kaum messer aufgesetzt waren drei kleine, von in die Vergangenheit einzutauchen. schriftliche Zeugnisse überliefert sind. Auf Schlangen umwundene Kelche und neun die Spur kommt man ihnen fast ausschliess- Medaillons mit Bildnissen der Göttin Luna, www.urkultour.ch/zillis-ist-kult lich über die archäologischen Quellen – wie des Gottes Merkur und verschiedener Wild- 22 UniPress 178/2019 Archäologie Verlauf der historischen Verkehrswege durch das südliche Domlegsch und das Schams mit den spätrömischen Fundorten 1 Zillis-Reischen gehauene Stufen erreicht er stellten Öllampen und 2 Andeer eine mit einer Holzwand Fackeln glitzern. Nachdem 3 Hohenrätien verschlossene Höhle. Durch ihm die Augen verbunden 4 Cazis. eine schmale Tür tritt er in wurden, fordert der Ober- den niedrigen Vorraum ein priester ihn auf, aus dem Höhle mit 16 000 Fundobjekten und der Priester heisst ihn, von Schlangen umwun- Die Kulthöhle von Zillis liegt auf einer seine Tunika abzulegen. Mit denen Gefäss zu trinken. Flussterrasse über dem Hinterrhein im Hühnerdärmen werden ihm Es ist geweihtes Wasser, Gebiet der Gemeinde Zillis-Reischen die Hände auf dem Rücken dessen lebensspendende GR – nahe der bis heute wichtigen gefesselt. Wehrlos und nackt Kraft ihn für alles transalpinen Routen über den Splügen wie ein Ungeborener darf er Kommende stärken und San-Bernardino-Pass. Die Aus- jetzt den Kultraum betreten. soll. Feierlich beginnt grabungen wurden vom Archäolo- Bei leisen Flötenklängen der Oberpriester zu gischen Dienst Graubünden durch- erwarten ihn dort der Ober- sprechen, nimmt ihm geführt. Die sorgsam dokumentierten priester und die Gemein- aber zuerst den Eid ab, Spuren – Einbauten, Gräber und über schaft. Etwas benommen niemandem ausserhalb 16 000 Fundobjekte – wertet nun ein vom Weihrauchgeruch, der dieses Kreises von den interdisziplinäres Team aus. Geleitet sich mit dem Duft des be- nun folgenden Gescheh- wird es vom Institut für Archäologische reits im Laveztopf brutzeln- nissen zu berichten ... Wissenschaften (Abteilung Archäologie den Hähnchens vermischt, der Römischen Provinzen) und dem schaut er sich um und sieht So oder ähnlich stellen Institut für Rechtsmedizin (Abteilung die überall auf dem Boden sich die Archäologinnen Anthropologie) der Universität Bern in liegenden Kristallsplitter eine Nacht in der «Kult- Zusammenarbeit mit dem Institut für und Münzen – Gaben an höhle» vor 1800 Jahren integrative prähistorische und natur- den Gott Mithras –, die im vor. wissenschaftliche Archäologie (Archäo- flackernden Flammenlicht zoologie und Geoarchäologie) der der da und dort aufge- Universität Basel. Das Geheimnis, wie und in welchen im Jenseits. Man glaubte, dass Errettung Frühchristlicher Bestattungsplatz Ritualen diese Gefässe verwendet wurden, und Erlösung das Ziel der irdischen Existenz In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts ist bislang noch nicht gelüftet – auch in seien und dieses Heil durch die Einweihung scheint sie dann sakral neu aufgeladen Zillis nicht. Es mag während der üppigen in das Geheimnis des Kultes und den Nach- worden zu sein: Sie diente nunmehr als Ort Bankette, die eine wichtige Rolle im kollek- vollzug des göttlichen Schicksals erlangt der Zusammenkunft und Bestattungsplatz tiven Kult- und Gemeinschaftsleben einge- werden konnte. Diese Kultgemeinschaften wahrscheinlich einer kleinen frühchrist- nommen hatten, die Runde gedreht haben erhoben keinen Exklusivitätsanspruch, lichen Gemeinde. Anfänglich gruppierten und dabei zu Bruch gegangen sein – oder, deren Mitglieder konnten weiterhin an den sich die Bestattungen um eine Feuerstelle, wie einzelne Indizien nahelegen, im offiziellen Stadt- und Staatskulten teil- unter der ein Kreuz deponiert war. Ab dem Rahmen eines Rituales absichtlich nehmen oder sogar auch Mitglied in mittleren 7. und bis ins 10. Jahrhundert zerschlagen worden sein. anderen Kultgemeinschaften werden. begrub man die Toten – wohl die Bewoh- Obwohl Kaiser Theodosius im späten nerinnen und Bewohner einer nahen Sied- Mysterienkulte versprechen 4. Jahrhundert das Christentum offiziell zur lung – in einer kleinen Nekropole unmit- Heil im Jenseits Staatsreligion erklärte und die Ausübung telbar ausserhalb der Höhle. Da Inschriften und ikonographische Zeug- heidnischer Kulte verbot, wurde die Höhle Schliesslich verfüllte sich die Höhle nach nisse fehlen, bleibt unklar, welche Gottheit in Zillis noch während mindestens zweier und nach mit Geröllschutt und geriet in in der Höhle in Zillis verehrt wurde – die Generationen als Kultort aufgesucht. Vergessenheit, bis in den 1990er-Jahren Parallelen zum Mithraskult sind jedoch Kinder beim Spielen bei der Höhle frappant. Von allen Mysterienkulten am Menschen- und Tierknochen entdeckten. weitesten verbreitet und am besten bekannt, hatte sich dieser Männern vor- «Die üppigen Bankette Kontakt: Prof. Dr. Christa Elisabeth Ebnöther, behaltene Kult ab dem 1. Jahrhundert vor [email protected]; Maria Christus vom östlichen Mittelmeergebiet nahmen eine wichtige Bütikofer, [email protected]; über Italien rasch im ganzen Römischen Anaïs Corti, [email protected] Reich verbreitet. Die Attraktivität dieses wie Rolle im Kult- und Ge- Institut für Archäologische Wissenschaften, auch anderer Mysterienkulte lag in einer Archäologie der Römischen Provinzen Überzeugung, die es in der offiziellen meinschaftsleben ein.» römischen Religion nicht gab: der Ver- heissung des Heils im Dies- und vor allem Christa Ebnöther Archäologie UniPress 178/2019 23.