Kirchen in Karantanien Vor Und Nach Einführung Der Grafschaftsverfassung (828)

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Kirchen in Karantanien Vor Und Nach Einführung Der Grafschaftsverfassung (828) Lumír Poláček – Jana Maříková­Kubková (Hrsg.), Frühmittelalterliche Kirchen als archäologische und historische Quelle Internationale Tagungen in Mikulčice VIII, Brno 2010, 233–242 Kirchen in Karantanien vor und nach Einführung der Grafschaftsverfassung (828) Kurt Karpf Churches in Carinthia before and after the Introduction of the County System (Grafschaftsverfassung; 828). This article is devoted to the Early Mediaeval churches in Carinthia and their interior furnishings. These churches are characterized by their interlaced decor, which was a typical feature of richly furnished Carolingian sacral buil- dings. On the example of the historical development of Carinthia we pursue, which political presumptions led to the construction of representative churches and whether the changes in government structure also changed the way churches were built. This is studied on the basis of marble church furniture (choir screens, ambones, ciboria, etc.), which distinguishes the churches of the domestic Slavic elite before 828 from the churches founded by members of the Frankish-Bavarian ruling classes after the introduction of the county system (circles, elites). Key words: Early Mediaeval churches – interior furnishings – Slavic elite – Frankish­Bavarian ruling classes Einleitung telalterlichen Herrschaftspraxis im Südosten des frän­ kischen Reichs. Außerdem liefert sie neue Ansätze zur Der folgende Beitrag befasst sich mit frühmittel­ Datierung karolingerzeitlicher Flechtwerksteine, die alterlichen Kirchen und deren Innenausstattung. Reste über kunsthistorische Betrachtungen hinausgehen. davon sind als marmorne Flechtwerksteine erhalten geblieben und gelten als Zeugnis aufwändig gestal­ Historischer Hintergrund – Karantanien teter Sakralbauten der Karolingerzeit. Am Beispiel und die Christianisierung Karantaniens soll geprüft werden, welche politischen Voraussetzungen zum Bau repräsentativer Kirchen Um 600 drangen Slawen nach Norikum vor führen und ob Veränderungen der Herrschaftsstruktur und bereiteten der römischen Provinz und ihrem auch die Bauweise der Gotteshäuser beeinflussen. Zu spätantiken Christentum ein Ende. Im Laufe der Zeit hinterfragen ist, ob Repräsentationsausstattungen (Chor­ verbanden sich die Zuwanderer mit den noch verblie­ schranken, Ambonen und Ziborien etc.) ein Unter­ benen Altsiedlern, so dass gegen 700 im Ostalpenraum scheidungsmerkmal zwischen Eigenkirchen des einhei­ eine neue politische Größe entstand: das polyethnische, misch slawischen Adels und Grundherrschaftskirchen slawisch geprägte Fürstentum Karantanien (Wolfram fränkisch­bairischer Herrschaftsträger darstellen. Als 1995a, 301 f.; Štih/Simoniti/Vodopivec 2008, 32 ff., Untersuchungsgebiet wurde ein geopolitischer Raum 39). Nun berichten die Chronisten nicht mehr undif­ im Süden Österreichs gewählt, der in den Quellen als ferenziert von der Sclaborum provincia, sondern Karantanien bezeichnet wird (Abb. 1). Um die Mitte sprechen von Karantanien und dessen Bewohnern, des 8. Jahrhunderts geriet dieses politisch selbständige den Karan ta nen (Bertels 1987, 114 ff.). Als Zentrum Stammesgebilde in den Sog bairischer Politik und der neuen politischen Einheit gilt Karnburg am Zoll­ Christianisierung. Spätestens 828 wurde das gentil feld nördlich von Klagenfurt (dagegen: Kahl 1993, slawische Herrschaftssystem durch die karolingi­ 51 f.). An der Spitze des selbständigen Staatsgebildes sche Grafschaftsverfassung abgelöst. Die Analyse der stand eine Dynastie, deren Häupter in einer für den Kirchenbauten vor und nach diesen einschneidenden Südostalpenraum einzigartigen Quelle, der Conversio Veränderungen bietet interessante Details zur frühmit­ Bagoariorum et Carantanorum, als Fürsten (principes) 234 Kurt Karpf Abb. 1. Karte Karantaniens mit Kirchenkategorien. bezeichnet und namentlich angeführt werden. Boruth, an und ersuchten den Salzburger Bischof Virgil um Cacatius und Cheitmar sind als erste Karantaner­ die Missionierung ihres Volkes. Dem Wunsch wurde fürsten überliefert (Lošek 1997, 103 ff.). Um 740 entsprochen, aber nicht Virgil selbst, sondern Chor­ schloss Boruth mit dem bairischen Herzog Odilo ein bischof Modestus weihte zwischen 757 und 763 die Abkommen gegen die wieder erstarkten Awaren. Diese ersten Kirchen Karantaniens. wurden zwar besiegt, die Karantanen gerieten aber unter die Oberhoheit Baierns. Bereits um 743 ist die 772 – Der Karantanensieg Tassilos III. Abhängigkeit durch das Stellen slawischer Kontingente nachgewiesen. Die politische Eigenständigkeit Karan­ Christianisierung und bairische Oberherrschaft taniens blieb jedoch erhalten, da der einheimische stießen nicht überall auf Gegenliebe. Mehrere Adel weiter selbständig das Land regierte (Bertels Aufstände, die