4 La Resistenza Der Widerstand in Italien 1943 – 45 von Nadja Bennewitz und Heike Herzog 7 ERA – European Resistance Archive Archiv des Europäischen Widerstands 8 „In den Untergrund zu gehen, war wie eine Beförderung“ Laura „Mirka“ Polizzi, Politkommissarin in der Resistenza von Heike Demmel 10 Sabotatori Fernando „Toni“ Cavazzini: Fluchthelfer, Saboteur, Genossenschafter von Wolfgang Most 12 „Die Arbeit der Frauen war das Rückgrat der Resistenza“ Frauen im Widerstand von Nadja Bennewitz 16 „Obenauf die Kartoffeln, darunter die Munition“ Vom täglichen Widerstand der Partisanin Giacomina Castagnetti „Wenn Informationen überbracht werden mussten“ 17 Die Stafette Giovanna Quadreri i m p r e s s u m von Nadja Bennewitz 18 „Wir wollten ein anderes Land aubauen“ la resistenza Giacomo „Willi“ Notari war Partisan einer Garibaldi-Einheit Beiträge zu Faschismus, von Heike Demmel deutscher Besatzung 19 Kunst im Dienst der Erinnerung und dem Widerstand Verona und Hersbruck: Vittore Bocchetta von Barbara Raub in Italien (5) Schriftenreihe des Vereins zur 20 „Einen Strich für jedes Militärfahrzeug“ Förderung alternativer Medien e. V. Annita Malavasi, Mitglied der 144. Brigade Garibaldi von Heike Demmel Bd. 5, Erlangen 2020 ISSN 1612-5223 22 Spione, Melkeimer und Kommunisten Francesco „Volpe“ Bertacchini Herausgeberin: 23 Spione gegen den Widerstand Verein zur Förderung Das Antiguerilla- und Folterzentrum in Ciano von Heike Herzog alternativer Medien e.V. Feldstr. 22, 91052 Erlangen, 24 Ein „liegender Flamingo“ [email protected], www.feld22.de Adele Bei, Kommunistin, Antifaschistin – fehlgeleitete Frau? Von Nadja Bennewitz V.i.S.d.P.: Wolfgang Most 26 Carlo Abbamagal Afrikanischer Partisan in der italienischen Resistenza Erscheinungsdatum: 25. April 2020 von Nadja Bennewitz Die Broschüre la resistenza kann 28 Agitation, Sabotage, Attentat kostenlos bestellt werden: GAP und SAP in italienischen Städten w w w . r e s i s t e n z a . d e von Matthias Brieger 30 „Wir wollten die Lage des Proletariats verbessern“ Gestaltung | Layout: Vom „Gefühl für Gerechtigkeit“ zur Rebellion Wolfgang Most, [email protected] von Martina Fries Rom, offene Stadt Titelfoto unten: 32 Gruppo Roti, Novembre 1943 - Archivio Der Widerstand in Rom Danilo Baldini, in: Matteo Petracci, Partigiani von Nadja Bennewitz d‘Oltremare. Dal Corno d‘Africa alla Resistenza italiana, Pacini editore, Pisa 2019 34 „Man sollte nicht nur über die Via Rasella sprechen“ Rosario Bentivegna und der römische Widerstand von Dieter Binz „Es war schwer, seine Würde zu bewahren“ 36 Piero Terracina erzählt von der Deportation der römischen Juden auf Recyclingpapier mit von Dieter Binz Druckfarben auf Planzenölbasis 38 „Ich war ein ganz normales Mädchen“ Lia Finzi über Faschismus und deutsche Besatzung in Venedig 2 von Nadja Bennewitz 40 „Wir werden die Stadt nicht verlassen“ Der Frauenaufstand von Carrara am 7. Juli 1944 von Nadja Bennewitz Fotos: 42 „Das Bataillon Lucetti ist libertär und sonst nichts ...“ A.N.P.I. Carrara: S. 41 unten Carrara – Zentrum des anarchistischen Widerstands A.N.P.I. Sezione Adele Bei, Roma: S. 25 unten von Wolfgang Most Archiv resistenza.de: S. 8, 10 oben, 13 links, 16 43 Gino Lucetti rechts, 17 oben rechts, 20, 21, 22, 23, 27, 28, 33, und das Attentat auf Mussolini 34, 35 oben, 36, 37, 38, 39, 40, 43, 44 rechts, 45, von Marianne Wienemann 48, 49, 50 unten, 51, 55 unten, 58 oben, 59, 60, 64 44 Der schmale Grat zwischen Verweigerung und Widerstand Arcigay Arcobaleno Trieste Goriza: S. 61 Deutsche Deserteure in der Resistenza Associazione Casa della Resisten- von Matthias Brieger za Verbania Fondotoce: S. 53 Auf der Flucht Austellungskatalog Partigiani der Institute f 46 ür Widerstand u. Zeitgeschichte Modena, Parma, Die abenteuerliche Geschichte eines -Deserteurs Reggio Emilia 2001: Titelblatt oben, S. 11 unten, von Michael Enger 12, 44 links, 50 oben, 66, 69, 70, 71 48 Teil des deutschen Lagersystems Barbara Raub: S. 19 rechts Die Durchgangslager Fossoli und Bozen-Gries Bundesarchiv: S. 35 unten, 57 unten von Dieter Binz Giacomina Castagnetti: S. 16 links 49 „Wir hätten uns alle selbst umgebracht“ Circolo Culturale Anarchico Gogli- Lageralltag in Fossoli ardo Fiaschi, Carrara: S. 42 von Nadja Bennewitz und Dieter Binz Eberhardt Frasch: S. 54 unten, 55 oben, 56 50 Deportation und Zwangsarbeit European Resistente Archive ERA: von Heike Herzog S. 7, 17 oben links und unten 51 Acht Pferde oder 40 Männer Fernando Cavazzini: S. 10 unten Roberto Torelli war Zwangsarbeiter in einer Gewerkschaft CGIL Pesero/Urbino: S. 24, 25 oben mittelfränkischen Munitionsfabrik Giampietro Lippi: La Stella Rossa – 52 „Diese Leute morgen früh kein Brot“ Monte Sole, Bolgna 1989: S. 58 unten Der italienische Militärinternierte Carlo Porta Giacomo Notari: „Ihr Partisanen, nehmt mich mit Euch!“, PapyRossa Verlag 2015: S. 18 53 Eine makabre Prozession Istituto romano per la storia d’Italia dal Das Massaker am Lago Maggiore fascismo alla Resistenza: S. 32 von Nadja Bennewitz Istituto Piemontese della storia della 54 Sant’Anna di Stazzema Resistenza: S. 14, 15 oben Kritik an juristischer Aufarbeitung des Massakers Istituto storico della resistenza e dell’età vom 12. August 1944 von Lars Reissmann contemporanea di Parma (Sentieri Partigiani della Provincia di Parma): S. 6, 57 oben „Von Massakern wurde nie etwas erzählt“ 57 Istituto veneziano per la storia della Resistenza Die SS-Karstwehr ermordete in Avasinis 51 EinwohnerInnen e della societá contemporanea: S. 4, 15 unten von Peter Engelbrecht KZ-Gedenkstätte Flossenbürg: S. 19 links 58 Marzabotto Lars Reissmann: S. 54 oben Das Massaker und der späte Prozess Laura „Mirka“ Polizzi: S. 9, 65 von Marianne Wienemann Le Montagne Della Libertà, Comune di 60 „Die Angst war enorm...“ Montefiorino e Istituto Storico della Die Verfolgung Homosexueller im Faschismus Resistenza e di Storia Contemporanea di von Heike Herzog und Dieter Binz Modena 1994: S. 11 oben, 15 oben Luigi Longo: Viva L’Italia Libe- 62 Erschütternde Zeugenaussagen ra! Berlin (DDR) 1963: S. 29 Wehrmachtsangehörige in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt Matteo Petracci: S. 26 oben Von Matthias Durchfeld Matthias Durchfeld: S. 52, 62, 63 „Ich muss weiter kämpfen“ Michael Enger, Film & TV-Produk- 64 Annita „Laila“ Malavasi über ihren Kampf nach 1945 tionen, : S. 46, 47 von Heike Herzog Museo della Resistenza „Don Enrico Pocognoni“, Braccano: S. 26 unten „Du musstest Hausfrau, Parteifunktionärin, Mutter sein...“ 65 Laura „Mirka“ Polizzi über das Frauenbild nach 1945 ORTICANOODLES: S. 41 oben von Nadja Bennewitz Piera Galassi: S. 13 rechts 66 „Bedenkenlose Totalität des Vernichtungswillens“ Polit-Café Azzoncao: S. 30, 31 Deutsche Kriegsverbrechen in Italien Sui Sentieri Dei Partigiani, Edizioni CDA, von Gerhard Schreiber Torino 1995: S. 5 Wie war das alles möglich? 70 Eine Betrachtung von Gerhard Schreiber 3 La Resistenza - Der Widerstand in Italien1943 - 1945 Ein historischer Überblick

Das faschistische Italien unter Benito Mussolini trat am 10. Juni 1940 an der Seite Nazideutschlands in den 2. Weltkrieg ein. Die italienische Kriegsmaschinerie war jedoch schlecht ausgerüstet, der Militärhaushalt durch den Kriegseinsatz in Äthiopien (Oktober 1935 – Mai 1936) erschöpft. Die italienischen Angriffe gegen Frankreich, Griechenland und Jugoslawien blieben nahezu erfolglos. Als Italien 1941 Deutschland bei seinem Angriffskrieg gegen die UdSSR unterstützte, war die Stimmung innerhalb der italienischen Truppen bereits gespalten, der Sinn des Krieges vielen unklar. Auch in der Zivilbevölkerung wuchs der Unmut gegen den Krieg Partisan*innen nach der Befreiung Venedigs auf dem Markusplatz am 5. Mai 1945 angesichts täglicher Entbehrungen, verstärkt durch die einsetzenden Bombardierungen. Anfang 1943 Neuer Regierungschef nach der K o lonialmacht. Die Alliierten ver- Absetzung Mussolinis wurde der sprachen lediglich eine Landung und schien für Italien der Krieg ehemalige Generalstabschef Pietro die Verkündung des Waffenstillstands verloren. Im März wurden in den Badoglio, der eine autoritäre Mili- erst sechs Stunden vor der Invasion. norditalienischen Fabriken die tärregierung errichtete. Sofort bei Die italienische Seite akzeptierte. Am ersten Streiks organisiert, an denen R e gierungsantritt nahm er geheime 3. September wurde der Waffenstill- H u nderttausende teilnahmen. Verhandlungen mit den Alliierten stand geschlossen. „So etwas hatte man noch nie über einen separaten Waffenstillstand Am Abend des 8. September wurde er gesehen! Es war ein deutliches auf. Dem Bündnispartner Deutsch- verkündet, und die Alliierten began- Zeichen, dass die Dinge sich land gegenüber betonte er jedoch, der nen am 9. September ihre Landung änderten”, berichtete die Lehrerin Krieg an der Seite Deutschlands wer- im Golf von Neapel – viel weiter Ines Barone, die sich später als de auch nach dem Machtwechsel wei- südlich als vom italienischen Staat Verbindungsfrau, als Stafette, dem ter gehen. Diese Doppelstrategie ging erhofft. Die Regierung Badoglio und nicht auf: Unter dem Vorwand kriegs- das Königshaus flüchteten daraufhin Widerstand anschließen sollte. bedingter Notwendigkeiten verlegte hinter die Linien der Alliierten nach Im Mai 1943 kapitulierten die Deutschland ab dem 25. Juli verstärkt Brindisi und etablierten dort mit deren deutsch-italienischen Truppen in Truppen über den Brenner – unter Billigung eine Monarchie. Afrika, und am 10. Juli landeten die Protest der italienischen Regierung. Alliierten auf Sizilien, wo sie kaum Die „Achse Rom-Berlin“, von Durch die Bekanntmachung des Waf- auf Widerstand stießen. M u ssolini 1936 als Begriff für die fenstillstandsabkommens mit den enge Verbindung beider Länder einge- A l liierten entstand für die italienischen Die Macht Mussolinis, seit 1922 an führt, war gebrochen. Streitkräfte eine unklare Situation. der Regierung, war am Schwinden. In der zweiten Augusthälfte 1943 Militärische Befehle blieben aus, was Am 25. Juli 1943 stellte sich der legten Churchill und Roosevelt die viele Soldaten als Aufforderung auf- F a schistische Großrat gegen ihn. Die Landung der Alliierten auf dem italie- fassten, nach Hause zurückzukehren. Monarchie sah Handlungsbedarf und nischen Festland im Geheimen für den Die Situation eskalierte: Innerhalb setzte Mussolini kurzerhand ab und 9. September fest, während über den weniger Tage besetzte Nazideutsch- gefangen. Die Bevölkerung feierte Waffenstillstand immer noch verhan- land Italien bis weit in den Süden. und demonstrierte für den Frieden. delt wurde. Die italienische Regierung Die deutsche Führung hatte einen Die Symbole des Faschismus wurden forderte zu ihrem Schutz die Landung möglichen Kriegsaustritt Italiens seit zerstört: Die Absetzung Mussolinis starker alliierter Truppenverbände November 1942 einkalkuliert und trotz war für die meisten gleichbedeutend entlang der Küstenlinie zwischen Ci- der Beteuerungen Badoglios Maßnah- mit dem Ende von Faschismus und vitavecchia, nordwestlich von Rom, men für diesen Fall ergriffen. 600.000 Krieg. Die bisher im Untergrund ar- und La Spezia. Des Weiteren wollte Soldaten standen zur Um setzung des beitenden antifaschistischen Parteien, sie eine Garantie für den Fortbestand Befehls „Achse“ bereit. So war es in erster Linie die Kommunist_innen, des monarchistischen Staates und Deutschland möglich, binnen weniger begannen sich neu zu formieren. die Wiedereinsetzung Italiens als Stunden nach Verkündung des Waf- 4 fenstillstands den Einmarsch in Ita- diesen „Banden“ stießen entflohene Befreiungskampf gegen eine fremde La Resist lien zu beginnen. Zeitgleich wurden anglo amerikanische, sowjetische Besatzungsmacht. In diesem Aspekt die italienischen Besatzungstruppen u n d jugoslawische Kriegsgefangene, lag der (kleinste) gemeinsame Nenner Ein historischer Über auf dem Balkan, in Griechenland und nachdem sie zuvor meist von Frauen zwischen militanten Kommunist_in- Frankreich von deutschen Soldaten aus der Gegend aufgenommen, ver- nen, liberalen Antifaschist_innen und entwaffnet und nach Deutschland steckt und in die Widerstandsbewe- monarchistisch eingestellten Militärs. deportiert. Traurige Berühmtheit er- gung eingeführt worden waren. Auch Den Charakter eines Bürgerkrieges langte in diesem Zusammenhang die einige Deserteure der Wehrmacht erhielt die Resistenza durch die Ein- Erschießung von etwa 5.000 italie- schlossen sich den Partisan_innen an. setzung einer faschistischen Mario- nischen Soldaten auf der griechischen nettenregierung. Die SS befreite am Insel Kephallonia: Als sie sich ihrer Für Frauen war es aufgrund des herr- 12. September 1943 Mussolini aus Entwaffnung widersetzten, wurden sie schenden Frauenbildes schwerer, seinem Gefängnis in den Abruzzen. von deutschen Gebirgsjägern getötet. sich dem bewaffneten Widerstand 11 Tage später wurde er als Regie- an zu schließen. Dennoch kämpften rungschef der Repubblica Sociale Ita- Überall wurden flüchtende Soldaten einige mit der Waffe, lebten mit liana (RSI) eingesetzt – wegen ihrer von deutschen Truppen gefangen ge- in den Formationen und übernah- Regierungssitze Gardone und Salò am nommen und in Internierungslager men dort politische Aufgaben. Gardasee auch Republik von Salò ge- nach Deutschland verschleppt. Ins- Doch unter Resistenza war nicht nur nannt. Damit war das alltägliche Le- gesamt waren es 600.000 italienische bewaffneter Widerstand zu verstehen, ben wie vor dem 25. Juli wieder von Soldaten, von denen über 16.000 in sondern grundsätzlich eine resistenza faschistischen Strukturen durchsetzt. den Lagern starben. Um die Soldaten civile, der zivile Widerstand, als Ant- vor der Deportation zu schützen, initi- wort auf die Ausbeutung menschlicher Auch einige Deserteure ierte die Zivilbevölkerung die „größte und materieller Ressourcen durch den der Wehrmacht schlossen Verkleidungsaktion der italienischen Nationalsozialismus. Unabhängig von sich dem Widerstand an Geschichte”. Es waren vor allem die Parteien oder Organisationen waren es Frauen, die nun auf den Plan traten. meist Frauen, die Verfolgte schützten, Nun galt es nicht nur einen äußeren, Sie beschafften den Soldaten zivile Einrichtungen und soziale Zusam- sondern auch einen inneren Feind zu Kleidung und versteckten ihre Waf- menhänge frei von faschistischen bekämpfen. Außerdem trug der Wi- fen für den bevorstehenden Kampf Einflüssen hielten und den ökono- derstand Züge eines Klassenkampfes. gegen die Besatzer. Tausende wurden misch-politischen Kampf gegen die Die Agitierung und Beteiligung der auf diese Weise verkleidet, versteckt, Besatzungsmacht führten. Arbeiter_innen an der Resistenza – versorgt und auf den Weg nach Hau- Italien wurde bis südlich von Neapel durch Streiks in der Rüstungsindustrie se gebracht. „In diesen Tagen Anfang von deutschen Truppen besetzt, die beispielsweise – trägt deutlich diese September 1943 ging es darum, ver- in den darauf folgenden Wochen auf Züge. Der Feind – innerer wie äußerer steckte Soldaten aus den Wohnungen die so genannte Gustavlinie zurück- – wurde mit dem Klassenfeind gleich- wegzubringen – das war unsere erste gedrängt wurden, die das Land circa gesetzt. Tatsächlich hatten große Teile Stafettentätigkeit. Wir erkundeten, wo 50 km nördlich von Neapel in West- der italienischen Großindustrie mit Kontrollposten und Straßensperren Ost-Richtung teilte. Im Mai 1944 dem Faschismus sympathisiert und waren und versuchten alles an Infor- rückten die angloamerikanischen ihm zum Aufstieg verholfen. mationen einzuholen, was wichtig Truppen weiter vor, im Juni 1944 wur- Im Frühjahr 1944 mobilisierte die fa- war.“ So berichtet die Stafette Annita de Rom befreit, im August Florenz. schistische Regierung abermals für (Laila) Malavasi von den ersten Tagen Die Deutschen errichteten daraufhin den Krieg. Um sich dem Kriegsdienst des Widerstands. im Sommer 1944 eine neue Vertei- zu entziehen, schlossen sich erneut digungslinie 350 km weiter nördlich Um der Deportation nach Deutschland – die Goten linie. Die Ausbildung Auf dem Weg in die Berge zu entgehen, zogen sich viele Männer langfristiger Widerstandsstrukturen in die Gebirgsgegenden der Regionen auf militärischer und ziviler Ebene Emilia Romagna, Piemont und Ligu- fand demnach vor allem in Mittel- und rien zurück. Sie bildeten die ersten Norditalien statt. In den 45 Tagen der Partisanengruppen als Reaktion auf Regierung Badoglio hatte der antifa- den Versuch Deutschlands, das Land schistische Widerstand im Untergrund für seine Kriegsführung auszunut- Aufwind bekommen. Dadurch war zen. Vielen Soldaten aus dem Süden es möglich, bereits am 9. Septem- war es zudem gar nicht möglich nach ber in Rom den CLN – das Komitee Hause zurückzukehren, da sie dafür zur nationalen Befreiung – als Reak- über die Frontlinie hätten gelangen tion auf die Besetzung zu gründen. müssen. Für sie eröffneten sich drei In ihm waren die unter dem Faschis- „Möglichkeiten“: ihre Gefangennah- mus verbotenen kommunistischen me durch die Deutschen, ihr Weg in und sozialistischen Parteien, die den Widerstand oder ihre Einglie- neu entstehenden Liberalen und derung in die faschistische Armee andere antifaschistische Organi- der Ende September neu errichteten sationen vertreten. Eine geheime Republik von Salò. So bildeten sich politische Führung entstand. Durch die ersten losen Widerstandsgruppen. ihren militärischen Arm und die Von ihren Verstecken in den Bergen r e gionalen Gruppen gelang es, die aus beobachteten sie die Bewegungen in den ersten Monaten vereinzelt der deutschen Truppen und führten operie renden Partisanengruppen und einen Guerillakrieg, bei dem sie auf deren Aktivitäten zu koordinieren. Überraschungsangriffe setzten. Zu Die Resistenza war in erster Linie ein

5 viele Männer der Resistenza an – was geheime Presse- und Informations- Im so genannten „heißen Sommer“ die jeweils geschlechtsspezifischen strukturen und führten Sabotageakte 1944 verschärfte der Oberbefehls- Motivationen, im Widerstand zu gegen die feindliche Infrastruktur und haber Kesselring die möglichen arbeiten, deutlich macht. So erklär- Attentate gegen Exponenten der Be- Repressionsmaßnahmen gegen die te Carla Badiali, die Dokumente für satzer und der Faschist_innen durch. Bevölkerung. Der bewaffnete Wi- die Partisanenbewegung fälschte, Oft bestanden sie nur aus kleinen derstand war zu diesem Zeitpunkt gegenüber ihrem Mann: „Ich mache Zellen von zwei bis drei Personen. deutlich erstarkt, und die militärische das alles, weil ich es mir ausgesucht Frauen nahmen keine Führungspositi- Lage der Deutschen verschlechterte habe. Du hattest keine Wahl, ich ja.” on im CLN ein, obgleich sie wichtige sich zusehends – die angloamerika- Etliche jüdische Menschen, wie etwa Verbindungsfunktionen innehatten. nischen Truppen befanden sich auf der bekannte Schriftsteller Primo Lévi, Sie gründeten im November 1943 die dem Vormarsch. Für diesen Zeitraum gingen zum Widerstand in die Berge GDD, Frauenbefreiungsgruppen, die galt beispielsweise die Anordnung, in oder konnten sich in vom Widerstand eigene Zeitschriften herausgaben, in Gebieten mit starker Partisan_innen- kontrollierten Gebieten verstecken. den Fabriken für den antifaschistischen präsenz präventiv Geiseln zu nehmen, Ihr Risiko war es, bei der Gefangen- Kampf agitierten, gleichen Lohn für die dann im Fall von Angriffen der nahme nicht nur als Partisan_innen Frauen wie Männer forderten, Mate- Resistenza hätten getötet werden sol- bestraft zu werden, sondern zudem als rial und Kleidung für die kämpfenden len. Jüdin oder Jude. Truppen produzierten und Geld von In diesen Zeitraum fällt auch das Mas- Fabrikbesitzern besorgten. In der saker in Marzabotto im emilianischen Die Vielschichtigkeit der Resistenza Forschung wird heute von 150.000 Apennin, bei dem 770 Menschen getö- wird in ihrer politischen Struktur am bewaffneten Partisan_innen ausgegan- tet wurden. Dieses von SS und Wehr- stärksten deutlich. Neben einem ge- gen. Der Partisanenkampf benötigte macht verübte Massaker entsprang meinsamen Oberkommando - dem die Unterstützung der Zivilbevölke- einer „Politik der verbrannten Erde“: CLN - stellten die Parteien einzelne rung. Es ist von 14 Unterstützenden Die Deutschen „säuberten“ dabei das Partisaneneinheiten auf. Die Einheiten pro Kämpfer_in auszugehen. Hinterland entlang der Frontlinie von Giustizia e Libertà (Gerechtigkeit und Partisan_innen – aber auch von Zivi- Freiheit) standen der neu gegründe- Ab Frühjahr 1944 gelang einigen list_innen. ten liberalen Aktionspartei (Partito Partisanenformationen die Schaffung d’Azione) nahe und machten etwa 20 befreiter, selbst verwalteter Republi- Im Winter 1944 „ordnete“ der bri- Prozent aus. Die mitgliederstärksten ken, so u. a. in Montefiorino/Emilia- tische General Alexander an, dass Verbände waren die Garibaldi-Ein- R o magna oder im Ossola-Tal/Piemont. die Partisan_inneneinheiten ihre heiten, die hauptsächlich auf Initiative Hier wurden kleine „Parlamente” ein- Akti vi täten einzustellen hätten, bis der kommunistischen Partei Italiens gerichtet, in denen Dorfräte die poli- die Alliierten ihre Kampfhandlungen entstanden waren und 50.000 Parti- tische Verantwortung übernahmen. im Frühjahr 1945 wieder aufnehmen san_innen stellten. Die drittstärksten würden. Dieser „Alexanderbefehl“, Formationen waren die so genannten Die Bekämpfung des bewaffneten der praktisch nicht umzusetzen war, Autonomen Einheiten, die keiner po- Widerstands wurde in Italien nach den bzw. einer Auflösung der Partisan_in- litischen Richtung nahe standen. In Richtlinien der so genannten Banden- neneinheiten gleich gekommen wäre, ihnen waren vor allem „versprengte“ bekämpfung durchgeführt, wie sie wurde von vielen Kommandierenden Soldaten und Anhänger der Monarchie schon im Osten gegen Partisan_innen der Partisanen bewusst missachtet. organisiert, weshalb sie von anderen angewendet worden waren. Die Be- Der alliierte Rückzug bedeutete für Partisanen auch (verächtlich) „Ba- fehlsstruktur zeigt sehr deutlich, dass die Wehrmacht eine entscheidende Er- doglio-Partisanen“ genannt wurden. die Aufteilung in eine Wehrmacht, die leichterung, und so richtete man von Daneben entstanden Formationen, einen angeblich „sauberen“ Krieg in deutscher Seite im Winter 1944/45 die anderen antifaschistischen Orga- Italien geführt habe, während die Ver- sein Augenmerk auf die Bekämp- nisationen, z. B. katholischen Kreisen antwortung für die Massaker allein fung der Partisan_inneneinheiten. oder der republikanischen Partei nahe der SS zuzuschreiben sei, nicht der Im Frühjahr 1945 gelang den standen, sowie die Mazzini-Einheiten, Realität entspricht. Es war erklärtes k ä mpfenden Einheiten zusammen mit die von den Sozialist_innen organi- Ziel, die Bevölkerung durch massive den Einwohner_innen die Befreiung siert wurden. Wer welcher Einheit Drohungen von jeder Unterstützungs- zahlreicher Städte, noch vor Ankunft beitrat, richtete sich nicht nur nach leistung abzuhalten. Schon die Nicht- der Alliierten. Am 25. April übernahm der politischen Einstellung, sondern Kollaboration mit den Deutschen und der CLN in den befreiten Gebieten die wurde oft durch praktische Begeben- das Verschweigen von Informationen Macht. Benito Mussolini und seine heiten – welche Einheit kämpfte in der über die Resistenza konnte als Unter- Geliebte Claretta Petacci wurden drei nächsten Umgebung, welche persön- stützung gelten und mit dem Tode be- Tage später hingerichtet. Die deut- lichen Kontakte bestanden – gelenkt. straft werden. Zum anderen wurde die schen Truppen mussten bedingungs- Neben den Partisan_innen in den Bevölkerung als Druckmittel gegen los in Italien kapitulieren. Bergen operierten in den Städten die die Partisan_innen eingesetzt, die da- GAP- oder SAP-Einheiten – von der mit rechnen mussten, dass jede Wider- Die Partisan*innen zogen als Sie- kommunistischen Partei gegründet und standshandlung mit Repressalien gegen ger durch die Straßen, meist ohne unterstützt. Ihre Mitglieder betrieben umliegende Dörfer geahndet wurde. die zuvor an ihrer Seite kämpfenden Partisaninnen, die lediglich mit der Binde der Krankenschwester am Arm m a rschieren durften, um sich vor übler Nachrede zu schützen.

Nadja Bennewitz, Heike Herzog, resistenza.de

6 ERA (European Resistance Archive) ist das online-Archiv der Wider- standsaktivitäten gegen Faschis- mus und Besatzung während des Zweiten Weltkrieges in Europa. Herzstück sind die Videointerviews mit 24 Frauen und Männern, die sich am antifaschistischen Wider- stand in verschiedenen europä- ischen Ländern beteiligt haben.

Die Interviewclips sind in Original- sprache verfügbar, englische Unterti- Archiv des tel können eingeblendet werden. Alle Interviewtranskriptionen sowie ihre Europäischen Widerstands englischen Übersetzungen stehen als PDF zum Download zur Verfügung. dem die individuellen Geschichten Das European Resistance Archive ist Außerdem enthält ERA Kurzbiogra- von Menschen lebendig und sichtbar 2007 im Rahmen eines EU-Projekts fien und Bilder der Interviewten. gehalten werden. Sie kämpften auf mit 80 Jugendlichen aus 6 Ländern ent- vielfältige Art und Weise, manchmal standen und wurde 2017 technisch und Es ist heute kaum mehr möglich mit bewaffnet, oft aber auch nicht. gestalterisch überarbeitet. Das Portal Widerstandskämpfer*innen zu spre- wird von Istoreco Reggio Emilia und chen, denn die meisten Menschen Frauen und Männer aus Italien, Fran- CultureLabs eG Berlin unterhalten. dieser Generation sind bereits ver- kreich, Polen, Slowenien, Österreich storben. Deshalb sollte im Netz ein und Deutschland erzählen ihr Leben, Ein Team von Freiwilligen arbeitet in Ort geschaffen werden, an dem die von ihrem persönlichen Weg hin zur unregelmäßig stattfindenden ERA- Geschichte und die Erfahrungen der Entscheidung sich dem Widerstand Übersetzungsworkshops an der Re- Widerstandskämpfer*innen in Form anzuschließen, von den Widerstands- alisierung anderer Sprachversionen von Videointerviews gesammelt und aktivitäten, vom Leben in der Ille- (Deutsch, Italienisch, Französisch). für alle frei zugänglich verfügbar galität, in Gefangenschaft oder von sind. ihrem Erleben der Befreiung. Der Wer ERA unterstützen möchte, kann Widerstand bekommt viele Gesichter, sich hier melden: ERA ist weder akademisches Portal, denn gestern wie heute sind es nicht [email protected] noch eine Art Widerstands-YouTube, namenlose Teile einer Bewegung, auf dem sich durch die spannendsten sondern einzelne Menschen, die für www.resistance-archive.org Episoden des europäischen Wider- sich Entscheidungen treffen und für stands geklickt werden kann. Mit diese einstehen. ERA wurde ein Raum geschaffen, in

7 „In den Untergrund zu gehen, war wie eine Beförderung“ Laura „Mirka“ Polizzi war Politkommissarin in der Resistenza

in Ökonomie, und ich wurde dadurch Piacenza, dann nach Reggio Emilia Kommunistin. Der andere Onkel hatte geschickt.“ Dort hat Laura Polizzi weniger Skrupel und gab mir kleine viel gelernt. Sie wird Anführerin der illegale Aufgaben, diesen und jenen Frauenverteidigungsgruppen und ist Genossen Dinge zu überbringen. Es in Kontakt mit der Führungsspitze der wurde September. Der Onkel brachte politischen Resistenza in der Provinz mich zum Fluss und zeigte mir eine Reggio Emilia. Pistole, nahm sie in die Hand, lud sie, leerte sie wieder und sagte zu mir: In die Berge gehen ‚Bald wirst du sie nutzen müssen, denn bald müssen wir zu den Waffen „Dieses illegale Leben, wie war es? greifen.‘“ Viele Genossen, die aus anderen G e genden kamen, hatten wie ich Er behält Recht. Am 8. September k e inen festen Wohnort. Wir hatten Laura Polizzi 2001 in Parma 1943 marschieren nationalsozialis- falsche Papiere, einen Kampfnamen, tische Truppen in Italien ein. In Parma der wiederum anders war als der, der Laura Polizzi stammt aus einer rufen fast alle Parteien die versammel- im Dokument stand. Wir schliefen und antifaschistischen Familie aus ten BewohnerInnen zum Widerstand aßen in den Häusern, die uns die lega- Parma. Politisiert wird sie durch ihre gegen die deutsche Besatzung auf. len Kämpfer zur Verfügung stellten. Onkel, die Führungspositionen in der Auch Laura Polizzi ist auf der Piazza Wir wussten am Morgen nicht, wo wir Kommunistischen Partei (PCI) Garibaldi. „Plötzlich hört man einen am Abend schlafen würden. einnehmen. Sie selbst tritt als Knall, vielleicht war es nur ein ge- Meine politische Arbeit war sehr Partisanin unter dem Decknamen platzter Fahrradschlauch. Doch die wichtig. Doch es war mir immer noch „Mirka“ der Resistenza bei. Leute, die eben noch gesagt haben, sie zu wenig. Ich wollte kämpfen, wollte seien für den Kampf bereit, flüchten in die Berge gehen. Und zusammen „Ich habe mich der Resistenza an- total aufgeschreckt. Da kommt ganz mit einem anderen jungen Mann, der geschlossen, da war ich noch keine spontan eine Wut in mir hoch, und ich die illegale Bewegung der Jugend 18 Jahre alt. Wie alle Mädchen wollte steige auf das Denkmal von Garibaldi, anleitete, bat ich darum.“ Vergeblich. ich alles andere werden als eine Gue- von dem aus gerade noch die Männer Ihm wird es gestattet, ihr verwehrt. rillera. Aber am 25. Juli, dem Nieder- gesprochen hatten, und ich rede in der Doch er verrät ihr das Losungswort gang des italienischen Faschismus, Öffentlichkeit. Ich rede und lade die und Mirka – so ihr Deckname – zieht gab es keinen Zweifel darüber, dass Mädchen und Frauen ein und schreie: auf eigene Faust los, ohne den Segen mich die Diskussionen und Gespräche ‚Ja wie, eben habt ihr noch ver- ihrer Partei. Nach zwei Tagen Fuß- in meinem Elternhaus sehr geprägt sprochen zu kämpfen und jetzt flüch- marsch kommt sie zusammen mit haben.“ tet ihr und habt Angst? Ich habe keine Anderen bei den PartisanInnen an, Laura Polizzi kommt aus einer anti- Angst, wo ich doch ein Mädchen bin!‘ wo alle vom politischen Kommissar faschistischen Familie. Ihr Vater ist Die Leute bleiben verwundert stehen. befragt werden. „Als ich an die Reihe Tischler, die Familie arm. Dennoch Der Onkel Porcari umarmt mich und kam, fragt er mich: Und wer schickt gibt es in ihrem Elternhaus jede sagt: ‚Du musst jetzt in die Resistenza dich? Ich habe dann die Wahrheit ge- Menge Bücher, vor allem solche, die e i ntreten.‘“ sagt, weil ich wusste, mit der Partei im Faschismus verboten sind. Zwei Das tut sie, ohne zu zögern. Tagsüber scherzt man nicht. Und dann schaut er Onkel sind in der kommunistischen arbeitet sie weiterhin als Schuhver- mich an und sagt: ‚Du solltest für dei- Partei, Laura Polizzi kennt die Be- käuferin. Gleichzeitig ist sie Kurierin nen Mut ausgezeichnet werden, aber suche im Gefängnis. Doch sie stößt für die PartisanInnen und die kom- du solltest erschossen werden dafür, auf Ablehnung, als auch sie sich dem munistische Partei. Sie arbeitet für die dass du deine dir zugeordnete poli- Widerstand anschließen möchte. antifaschistische Agitation und baut tische Position verlassen hast.‘“ Laura „Ich fragte die Männer in meiner die „Frauenverteidigungsgruppe“ in Polizzi wird nicht erschossen. Nach Familie, ob ich mitmachen könnte, Parma auf. „Diese Aktivität dauerte langem hin und her darf sie bleiben, die Antwort war: Nein. Ich sei ein für mich nur kurz, denn in den ersten wird sogar – mit 18 Jahren – Polit- Mädchen. Onkel Remo sagte etwas Tagen des Februar 44 – ich war mitt- kommissarin, da sie mehr politisches ernster: ‚Wir sind doch schon dabei, lerweile 18 – denunzierte mich eine Wissen und Erfahrungen hat als die wir ziehen nicht auch noch andere aus Frau bei der Polizei. Ich musste meine meisten anderen. 512 Frauen haben es der Familie mit rein.‘“ politische Aktivität in eine andere Ge- laut offiziellen Zahlen in die Position Doch sie gibt nicht auf und löchert gend verlegen, musste untertauchen. einer Kommandantin oder Kommis- die Männer in ihrer Familie weiter. Ich wechselte meinen Namen und sarin geschafft. Laura Polizzi ist eine Bis ihr Onkel sagt: Ich schule dich erhielt falsche Dokumente. Ich verließ davon. „Als Politkommissarin hatte politisch. „Er unterrichtete mich in meine Familie, meine Stadt, meine ich die Aufgabe, die Genossen poli- der Geschichte des Kommunismus, Genossen und wurde zuerst nach tisch und moralisch zu unterstützen, 8 diese jungen Männer, die zum Wi- sung finden. Entweder sollte ich Partisan, verwundet ist. „Ich trug also derstand gekommen waren vor allem die Formation verlassen und auf einen immer größer werdenden Hass in aus Ablehnung des Faschismus und meinen früheren Posten in die Ebe- mir, und wenn ich früher hundertpro- des Nazismus heraus. Aber sie hat- ne zurückkehren, oder ich konnte zentig kämpfte, so setzte ich mich nun ten keinerlei ideologische Basis und in den Bergen bleiben, aber nur zweihundert prozentig für die Resistenza Schulung erhalten, sie wussten nichts außerhalb des Kommandos, und ein. Der Kampf in den Bergen hatte mich von Politik, aber wirklich nichts. Im die Stafetten und die Frauen in den auch gestärkt, hatte mich widerständiger Faschismus lernte man nichts, es war Bergen anführen. Alle Anwesenden gemacht.“ Ihre wichtige Rolle in der eine Diktatur. Das, was ich von den teilten diese Meinung nicht, alle R e sistenza bleibt auch den Deutschen Onkeln und den Genossen in Reggio hielten es für irrelevant, dass wir nicht verborgen. Sie wird gesucht, die gelernt hatte, nutzte mir nun bei den verliebt waren. Es hatte tatsächlich Polizei findet ihre Spur, der Kreis schließt Partisanen. Ich habe dort gemacht, nie irgendeine Auswirkung gehabt. sich immer enger um sie. „Eines Morgens was alle gemacht haben, habe an Aber der Beschluss der Partei ließ war sogar das Haus umstellt, in dem ich Kämpfen teilgenommen, aber auch an mir nur diese zwei Möglichkeiten oft schlief, zum Glück war ich just in die- bewaffneten Aktionen usw.“ zur Auswahl. Ich fand das nicht sem Moment nicht dort. Man versetzte richtig, völlig ungerecht. Doch ich mich – also glücklicherweise, sonst wäre „Wir haben in dieser Zeit hassen ge- hätte nie zu gestimmt, in den Bergen ich heute nicht hier – nach Mailand. Ich lernt“, sagt Laura Polizzi heute. „Als zu bleiben ohne meine Aufgabe als trat in den Mailänder Widerstand ein Kommissarin musste ich auch Spitzel Politkommissarin ausüben zu dür- und übernahm das Kommando für zwei ausfindig machen, musste Verhöre fen, in die ich gewählt worden war. Abteilungen der Frauenverteidigungs- übernehmen. Ich wandte dabei zwar Also habe ich mich entschlossen, gruppen. Die Aufgaben dort waren nicht die Methoden der Deutschen an, in die Ebene zurückzukehren und ähnlich, aber für mich auch eine neue doch was man den Frauen so nach- dort die Frauen anzuleiten, wie Erfahrung. Denn im Reggiano hatte ich sagt, sie seien zartfühlend und weich, ich es auch schon zuvor gemacht unter den Bäuerinnen gearbeitet, in Mai- davon verspürte ich während dieser h a tte.“ land hatte ich mit A r beiterinnen zu tun, Arbeit überhaupt nichts.“ Doch dann war in den Fabriken tätig, machte illegale verlieben sich der Kommandant und Kommando für zwei Aktivitäten mit den Arbeiterinnen.“ sie ineinander. Eine ganze Weile stört Abteilungen der Frauen- das niemand, dann nimmt die Partei 512 Frauen haben es in die verteidigungsgruppen daran Anstoß. „Es war nach der da- Position einer Kommandantin maligen Moral der kommunistischen Partei nicht tragbar, dass wir ein Ver- Laura Polizzi erfährt nach und oder Kommissarin geschafft. hältnis miteinander hatten, zwei Kom- nach, dass ihre Mutter, ihr Vater Laura Polizzi ist eine davon mandanten im Krieg, die ineinander und ihre jüngere Schwester ver- verliebt waren. Man müsse eine Lö- haftet sind, dass ihr Bruder, auch In Mailand ist Laura Polizzi an der Be- freiung beteiligt. Doch es gelingt ihr nicht Laura Polizzi 1944 recht sich zu freuen. Eine befreundete Genossin wird an diesem Tag getötet, von ihrem Gefährten in den Bergen hat sie keine Nachricht, ebenso wenig von ihrer verhafteten und nach Deutschland deportierten Familie. „Nach und nach ist meine Familie wieder zurückgekehrt. Zuerst meine Mutter, die erzählte, wie sie in Mauthausen erfahren habe, dass dort auch ihr Sohn inhaftiert sei. Und ich dachte, die Arme, sie weiß noch nicht, dass er erschossen wurde - was ich wiederum gehört hatte. Ich sagte es ihr nicht, zum Glück, denn im Juli kam er wieder nach Hause, mein Bruder, na- türlich mehr tot als lebendig, er wog nicht mal 40 kg bei 1,82 Größe. Im September kam meine Schwester, aber von meinem Vater haben wir nie offizielle Nachrichten erhalten. Wir haben nur indirekt davon erfahren, dass er in Mauthausen ermordet wurde.“

Heike Demmel, resistenza.de

Dieser Artikel beruht auf Gesprächen mit Laura Polizzi im Rahmen der jährlich veranstalteten „Sentieri Partigiani“ von ISTORECO Reggio Emilia. A u ßerdem interviewte sie 2001 der Verein zur F ö rderung alternativer Medien in Parma.

