Die ORF-Nachrichten Im Spannungsfeld Zwischen Professionalität, Profit, Publikum Und Politik

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Die ORF-Nachrichten Im Spannungsfeld Zwischen Professionalität, Profit, Publikum Und Politik ORF-Nachrichten im Spannungsfeld zwischen Professionalität, Profit, Publikum und Politik 361 Günther Lengauer (Innsbruck) Einfalt oder Vielfalt? Die ORF-Nachrichten im Spannungsfeld zwischen Professionalität, Profit, Publikum und Politik Die Nachrichten des öffentlich-rechtlichen ORF müssen sich im Spannungsfeld zwischen Profit, Professi- onalität, Publikum und Politik positionieren und profilieren. Die Legitimation des öffentlich-rechtlichen Status wird dabei vermehrt mit dem Hinweis in Frage gestellt, dass der ORF seinem gesetzlichen Programm- auftrag nicht nachkomme und politisch unausgewogen berichte. Diese empirische Studie stellt die ORF- Nachrichten österreichischen Qualitätszeitungen und ATV-aktuell komparativ gegenüber und geht der Frage nach, wie die professionellen Standards der ORF-Nachrichten im Sinne der publizistischen und politischen Pluralität im nationalen und internationalen Kontext zu beurteilen sind. Dabei zeigt sich zum einen, dass sich die ORF-Berichterstattung weitgehend im Rahmen transnationaler journalistischer Trends einordnet. Zum anderen werden allerdings punktuell signifikante Differenzierungen zwischen öffentlich- rechtlichem und privatem Nachrichten-Angebot sichtbar – vor allem was die demokratiepolitische Di- mension der Information betrifft. Keywords: Medien und Demokratie, politische Kommunikation, Journalismus, öffentlich-rechtlicher Programmauftrag, duales Mediensystem, transnationale Nachrichtenlogik, Inhaltsanalyse Media and democrazy, political communication, journalism, public service mandate, dual media system, transnational media logic, content analysis 1. Einleitung nicht ausreichend nachkomme, Quote statt Qua- lität als Maxime verfolge und gleichzeitig die politische Äquidistanz vernachlässige. Der gesetzliche und gesellschaftliche Auf- Eine breite und seither andauernde öffentli- trag, politische Erwartungshaltungen, ökonomi- che (medien)politische Diskussion um den ORF sche Imperative sowie transnationale Trends löste Armin Wolf, Zeit im Bild 2-Anchorman, journalistischer Professionalisierung und tech- im Mai 2006 in seiner Dankesrede für den an nologischer Globalisierung wirken auf die ihn verliehenen Robert-Hochner-Preis aus. Nachrichtenproduktion des ORF im 21. Jahr- Dabei sprach er von „nahezu hemmungsloser hundert ein. Das Nachrichtenangebot des öffent- Einflussnahme politischer Parteien auf den lich-rechtlichen ORF muss sich in einem multi- ORF“, wobei nach der politischen Wende im dimensionalen Spannungsfeld zwischen Quote Jahr 2000 vom „Gleichgewicht des Schreckens und Qualität, zwischen ökonomischer und (Große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP; demokratiepolitischer Verantwortung sowie Anm. d. Verf.) nur mehr der Schrecken (ÖVP; zwischen politischer Einflussnahme und Anm. d. Verf.) geblieben“ sei (zitiert in: Kurier, Äquidistanz positionieren, profilieren und legi- 18.5.2006, 31). Sowohl aus ORF-internen als timieren. Gerade diese Legitimation des öffent- auch ORF-externen Kreisen (Plattform „SOS lich-rechtlichen Status wird in letzter Zeit und ORF“, Initiative „derFreiRaum“, Stiftungsräte, aktuell vermehrt mit dem Hinweis in Frage ge- Ex- und OppositionspolitikerInnen, Journa- stellt, dass der ORF seinem Programmauftrag listInnen, MedienexpertInnen, etc.) folgte öf- Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP), 35 Jg. (2006) H. 4, 361–378 362 Günther Lengauer fentliche Kritik an parteipolitischer Einflussnah- Rahmenbedingungen für öffentlich-rechtliche me, der daraus resultierenden politischen Ein- Programm- und Informationsangebote. Der seitigkeit sowie an mangelnder Qualität der österreichische Medienmarkt wurde als letzter ORF-Berichterstattung. Gefordert werden seit- europäischer – nicht zuletzt auf Drängen der her wiederholt redaktionelle, inhaltliche sowie Europäischen Kommission – für private TV- politische Pluralität und Demokratie in der ORF- Anbieter geöffnet. Eine Minderzahl öffentlich- Information. rechtlicher und eine Vielzahl privat-kommerzi- Die medienpolitischen Analysen im Rahmen eller Rundfunk-Anbieter konkurrieren um Pu- der andauernden öffentlichen ORF-Debatte ha- blikum und Werbeeinnahmen. Stetig erhöht sich ben dabei allerdings zumeist rein interpretativen, die Anzahl empfangbarer Kanäle und somit subjektiv-analytischen und äußerst diffusen Cha- auch die mediale Konkurrenz um „das knappe rakter. Konkrete empirische Bestandsaufnahmen Gut öffentliche Aufmerksamkeit“ (Plasser/ sowie internationale Vergleiche fehlen weitge- Ulram 2004, 37). Nicht weniger als 89 Prozent hend, insbesondere in Bezug auf das Produkt, der österreichischen TV-Haushalte verfügen im das die ORF-Information der Öffentlichkeit an- Jahr 2005 über einen