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Illustrierte Idylle?

Die Gartenlaube: Gesichter eines Massenblattes von HANNELORE SCHNEIDERHEINZE

enn ihr im Kreise Eurer Lieben die langen Fundus dieses Mediums verstellt. Die Ausstellung Winterabende am traulichen Ofen sitzt unternimmt einen Versuch, die Fehleinschätzung zu Woder im Frühlinge, wenn vom Apfelbau- korrigieren und die Bedeutung des Familienblattes me die weiß und rothen Blüthen fallen, mit einigen nachvollziehbar zu machen. Gemeinsam mit dem Freunden in der schattigen Laube – dann leset „Pfennig-Magazin“ (1833 bis 1855) und der „Illu- unsere Schrift. Ein Blatt soll’s werden für’s Haus strierten Zeitung“ (1843 bis 1944) gehörte „Die und für die Familie, ein Buch für Groß und Klein, Gartenlaube“ zu den ersten illustrierten Wochen- für Jeden …“. schriften, die mit ihren schwarz-weißen Holzstich- Als der Leipziger Verleger vor 160 Jahren bildern den Beginn der Massenpresse in Deutsch- mit diesen Worten das Anliegen seiner Zeitschrift land einläuteten und die Keimzelle der modernen mitteilte, war kaum damit zu rechnen, dass sein Illustrierten und Boulevardmagazine im Hochglanz- Familienblatt zum auflagenstärksten, wirkmächtig- stil bildeten. Die Ausstellung vermittelt einen Ein- sten und oft imitierten Journal im 19. Jahrhundert druck vom Wandel, den „Die Gartenlaube“ von wurde. Mit ihrem Inhalt und ihrer Ästhetik spiegelt 1853 bis 1944 vom Journal der „Volksaufklärung“ „Die Gartenlaube“ den Zeitgeist und Geschmack und der unterhaltenden Poesie zum trivialen Ratge- eines breiten Leserpublikums wider, gilt als reiche ber, Werbeträger und schließlich zum Medium der Quelle der Kulturgeschichte, steht aber zugleich als nationalsozialistischen Presse genommen hat. Maß- Synonym für eine idyllische und rührselige Bilder- gebende Faktoren für diese Entwicklung waren der und Romanwelt. Einfluss verschiedener Verleger, neue Bild- und Drucktechniken sowie die wachsende Konkurrenz Die Kabinettausstellung im Tresor der Deutschen am Pressemarkt. Nationalbibliothek in greift mit der „Gar- tenlaube“ ein Thema auf, das bisher im Ausstel- Erste „Plannotizen“ für sein Familienblatt entwickel- lungsprogramm der Museen und Bibliotheken kaum te Ernst Keil (1816–1878) hinter Gittern im Lan- eine Rolle gespielt hat. Die weit verbreitete Ein- desgefängnis Hubertusburg, wo er wegen eines Pres- schätzung, es handele sich bei der Zeitschrift um ein severgehens inhaftiert war. Inspiration für den unpolitisches Blatt zur Unterhaltung von Heimchen politisch unverfänglichen Titel seiner Zeitschrift und Dummchen, hat vermutlich den Blick auf den und für die Vignette der „Lesefamilie“ als Marken-

Links: Die Gartenlaube 1904. Die Vignette mit „Lesefamilie“ im Farb- druck ist eine Sonderheit in der Zeitschrift. Mitte: Heftumschlag zur „Gartenlaube“ 1909, Farbautotypie. Rechts: Die neue Garten- laube 1938, produziert im Kupfertiefdruck. Alle Abbildungen © Martin Kelter Verlag BIS – Das Magazin der Bibliotheken in Sachsen [2O14] Nr. 1 // 55