9 Sabotatori Fernando „Toni“ Cavazzini: Fluchthelfer, Saboteur, Genossenschafter ich nachzudenken: Was machte ich da wurden gesammelt, nach Carpineti wirklich? Ich arbeitete Tag und Nacht gebracht und dort sicher versteckt. Die daran, die Kriegsproduktion zu stei- Deutschen konnten so weder Adressen gern, während der Krieg Menschen noch Familien in Erfahrung bringen. tötete.“ „Jede unserer Organisationen hatte Er suchte den Kontakt zu antifaschi- ihren Kommandeur und ihren poli- stischen Organisationen und der Un- tischen Kommissar. Am Abend gab tergrundbewegung. es immer die ‚politische Stunde‘. Man Fernando Cavazzini auf den Am 8. September 1943 schloss Mus- sprach über so ziemlich alles, über „Sentieri Partigiani“ 2001 solinis Nachfolger Badoglio einen die Verpflegung, den Hunger, die Be- einseitigen Waffenstillstand mit den waffnung. Aber auch Sachen wie: Wie 28. Juli 1943: Trotz eines Alliierten. Norditalien wurde darauf- verhalten wir uns dem Feind gegenü- Versammlungsverbotes der hin von der deutschen Wehrmacht be- ber, wie verhalten wir uns untereinan- Übergangsregierung Bardoglio setzt. Cavazzini und fast seine gesamte der? Natürlich lief nicht immer alles gehen tausende Beschäftigte der „Azione Cattolica“ unterstützten von glatt.“ „Reggiane“, einer Rüstungsfabrik für diesem Tag an Soldaten, die ent- Toni war an Aktionen in der gesam- Kampflugzeuge in Reggio Emilia, für kommen wollten. Sie versorgten die ten Bergregion um Reggio Emilia ein Ende des Krieges auf die Straße. Soldaten mit Zivil- und sogar Prie- beteiligt. Eine der größten Ausei- Als sie die Werkstore passieren, sterkleidung, begleiteten sie, bis sie nandersetzungen in dieser Gegend alleine weiterziehen konnten. Mehr war die Schlacht in Cerrè Sologno werden acht Arbeiter und eine als 600.000 italienische Soldaten wur- (15.3.1944): Arbeiterin erschossen. den damals festgenommen und als „Luigi sollte mit 30 Männern die Fernando Cavazzini kann sich noch „Militärinternierte“ nach Deutschland Gatta-Brücke sprengen und die Gar- gut an das „Massaker der Reggiane“ zur Zwangsarbeit deportiert. nison, die sie bewachte, entwaffnen. erinnern. „Von diesem Tag an Wir anderen musste nach Ligonchio wurde ich ein anderer Mensch.“ Er gehen und die Garnison von 20-25 Fa- wollte nicht mehr weiterarbeiten, Aktiv zum Ende schisten neutralisieren. als ob nichts gewesen sei, und des Krieges beitragen Nachdem wir bereits – ohne Abend- nahm Kontakt zu den örtlichen essen – die Nacht durch marschiert Antifaschist*innen auf. Er half Seit dem „Massaker der Reggiane“ waren, kamen wir um 7 Uhr früh in Soldaten bei der Flucht, ging später war Cavazzini fest entschlossen, der Cerrè Sologno, auf dem halben Weg Resistenza beizutreten. Er wollte aktiv zwischen Santonio und Ligonchio, in die Berge und schloss sich als zum Ende des Krieges beitragen. nicht mehr weiter. Deutsche Auf- Partisan „Toni“ der 26° Brigade Als Anfang März 1944 bekannt wur- klärungsflugzeuge flogen über das Garibaldi „Enzo Bagnoli“ an. de, dass sich eine Partisanenformation Gebiet und hätten uns gesehen. Also in der Gegend aufhielt, zogen Fernan- machten wir dort eine Pause, um am Fernando Cavazzini wurde am 23. do Cavazzini, sein Freund Cocchi Abend weiter zu laufen. Um 8 Uhr September 1923 in Reggio Emilia ge- und fünf weitere los in die Berge und gab eine unserer Wachen einen Schuss boren. Sein Vater war Schuster, seine schlossen sich den Partisan*innen ab und die Deutschen waren da. Wir Mutter Hausfrau und Tagelöhnerin. an. Sie legten sich Decknamen zu: hatten im Süd-Osten die ersten Häu- „Niemand in meiner Familie war fa- Cavazzini war fortan „Toni“, andere ser unter Kontrolle, die Deutschen den schistisch, aber sie waren nicht orga- nannten sich „Lupo“, „Polvere“ oder Westen und Norden. In manchen Fäl- nisiert – abgesehen von mir, ich war verwendeten abgewandelte Namen ih- len waren aber Faschisten, Deutsche in der ‚Azione Cattolica‘ (Katholische rer Freundinnen. Die richtigen Namen und Partisanen im gleichen Haus. Ich Aktion)“. erinnere mich an diesen Partisanen in Seine Schulzeit beschränkte sich auf Fernando Cavazzini 1944 einem Haus, als die Türe aufging und 5 Jahre, fortan versuchte er zu arbei- ein Deutscher mit seinem Gewehr ten. Mit 14 stand er jeden Morgen vor rein kam. Jeder richtete die Waffe auf dem Arbeitsamt, um einen Job bei den anderen, bis der Deutsche zurück „Reggiane“ zu ergattern. Seine Hart- ging, ohne zu schießen. Hätte er es näckigkeit zahlte sich aus, er wurde getan, wären beide gestorben, deshalb ein begeisterter und technisch interes- ging er einfach so nach draußen. sierter Arbeiter der wichtigsten Waf- Unser Kommandant Miro und Barbo- fenfabrik der Region. „Ehrlich gesagt, lino, der Kommandant derer von Mo- ich war katholisch und ging in die dena, waren schwer verwundet. Eines Kirche. Arbeiten und Kirche, das war unserer Maschinengewehre hatte die alles für mich, ich war nie an Politik falsche Munition und feuerte nicht ei- interessiert.“ nen Schuss. Das andere arbeitete gut, Dann begann der Krieg. Im Frühjahr stand aber an einer offenen Stelle, weil gab es Streiks bei der „Reggiane“, wir alles sehr in Eile hatten tun müs- Freunde von Cavazzini wurden dabei sen. Nach dem erste Schuss wurde un- festgenommen. „Von da an begann ser Schütze von einem Deutschen mit- 10 ten in den Kopf getroffen und getötete. Also war auch das Maschinengewehr nutzlos. Wir waren schlecht ausgerü- stet, während die anderen richtig gut bewaffnet waren, mit MGs. Wir wa- ren zu viert an der höchsten Stelle von Cerrè Sologno. Viktor, ein Russe, hat- te unser einziges Maschinengewehr, das eine Frau einem Faschisten in Montecavolo abgenommen hatte. Ein junger Mann lief auf der Hauptstraße mit einem Gewehr auf uns zu, aber als ihm klar wurde, dass drei oder vier Ge- wehre auf ihn gerichtet waren, hob er die Hände und ließ sein Gewehr fallen. Wir nahmen ihn gefangen, befragten ihn nach Neuigkeiten und brachten ihn zur Kommandantur, wo auch un- sere Verwundeten waren. Barbolinis Schwester Sonia sagte uns, dass eine deutsche Einheit aus Cinquecerri auf dem Weg sei. Auf den Bergen hinter uns lag über ein Meter Schnee, wenn wir einfach so den Rückzug angetre- ten hätten, hätte sie uns erschossen; es gab nichts was wir tun konnten. PartisanInnen der Republik Montefiorino Die Faschisten hatten bemerkt, dass Widerstandsrepublik ein Kolonne von Menschen kam: Sie dachten, es seien Deutsche oder Toni: „Es verbreitete sich wie ein Reggio Emilia und Modena eine sieben Faschisten auf ihrem Weg sie zu un- Lauffeuer, dass diese relativ kleine G e meinden umfassende Partisanenrepublik terstützen. Aber es war Luigi, der P a rtisanenbewegung plötzlich große auszurufen und organisieren: eine ca. 40 km über das Gefecht in Cerrè informiert E r folge zu haben schien. Das führte dazu, breite Fläche, wo erstmalig seit zwanzig Jah- worden war, nachdem er Faschisten dass im Laufe des Monats Juni unsere ren wieder ein Gemeinderat gewählt wurden. in einem anderen Ort entwaffnet hat- Einheit bis auf 2000 Personen anwuchs. Die Alliierten haben uns dort fast täglich te. Nach seiner Ankunft übernahmen Auch die Einheiten im Bereich Modena versorgt und wir hatten angefangen, Lande- wir die Kontrolle über drei viertel des wuchsen innerhalb kurzer Zeit auf 5000 bahnen für kleine Flugzeuge zu konstruieren. Ortes. Die Deutschen schafften es nur Personen an. So konnten wir insgesamt Bei einer großer Durchkämmungs- auf die Westseite, dort lösten sie sich ungefähr 7000 Leute hier in den Bergen aktion am 30. Juli zerstörten die auf: Einige flohen, zehn Deutsche zusammenziehen. Mitte Juni 1944 konn- D e utschen die Partisanenrepublik.“ waren gestorben, etliche verwundet ten wir im Hochapennin zwischen und wir hatten 22 Gefangene, die sich ergeben hatten. Auf unserer Seite gab es 7 Opfer und 11 Verwundete. Die Bergen. Auch in der Poebene und auf gestellte. Er beriet andere Kooperativen Schlacht endete gegen zwei Uhr nach- der anderen Seite der Berge, in der bei der Gründung und sein Kollektiv mittags, sie war eine der härtesten Toscana, waren wir eingesetzt. Wir stellte Kredite bereit. Fernando Cavaz- während der ganzen Resistenza.“ umgingen Kampfgebiete, um hinter zini starb am 27. Oktober 2016 im Alter Später wurde Toni Leiter der Sabo- dem Rücken der Deutschen Brücken von 93 Jahren in Reggio Emilia. tageeinheit „Demonio“. Die Gruppe zu sprengen, die Munitionszufuhr zu Noch heute gibt es in Norditalien viele sabotierte sämtliche Bahnstrecken im unterbrechen oder Verwirrung zu stif- und gut vernetzte Genossenschaften. Reggiano und sprengte viele Brücken ten. In den Tagen des Rückzugs der Diese Kultur des kollektiven Arbeitens in der Ebene und in der Bergregion. deutschen Truppen stellten wir eine ist eine Errungenschaft der Resistenza. „Manchmal ging unsere Gruppe zu- deutsche Wegausschilderung in die sammen los, manchmal gingen nur falsche Richtung auf. Dadurch verlief Wolfgang Most, resistenza.de zwei oder drei. Wir waren ständig sich eine große Wehrmachtseinheit in auf den Beinen, nicht nur hier in den eine Sackgasse und konnte gefangen Zitate von Cavazzini aus: genommen werden.“ Archiv des Europäischen W i derstands Toni mit anderen Partisanen in den Bergen Im Frühling 1945 war in Italien der www.resistance-archive.org und Krieg vorbei. Eineinhalb Jahre Wi- aus seinen Erzählungen bei den derstand in den Bergen hatten Tonis Sentieri Partigiani - www.istoreco.re.it Leben verändert. Er wollte sich weiter für eine andere Gesellschaft einsetzen. Der Dokumentarfilm Sabotatori erzählt die So lernte er das Bauhandwerk und Geschichte von Fernando Cavazzini und gründete eine Kooperative. Für dieses andere alte und neue Geschichten über Vorhaben erntete er erst einmal viel Widerstand - http://de.ulule.com/sabotatori Spott, schließlich lag die Wirtschaft am Boden und viele waren arbeitslos. Aber sein Maurerkollektiv setzte sich durch. Als er in Rente ging, umfasste es über 600 Arbeiter*innen und An-

11 Mit dem Waffenstillstandsabkommen vom 8. September verschärfte sich die Situation. Viele Frauen e r kannten, dass der Krieg keineswegs zu Ende war, sondern dass man sich im Gegenteil auf einen harten Kampf gegen die deutschen Besatzer und ihre faschistischen K o llaborateurInnen würde gefasst machen müssen ...

Die antifaschistische Generation der 20er Jahre Nach der Befreiung auf dem Rathausplatz in Reggio Emilia „Aus dem Gefängnis erhielt ich Briefe von meinem Onkel. Wie viele Gefan- gene bildete auch er sich dort weiter, die Inhaftierten studierten gemein- „Die Arbeit der Frauen war sam. Als Ungebildete kamen sie ins Gefängnis, als Intellektuelle kamen das Rückgrat der Resistenza“ sie heraus.“ Die Partisanin Laura P o lizzi aus Parma, Jg. 1926, schildert Frauen im Widerstand hier den Erfahrungshorizont derje- nigen antifaschistischen Generation, die Opfer des faschistischen Sonder- vorerst nicht teil, denn: „Ich dachte, Übungen abgestumpft wurden, waren gesetzes vom 25. November 1926 zur ich bin eine Frau und diese Dinge ha- diese politischen Sensibilisierungs- „Verteidigung des Staates“ geworden ben mich nicht zu interessieren.“ maßnahmen umso wichtiger. Viele, die waren: Aufgrund des dabei geschaf- Doch in den Gefängnissen saßen nach dem 25. Juli 1943 – dem Sturz fenen Sondergerichtes schnellte die durchaus auch Frauen, die aufgrund des italienischen Faschismus – aus Zahl der Verurteilten in die Höhe. ihrer antifaschistischen Arbeit verhaf- den Gefängnissen kamen, schlossen Die Gefängnisse füllten sich mit An- tet worden waren: sich sogleich dem Befreiungskampf, tifaschistInnen, die Mehrzahl davon Camilla Ravera, Jg. 1889, die sofort der „Resistenza“ an. kommunistisch orientiert. bei ihrer Gründung Mitglied in der Giacomina Castagnetti, Jg. 1925, die kommunistischen Partei geworden und als junges Mädchen der Resistenza Die in den Gefängnissen bald organi- ihren GenossInnen in die Emigration beitrat, sah ihre Widerstandstätigkeit sierten politischen und ideologischen nach Frankreich gefolgt war, wur- auch als Teil einer schon länger be- Schulungen waren bei den mehrjäh- de bei einem Auftrag in Italien 1930 stehenden antifaschistischen Haltung rigen Haftzeiten von hohem Wert. Man gefasst und vom Sondergericht zu unter Frauen: „Tatsächlich waren es in schmuggelte antifaschistische und 15 Jahren Haft verurteilt, von denen Italien mehrere Frauen, die aufgrund marxistische Literatur hinein, Bücher, sie fünf in dem von Nonnen geleiteten ihrer antifaschistischen Arbeit vom fa- die in Italien nicht mehr erhältlich Frauengefängnis von Perugia abbüßte. schistischen Sondergericht angeklagt waren, sondern aus dem Ausland ein- Sie kam hier in Einzelhaft und durfte und verurteilt worden sind. Es gab be- geschleust werden mussten. Gelang nur selten Besuch empfangen; auf reits eine Tradition unter den Frauen, eine Vereinbarung mit dem Wärter, der ihrem Hofgang begleitete sie nur die sich für Freiheit und Demokratie die Bucheingänge überwachte, konn- zuständige Nonne. einzusetzen, gegen den Faschismus ten „verdächtige“ durch „harmlose“ Camilla Marcella Oriani, Jg. 1908, zu kämpfen, was dann in ihrer Beteili- Buchtitel ausgetauscht werden und in aus Cusano Milanino, arbeitete in der gung am Befreiungskampf mündete.“ das Innere wurde ein Blatt mit dem kommunistischen Untergrundorgani- Stempel der Zensurbehörde und der sation Mailands mit. 1935 aufgrund „Weil ich ein Mädchen bin“ Unterschrift des Gefängniswärters ge- kompromittierenden Materials gefan- klebt, das man einem erlaubten Buch gen genommen, wurde auch sie vor – von der Schwierigkeit, entnommen hatte. Dieses Vertausch- dem Sondergericht wegen Gründung Partisanin zu werden spiel erkannten die Gefängniswärter eines kommunistischen Zirkels und selten, zumal viele Bücher nicht auf subversiver Propagandatätigkeit zu Der nach dem Sturz Mussolinis ein- italienisch, sondern in einer Fremd- 10 Jahren Haft in Perugia verurteilt. gesetzten Regierung Badoglio miss- sprache verfasst waren. Auch Laura Dort versuchten die politischen die trauten die meisten zutiefst, zumal Polizzi berichtet von solchen Büchern unpolitischen, „kriminellen“ Häft- beispielsweise die antisemitischen in ihrem antifaschistisch orientierten linge zu politisieren und auch diejeni- Gesetze keineswegs abgeschafft wur- Elternhaus: „Obwohl meine Familie gen Frauen zu erreichen, die ab dem den. In der Familie von Laura Poliz- arm war und wir manchmal keine 8. September 1943 anstatt ihrer zi ging somit der antifaschistische Schuhe hatten, kaufte mein Vater doch Männer als Geiseln verhaftet wor- Kampf weiter, doch noch immer ohne Bücher, die vom Faschismus verboten den waren, weil diese sich nicht zum ihre Beteiligung: „Ich fragte die Män- waren, darunter ausländische Werke, M i litärdienst gemeldet hatten. Gerade ner in meiner Familie, ob ich mitma- z. B. Victor Hugo u. a.“ Sie selbst weil in diesem von Nonnen geführten chen könnte. Ihre Antwort war nein. j e doch nahm an der regen Diskussion Frauengefängnis von Perugia die Ich sei ein Mädchen. Eines Tages kam der Männer in ihrer Verwandtschaft I n sassinnen durch monotone religiöse ein etwas älteres Mädchen als ich zu 12 uns, Lucia Sarzi (1). Sie arbeitete als „Massen-Maternage“ – Garibaldi und sagten der Bevölke- Stafette für die Brüder Cervi und die so ing der Widerstand an rung, dass das Land besetzt werden kommunistische Partei. Sie wurde würde. Sie sollten sich auf einen von den Männern gleichberechtigt be- Frauen aus den unterschiedlichsten bewaffneten Kampf vorbereiten. Es handelt. Das hat mich neugierig und Zusammenhängen ließen den sich sprachen die Christdemokraten, die neidisch gemacht: Warum sie und ich selbst überlassenen Soldaten des itali- Kommunisten und Sozialisten - alle nicht? Wir wurden Freundinnen, dis- enischen Heeres jede erdenkliche Un- vereint. Plötzlich hörte man einen kutierten über Politik, über Faschis- terstützung zukommen. Diese in der Knall, wahrscheinlich war es nur ein mus, über die Bücher, die wir beide italienischen Forschung als „Massen- geplatzter Fahrradschlauch. Die Leu- gelesen hatten. Lucia war verwundert Maternage“ bezeichneten Aktivitäten te, die eben noch beteuert hatten, für darüber, dass ich so viel wusste, aber werden durch Tausende Aussagen be- den Kampf bereit zu sein, flüchteten nicht im Widerstand tätig war, und sie zeugt. Annita Malavasi, Jg. 1921, die alle total aufgeschreckt. Da kam ganz fragte mich, weshalb. Ich sagte ihr, sofort mit der Untergrundorganisation spontan eine Wut in mir hoch und das wäre, weil ich eine Frau sei und der PCI (kommunistische Partei Ita- ich stieg auf das Denkmal von Gari- die Männer aus der Familie meine liens) in Reggio Emilia in Kontakt baldi, von wo eben noch die Männer Beteiligung ablehnten. Das konnte trat, berichtet: „Um den 8. September gesprochen hatten. Ich sprach an die sie gar nicht verstehen und auch nicht herum gab es die ersten Aktionen, mit Öffentlichkeit und rief, gerichtet be- gutheißen und so sprach ich abermals denen sich die Frauen an der Resisten- sonders an die Mädchen und Frauen: mit meinem mittlerweile aus dem za beteiligten. In diesen Tagen mussten ‚Ja wie, eben noch habt ihr verspro- Gefängnis entlassenen Onkel.“ Er viele Soldaten versteckt werden, wenn chen zu kämpfen und jetzt flüchtet begann nun tatsächlich damit, sie in sie nicht an der faschistischen Repu- ihr und habt Angst? Ich habe ja keine der Geschichte von Kommunismus blik von Salò beteiligt sein wollten. Es Angst, obwohl ich ein Mädchen bin!‘ und Ökonomie zu unterrichten: „Ich blühte ihnen dann nämlich die Depor- Die Leute blieben verwundert stehen. wurde dadurch Kommunistin. Der tation in deutsche Lager. Die Reaktion Mein Onkel umarmte mich und sagte: andere Onkel gab mir kleine illegale von sehr vielen Frauen war in diesen ‚Du musst jetzt in die Resistenza ein- Aufgaben und eines Tages bringt er Tagen, Anziehsachen rauszusuchen treten!‘“ Was dann folgte, erzählt sie mich zum Fluss und zeigt mir einen und zu verschenken, damit sich die 60 Jahre später, mit einem Lachen: Revolver. Er lädt und leert ihn wieder: Soldaten umziehen und von der Bild- „Ich antwortete: ‚Ja, gerne. Aber erst ‚Bald wirst du ihn nutzten müssen, fläche verschwinden konnten. Ich muss ich die Erlaubnis von meinem Laura, denn bald müssen wir zu den selbst bin mit meinen Geschwistern Vater einholen.‘ Damals war man erst Waffen greifen.‘“ in die Kaserne von Reggio gegangen. mit 21 volljährig.“ Der Vater erklärte Wir hatten uns doppelt angezogen, so sich jedoch einverstanden. Mit dem Waffenstillstandsabkommen dass wir einen Teil unserer Kleidung vom 8. September verschärfte sich den Soldaten überlassen konnten. Sie Man hat so manche Partisanin tatsächlich die Situation. Neben den warfen ihre Uniformen weg und sind misstrauisch beäugt, gerade bereits politisch geschulten Genos- mit uns als ziviles Personal, das in den sInnen erkannten auch andere Frauen, Kasernen zur Verpflegung arbeitete, wenn es ein junges Mädchen mit dass der Krieg damit keineswegs zu an den Wachposten vorbeigekommen. einem Gewehr in der Hand war Ende war, sondern dass man sich im Wir gingen auch zu den Familien mit Gegenteil auf einen harten Kampf ge- Söhnen im wehrpflichtigen Alter und „Die Kommunikation lief gen die deutschen Besatzer und ihre versuchten sie zu überzeugen, sich faschistischen KollaborateurInnen nicht zum Wehrdienst zu melden, über unsere Beine“ – wür de gefasst machen müssen. obwohl darauf Gefängnisstrafe, De- Stafetten portation oder sogar die Todesstrafe stand. So haben wir viele aufwiegeln Laura Polizzi, die nun den Kampf- können.“ namen „Mirka“ annahm - ihren Über die Ereignisse des 8. September bürgerlichen Namen durfte von in Parma berichtet Laura Polizzi: „Die nun an niemand mehr erfahren -, Antifaschisten gingen auf die Piazza wurde zunächst als Stafette für die

Piera Galassi am 8. September 2006 Piera Galassi (links) war vom 4.9.1944 bis zur Befreiung in der 144. Brigade

13 Sprengstoff: „Wir trugen in unserem nur schlechte Verpflegung, unsere Einkaufskorb obenauf die Kartoffeln Körper waren geschwächt. Ich wur- und versteckt darunter die Munition.“ de sehr krank und habe 15 Tage lang (Giacomina Castagnetti) Die Partisa- in einem Stall gelegen, mein Körper ninnen leugnen dabei nicht ihre Angst. musste das ganz allein machen.“ „Einmal war ich mit einer Tasche vol- ler Handgranaten unterwegs, die wir „Das erste Mal eine zur Tarnung in Glühbirnenkartons Organisation von Frauen“ verpackt hatten. Ich habe die Tasche weit von mir gehalten - als ob das Organisiert waren die Stafetten und e t was genützt hätte!“ all die unzähligen Frauen, die ihnen zuarbei teten, indem sie z. B. in Stafetten halfen, Verletzte und Kranke d e utsche Militärlager einbrachen und Stafetten aus dem Piemont - von links: an sicheren Orten zu verstecken und Stoffe besorgten, die anschließend von Assunta und Marcella Versino, Reginalda Santa- zu kurieren, sie beschafften Geld, Näherinnen in getarnten Werkstätten croce, die bei ihrer Gefangennahme durch die Lebensmittel und Kleidung für die für die Kämpfenden illegal hergestellt Deutschen gefoltert wurde. kämpfenden PartisanInnen in den wurden, in den GDD, den ‚Gruppen Bergen. Bei ihrer Arbeit mussten sich zur Verteidigung der Frau und zur k o mmunistische Untergrundorgani- die Frauen über weite Strecken hin- U n terstützung der bewaffneten Kämp- sation von Parma eingesetzt. „Die weg bewegen, mit dem Fahrrad, auf fer‘ (Gruppi di difesa della donna e einzige Kommunikation, die die Wi- dem Lastwagen mit Nazifaschisten, di assistenza ai combattenti). Diese derstandsgruppen miteinander hat- in überfüllten Zügen den Bombarde- Frauenverteidigungsgruppen wurden ten, lief über unsere Beine“, erläutert ments ausgesetzt, doch meistens zu zwischen Winter 1943 und Sommer A n nita Malavasi, die den Kampfna- Fuß, bei jeder Witterung. Laila erin- 1944 in Mailand, Turin, Bologna und men „Laila“ trug. nert sich an einen Tag im November Florenz und vielen anderen Städten Hinter den zeitgenössischen Berich- 1944: „In unserer Gegend gibt es oft gegründet. Allerdings wurden sie ten, in denen lapidar von Stafetten- Nebel, wir waren zwölf Stunden un- o f fiziell erst im Sommer 1944 von arbeit die Rede ist, verbirgt sich eine terwegs und es hat ununterbrochen dem CLN, dem Nationalen Befrei- äußerst gefährliche, anstrengende und geregnet. Der Nebel war so dicht, dass ungskomitee anerkannt und erhielten unverzichtbare illegale Arbeit: „Die man keine Handbreit sehen konnte. Geld für ihre Aktivitäten: Für die Re- Arbeit der Frauen war letztendlich Wir hatten einen Partisanen dabei, der daktion diverser Frauenzeitungen, mit das Rückgrat der Resistenza“, resü- ehemals Armeeoffizier war. Er hatte denen sie unter den noch nicht poli- miert Laila, die Unteroffizierin in der damals die Fähigkeit erworben, sich tisierten Frauen agitieren konnten, für 144. Brigade Garibaldi wurde: „Das auch im Nebel zu orientieren. Anhand die materielle Unterstützung, die sie liegt nicht daran, dass die Frauen der Wetterseite der Bäume, indem er schon lange den Gefangenen und de- i r gendwas besonderes wären, was die die Rinde fühlte, erkannte er, wo Nor- ren Angehörigen zukommen ließen. Männer nicht sind. Es ging lediglich den war. So haben wir uns einen Tag In der Emilia Romagna waren die darum, dass die Frauen eine relative lang durchgeschlagen, im Nebel, im GDD extrem gut organisiert: „Es war Bewegungsfreiheit genossen und Regen, das Wasser lief dir im Nacken das erste Mal eine Organisation von Arbeiten und Aktionen durchführen rein, den Körper runter, in die Schuhe. Frauen. In der Zeit, in der wir geheim konnten, die den Männern unmöglich Wir kamen abends an einen Stütz- und illegal leben mussten, trafen wir waren. Das ist natürlich dem Feind punkt. Ich war völlig fertig und habe uns häufig und sprachen darüber, bald klar geworden und es hat erheb- rheumatisches Fieber bekommen. Wir dass wir das Frauenwahlrecht und liche Nachforschungsarbeiten gegen hatten eben keine beheizten Häuser, andere Rechte für Frauen forderten. unsere Organisation gegeben. Es gab Verhaftungen, Folterungen und Die 41. Brigade Garibaldi „Carlo Carli“ war die einzige Partisanenformation in Tötungen in unseren Reihen.“ Die den Bergen um Turin, in der die Frauen wie die Männer in den Bergen lebten Stafetten verbanden die bewaffneten Formationen in den Bergen mit den Führungszentren im städtischen Un- tergrund, sie übermittelten Nachrich- ten, Befehle, transportierten illegale Drucksachen, gefälschte Dokumente, Lebensmittel und Geld. „Die Frauen selbst wussten, wie bedeutsam ihre Arbeit war, schließlich haben es auch die Männer verstehen müssen. Denn natürlich gab es Rückwärtsgewandte, man hat so manche Partisanin miss- trauisch beäugt, gerade wenn es ein junges Mädchen mit einem Gewehr in der Hand war. Aber sie mussten ein sehen. dass die Arbeit der Frauen wichtig war, denn wenn es die Sta- fetten nicht gegeben hätte, wären die Partisanengruppen völlig voneinan- der isoliert gewesen.“ Unter dem von Stafetten beförderten Material befanden sich auch Munition, Waffen, 14 Die Frauenverteidigungsgruppen sind Wohnort. Wir hatten falsche Doku- nach dem 8. September eine große, mente, einen Kampfnamen, der wie- eine wichtige Bewegung geworden. derum ein anderer war, als der, der im Es waren für mich die wichtigsten Dokument stand. Wir schliefen und Organisationen, denn vielleicht war aßen in Häusern, die uns die legalen dies das erste Mal in der Geschichte KämpferInnen zur Verfügung stellten. Italiens, dass Frauen eine eigene Or- Wir wussten am Morgen nicht, wo wir ganisation hatten, deren erstes Ziel am Abend schlafen würden.“ es war, gegen den Krieg zu kämpfen, aber man dachte auch schon an die Nachkriegszeit.“ (Giacomina Casta- Vom „Engel des gnetti) Eine weitere wichtige Funkti- Herdfeuers“ keine Spur on dieser GDD war es, Radio London abzuhören oder die Absichten der Die Frauen, die in den Befreiungs- Deutschen und FaschistInnen zu er- kampf involviert waren - als Pro- kunden: „Ich habe eine Frauengruppe duzentinnen von Kleidung und von der Antispionageeinheit komman- Lebens mitteln, als „Gastgeberinnen“ diert. Wir waren ungefähr 40 Frauen. für Illegale und Verfolgte, als Stafet- Es gab viele, die vor dem Haus sitzend ten, Kommissarinnen oder mit der aufschrieben, wie viele Militärwagen Waffe in der Hand. Sie alle machten der Wehrmacht vorbeifuhren, welche Erfahrungen, die weit über ihren ih- Art der Bewaffnung sie hatten, usw. nen bislang zugestandenen Horizont D i ese Informationen wurden von den hinausgingen. Stafetten an die Partisanen oder auch Mirka, die schließlich – ohne Erlaub- an die Alliierten weitergegeben. Da- nis von der Partei – zu den kämp- durch wussten wir oft sehr schnell, wo fenden Partisanenformationen in die sich der Feind befand und es konnten Berge ging, wurde dort aufgrund ihrer entsprechende Aktionen durchgeführt politischen Kenntnisse zur Politkom- werden. In einigen Fällen haben gan- missarin für die Schulung der jungen ze Familien mitgearbeitet, bzw. alle Partisanen ernannt. In dieser Funktion 1955 gestaltet der Künstler Leonardo Leoncillo Frauen der Familie, die Großmutter, war sie auch zuständig für das Verhör aus bunter Keramik ein Denkmal für die Frauen Mutter, Schwiegertochter und Toch- von Spitzeln: „Ich musste auch die der Resistenza. Es wurde 1957 in Venedig in ter. Kesselring hat einmal gesagt, Verhöre übernehmen und wandte dabei den „Giardini“ aufgestellt. In der Nacht vom 27. der italienische Widerstand hätte ein zwar nicht die Methoden der Deut- auf den 28. Juli 1961 verübten Neofaschisten effektiveres Informations- und Anti- schen an, doch was man den Frauen einen Anschlag und sprengten diese „Partigiana spionagesystem gehabt als die Wehr- nachsagte, sie seien zartfühlend und veneta“. Heute sind nur noch die Überreste des macht. Er wusste nicht, dass es oft weich, davon verspürte ich während Betonsockels zu sehen. 1969 wurde daraufhin Analphabetinnen waren, die lediglich dieser Arbeit überhaupt nichts.“ Die am „Riva dei partigiani/Viale Giardini Pubblici“ Striche machten, um zu zählen, wie Partisanin Laila resümiert mit einem eine liegende Partisanin von Augusto Murer viele LKWs an ihrem Haus vorbeige- kurzen Blick zurück auf den „Kultur- errichtet. Diese ist heute noch zu sehen. fahren waren.“ (Laila) geist, der seit Tausenden von Jahren hier herrschte“: „Die untergeordnete Mirka wurde von der kommunistischen Rolle der Frau als ‚Engel des Herd- klar zu machen, dass sie ihr Denken Partei beauftragt, in der Gegend um feuers‘ war nicht einfach zu verändern verändern mussten, denn sie waren ja Reggio die GDD anzuleiten: „Dieses und es dauerte sehr lang. Man musste die Herren und wir oft nur ihre Skla- illegale Leben, wie war es? Viele Ge- ja nicht nur die Frauen anregen, ihre vinnen. Es gibt heute viele Leute, die nossen, die aus anderen Gegenden Denkweise zu verändern, sondern es die Resistenza klein reden wollen, die kamen, hatten wie ich keinen festen war auch nicht einfach, den Männern auch die Beteiligung der Frauen und die Wichtigkeit ihrer Arbeit klein reden wollen. Doch der Faschismus hat uns lediglich Armut, Hunger und Krieg gebracht. Für den Fall, dass es diese gesellschaftliche Negativentwicklung und Rückentwicklung wieder gibt, werden wir Frauen die allerersten sein, die die Zeche zu bezahlen haben.“

Nadja Bennewitz, resistenza.de

1 Die Arbeit und Verbindung dieser beiden Frauen wird u.a. in dem Mu- seum der Brüder Cervi benannt: Via F.lli Cervi, 9 42043 Gattatico (RE) www.fratellicervi.it

Weitere Beiträge auf deutsch über Frauen im italienischen Widerstand unter: www.resistenza.de

15 Als Stafetten übermittelten wir Nach- richten und transportierten Flug- schriften und Waffen. So trugen wir in unserem Einkaufskorb beispiels- weise obenauf die Kartoffeln und ver- steckt darunter die Munition und den R e volver. Um Informationen weiter- zugeben war das Fahrrad das schnellste Mittel. Wir mussten oftmals flüchten oder uns verstecken. Heute kauft man einfach eine Zeitung am Kiosk, aber damals bedeutete eine Zeitung gegen den Krieg in der Tasche zu haben, sich in Lebensgefahr zu befinden. Uns ge- genüber stand die deutsche Streitkraft, sehr gut ausgerüstet und versorgt. Wir waren mit Sicherheit etwas unbe- dacht, die Gefahren waren uns nicht so bewusst. Hier wurden Mechanis- men ausgelöst, die uns zum Handeln bewegten, die heute im Nachhinein sehr schwer zu erklären sind. Giacomina Castagnetti beim Denkmal für die Frauen der Resistenza in Castelnovo Monti (2009 und früher (links, mit Sonnenbrille) Mit der Resistenza wurden die sogenannten Frauenbefreiungs- „Obenauf die Kartoffeln, gruppen gegründet, denen ich beitrat darunter die Munition‘‘ Bei Kriegsende war uns bewusst, dass wir einen erheblichen Beitrag zur Be- Vom täglichen Widerstand einer Partisanin freiung des Landes geleistet hatten. Als die Frauen nach dem Krieg das Giacomina Castagnetti (Jg. 1925) lichkeit. Das wichtigste Ziel, das muss Wahlrecht erhielten, war es letztend- stammt aus einer antifaschistischen man sich klar machen, war das Ende lich auch hier so, dass die Parteien, Familie. Schon als Kind wird sie des Krieges. gleich welcher Couleur, die Frauen somit politisiert. Als 1940 Italien brauchten. Deshalb hat sich niemand an der Seite Deutschlands in Die Arbeit dieser Frauenbefreiungs- auf politischer Ebene getraut, sich gegen das Frauenwahlrecht zu stel- den Zweiten Weltkrieg eintritt, gruppen bestand darin, in die Fami- lien zu gehen, um für die Partisanen len. Es war klar für uns, dass wir jetzt schreibt sie sich – 15jährig – in zu sammeln oder andere Familien in auch mehr Rechte und Freiheiten die Kommunistische Partei ein. den Kampf mit einzubeziehen, sie erhalten wollten, und dass dies auch Nach dem Waffenstillstand mit den für den Widerstand zu gewinnen. Wir unser gutes Recht war. Es hätte nach Alliierten am 8. September 1943 sprachen mit Familien, ob sie Partisa- dem Geschehenen einfach nicht mehr schließt sie sich dem Widerstand an. nen beherbergen würden. Diese Arbeit anders sein können. Der Faschismus war natürlich nicht ungefährlich. Wir hatte die Frauen, die bisher immer im wussten ja nicht immer, mit wem es Haushalt oder auf dem Hof gearbeitet Giacomina Castagnetti: Mit der diese Leute hielten, wie sie politisch hatten, in den Fabriken gebraucht, R e sistenza wurden die sogenannten eingestellt waren. Aber der Wider- weil die Männer an der Front waren. Frauenbefreiungsgruppen gegründet, stand hätte sich nicht vergrößert, Wir waren daher keine voneinander denen ich beitrat. Natürlich war unser wenn wir uns nur in unserem Kreis isolierten Frauen mehr, nicht mehr erstes Ziel, gegen den Krieg zu kämp- von Antifaschisten aus den Jahren zu- jede für sich hinter ihrem Herd, ab- fen, aber selbst in der Zeit, in der wir vor verschanzt hätten. Außerdem war geschieden von anderen Frauen. Wir illegal leben mussten, trafen wir uns jeder Truppenabteilung eine Stafette waren Frauen geworden, die in der und diskutierten über das Frauenwahl- zugeteilt, es sollten und durften nicht Gesellschaft präsent waren. recht und andere Rechte, die wir für mehr sein. Wir kannten immer nur eine Trotzdem aber mussten wir nach dem Frauen einforderten. Unsere Zusam- oder maximal zwei Personen. Wenn Krieg tausend Widerstände brechen. menkünfte haben wir mitten auf dem ich alle Personen gekannt hätte, die Denn natürlich gab es Rückwärtsge- Land abgehalten, um nicht die Familie wie ich an derselben Aktion beteiligt wandte. Man hat so manche Partisanin und den Hof, in deren Nähe wir uns waren, und sie mich gefangen hätten, misstrauisch beäugt. Aber letztendlich trafen, in Gefahr zu bringen. Es waren wäre es einfacher gewesen, alles aus mussten die Männer einsehen, dass sehr viele Frauen in diesen Gruppen mir herauszubekommen. Vielleicht die Arbeit der Frauen wichtig war, organisiert. Ich war ja schon vorher hätte ich dem Druck und dem Terror denn wenn es z.B. die Stafetten nicht aktiv, aber viele andere haben sich erst standhalten können, aber ich hätte gegeben hätte, wären die Partisanen- 1943 für den Widerstand entschieden. auch Namen preisgeben und dadurch gruppen völlig isoliert voneinander ge- Nach dem 8. September musste man die ganze Gruppe und unsere Orga- wesen. Es gab natürlich immer wieder sich entscheiden: Entweder gingst nisation in Gefahr bringen können. Männer, die die Frauen genauso wie du in die Berge oder du hast dich der Deswegen musste diese Reihe unter- in vergangener Zeit gering geschätzt faschistischen Republik von Salò an- brochen werden, indem man nichts haben, aber als Partisanen konnten sie geschlossen. Es gab keine dritte Mög- wusste, niemand weiteren kannte. das nicht mehr tun.