Kabel- oder Satelliten- bietet – ihre Nachrichtensendungen. Anschluss mit durchschnittlich 53 Sendern Ziel dieser Studie ist es daher zu beleuch- (ORF-Medienforschung, 2006). ten, in welchem Ausmaß die formelle medien- Im Zuge dieser Dynamisierung und Aus- politische Regulierung wie auch die informel- differenzierung der Medienmärkte sowie der len politischen Erwartungshaltungen im jour- Fragmentierung des Medien-Publikums verlie- nalistischen Produkt – konkret in den ORF- ren etablierte und traditionelle TV-Nachrichten- Nachrichten – schlussendlich reflektiert und sendungen Reichweiten und Marktanteile. So sichtbar werden. Wie sind die Pluralität und pro- hat sich die Reichweite der Zeit im Bild 1 zwi- fessionelle Standards der Nachrichten des ORF schen 1985 und 2004 auf 20 Prozent etwa hal- im nationalen und internationalen Kontext zu biert (Plasser/Ulram 2004, 59). Gleichzeitig beurteilen? Inwieweit werden die öster- wird die Werbeeinnahmen-Abhängigkeit des reichische Medienpolitik – in diesem Fall der öffentlich-rechtlichen ORF stetig größer. Im Jahr öffentlich-rechtliche Programmauftrag des ORF 2005 liegt dieser Anteil bei etwa einem Drittel – wie auch die politischen Vereinnahmungs- der Einnahmen. versuche von den Gesetzen der globalen De- Diese strukturellen und kommerziellen Ver- Regulierung, Ökonomisierung und eines auf- änderungen und Neuorientierungen in den strebenden pragmatischen Rollenbildes des Mediensystemen haben sowohl direkte als auch market-driven journalism (McManus 1994) indirekte Auswirkungen auf die Programm- überlagert und somit der Staat als Medien- inhalte. Diese Entwicklung wird von Kriti- manager von der Rationalität des Marktes und kerInnen als „Selbstkommerzialisierung“ des Wettbewerbs ausgehebelt? Das sind die zentra- öffentlich-rechtlichen Rundfunks bezeichnet (z. len Fragen, denen diese empirische Analyse B. Brandstaller 2006, 74). Allerdings bleiben anhand einer Fallstudie, in deren Mittelpunkt diese Kritik als auch die Anforderungen an öf- die ORF-Nachrichten stehen, nachgeht. fentlich-rechtliche Anbieter in der Diskussion meist diffus und konkrete Qualitätsstandards und -anforderungen an das public service-Pos- 2. Internationale Trends und dynamische tulat werden kaum formuliert oder gar empirisch Kontext-Faktoren geprüft. Ökonomische und technologische Globali- sierungstendenzen sowie verstärkte Wettbe- 3. Das public service-Gebot werbs-Dynamisierung bei gleichzeitiger politi- scher De-Regulierung der nationalen Rundfunk- Meijer (2005, 27) beschreibt drei wesentli- Systeme schaffen dramatisch veränderte che Forderungen, die öffentlich-rechtliche ORF-Nachrichten im Spannungsfeld zwischen Professionalität, Profit, Publikum und Politik 363 Rundfunkanbieter erfüllen sollen: qualitatives Bisher gibt es nur wenige empirische Annä- Programm liefern, umfassende Information bie- herungen an das Konzept der Qualitätsprüfung ten und die Bevölkerung in den demokratisch- von Medienangeboten. Zu den Pionierprojekten politischen Diskurs involvieren (siehe dazu auch auf diesem Gebiet zählt die im Auftrag der ARD/ Lucht 2006). Cuilenburg und McQuail (2003, ZDF-Medienkommission durchgeführte Studie 194) formulieren ähnliche und ergänzende zur inhaltsanalytischen Erfassung der Medien- Grundfesten des public service-Gebots: Unab- Qualität durch Schatz und Schulz (1992) in hängigkeit (gegenüber politischen wie auch Deutschland. In Österreich gilt das seit 1997 ökonomischen Abhängigkeiten), Verantwort- durchgeführte ORF-Qualitätsmonitoring von lichkeit (gegenüber Publikum und Gesellschaft) Fessel-GfK als Beispiel, eine Art Programm- und Vielfalt (politisch und sozial). Controlling zu konzipieren, das neben der De- Habermas (2006, 2ff.) bezeichnet die Plu- moskopie auch inhaltsanalytische und somit ralität der medien-vermittelten Öffentlichkeit als output-orientierte Messinstrumente anwendet. Voraussetzung für eine funktionierende Gesell- schaft und deren demokratischen Diskurs. Demgegenüber beurteilt er die fehlende Unab- 4. Die Analyse-Parameter hängigkeit und Äquidistanz des Mediensystems zu politischen wie auch wirtschaftlichen Eliten Diese Studie kann keine umfassende Quali- als „Pathologie der politischen Kommunikati- tätskontrolle der ORF-Information leisten. Da- on“ in medienzentrierten Demokratien (Haber- her werden selektiv Kriterien des public service- mas 2006, 21). Im Brennpunkt der folgenden Gebotes und zwar im Besonderen das der Plu- Untersuchung steht vor allem der Programm- ralität, der Ausgewogenheit und der Unabhän- auftrag des ORF-Gesetzes aus dem Jahr 2001, gigkeit herausgegriffen, um sie punktuell zu das in Bezug auf diese Gesichtspunkte unter operationalisieren und empirisch anhand einer anderem folgende Postulate formuliert:1 kumulierten Analyse der wichtigsten tages- – die umfassende Information und Förderung aktuellen und überregionalen ORF-Nach- wichtiger politischer, sozialer,
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