sich gegen das Christentum und wohl 1987, 137 u. 139 f.). gegen die bairische Herrschaft an sich richteten, Mit der Annäherung an Baiern erfolgte die Chris­ bezeugen dies. Möglicherweise gingen die massiven tianisierung des noch heidnischen Landes. Nach Widerstände von pro­awarischen Gruppen aus H. Wolfram waren die Karantanen die erste slawische (Szameit 1994, 22). Die christlichen Priester wurden Gens überhaupt, die zum Christentum bekehrt wurde vertrieben, einmal sogar für mehrere Jahre (769–772). (Wolfram 1995b, 275 ff.; Wolfram 1995a, 301). Vielleicht gingen damals auch die ersten Kirchen Neben dem eigentlichen Bekehrungsmotiv zielte die zugrunde. Diese instabile Situation wurde in Baiern als Christianisierung auf die Durchsetzung herrschaft­ bedrohlich empfunden. Bereits 769 war deshalb mit licher Strukturen ab und verlief nach klaren Regeln. Einwilligung Herzog Tassilos in Innichen im Pustertal Zuerst bekehrte man die Oberschicht, danach die (heute Italien) ein Kloster zur Missionierung der Slawen übrige Bevölkerung. Die Botmäßigkeit der Führungs­ gegründet worden (Bitterauf, Hrsg. 1905, Nr. 34), schicht wurde durch Geiselstellungen erzwungen. und als noch im selben Jahr die erwähnten Unruhen Wahrscheinlich wurde schon Cacatius, sicher aber ausbrachen, reagierte der Herzog rasch und besiegte Cheitmar, im Kloster Chiemsee getauft und erhielt die Karantanen 772 in einem Aufsehen erregenden hier eine „christlich­bairische“ Erziehung (Jahn 1991, Feldzug (Jahn 1991, 471 ff.; Wolfram 1995b, 283). 145). Mit dem Tod Boruths kehrten die beiden nach Mit der Niederlage verloren die führenden Vertreter Karantanien zurück, traten die Herrschaftsnachfolge der Rebellion ihre Stellung. Tassilo setzte mit Waltunc Kirchen in Karantanien vor und nach Einführung der Grafschaftsverfassung (828) 235 Abb. 2. Flechtwerkverziertes Plattenfragment aus Mariahof, 8./9. Jahrhundert. einen Parteigänger zum neuen Fürsten ein, an der genti­ schen Raum, wo der Flechtwerkstil weit verbreitet war. len Verfassung des Landes änderte sich allerdings nichts. Auch andere Große taten es den Agilolfingern gleich und statteten ihre Gotteshäuser prächtig aus. Die Reste Das christliche Baiern – Vorbild der Chorschrankenanlage des Huosi­Klosters Sandau für Karantanien zeigen dies deutlich (Dannheimer 2003, 13 ff.). Auch Ilmmünster (Dannheimer 1989, 9 ff.) verfügte über Da sowohl Christianisierung als auch politische eine prächtige Schranke mit Flechtwerkdekor, ebenso Willensbildung von Baiern ausgingen, sind auch die Benediktbeuern oder Wörth im Staffelsee. Aber nicht Vorbilder für die Ausstattungen der Kirchen dort nur Kloster­, sondern auch kleine Eigenkirchen, etwa zu suchen. In der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts in Weichs, Großweil oder Rettenberg, wurden von war das Agilolfingerherzogtum ein bereits christlich ihren Gründern mit repräsentativen Chorschranken durchdrungenes Land mit Bischofssitzen, Klöstern versehen (Dannheimer 1988, 299 ff. u. 461; Störmer und Eigenkirchen, die aus dem Zusammenwirken von 1988, 453 ff.; Johannson­Meery 1993, 31 ff.). Herzogsgeschlecht und Adel entstanden sind (Freund Diese Art von Repräsentation wird ihren Eindruck 2004, 108 ff. u. 407). Rund 50 Klöster hatte man im auf die politisch nach Baiern blickende Elite Karan­ gemeinsamen Bemühen „aus dem Boden gestampft“ taniens nicht verfehlt haben. Nun begann auch sie (Störmer 1988, 305 ff., 453 ff.) und selbst kleinere an ihren Herrschaftszentren Kirchen zu bauen und Gründungen gut dotiert (Störmer 1993, 380 f.). Einen diese nach bairischem Vorbild repräsentativ auszu­ besonderen Stellenwert nahmen die Herzogsklöster statten. Daraus zog man doppelt Nutzen: zum einen ein. So bieten die Klosterkirchen von Herren­ und dienten sie herrschaftlicher Selbstdarstellung, zum Frauenchiemsee, in denen die karantanischen Prinzen anderen waren sie ein deutliches Zeichen politischer erzogen wurden, prächtige Beispiele einer langobar­ Loyalität (Karpf 2001a, 67) gegenüber dem bairischen disch inspirierten Steinmetzkunst mit Flechtwerk­ Herzog. Die Errichtung repräsentativer Sakralbauten dekor (Dannheimer 1987, 219 ff.). Dies verwundert begann mit Tassilos Sieg bald nach 772, zuvor waren nicht, verfügte Tassilo durch seine langobardische die Verhältnisse noch zu unsicher. Die Absetzung des Gemahlin über beste Kontakte in den oberitalieni­ Herzogs durch Karl den Großen (788) unterbrach 236 Kurt Karpf Ein spektakulärer Flechtwerkstein wurde bei Reno­­vie rungs arbeiten in der Propstei Mariahof im steirisch­kärntnerischen Grenzgebiet entdeckt (Abb. 2) und besitzt bislang in Karantanien keine Parallele (Lehner 2001, 177). Die dünne Platte ist nur zur Hälfte erhalten, ihren Ausmaßen zufolge könnte sie zu einem Heiligengrab gehören oder als Altar­ verkleidung (Antependium) verwendet worden sein. Die mit Flechtband kombinierten Adlerdarstellungen sind für
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