16 Giovanna Quadreri war 16 Jahre alt, als sie sich im September 1944 der Partisaneneinheit „Gufo Nero“ (schwarze Eule) im Apennin anschloss. Als Ortskundige bekam sie die Aufgabe, junge Männer, die sich nicht der faschistischen Armee anschließen wollten, sicher in die Berge zu den Partisanen zu bringen. Dabei legte sie bis zu 80 km am Tag zu Fuß zurück. Sie war auch im Einsatz, um Anschläge vorzubereiten und Informationen zu überbringen. Eine ihrer wichtigsten Aktionen war die Beteiligung Giovanna Quadreri (Jg. 1928) 1945 und 2006, Reggio Emilia an dem Angriff auf Albinea, der Nachrichtenzentrale für die gesamte „Wenn wichtige Informationen deutsche Armee in Norditalien. überbracht werden mussten“ Giovanna Quadreris Berichte beginnen oft mit einem einschneidenden Erlebnis, das Die Stafette Giovanna Quadreri sicherlich zu ihrer Politisierung geführt hat: „Es war Anfang August 1944, als sich mein Partisanen unwissentlich erschossen. der Deutschen auf einem Ochsenkar- Vater beim Ortsvorsteher über den Lebens- Um sie zu informieren schickte man ren durch Feindesgebiet in Sicherheit. mittelmangel beschwerte. Er wüsste nicht mich zwei Tage vor dem geplanten Der Verletzte wollte unbedingt, dass mehr, was er seinen Kindern zu essen geben Anschlag zu Fuß los. Es war sehr wir fliehen, aber wir konnten ihn doch sollte. Jener antwortete ihm lapidar, er solle weit. Bergab konnte ich ja noch ren- nicht zurücklassen!“ uns doch Gras zum Fressen vorsetzen. Mein nen, doch in der Ebene ging das nicht Giovanna Quadreri war während der Vater war darüber so außer sich, dass er dem ohne weiteres. Ich sollte den Partisanen Resistenza unter den Kampfnamen Ortsvorsteher eine Ohrfeige verpasste. Man rechtzeitig sagen, ‚Morgen kommt ein „Giorgio“ und „Libertà“ bekannt. Im steckte ihn dafür ins Gefängnis.“ deutsches Auto, aber das sind Partisa- Mai 1945 bescheinigten ihr die bri- Ihre Schwester Laura schloss sich darauf- nen. Ihr sollt ihnen den geeigneten Ort tischen Alliierten außergewöhnlichen hin den Partisanen an, und Giovanna Quad- für den Sprengstoffanschlag zeigen‘. Mut im Befreiungskampf als Stafette. reri besuchte sie alle paar Tage. Sie begann Alles ist gut gegangen. Früh um fünf schließlich, junge Männer in die Berge zu Uhr, als der Zug vorbei kam, ist der An- Nadja Bennewitz, resistenza.de geleiten. „Die Jungs mussten fliehen, sie schlag geglückt.“ alle hatten Angst, nach Deutschland depor- Giovanna Quadreri war auch an dem Anmerkungen: tiert oder von den Faschisten ermordet zu erfolgreichen Angriff auf den Sitz (1) Die 320 km lange, von den Deut- werden.“ Sie lief ihnen voraus und auf ein des deutschen Generalkommandos in schen mit Kriegsgefangenen und der Pfeifzeichen hin folgten ihr die Jungs, wenn A l binea beteiligt, das zum Schutz der italienischen Zivilbevölkerung errich- die Luft rein war. „Immer mehr kamen zu Gotenlinie dort stationiert war und als teten „Gotenlinie“ verlief im Westen mir, damit ich sie in die Berge brachte und Nachrichtenzentrale mit direkter Ver- von Massa-Carrara (Toskana) bis an sie bildeten dort eine eigene Partisanenfor- bindung nach Berlin fungierte. In einem die Adriaküste nach Pesaro (Marken) mation mit dem Namen ‚Gufo Nero‘. Ich Überraschungscoup am 27. März 1945 im Osten. Nördlich der Linie standen wurde für die schwierigsten Missionen gelang es britischen Fallschirmjägern, deutsche Truppen, südlich davon die eingesetzt, wenn wichtige Informationen der Formation „Gufo Nero“ und rus- alliierten Truppen mit ihren Verbündeten. überbracht werden mussten.“ sischen Partisanen den deutschen Stütz- Die Arbeit von Giovanna Quadreri war ge- punkt anzugreifen und einzunehmen. (2) Die Band „Modena City Ram- fährlich, auch wenn sie „klein und mager Dieser Angriff wurde von schottischer blers“ widmete diesem Angriff 2012 war und deswegen einen unverdächtigen Dudelsackmusik begleitet. Der Musik ihr Album „Battaglione Alleato“. Eindruck machte.“ Die Anweisungen, die ist es wohl zu verdanken, dass es keine sie weiterzuleiten hatte, schrieb sie auf deutschen Vergeltungsschläge gegen Giovanna Quadreri mit ihrer Schwester 1945 winzige Zettel, die sie im Notfall hätte ver- die Zivilbevölkerung gab, da man ei- schlucken können, denn bewaffnet war sie nen ausschließlich britischen Angriff nicht. vermutete. Das deutsche Kommando Oft war es ein Wettlauf mit der Zeit, so als wurde zerstört, was den Vormarsch der es darum ging, eine Partisanenformation Alliierten beschleunigte.(2) in der Ebene über Anschlagspläne gegen Giovanna Quadreri über die Ereignisse: einen deutschen Waffentransport zu infor- „Wir sind die ganze Nacht gelaufen, mieren: „Drei unserer Partisanen hatten eine lange Schlange von ca. 100 Per- sich deutsche Uniformen besorgt, um so sonen. Wir mussten alle Waffen und verkleidet einen Sprengstoffanschlag gegen was sonst benötigt wurde, mit uns eine Zugstrecke durchzuführen, auf der die transportieren. Ich und eine andere Deutschen Waffen und Versorgungsgüter S t afette erhielten die Aufgabe, nach zur ‚Linea Gotica‘(1) transportierten. Doch dem Angriff nach Verletzten zu suchen. die Partisanen in der Ebene waren darüber Am Morgen nach den Kämpfen brach- nicht informiert. Hätten sie den Wagen mit ten wir einen schwer verwundeten Par- drei „Deutschen“ gesehen, hätten sie die tisan unter Maschinengewehrbeschuss

17 Im Laufe des Krieges haben uns die Engländer und die Amerikaner massiv mit Waffen unterstützt, so dass wir durchaus zu ernst zu nehmenden mili- tärischen Gegnern wurden. Ein Erfolg unserer Bewegung waren die Partisa- nenrepubliken: Sieben, acht Gemein- den, die ein zusammenhängendes befreites Gebiet bildeten. Wichtig für die Republiken war der zivile Aspekt. Nach 20 Jahren Diktatur gab es Wahl- en, Lebensmittel und Medikamente wurden gerecht verteilt, Schulen für die Kinder organisiert. Dies war e i gentlich die Hauptbotschaft, die die- se Partisanenrepubliken verbreiteten. Hier wurde schon in kleinem Rahmen Giacomo Notari als 17jähriger Partisan und 2013 die Demokratie ausprobiert, die erst „Wir wollten ein 1946 in Italien eingeführt wurde. Aber auf dem Weg dahin gab es natür- anderes Land aubauen‘‘ lich Schwierigkeiten. Es hat Vergel- tungsmaßnahmen gegeben, das heißt Eine kleine Partisanengruppe vermin- wir wussten und es wurde uns auch Giacomo „Willi“ Notari (Jg. 1927) te die Brücke, die zu unserem Dorf eingebläut, dass auf unsere Aktionen schloss sich im Mai 1944 der führte, um deutsche Truppentrans- mit der Tötung von Zivilbevölkerung Resistenza an und war Partisan in porte zu behindern. Dadurch kam ich geantwortet wurde. Das bringt einen einer kommunistischen in Kontakt mit der Resistenza. Un- Widerstandskämpfer natürlich in eine Garibaldi-Einheit sere Motivation war nicht nur gegen schwierige Situation. Blinder Aktivis- die Deutschen zu kämpfen, sondern mus war da fehl am Platz. Nach den Giacomo Notari: Ich war 17, als ich zu den Krieg so schnell wie möglich zu Massakern in Cervarolo, in Marzabotto den Partisanen ging. Ich ging während beenden. In den Partisaneneinheiten und anderen Dörfern war es schwie- des Faschismus zur Schule, komme haben wir uns schon bald einen Kopf rig die Deutschen anzugreifen. Zum aus einem Bergdorf im Apennin, aus darüber gemacht, was nach dem Krieg Beispiel holten wir einmal in meinem einer katholisch geprägten Familie. werden soll. Wir wollten ein anderes Dorf Brot. Während wir warteten, Nur ein Onkel von mir war Antifa- Land aufbauen, das niemandem mehr kamen Deutsche, die Lebensmittel schist, aber darüber wurde nicht mit den Krieg erklärt, in dem die Dörfer für ihre Truppen beschlagnahmten. uns Jungen diskutiert. Insofern hatte Wasser und Licht haben und die Kin- Wir haben uns auf dem Dachboden ich keine politische Vorbildung. Wir der zur Schule gehen können. Wir versteckt, von wo aus wir die Deut- lebten in ganz ärmlichen Verhältnis- wollten die Monarchie abschaffen und schen hätten erschießen können. Sie sen, wir erwirtschafteten gerade so eine demokratische Republik errich- haben alles Brot, eine Fuhre Heu und viel, dass es zum Überleben reichte. ten, in der Frauen auch wählen dürfen ein Rind mitgenommen. Doch wenn Unsere faschistische Regierung ging und nicht nur Kinder für den Krieg wir diese Soldaten erschossen hätten, zwar in Nordafrika Länder besetzen gebären. hätten andere Deutsche alle im Dorf und führte in Spanien Krieg, aber in Die Partisaneneinheiten waren am umgebracht. So haben wir sie mit dem unseren Dörfern gab es nicht einmal Anfang sehr kleine Gruppen, zuerst Brot ziehen lassen. Und mein Vater fließend Wasser oder Elektrizität. fast ausschließlich Männer. Trotzdem hat neues gebacken - aber wir haben hat es immer eine Organisationsstruk- ein Massaker im Dorf verhindert. Es wurde nicht nur über den tur und auch Regeln gegeben. Diese wurden allerdings nicht einfach von Im April 1945 ging endlich die Kampf gesprochen, sondern oben vorgeschrieben, sondern wur- O f fensive der Alliierten los. Es gab auch: Wofür wir eigentlich den diskutiert. Es gab immer einen eine große Schlacht um ein Pumpspei- kämpfen? Was wir nach dem d e mokratischen Umgang zwischen cherwerk in Ligonchio. Dieses Elek- Krieg verändern wollen? den einzelnen Partisanen und den ein- trizitätswerk versorgte den gesamten zelnen Kommandanten. Und dann gab Gebirgsraum der Region Reggio Emi- es den politischen Kommissar. Dieser lia mit Strom. Die deutschen Truppen Mit der deutschen Besatzung ab 1943 war absolut keine militaristisch- unternahmen mehrere Versuche dieses wurde alles noch schlimmer. Es wur- h i erarchische Figur, sondern er gab Werk in die Luft zu sprengen. Unsere den Leute aus unseren abgelegenen Politikunterricht. Es wurde nicht nur Partisaneneinheiten haben es mehrere Bergdörfern deportiert und es gab über den Kampf gesprochen, sondern Tage verteidigt weil es bedeutet hät- Massaker an Zivilisten mit vielen To- auch: Wofür wir eigentlich kämpfen? te, dass wir hier oben in den nächsten ten. Viele in meinem Alter empfanden Was wir nach dem Krieg in Italien ver- Monaten oder gar Jahren keinen Strom das als himmelschreiende Ungerech- ändern wollen? Insofern wird der mili- gehabt hätten. tigkeit und letztlich musste man eine tärische Faktor oft überbewertet. Und Entscheidung fällen: Setzte man sich wir haben fast alle 1945 die W a ffen Heike Demmel, resistenza.de zur Wehr und versuchte diesen Krieg abgegeben. Damit war aber unser zu bekämpfen oder zog man wieder E n gagement nicht zu Ende. Ich bin wie für die Faschisten, die mit den Deut- viele ehemalige Partisanen lange Jahre schen kollaborierten, in den Krieg. Bürgermeister und Kreisrat gewesen.

18 glieder des Veroneser Widerstands ster- ben im Hersbrucker Lager, so Vittores väterlicher Freund Guglielmo Bravo, der in Verona eine Fabrik für Strümp- fe besaß und den Widerstand finanziell unterstützte.

Im April 1945 gelingt Vittore Bocchet- ta gemeinsam mit einem französischen Häftling auf dem Todesmarsch die Flucht. Etwa zwei Monate wird er in Re- gensburg gepflegt und kommt im Som- mer 1945 nach Verona zurück. Nach dem Krieg verbringt er einige Jahre in Süd- amerika und den USA als Literaturwissen- schaftler, dann als Maler und Bildhauer. Seit 1992 lebt er in Verona. Zahlreiche Ausstellungen zeigen seine Werke. „Wenn man sich entscheidet, seinem Gegenüber entgegenzu- Vittore Bocchetta als Soldat Die Skulptur „Ohne Namen“ von Vittore Bocchetta, einer Sanitätseinheit, Juli 1943 die Teil des Hersbrucker Skulpturenweges ist kommen, kann man auch unter den schlimmsten Bedingungen (wie damals im KZ oder heute Kunst im Dienst der Erinnerung im Mittelmeer) ein Stückchen Verona und Hersbruck: Vittore Bocchetta Menschlichkeit zurückerobern.“ Vittore Bocchettas Botschaft an Hersbrucker Jugendliche im September 2019 „La Vita“ – „Das Leben“, so lautete Befreiung von hunderten von italie- Vittore Bocchettas Antwort vor nischen Soldaten aus der Carlo Mon- tanari Kaserne nach der Besetzung Auch in Hersbruck erinnern Skulpturen Schüler*innen auf die Frage, was Veronas durch die deutsche Wehrmacht an seine Leidenszeit im Lager, so die das Schlimmste war, das er im ab dem 8. September 1943. Skulptur »Ohne Namen«, die Teil des KZ-Außenlager Hersbruck erlebt Zweimal wird er selbst verhaftet: Das Hersbrucker Skulpturenweges ist. Seine hatte. Diese Äußerung hatten die erste Mal im November 1943 durch Werke, die sich mit seiner Zeit als KZ- Jugendlichen nicht erwartet und die die faschistische Polizei, im Februar Häftling beschäftigen, sind heute eine Betroffenheit im Klassenzimmer war 1944 kommt er jedoch wieder frei. wichtige Quelle bei der Beschäftigung deutlich spürbar. Vittore Bocchetta Trotz seiner Aktivitäten im Widerstand mit dem Leben der Häftlinge im Außen- war 2015 anlässlich des Gedenktages macht er im Juni 1944 seinen Univer- lager. an die Opfer des Nationalsozialismus sitätsabschluss. Bereits im Juli 1944 am 27. Januar nach Hersbruck bei wird er zum zweiten Mal verhaftet, Barbara Raub Nürnberg gereist. Dort besuchte er das zwei Wochen lang verhört und gefol- tert und anschließend dem Sicherheits- Der Doggerstollen auf der Houbirg/ Paul-Pinzing-Gymnasium und sprach dienst (SD) übergeben. Nach erneuten als einer der letzten Überlebenden des Happurg wurde nie fertiggestellt. Folterungen wird er ins Durchgangsla- Nach 1945 diente das Lager in Hersbruck der KZ-Außenlagers Hersbruck. ger Bozen deportiert und von dort in US-Militärregierung als Internierungslager, das Konzentrationslager Flossenbürg später nutzte es die UN-Flüchtlingskom- Am 15. November 1918 wird Vittore (Oberpfalz) verschleppt. Er wird mit mission. Anfang der 50er Jahre überbaute Bocchetta in Sassari (Sardinien) gebo- der Nummer 21.631 registriert. Als man das Lagergelände und es entstanden ren. Sein Vater ist beim Militär, Vittore er die Nummer bekommt, hört er auf, Parkplätze und eine Tennisanlage. Bis 2007 verlebt einen Teil seiner Kindheit in ein Mensch zu sein, berichtete er den befand sich dort die ehemalige Reichs- Bologna, bevor sich die Familie wegen Hersbrucker Jugendlichen. Ende Sep- arbeitsdienstkaserne, die ursprüngliche einer Versetzung des Vaters in Verona, tember wird er in das KZ-Außenlager SS-Kaserne. Nach dem Krieg war hier u.a. einer Stadt, die ihn sein Leben lang be- Hersbruck überstellt. Nur mit viel das Finanzamt untergebracht. Heute steht dort gleiten wird, niederlässt. Allerdings ver- Glück überlebt er diese Zeit. ein Neubau dieser Behörde. Es erinnert kein stirbt der Vater bald und Vittore muss mit authentisches Gebäude mehr an diese Zeit. der Mutter nach Cagliari ziehen. Über Das Lager am Stadtrand von Hersbruck Seit 2016 befindet sich in Hersbruck ein Umwege kommt er 1939 wieder nach bestand von Mai 1944 bis April 1945 begehbares Bauwerk mit der Ausstellung Verona, dort arbeitet er als Aushilfsleh- und war das zweitgrößte Außenlager „Dokumentationsort Hersbruck/Happurg“: rer, schließt sich dem Widerstandskreis des KZ Flossenbürg. Auf der Houbirg, https://www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/ um Francesco Viviani an und wird spä- einem Bergstock in 5 km Entfernung, de/besuch/ausstellungen/hersbruck-happurg. ter parteiunabhängiges Mitglied im CLN wurde in den Berg ein Stollensystem, (Comitato di Liberazione Nazionale), bekannt als Doggerstollen, als eine Literatur: dem Nationalen Befreiungskomitee. unterirdische, bombensichere Fer- Vittore Bocchetta: Jene fünf verdammten Dort ist er vor allem für die Jugend zu- tigungsstätte für Flugzeugmotoren Jahre. Aus Verona in die Konzentrationslager ständig, da er jünger ist als die meisten getrieben – u. a. von den KZ-Häftlin- Flossenbürg und Hersbruck. Lage 2003. Mitglieder. gen. Ungefähr die Hälfte der ca. 9.000 Peter Schön: Häftlingsbuch KZ Er beteiligt sich an antifaschistischen männlichen Häftlinge starb aufgrund Hersbruck. Hersbruck 2019. Untergrundaktivitäten wie auch an der der dortigen Verhältnisse. Auch Mit- 19 „Einen Strich für jedes Militärfahrzeug“ Annita Malavasi war Kommandantin einer Antispionageeinheit

Mehrere Monate lang, bis August 1944, ist Annita Malavasi als Sta- fette unterwegs. Doch dann wird sie denunziert. Sie wird verhaftet, über- steht sechs Stunden Verhör, ohne et- was preiszugeben und kann fliehen. Schnurstracks geht sie in die Berge und taucht unter. Ein Doppelleben ist nicht mehr möglich. „Der Komman- dant hat mich befragt, warum ich hier sei und mir dann gesagt, ‘Gut, du bist hier weder Frau noch Mann, du bist Partisan. Du musst die Waffen kennen- lernen, wie man sie einsetzt, wie man sie pflegt, du wirst das tun, was alle machen, es gibt keine Unterschiede. Es gibt hier keine Hosen und Röcke, hier gibt es nur Partisanen.’ Stellt euch das mal vor! Ich bin groß geworden und mir wurde immer gesagt: ‘Sei still, du bist eine Frau.’ Denn in un- serer Kultur war die Frau ein Objekt, sie hatte kein Recht, selbst Ideen zu entwickeln. Wer kommandierte, war Annita „Laila“ Malavasi (links) mit anderen Frauen der Resistenza im September 2001 der Mann. Du warst abhängig vom Vater, vom Bruder, vom Verlobten oder Ehemann. Diese für mich neue Annita Malavasi (1921-2011) ist A r beiterviertel, wodurch ich mit Leu- Situation in den Partisanenforma- 22 Jahre alt, als sie in Kontakt mit ten politisch diskutierte, die viel weiter tionen machte mir auch bewusst, dem Widerstand kommt. „Wir entwickelte Ideen hatten und schon viel welche Verantwortung ich hatte. Denn wohnten in einem Arbeiterviertel, stärker politisiert waren als ich. Da ihr früher bestimmte der Mann, aber du Freund in der Bergregion lebt, ist An- hast dich auch auf ihn verlassen. Jetzt wodurch ich mit Leuten politisch nita Malavasi oft dorthin unterwegs. musste ich auf eigenen Beinen stehen.“ diskutierte, die viel weiter Den dort operierenden Partisan_innen Einen Monat später trifft sie ihren Ver- entwickelte Ideen hatten und schon fällt das auf: „Sie fragten mich, ob ich lobten, nach Auseinandersetzungen viel stärker politisiert waren als Waffen, Informationen, Lebensmittel kommt es zum Bruch. „Denn er hat ich. Da ihr Freund in der Bergregion usw. transportieren könnte. Das habe gesagt: ‘Wie, du bist hier inmitten all lebt, ist Annita Malavasi oft dorthin ich dann auch gemacht.“ Sie schreibt dieser Partisanen? Du wirst ja eine unterwegs. Den dort operierenden Flugblätter und Artikel für antifa- Frau, die nicht würdig ist, meine Kin- Partisan_innen fällt das auf: schistische Zeitungen und überbringt der zu erziehen.’ “ „Sie fragten mich, ob ich Waffen, Waffen. „Aber ich hatte immer Angst Informationen, Lebensmittel usw. vor Sprengstoff. Einmal war ich mit Aus Annita Malavasi wird „Laila“ transportieren könnte. einer Tasche voller Handgranaten, die – so ihr Kampfname im Untergrund. wir in Glühbirnenkartons versteckt Oft geht sie alleine oder mit anderen Das habe ich dann auch gemacht.“ hatten, unterwegs. Ich habe die Ta- Frauen in feindliche Gebiete, um die sche weit von mir weg gehalten, als militärischen Einheiten abzusichern Die Macht der Faschisten bekam ob das etwas genützt hätte, aber das und gegnerische Ziele auszukund- Annita Malavasi schon als Kind zu waren eben meine ersten Aktionen.“ schaften. „Wenn wir zurückkamen und spüren. Bei einem Malwettbewerb in Als Kurierin gerät sie immer wieder in die militärische Aktion dann anfing, der Schule zeichnete sie das schönste gefährliche Situationen: „Einmal habe also Angriffe gemacht wurden, ver- Bild. „Aber als ich im örtlichen The- ich eine Pistole in meinem BH trans- mint wurde, Sabotage gemacht wur- ater bei der Preisverleihung auf die portiert, und genau in dem Moment, de, waren wir oft dabei. Daran habe Bühne gerufen wurde, schaltete sich als ich von Deutschen kontrolliert ich sehr oft auch selbst teilgenommen. der faschistische Parteivorsitzende wurde, ist der BH aufgesprungen. Ich Das war bei vielen Stafetten so, dass des Ortes ein und meinte: Du bist tat als wäre mir schlecht, als müsste sie im Prinzip eine Doppel- oder eine nicht Mitglied in der faschistischen ich mich übergeben. Sie boten mir Mehrfachfunktion hatten. Antispiona- Mädchenorganisation, du bekommst Hilfe an, aber ich sagte: Nein, ich gehe ge, Losungswörter überbringen, die hier keine Preise. So etwas hinterlässt zu meinem Freund, der ist ein toller Versorgung zu organisieren, aber eben bei einem 10jährigen Mädchen Spu- Arzt, es geht schon. Ich hatte immer auch der direkte Kampf.“ ren fürs ganze Leben!“ diese Fähigkeit, im Augenblick großer Neun Monate lebt Annita Malavasi als Aus sozialistischem Elternhaus kom- Gefahr einigermaßen die Ruhe zu be- Partisanin in den Bergen. Monatelang mend ist Annita Malavasi 22 Jahre wahren und mich selbst kontrollieren ist sie die einzige Frau in ihrer Einheit. alt, als sie in Kontakt mit Partisan_in- zu können.“ Sie betont nachdrücklich die Solidari- nen kommt. „Wir wohnten in einem tät, den starken Zusammenhalt unter 20 den Partisan_innen. Doch die Frauen unterwegs. „Oft mussten wir uns im Militärfahrzeug machten, dass sie es seien auch immer wieder brüskiert Stall zu sechst oder siebt eine Decke waren, die die Besatzung beenden worden. „So ist zum Beispiel mal die teilen. Wir haben uns zusammenge- wollten und sich für ihre Freiheit und Idee entstanden, bei all dem Schnee, legt, damit wir nicht erfroren, denn Unabhängigkeit einsetzten.“ wir sollten keine Hosen mehr anziehen der Winter 44/45 war extrem kalt. Es dürfen weil wir sonst unsere Weiblich- lag ein Meter Schnee. Für uns war es Annita Malavasi war eine der elf keit verlieren würden. Es war absurd.“ sehr schwierig, diese Kälte und diese weiblichen Kommandierenden von Annita Malavasi zieht die Hosen wie- Schneemassen auszuhalten. Es gab Partisaneneinheiten in der Regi- der an. Dann kommt die Anweisung, keine Straßen und schon gar keine on Emilia-Romagna. Für sie – und Frauen sollen keine Waffen mehr Schneeräumer. Wir mussten die Wege viele andere Frauen – bedeutete die tragen. „Wenn wir in gefährliche Ge- mit unseren Beinen anlegen und das R e sistenza einen riesigen Einschnitt in biete vordringen, sollte ich ohne eine war enorm anstrengend. Und danach ihrem Leben. Sie weiß genau, was sie Waffe gehen? Bin ich ein Karnickel? konntest du dich nicht in einem ge- geleistet hat, und will sich die müh- Wer so etwas fordert, der soll persön- heizten Haus ausruhen. Wir haben uns sam erkämpften Freiheiten keinesfalls lich kommen und versuchen, mir die oft in den Ställen zu den Schafen, Zie- wieder nehmen lassen. „Die Arbeit Waffe abzunehmen. Ich war immer gen und Kühen gelegt, um von deren der Frauen war letztendlich das Rück- bewaffnet und niemand hat es gewagt, Körpern gewärmt zu werden und nicht grat der Resistenza. Es gibt heute viele mir meinen Revolver abzunehmen.“ zu erfrieren.“ Leute, die das kleinreden wollen, die Trotz aller Kämpfe gegen männliche die Partisanenbewegung insgesamt Vorurteile und frauenfeindliches Annita Malavasi übernimmt in der und die Rolle der Frauen kleinreden V e rhalten auch bei den Partisanen ver- Zeit der Resistenza viele Aufgaben: wollen. Das ist sehr gefährlich. Wir gisst Annita Malavasi nicht, dass sie zunächst Verbindungstätigkeiten, haben 20 Jahre Diktatur durchge- in einem vergleichsweise geschützten spä ter bewacht sie Faschisten im macht, die uns Armut, Hunger, Krieg Raum lebt, in dem sie Freiheiten Partisanengefängnis. Dann wird sie und Besatzung gebracht hat. Für den genießt, von denen sie im Faschis- beauftragt, eine Antispionageeinheit Fall, dass es diese gesellschaftlichen mus nicht zu träumen gewagt hätte: bestehend aus Frauen zu bilden und Negativ entwicklungen und Rück- „Zum Beispiel in der ersten Nacht in zu kommandieren. „Ich war die Kom- schritte wieder gibt, werden wir den Bergen. Die anderen Partisanen mandantin der Stafetten des Nach- Frauen die allerersten sein, die wieder waren 25 junge Männer. Ich lag zwi- richtendienstes. Wir waren ungefähr die Zeche zu bezahlen haben.“ schen einem Ex-Carabiniere und zwei 40 Frauen in dieser Einheit. In einigen anderen und wir haben fast die ganze Fällen waren die Frauen der ganzen Wenn die militärische Aktion Nacht geredet, als Gefährten. Keiner Familie dabei, Großmutter, Mutter, aning, Angriffe gemacht der Männer hat mich in Verlegenheit Schwiegertochter, Tochter, bis zum wurden, vermint wurde, gebracht. Wenn ich so was außerhalb 9jährigen Mädchen, das mal mit uns einer Partisanenformation gemacht gekommen ist. Die Frauen mussten Sabotage gemacht wurde, hätte, kannst du sicher sein, dass der oft sehr weite Entfernungen überwin- waren wir oft dabei. eine oder andere sein Hand hätte den. Es gab keine Handys und auch spielen lassen. Aber hier war ich eine keine Telefonzellen, es gab damals in P a rtisanin.“ jedem Dorf maximal ein Telefon bei Annita Malavasi starb 90jährig am der offiziellen Poststation. Die einzige 27. November 2011. Bis ins hohe Al- Das Leben in den Bergen ist hart. Die Kommunikation, die die Widerstands- ter war sie aktiv und kämpfte für die Partisan_innen sind ständig in Gefahr gruppen untereinander hatten, lief Ideale der Resistenza, für die Gleich- entdeckt und angegriffen zu werden. über unsere Beine. Danach war man berechtigung der Frau, für die Rechte Die Kämpfer_innen sind schlecht sehr müde und froh, wenn man Häu- der Arbeiterinnen. ausgerüstet, bei Wind und Wetter ser fand, die einen beherbergten und Im Jahr 2005 ließ sie sich von deut- versteckten. Mehr als einmal haben schen Filmemacher*innen drei Tage die Leute uns gestützt, richtig mit den mit der Kamera begleiten. Entstanden Händen, und uns dabei geholfen die ist daraus der Film: Non ci è stato re- Treppe zu den Schlafräumen hinauf zu galato niente – Geschenkt wurde uns gehen, weil wir nicht mehr konnten.“ nichts. Die Frauen dieser Einheit überbrin- In eindrucksvoller Weise porträtiert gen Nachrichten, Informationen und der Film eine Frau, die Zeit ihres Le- Befehle. Sie begeben sich oft in feind- bens gekämpft hat. liches Gebiet, um die Lage auszukund- schaften. „Wir beobachteten auch die Heike Demmel, resistenza.de Truppenbewegungen der Deutschen. Im Zusammenhang mit Gegenmaß- nahmen und Durchkämmungsakti- Der Film ist auf DVD onen war das sehr wichtig. Es gab aber über resistenza.de zu bestellen. auch viele ältere Frauen, die vor dem Haus sitzend aufschrieben, wie viele KONTAKT: Militärwagen der Wehrmacht vorbei [email protected] fuhren und wie sie bewaffnet waren. http://makeshiftmovies.info (mit Trailer) Der Oberbefehlshaber der deutschen GESCHENKT WURDE UNS NICHTS Streitkräfte in Italien, Kesselring, hat Dokumentarfilm, Deutschland / Italien einmal gesagt, der italienische Wider- 2014, Italienisch mit Untertiteln (de/en) stand hätte ein effektiveres Informa- 58 Min | PAL | Farbe | 16:9 | Stereo tionsnetz als sie selbst. Er wusste nicht, dass das oft Analphabetinnen Annita „Laila“ Malavasi 2006 in Reggio Emilia waren, die einfach Striche für jedes 21 mit Gewehrsalven empfangen und wir konnten nichts anderes tun, als uns zu verstecken und das Gelände zu umstellen. Es wurde uns gesagt, dass sich insgesamt zwölf Deutsche und Faschisten dort verschanzt hät- ten. Den halben Tag sind wir um das Gebäude geschlichen, haben versucht, unseren Kreis enger zu ziehen, ab und zu wurde geschossen. Wir kamen aber nicht ran. Uns wurde sogar ein kleiner Mörser aus einem Waffen- versteck in der Nähe gebracht. Aber wir hatten nicht viel Munition. Zwei Schuss konnten wir abgeben, in der Hoffnung, dass sie sich dann ergeben würden. Aber das Haus war zu robust, und die Deutschen hatten Käseformen in die Fenster gestellt und sich damit bestens verbarrikadiert. Wir erfuhren, dass diese Spezialein- heit aus Deutschen und italienischen Faschisten begann ihre Dokumente im Haus zu zerstören. Die wollten nicht Francesco Bertacchini „Volpe“ (rechts) mit Camillo Marmiroli „Mirko“, der sich auch der identifiziert werden und schienen Resistenza anschloss und Vizekommandant einer Garibaldi-Brigade war. wohl auch richtig Angst zu haben. Marmiroli ist am 9. April 2011 in Reggio Emilia im Alter von 91 Jahren gestorben. In der Nacht haben die Deutschen dann ein paar Käseformen in den Wald ge- rollt, um zu sehen, ob es eine Reaktion Spione, Melkeimer gäbe, ob wir noch da seien. Wir haben das nicht mitbekommen und weil wir nicht geschossen haben, haben die die und Kommunisten Chance ergriffen und sind abgehauen. Am Morgen waren sie dann weg, lei- der auch mit dem Spion und unserem Francesco „Volpe“ Bertacchini noch wurden Gefangene aus dem Genossen. Meinen Genossen habe ich (Jg. 1926), operierte mit seiner F o lterzentrum dorthin gebracht und nach der Befreiung wieder getroffen. Einheit in der Gegend um Ciano. erschossen. Die Deutschen ließen Gott sei Dank wurde er nicht in das Folterzentrum nach Ciano verbracht, Die Gegend um Ciano war dann die Getöteten liegen – als War- nung und zur Abschreckung. Die Ange- sondern nach Parma. Dort wurde er sehr gefährlich, da es dort ein hörigen durften sie nicht wegbringen kor rekt behandelt, vielleicht, weil A n tiguerilla-Zentrum gab. und beerdigen. der Spion erzählt hatte, dass wir u n sere Gefangenen immer korrekt Spione waren ein Problem b e h a ndelten. Francesco Bertacchi: Eines Tages be- für den Widerstand kam unsere Einheit die Aufgabe, eine Dem Spion folgten für die Deutschen wichtige Verbin- Die Gegend um Ciano galt als sehr die Deutschen dungsstraße zu beobachten, um später g e fährlich, da es in Ciano ein Anti- dort Aktionen durchzuführen. guerilla-Zentrum gab. Deswegen Wir waren mit unserer Einheit zur Er- Wir wussten nach einiger Zeit, dass mussten wir oft unser Nachtquartier holung in einem Nebental, das als si- der Kommandant des Folterzentrums wechseln und waren ständig auf ir- cher galt. Trotzdem kam eine Stafette Ciano oft diese Straße benutzte und gendwelche Überraschungen gefasst. zu uns, die sagte, „Passt auf, es gibt Be- so bekamen wir den Auftrag, ihn Eines Tages hatten wir einen Spion wegungen, die Deutschen kommen.“ fest zusetzen. Sechs Leute aus meiner enttarnt und da wir wieder das Quar- Wir haben uns daraufhin zurückge- Gruppe haben es dann auch geschafft, tier wechseln mussten, übertrug der zogen, wie wir es meistens machten, seinen Wagen abzufangen. Dabei Kommandant mir die Aufgabe, diesen da wir nicht auf große Schlachten aus wurden viele wichtige Dokumente zu einer anderen Gruppe zu bringen, waren. Die Deutschen wurden von erbeutet, u.a. Quittungen über die wir hätten ihn ja nicht die ganze Zeit einem lokalen Spion geführt, der auch Bezahlung von Spionen. Der Kom- von Lager zu Lager mitschleppen kön- die Information geliefert hatte, dass mandant wurde erschossen. Unsere nen. Ein Kamerad von mir, sagte aber: sich hier im Tal Partisanengruppen Leute haben versucht, das Auto ver- „Komm Volpe, das übernehme ich, aufhielten. Wir dachten, dass die Sta- schwinden zu lassen, da es klar war, ich bin schon fertig mit Frühstücken.“ fette auch die anderen Gruppen unten dass die Deutschen eine Vergeltungs- Auf der Strecke kam er dann in einen im Tal benachrichtigt hätte, dem war aktion durchführen würden. Aber es Hinterhalt von zwei Deutschen. aber nicht so, oder die Warnung wurde hat nichts genutzt. Wir im Lager wurden von einer Frau nicht ernst genommen, weil man sich Als Vergeltung haben die Deutschen informiert, dass die Deutschen in der sicher fühlte. Solche Desaster sind einen Weiler an der Straße nieder Nähe seien und sich mit dem Gefan- leider öfters passiert. Die Wache der gebrannt und die Einwohner am Ort genen in einer Käserei aufhielten. anderen Gruppe hat die Deutschen der Aktion erschossen. Auch später Als wir dort ankamen, wurden wir jedenfalls angehalten und gefragt, wer 22 Spione gegen den Widerstand