zeichen lieferte die Laube im Vorgarten seines Hau- AUSSTELLUNG ses. Keils geniales Programm zielte gemäß seiner liberalen Gesinnung auf „geistige Ertüchtigung“, ILLUSTRIERTE IDYLLE? Aufklärung und Unterhaltung des Bürgertums. Pro- DIE GARTENLAUBE: GESICHTER EINES MASSENBLATTES minente Autoren berichteten in leicht verständ - licher Form und unterhaltendem Stil über neue Ent- Deutsches Buch- und Schriftmuseum deckungen in Naturwissenschaft, Medizin und Deutsche Nationalbibliothek, Deutscher Platz 1, 04103 Leipzig Technik. Sie verfassten historische, militärische, volkskundliche und kulturelle Beiträge sowie Bio- Bis 11. Mai 2014 grafien und Charakterbilder. Volksschriftsteller Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, lieferten mit politischer und Kriegslyrik, Bauern- donnerstags von 10 bis 20 Uhr, an Feiertagen (außer montags) von 10 bis 18 Uhr erzählungen, Familienpoesie und Trivialromanen rührende und erschütternde Stimmungsbilder zum Freiheitsdenken, zu Idealen der Ehe und Familie, zu www.dnb.de menschlichen Tugenden oder dem Standesgegensatz zwischen Aristokratie und Bürgertum. Feuilletonis - tische „Blätter und Blüthen“ sowie ein „Briefkasten“ komplettierten das Spektrum. Die Auflage der Zeit- Der Einsatz von Bildern war Teil des Erfolgskonzep- schrift wuchs von 5.000 (1853) auf eine Höchstauf- tes der „Gartenlaube“. Bis zum letzten Drittel des lage 1875 von 382.000. 19. Jahrhunderts diente der Holzstich als Bildtech- nik. Basierend auf den Fortschritten der Reprogra- 1883 verkaufte Keils Witwe den Verlag an die fie, Chemigrafie und Galvanoplastik kamen aller- Gebrüder Kröner in Stuttgart. Adolf Kröner dings schon seit den 1860er Jahren schrittweise (1836 – 1911) übernahm die Redaktion der „Gar- Klischees für den Bilddruck zum Einsatz. Seit 1900 tenlaube“ in Leipzig. Bewährte Themen blieben im setzte sich die Autotypie als favorisierte Technik Programm, wurden aber nach seiner national-kon- durch und ermöglichte auch den Mehrfarbendruck servativen Gesinnung neu und aktueller ausgerich- in hoher Auflage. Gedruckt wurde „Die Gartenlau- tet. Dienst fürs Vaterland, Wohltätigkeit, Hygiene, be“ zunächst auf Buchdruck-Schnellpressen bei Gie- Armenfürsorge, Wirtschafts- und Rechtsfragen, secke & Devrient, Alexander Wiede und Julius Erfolgsmeldungen aus Deutschlands Industrie u.ä. Klinkhardt in Leipzig. Seit den 1920er Jahren bestimmten den Tenor. Der Unterhaltungsas pekt erfolgte die Produktion im Offsetdruck in der wurde betont, der Bildanteil wuchs und die Heft- August Scherl GmbH und wurde 1933 auf umschläge und Einbände wurden werbewirksam Rotationstiefdruck umgestellt. „Die Gartenlaube“ gestaltet. Dennoch sank die Auflage bis 1900 auf konnte in Wochen- und Monatsheften abonniert etwa 100.000. und über Buchhandlungen und Postämter bezogen 1904 übernahm August Scherl (1849–1921) „Die werden. Als Wissenssammlung, Ratgeber, „Haus- Gartenlaube“ in seinen Berliner Verlagskonzern und freund“ und Unterhalter fand sich das Familienblatt vollendete die Umwandlung vom Familienblatt zur in vielen Bücherschränken, wurde schichtenüber- modernen Illustrierten. Die Konkurrenzblätter greifend gelesen und oft über Generationen weiter- „Vom Fels zum Meer“ und „Die weite Welt“ wurden gegeben. mit der „Gartenlaube“ vereint, um den Abonnenten- stamm zu konzentrieren. Mit gefälliger Unterhal- Im Bestand der Deutschen Nationalbibliothek ist tung wurde auf das veränderte Leserinteresse rea- „Die Gartenlaube“ für den gesamten Erscheinungs- giert. „Die Welt der Frau“ kam als neues Beiblatt mit zeitraum von 1853 bis 1944 nahezu lückenlos vor- einem ausgedehnten Modeteil hinzu. handenen, offenbart allerdings auch einen zum Teil problematischen Erhaltungszustand und die damit Mit dem Verkauf des Scherl Verlages 1916 an Alfred verbundene und in Bibliotheken bekannte Frage- Hugenberg (1865–1951) und der Integration in stellung nach der Langzeitarchivierung von Medien seinen Berliner Medien-Konzern begann das un- aus holzschliffhaltigem Papier. Außerdem hält der rühmliche Endkapitel der „Gartenlaube“: Bild - Bestand die Zeitschrift vornehmlich in den üb - berichte über die politische Lage, über Persönlich- lichen Bibliothekseinbänden bereit – eine Situati- keiten, Staatsfeierlichkeiten, Kriegsereignisse, Solda- on, die für Ausstellungszwecke wenig Spielraum tentransporte, Lazarette oder die Filmwelt sowie bietet und durch Erwerbung von Einzelheften banale Ratgeberbeiträge, triviale Fortsetzungsroma- und Jahrgangsbänden im Originaleinband, durch ne und ein sich verselbständigender Beilagen- und Materialien aus dem Museumsfundus zur grafischen Werbeteil prägten nun die im fotojournalistischen Technik und zur Verlags- und Stil gestalte Illustrierte, die seit 1933 von nationalso- Wirkungsgeschichte sowie durch HANNELORE zialistischer Propaganda durchflutet wurde. 1937 Leihgaben zur Gründerpersön - SCHNEIDER- betrug die Auflage nur noch 80.595. Nach der lichkeit Ernst Keil aus dem Mu - HEINZE Umbenennung 1938 erschien „Die neue Gartenlau- seum der Stadt Bad Langensalz aus - be“ noch bis 1944. geglichen wurde.