Im Sommer 1944 kontrollierten die PartisanInnen große Teile des Apennin im Landkreis Reggio Emilia. Einer der letzten deutschen Stützpunkte in dieser Gegend war das Örtchen Ciano Volpe steht vor der Gedenktafel eines kurz vor Kriegsende getöteten Partisanen (2006) am Fuße des Apennin. Hart umkämpft sie seien. Der Spion hat geantwortet: habe gesagt, es wäre wie im Paradies. waren in dieser Zeit die Straßen, die „Ich bin von hier“ und die Wache Einer meiner Begleiter hat allerdings vom Norden durch die Berge Richtung hat ihn passieren lassen, weil er den geantwortet, er wäre lieber in einer Süden, Richtung Front verliefen, da h i esigen Dialekt sprach. Er hat zu spät kommunistischen Einheit. Der Kom- die Deutschen sie für ihren Nachschub gemerkt, dass dem Spion zwei oder mandant war total sauer, der war eher und ihre Kommunikation benötigten. drei Deutsche folgten. Er hat noch ge- ein bürgerlicher. Am selben Tag noch schossen, ist dann aber selber getötet haben wir unseren Laufpass bekom- Im Sommer 1944 starteten die Deut- worden. Die Gruppe wurde umzingelt men. Und dann haben wir wieder vier schen eine letzte große Aktion, die Ak- und dann nach Ciano abgeführt, dort bis fünf Tage draußen geschlafen, ge- tion Wallenstein. Sie hatte drei Ziele: verhört und deportiert oder getötet. hungert und nach einer neuen Einheit die Bekämpfung der PartisanInnen, gesucht. Einschüchterung der Bevölkerung Trotz dieser Bedrohung gab es keine und Deportation von Gefangenen für einheitliche Regelung zu überprüfen, Aber jung waren wir damals! Ich war den Arbeitseinsatz in Deutschland. ob diejenigen Spione waren, die zu mit 18 Jahren schon bei den Partisa- Nach diesem Großeinsatz änderten die uns in die Berge kamen. Es hat bei nen. Ich erinnere mich, wir hatten Deutschen ihre Taktik und begannen, uns keine Probezeit, Verhöre oder so in einer Gegend einen Wachposten, Spione in die PartisanInnengruppen etwas gegeben. Man hat Neulinge ein von dem aus man die ganze Gegend einzuschleusen. Sie gründeten dazu bisschen beschnuppert, ihnen ein Ge- übersehen konnte und so auch einen das Antiguerilla- und Folterzentrum wehr in die Hand gegeben oder auch Stall unter uns, in dem nachmittags in Ciano. Etwa 40 bis 50 Mann, nicht und sie auf Wache oder Streife gemolken wurde. Wir haben oft etwas Wehrmachtssoldaten, Gebirgsjäger, geschickt. Man hat sie ins kalte Wasser Milch bekommen, was damals un- Gestapo, Sicherheitsdienst, waren geworfen, aber es gab keine Maßnah- bezahlbar war. Der Bauer hatte auch hier stationiert. Ihre Aufgabe war es, men, um zu verhindern, dass Spione eine nette Tochter und als ich einmal Spionageaktionen durchzuführen, in die Einheit kamen. dran war, nach Milch zu fragen, war PartisanInnengruppen zu infiltrieren, die Tochter gerade am Melken. Sie hat aber auch Verhöre und Folterungen Auch als ich zu meiner ersten Einheit mich eingeladen, neben ihr zu sitzen von Gefangenen zur Informations- in die Berge kam, gab es keine beson- und dann hat sie mich geküsst. Leider beschaffung durchzuführen. deren Vorsichtsmaßnahmen. Ich hatte ist dabei aber der Melkeimer umge- eine Adresse bekommen, aber die fallen und die ganze wertvolle Milch Das Zentrum in der ehemaligen Grund- stimmte nicht mehr. So bin ich dann war weg. Und damit war auch unsere schule von Ciano bestand zwischen mit zwei anderen immer von Dorf zu Liebesgeschichte vorbei, bevor sie an- September 1944 und Januar 1945. Am Dorf bis hoch zum Pass gelaufen, das gefangen hatte. Ich musste weglaufen 11. April wurde Ciano von den Parti- hat drei oder vier Tage gedauert. Wir und bin dann auch nie mehr zu dieser sanInnen befreit, die Deutschen flohen haben die ganze Zeit draußen geschla- Wache eingeteilt worden. weiter Richtung Norden. Laut dem fen und hatten bald nichts mehr zu es- dortigen Pfarrer fand man nach der sen. Immer wieder haben wir gefragt, Erzählungen von Francesco Bertacchi Befreiung 120 Leichen, PartisanInnen wohin wir gehen sollten, aber niemand im Rahmen der „Stentieri Partigiani“ und ZivilistInnen, von denen etliche traute sich, uns zu sagen, wo die Par- Folterspuren aufwiesen. tisanen waren. Endlich, nach ein paar Tagen, haben wir eine Frau vor einem „Volpe“ (rechts), „Toni“ (siehe S. 10|11) und „Mirko“ im September 2006 Haus getroffen. Sie verriet uns, dass in diesem Ort jeden Tag ein Mann vor- bei käme, über den wir in Kontakt mit den Partisanen kommen könnten. Wir haben dann kurz mit diesem Mann g e sprochen und wurden sofort zu sei- ner Einheit mitgenommen. Man hat uns von Anfang an mit auf Streife gehen lassen, allerdings ohne Waffen. Sie wollten uns schon erst einmal ein wenig beschnuppern. Wir hatten eigentlich ein ganz er- trägliches Leben dort. Mal mit auf W a che, essen, schlafen. Nach ein paar Tagen hat unser Kommandant dann gefragt, wie es uns denn gefalle. Ich 23 äußerst selbstbeherrscht und in der Lage sein, gefährliche Situationen durch Täuschung und Manipulation zu meistern. Auf sich allein gestellt hatten sie schnell und eigenständig Entschei- dungen zu fällen.

Adele Bei stellte sich für die Arbeit als „Flamingo“ zur Verfügung. Unter dem Decknamen „Battistella“ reiste sie 1932 illegal nach Italien ein, um in Rom Kontakt zu Kommunist*innen aufzunehmen. Ihre „Mission“ war er- folgreich und Adele kam enthusiastisch zurück: „Begeisterung über den herz- lichen Empfang, den die Genossen mir bereitet haben, und über ihren Drang, gegen den Faschismus zu kämpfen.“ Adele Bei als Rednerin in Cingoli/Marken Es folgten weitere Reisen im Auftrag der Partei nach Bergamo, Verona und Mailand. Solche klandestinen Reisen forderten ein hohes Maß an politischer Ein „liegender Flamingo“ Überzeugung und Charakterstärke, denn wer nach Italien mit gefälschten Adele Bei (1904 – 1976), Kommunistin, Papieren einreiste, konnte in Kontrol- len geraten, von einem faschistischen Antifaschistin – fehlgeleitete Frau? Spion enttarnt und von Ordnungskräf- ten inhaftiert werden. „Bei den Arbeiterdemonstrationen Produktion der illegalen antifaschi- Die kommunistische Partei im Exil in Pesaro trug ich ein rotes Tüchlein stischen Presse und trat 1925 offiziell in der Brusttasche und sang lauthals setzte trotz dieser hohen Gefährdung der kommunistischen Partei bei. bevorzugt Frauen für diese Aufga- ‚Bandiera Rossa’“, so schilderte be ein, da bekannt war, dass faschi- Adele Bei ihre ersten Schritte in Arbeit in der Illegalität stische Funktionsträger Frauen keine der sozialistischen Bewegung eigenständige, politische Haltung oder Pesaros, einer kleinen Küstenstadt Der faschistische Staat überwachte per- gar einen aktiven antifaschistischen in der Region Marken nördlich von manent seine politischen Gegner*innen Kampf zutrauten. Das machten sich Ancona. jenseits der Staatsgrenze. Dabei konn- die „Flamingos“ zunutze und verwan- te er sich auf die Auskünfte der Bot- delten Röcke, Hüte, Hutschachteln und Die Provinz Pesaro galt nach dem schaften und Präfekturen verlassen, die Handtaschen in sichere Verstecke für Ersten Weltkrieg als eine politisch die Antifaschist*innen im Exil einer antifaschistisches Propagandamaterial offene und linke Region, in der die engmaschigen Kontrolle unterzogen. oder Arbeitsanweisungen. Sozialisten, die Vorläufer der kommu- Obwohl diese Überwachung we- Nach den erfolgreichen Reisen ver- nistischen Partei Italiens PCI, vorherr- nig Spielraum für antifaschistische traute die Partei Adele Bei einen sehr schend waren, trotz aller nach wie vor Aktivitäten ließ, wurde dennoch ein delikaten Auftrag an, der von vorne- existierenden „Priesterherrschaft“ im klandestines Netzwerk aufgebaut, um herein als gefährlich galt. Sie sollte in einstigen Kirchenstaat. Auch in der politisch zielstrebige Kräfte für die Rom unter den jüngeren, den staatli- Familie Bei spiegelte sich dieser Ana- Zeit nach dem Faschismus auszubil- chen Schergen noch nicht bekannten chronismus wider: Adeles Vater Davi- den. Daneben wurden Parteimitglieder Genoss*innen Überzeugungsarbeit de war überzeugter Sozialist, während instruiert, illegal in das faschistische leisten, damit diese zum eigenen Schutz ihre Mutter Angela streng katholisch Italien einzureisen, um dort mit linken stärker auf konspiratives Verhalten war. Das Elternhaus wurde zum Treff- Kräften Kontakt aufzunehmen. Die po- achteten und ältere, sehr wahrschein- punkt linker Kräfte und Austragungs- litische Schulung und die Ausbildung lich überwachte Antifaschist*innen in ort politischer Diskussionen. Dieses zu einer streng konspirativen Arbeit in der Öffentlichkeit mieden. Umfeld bildete die Basis für Adeles der Illegalität und unter falschem Na- weitere politische Entwicklung. men waren hierfür Voraussetzung. Adele Bei kam im November 1933 mit Durch die Ernennung Mussolinis zum Eine Aufgabe, die von der Partei kommunistischen Propagandaschriften Regierungschef 1922 und den Aus- häufig Frauen übertragen wurde, war in Rom an und kontaktierte Antonio bau der faschistischen Diktatur wurde die eines „fenicottero al volo“, eines Bietolini, der ihr versicherte, nicht Adele Bei wie viele andere junge Men- „fliegenden Flamingos“. Die getarnten überwacht zu werden. Doch de facto schen gezwungen, 1923, noch keine Frauen lieferten an unterschiedlichen verfolgten die Faschisten jeden seiner 20 Jahre alt, ins Ausland zu gehen. Mit Orten politische Materialien ab oder Schritte und so verfolgten sie auch das ihrem Mann Domenico Ciufoli (1898- leiteten sie weiter, fingen die Stim- Treffen zwischen ihm, Adele und dem 1975), Mitbegründer des PCI, stand mung unter der Arbeiterschaft oder jungen Kommunisten Rodolfo Sarti sie im Fokus der politischen Beobach- anderen, dem Widerstand ferner ste- am Trevibrunnen im Zentrum Roms. tung und Verfolgung durch die faschi- henden Bevölkerungskreisen ein, um Da die dabei gesichtete Frau wohl stischen Machthaber. So ging das Paar mögliche Anknüpfungspunkte für den kaum eine Unbeteiligte gewesen sein ins Exil nach Belgien, Luxemburg und Widerstand auszuloten. Solche Aufga- konnte, wurde nun auch Adele über- Frankreich. Politisch waren beide wei- ben waren extrem risikobehaftet und wacht. Der von ihr eingeworfene Brief terhin aktiv, Adele arbeitete mit an der die damit betrauten Frauen mussten nach Frankreich, in dem sie über die 24 Von den drei Angeklagten erhielt sie die härteste Strafe: 18 Jahre Haft in dem berüchtigten Frauengefängnis in Peru- gia. Bis 1941 war sie dort eingesperrt. Aufgrund einer Amnestie vorzeitig entlassen, kam sie jedoch bis zum 25. Juli 1943, dem Sturz Mussolinis, in die Verbannung nach Ventotene. Auch ihr Mann Domenico war gefasst und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert worden. Die beiden Kinder hatte man in ein Kinderheim für Opfer des Faschismus nach Moskau bringen können.

Nach ihrer Befreiung im Juli 1943 kehrte sie nach Rom zurück. Hier schloss sie sich der Resistenza an und organisierte die „gruppi di difesa delle Adele Bei als Rednerin bei der Gewerkschaft CGIL donne“, die Frauenbefreiungsgruppen. in Pesaro im Auftrag der Tabakarbeiterinnen Aktionen gegen die deutschen Besat- zer, antifaschistische Propaganda und Aktivitäten der Kommunisten in Rom – keine Informationen, die der Polizei die Plünderung mehrerer Getreide- berichtete, wurde verhängnisvoller- nicht bereits bekannt waren, gab sie speicher zur Versorgung der Bevölke- weise abgefangen, sie selbst jedoch preis. Verhaftet werden konnten nur rungen waren Aktivitäten, mit denen zunächst unbehelligt gelassen. sie, Bietolini und Sarti. sie weiterhin aktiv war.

1934 erfolgte ihre Verurteilung vor Antifaschistin, Politikerin dem „tribunale speciale“, dem faschi- Frauen wurde von und Gewerkschafterin stischen Sondergericht. Die Tatsache, faschistischen Funktions- dass sie Frau und Mutter war, ver- trägern keine eigenständige, Doch am 25. November 1933 wurde schärfte das Urteil gegen sie: politische Haltung oder gar sie verhaftet. Die Polizei fand zahl- „Das Gericht befindet, dass von allen reiches belastendes Material und drei Angeklagten die Frau in sozialer ein aktiver antifaschistischer gefälschte Ausweise im doppelten Hinsicht die gefährlichste ist. (...) Sie Kampf zugetraut Boden ihres Koffers. Daneben wurden ist sogar vollkommen unberührt und Briefe, geschrieben mit einer Geheim- emotionslos geblieben, als ihr Verteidi- Nach der Befreiung Roms am 4. Juni tinte, entziffert, in denen eindeutig der ger ihre beiden zurückgelassenen Kin- 1944 wurde sie als eine von 21 Frauen Grund für ihre Reise nach Rom dar- der in Frankreich zur Sprache brachte. in die verfassunggebende Versamm- gelegt und die illegalen Aktivitäten in Mittlerweile ist bestens bekannt, dass lung gewählt. Als begnadete Rednerin Italien beschrieben wurden. Weil sie die kommunistische Partei sich sol- stürzte sie sich in der Nachkriegszeit in sich weigerte, eine Aussage zu ma- cher fehlgeleiteter Frauen bedient, um die Gewerkschaftsarbeit und gehörte chen, wurde sie zehn Tage verhört, be- illegale und subversive Aktionen in 1945 zu den Begründerinnen der UDI, schimpft und geschlagen. Bis zu ihrem Italien durchzuführen, sei es, weil sie der „Unione donne in Italia“, einer lan- Prozess kam sie in ein von Nonnen, unverdächtig erscheinen, sei es, weil desweiten, noch heute existierenden den „Mantellate“, geführtes Gefängnis sie eben dem schwachen Geschlecht Frauenvereinigung, hervorgegangen in Trastevere. Auch hier folgten wei- angehören (...).“ aus den Frauenbefreiungsgruppen. We- tere Verhöre. Doch Adele Bei schwieg gen ihrer antifaschistischen Verdienste wurde sie zur Senatorin ernannt. Sie Der Mitgliedsausweis des ANPI, dem Nationalen Partisanenver- saß als Abgeordnete für den PCI band, von Adele Bei mit dem Titel „Capitano Partigiano“, 1949 bis 1963 im Nationalparlament und übernahm für ihre Partei eine Schlüs- selfunktion zwischen der Zentrale in Rom und ihrer Heimat, den Marken. Die Antifaschistin, Politikerin und Ge- werkschafterin Adele Bei starb 1976 in Rom.

Nadja Bennewitz, resistenza.de Literatur: Brunella, Federica: La politica ritrovata: Adele Bei Ciufoli, in: Pupilli, Lidia/ Severini, Marco (a cura di): Dodici passi nella storia. Le tappe dell’emancipazione femminile, Venezia 2016, S. 86-101.

25 Sicherheitsvorkehrungen wenig ratsam. Doch hier wurden Angst und Befürch- tungen außer Acht gelassen.

Multiethnische Partisan*innen Im „Bataillon Mario“ lebten und kämpften sowohl einige Frauen als auch viele junge Männer, die sich wei- gerten, der neuen faschistischen Armee der Repubblica di Saló beizutreten, und sich deshalb verstecken mussten. Hier waren alte Antifaschist*innen versam- melt, auch renitente Geistliche, jüdische Familien, Kriegsgefangene und Zivilin- Eine Gruppe Partisanen des „Bataillons Mario“ im Herbst 1943 an einem unbekannten ternierte unterschiedlicher Herkunft aus Ort zwischen Matelica und San Severino: Italiener, Slawen, Russen, Engländer und Großbritannien, Frankreich, Polen, der der Äthiopier Carlo Abbamagal. Die Frauen, von denen wir wissen, dass sie auch Teil Tschechoslowakei, Jugoslawien und der der Partisanenformationen waren, sind nicht mit dabei. Sowjetunion. Ihnen war nach dem Waf- fenstillstandsabkommen der Alliierten mit Italien am 8. September 1943 die Carlo Abbamagal Flucht gelungen. Sie alle hatten unter- schiedliche Beweggründe, weshalb sie Afrikanische Partisanen sich in die Berge schlugen, doch alle verfolgten sicherlich ein gemeinsames in der italienischen Resistenza Ziel: den Sieg über Nationalsozialismus und Faschismus. Auf dem Friedhof von San Severino, Was von Carlo Abbamagal bleibt, ist Die Zusammensetzung des „Bataillon einem malerischen Städtchen in den ein Foto, das an einem unbekannten Mario“ mit Menschen aus nahezu ganz mittelitalienischen Marken, beindet Ort in der Nähe von San Severino ge- Europa ähnelte der in anderen Gebieten sich seit 2014 eine Gedenktafel: macht wurde. Derartige Bilder ohne nördlich der Gustavlinie, in denen der „Carlo Abbamagal, geboren in Addis Ort und Datierung sind charakteris- Partisan*innenkampf gegen die deut- tisch für Fotografien aus der Zeit des sche Besatzung geführt wurde. Eine Abeba, gestorben auf dem Monte Widerstands gegen Faschismus und Besonderheit in den Marken ist, dass San Vicino am 24. November 1943. deutsche Besatzung. auch afrikanische Menschen mit bei den Äthiopischer Partisan im Bataillon Wie der Historiker Matteo Petracci Partisan*innen kämpften. Mario von San Severino. Zusammen ausführt, kann man ein solches Indem sich Afrikaner dem antifaschi- mit anderen Frauen und Männern, Foto wie das visuelle Testament der stischen Widerstand anschlossen, so die aus der ganzen Welt kamen, Partisan*innenbande „Bataillon Ma- Petracci, verließen sie ihre Rolle der ist er für die Freiheit Italiens und rio“ lesen. Im Gegensatz zu Polizeibe- untergeordneten, nicht am geschicht- Europas gestorben. richten oder auch zu später gemachten lichen Prozess beteiligten kolonialisier- Die Bürgerschaft der Stadt.“ Zeitzeug*innenaussagen dokumentiert ten Menschen und nahmen als Subjekte dieses Bild einen gelebten Moment, aktiv an der Geschichte teil. Und nicht der den Fotografierten so wertvoll zuletzt stellte dieser multiethnische Zwar ist fraglich, ob es die Intention erschien, dass sie den Augenblick für Charakter der Partisan*innenformation des Äthiopiers Carlo Abbamagal war, die Nachwelt festhalten wollten. Sol- den Beweis dar, dass eine andere Ge- für die Freiheit Europas zu kämpfen, ches war selten möglich in der Zeit sellschaft als erstrebenswert angesehen doch wie auch immer: Zusammen mit zwischen 1943 und 1944 und in Front- wurde. anderen Partisan*innen des „Bataillon nähe auch wegen der einzuhaltenden Mario“ kämpfte er gegen Faschisten und deutsche Nazis. Dieses Bataillon war Die international zusammengesetzte Partisan*innenformation „Gruppo Roti“ des „Bataillon Mario“: nach dem 8. September 1943 um Mario Im Zentrum (1. Reihe, 3. v.l.) hockt der Äthiopier Thur Nur. Hinter ihm steht der Priester Don Enrico Depangher entstanden, einem Kommu- Pocognoni (mit Zigarre zwischen den Fingern), in der letzten Reihe der Somalier Mohamed Raghé. nisten aus Istrien. Bei einer frontalen Alle drei wurden von den Deutschen am 24.3.1944 bei einem Massaker ermordet. Auseinandersetzung der Partisan*innen mit der Wehrmacht im November 1943, bei der einige deutsche Soldaten gefan- gen genommen werden konnten, wurde Carlo Abbamagal von den Deutschen getötet. Wie seine Genoss*innen berich- teten, war er bei dem Angriff in der ersten Verteidigungslinie und wurde von einer Maschinengewehrsalve getroffen. Wer aber war Carlo Abbamagal? Sicher- lich war Carlo nicht sein eigentlicher Name, sondern er wurde so von seinen italienischen Mitkämpfer*innen geru- fen. Den Namen Abbamagal hatte er wahrscheinlich als seinen Kampfnamen gewählt. 26 gemeinsam Fußball gespielt wurde. befreien und an die vorhandenen Waffen Lokale Schäfer versorgten die afri- zu gelangen. Als Sicherheitsmaßnahme kanische Gruppe mit Schafen, die sie musste einer der Afrikaner als Geisel nach eigenem muslimischem Ritus zurückbleiben. schächten konnten. Ende Oktober 1943 vereinigten sich zwei Partisanenformationen aus unter- Gemeinsamer Kampf schiedlichen Richtungen wenige Kilo- meter vor Treia. An der Villa ange- Nach dem Sturz Mussolinis im Juli langt, waren die Partisan*innen durch 1943 wurde die Situation für die die Ortskenntnis der beiden Äthiopier inhaftierten Afrikaner*innen entspann- im Vorteil. Die Askari ergaben sich ter. Dank ihrer Italienischkenntnisse nach kurzem Schusswechsel und die erhielten auch sie die neuesten Nach- Partisan*innen erbeuteten Maschinen- Die Gedenktafel für den äthiopischen Partisan richten. Und am Tag des Waffenstill- gewehre, Handgranaten, Gewehre und Carlo Abbamagal auf dem Friedhof standsabkommens, dem 8. September Revolver. 25 Afrikaner*innen schlossen von San Severino/Marche. 1943, konnten die drei Äthiopier sich den Partisan*innen an, doch nicht Abbagirú Abbanagi (24 Jahre alt), alle gingen mit: Zu unsicher und wenig Die Hintergründe dieser internationa- Scifarrá Abbadicá (21 Jahre alt) und kalkulierbar musste zumindest denjeni- len Zusammensetzung des „Bataillons Addisá Agá (25 Jahre alt) aus dem gen mit kleinen Kindern die Situation Mario“ lagen in der faschistischen Ko- Lager flüchten und sich den Parti- in den Bergen kurz vor Wintereinbruch lonialausstellung, die Italien 1940 in san*innen anschließen. erscheinen. Außerdem standen die Neapel inszeniert hatte. Dabei wurden Die Tatsache, dass es den drei Män- Askari nicht unbedingt auf Seiten der Menschen aus den italienischen Kolo- nern gelang, Kontakt zum „Bataillon Partisan*innen. nien Eritrea, Somalia und Äthiopien wie Mario“ aufzunehmen, das mehrere Ki- Tiere zur Schau gestellt, um den „hohen lometer Fußweg entfernt und in einer Grad der Zivilisation“, die der Faschis- ihnen unbekannten Gegend in Brac- Indem sich Afrikaner dem mus vermeintlich nach Afrika gebracht cano bei Matelica (Provinz Macera- antifaschistischen Widerstand hatte, zu demonstrieren. Gezeigt wurde ta) operierte, legt nahe, dass ihnen anschlossen, verließen sie ihre eine Simulation afrikanischer Dörfer Einheimische geholfen haben und mit „Eingeborenen“, ca. 70 Personen, sie Hinweise erhielten. Auch hatten untergeordnete Rolle als darunter Familien, Bauern, Schmie- sie möglicherweise bereits eigene kolonialisierte Menschen. de, Frauen, Kinder, Würdenträger, Kampferfahrungen, denn viele junge Sie nahmen so als Subjekte religiöse Funktionsträger und Askari, Männer hatten schon als „Patriots“ aktiv an der Geschichte teil. afrikanische Polizisten in Kolonialtrup- in Äthiopien im Guerillakrieg die pen. Die italienischen Besucher*innen faschistischen Kolonialisten bekämpft. sollten sich dadurch ihres neuen Herr- Der bewaffnete Widerstand hatte also Bekannt ist, dass sich unter denjenigen, schaftsgebietes vergewissern können. schon in Äthiopien begonnen. die mitgingen, auch Mohamed Raghè, Thur Nur und Carlo Abbamagal befan- Mit Kriegsbeginn wurde die Ausstel- Der Kommandant des nach ihm den. Sie alle drei fielen bei Gefechten lung geschlossen und die aus Afrika benannten Bataillons, Mario Depang- mit den Deutschen. deportierten Familien und Einzelper- her, stammte aus dem heutigen Slo- Die anderen des „Bataillon Mario“ sonen unter polizeilicher Überwachung wenien und war vermutlich bei der aber kämpften weiter. Am 1. Juli 1944 im April 1943 in die Marken nach Treia multiethnischen Zusammensetzung gelang ihnen die Befreiung von San in die Provinz Macerata überstellt. Die der „Banda“ federführend. Er war Severino, wo sich heute die Gedenkta- italienischen Kolonien waren zu diesem mit 14 Jahren in die sozialistische fel für Carlo Abbamagal befindet. Zeitpunkt bereits von Alliierten besetzt, Jugend eingetreten und hatte vor dem ein Rücktransport war somit nicht mehr Ersten Weltkrieg Streikerfahrungen Literatur: möglich. mit ungarischen und slowenischen Petracci, Matteo: I neri della Pai. Dalla Arbeiter*innen gemacht, sodass Her- „Mostra delle Terre italiene d’Oltremare“ In Treia existierte in der Villa Spada kunft und ethnische Zugehörigkeit im (MtO) akka Resistenza, in: Guerra e seit Juni 1940 ein Internierungslager gemeinsamen Kampf für ihn kaum resistenza sull’Appenino umbro-mar- für Frauen, das durch die Intervention relevant waren. Er hatte die zwei Jahr- chigiano. Problematiche e casi di studi. des Internationalen Roten Kreuzes im zehnte dauernde faschistische Dikta- Atti del covegno, Pietralunga-Fabriano, Dezember 1942 wegen unhaltbarer tur zwischen Verfolgung, Gefängnis 14-15 maggio 2015 a cura di Chiara Zustände hatte geschlossen werden und Verbannung verbracht und war Donati e Tommaso Rossi, Editoriale müssen. Doch nur wenige Monate im Sommer 1941 in San Severino Umbra, Foligno 2017, S. 231-255. später bezeichnete das „Ministerium erneut gefangen genommen worden. des italienischen Afrika“ den Ort wie- Hier in den Marken begründete er ab Weblinks: derum als geeignet zur Aufnahme von September 1943 ein Bataillon „jugos- Zwischenfälle – Hörgeschichte auf Afrikaner*innen. Wegen der katastro- lawischen Typs“, in dem wie radio Z: Carlo Abbamagal – ein Afri- phalen Zustände starben hier viele der geschildert Menschen unterschiedli- kaner in der italienischen Resistenza: Verschleppten, gleichzeitig kamen aber cher Herkunft miteinander vereint im https://zwischenfaelle.radio- auch mehrere Kinder zur Welt. Kampf standen. z.net/feature/carlo-abbamagal Da die Bewachung nicht mehr durch Wu Ming nach rassistischem An- italienische Polizisten sondern durch Die drei Äthiopier informierten die schlag in Italien: Früher kämpften Askari erfolgte und zunehmend Partisan*innen direkt nach ihrer An- afrikanische Partisan*innen in Mace- laxer wurde, ergaben sich Kon- kunft, dass in der Villa Spada ein rata (Audioportal Freier Radios): takte zwischen Afrikaner*innen und Polizeiposten sei. Die Kommandanten https://www.freie-radios.net/87598 Italiener*innen im nahegelegenen Ort beschlossen daraufhin einen Angriff, Treia. Zeitzeug*innen berichteten, wie um die restlichen Gefangenen zu 27 Mario Rovinetti (lnks) im September 2002 in Marzabotto. Renzo Bianchi (rechtes Bild, links) während einer Stadtführung in Parma zu den Aktivitäten der SAP (Sommer 2002). Renzo Binachi starb 2003, Mario Rovinetti im Jahr 2006.

über 70 PartisanInnen in Parma durch Spitzel verraten worden, darunter Agitation, Sabotage, Attentat B r uno „Andrea“ Longhi, ein klei- ner, stets unbewaffneter Agitator von GAP und SAP in italienischen Städten h o her konspirativer Intelligenz, und der militärische Kommandeur der SAP Ein großer Teil der bewaffneten Zum Schutz vor Infiltration durch E u genio „Cecio“ Biaggi. Longhi über- Widerstandsgruppen befand sich Spitzel waren die Gruppen streng lebte die Folter nicht, Biaggi wurde in den Bergen, wo den deutschen s e pariert; kein Mitglied sollte zu viel danach ins Konzentrationslager Bozen Truppen der Zugriff erschwert über andere Gruppen wissen. Den verschleppt. Zu den Mitarbeitern der war. Doch auch in den Städten Berichten von Renzo Bianchi und Gestapo in Parma gehörte auch Otto bildeten sich Gruppen, die mit allen Mario Rovinetti zufolge agierten Alberti. Er war an der Liquidierung SAP und GAP ähnlich: Sie verteilten des Ghettos von Bialystok beteiligt Mitteln Widerstand leisteten: die Flugblätter und Plakate, sammelten und arbeitete bei Kriegsende in einem Aktionsgruppen der PartisanInnen Informationen über die Aktivitäten Sonderkommando, das die Spuren GAP oder SAP („gruppo“ bzw. des Gegners, raubten Geld für die der Massenvernichtung verwischen „squadra di azione partigiana“). politische Arbeit, sabotierten Telefon- sollte. 1963 war er Hauptkommissar Mario Rovinetti war bei der GAP in linien und Verbindungswege, störten der Kripo in Kiel. Bologna, Renzo Bianchi bei Truppenbewegungen und Durch- Trotz der brutalen Repression der SAP in Parma. kämmungsaktionen, griffen deutsche schreckten die SAP auch vor An- Besatzungstruppen und italienische griffen auf Kasernen nicht zurück, GAP und SAP setzten sich aus Frauen faschistische Verbände an und ver- die zum Teil durch Sympathisanten und Männern zusammen, die tagsüber übten Attentate auf faschistische unter den italienischen Wehrpflich- ihrer Arbeit nachgingen und nachts Funktionsträger und Spione. tigen erleichtert wurden. Bei einer im Widerstand aktiv wurden. Dabei Renzo Bianchi berichtete über die Be- dieser Aktionen erbeutete Waffen arbeiteten die SAP eher näher an der dingungen in Parma, unter denen die wurden bei einem Blumenhändler an Massenbasis, waren für Verpflegung PartisanInnen in der Stadt arbeiteten. einem der Friedhöfe von Parma ver- und Organisation von Waffen, Agita- Immer wieder mussten sie sich wegen borgen, bis sie verteilt oder zu den tion in den Stadtteilen und Fabriken Spitzeln neue Aufenthaltsorte suchen. Parti sanInnen in den Bergen gebracht zuständig, versuchten laut Rovinetti Dann wurde meistens auch der Deck- werden konnten. Besagte Aktion habe das, was an Organisation noch da name gewechselt. keine Repressalien nach sich gezogen: war, zu schützen und zu entwickeln. Die italienischen Behörden übergaben Sie sei - gleich anderen - totgeschwie- Vor allem die GAP hatten im engeren politischer Aktivitäten verdächtigte gen worden, weil die deutschen Be- Sinne klandestine Kleingruppenstruk- Gefangene an die Gestapo. Dort wur- satzer und die Salò-Faschisten keine turen. In den Gruppen, die Sektionen den diese in provisorischen Zellen schlechte Figur machen wollten. Im- des Nationalen Befreiungskomitees zusammengepfercht und gefoltert. mer wieder schlossen sich italienische (CLN) zugeteilt waren, aber weitge- Zeugenaussagen dokumentieren den Polizei- und Armeeangehörige den hend selbstverantwortlich agierten, Einsatz von Elektroschocks an allen PartisanInnen an. Die Empfehlung waren je 5-6 Personen organisiert. Körperteilen. Im Februar 1945 seien der Untergrundorganisationen an die

28 Wehrpflichtigen habe damals gelautet: Die sieben Opfer der BN sollen von Als typische Aktion schildert Rovinetti Folgt dem Einberufungsbefehl, lasst einem Spitzel namens Rosi verraten den Angriff auf die deutsche Kom- euch einkleiden, nehmt die Waffen worden sein, der sich später den Fa- mandantur in Bologna. Partisanen und setzt euch in die Berge ab. schisten anschloss. Ein weiteres Opfer drangen mit Benzinkanistern in das Bianchi, ein gelernter Drucker, stellte war der 19-jährige Bruno Vescovi. Hotel in der zentral gelegenen Via mit einem Matrizendrucker in der Via Dessen Bruder war nach dem Krieg dell’Independenza ein und setzten Garibaldi viele Flugblätter und Be- in Parma politisch sehr aktiv, auch um das Treppenhaus von oben bis un- kanntmachungen der PartisanInnen das Andenken an Bruno zu wahren. ten in Brand. Draußen waren Posten her. Er berichtete auch über die Vor- Als der Spitzel Rosi 1996 starb und in aufgestellt, die Deutsche, die fliehen sichtsmaßnahmen, die beim Verteilen Parma begraben wurde, habe Vescovi wollten, unter Beschuss nahmen. zu treffen waren: Mehrere Gruppen den Blumenschmuck auf dem Grab Die 7. Brigade der GAP, der auch vereinbarten einen festen Zeitplan und zerstört und sei bald nach dem Verhör Rovi netti angehörte, war auch in der versteckten Flugblätter im Futter ihrer durch die Polizei an einem Herzinfarkt P o ebene aktiv. Jacken. Dann wurde zum vereinbarten gestorben. Fast sei es so, als ob der Truppentransporte wurden angegrif- Zeitpunkt für etwa 15 Minuten ver- Faschismus 50 Jahre später auch den fen, Panzer wurden mit Spezialspreng- teilt, danach gingen alle ihrer Wege. Bruder getötet habe, erklärt Bianchi. körpern mit zeitverzögerter Zündung, Oft war Improvisation gefragt. Beim In der Straße des heutigen Unigelän- die von den Alliierten abgeworfen Versuch eine internationale Telefon- des, in der sich der Sitz der BN befand, wurden und in die Kanonen deutscher verbindung zu sabotieren, erwies sich war auch ein Büro der faschistischen Panzer passten, gesprengt. Solche Ak- der Schaltkasten als zu hart für die Partei. Die Straße war damals nach tionen zogen oft auch Massenerschie- Äxte. So entschloss man sich, durch einem Faschisten benannt, der beim ßungen von ZivilistInnen nach sich. die entstandenen Löcher zu pinkeln Marsch auf Rom gestorben war. Doch und auf diese Weise einen Kurzschluss mehrfach wurden die Straßenschilder Folgt dem Einberufungs- zu erzeugen. mit Schablonen übermalt, die Straße befehl, lasst euch einkleiden, nach dem gefallenen Partisanen Gior- Am 31. August 1944 erschossen die dano Cavestro benannt und so heißt sie nehmt die Waffen und setzt Partisanen zwei berüchtigte Mitglieder heute noch. Bianchi merkt vergnügt euch in die Berge ab der faschistischen schwarzen Brigaden an, dass die Faschisten es damals mit (Brigate Nere, BN). Darauf wurden der Angst zu tun bekommen hätten, da Die GAP setzten sich überwiegend sieben politische Gefangene, die sich diese Aktion wiederholt direkt vor ih- aus Frauen und Männern zusammen, in deren Gewahrsam befanden, von rer Nase durchgeführt worden sei. die schon vor dem Waffenstillstand den Faschisten zu Tode gefoltert. Die im antifaschistischen Widerstand Leichname waren so entstellt, dass die In Parma wie in Bologna war es von aktiv waren. Die Wurzeln dieses Angehörigen sie kaum identifizieren größter Wichtigkeit, Straßen, Hinter- W i derstandes lagen vor allem im seit konnten. Einer der zu Tode gefolterten höfe und Abkürzungen, ja sogar die den zwanziger Jahren bestehenden war Otello Massani. Seine Tante hatte Abwasserkanäle wie seine Westen- kommunistischen Widerstand. Frauen immer wieder vor dem Hauptquartier tasche zu kennen - alles das also, so gab es laut Mario Rovinetti sowohl der BN seine Freilassung verlangt, Mario Rovinetti, „was der Feind nicht in der GAP als auch in der SAP; sie bis sie mit Schüssen verjagt wurde. so gut kannte“. In Kellern gab es Ver- konnten sich freier bewegen als die Als die Faschisten die Leichen ihrer stecke. Eines der größten befand sich Männer. Opfer auf den Friedhof warfen und in den Kellern des zentralen Kranken- alle bedrohten, die diese begraben hauses von Bologna. Als diese Basis Rovinetti hatte das Glück, dass seine wollten, ließ sich Massanis Tante aufflog, wurde sie von deutschen Eltern Antifaschisten waren. Während nicht einschüchtern. Sie holte ihren Truppen mit Artillerie angegriffen. es in der Schule nur Gehirnwäsche toten Neffen am helllichten Tag nach Trotz großer Verluste konnten sich die gab, konnte der Vater zu Hause den Hause, bei der Totenwache wurde ihm meisten PartisanInnen zurückziehen Mund nicht halten, so dass er als das rote Halstuch umgelegt. und andernorts den Kampf wieder Junge von Lenin und der Sowjet- aufnehmen. union gehört hatte. Aus der Arbeit in der Fabrik kannte er Kollegen, die GAP-Gruppe beim Sprengen von Eisenbahngleisen o r ganisiert waren und über die er sich einer kommunistischen GAP-Brigade anschloss. Während viele seines Jahrganges einberufen worden waren und vor dem faschistischen Heer in die Ber- ge flüchteten, konnte Rovinetti zu- nächst in der Stadt bleiben: Er war freigestellt, weil er tagsüber für eine deutsche Luftwaffeneinheit „kriegs- wichtige Arbeiten“ leistete; nachts beteiligte er sich an Aktionen. Erst als die Deutschen abzogen, wurde sein Passierschein ungültig. Mario Rovi- netti verließ Bologna und schloss sich einer GAP-Brigade in der Gegend von Marzabotto an, wo er seine Arbeit im Untergrund fortsetzte.

Matthias Brieger

29 Enzo verließ das Gymnasium, be- suchte schließlich die Abendschule und arbeitete tagsüber mit seinem Va- ter als Fotograf.

„Mit 19 Jahren, am 20. Mai 1943, wurde ich zum Militär eingezogen. Zu den Funkern. Schon eine Stunde nach meiner Anmeldung in der Kaserne kam ich in Haft, da ich die militärische Disziplin nicht akzeptierte und immer noch Zivil trug. Ich war vom 20. Mai bis zum 25. Juli beim Militär. An die- sem Tag desertierte ich. Aber das Mili- tär inhaftierte mich wieder.“

Ein Vorgesetzter, ein Lehrer seiner ehe- maligen Schule, verhalf ihm schließlich am 8. September 1943 zur Flucht nach Mailand. Bereits am Bahnhof geriet er in eine Schießerei zwischen Faschisten und Antifaschisten. „Als ich aus dem Bahnhof kam, rief mir ein Bekannter zu, ich solle ihnen helfen. Sie gaben mir eine Waffe und so schoss ich. Es war meine erste Schießerei. Dies war der Moment, in dem ich dachte, dass Enzo Galasi auf einer ANPI-Versammlung (27.12.2009) man etwas machen muss.“

Er tat sich mit Freunden, die wie er den Faschismus und Nationalsozialis- „Wir wollten die Lage mus ablehnten, zusammen und lernte über einen Nachbarn Melchiorre de Giuli kennen. „Er war faszinierend, des Proletariats verbessern“ da er von einer neuen Welt sprach, die nur zu erreichen war, wenn man sich Vom »Gefühl für Gerechtigkeit« zur Rebellion organisierte und den Faschismus ab- schaffte.“

Enzo Galasi (1924 – 2015) wuchs in Die Kinder mussten an offiziellen und So begann er an illegalen Aktionen einer antifaschistischen Familie auf, sportlichen Veranstaltungen mit der teilzunehmen, verteilte illegale Zei- in der der Widerstand über mehrere Uniform der faschistischen ‚Balilla‘ tungen und klebte Plakate. Zu dritt Generationen gelebt wurde. Er und erscheinen. Das machte ich nicht und gründeten sie eine lokale Widerstands- seine Familie stammten aus den Ar- wurde von Gleichaltrigen und meinen zelle unter der Leitung von Melchiorre beitervierteln in Mailand, wo er bis Lehrern deswegen schlecht behandelt de Giuli. Sie besorgten Waffen, die zuletzt auch gelebt hat. Sein Vater und schikaniert.“ sie faschistischen Patrouillen abnah- Alfonso Galasi war zunächst Maurer, men aber auch durch Hinweise aus wurde dann über die Abendschu- Der Instinkt zur Rebellion der Bevölkerung bekamen. Sie orga- le Fotograf. Beide, Vater und Sohn, nisierten Sprengstoff für Attentate. „Mein Vater hatte eigentlich immer Sie stahlen Uniformen zur Verklei- waren Mitglied der GAP (Gruppi di studieren wollen, und so machte dung bei Aktionen. Enzo lernte den Azione Patriottica) in Mailand. ich die Staatsprüfung und ging zum Umgang mit dem Sprengstoff Tritol. Gymnasium. Aber meine Noten wa- Kontakte zu anderen Zellen erfolgten Die gesellschaftlichen Widersprüche ren schlecht. Ich kam nicht mit der nur über die jeweiligen Chefs. Das war lernte Enzo bereits als Kind in der faschistischen Uniform der Jugendor- wichtig für die Sicherheit, damit die Schule kennen: „So war ich zunächst ganisation zur Schule. Deshalb wurde Kämpfer*innen bei einer Festnahme von der faschistischen Kultur fas- ich gemobbt und prügelte mich oft. und unter Folter niemanden verraten ziniert. Ich habe die faschistischen Das konnte ich gut. Daraufhin wurde konnten. Jugendorganisationen der ‚Figli della ich von den Lehrern diszipliniert. Ver- lupa‘ (der ‚Söhne der Wölfin‘), und mutlich habe ich ein rebellisches Gen Aktivisten der ‚Balilla‘ gesehen. Ich wurde von in meiner DNA. Den Instinkt zur Re- den militärischen Aufmärschen ange- bellion. Wenn man jung ist, kann man der gleichen Gruppe sprochen. Und ich fragte mich, warum sich nicht gut ausdrücken, aber man Erst einige Monate später erfuhr Enzo meine Familie anders war als andere. hat schon ein gutes Gefühl für Gerech- Galasi, dass auch sein Vater Mitglied Dann habe ich angefangen, die Wider- tigkeit und Übermacht. Von Anfang an der Widerstandsorganisation war: sprüche zu bemerken. Ich erlebte viele war ich immer gegen Diskriminierung „Mitte November kam ein Mann mit diskriminierende Situationen. Um eine und Dominanz. In diesem Sinne folgte einem großen Dreiradlaster zu unserem gute Arbeit zu finden musste man Mit- ich meinem Vater nach. Mein Vater ist Haus und fragte nach meinem Vater. glied der faschistischen Partei sein. desertiert. Ich auch.“ 30 Als der Laster in der Garage im Garten Auch nach Enzo wurde gefahndet. Die geöffnet wurde, fanden sich darin Ma- Polizei durchsuchte die Wohnung sei- schinengewehre, Pistolen, etc. In den ner Freundin und verhaftete bei dieser Gesprächen stellte sich heraus, dass Gelegenheit einen weiteren Aktivisten. alle meinen Zellenchef Melchiorre de 15 Tage befand sich Enzo danach auf Giuli kannten. An diesem Tag erfuhr der Flucht durch Mailand: „Stets in ich, dass mein Vater schon lange vor der Angst festgenommen zu werden mir Mitglied der Widerstandsorgani- war ich die ganze Zeit mit einer Ma- sation war. Wir waren Aktivisten der schinenpistole und 5 Handgranaten zu gleichen Gruppierung, wussten aber meiner Verteidigung ausgerüstet. Not- nichts davon. Ich habe erfahren, dass falls hätte ich mich auch in die Luft ich Mitglied der 10ten Garibaldi-Bri- gesprengt, statt verhaftet zu werden.“ gade [später 85te Garibaldi-Brigade] bin, dass die Organisation eine Parti- Alfonso Galasi überstand die Folter saneneinheit auf den Bergen bei Fon- ohne etwas preiszugeben. Im Novem- datoce di Verbania am Lago Maggiore ber wurde er aus der Haft entlassen. unterstützt und dass die Waffen für Er nahm den Kampf sofort wieder diese Einheit bestimmt waren.“ auf. Als am 2. Februar 1945 der Kom- mandant Luigi Campegi erschossen Enzos Vater Alfonso und der Polit- wurde, übernahm Alfonso Galasi das kommissar Ruggero Brambilla (Nello) Kommando der GAP bis zur Befreiung hatten die erste GAP Mailands mitge- Italiens. gründet. Im Haus des Vaters richteten sie die Basis ein. Sie fungierte als Abwägen zwischen Anlaufstelle für junge Menschen, die zu den Partisan*innen in die Berge ge- zwei Risiken hen wollten. Als Fotografen fälschten Das persönliche Risiko im Kampf Enzo und sein Vater Personalausweise, gegen den Faschismus war groß, die Papiere und Stempel. Mailänder GAP hatte viele Verluste zu beklagen. Rückblickend beschreibt Der vielleicht größte Coup gelang der Enzo Galasi: „Ich hatte Angst. Aber Gruppe Anfang August 1944. Gemein- man sollte diese Angst auch nicht so sam mit anderen Partisanenformati- wichtig nehmen. Es gab zwei Möglich- Enzo Galasi am Gedenkort für seine erschossenen onen überfielen sie das Militärlager keiten: Das Risiko, etwas gegen den Genossen der GAP (25. April 2007) von Isotta Fraschini di Cavaria. Sie Faschismus zu tun, oder das Risiko, nahmen zehn deutsche Militärs der Fa- wieder zum Militär zu müssen. Ich wog brikwachen fest und erbeuteten 2 Last- ab und entschloss mich für die Aktion. wagen voll mit Maschinengewehren, Wir waren einfache Menschen, die Die ‚Gruppi di Azione Patriotti- Munition und Benzin. Drei Partisanen, aus dem Bedürfnis die Diktatur zu be- ca‘ (GAP) sind verbunden mit verkleidet als SS-ler, brachten alles in kämpfen, Aktionen durchführten. Die die freie Partisanenrepublik Ossola. den Garibaldi-Brigaden. Sie ge- Waffen mochten wir eigentlich nicht, hörten zum kommunistischen auch weil wir nicht so recht wussten, Am 5. September 1944 wurde Enzos wie wir sie benutzen sollten. Aber wir Partisan*innen-Widerstand in Vater in seinem Haus von der ‚Banda wurden kontinuierlich angegriffen, Italien und führten den Kampf Koch‘ verhaftet, einer Sondereinheit Wut und Hass gegen die Ungerech- der faschistischen Polizei, die eng mit in den großen Städten. tigkeit entstanden und das brachte uns der SS zusammen arbeitete. Ihr Anfüh- In der Gegend von Mailand war zur Rebellion. Wir sind nicht geboren, rer, Pietro Koch, war bekannt für sein um andere Menschen zu töten. Wir die 85te Garibaldi-Brigade besonders brutales Vorgehen gegen sind geboren, um ein würdiges, ernst- Widerstandskämpfer*innen. Alfonso aktiv. Nach ihrem Kommandanten haftes Leben zu leben, in einer soli- Galasi wurde in der ‚Villa Triste‘ in wurde sie auch ‚Brigata Mario darischen Gemeinschaft. Wir wollten, Mailand festgehalten und gefoltert. dass sich die Lage des Proletariats, der Flaim‘ genannt. ‚Villa Triste‘ ist ein Synonym für die Schwachen, verbesserte. Wir waren Die in Mailand aktive GAP war berüchtigten Foltergefängnisse der und sind gegen Gewalt und Krieg. Ge- Nazis in vielen italienischen Städten. Teil dieser Brigade. Nach ihrem gen die Gewalt von denen, deren Opfer ersten Kommandanten hieß sie wir immer sind. Aber trotzdem waren ANPI-Ausweis von Enzo Galasi wir es, die dies alles gemacht haben, zunächst ‚GAP Mendel‘. die in diesen schwierigen Situationen Ihm folgte Luigi Campegi, der eine Entscheidung getroffen haben.“ am 2. Februar 1945 erschossen wurde. Unter Alfonso Galasi Martina Fries, resistenza.de nannte man sie schließlich „3a GAP – 2o distaccamento“. Der Artikel basiert zu weiten Teilen auf einem Interview, das das Bochumer Polit-Café Azzoncao mit Enzo Galasi im Jahr 2006 geführt hat.

31 1.000 jüdische Römer*innen. In den Folge monaten wurden noch weitere j ü dische Menschen aus Rom deportiert, i n sgesamt wurden 2.091 ermordet.

Herbert Kappler und die Folterzentrale in der Via Tasso

Obersturmbannführer der SS (1907-1978), Kommandant der deutschen Polizei in Rom, hatte seinen Sitz im Gestapogefängnis der Via Tasso, wo Widerstandskämpfer gefoltert und ermordet wurden. Kappler war seit 1931 Mitglied der NS- DAP und der SS. Nachdem sich die SS schon im September 1943 durch den Raub von über 100 Tonnen Gold aus der italienischen Staatsbank bereichert hatte, zwang Kappler wenige Tage später mit einem Täuschungsmanöver, sie könnten damit einer Verfolgung Am 4. Juni 1944 beendete der Einzug von Truppen der 5. US-Armee unter General Clark entgehen, die jüdische Gemeinde, 50 die über acht Monate andauernde deutsche Okkupation Roms Kilo Gold abzuliefern. Dass die De- portation der jüdischen Bevölkerung in Erste Kämpfe die Vernichtung bereits feststand, war an der Porta San Paolo Kappler bekannt. Er ist darüber hinaus Rom, persönlich verantwortlich für die De- Sofort nach Bekanntgabe des Waf- portation von Zwangsarbeiter*innen fenstillstands zwischen Italien und nach Deutschland und die Ermordung offene Stadt den Alliierten am 8. September 1943 der 335 Geiseln in den Fosse Ardeati- b e gannen deutsche Truppen, Rom ne als Vergeltung für den Partisanen- Der Begriff „offene Stadt“ stammt einzunehmen. In einem spontanen anschlag in der Via Rasella. aus dem modernen Kriegsrecht und Aufstand leisteten die römische Zivil- 1948 wurde Kappler zu lebenslanger bezeichnet eine entmilitarisierte bevölkerung und Partisanen, schließ- Haft verurteilt, konnte jedoch 1977 aus lich auch italienische Militäreinheiten dem italienischen Militärkrankenhaus Zone. Der Status sollte die entschiedenen Widerstand. Dieser nach Deutschland fliehen, wo er kurz Unversehrtheit von Zivilbevölkerung ungleiche Abwehrkampf an der Porta darauf starb. und wertvollen Kulturgütern San Paolo bei der Cestius Pyramide Heute befindet sich in der Via Tasso gewährleisten und ver bot den scheiterte an der militärischen Überle- das Museo storico della Liberazione. militärischen Durchgangsverkehr. genheit der Deutschen. Die neun Monate deutscher Besatzung Aushungern Im August 1943 erklärte die Regierung bis zur Befreiung Roms am 4. Juni 1944 Badoglio Rom zur „offenen Stadt“. wurden zur härtesten Kriegsperiode Mit dem Status der “offenen Stadt” Trotz Bestätigung dieses Status’ übten für die römische Bevölkerung, die sich sollte auch die Versorgung der Zivil- Wehrmacht, SS, SD und italienische einer Kollaboration widersetzte. Sofort bevölkerung gewährleistet sein. Die Faschisten in den Folgemonaten nach dem 8. Sept. 1943 konstituierte deutschen Besatzer jedoch verur- T e rrormaßnahmen gegen die Bevölke- sich der CLN, das Nationale Befrei- sachten durch drastische Reduzie- rung aus. Deportationen der jüdischen ungskomitee, dem sämtliche Parteien rung der Brotrationen systematisch RömerInnen, Verfolgung, Folter und angehörten. Die beteiligten Gruppie- die Aushungerung der römischen Ermordung politischer GegnerInnen, rungen gingen militant und politisch B e völkerung. Razzien und Verschleppung der gegen die deutschen Besatzer und kol- Z i vilbevölkerung zur Zwangsarbeit laborierenden Faschisten vor. Beson- und willkürliche Erschießungen waren ders in den römischen Vororten gelang während der deutschen Besatzung an ihnen die vorübergehend Kontrolle der der Tagesordnung. Wohnungs wechsel Bezirke. und Briefverkehr wurden verboten, Telefonate nur an überwachten Stellen Deportation der jüdischen erlaubt. Menschen auf dem Fahrrad wurden sofort erschossen, da es sich Gemeinde in Rom um AttentäterInnen handeln konn- Ende September 1943 verschaffte sich te, umgekehrt aber war das Benzin die SS die Namens- und Adresslisten r a tioniert und es gab kaum mehr der jüdischen Bevölkerung Roms aus ö f fentliche Verkehrsmittel. Zudem der Großen Synagoge im ehemaligen verlief der militärische Nachschub an Ghetto am Tiber. Sie verhaftete am die Front im Süden durch Rom. 16. Oktober 1943 unter Obersturm-

bannführer Herbert Kappler im Ghet- Filmplakat „Roma città aperta“, R. Rossellini to und in weiteren Stadtteilen über 32 Anfang April 1944 initiierten Frauen der römischen Arbeiterviertel erste Brotaufstände und stürmten Bäcke- reien. PartisanInnen der Widerstands- gruppen verstärkten diese “Angriffe auf die Öfen” mit der Aufforderung “Fordert euer Recht zu leben ein!” Als Frauen südlich der Porta San Paolo eine Bäckerei plünderten, die die deut- schen Truppen versorgte, erschoss die SS willkürlich zehn Frauen. Seit 1997 befindet sich hierzu auf dem Ponte di Ferro ein Mahnmal.

Die Resistenza und der Anschlag in der Via Rasella

Die deutschen Besatzer konnten den Die Einschusslöcher in der Via Rasella Widerstand in Rom zunächst nicht schwächen. Obwohl sie die Bewe- j e den toten SS-Polizeisoldaten sollten Die Diskussion über das gungsfreiheit durch frühe Ausgangs- zehn Italiener getötet werden. Die Attentat in der Via Rasella sperren massiv einschränkten, Erschießungen von 330 Menschen gelangen den sozialistischen Partisa- wurden am nächsten Tag unter dem Das Attentat wie die Vergeltungsmaß- nengruppen und den kommunistischen Kommando von Kappler heimlich nahme waren ein Resultat der deut- GAP (Gruppi di azione patriotica in einer Tuffsteinhöhle, den Fosse schen Besatzung. Die Diskussion über mit Kleingruppen aus 4-5 Personen) A r deatine, in der römischen Periphe- Schuld, Ursache und Verantwortung zahlreiche militärische Aktionen und rie durchgeführt. Die Auswahl der für die Repressalie hält bis heute an A n schläge auf Besatzer, Faschisten italienischen Opfer erfolgte wahllos und wird konträr geführt. und die Infrastruktur. unter den von den Deutschen Inhaf- Das Verhältnis 1:10 entsprach nicht Im Februar 1944 wurde eine Polizei- tierten, es fanden sich Partisanen dem geltenden Völkerrecht. Nach einheit an Freiwilligen von Innsbruck darunter sowie Angehörige der Bado- dem Krieg erklärten britische Juristen nach Rom verlegt, um den antifaschi- glio-Regierung, Juden, die zur Depor- die deutsche Sühnemaßnahme als stischen Widerstand niederzuschlagen. tation bestimmt waren, und weitere „blutigen Terror und Racheakt“ und Dieses SS-Polizeibataillon mar- unbeteiligte Männer jedweden Alters. als unrechtmäßige Repressalie. schierte täglich schwer bewaffnet zu SS-Hauptsturmführer Für den Widerstand bildeten solche seinen militärischen Übungen durch strich die Namen von der Liste. terroristischen Vergeltungsakte ein er- die Innenstadt. Die kommunistischen Als sich herausstellte, dass statt der hebliches Problem. Letztendlich über- PartisanInnen der GAP beschlossen, 330 „geforderten“ Geiseln in der wog die Notwendigkeit, Faschisten in der schmalen und verkehrsarmen Schnelle 335 angeschleppt worden und den deutschen Invasor zu bekämp- Via Rasella einen Bombenanschlag waren, erschoss man auch diese, um fen. Allerdings sollte die Bevölkerung auf das Bataillon durchzuführen. Der keine Zeugen zu hinterlassen. keinen zu hohen Preis dafür bezahlen Anschlag sollte am 23. März 1944 Um den Massenmord zu verheim- müssen. Dieser Zwiespalt kennzeich- stattfinden, dem Jahrestag der Grün- lichen und Aufruhr in der Bevölkerung nete generell das Vorgehen und die dung der faschistischen Partei. zu vermeiden, wurde die Höhle an- Debatten innerhalb der Resistenza. Der Gappist Rosario Bentivegna ver- schließend gesprengt. Gleichwohl Dass die Deutschen die Repressalie kleidete sich als Straßenreiniger und blieb der Mord nicht unentdeckt. zu vertuschen suchten, zeigt jedoch schob einen Müllwagen mit der präpa- Die Frauen, Mütter und Schwestern die Einmaligkeit des Massakers von rierten Bombe zur besagten Straße. Als der Ermordeten, hielten monatelang Rom. das SS-Bataillon in die Straße einbog, W a che vor der gesprengten Höhle und Der Massenmord lähmte und schwäch- zündete Bentivegna den Sprengstoff. erreichten, dass die Toten nach der te den römischen Widerstand erheblich Bei dem Anschlag starben 33 Südtiro- Befreiung exhumiert, identifiziert und und verhinderte, dass Rom sich selbst ler Polizeiangehörige am Ort oder er- ange messen beerdigt wurden. befreien konnte, wie dies in anderen lagen später ihren Verletzungen. Auch Städten Norditaliens möglich war. zwei unbeteiligte Zivilisten fielen der Bombe zum Opfer, während die GAP Nadja Bennewitz, resistenza.de selbst keine Verluste hatte. Mahnmal zum Gedenken an die ermor- Die Deutschen schossen nach dem deten Frauen der Hungerrevolte von 1944 Weiterführende Literatur: Anschlag wild um sich, weil sie einen Robert Katz: Rom. 1943-1944. Anschlag aus den umliegenden Häu- Besatzer, Befreier, Partisanen sern vermuteten. Die Einschusslöcher und der Papst, Essen 2006 sind bis heute sichtbar und dürfen Steffen Prauser: Mord in Rom? Der nicht renoviert werden. Anschlag in der Via Rasella und die deutsche Vergeltung in den Fosse Das Massaker Ardeatine im März 1944, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 50, in den Fosse Ardeatine 2002, S. 269-301 (http://www.ifz-muen- Nach dem Anschlag beschlossen die chen.de/heftarchiv/2002_2_5_prauser.pdf) deutschen Entscheidungsträger eine grausame Vergeltungsaktion: Für 33 „Man sollte nicht nur über die Via Rasella sprechen – es war massenhafter Ungehorsam!“ Rosario Bentivegna (1922-2012) und der römische Widerstand

1941 wurde ich verhaftet. Als Medi- nicht wieder zu kommen.‘ Da habe ich zinstudent war ich vom Kriegsdienst ihm geantwortet, ‚Ja, ist in Ordnung‘, freigestellt. Doch dann erließen sie und bin gegangen. eine Sonderregelung, nach der alle In dieser Nacht wurden die faschi- Freigestellten doch eingezogen wer- stischen Parteibüros verwüstet, wir den sollten. Das passte selbst faschi- besetzten das Redaktionsgebäude der stischen Studenten nicht. So besetzten faschistischen Zeitung ‚Lavoro Fas- wir aus Protest die Universität, wo- cista‘ und ich schrieb meinen ersten raufhin viele der Anstifter verhaftet Artikel in einer richtigen Zeitung: La wurden, darunter auch ich. Nach einem Scossa – Der Aufstand. Wir druckten Monat wurden wir aber nach und nach in dieser Nacht unsere erste und letzte Rosario Bentivegna (2006) wieder freigelassen mit der Auflage, Ausgabe. Es war einfach unglaublich, nicht an politischen Versammlungen was auf den Straßen los war! Rosario Bentivegna kam in dem Jahr teilzunehmen. Die Arbeiter aber, die Dann wurde die Militärregierung von auf die Welt, als der Faschismus auch an der Unibesetzung teilgenom- Badoglio eingesetzt, die freie Presse an die Macht kam. Seine Kindheit men hatten, wurden an das Tribunale wurde wieder verboten. Wir konnten und Jugend in Rom war sowohl von Speciale, einer italienischen Variante zwar öffentlich diskutieren und es faschistischer Propaganda als auch des Volksgerichtshofes, überstellt und gab auch Demonstrationen, doch auch zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Von R e pressionen und Tote. Es war klar, von kirchlicher Indoktrination den Studenten kamen vier in die Ver- dass sich noch einmal etwas verändern geprägt. Von starker Neugier bannung, drei Kommunisten und ein musste, das lag in der Luft. getrieben, las er als Jugendlicher Anarchist. philosophische Werke, wodurch sein Bei mir zu Hause machten sie eine Auf den 8. September und den Waf- bürgerliches Weltbild ins Wanken Hausdurchsuchung und fanden dabei fenstillstand waren wir allerdings nur geriet. Der Auslöser für seine das Archiv unserer Zeitung. Insofern schlecht vorbereitet. Wenn man vom Politisierung und antifaschistische wussten die Faschisten, wer ich war. römischen Widerstand spricht, dann Arbeit waren die Rassengesetze von wird immer nur von den Kämpfen 1938. Bentivegna war damals „Es lebe die Freiheit!“ an der Porta San Paolo erzählt, von 16 Jahre alt. der Räumung des Ghettos, der Via Dann kam der 25. Juli 1943. Das weiß R a sella und den Fosse Ardeatine. ich noch ganz genau, da bekomme ich Das ist ein viel zu eng gefasster Be- „Ich war im römischen Ghetto zur heute noch Gänsehaut, wenn ich an griff von Wid erstand, man sollte viel Schule gegangen und hatte sehr viele die Freude von damals denke. Ich saß mehr allgemein über widerständiges jüdische Freunde, viele meiner Lehrer abends zuhause und spielte mit meinem V e rhalten reden. waren Juden und plötzlich waren sie Vater Schach bei Kerzenlicht, die Stadt Nicht nur an der Porta San Paolo wur- alle weg. Das gesellschaftliche Leben war ja verdunkelt. Und im Radio kam de Widerstand gegen die Deutschen verflachte durch diese ‚rassistische plötzlich die Meldung, dass der König geleistet, sondern an vielen Orten. Schandtat‘. Zusammen mit anderen den Rücktritt von Mussolini akzeptiert Meiner Meinung nach nimmt die Re- gründete ich in der Schule eine erste habe. Und ich dachte, das kann doch sistenza von Rom aus ihren Anfang. antifaschistische Organisation. Wir gar nicht wahr sein! Wir haben dann Rom ist die einzige italienische Stadt, trafen uns natürlich geheim, manchmal aus dem Fenster geschaut und man die sich von Anfang an militärisch ge- auch mit einem Lehrer, und diskutier- sah, dass hier und da auch andere Fen- gen die deutsche Besatzung gewehrt ten über tagespolitische Themen oder ster aufgingen. Aus einem Fenster rief hat. Auch in den Tagen danach hat sich über persönliche Angelegenheiten, die jemand ‚Es lebe die Freiheit!‘ und im- eine Solidarität entwickelt, eine mili- sich aus unserer Opposition zum Fa- mer mehr Lichter gingen an. tärische wie eine politische, so dass schismus ergaben. es möglich war, dass 10. 000 Soldaten Wir bekamen in der Schule nicht Karl Bei uns zuhause herrschten strenge einfach ‚verschwinden‘ konnten. Sie Marx zu lesen, aber in Ökonomie Sitten. Von wegen abends ausgehen, wurden von den römischen Einwoh- wurde er angesprochen und das hat das war alles streng reglementiert. Ich nerInnen versteckt, verpflegt und neu mich sehr interessiert. Wir begannen, sah, wie sich die Leute auf der Straße eingekleidet. Das ist das, was den rö- uns intensiver damit zu beschäftigen, sammelten und ich sagte meinem Va- mischen Widerstand ausgemacht hat: schrieben schließlich selber Flugblät- ter: ‚Ich gehe jetzt.‘ Er aber meinte, eine ‚disobbedienza di massa‘ – ein ter und haben zum Schluss sogar eine ‚Nein, du bleibst hier, das ist viel zu massenhafter Ungehorsam. Die sechs zweiwöchige Zeitung herausgegeben, gefährlich.‘ Ich war da schon 22 Jah- im CLN, dem Nationalen Befreiungs- die wir im Untergrund verteilten. re alt und ich wollte da hin. Er sagte komitee organisierten Parteien legten noch, ‚Wenn du gehst, brauchst du Waffendepots an und schufen eigene 34 militärische Strukturen. Die militä- Der Aufstand der Römer blieb jedoch risch aktivsten Gruppen waren die der aus, zumal die Front der Alliierten ins kommunistischen, der sozialistischen Stocken geriet. und der Aktionspartei, insgesamt ca. Der Angriff in der Via Rasella im 7.000 Bewaffnete. März 1944 war für uns schließlich Die ersten militärischen Aktionen ein wichtiger militärischer Erfolg. wurden gegen die Faschisten durch- Wir griffen mit zwei Gruppen an. geführt. Sie zogen oft laut singend Die erste deponierte eine Bombe mit und schwer bewaffnet durch die Stadt, 18 Kilo Sprengstoff in einem Müll- zeigten Präsenz, doch wir bekämpften karren der Straßenreinigung in der und verjagten sie. Selbst als sie sich Mitte der Straße. Die zweite Gruppe nur noch in Marschformationen durch kam mit Handgranaten. Als die Bom- die Stadt trauten, haben wir sie noch be in der Müllkarre explodiert war angegriffen. und die Deutschen aufhielt, wobei ca. Wir griffen aber natürlich auch die ein Drittel von ihnen getötet wurde, deutschen Nazis an, gleich im Herbst wurden sechs oder sieben von diesen 1943. Wir standen in Verbindung mit Handbomben geworfen, um den An- den Partisanengruppen in den Bergen griff zu ergänzen. Wir haben uns dann und führten mit ihnen gemeinsame sofort zurückgezogen und hatten keine Aktionen durch. Daraufhin wur- V e rluste zu verzeichnen. de in Rom das Ausgangsverbot auf Es war meine Aufgabe, den Müllkarren 16.30 Uhr vorverlegt. Jeden Tag gab mit der Bombe in die Via Rasella zu es Durchkämmungsaktionen, ganze schieben. Mir sind Bekannte begegnet Straßenzüge wurden abgesperrt und und ich hatte Angst, sie könnten mich Lucia Ottobrini, Carla Caponi, Marisa Musu und durchsucht und die sich versteckt erkennen. Ich sah zwar etwas anders Teresa Regard (o. links im Uhrzeiger). In Rom haltenden Männer zur Zwangsarbeit aus, mit Hut und auch ohne Brille. sind diese vier jungen Studentinnen an allen d e portiert. Aber trotzdem. Ich habe jahrelang wichtigen Attentaten der GAP direkt beteiligt. von diesem physischen ‚nackt sein‘ Nägel mit vier Spitzen geträumt. Ich hatte Alpträume, in de- bisher in Rom keine direkt auf unsere nen ich wirklich ganz nackt, also ohne Aktionen folgenden Vergeltungsmaß- Am 21. Januar 1944 landeten die Kleidung, die Straße entlang ging! nahmen gegeben. Es gab zwar immer Alliier ten in Anzio an der Westküste wieder Durchkämmungsaktionen, bei und forderten uns Römer zum Auf- Mit dem dann folgenden Massaker in denen Leute verhaftet, gefoltert, de- stand auf. In dieser Situation lehnten den Fosse Ardeatine haben wir nicht portiert oder erschossen wurden, aber wir uns sehr weit aus dem Fenster. gerechnet. Auch wenn wir natürlich nicht als direkte Antwort auf unsere Wir befreiten ganze Vorstädte von wussten, dass es Vergeltungsmaß- Aktionen. F a schisten und Nazis. Ich und ein nahmen gab, dass die Widerstands- Als die Alliierten nach Rom kamen, paar Genossen wurden in das Indus- aktionen überall in Europa grausame war ich überglücklich.“ triegebiet nach Centocelle in die Hü- Folgen für die Bevölkerung haben gel um Rom geschickt. Wir Partisanen konnten. Wir haben darüber auch Dieter Binz, resistenza.de übernahmen für sechs Wochen die im Vorfeld miteinander diskutiert: ganze Verwaltung und erfuhren große Wollen wir uns dem Terror beugen, (nach einem Interview v. 13.09.2006, Unterstützung durch die Bevölkerung. w o llen wir uns so erpressen lassen? Casa della Memoria, Rom) Die örtliche Polizei nahm von uns Und wir kamen zu dem Schluss, dass Befehle entgegen. Hier verliefen zwei wir uns nicht in die Knie zwingen las- Nach der Befreiung Roms am 4. Juni wichtige Straßen in Richtung Monte sen würden. So wie in allen besetzten 1944 heiratete Bentivegna seine Kampf- Cassino und wir griffen ständig den Ländern gegen die Nazis gekämpft gefährtin Carla Capponi (1918-2000), Nachschubverkehr der Deutschen an. wurde, wollten auch wir kämpfen. die am Anschlag in der Via Rasella Die faschistische Polizei blieb dabei Deportationen gab es ohnehin, auch und in Centocelle beteiligt war. in ihren Kasernen, wie wir es mit Verhaftungen, Folter, Erschießungen. Bentivegna kämpfte weiterhin als i h nen vereinbart hatten. Auch bildeten Trotzdem erwarteten wir keine solche Partisan in Jugoslawien bis Kriegsende. sie dort unsere neuen Partisanen an grausame Sühnemaßnahme. Es hatte Waffen aus. In Centocelle unterstanden mir immer- Willkürliche Verhaftungen nach dem Anschlag in der Via Rasella hin 140 bewaffnete Leute. Wir zogen jeden Abend los. Die Deutschen waren immer nachts unterwegs, denn tags- über befürchteten sie Luftangriff e. Wir hatten ein schlichtes, aber sehr wirk- sames Sabotagesystem entwickelt, den ‚Nagel mit vier Spitzen‘. Das waren zwei über Kreuz verschweißte Stahlstäbe, etwa fingerdick. Diese Stahlkreuze warfen wir auf die Straße und eine Spitze bohrte sich immer in einen Reifen der Lkws. So mussten sie anhalten und wir konnten sie mit nur wenigen Leuten angreifen und uns sofort wieder zurückziehen.

35 auch weiterführende Schulen zu or- ganisieren. Es wurde sogar aus dem Nichts verbotenerweise eine kleine Universität gegründet, die im Unter- grund arbeiten musste. Danach gab es immer weitere restrik- tive Verordnungen gegen Juden. Das Schlimmste war, dass niemand dage- gen protestierte.

Wir waren in unserer Familie vier Kin- der, die Eltern und zwei Großeltern. 1940 verlor mein Vater seine Arbeit und meine zwei ältesten Geschwi- ster konnten nicht länger zur Schule gehen. Sie mussten durch Gelegen- heitsarbeiten für die Familie sorgen. Ich konnte noch weiter zur Schule gehen und die Mittelschule abschlie- ßen. Deshalb hatte sich für mich nach dem Schock von 1938 nicht mehr so viel verändert, ich hatte neue Freunde in der jüdischen Schule, es gefiel mir Piero Terracina beim Zeitzeugengespräch 2006 im Museum „Via Tasso“ dort gut. Wahrscheinlich waren meine Eltern schon sehr besorgt, aber das „Es war schwer, wurde vor mir als kleinem Jungen eher verborgen. Mein Vater hat durch illegale Beschäftigungen etwas Geld seine Würde zu bewahren“ verdient, was für ihn sicher eine große Piero Terracina erzählt von der Deportation Umstellung bedeutete. Mit dem Geld, das meine Geschwister verdienten, der römischen Juden ging das Leben, zumindest in meiner Wahr nehmung, einigermaßen gut w e iter. Piero Terracina (1928-2019) wuchs lichen Bildungseinrichtungen vertrie- im faschistischen Italien auf. Er hatte, ben, wir jüdischen Kinder durften nur wie er selbst berichtet, eine glückliche noch spezielle Klassen besuchen. 50 kg Gold als Schutzgeld Kindheit. Für ihn als jüdisches Kind verschlechterte sich die Situation Ich war damals 10 Jahre alt. Über die Aber dann kam der 8. September, die erst in den späten 1930er Jahren, gesamte Grundschulzeit hatte ich im- Besetzung Italiens durch die Deut- als antisemitische Ressentiments mer dieselbe Klassenlehrerin, die ich schen. 20 Tage später wurden die Vor- in der italienischen Bevölkerung sehr mochte und die für mich auch sitzenden der jüdischen Gemeinden wie Familie war. Und eines Tages im g e sellschaftsfähig wurden. von Herbert Kappler, dem Komman- November wartete diese Lehrerin vor danten des Sicherheitsdienstes, vorge- der Schule auf mich und sagte: ‚Ter- laden. Er befahl, binnen 36 Stunden „Als die Faschisten und Mussolini racina, du darfst hier nicht mehr rein.‘ 50 kg Gold als Schutzgeld für die 1922 in Italien an die Macht kommen, Ich war wie vom Blitz getroffen. Wir j ü dische Bevölkerung Roms beizu- geschieht unter den Juden das gleiche, wurden an diesem Tag komplett von bringen. Ich erinnere mich, dass mein was in anderen Gesellschaftsschichten der Schule verwiesen. Vater total verzweifelt war. Wie sollten passierte: Manche schlossen sich den Ich war verzweifelt. Daheim wurde die Juden diese Menge aufbringen? Es Faschisten an, andere wurden Anti- viel Wert auf Bildung gelegt. Es war gab seit fünf Jahren die Rassengesetze, faschisten. Erst 1937 kommt es zu vor allem meine Mutter, die uns im- seit drei Jahren herrschte Krieg. Es einer ersten antisemitischen Kampa- mer wieder einschärfte: ‚Das Leben lebten nur noch 10.000 Juden in Rom; gne, losgetreten von der Zeitung „Il ist nicht leicht, aber wenn ihr lernt, wer konnte, war emigriert oder ge- Tevere“. Erst da merkten wir, dass wenn ihr etwas könnt, dann werdet ihr flohen, und wer bleiben musste, war sich etwas verändert hatte, dass nach im Leben größere Chancen haben.’ verarmt. Erspartes oder Wertgegen- langer Zeit wieder Ressentiments ge- Das Schlimmste aber war, dass ich alle stände waren schon längst verkauft genüber Juden geschürt wurden. Um meine Freunde auf der Schule hatte worden, um den Alltag zu bewältigen. diese neue antisemitische Stimmung und dass ich ab diesem Tag niemanden Allerdings war auch der faschistische unter das Volk zu bringen, gründeten mehr von denen gesehen habe. Und Konsens in der Bevölkerung ge- die Faschisten 1938 eine neue Zei- wenn man doch mal jemanden auf der schwunden, die Kriegsfront verlief tung, die „la difesa della razza“ („Die Straße mit den Eltern getroffen hat, jetzt mitten in Italien, es gab Bom- Verteidigung der Rasse“) hieß. dann drehten die sich weg und gingen benangriffe und Hunger. Und diese Aber es blieb nicht bei antisemitischer einfach an einem vorbei. kritischere Haltung gegenüber dem Stimmungsmache. Im September Ich kam in eine jüdische Schule. Es Faschismus hat auch wieder ein biss- 1938 kam es zu einer ersten behörd- war sehr eng dort, weil alle jüdischen chen Solidarität mit der jüdischen Be- lichen Anordnung gegen Juden. Von Kinder plötzlich in diese Schule ka- völkerung aufkommen lassen, die in einem Tag auf den anderen wurden men. Aber wir hatten hervorragende den Jahren davor vollkommen fehlte. alle jüdischen Lehrer aus den öffent- Lehrer. Und dann wurde begonnen, T a tsächlich konnten die 50 kg Gold 36 aufgebracht werden, da auch Nicht- Ich und meine Familie konnten an dauerte sieben Tage und Nächte. Am juden etwas dazu beitrugen, einen diesem Tag aus unserer Wohnung flie- Münchner Ostbahnhof haben wir ein Ring oder eine Kette, was ihnen eben hen. Aber wir wurden getrennt, weil einziges Mal Suppe vom Roten Kreuz geblieben war. Wenn die 50 kg Gold wir uns in verschiedenen Kellern ver- bekommen. Nur wenn der Zug hielt, nicht zusammen gekommen wären, stecken mussten. Ab diesem Moment konnten wir aussteigen, um unser Ab- aber nur dann (!), wäre der Vatikan lebten wir alle in unterschiedlichen teil zu säubern. Es ist schwer zu erzäh- mit einer Leihgabe eingesprungen. Verstecken mit der permanenten len, wie schnell man sich als Mensch Kappler gab daraufhin sein Ehrenwort, Angst, dass wir erkannt und verraten gehen lässt, wenn man tagelang in dass den Juden nichts passieren würde, werden konnten. Und das geschah seinem eigenen Kot und Urin liegt. und mein Vater, der am Ersten Welt- dann auch. krieg teilgenommen hatte, sagte: ‚Wir Über sieben Monate hatten wir es können beruhigt sein, ein Offizier wird geschafft, so zu überleben – bis zum Ich bin überzeugt, dass Papst nie sein Ehrenwort brechen.’ Aber nur April 1944, bis zum jüdischen Oster- Pius die Deportationen hätte 20 Tage später, am 16. Oktober 1943, fest. Mein Vater schlug vor, dass wir verhindern können kam es zur großen Razzia gegen die an diesem Tag alle für das traditionelle Juden. Im Morgengrauen wurde das Ostermahl zusammenkommen sollten. jüdische Viertel von deutschen Trup- Da Ostern eines der wichtigsten jü- In Auschwitz wurden wir aus den pen umstellt und im Lauf des Tages dischen Feste ist, haben wir seinem Waggons getrieben, die SS mit ihren die Aktion auf die ganze Stadt aus- Vorschlag zugestimmt. Hunden schlug mit Schlagstöcken auf geweitet. Und ich muss leider sagen, Und dann ist abends die SS gekom- uns ein. In den Waggons war meine dass die Deutschen dabei Hilfe von men. Es hat geklopft, meine Schwe- Familie getrennt gewesen, die Männer Leuten bekamen, die ihnen zeigten, in ster ist an die Tür gegangen und kam in einem Waggon, die Frauen in einem welchen Häusern Juden wohnten. An völlig verstört mit einem SS-Mann anderen. Bei der Ankunft suchte ich diesem 16. Oktober wurden insgesamt hinter sich ins Wohnzimmer zurück. erst Mal nach meiner Schwester und 1.252 Menschen verhaftet. Der hat ein Papier vorgezeigt, auf dem meiner Mutter, ich hatte ja auch den in Italienisch stand: ‚20 Minuten zum alten Großvater dabei. Trotz der Schlä- Die Gefangenen wurden in eine Sachen packen.’ Meine Schwester ge und der Hunde haben wir uns als K a serne, das Collegio Militare, ge- versuchte, den SS-Mann zu überzeu- Familie zusammengefunden. Als sie sperrt, das nur 300 m vom Vatikan gen, dass wenigstens unser Großvater, uns wieder nach Männern und Frauen entfernt lag. Zwei Tage später wurden der 84 Jahre alt war, verschont bliebe, trennten und in Reihen aufstellten, sie zur Station Tiburtina gebracht und der aber schrie nur: ‚Raus!’. Unter den sagte meine Mutter: ‚Geht mal ruhig.’ dort in Waggons verladen. Warum Personen, die auf der Straße herum Nach und nach, im Laufe der Monate, erst zwei Tage später? Dies wurde standen, erkannte meine Schwester ei- verlor ich dann meinen Onkel, der se- direkt aus Deutschland von Himmler nen Jungen wieder – offenbar derjeni- lektiert wurde, und meine Brüder, die angeordnet, als Test, um zu sehen, ob ge, der uns verkauft hatte. 5.000 Lire in andere Lager kamen. Am Ende war der Vatikan protestieren würde. Aber bekam man damals dafür. Der Junge ich alleine und sehr verzweifelt. da der Vatikan in keinerlei Weise hatte sie angesprochen, als sie Ein- r e agierte, gab Himmler den Befehl zur käufe für unser Abendessen machte. Ich erzähle nicht von Auschwitz, das Deportation. Ich bin überzeugt, dass Meine Schwester hatte diesen Jungen ist zu schmerzhaft und zu beschämend. wenn Pius XII. den Vatikan verlassen abgewiesen, und er wollte sich wohl Ich erinnere mich, dass meine Vater und sich die paar Meter vor dieses rächen. im Gefängnis in Rom gesagt hatte: Militärgebäude begeben hätte, er hätte Wir kamen in das Durchgangslager ‚Ich bitte euch, verliert niemals eure verhindern können, dass man diese Fossoli. Gut war es nicht bewacht, Menschenwürde.’ Aber das ist nicht so Menschen deportierte. Partisanen hätten uns rausholen kön- einfach, wenn man Hunger hat. Wenn Am 23. Oktober kam der Zug in nen. Die Bevölkerung wusste von dem man seinen Peiniger anfleht, etwas Auschwitz an. 149 Männer und Lager, es führte eine Straße vorbei, es mehr zu essen zu bekommen, dann 49 Frauen überlebten die Selektion gab Felder ringsherum, die Bauern verliert man seine eigene Würde. an der „Judenrampe“. Alle anderen arbeiteten dort. Von Fossoli kamen wurden am selben Tag vergast und wir in Viehwaggons ohne Wasser und Als ich im Dezember 1945 zurück v e rbrannt. Nur 15 Männer und eine ohne Essen nach Auschwitz. Die Reise kam, war niemand da. Niemand war Frau kehrten aus Auschwitz zurück. zurückgekommen. Und ich war aufs Neue total verzweifelt. Neu verlegte Stolpersteine im ehemaligen Ghetto in Rom, 2020 Danach ist ein anderes Leben losge- gangen ...“

Piero Terracina ist im Alter von 91 Jahren am 8. Dezember 2019 in Rom gestorben.

Dieter Binz, resistenza.de

(nach einem Interview v. 14.09.2006, Museo storico della liberazione, Rom)

Buchtipp: "Warum Piero Terracina sein Schweigen brach" Matthias Kaufmann, Georg Pöhlein, Andrea Pomplun (Hg.) Erich Weiß Verlag, Bamberg 2013 incl. Hör-CD 37 Lia Finzi (Jg. 1928) ist stellvertretende Präsidentin des Instituts für Widerstand und Zeitgeschichte in Venedig (IVESER). Sie hat die Shoa im Exil überlebt. Als mit der deutschen Besetzung Venedigs im September 1943 die Deportation jüdischer ItalienerInnen in die Vernichtungslager begann, musste auch sie ihre Geburtsstadt verlassen. Sie lüchtete mit ihrem Vater und ihrer Schwester in die Schweiz, was etwa 5.500 i t alienischen Juden gelang. Lia Finzi bei einem Zeitzeugengespräch in Venedig 2009 „Ich war ein ganz normales Mädchen, nicht mehr und nicht weniger“ Lia Finzi über Faschismus und deutsche Besatzung in Venedig

„Bevor 1938 in Italien die Rassenge- öffentlichen Ämtern entlassen und haupt nicht, was da vor sich ging. Ich setze eingeführt wurden, waren wir aus den freien Berufen entfernt, wie kam nach Hause. Auch meine fünf Juden wie alle Italiener; mancher war Anwälte, Ingenieure und Ärzte. Alle Jahre ältere Schwester, die auf die sogar Faschist, um Arbeit zu bekom- Lehrkräfte wurden aus den Schulen Oberschule ging, war bereits da. Sie men oder auch aus ideologischen Mo- und Universitäten entlassen, ebenso war völlig niedergeschlagen, weil kein tiven. Obwohl natürlich die meisten mussten alle jüdischen Schulkinder einziger Lehrer für sie Partei ergriffen aus offensichtlichen Gründen antifa- und Studierenden ihre Lehrstätten hatte. Auch ihr hatte niemand begrün- schistisch eingestellt waren. Bei mir verlassen. det, weshalb sie die Schule verlassen zu Hause waren wir jedenfalls alle An- Das waren schwerwiegende Ein- sollte. Mein Vater hat versucht, es uns tifaschisten. Aus der Zeitung und dem schnitte im Leben der Einzelnen, die zu erklären, aber was sollte ein 10- Radio haben wir erfahren, was sich in dadurch schlagartig arbeitslos wurden. jähriges Mädchen da schon verstehen, Deutschland seit 1933 abspielte. Auch mein Vater verlor seine Anstel- wenn sie nicht mehr mit ihren Schul- Die Italiener haben ihre rassistischen lung als Buchhalter und versuchte, uns freundinnen zusammen sein durfte? Gesetze schon 1936 in Italienisch- als Steuerberater für Privatpersonen Das hat mich total verwirrt und aus Ostafrika („Africa Orientale Italiana“), über Wasser zu halten. der Bahn geworfen. Hinzu kam, dass dem italienischen Kolonialgebiet, sich nun auch meine Freundinnen von ausprobiert. In Afrika durften keine so Auch so genannte Mischehen wurden mir abwandten, sie wollten nicht mehr genannten Mischehen zwischen Be- verboten. Und es gab Vorkehrungen, mit mir zusammen sein und riefen mir satzern und Einheimischen geschlos- die völlig lächerlich waren, hätte es et- Schimpfworte auf der Straße hinter- sen werden. Einheimische Kinder was zu lachen gegeben. So waren wir her, was mich schwer getroffen und durften nicht die gleichen Schulen wie vollständig aus den Telefonbüchern verletzt hat. italienische besuchen. Das waren ras- getilgt worden. Es gab dort einfach Durch die Entlassung aller jüdischen sistische Bestimmungen, wie sie dann keine jüdischen Menschen mehr! Uns Lehrkräfte standen diese nun der ähnlich gegen die jüdische Bevölke- wurde verboten, ein Radio zu besitzen j ü dischen Gemeinde zur Verfügung. rung in Italien eingeführt wurden. und wir durften nicht mehr an den So wurde eine kleine private Schule So genannte Wissenschaftler fasel- Strand gehen. Nicht mehr am Lido ba- gegründet. Die Volksschule befand ten etwas von einer arischen Rasse, den gehen zu dürfen war für uns Kin- sich im Ghetto, die Oberschule in der einer italischen Rasse, zu der Juden der … es war einfach unglaublich! Nähe von San Marco. Ab der sechsten nicht gehörten. Öffentlich gemacht Klasse bin auch ich, zusammen mit wurden diese Aussagen in dem ‚ma- 1938 war ich zehn Jahre alt und sollte meiner Schwester, dorthin gegangen. nifesto della razza‘, dem ‚Rassenma- in die fünfte Klasse kommen. Ich war Wir waren 40 Schulkinder jeden Al- nifest‘. Damit wurde die Ideologie in ein ganz normales Mädchen, nicht ters. Wir bildeten Klassen mit zwei, die Bevölkerung hinein getragen, in mehr und nicht weniger. Ich war nur drei oder fünf Schülern. Toll war, dass B e hörden und in die Schulen. dem Namen nach jüdisch, weil unsere wir die besten Lehrerinnen und Leh- Die Ausgrenzung erfolgte stufen- Familie sehr laizistisch war. Ich wuss- rer überhaupt hatten, darunter selbst weise. Zunächst wurde über eine te wenig von Glauben und jüdischer Universitätsprofessoren, die man ja Volkszählung festgestellt, wer über- Kultur. Aber da ich offiziell als jü- auch entlassen hatte. Erst hier lernte haupt jüdisch sei. Im nächsten Schritt disch galt, sagte meine Lehrerin 1938 ich meine jüdischen Wurzeln kennen, wurden nicht italienische Juden in zu mir: ‚Morgen kannst du nicht mehr ich habe fünf Jahre lang hebräisch stu- Internierungslager eingewiesen. Dann zur Schule kommen‘. Nichts weiter diert, wodurch mir auch die jüdische wurden alle italienischen Juden aus erklärte sie mir und ich verstand über- Kultur näher gekommen ist. 38 Als die Deutschen im Herbst 1943 auch wurden also sicherlich von Italienern Lia Finzi machte in der Nachkriegs- unsere Stadt besetzten, versuchten begleitet. Die meisten Venezianer aber zeit eine Ausbildung als Lehrerin und viele jüdische Venezianer nach Süd- waren gleichgültig, sie sahen zu und begann sich politisch zu engagieren. italien zu den Alliierten zu flüchten. unternahmen nichts. Meine Nachbarn Sie wurde Mitglied des Landrats Am 1. Dezember wurde proklamiert, kannten unsere Geschichte und hat- und arbeitete auf kommunaler Ebene dass alle jüdischen Italienerinnen und ten mich aufwachsen sehen. Ich weiß als Referentin für Gesundheit und Italiener in Lager gebracht würden. nicht, was sie dachten, als ich plötz- S o ziales. In ihrer Amtszeit wurden Wir wussten nicht, was Vernichtungs- lich verschwunden war. Fürsorge- und Unterstützungsmaß- lager waren; wir dachten, es handle Freunde liehen uns Geld, um die nahmen eingeführt, wie es sie bis dato sich um Arbeitslager, so erzählte man Schleuser zu bezahlen, und unter noch nicht gegen hatte, so Kindergär- es sich bei mir zu Hause. großen Schwierigkeiten erreichten wir ten, Beratungsstellen für Familien, Mein Vater war der Überzeugung, dass die Schweiz. Die Schweizer wollten ältere Menschen und Minderjährige. wir Venedig unverzüglich verlassen uns sofort zurückschicken, aber das müssten. Wir hatten erfahren, dass die ist eine andere Geschichte. Wir kamen Trotz dieser E i nschränkun gen Nazis im Oktober die römischen Ju- dort in ein Internierungslager und man den verschleppt hatten. Jemand hatte verbot uns zu arbeiten. konnten wir uns mit dem Leben sie auf dem Weg nach Deutschland in arrangieren, denn: wir lebten! einem verplombten Zug in Padua ste- Als ich wieder nach Venedig zurück- hen sehen. Man hatte Hände gesehen, kam, war ich 17 Jahre alt. Unsere Lia Finzi arbeitet noch immer als die aus den Viehwagen kleine Zettel Wohnung und unser gesamter Besitz Zeitzeugin an Schulen und mit jungen mit Nachrichten warfen, aber wir ver- waren weg, aber vor allem war meine Erwachsenen. Zuletzt erschien 2014 „Ich war ein g standen noch immer nicht, wohin man Mutter nicht mehr da. Sie war zehn ein Film über ihre Arbeit als Erzie- sie bringen würde. Wir hofften, man Tage nach unserer Abreise gestorben. herin im venezianischen Waisenhaus würde sie zur Arbeit zwingen, was wir Viele Freundinnen und Freunde waren „Francesco Biancotto“, einer Initia- nicht mehr und nicht weniger schlimm genug fanden. weg, niemand kam mehr zurück. tive ehemaliger Partisanen für Kinder, Wir beschlossen, in die Schweiz zu ge- Aber mit 17 hat man trotz alledem deren Eltern im Befreiungskampf er- und deutsche Besatzung in Venedig hen, mein Vater, meine Schwester und Lust zu leben, all die verlorenen mordet worden waren. Hier fanden die ich. Ich komme aus einer ‚Mischehe‘, Jahre wieder aufzuholen, man will verwaisten Kinder, die im Krieg selbst meine Mutter, deren Vater Anarchist nach vorne schauen. Mein Vater ist Furchtbares erlebt hatten, Aufnahme war, war Katholikin und damit un- D i rektor der Fabrik geworden, in der und Zuneigung, sie erhielten Bildung, gefährdet. Da sie chronisches Asthma er früher gearbeitet hat. So hat er zu- die auf antifaschistischen und demo- hatte, war uns allen klar, dass sie die mindest auf beruflicher Ebene eine kratischen Grundsätzen basierte. Flucht in die Schweiz nicht schaffen gewisse Entschädigung bekommen. würde. Unser Haus allerdings haben wir nicht Nadja Bennewitz, resistenza.de Viele versuchten zu flüchten, auch in mehr zurückbekommen. Drei Jahre die Schweiz wie wir. Nicht alle kamen lang haben wir bei Freunden gewohnt, Weiterführende Literatur: dort an, denn es war nicht einfach, die uns aufnahmen. Erst vor kurzem, Giulio Bobbo: Widerstand in der Lagune. man musste Schleuser finden und also zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Venedig und das venezianische Festland, sie vor allem auch bezahlen können. wurde ein Gesetz erlassen, mit dem in: la resistenza. Beiträge zu Faschismus Viele aber gingen nicht fort, aus Un- wir für die drei Jahre entschädigt wer- und deutscher Besatzung in Italien (3), wissenheit, aus Geldmangel, aus fa- de sollten, dafür, dass man uns von der 2006, S. 26-27 miliären Gründen. Sie wollten ihre Schule und den Arbeitsstellen verjagt Gudrun Jäger / Liana Novelli-Glaab (Hg.): Alten, ihre kleinen Kinder, ihr arm- hatte.“ ... denn in Italien haben sich die Dinge seliges Geschäft nicht zurücklassen. (Interview v. 09.06.2006, anders abgespielt. Judentum und Anti- In der Nacht zum 5. Dezember haben Museo Ebraico di Venezia) semitismus im modernen Italien, Berlin sie die ersten 246 Juden weggebracht, 2007 Michele Sarfatti: Die Juden im fa- darunter einen Säugling, 40 Tage alt. schistischen Italien. Geschichte, Identität, Alle wurden aus Venedig deportiert, Verfolgung, Berlin 2014 die Alten aus dem Altenheim, der blinde Rabbiner, die Versehrten aus Die Brücke ins Ghetto Vecchio in Venedig. dem Krankenhaus und die Menschen Das Haus rechts nach der Brücke war die Grundschule von Lia Finzi aus den Psychiatrien auf den Inseln. Niemand kam mehr zurück. Zum Glück kann ich aber auch davon berichten, dass es Menschen gab, die geholfen haben und sich dabei selbst in Gefahr brachten, und dass Men- schen überlebten, so wie ich. Auch mir hat jemand geholfen, sonst wäre ich jetzt nicht hier. Doch es gab auch Spitzel und Kol- laborateure, denn für jeden gefange- nen Juden gab es 5.000 Lire, für jede jüdische Frau 3.000 Lire – weil die Frauen ja weniger wert sind, nicht wahr? Es gab viele Denunzianten, denn die Deutschen konnten sich in Venedig alleine nicht zurechtfinden und das Straßensystem entwirren, sie

39 „Wir werden die Stadt nicht verlassen!“ Der Frauenaufstand von Carrara am 7. Juli 1944

Scheitert die Umbenennung von Straßen oftmals am hartnäckigen Widerstand alter Gewohnheiten, war man sich in Carrara schnell einig. Hier wurde die sonst in nahezu jeder italienischen Stadt unverzichtbare „Via Garibaldi“ schon vor langer Zeit zum Gedenken an diesen Tag in „Via 7 luglio“ umbenannt. Am Marktplatz „Piazza delle Erbe“, von dem der Aufstand der Bewohnerinnen gegen die deutsche Besatzung seinen Ausgang nahm, indet sich heute eine Gedenktafel „für den siegreichen Protest der Frauen von Carrara“, die „es gewagt hatten, den Feind Elena Pensierini, Jg. 1924:„Unter Francesca Rolla (1915 – 2010), soll. Wenn ihr nicht gehen wollt, den Frauen hatte sich schon tiefe Partisanin: „Dann sind wir dann müsst ihr mit uns kommen. herauszufordern“. Auch ein Kriegsmüdigkeit breit gemacht schließlich weiter auf den Markt- Und dann sind sie mitgekom- Monument, seit 1974 im und so war es nicht schwer, sie platz (Piazza delle Erbe) gezogen, men, die meisten zumindest. Zentrum der Stadt, mit dem auf unsere Seite zu ziehen. Es um dort alles aufzumischen und Andere haben erst noch über- Titel „Die Frau im Widerstand“, wäre schließlich für uns alle ein die Marktfrauen zum Mitge- zeugt werden müssen, haben ist den Aktivistinnen des Drama gewesen, unsere Häuser, hen zu bewegen; wir haben die sich uns aber kurze Zeit später zivilen Widerstands gewidmet: unseren persönlichen Bezugs- Schulen schließen lassen, die angeschlossen. Die Deutschen Wo sonst manifestiert sich punkt im Leben verlassen zu Geschäfte, alles, denn wir sagten haben es dann wirklich mit der Frauengeschichte derart offensiv müssen, schlimmer noch als den Leuten: Heute ist der Tag, Angst zu tun bekommen.“ in der Öffentlichkeit wie in die Bomben und der Hunger.“ an dem Carrara geräumt werden rechts: Pina Menconi diesem als Stadt des Marmors bekannt gewordenen Ort an der Gemeinsam den Räumungs- ten. Die Frauen, die sich uns anschlos- t o skanischen Mittelmeerküste? befehl verhindern sen, wurden in Gruppen aufgeteilt und jeweils von einer Partisanin angeführt. Noch 2004 erinnern sich die nach wie So fanden wir uns alle auf der Piazza vor politisch aktiven Zeitzeuginnen delle Erbe ein. Von dort aus bewegte Hält man sich die Tragweite des aus Carrara an diese Tage im Juli: sich unserer Zug zum alten Rathaus.“ A u fstandes vom Juli 1944 vor Augen, „Am 7. Juli gab das deutsche Kom- Vor dem deutschen Kommando ange- braucht das Andenken an diesen Frau- mando, das Carrara besetzt hatte, den kommen, riefen die Frauen Sprech- enprotest nicht weiter zu verwundern: Befehl, die Stadt zu evakuieren. Wir chöre gegen die Räumung. Der Zug Dass die Frauen die geplante Evaku- aktiven Frauen waren schon vorab war mittlerweile auf mehrere hundert ierung Carraras durch die deutsche vom Nationalen Befreiungskomitee Personen angewachsen, die Transpa- Besatzungsmacht verhindert hatten, darüber informiert und aufgefordert rente mit Aufschriften wie „Wir wer- ermöglichte den militärischen Wider- worden, uns dagegen zur Wehr zu set- den die Stadt nicht verlassen!“ mit sich stand in dieser Gegend bis zur endgül- zen. In Carrara wohnten damals rund trugen. tigen Befreiung im April 1945. Wäre 100.000 Menschen, die, wenn es nach Die Schilderungen der beteiligten Zeit- die Stadt geräumt worden, hätten die den Deutschen gegangen wäre, wie die zeuginnen machen deutlich, wie sich PartisanInnen nicht länger Widerstand Schafe über den Apennin hätten ge- die Frauen in diesem Moment ihrer leisten können. Ohne Rückhalt und trieben werden sollten. Wir haben uns Stärke bewusst wurden: „Die Frauen Unterstützung durch die Zivilbevöl- in verschiedene Gruppen aufgeteilt waren fest entschlossen, gemeinsam kerung beispielsweise in Form von und sind sofort am nächsten Morgen den Räumungsbefehl zu verhindern. Lebensmittel- und Kleiderlieferungen zwischen 7 und 8 Uhr von Haus zu Unser Vorgehen beeindruckte nicht oder der Informationsübermittlung Haus gegangen und haben die Frauen nur die ganze Stadt, sondern auch die konnte sich der bewaffnete Widerstand aufgefordert auf die Straße zu gehen Deutschen. Die Verhaftung von einigen nicht lange halten. Doch genau die- und alle zusammen vor das deutsche aus unseren Reihen konnte uns nicht sen Widerstand zu brechen hatten die Kommando zu ziehen“, erzählt eine mehr aufhalten, im Gegenteil: Dies be- Deutschen mit ihrem Räumungsbefehl Zeitzeugin. stärkte uns nur in unserem Vorgehen.“ vom 7. Juli 1944 bewirken wollen, und Francesca Rolla, 2004 Präsidentin der Vergeblich versuchten die Deutschen genau das war von den Bewohnerinnen Frauenorganisation der Partisanenver- mit Gewalt die Frauen zu verjagen. verhindert worden. einigung (A.N.P.I.) in der Provinz Car- Schließlich wurde eine Abordnung rara, erzählt weiter: „Wir warnten alle, aus den Reihen der Protestierenden dass die Deutschen ihre Laster schon zum deutschen Kommando vor- auf der Piazza Farini bereitgestellt hät- gelassen. Sie erhielt das Versprechen, 40 Wir wurden von einer inneren Not- wendigkeit getrieben. Denn es ist – für viele – eine Notwendigkeit sich frei zu fühlen und für die vorenthaltenen Frei- heiten zu kämpfen. Und wir Frauen hatten noch mehr Gründe dazu. Der Faschismus war das Gegenteil von dem, was wir wollten. Lesen, studie- ren, uns ausbilden, etwas über die Welt erfahren ...“

Eine Besonderheit der Kriegssituation in den Apuanischen Alpen an der Gren- ze zwischen der Toskana und Ligurien war die Lebensmittelknappheit, da in dieser Gegend kaum Landwirtschaft möglich ist. In allen Erinnerungen, ob von Frau oder Mann, tauchen die Züge Wandgemälde in Carrara von Francesca Rolla der Frauen auf, die mit dem Fahrrad oder zu Fuß den Apennin überquerten, dass der Räumungsbefehl aufge- Bewegung sehr stark, sicherlich zu- um in der landwirtschaftlich reicheren hoben werde. Doch schon am näch- rückzuführen auf das starke Selbst- Region Emilia Romagna Salz gegen sten Morgen wurde der Befehle zur bewusstsein der Marmorarbeiter, die Mehl einzutauschen. Auch diese Züge Evakuierung der Stadt wieder plaka- der Massenorganisation durch die wurden von den Frauenverteidigungs- tiert. Auf den neuerlichen Protest der Kommunisten individuelle Politik- gruppen organisiert. Angriffe von Die- Frauen vorbereitet, hatte man an den und Widerstandsformen vorzogen. besbanden und Beschlagnahmung der Straßen ecken Soldaten mit Maschi- Maria Marconi erzählt: „Ich bin 1922 Ware auf dem Nachhauseweg durch nengewehren aufgestellt. Doch dies als siebtes Kind geboren. Mein Vater die Faschisten erschwerte diese oh- brachte die Frauen nur noch mehr auf. war Anarchist, meine Mutter ebenso. nehin mühsame und schwierige Form Erneut kam es zu einem Massenauf- Ich musste ganz einfach auch aktiv der Nahrungsmittelbeschaff ung. Pina lauf, dessen Ausmaß die Deutschen werden, verstehst du?“ So stark die Menconi musste während der Ab- überrumpelte. Stundenlang blockierten anarchistische Bewegung unter den wesenheit ihrer Mutter Lea Ciolli als die Frauen die Straße. „Endlich, da wir Marmorarbeitern war, so stark wurde Älteste auf ihre kleineren Geschwister nicht aufgaben, kapitulierte das deut- in Carrara umgekehrt der Faschismus a u fpassen. sche Kommando am 11. Juli“, so eine von den Unternehmern der Marmorin- der Beteiligten. Das Räumungsvor- dustrie finanziert. Dass die Frauen die haben der Deutschen wurde nun end- E v akuierung Carraras gültig aufgegeben. Die Aktivstinnen unter den Antifa- schist*innen waren auch hier, wie im v e rhindert hatten, ermög- Als es im Sommer 1944 zu diesem restlichen von den Deutschen seit Sep- lichte den militärischen Frauen aufstand von Carrara gegen die tember 1943 besetzten Italien, in den W i derstand bis zur deutsche Besatzung kam, waren viele so genannten Frauenverteidigungs- e n dgültigen Befreiung der daran Beteiligten schon vorab po- gruppen (gruppi di difesa della donna) litisiert gewesen. Wie Marisa Ombra, organisiert. Aufgabe der Gruppen war Sie erinnert sich, wie sie nach einigen die in einer Partisan*inneneinheit mit- es, politische und strategische Informa- Tagen an der Straße auf ihre Mutter kämpfte, erklärt, hatten die meisten tionen an die Partisan*inneneinheiten wartete und die zurückkehrenden Frauen bereits durch eine familiäre weiterzuleiten und die Verbindungen Frauen ängstlich nach ihr fragte. Die antifaschistische Prägung klar gegen untereinander aufrechtzuerhalten. Frauen konnten durch die beschwer- Faschismus und nationalsozialistische Auch Sabotage wurde von ihnen be- lichen Märsche die Versorgung von Gewaltherrschaft Position bezogen. trieben, indem sie z. B. Proklamati- bis zu 120.000 Menschen in Carrara A n ders als im restlichen Norditalien onen oder Aufrufe der faschistischen gewährleisten und so auch den Wider- war in Carrara die anarchistische Republik von Saló, sich zum Militär stand über den harten Winter 1944/45 zu melden, übertünchten und unkennt- hinweg ermöglichen. Frauen wie Lea lich machten oder Straßenschilder Ciolli ist das bereits erwähnte Denk- verstellten, um die gegnerischen Trup- mal „Die Frau im Widerstand“ in Car- penbewegungen zu behindern. Die rara gewidmet. Mittel dieser in der Regel unbewaff- neten Frauen im Widerstand gegen die Nadja Bennewitz, resistenza.de Nazibesatzung waren Irreführung und Verkleidung. Dina Bacciola erinnert Die Berichte der Zeitzeuginnen sind sich: „Eine Frau, die uns Waffen für folgenden Büchern entnommen und den Weitertransport an die Partisanen von N. B. übersetzt worden: überbrachte, hatte die Gewehre wie ein Amministrazione Provinciale di Baby in Windeln gewickelt, sogar ein Massa-Carrara: A Piazza delle Erbe! Mützchen hatte sie übergezogen und L‘amore, la forza, il corraggio del- alles mit einer Decke zugedeckt.“ le donne di Massa-Carra, 1996; Die Motivation dieser aktiv am Wi- Lindi, Letizia/ Rasetto, Maria Rita: derstand beteiligten Frauen erklärt Le donne del VII luglio, in: A.N.P.I. Francesca Rolla folgendermaßen: Carrara: La meglio gioventú. La „Nein, Heldinnen waren wir nicht. memoria che resiste, 2004. 41 Gogliardo Fiaschi (mit Fahne) beim Einmarsch in Modena Carrara – Marmorstadt und Zentrum des anarchistischen Widerstands

der 20er Jahre floh er nach mehreren „Das Bataillon Lucetti Übergriffen der Faschisten nach Frankreich. In Paris gründete er mit anderen die antifaschistische Sam- ist libertär und sonst nichts ...“ melbewegung und die italienische Der Friedhof Turigliano in Carrara ist die letzte Ruhestätte der Liga für die Menschenrechte. Für Anarchisten geworden. Anfangs war dort nur das Grab des Mussolini- die spanische Republik kämpfte er in der Kolonne Rosselli. Wieder in Attentäters Gino Lucetti. Als sein Genosse später eines natürlichen Frankreich wurde er bis zum Ende Todes starb, wollte er an Lucettis Seite beigesetzt werden. So haben des Jahres 1943 interniert. Zurück in sich hier im Laufe der Zeit Persönlichkeiten der anarchistischen Italien leitete er in Carrara nach der Bewegung eingefunden. Beispielsweise Giuseppe Pinelli, der sich als B e freiung den Gewerkschaftsbund Jugendlicher der Resistenza anschloss und Anfang der sechziger Jahre und gab das libertäre Gewerkschafts- die Gruppe Sacco und Vanzetti ins Leben rief. Deren Lokal war der erste blatt „Der Mamorarbeiter“ heraus. Treffpunkt der Mailänder AnarchistInnen. 1969 kam Pinelli ums Leben, als er während eines Verhörs aus dem vierten Stock des Mailänder Das Denkmal ist eine der Stationen, P o lizeipräsidiums „iel“. Die Polizei suchte die Verantwortlichen für das zu denen Alfonso Nicolazzi Besu- Massaker der Piazza Fontana, das sich später als Werk der Faschisten cherInnen von Carrara auf seinen herausstellte, zielsicher im linken Spektrum und beschuldigte Pinelli. Rundgängen zur Geschichte des Wi- derstands geführt hat. Bis zu seinem Dario Fo widmete seine weltbekannte Farce diesem Tod am 24. September 2005 war „zufälligen Tod eines Anarchisten“. Nicolazzi auch außerhalb Italiens eine bekannte Persönlichkeit der an- Carrara liegt nordwestlich von Pisa den, ließ man die großen Quader mit archistischen Bewegung und in der in den Apuanischen Alpen und ist Seilen den Hang hinabrutschen. Dabei Internationale der Anarchistischen weltweit bekannt als „Stadt des Mar- wurden immer wieder Arbeiter durch Föderationen (IAF) aktiv. Vor Ort or- mors“. Die Geschichte der Stadt ist rutschende Marmorblöcke regelrecht ganisierte er sich in der „Federazione maßgeblich von den harten Arbeitsbe- zerquetscht. Heute werden die Blöcke Anarchica Italiana“ (FAI). Anfang der dingungen beim Abbau des kostbaren mit Diamantdraht geschnitten und auf 70er Jahre schmiss er seinen Beruf als Steins geprägt. Bereits die Sklaven- großen LKWs in engen Serpentinen Fluglotse bei AlItalia. Mit der Abfin- arbeiter Roms mussten die Marmor- hinab gefahren. dung baute er ein neues Projekt auf: blöcke aus dem Fels brechen. Sie „Nach der 68er Bewegung waren wir trieben dazu aufquellende, mit Wasser Neben den Gräbern auf dem Friedhof voll von Enthusiasmus. In Italien gab übergossene Holzkeile in mühsam finden sich in Carrara noch weitere es keinen Ort, wo die anarchistische geschlagene Schlitze. Im 18. Jahrhun- Spuren von Anarchisten. An der Piazza Bewegung sich entsprechend organi- dert wurde der Abbau unkontrolliert Gramsci erinnert ein Denkmal an den sieren und ausdrücken konnte. Also und wenig effektiv mit Schwarzpulver Anarchisten Alberto Meschi (1879- haben wir angefangen diese Drucke- betrieben. Unter den Großgrundbe- 1958), der 1905 nach Argentinien aus- rei zu gründen“. Viele Leute haben sitzern im 19. Jahrhundert sägten die wanderte und dort einer der Anführer im Laufe der Zeit im Druckkollektiv Arbeiter mit der Hand ein paar Zen- der libertären und gewerkschaftlichen mitgearbeitet. Nicolazzi blieb bis zum timeter pro Tag. Besonders der Ab- Bewegung wurde. Vier Jahre später Schluss und arbeitete die letzten 30 transport der großen Blöcke war eine wurde er ausgewiesen und kehrte nach Jahre für die wöchentlichen FAI-Zei- halsbrecherische Angelegenheit: Auf Italien zurück. In Carrara begleitete er tung „Umanità Nova“. Nun liegt auch eingeseiften Holzstämmen rollend, die als Gewerkschafter die Arbeitskämpfe er in T u rigliano. Es war eine große immer wieder vorne untergelegt wur- in den Marmorsteinbrüchen. Anfang Beerdigung mit vielen Leuten. 42 Eineinhalb Jahre vor seinem Tod e i ner Aussperrung der Marmorarbeiter. trafen wir ihn zum Auftakt eines Jemand erzählte dort von der Kampf- Stadtrundgangs im „Circolo Cul- gruppe „Elio“, die bei einem Kampf Gino Lucetti turale Anarchico Gogliardo Fiaschi“, bei Torrione 82 Deutsche gefangen benannt nach dem jüngsten Partisan nehmen und gegen Partisanen austau- und das Attentat von Carrara. Im Alter von 13 Jahren, schen konnte. „Aliberti“, „Pelliccia“ er frisierte seine Dokumente auf 15, und „Schirru“ nannten sich die ande- auf Mussolini schloss sich Gogliardo Fiaschi im Sep- ren anarchistischen Formationen, die tember 1943 dem Widerstand an. Mit- in der Gegend aktiv waren. ten im darauf folgenden Winter begab 11. September 1926: Ein junger Mann er sich auf den Weg durch die deutsche Nach dem Faschismus schlossen sich wirft in Rom auf der Piazza Porta Pia Gotenlinie zu den Alliierten an der Italiens AnarchistInnen in der FAI eine Handgranate auf das Auto des S e ravezza-Front, die ihre Offensive zusammen. Die Föderation gab rund faschistischen Diktators Mussolini. bis April aufgeschoben hatten. Trotz fünfzehn Zeitschriften heraus, hatte Die Granate prallt jedoch am gepan- der ständigen Gefahr von allen Sei- ihren größten Einfluss in Mailand zerten Fenster ab und explodiert hinter ten, der deutschen Besatzungsmacht, und Genua, doch Carrara wurde zu dem Wagen auf der Straße. Mussolini den italienischen Faschisten und den ihrem Zentrum. Anarchistische Koo- ist unverletzt. Gino Lucetti flieht die alliierten Luftangriffen, schaffte es perativen bewältigten das alltägliche Via Nomentana hinauf, wird aber Fiaschi nach Seravezza. Als im April Überleben, besorgten Nahrungsmittel gefangen und in das Regina Coeli- die Offensive gegen die deutschen und kümmerten sich um Arbeit. Die G e fängnis gebracht. Stellungen wieder anlief, marschierte Infrastruktur war durch den Krieg zer- er schließlich mit der PartisanInnen- stört – Trümmer und Minen mussten Gino Lucetti ist 1900 in Carrara- division „Modena“ in die Stadt am geräumt und alles wieder aufgebaut Avenza geboren. Sein Vater arbeitet südlichen Rand der Poebene ein. werden. Die Marmorbrüche waren ge- als Steinmetz in der Marmorindustrie schlossen und die meisten arbeitslos. und stirbt, als Gino 10 Jahre alt ist. Die meisten anarchistischen Parti- Nach der Befreiung kehrte Gogliardo Fast noch ein Kind muss Gino in den sanInnen Italiens organisierten sich in Fiaschi in die Steinbrüche der Mar- Marmorsteinbrüchen von Carrara gemischten Einheiten, den „Giustizia morstadt zurück – wo er seit seinem arbeiten: als „Lizzatore“, zuständig e libertá“- , „Matteotti“ oder „auto- achten Lebensjahr hatte arbeiten für den äußerst gefährlichen Trans- nomen“ Formationen und auch den müssen. In den 50er Jahre beschloss port der Marmorblöcke hinunter zu kommunistischen „Garibaldi“. In der er gemeinsam mit dem spanischen den Verladestationen. In dieser Zeit Gegend von Carrara operierten fast Anarchisten José Lluis Facerías den schließt sich Gino der anarchistischen ausschließlich anarchistische Grup- bewaffneten Kampf gegen das Fran- Bewegung an. pen. Die zahlenmäßig stärkste, in die co-Regime aufzunehmen. Facerías Nach seinem Pflichtdienst beim itali- sich auch Fiaschi zuerst eingereiht hielt sich seit seiner Flucht aus einem enischen Militär, der mit einer Verur- hatte, nannte sich nach Gino Lucetti. Franco-Gefängnis 1945 illegal in Car- teilung als Deserteur endet, emigriert „Von den Bergen Sarzanas werden wir rara auf. Mit dem Fahrrad überquerten Gino 1922 nach Frankreich, wo er im eines Tages hinabsteigen – aufgepasst sie 1957 die Pyrenäen, flogen jedoch anarchistischen Milieu Arbeit, Hilfe Partisanen des Bataillon Lucetti. Das nach kurzer Zeit auf. Facerías wurde und einen politischen Zusammenhang Bataillon Lucetti ist libertär und sonst in Barcelona von der Guardia Civile findet. 1925 kehrt er nach Italien zu- nichts ...“, lautet der Refrain eines in einen Hinterhalt gelockt und ermor- rück und wohnt bei anarchistischen Liedes, das noch heute gesungen wird det. Fiaschi wurde verhaftet, gefol- Freunden in verschiedenen Städ- - zumindest im Circolo Anarchico tert und von einem Militärgericht zu ten. Nach einem Schusswechsel mit Gragnana. Auch dieses Lokal, etwas 20 Jahren Haft verurteilt. 1966 wurde F a schisten in Carrara flieht er erneut außerhalb von Carrara gelegen, ist seit er nach einer Amnestie entlassen – und nach Frankreich, kehrt im Mai 1926 1945 ein anarchistischer Treffpunkt. nach seiner Rückkehr in Italien gleich nach Italien zurück und beginnt nun, Früher köchelte hier eine Volksküche, wieder eingesperrt. Ein Gericht hatte das Attentat auf Mussolini gezielt vor- eingerichtet im Jahr 1913 während ihn in Abwesenheit zu zehn Jahren zubereiten. Gefängnis wegen Bankraub verurteilt, Alfonso Nicolazzi hisst die den er mit Facerías begangen haben Von einem Spezialgericht wird Gino schwarz-rote Fahne in Carrara soll. Eine internationale Kampagne Lucetti am 11. Juni 1927 zu 30 Jahren forderte seine Freilassung. Im März Haft und Geldstrafen verurteilt. Den 1974 kam er schließlich frei. Prozess nutzt er als politische Bühne Fiaschi starb am 29. Juli 2000. Seinen gegen den Faschismus. Seine Haftzeit Trauerzug durch die Stadt begleiteten verbringt er im berüchtigten Gefäng- AnarchistInnen aus ganz Italien. nis auf der kleinen Insel Santo Stefano B e igesetzt wurde er standesgemäß im pontinischen Archipel. n e ben Lucetti und Pinelli. Am gleichen Tag vor hundert Jahren hatte der Anar- Am 11. September 1943 befreien ihn chist Gaetano Bresci den italienischen die Alliierten bei ihrem Vormarsch K ö nig Umberto I. umgebracht. Auch Richtung Rom aus dem Gefängnis und an den Königsmörder erinnert ein bringen ihn nach Ischia. Sechs Tage Denkmal beim Friedhof. später wird Gino Lucetti bei einer deutschen Bombardierung der Insel Wolfgang Most, resistenza.de von einem Splitter tödlich getroffen.

Marianne Wienemann

43 Hans Schmidt Auf dem Soldatenfriedhof in Costermana bei Verona

Partisan Alberto Qualierni erzählte Battaglia: “An ihre Namen erinnere Der schmale Grat zwischen ich mich nicht mehr. Was den Grund ihrer Desertion betrifft, so erinnere Verweigerung und Widerstand ich mich, dass sie, wenn sie überhaupt etwas sagen wollten, erzählten, dass Deutsche Deserteure in der Resistenza die Trennung (...) oder das Zugrunde- gehen ihrer Familie unter den Bomben Über 100.000 deutsche Soldaten lizei vom Juli 1944 desertierten in der sie davon überzeugt hatte, dass dieser desertierten im Zweiten Weltkrieg. Gegend von Civitella 721 Soldaten. unerträgliche Zustand, dieser Krieg, Gegen Deserteure, derer sie habhaft Insgesamt finden sich zur Häufigkeit (...) beendet werden müsse”. wurde, ging die Wehrmachtsjustiz von Desertion in Italien nur verein- Andere, wie der in Berlin geborene mit erbarmungsloser Härte vor: zelte Dokumente. Verlässliche Zahlen- Aktivist der „gruppi di azione patri- angaben zum Ausmaß der Beteiligung ottica” (GAP) mit dem Kampfnamen 22.750 so genannte Fahnenlüchtige deutscher Deserteure auf Seiten der Enz, kamen aus antifaschistischen wurden zum Tode verurteilt. PartisanInnen gibt es überhaupt nicht. M i lieus. Enz, dessen Familie in Viele wurden noch in den letzten Einer der bekannteren Deserteure in d e utschen Lagern ermordet worden K r iegstagen umgebracht. Italien dürfte der Schriftsteller Al- war, geriet in die Fänge der SS, wo fred Andersch sein, der sich im April er zu Tode gefoltert wurde ohne die Der Verfolgungswille gegen Deserteure 1944 von seiner Truppe absetzte und Stellungen der PartisanInnen verraten hatte seine Grundlage auch im sozial- sich bei Rom von Partisanen festneh- zu haben. darwinistischen Bild vom Deserteur men ließ. Über seine Entscheidung zu als ”Wehrmachtsschädling”. Einem d e sertieren, seine Überlegungen und Deserteure bis heute: Gesetzeskommentar des Marburger Ängste berichtet er in seinem Buch geächtet, spät oder nie Militärstrafrechtlers Erich Schwinge „Die Kirschen der Freiheit”, das zu- zufolge, der später in der Bundesre- erst 1952 erschien. Er gelangte nach rehabilitiert, „Kriegsverräter“ publik gegen die Rehabilitierung der seiner Desertion in US-amerikanische Deserteure eintrat, bestünden ”Fah- Kriegsgefangenschaft, kam in ein In La Spezia hatte sich der Kapitän nenflüchtige zum größten Teile aus Camp für ”Considered Anti Nazis” zur See Rudolf Jacobs wegen der psychopathischen Minderwertigen”. und engagierte sich von dort aus gegen Massaker von deutschen Truppen So wurde von Wehrmacht, SS und Nazideutschland. zur Zusammenarbeit mit den Par- Zivilbevölkerung bis in die letzten tisanInnen entschlossen. Bereits vor Kriegstage Jagd auf Deserteure ge- Vom Deserteur zum Partisan seinem Übertritt lieferte er Informa- macht. In einem alliierten Kriegs- tionen. Im Spätsommer 1944 setzte gefangenenlager bei Amsterdam Roberto Battaglia kam bei seiner Be- er sich nahe Lerici ab, fiel aber schon wurden noch am 13. Mai 1945 zwei fragung ehemaliger PartisanInnen zu am 3. November 1944 im Kampf ge- Deserteure von ihren Kameraden dem Schluss, „dass sich der Übergang gen italienische Faschisten. Von der h i ngerichtet. von Deutschen in die Reihen der ita- Gemeinde Sarzana wurde ihm die lienischen Widerstands bewegung nicht Ehrenbürgerschaft verliehen, seine Deserteure in Italien auf Einzelfälle beschränkt, sondern ein Geschichte wurde in Büchern und auf bedeutendes Ausmaß erreicht” habe. Symposien dokumentiert und der ita- Die Zahl der in Italien desertierten Sol- „In allen Gegenden Norditaliens, ohne lienischen Öffentlichkeit zugänglich daten hatte bereits im Sommer 1944 Ausnahme, ist die Anwesenheit von gemacht. In Deutschland ist Jacobs ein erhebliches Ausmaß erreicht. Laut Deutschen in den Hauptverbänden der dagegen weit gehend unbekannt. einem Bericht der Geheimen Feldpo- Partisanen (...) nachgewiesen.“ Der 44 Heinz Riedt (Jahrgang 1919) fand Luftwaffenoffiziere ausliefern, die giger Bedeutung. Jeder, der sich dem seinen eigenen Weg, sich dem Dienst verbrecherische Befehle gegeben hat- Unrecht dieses Krieges verweigerte, in der Wehrmacht zu entziehen. Er ten. Andere Wehrmachtsan gehörige v e rdient auf seine Art Anerkennung. überzeugte einen Militärarzt davon, - Erwin Bucher, Erwin Schlunder, ihn dienstuntauglich zu schreiben. Karl-Heinz Schreyer und Martin Koch Danach ging Riedt an die Universität - unterstützen ihn. Die Aktion war Abscheu gegen den Krieg Padova. Er schloss sich der Giustizia bereits angelaufen, als ein alliiertes und dessen Sinnlosigkeit, e Libertà (Gl) nahe stehenden Parti- Flugzeug Leuchtfeuer abwarf und in antifaschistische Überzeugung: sanInnengruppe um Otello Pighin an der Stellung Alarm auslöste. So flog vom Deserteur zum Partisan und erhielt den Decknamen Marino. alles auf. Schmidt wurde am darauf Er nahm nicht an Kampfhandlungen folgenden Tag in die Kommandantur teil, sondern sammelte Informationen bestellt. Als man ihn dort festnehmen Zweckorientierte Kriegsinterpretatio- und bereitete den Austausch von Ge- wollte, leistete er Widerstand und nen und verklärende Kriegserin- fangenen vor, während er im Alltag wurde erschossen. Bucher wurde auf nerungen führten in der deutschen weiter als Student auftrat. Die SS, die der Flucht erschossen, die drei ande- Nachkriegsgesellschaft zu einer Äch- nach ihm fahndete, kannte nur seinen ren hingerichtet. Schmidt ist heute tung der Deserteure. Ihren Witwen Decknamen. E h renbürger der Gemeinde Albinea. wurden bis in die 90er Jahre Renten Riedt bezeichnete sich 50 Jahre nach verweigert. Die Bundesregierungen Kriegsende als einen anormalen ließen sich bis 2002 Zeit, Deserteure Deutschen in dem Sinne, dass er kein Zwischen Verweigerung zu rehabilitieren. Wer sich jedoch Nationalist gewesen sei. Über sei- und Widerstand den PartisanInnen anschloss, blieb als ne Aktivitäten für die PartisanInnen “Kriegsverräter” noch länger von der macht er kein Aufhebens, betrachtet Man kann nicht mit Sicherheit be- Rehabilitation ausgeschlossen. Auf die vielmehr sein Verhalten als selbstver- haupten, dass die Deserteure mit Seite der gegen den Nationalsozialis- ständlich. Bekannt wurde Riedt durch gefestigtem Widerstandswillen reprä- mus Kämpfenden zu wechseln, galt bis die Übersetzung von Primo Levis sentativ sind. Fernando Cavazzini, 2009 als Straftatbestand. Buch „Ist das ein Mensch?“. Levi be- Kampfname Toni, war Partisan im richtet darin wie er das Vernichtungs- Emilianischen Apennin. Auch in sei- Matthias Brieger lager Auschwitz überlebte. Levi war ner Einheit gab es Deserteure: “Die- selbst in einer der Gl nahe stehenden jenigen, die bei uns waren, waren PartisanInneneinheit aktiv gewesen alles ehemalige Wehrmachtsoldaten, Roberto Battaglia: Deutsche Partisanen in als er verhaftet und deportiert wurde. keine überzeugten Nazis. Leute, die der italienischen Widerstandsbewegung, 1995 hat Riedt in einem Interview in keine Lust auf den Krieg hatten. Das in: Internationale Hefte der Widerstands- der italienischen Zeitung „La Stampa“ war auch der Grund, weshalb sie bei bewegung 2, (1960), Heft 4, S. 73-82 erstmals öffentlich über seine Zeit als uns zum großen Teil nicht an bewaff- Partisan gesprochen. In Deutschland neten Aktionen gegen deutsche Wehr- jedoch, so musste Riedt erfahren, war machtseinheiten teilnehmen wollten. es besser zu schweigen: “Sie rückten Sie kannten die Leute, bis vor kurzem Gedenktafel für Rudolf Jacobs am Hauptplatz mir auf den Leib”. Diese Erfahrung waren das ihre Kollegen gewesen und in Sarzana in Ligurien teilte er mit vielen deutschen Deser- sie wollten sich da raushalten. Sie ha- teuren und Widerstandskämpfern. ben zwar bei uns mitgearbeitet, waren Dies führte dazu, dass Deserteure bis wichtige Unterstützer, aber wollten an heute ihre Geschichten eher für sich den direkten bewaffneten Aktionen oft behalten. Die einen wollen ihre Namen nicht teilnehmen. Vielleicht wäre das nicht preisgeben, andere erzählen nur anders gewesen, wenn wir irgendwel- widerstrebend und bei läufig ihre Er- che besonderen Nazieinheiten hätten lebnisse. In einer kleinen Gemeinde im angreifen müssen.” Viele Deserteure Piemont wissen zumindest die älteren wurden von den PartisanInnen auf EinwohnerInnen heute noch alle, dass die andere Seite der Front geschleust, Carlo (Name geändert) aus der Wehr- wo sie sich in alliierte Kriegsgefan- macht desertiert ist. Als er auf Partisa- genschaft begaben. Stafetten wiesen nInnen traf, schloss er sich diesen an. den Deserteuren den Weg. Manch- Von einer anderen PartisanInnenein- mal leisteten die PartisanInnen auch heit wäre er beinahe erschossen wor- a k tive Hilfe zur Desertion. Deserteure den. Eine Waffe wollte er nicht mehr wurden durch Agitation von antifa- anfassen: er half beim Küchendienst. schistischen Kräften in den eigenen Carlo blieb nach dem Krieg in Italien. Reihen, aus der Resistenza oder von Hans Schmidt aus Berlin war Mitglied den Alliierten in ihren Entscheidungen der Sozialistischen Arbeiterjugend beeinflusst; zum Teil spielten die gewesen und 1935 für einige Monate F a szination des Landes, Kenntnis der im KZ Columbia bei Berlin inhaftiert. Sprache, Kontakte zu einheimischen 1944 unterstand er als Funker der Männern und Frauen oder Kontakte in Albinea/Reggio Emilia. zu PartisanInnen eine wichtige Rolle. Schmidt hatte seit Monaten Kontakt Ob die Entscheidung zur Desertion zu den PartisanInnen. Gemeinsam mit nun als Akt des Widerstandes, aus Oddino Cattini plante er die Gründung Einsicht in die Sinnlosigkeit oder gar einer PartisanInneneinheit, die deut- den verbrecherischen Charakter des sche Deserteure aufnehmen sollte. deutschen Vernichtungskrieges gefällt Schmidt wollte den PartisanInnen wurde oder aus eher individuellen die Funkanlage übergeben und zwei M o tiven, erscheint von zweitran- 45 Im Sommer 1943 werden sie zur Auf der Flucht Unterstützung des zusammengebro- chenen Mussolini-Regimes nach Ita- Die abenteuerliche Geschichte lien verlegt. Acht Tage liegen sie an eines Wehrmacht-Deserteurs der Nordseite des Lago di Bolsena, dann wird Walter Mitte August mit einem kleinen Kommando aus sei- ner Einheit nach Paris geschickt, um LKW-Ersatzteile zu besorgen. Auf dem Rückweg nach Italien trifft er einen Kameraden aus seiner Einheit, Walter J., der ebenfalls aus Berlin stammt. Beide erkennen eine lang erhoffte Chance, sich von der Truppe abzusetzen. Sie verzögern die Fahrt und nutzen die Unübersichtlichkeit der zusammenbrechenden Front. Mit immer neuen Marschbefehlen reisen sie umher, geben vor, ihre Einheit zu suchen. In einem kleinen Restau- rant in Florenz lernen sie zwei junge Italie nerinnen kennen. Giulia arbeitet dort als Bedienung, Franca ist ihre F r eundin.

Jahrelang ist Walter B. ein "guter Im August 1939 wird Walter einge- Die beiden Männer beschließen, mit und treuer Soldat". Nach dem zogen. "Wir wussten alle, dass es zum Hilfe ihrer italienischen Freundinnen E r lebnis von Stalingrad fasst er Krieg mit Polen kommen würde" er- zu desertieren. Sie haben längst den 1943 in Italien den Entschluss, zu zählt Walter. Am 1. September beginnt Abmarsch ihrer Truppe versäumt und desertieren. Über eineinhalb Jahre der Überfall auf Polen. Wie alle in tauchen in Florenz unter. Freunde aus dem italienischen ist er bis Kriegsende auf der Flucht. seiner Truppe glaubt auch Walter der deutschen Kriegspropaganda, Polen W i derstand geben einen Tipp: Auf Eine Geschichte, die durch eine habe deutsches Reichsgebiet angegrif- dem Bahnhof stünden Waggons, voll umfangreiche Fahndungsakte von fen. Er erlebt, wie deutsche Soldaten beladen mit Socken für die Wehr- - und Gestapo-Stellen in Warschau Geschäfte plündern. Die macht. Die beiden organisieren einen d o kumentiert ist. Feldjäger schauen wohlwollend zu LKW, Fahrer und zwei Hilfsarbeiter. und bekommen dafür ihren Anteil von In ihren Uniformen fahren sie nachts der Beute ab. Walter quartiert sich bei vor. Die Streife hält sie für Wachpo- einer polnischen Familie ein. Er ver- sten, und so können sie die großen Walter B., 1915 geboren und in Berlin sorgt sie mit Kohlen und Lebensmit- Ballen Wollsocken aufladen und aufgewachsen, wird nach seiner Elek- teln, freundet sich mit der Tochter des a b fahren. Sie verkaufen die gesamte trikerlehre arbeitslos. Deshalb meldet Hauses an. Ladung an die Besitzerin des Hotels, er sich 1934 freiwillig zur Wehrmacht. in dem sie wohnen. Aber die Gestapo Noch ist Deutschland an die Auflagen Zum Jahreswechsel 1939/40 wird kommt dem Coup auf die Spur. Zwei des Versailler Vertrages gebunden, erst Walter vom Kriegsdienst freigestellt, Hotelgäste werden wegen Beihilfe zur ein Jahr später wird die Wehrpflicht Siemens hat ihn für unabkömmlich Fahnenflucht verhaftet. wieder eingeführt. erklären lassen. Knapp ein Jahr ver- 1936 beginnen in Berlin die legt er Kabel in Flugzeughallen und Mit dem Geld kommen die beiden O l ympischen Sommerspiele. W a lters arbeitet im Flugzeugbau. D e serteure fürs Erste über die Run- Einheit ist für den technischen Ab- Im Januar 1942 wird Walter zur Infan- den, kaufen sich Zivilkleider und lauf der Spiele eingeteilt. Obwohl terie eingezogen. In Gewaltmärschen können einige Wochen in Florenz ihn die Wehrmacht auf zehn Jahre geht es im September nach Stalingrad. untertauchen. Aber Mitte Dezember verpflichten möchte, beginnt er 1937 Als Walter Heimaturlaub erhält, ge- 1943 wird Walter J. bei einer Kon- bei Siemens als Elektriker. Siemens hört er zu den Letzten, die Stalingrad trolle durch Feldjäger festgenommen, - damals maßgeblich an allen Unter- vor der Einkesselung durch russische zwei Wochen später auch Walter B. nehmungen und Neubauten der Nazis Verbände noch verlassen können. Mehrere Wochen verbringen sie in für ein "neues Berlin" beteiligt - setzt S e ine Einheit wird dort später kom- Einzelhaft, nur unterbrochen durch ihn auf Montagen ein, u.a. bei den plett aufgerieben. stundenlange Verhöre der Gestapo. IG-Farben-Werken, schließlich in der Mit der Zeit bekommen sie freund- Reichskanzlei. Walter avanciert zum Stalingrad wird für Walter zum Schlüs- schaftlichen Kontakt zu einigen bauleitenden Monteur. Im schwarzen selerlebnis. Er denkt zum ersten Mal Italienern, die im Gefängnis für Hilfs- Anzug hält er bei Empfängen "Licht- an Desertion. Ende Dezember 1942 arbeiten abgestellt sind. So können wache": “Immer dann, wenn Hitler in ist die Wehrmacht vor Stalingrad ge- sie Kassiber austauschen und Kontakt die Reichskanzlei kam, gab es Freibier scheitert. Walter wird nach Frankreich zu den Freundinnen in der Stadt hal- für die Arbeiter" – erzählt Walter. An- verlegt - eine kurze Ruhepause für die ten. Sie schmieden Ausbruchspläne. sonsten hinterlassen die mehrmaligen "Kämpfer von Stalingrad". Dort wird G i ulia signalisiert Unterstützung für Zusammentreffen mit Hitler bei ihm sein Verband aufgefrischt mit neuen den Fall einer erfolgreichen Flucht. Da nicht sonderlich viel Eindruck. Soldaten. es im Gefängnis keinen Zahnarzt gibt,

46 ist sein Glück. Denn, wie er später Moment der Befreiung, nach einein- e r fährt, war ihm die Gestapo dicht auf halb Jahren Flucht. "Es war eine Ex- den Fersen. plosion der Freude" - erzählt er. Doch Walter reist von Florenz über Mün- in die Freude mischt sich auch Zorn chen in die Reichshauptstadt, ständig auf die vielen Mitläufer des Regimes, in Angst, als gesuchter Deserteur die mit der Niederlage die Seiten standrechtlich erschossen zu werden. wechseln, so kommt seine Nachbarin In München kommt eine Feldjäger- ungestraft davon. Patrouille auf ihn zu. Walter soll bei Aber für Walter beginnt mit der lang der Zugkontrolle mithelfen. Groteske erhofften Befreiung eine neue Lei- Fügung des Schicksals: Er, der Deser- densgeschichte. Er meldet sich auf teur, soll dabei helfen, den Zug nach der russischen Kommandantur - ohne Fahnenflüchtigen zu durchsuchen. Papiere, denn die hatte man ihm bei der Verhaftung in Italien abgenom- Am 19. März 1944 kommt Walter in men. Doch den Russen klingt seine Berlin an. Bei seinem Bruder erfährt Geschichte zu unglaubwürdig. Walter er, dass die Gestapo auch in Berlin wird verhört und kommt in verschie- Walter B. nach ihm fahndet und seine Familie dene Gefangenenlager. Immer wie- s i mulieren beide Zahnschmerzen, um unter Druck setzt. Eine Jugendfreundin der erklärt man ihm, seine Angaben zur Behandlung in die Stadt gebracht seiner Schwester, bietet ihm zunächst würden überprüft. Schließlich wird zu werden. Es gelingt ihnen, in den- Unterschlupf in ihrer Wohnung. Nach er in ein sibirisches Gefangenenlager selben Gefangenentransport zu kom- vier Wochen bezieht er ein Versteck in g e schickt. Erst als er an Ruhr erkrankt, men. An einer verabredeten Stelle einer Laubenkolonie in Hohenschön- darf er, völlig unterernährt und schwer können sie fliehen. Von nun an soll hausen. Um nicht entdeckt zu werden, erkrankt, im September 1946 nach sich jeder allein durchschlagen. Über verlässt er die Laube bei Tage nicht Berlin zurück. Mittelsleute wollen sie Verbindung einmal bei Bombenangriffen. Nur zueinander halten. wenn die Bomben nachts fallen, ver- Zu seiner Freundin Giulia hatte Walter kriecht er sich in einem Erdloch. seit der überstürzten Flucht aus Florenz Walter B. versteckt sich zunächst in im Jahr 1944 keinen Kontakt mehr. einem Kloster, dann in der Wohnung Die Rote Armee rückt weiter auf Ber- Als Walter und Giulia sich im März seines Freundes Ernesto, schließlich lin vor. Walter beschließt, sich von 1944 trennen mussten, hofften sie auf bei Giulia. Walter und Giulia sind nun an in der eigenen Wohnung, bei ein baldiges Ende des Krieges. Walter mittlerweile ein Paar. Sie färbt ihm seiner ehemaligen Ehefrau und sei- wollte in wenigen Monaten zurück die Haare schwarz und besorgt ihm nem Sohn, verborgen zu halten. Er in Florenz sein. Giulia wurde unmit- Zivilkleider. Gedeckt durch Giulia muss jedoch vorsichtig sein, denn die telbar nach seiner Flucht aus Florenz und Freunde aus dem italienischen Nachbarn, übereifrige Nazis, würden verhaftet. Die Gestapo hatte von ihrer Widerstand kann sich Walter in Flo- ihn sofort denunzieren. Walter lebt Verbindung zu Walter erfahren. Zwei renz verborgen halten. "Kaum ein jetzt sporadisch in der Wohnung, doch Wochen saß sie in Haft. Walter konnte Deutscher hätte für mich getan, was die meiste Zeit verbringt er in einem erst Ende 1946 nach Italien schreiben. die italienischen Freunde für mich ge- dunklen Kellerverschlag. Seine Briefe blieben jedoch unbeant- tan haben", so Walter. Auf die Straße Regelmäßig erscheinen Gestapo-Be- wortet. Für ihn war klar, Giulia hätte traut er sich nicht, denn mittlerweile amte bei seiner Frau, um die Familie sich in der Zwischenzeit anderweitig wird nach ihm gefahndet. Auf Dauer einzuschüchtern und Walters Aufent- gebunden. Doch sie wartete viele werden Quartierwechsel notwendig. haltsort zu erfahren. Bei einem dieser Jahre vergeblich auf ihn. Seine Briefe Eingeschlossen in seinen Verstecken, Gestapo-Besuche entgeht Walter nur hatte sie nie erhalten. lernt Walter italienisch. Er hört das knapp der Verhaftung. Der Beamte Vor einigen Jahren gelang es, sie in deutschsprachige Programm der BBC verhört die Frau, Walter sitzt im Klei- Italien aufzuspüren. Viele Jahrzehnte und gibt die Informationen an die Ita- derschrank. Durch die Schrankwand nach ihrer unfreiwilligen Trennung liener weiter. Ernesto hat Verbindung kann er das Verhör genau verfolgen. gab es schließlich ein Wiedersehen. zu Partisanen und fragt, ob Walter bereit sei, für sie zu kämpfen. Walter Im April 1945 erobert die Rote Armee Michael Enger, bejaht prinzipiell, will aber nicht auf die Reichshauptstadt. Berlin liegt in Film & TV-Produktionen, Hamburg seine ehemaligen Kameraden schie- Trümmern, aber für Walter kommt der ßen. Die italienischen Freunde akzep- tieren seine Entscheidung, bieten ihm Festung Fortezza da Basso aber auch weiterhin ihren Schutz.

Im Februar 1944 wird Walter J. ver- haftet. Nun wird die Lage auch für Walter B. brenzlig. Seine italienischen Freunde besorgen ihm gefälschte P a piere, Soldbuch und Marschbefehl, ausgestellt auf den Namen Willi Beh- rend. Walter will sich auf den Weg nach Berlin machen. In Berlin, so glaubt er, sei er immer noch am sichersten und würde leichter Unterschlupf finden. Er verlässt Florenz überstürzt - das

47 nach lösten die Deutschen Fossoli we- gen der Bombenangriffe der Alliierten auf und deportierten die verbliebenen Gefangenen nach Bozen. 70 politische Gefangene, deren Transport als zu unsicher galt, waren einen Monat zu- vor in der Nähe von Carpi erschossen worden. Nachfolge-Lager Bozen-Gries

Im Sommer 1944 wurde im damaligen Bozener Vorort Gries das neue Durch- gangslager Bozen-Gries als Ersatz für das aufgelöste Lager Fossoli errichtet. Kommandant wurde auch hier Karl- Friedrich Titho. Er starb 2001, ohne Teil des deutschen Lagersystems vor Gericht gestanden zu haben – wie auch sein Stellvertreter Hans Haage, Die Durchgangslager Fossoli und Bozen-Gries der 1998 in einem A l tersheim unbehel- ligt starb. Viele der ca. 11.000 Inhaf- Mit der Besetzung Italiens durch die neuseeländische und australische tierten haben Misshandlungen durch Deutschen nach dem Kriegsgefangene aus dem Nordafrika- das Wachpersonal, die grausamen 8. September 1943 verschärfte sich Krieg. Nach dem 8. September 1943 Haftbedingungen und die Strapazen die Situation jüdischer Menschen wurde Fossoli Teil des deutschen Lager- schwerer Zwangsarbeit, im Lager auf der Halbinsel. Bis dahin systems. Ab Januar 1944 übernahmen selbst oder in Außenlagern, nicht über- waren sie zwar aufgrund der 1938 SS-Untersturmführer Karl-Friedrich lebt. In deutsche Lager wurden etwa erlassenen Rassengesetze starken Titho und SS-Hauptscharführer Hans 3.500 Menschen deportiert, jüdische Haage als sein Stellvertreter mit einer Diskriminierungen ausgesetzt Häftlinge in der Regel nach Flossen- 40 Mann starken SS-Einheit das Kom- bürg, Mauthausen und Auschwitz, gewesen, aber keiner Verfolgung. Nun mando. Fossoli lag an der Nord-Süd andere Häftlinge zumeist nach Dachau führten die Deutschen auch in Italien Verbindung der Eisenbahnstrecke über und Ravensbrück. Etwa 300 Häftlinge eine Politik der Vernichtung ein. den Brenner und bot somit logistische wurden im Lager selbst ermordet. Bei Voraussetzungen als Durchgangslager der Befreiung Anfang Mai 1945 befan- zur Deportation. Am 19. Februar 1944 den sich noch über 900 Gefangene im Am 14. November 1943 verabschiedete verließ der erste Transport Fossoli in Lager, unter ihnen 130 Juden. das von den Deutschen eingesetzte Richtung Bergen-Belsen. neue faschistische Regime sein Re- Das Lager wurde jetzt in zwei Blöcke Dieter Binz, resistenza.de gierungsprogramm, mit dem Jüdinnen unterteilt: ein Block für jüdische Fami- und Juden zu NichtitalienerInnen und lien, der zweite für politische Gefan- Weitere Infos zu Angehörigen einer feindlichen Nati- gene (PartisanInnen, Oppositionelle, Stiftung Fossoli: fondazionefossoli.org onalität erklärt wurden. Damit begann Wehrdienstverweigerer, Streikende Gedenkorte Europa: gedenkorte-europa.eu die systematische Verfolgung aller aus Mailand und Turin...). Während Zu Fossoli: italienischen und in Italien lebenden die jüdischen Menschen – zwei Drittel gedenkorte-europa.eu/content/list/165/ Jüdinnen und Juden. Es trat eine Ver- aller jüdischen Deportierten aus Italien ordnung in Kraft, die vorsah, jüdische wurden über Fossoli „verbracht“ Zu Bozen: Menschen in Konzentrationslagern zu – hauptsächlich nach Auschwitz ka- gedenkorte-europa.eu/content/list/301/ sammeln. Von den ca. 40.000 Jüdinnen men, so auch Piero Terracina aus Rom Zu Bozen-Gries: und Juden, die vor dem Zweiten Welt- und der Schriftsteller und Partisan gedenkorte-europa.eu/content/list/313/ krieg in Italien gelebt hatten, wurden , wurden die politischen 8.500 verhaftet und deportiert. 7.500 Gefangenen in unterschiedliche Ver- Literaturtipp: Primo Levi: starben in deutschen Lagern. Die nichtungslager gebracht: Mauthausen, Ist das ein Mensch? größten Lager in Italien waren neben Bergen-Belsen, Buchenwald, Ravens- Fossoli die von San Sabba di Trieste, brück oder Dachau. Bozen und Borgo San Dalmazzo. Das Durchgangslager Fossoli war kein Vernichtungslager. Es gab kei- Mit absurder Präzision nahmen ne Einrichtungen zur organisierten die Deutschen den Appell vor. Zwangsarbeit oder zur organisierten Tötung. Trotzdem war es Schauplatz „Wieviel Stück?‘‘ „660 Stück!‘‘ von Misshandlungen, Folter und Primo Levi am Vorabend seiner H i nrichtungen. D e portation nach Ausschwitz Am 2. August 1944 fand die letzte Deportation statt. In den knapp sieben 19.02.1944: Erster Monaten, in denen Fossoli von der SS geführt wurde, verließen sieben De- Transport aus Fossoli portationszüge vom Bahnhof der Stadt 1942 errichtete die faschistische Carpi aus das Lager, davon fünf nach i t alienische Regierung in Fossoli ein Auschwitz. Insgesamt wurden von hier Kriegsgefangenenlager für britische, etwa 5.000 Menschen deportiert. Da- Mahnmal für die Deportierten in Bozen 48 Lageralltag in Fossoli Odoardo Focherini, Journalist aus Carpi, wurde in Fossoli inhaftiert. Er hatte 105 jüdischen Menschen zur Flucht in die Schweiz verholfen. In Fossoli konnte ihn seine Frau besuchen. Es gab dafür nach Aussage von Frau Focherini so- gar eine eigene Besuchsbaracke. Diese Aussagen von ZeitzeugInnen und Überlebenden sind nahezu die einzige Möglichkeit, den Alltag in Fossoli zu Modell des Lagers Fossoli rekonstruieren. Es gibt kaum Unterla- gen über dieses Durchgangslager, da sie Zeitzeugnisse alle von den Nazi-Truppen bei ihrem Abzug vernichtet wurden. „Wir hätten uns alle Auch konnten die Inhaftierten Briefe und Päckchen empfangen. Diese selbst umgebracht“ U n terlagen zwar der Zensur, die aber nicht sehr streng gewesen sein muss. Die Venezianerin Amalia Navarro Vor allem Lebensmittel, aber auch wann wir aufstanden, und bis nachts ist 27 Jahre alt, als sie mit ihrer Geld wurden geschickt, denn für Essen um 10 Uhr konnten wir uns ungehin- m u sste im Lager bezahlt werden. Mutter und ihren Geschwistern im dert innerhalb des Lagers bewegen. Die Baracken im jüdischen Block Mai 1944 von den Deutschen in das Wenn die Sonne schien, sonnten wir des Lagers waren in kleine Zimmer Durchgangslager Fossoli bei Carpi uns, und abends trafen wir Jungs (wir u n terteilt, in denen die Familien zusam- deportiert wird. lebten nicht getrennt von den Män- men leben konnten, um einen relativ nern). Manchmal tanzten wir sogar normalen Alltag vorzutäuschen. Dies „Der Eindruck, den wir am Lager- etwas, um für einen Moment unser gelang nur bedingt, denn die Häftlinge eingang erhielten, war entsetzlich. ungewisses Schicksal zu vergessen. mussten im Januar und Februar 1944 in Schließlich hatten wir bis dahin noch Trotzdem empfanden wir diese Gefan- Ermangelung von Feuerholz ihre Betten nichts Schlimmeres gesehen. Aber genschaft als sehr hart. v e rheizen um nicht zu erfrieren. nachdem wir nach einiger Zeit alte (...) Als wir erfuhren, dass Rom von Bekannte wieder getroffen und mit den Alliierten eingenommen worden „Wenn du wie ich gesehen hät- den anderen Gefangenen neue Freund- war, gaben wir uns der Illusion hin, test, was sie die Juden schaften geschlossen hatten, konnten dass wir bald befreit werden wür- erleiden ließen, würdest du den. Wir lebten von dieser Hoffnung, wir uns dort etwas einleben. Zum nichts bereuen, außer dass du Glück war das deutsche Kommando denn wenn wir uns nur annähernd nicht in unserem Lager stationiert. Wir hätten vorstellen können, was uns nicht mehr retten konntest ...“ wurden von italienischen Aufsehern noch erwartete, wir hätten uns alle in Odoardo Focherini bewacht, die human waren und uns gut F o ssoli selbst umgebracht.“ behandelten. Es waren Kriegsgefan- Die Menschen bekamen bei ihrer Ein- gene, die aus Deutschland kamen. Sie Bei der Ankunft in Auschwitz wird lieferung eine Nummer. Sie wurde nicht hatten unter der Voraussetzung nach ihre Mutter sofort ermordet. Sie ist tätowiert, sondern musste auf einem Italien zurückkehren können, dass erst 48 Jahre alt. Auch Amalias Bruder Band um den Arm getragen werden. sie in den Konzentrationslagern die wird getötet. Amalia Navarro überlebt Sie sollte angeblich dazu dienen, den Überwachung übernahmen. Sie hatten die Konzentrationslager Auschwitz, Verwaltungsaufwand für den Lohn zu tatsächlich nichts mit den deutschen B e rgen-Belsen, Buchenwald und The- vereinfachen, den die Häftlinge nach Wachen gemeinsam. (...) Nachdem resienstadt. Nach der Befreiung gelingt ihrer Deportation nach Deutschland für wir die erste Woche auf den Stufen der ihr die Rückkehr nach Venedig. Am ihre dort zu leistende Arbeit bekom- Baracken hatten übernachten müssen, 20. September 1945 schreibt sie ihre men sollten. Dies wurde den jüdischen weil kein anderer Platz vorhanden war, Erinnerungen auf. 2002 werden diese Menschen auch als Grund für ihre konnten wir uns mehr schlecht als recht Aufzeichnungen erstmalig unter dem I n haftierung genannt. Mit dieser Lüge, im Inneren einrichten. Die Baracken Titel „Siamo ancora vive!“ (Wir leben den geschilderten Lagerbedingungen bestanden aus jeweils zehn Räumen, noch) veröffentlicht. und der Tatsache, dass die meisten nur und einen Raum mussten sich sechs ein bis maximal zwei Monate im La- bis sieben Menschen teilen; obwohl es Nadja Bennewitz, resistenza.de ger verbrachten, wurden die Häftlinge keine Betten gab, konnten wir doch auf r u hig gehalten und die Transporte in die den Strohlagern mit einer Decke in der Amalia Navarro: Siamo ancora vive! V e rnichtungslager gezielt verschleiert. Nacht etwas Ruhe finden. (...) Mit einem Vorwort von Moni Ovadia, Odoardo Focherini wurde nach Flossen- Wir wurden zu keiner Arbeit gezwun- Edizioni Messaggero Padova 2002, bürg deportiert und starb im Außenlager gen, und es gab auch keine Appelle. ISBN 88-250-1032-X Hersbruck an Blutvergiftung auf Grund Wir konnten alle zusammen bleiben, einer unbehandelten Beinverletzung. und das war uns ein großer Trost. Mor- gens konnten wir selbst bestimmen, Dieter Binz, resistenza.de

49 Roberto Torelli wurde bei der Operation „Wallenstein“, einer großangelegten Durchkämmungsaktion gegen Partisanen und zur G efangennahme von wanZ gs- arbeitern, „vom Feld weg“ Deportation undhatte. Zum anderen wurden bei Raz- verhaftet und nach zien und Vergeltungsmaßnahmen Deutschland deportiert. Zwangsarbeit gegen die Bevölkerung im Zuge der PartisanInnenbekämpfung – zumeist Roberto Torelli: Ich bin Jahrgang Nach der Besetzung Italiens wurden männliche – Zivilisten verhaftet und 1927. Wenn man in dieser Zeit gebo- die vormalig freiwilligen italienischen nach Deutschland deportiert. ren wurde und zur Schule ging, war „Arbeitsbrüder“ in Deutschland Etwa 600.000 italienische Soldaten, es schwierig ein antifaschistisches zu Gefangenen. Auch innerhalb die auf dem Balkan und in Frankreich Bewusstsein zu entwickeln. Ich habe Italiens wurden Menschen von den stationiert waren oder von deutschen die italienische Balilla-Jugend mitge- Truppen nach dem 8. September in Nazis verschleppt und zur Arbeit in macht, das entspricht etwa der Hitler- Italien entwaffnet wurden, wurden Industrie, Landwirtschaft oder an der jugend. Dort wurde mir was geboten, nach Deutschland deportiert. Sie sind deren Freizeitangebot nahm ich gerne Front gezwungen. Die Organisation nach den momentanen Bestimmungen an, denn ich komme aus einer sehr dieser Sklaverei lag in der Hand von Entschädigungszahlungen ausge- armen Familie. Mein Vater emigrierte der Organisation TODT. schlossen, da die Stiftung der Industrie in den 30er Jahren als Arbeiter nach Zu Beginn des Jahres 1945 und das Bundesfinanzministerium sie Deutschland, kehrte aber wegen sei- mussten 240.000 Menschen als Kriegsgefangene deklariert, was ner Gesichtslähmung Anfang der 40er Frontbefestigungsarbeiten leisten. sie damals faktisch nicht waren. Die Jahre zurück. Er war politisch nicht Nazis erkannten ihnen diesen Status sehr interessiert und hatte nichts gegen ab und zogen sie zu Zwangsarbeit in meine Aktivitäten bei der Balilla- 1938 lief die deutsche Kriegsproduk- der Industrie und zu Aufräumarbeiten J u gend. tion auf Hochtouren. Das Deutsche heran. Ein bestelltes Gutachten des Mit 17 Jahren arbeitete ich gegen Reich hatte hohen Bedarf an Arbeits- Völkerrechtlers Christian Tomuschat Verpflegung auf einem Bauernhof kräften. Ab März desselben Jahres sollte die Haltung der Geldgeber un- im Apennin. Am 6. August 1944 ka- kamen „freiwillige“ ArbeiterInnen termauern. Tomuschat argumentiert men deutsche Soldaten und befahlen: aus Italien nach Deutschland. Sie damit, dass das Vorgehen der Nazis „Schuhe anziehen und mitkommen“. wurden in Italien von den Faschisten völkerrechtswidrig gewesen sei, also Ich war barfuß, denn bei der Ar- mit Fahnen und Musik verabschiedet müssten die italienischen Internierten beit wollte man sich nicht die guten und in Deutschland von den Nazis rechtlich heute als Kriegsgefangene Schuhe ruinieren. In Unterhemd und offiziell und feierlich begrüßt. Diese betrachtet werden. Dieser Argumen- kurzer Hose wurde ich mitgenommen. Menschen, die zum Arbeiten nach tation folgte letztendlich auch das Die Deutschen schleppten uns dann Deutschland kamen, waren neben Fa- Bundesverfassungsgericht. Durch von Bauernhof zu Bauernhof und schisten, die den Bündnispartner un- des sen Entscheidung von 2004 ist zwangen uns, ein Drittel des Viehbe- terstützen wollten, arme BäuerInnnen wohl endgültig ausgeschlossen, dass stands einzusammeln. Unsere Gruppe und ArbeiterInnen. Die Arbeitslosig- ita lienische Militärinternierte eine wurde schließlich getrennt, die po- keit in Italien war hoch und vor allem Entschädigung erhalten können. litischen Leute wurden nach Fossoli auf dem Land und im Süden herrschte und wir unpolitischen Jungs nach Hunger. Doch mit der Absetzung Heike Herzog, resistenza.de Mussolinis am 25. Juli 1943 wurden aus den „Arbeitsbrüdern“ Gefangene. Postkarte von Roberto Torelli aus dem Lager an seine Familie Für mehr als 100.000 italienische Ar- beiterInnen wurde damit Deutschland zum Gefängnis. Die Besetzung Italiens bot Nazi- Deutschland die Möglichkeit, die dortigen menschlichen Ressourcen auszubeuten. Die Pläne des Gene- ralbevollmächtigten für den Arbeits- einsatz Fritz Sauckel sahen vor, im Herbst 1943 über 300.000 italie- nische Arbeitskräfte für die deutsche Industrie und Landwirtschaft zu r e krutieren. Im Jahr 1944 sollten sogar 1,5 Millionen ItalienerInnen zur Ver- fügung stehen. Man versuchte auf der einen Seite, durch Prämien und A p pelle „Freiwillige“ anzuwerben, was in einem bestimmten Umfang auch gelang, da die materielle Situation sich seit 1938 durch den Kriegseintritt Italiens noch weiter verschlechtert 50 die Munition auf Lastwagen verladen, Acht Pferde oder 40 Männer die oben deutlich mit einem Roten Kreuz gekennzeichnet waren. Noch Zwangsarbeit in einer mittelfränkischen vor Tagesanbruch mussten die 30 bis 40 Rot-Kreuz-LKW’s den Ort verlas- Munitionsfabrik sen haben, damit sie nicht so leicht mit der Munitionsfabrik in Verbindung gebracht werden konnten.

Wenn die Eisenbahn b o mbardiert wurde, mussten wir die Munition auf Lastwagen v e rladen, die deutlich mit einem Roten Kreuz g e kennzeichnet waren Die hygienischen Bedingungen waren miserabel. Die Schlafbaracken und die Wagons, aus denen wir das Schießpul- ver ausladen mussten, waren voller Ungeziefer. Wir durften nur einmal in der Woche duschen. Für 75 Leute gab es nur fünf Duschen. Da waren wir untereinander nicht immer soli- darisch und haben uns auch schlecht behandelt. Ostern 1945 mussten wir zusammen mit einer deutschen Sprengmeistereinheit das ganze Ge- lände verminen. Ein paar Tage später traten alle Zwangsarbeiter unter deut- scher Bewachung den Evakuierungs- marsch an. Aus der Ferne hörten wir Roberto Torelli beim Zeitzeugengespräch im ISTORECO (2002) ein Erdbeben – das waren unsere 80 Bunker, die nun in die Luft flogen. Verona in eine Kaserne gebracht. Eine wurden ein wenig besser behandelt als Wir schliefen unter Bäumen und Woche später sperrten sie uns in Vieh- wir Zivilisten. Die Deutschen hofften, Brücken. Unsere Bewachung war der wagons. Ich erinnere mich noch an die dass sie sich doch noch zum Militär- Übersetzer aus dem Lager – ein noch Schilder an den Türen: „Acht Pferde dienst bereit erklären würden. rüstiger 80-jähriger Mann aus dem oder 40 Männer“. So standen wir zu Danach kam ich mit 120 anderen Friaul, der Italiener hasste. Irgendwer vierzigst im Viehwagon und bekamen nach Berlin. Wir mussten nach Bom- hatte schon alliierte Panzer gesehen. einen Ballon mit 30 Litern Wasser für benangriffen die „Krümel“ auflesen: Der alte Mann bekam Angst und drei Tage Eisenbahnfahrt. Ich hatte Eisenteile von zerstörten Fabriken wollte nicht mehr weiter: „Die älteren ein kleines Anspitzermesserchen für einsammeln, die dann wohl wie- bleiben besser mit mir hier und die Bleistifte dabei. Da kam mir die Idee, der verwertet werden sollten. Dann jüngeren, die Rachegedanken haben, eines der Bretter im Fußboden durch- wurde ich in das Lager einer Muni- gehen alleine weiter.“ 60 Deportiere zusägen, nach unten zu gleiten und tionsfabrik in Langlau bei Gunzen- und ich gingen. Unsere Strategie war, den Zug über mich hinweg fahren zu hausen (Mittelfranken) gebracht. 225 uns nicht wie ein Haufen zu bewe- lassen. Die Bodenbretter waren sehr ZwangsarbeiterInnen arbeiteten dort. gen, sondern kolonnenartig tagsüber dick. Niemand hat mir geholfen, nie- Etwa 150 Frauen aus der Ukraine und auf der Straße zu gehen. Kamen uns mand hat daran geglaubt, dass man 75 Italiener. Daneben gab es viele Deutsche entgegen, sagten wir, dass dieses Brett mit so einem Messerchen einheimische Arbeitskräfte aus der wir nur zum nächsten Ort unterwegs durchschneiden könne. Meine Hände ganzen Umgebung. sind, dessen Namen ich auch immer bluteten, aber ich schaffte es. Als ich nennen konnte. Das hat funktioniert, den Kopf rausstreckte, sah ich am Ende Wir wurden hauptsächlich zum Be- ein bisschen, weil wir uns eine Form des Konvois die Anhängerkupplung und Entladen von Munitionstranspor- gaben, und natürlich auch, weil sich baumeln, die mich erschlagen hätte. ten eingesetzt. Es war eine sehr große die Deutschen inzwischen völlig im So gab ich meinen Flucht versuch auf. Anlage, ca. 80 Bunker mit Eisen- Auflösungsprozess befanden. bahnanbindung in einem Waldstück. Ich wurde in eine große Kaserne nach Fast jede Nacht verließen Munitions- Am 1. Mai überquerte ich den Brenner. Wiesbaden gebracht. Dort wurden transporte die Fabrik. In der Regel Es fielen riesige Schneeflocken und auch Italiener ausgebildet, die sich mussten wir 10-12 Stunden pro Tag die Deutschen dachten nur noch daran dem deutschen Militär anschlossen, arbeiten, außer am Sonntag. Norma- wegzukommen. um nicht Zwangsarbeit leisten zu lerweise kommandierten uns ältere müssen. Für Kollaborateure gab es und auch invalide zivile Vorarbeiter. Dieses Zeitzeugengespräch führte der dort Toiletten, für die anderen nur ein Aber manchmal befehligten uns auch Verein zur Förderung alternativer Medien großes Erdloch mit Baumstamm. Luftwaffensoldaten: Wenn die Eisen- 2002 in Reggio Emilia Die gefangenen italienischen Soldaten bahn bombardiert wurde, mussten wir 51 „Diese Leute morgen früh kein Brot“ Der Militärinternierte Carlo Porta

Über 30.000 Häftlinge waren dort lagen, rissen sich alle darum, den Tisch inhaftiert. Gleich zur Begrüßung sauber zu machen. Das schlimmste war e r wähnte der Lagerführer das Mas- der abendliche Zählappell. Einer fehlte sengrab hinter dem Lager, in dem be- immer, manche waren einfach schon reits 16.000 Häftlinge begraben seien. auf ihren Lagern eingeschlafen. Wir Wenn wir uns entsprechend benähmen, mussten dann oft eine Stunde Gymna- würden wir überleben – wenn nicht, stik machen, auch im Regen. würden wir uns bei den 16.000 wieder Den härtesten Kampf mussten wir finden. Militärdeportierte austragen, als Hitler Aber wir waren jung und konnten auch beschloss, unseren Status als Kriegs- über manche Dinge lachen. Am ersten gefangene aufzuheben. Man forderte Morgen kamen Soldaten und riefen uns auf, in die Division Monterosa „Aufstehen! Aufstehen!“ Und wir einzutreten – eine Einheit der faschi- Carlo Porta (1918-2007) sagten: „Ah, auf geht‘s zum Kaffee- stischen Schwarzhemden. Man hätte trinken.“ Bloß, dass den Kaffee nur sie also zumindest nach Italien zurückkeh- Carlo Porta musste die Jahre tranken. Wir verstanden, dass dies der ren können. Ein Offizier aus Sardinien 1939 bis 1942 aufgrund Weckruf war, und diese Worte habe ich und ich kämpften dafür, dass niemand seiner antifaschistischen nie verlernt. sich dazu bereiter k l ärte. Wir glaubten Oppositionstätig keit in einem In Neubrandenburg blieb ich ungefähr nicht, dass sie uns nach Italien zurück- süditalienischen Stralager drei Monate lang. Wir mussten in einer schicken würden, sondern an die rus- verbringen. Nach seiner Entlassung Ziegelfabrik fertige Steine auf LKW‘s sische Front. Der Lagerführer befahl wurde er vom örtlichen faschistischen und Züge verladen. daraufhin: „Diese Leute morgen früh Parteisekretär als Wehrplichtiger Im Lager war auch jemand von der kein Brot“ [diese Worte sind Carlo gemeldet und zum Militär eingezogen, f a schistischen Miliz und ein Soldat der Porta heute noch auf Deutsch im Ge- Armee, beide hätten mich eigentlich dächtnis]. Die Aus einandersetzung dem er sich eigentlich hatte entziehen vor dem 8. September von Albanien dauerte zwei bis drei Monate, aber 300 wollen. Nach den Vorschriften hätte er nach Italien zurückbegleiten sollen. Häftlinge haben nicht unterschrieben. als „unzuverlässiger“ Soldat gar nicht Sie hatten deshalb meine gesamten Irgendwann haben sie aufgegeben, in Albanien stationiert werden dürfen. Unterlagen. Sogar diese beiden über- aber wir bekamen viele Abende kein Wenige Tage vor dem zeugten Faschisten wurden deportiert. Brot. Es gab auch Lager, in denen die 8. September erging ein Befehl des Ich hatte also die ganze Zeit große Unterschriften mit Gewalt erzwungen italienischen Ministeriums, dass er Angst, dass meine Vorgeschichte als wurden. unter Bewachung nach Italien zurück politischer Gefangener herauskommen zu schicken sei. Aber zwischen der würde. Zum Glück wurden sie mit Ich habe nie den Mut verloren albanischen und italienischen Küste Arbeitskommandos in andere Städte und mir gesagt, bevor ich operierten bereits englische geschickt. So verloren wir uns aus den Augen und meine Unterlagen sind nie s t erbe, sterben der Führer U-Boote, so wurde der Abfahrtstermin mehr aufgetaucht. und Mussolini – und so war über den 8. September hinaus Mit dem Vorrücken der Sowjets musste es dann auch verschoben. Schließlich wurde er nach ich für ein Jahr ins Ruhrgebiet, ungefähr D e utschland deportiert. 30 km von Essen entfernt. Eine große Eines Tages standen amerikanische Batteriefabrik – dort wurden auch Panzer da, es war soweit, wir waren Batterien für Panzerfahrzeuge gebaut befreit. Wir sind dann in verschiedene Carlo Porta: Am 8. September feierte – wurde ständig bombardiert und wir Gefangenenlager hin und her gescho- meine Einheit gemeinsam mit etwa mussten immer wieder aufräumen. Ich ben worden, mal unter amerikanischer, 150 deutschen Soldaten das Kriegs- musste dann auch während der Luftan- mal unter sowjetischer oder englischer ende. Italiener und Deutsche legten griffe arbeiten. Irgendwann habe ich Verwaltung. Mehrere Monate musste ihre Uniformen weg. Kurz darauf aufgehört mich vor den Bomben zu ich auf eine Transportmöglichkeit nach erhielten die deutschen Soldaten je- verstecken und nur gehofft, dass alles Italien warten. Am 12. September 1945 doch den Gegenbefehl, sie zogen ihre gut geht. Unser Tag begann sehr früh. kam ich dann als einer der Letzten nach Uniformen wieder an und nahmen Man wurde um 5 Uhr geweckt, danach Hause zurück. Seit zweieinhalb Jahren uns alle fest, vom einfachen Solda- ging es 2 km zu Fuß zum Bahnhof. wussten wir nichts mehr von unseren ten bis zum Offizier. Zu Fuß und mit Zurück kamen wir oft erst abends um Angehörigen und waren in großer Sor- Karren mussten wir Richtung grie- 9 Uhr. Mittags aß man dort, wo man ge, was wir vorfinden würden, wenn chischer Grenze zu einem Bahnhof gerade arbeitete. Es gab gestampfte wir zurückkehrten. laufen. Dort wurden wir in Eisenbahn- Kartoffeln mit etwas Margarine. Für wagons gepfercht und nach Deutsch- den restlichen Tag blieb uns nur Brot, Dieses Zeitzeugengespräch führte der land deportiert. 17 Tage verbrachten das man sich in Portionen schnitt, um Verein zur Förderung alternativer Medien wir in diesen Wagons auf dem Weg jede Stunde ein winziges Stück davon 2002 in Reggio Emilia über Berlin ins Durchgangslager zu essen. Und abends, wenn wir Brot Neubrandenbur g. schnitten und die Krümel auf dem Tisch 52 43 Menschen in einer Schlange j e weils zu dritt, junge und alte M ä nner, eine Frau: In schmutziger und zerrissener Kleidung marschieren sie am Ufer des Lago Maggiore in Verbania, ein Schild in der Hand mit der Aufschrift: „Sind das die Befreier Italiens oder sind es Banditen?“ Das Schild ist eigens für diese Vorführung am 20. Juni 1944 gedruckt worden. Es handelt sich um eine bewusste Inszenierung der deutschen Besatzer.

Durch mehrere Ortschaften musste der Zug laufen, gezwungen von den Deutschen, die auf einigen der überlie- ferten drei Fotoaufnahmen dieser Sze- ne zu sehen sind. Die Frau, Cleonice T o massetti mit Namen, versuchte sich mit einem Kopftuch, den Blick auf die Straße gerichtet, unkenntlich zu ma- „Sind das die Befreier Italiens oder sind es Banditen?“, 20. Juni 1944 am Ufer des Lago Maggiore chen. Das Ziel der Menschengruppe: die Ortschaft Fondotoce, wo ein Er- schießungskommando bereits auf die zu Tode Verurteilten wartete. Das Fotodokument zeigt, wie die „Befreier Italiens oder Banditen?“ Deutschen die Widerstandskäm p fe- rIn nen der Resistenza öffentlich als Eine makabre Prozession am Lago Maggiore ver brecherisch zu diffamieren suchten und wie sie die Bevölkerung mit ihrer Im Frühjahr 1944 waren die Deutschen Heute befindet sich in Fondotoce am Propaganda einschüchtern und terrori- durch die Befreiung Roms am 4. Juni Ort der Hinrichtungen der „Parco sieren wollten, um deren Verbindung und die Landung der Alliierten in der della Memoria e della Pace“, der Park zur Widerstandsbewegung zu unter- Normandie zwei Tage später in zuneh- der Erinnerung und des Friedens: binden – ein Vorhaben, das misslang. mende Bedrängnis geraten. Sie ver- www.casadellaresistenza.it. stärkten deshalb ihre erbarmungslose Bekämpfung der Partisanenbewegung im Grenzgebiet zu Frankreich im Carlo Suzzi, der einzige Überlebende P i emont, um sich hier Rückzugs- des Massakers, nach der Befreiung gebiete zu sichern. Dabei führten tausende deutscher Soldaten einen systematischen Krieg mit flächen- deckenden Durchkämmungsaktionen gegen 450-500 Partisanen und die Zivilbevöl kerung. Ihrer Vernichtungs- wut fiel die gesamte Bergregion zum Opfer, was noch heute bemerkbar ist: Zerstörte Weiler, verlassene Dörfer, fehlende Infrastruktur und an vielen Orten Mahnmale und Gedenksteine.

Die 43 PartisanInnen wurden wäh- rend dieser Angriffe im Val Grande, einem piemontestischen Alpental, gefangen genommen, gefoltert, zu der makabren Prozession gezwungen und anschließend jeweils drei auf ein Mal erschossen. Der 18-jährige Carlo Suzzi war der einzige, der dem M a s saker entging. Abermals schloss er sich dem bewaffneten Kampf gegen Deutsche und Faschisten an.

Nadja Bennewitz, Resistenza.de Cleonice Tomassetti, Antifaschistin aus Mailand, wird kurz nachdem sie sich den Partisanen angeschlossen hat, ermordet

53 Am 12. August 1944 wurde in Sant‘Anna di Stazzema ein unvorstellbares Massaker begangen. Soldaten der 16. SS-Panzergrenadier- Division „Reichsführer SS“ ermordeten grausam etwa 560 Menschen, überwiegend Kinder, Frauen und Alte. In der weitläuigen Ansiedlung wurden die Menschen an verschiedenen Orten ohne Vor warnung erschossen, zusammengetrieben, mit Maschinengewehren niedergemacht, in Häuser eingesperrt, durch Handgranaten getötet, verbrannt. Wer waren die Mörder? Wen interessiert das in Deutschland?

Hamburger Sicht zur Anklageerhebung im Fall Sant‘Anna di Stazzema

Gedenken am Kirchplatz Seit über zehn Jahren setzen sich ver- schiedene Gruppen und Menschen aus Deutschland für einen solida- Sant’Anna di Stazzema rischen Umgang mit den Opfern des Massakers von Sant’Anna und für die 12. August 1944 Strafverfolgung der noch lebenden Täter ein. Vielleicht findet ein Prozess demnächst in Hamburg statt. Prozess gegen Friedrich Engel statt. Veranstaltung im Dezember 2002 re- Der ehemalige Chef von Sicherheits- ferierte der Historiker Carlo Gentile In Deutschland und Österreich war das polizei und SD in Genua wurde wegen daher über die Herkunft, Kriegskar- Massaker von Sant’Anna di Stazzema der Erschießung von 59 Menschen am rieren und Gewaltexzesse der mör- in der öffentlichen Wahrnehmung Turchino-Pass vom 19. Mai 1944 an- derischen Truppe, die am 12. August völlig unbekannt, verschwiegen und geklagt und zu nur sieben Jahren Haft 1944 in Sant’Anna wütete. verdrängt. Erst die Zeitungsreportage verurteilt.(4) Als Teilnehmer eines Bildungssemi- von Christiane Kohl „Der Himmel In Hamburg gab es damals also allen nars über Deutsche Besatzungspolitik war strahlend blau“ im Oktober 1999 Grund sich mit den Kriegsverbrechen in Italien 1943-45 besuchte ich im änderte dies.(1) Die Ermittlungen zu in Italien näher zu befassen. Auf einer Mai 2004 zum ersten Mal Sant’Anna Sant’Anna waren in der Bundesre- publik schon Ende der 60er Jahre eingestellt worden und lagen wie die meisten Akten zu NS-Verbrechen mit der Einstellungsverfügung oben- auf in den deutschen Schränken der S c hande.(2)

Ab Frühjahr 2002 geriet der ehema- lige SS-Unterscharführer (Jg. 1921) in den Blick, als er vor seinem Einfamilienhaus in Ham- burg für den Fernsehbeitrag „Mas- sakeropfer klagen an - Mutmaßliche Kriegsverbrecher leben unbehelligt in Deutschland“ interviewt wurde.(3) Gerhard Sommer stand zu dieser Zeit bereits in Italien unter dringendem Tatverdacht, als Kompanieführer am Massaker in Sant’Anna aktiv beteiligt gewesen zu sein. Auch in Deutschland wurden die Ermittlungsakten bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft wie- der geöffnet. Vor dem Landgericht Oktober 2013: Zweite Solidaritätsfahrt der AnStifter-Initiative Sant’Anna Hamburg fand zudem Mitte 2002 der 54 es darum, Öffentlichkeit herzustellen, die in Italien verurteilten Kriegsver- brecher beim Namen zu nennen und ihre Taten an ihren Wohnorten be- kannt zu machen, ihnen keine Ruhe zu gönnen und keine Ruhe zu geben, und den Opfern namentlich zu geden- ken.(6) Beim ersten Aktionstag am 6. Mai 2006 standen die Wohnorte der verurteilten Mörder von Sant’Anna im Mittelpunkt. Spätere Aktivitäten bezogen sich auch auf die in weiteren Verfahren in Italien Verurteilten und dringend Tatverdächtigen anderer Orte des Grauens.

„Die Gerechtigkeit ist und bleibt ein persönliches Recht derjeni- gen, die ein so großes Unrecht Juli 2013: Vortrag von Carlo Gentile in Stuttgart erfahren haben.“ Enio Mancini di Stazzema, die Gedenkstätte und Auf der Gedenkveranstaltung am das dortige Widerstandsmuseum. Das 12. August 2004 sprach Otto Schily, offene Gespräch mit Enio Mancini, damals Innenminister. Er benannte Es gab eine Vielzahl von Veranstal- der als Sechsjähiger das Massaker das Massaker zwar als Massenmord, tungen, die hier nicht alle aufgezählt überlebte, war beeindruckend und ließ die Frage nach einem Prozess in werden können. In Stuttgart wurden prägend. Der Prozess vor dem Mili- Deutschland jedoch gänzlich unbe- am 8. November 2006 über 2000 Un- tärgericht in La Spezia gegen Gerhard antwortet. Aus einer von mir zufällig terschriften für eine sofortige Ankla- Sommer und neun weitere ehemalige mitgehörten Unterhaltung von einigen geerhebung im Fall Sant’Anna an den Soldaten der 16. Panzergrenadierdi- deutschen Beamten und Botschaftsan- baden-wüttembergischen Justizmini- vision hatte gerade begonnen. Für die gehörigen im gerade neu eröffneten ster übergeben. Im Juni 2007 sprach Überlebenden bedeutete der Prozess Museum an diesem Jahrestag ging der italienische Militärstaatsanwalt im nach jahrelanger Missachtung ihres hervor, dass die Faktenlage durchaus Sant’Anna-Prozess, Marco di Paolis Leids eine große Anerkennung. Da eine Anklage möglich machen würde, auf einer Veranstaltung in Hamburg, die beschuldigten Deutschen nicht dass aber eher eine biologische Erledi- und Enio Mancini berichtete vor vor Gericht erschienen waren, erfüllte gung des Falls durch das Wegssterben 80 Schülern des Gymnasiums in Ham- sich der Wunsch der Überlebenden der Tatverdächtigen angestrebt werde. burg-Volksdorf, dem Wohnort von nicht, den Tätern in die Augen blicken Gerhard Sommer. Am 1. Dezember zu können. Dazu bedurfte es einer An- Am Kongress „NS-Opfer entschädi- klage in Deutschland und eines Pro- gen. NS-Täter bestrafen“ in Berlin im zesses vor deutschen Gerichten. Für April 2005 nahmen Enio Mancini und eine Bewertung der deutschen Ermitt- Claudia Buratti vom Opferverband lungen und einen stärkeren Einfluss Sant’Anna teil. In der dortigen Ar- auf die Anklage, war eine Nebenklage beitsgruppe zu Sant’Anna wurde ver- unabdingbar. Bisher waren keine Op- einbart, mit einer größeren Delegation fer von Sant’Anna als Nebenkläger in zur Urteilsverkündung des Prozesses Deutschland aufgetreten. Darüber galt vor dem Militärgericht in La Spezia es zu diskutieren, Unterstützung und zu fahren. Am 22. Mai 2005 wurden Zustimmung zu gewinnen. die zehn Angeklagten in Abwesenheit Im Juli 2004 erging die Entschei- wegen mehrfachen Mordes zu lebens- dung im Revisionsverfahren im Fall langer Haft verurteilt. Rechtsanwältin Friedrich Engel. Diese baute weitere Gabriele Heinecke übernahm die Ne- Hürden auf dem Weg zu einem Straf- benklagevertretung für Enrico Pieri, prozess gegen NS-Täter auf. Das den Vorsitzender des Opferverbandes, Mordmerkmal Grausamkeit sollte nun der am 12. August 1944 fast seine ge- nicht mehr nur objektiv und subjektiv samte Familie verlor. gegeben, sondern auch die besonders grausame Weise des Sterbens durch Nach dem Urteil von La Spezia hofften den Täter ausdrücklich beabsichtigt die Überlebenden und Angehörigen gewesen sein. Dies ist kaum nachweis- der Opfer, dass nun endlich auch An- bar.(5) Da dieses Urteil einen Prozess klage in Deutschland erhoben würde. gegen NS-Täter noch unwahrschein- Doch bereits nach kurzer Zeit wurde licher machte, beschlossen wir beim klar, dass ein Prozess in Deutschland sechzigsten Jahrestag des Massaker in weiter Ferne lag. Um öffentlichen in Sant’Anna ein zweisprachiges Druck für eine Anklageerhebung auf- Flugblatt zur rechtlichen Situation zu zubauen, wurden mehrere bundeswei- verteilen. te Aktionstage organisiert. Dabei ging Enio Mancini führt durch das Museum von Sant’ Anna di Stazzema (2004) 55 Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft hat wenn sie wenigstens einem der Mör- immer an der Linie der Anklagever- der ihrer Freunde und Familien in die weigerung festgehalten. Erst durch Augen blicken. Die Verurteilung der die Einstellung des Verfahrens am 26. Täter ist und bleibt eine gesellschaft- September 2012 kam wieder Bewe- liche Verantwortung gegenüber denje- gung in das Verfahren. Der Historiker nigen, die Opfer von NS-Verbrechen Carlo Gentile wurde durch die Neben- geworden sind. klage mit einem Gutachten beauftragt, das eine neue Bewertung eröffnete.(8) Lars Reissmann, AK Distomo, Seine Expertise hatte bereits im itali- Hamburg, 21.02.2015 enischen Verfahren zur Verurteilung der zehn angeklagten SS-Offiziere Ende Mai 2015 wurde das Ermittlungs- geführt. verfahren durch die Staatsanwaltschaft Hamburg endgültig eingestellt, wegen Nachdem die Generalstaatsanwalt- der dauerhaften Verhandlungsunfähig- schaft Stuttgart die Beschwerde keit von G. Sommer aufgrund von gegen die Einstellung dennoch zu- attestierter Demenz. rückgewiesen hatte, blieb nur noch Die Staatsanwaltschaft stelle jedoch ein Klageerzwingungsverfahren, das fest, dass Sommer mit hoher Wahr- im allgemeinen so gut wie nie eine scheinlichkeit wegen 342-fachen Mor- Anklageerhebung bewirkt. So wies des anzuklagen gewesen wäre. (9) das Oberlandesgericht Karlsruhe den 31.01.2013: Übergabe der Beschwerde an Antrag auf gerichtliche Entscheidung L.R. 11.04.2020 die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart vom Juni 2013 in allen Fällen bis auf den Fall des Beschuldigten Gerhard 2007 fand erneut ein Aktionstag an Sommer im Oktober 2013 zurück. den Wohnorten der nun rechtskräf- Am 5. August 2014, eine Woche vor (1) Süddeutsche Zeitung, Ma- tig verurteilten NS-Verbrecher statt, dem 70. Jahrestag des Massakers von gazin, 29.10.1999 nachdem das Urteil von La Spezia ge- Sant’Anna die Stazzema, entschied gen Gerhard Sommer vom Obersten das Oberlandesgericht Karlsruhe (2) Der „Schrank der Schande“ mit Gericht Italiens am 8. November 2007 überraschend, dass im Gerichtsver- hunderten Ermittlungsakten zu NS-Ver- bestätigt worden war. All diese Akti- fahren gegen Gerhard Sommer eine brechen wurde in Rom 1994 im Zuge des vitäten führten zu einer großen Zahl Verurteilung wegen Mordes sehr Prozesses gegen Erich Priebke geöffnet. wahrscheinlich sei, und gab die Akten Priebke wurde wegen des Massakers von Fernseh- und Zeitungsberichten, in den Ardeatinischen Höhlen am 24. regten Diskussionen an den Wohnor- an die Staatsanwaltschaft Hamburg März 1944 angeklagt und später zu ten der NS-Kriegsverbrecher, die nun ab, die aufgrund des Wohnortes zu- lebenslanger Haft verurteilt, die er bis mit ihren Taten konfrontiert waren. So ständig ist. Diese Entscheidung war zu seinem Tod in Hausarrest verbrachte wurde Gerhard Sommer zumindest ein juristischer Paukenschlag gegen zeitweise von Gemeinschaftsveran- die Stuttgarter Ermittlungsbehörde. (3) Kontraste, 11.04.2002, Beitrag von staltungen im Seniorenheim ausge- René Althammer und Udo Gümpel schlossen. Die Ermittlungsarbeit des Stuttgarter Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler (4) Kontraste, 12.04.2001 sowie Doku- Trotz der engagierten Nebenklage zum Fall Sant’Anna di Stazzema von mentation „Todesengel“ von Althammer/ 2002 bis 2012 muss als absoluter Af- Gümpel. Außerdem Berichterstattung wurde die Anklageerhebung durch die von Andreas Speit u.a. zum Prozess gegen Stuttgarter Staatsanwaltschaft katego- front gegen die Opfer, gegen rechts- Friedrich Engel in „Die Tageszeitung“ risch ausgeschlossen und die Opfer staatliche Prinzipien und juristische des NS-Verbrechens von Sant’Anna Argumente gesehen werden. Häußler (5) Zu juristischen Hintergrün- wiederholt brüskiert. Deshalb und hat durch das lange Herauszögern der den und Details s. den Beitrag von dagegen entwickelten sich in Stuttgart Einstellung objektiv die Verantwort- Gabriele Heinecke in FN 7 viele Aktivitäten in Solidarität mit den lichen für das Massaker über Jahre vor Betroffenen. Strafverfolgung geschützt. Die Kon- (6) Materialsammlung http://www. stellation in der Stuttgarter Staatsan- broschuere.resistenza.de/materi- Dass ein Prozess gegen NS-Kriegs- waltschaft war jedoch politisch gewollt al/broschuere_santanna_web.pdf. und strukturell abgestützt. Selbst die Die Dokumentation zu den Aktions- verbrecher auch nach so langer tagen unter http://www.keine-ruhe. Zeit in Deutschland möglich war, im Mai 2011 neu gewählte grün-rote org ist nicht mehr verfügbar zeigte im Gegensatz zum Stuttgar- Landesregierung hielt an der Linie der ter Verfahren die Anklageerhebung Nichteinmischung der konservativen (7) Das Massaker von Sant‘Anna di gegen vor dem Vorgänger fest. Auch der Besuch von Stazzema. Mit den Erinnerungen von Landgericht München I im Oktober Bundespräsident Joachim Gauck in Enio Mancini. Herausgegeben von 2008. Scheungraber war zunächst Sant’Anna di Stazzema am 24. März Gabriele Heinecke, Christiane Kohl und im September 2006 in Italien wegen 2013 darf nicht über das Elend der Maren Westermann, Hamburg 2014 des Massakers von Falzano di Cor- Strafverfolgung von NS-Tätern in der tona zu lebenslanger Haft verurteilt Bundesrepublik Deutschland hinweg- (8) https://stazzemafahrt.fiales.wordpress. worden. Am 11. August 2009 wurde täuschen. com/2013/07/13-03-25-gutachten-gentile- Scheungraber unter Vorsitz von Rich- beschuldigtennamen-abgekc3bcrzt.pdf ter Manfred Götzl wegen Mordes Die Anklage gegen Gerhard Sommer an zehn Menschen und versuchten vor dem Landgericht Hamburg muss (9) Spiel auf Zeit. Schulz und Urbitsch, Mordes in einem Fall zu lebenslanger erhoben werden! Wir werden die Berlin-Hamburg 2016, S. 306 Haft verurteilt. Überlebenden zum Prozess begleiten, 56 Für die deutsche Justiz steht aber fest, dass Teile der Division zum betref- fenden Zeitpunkt am Dorf vorbeige- kommen sind. „Ermittlungen sprechen sich in diesen Kreisen schnell herum“, meinte ein Kriminaler, der auch Ab- sprachen der SS-Leute untereinander vermutete. Vieles deutet darauf hin. 2007 hat die Staatsanwaltschaft Würz- burg dieses Ermittlungsverfahren eingestellt. Das Verfahren habe keine Hinweise auf konkret an der Tat betei- ligte Personen erbracht. Einschusslöcher in Avasinis „Von Massakern wurde nie etwas erzählt“ Die SS-Karstwehr ermordete in Avasinis 51 EinwohnerInnen

Die Recherchen sind aufwändig, unserer Befreiung“, erinnerte sich Heute erinnert in Avasinis ein mäch- sie führen bis nach Norditalien in eine Zeitzeugin. Der renommierte tiger Gedenkstein, auf dem die Namen die Provinz Udine. Dort liegt das Militärhistoriker Gerhard Schreiber der Opfer eingemeißelt sind, an den Bergdorf Avasinis, ein 800-Seelen- schilderte in seinem Buch „Deutsche 2. Mai 1945. Die Gemeinde Trasag- Ort an den Hängen des Monte Kriegsverbrechen in Italien“ den his, zu der das Dorf gehört, veröf- Cuar. Die Spuren weisen auch in Überfall: „Am Morgen jenes Maitages fentlichte 1995 eine Gedenkschrift, in griffen Partisanen einen SS-Verband welcher der Lokalhistoriker Pieri Ste- die von vielen Urlaubern geliebte an, der sich in nördlicher Richtung fanutti den „grausamen Rachefeldzug“ Fränkische Schweiz im Städtedreieck absetzte. Im Anschluss an das kurze r e konstruierte und Augenzeugen zu Bayreuth-Bamberg-Nürnberg. Hier Gefecht begab sich die Truppe ins Wort kommen ließ. Bürgermeister Ivo wurde im bekannten Urlaubsort nahe gelegene Avasinis und metzelte Del Negro will die Erinnerungen wach Pottenstein 1942/43 die so genannte erbarmungslos 51 Bewohner nie- halten, um damit „bei einer wahrhaften SS-Karstwehr gedrillt, die bei der der, darunter fünf Kinder im Alter Förderung des Friedens mitzuwirken“. Partisanenbekämpfung in Italien von zwei bis zwölf Jahren und zwei Kommandeur der Karstwehr war bis und Slowenien eine blutige Spur Frauen, die 75 und 81 Jahre zählten.“ Juni 1944 der Pottensteiner Höhlen- zog. Das SS-Karstwehrbataillon forscher Hans Brand. wurde im August 1943 nach Kärnten Jahrzehntelang blieben die Mörder in verlegt. Im November 1943 wurde Uniform im Dunklen. Erst das Wie- senthal-Dokumentationszentrum in Es hat wahrscheinlich keine die Elitetruppe dem höchsten SS- Wien, das weltweit NS-Verbrechen Truppe gegeben, die so viele und Polizeiführer Italiens, Karl recherchiert, wies die deutsche Ju- Verbrechen an der Wolff, zur Partisanenbekämpfung im stiz im August 1995 schriftlich auf Zivilbevölkerung beging Adriatischen Küstengebiet unterstellt. das Massaker hin. Der Würzburger Staatsanwaltschaft wurde das Verfah- wie die Karstwehr Die Mühlen der Justiz mahlen lang- ren schließlich im Juli 1997 zugeteilt. sam. Die Staatsanwaltschaft in Würz- Parallel dazu ermittelte Würzburg 1975 fand das erste SS-Veteranen- burg ermittelt seit Juli 1997 gegen wegen zahlreicher weiterer Massaker Treffen in Pottenstein statt, sieben unbekannte Angehörige der SS-Karst- durch die Pottensteiner Karstwehr Mal bis 1987 zog sich der Spuk hin. wehrdivision wegen eines Massakers in Slowenien 1943 und 1944 - er- Danach feierten die alten Kämpfer an 51 Einwohnern von Avasinis am gebnislos. Geschichtsprofessor Tone nahe Salzburg alle zwei Jahre ihre 2. Mai 1945 - dem Tag, als die Ka- Ferenc von der Universität Ljubljana Taten. „Von Massakern wurde nie pitulation der deutschen Streitkräfte fällte ein klares Urteil: Es habe wahr- etwas erzählt“, erinnerte sich ein in Italien in Kraft trat. Die arglose scheinlich keine Truppe gegeben, die Teilnehmer, vielmehr wurde in „alter Bevölkerung glaubte, der Krieg wäre so viele Verbrechen an der Zivilbe- K a meradschaft“ geschwelgt. vorbei und wähnte sich in Sicherheit. völkerung beging wie die Karstwehr „Die Glocken der Kirchtürme der unter fast einjähriger Führung von Peter Engelbrecht, umliegenden Dörfer läuteten zum Tag SS-Standartenführer Hans Brand. Tageszeitungsredakteur in Bayreuth.

Mitglieder der SS-Karstwehr marschieren Wie der Leitende Oberstaatsanwalt Peter Engelbrecht veröffentlichte Clemens Lückemann in Würzburg 1997 das Buch „Touristenidylle und auf Anfrage erklärte, wurden im Zuge KZ-Grauen. Vergangenheitsbewältigung beider Verfahren insgesamt 134 ehe- in Pottenstein“ malige SS-Karstwehrsoldaten vernom- men. Lückemann hat „keinen Zweifel Im Mai 2003 sprach Jim Tobias/ an der Richtigkeit der Schilderungen“ Medienwerkstatt Franken mit den über das Blutbad. Zwar konnten sich letzten Überlebenden des Massakers die Veteranen unisono daran erinnern, von Avasinis. Seine TV-Reportage in diesem Gebiet gewesen zu sein, „ T atort Avasinis“ ist online abrufbar: doch keinesfalls in Avasinis selbst. www.medienwerkstatt-franken.de

57 San Martino und Casaglia aus den Kir- chen getrieben und dann umgebracht. Es ist eine gnadenlose Jagd, eine von unglaublichen Brutalitäten begleitete Metzelei, die sich über mehrere Tage hinzieht.

Mehr als 800 Menschen fielen diesem Massakern zum Opfer, darunter 216 Kinder. Wie viele es genau waren, weiß man nicht, da zahlreiche Flücht- linge und Ausgebombte aus den Städten hier lebten, die nirgendwo Persönliches Gedenken in den Ruinen am Monte Sole registriert waren. Die Gesamtzahl der Toten ist deshalb möglicherweise hö- her als die offiziell benannte. Und die- Marzabotto jenigen, die in ihre zerstörten Weiler zurückkehrten, fanden noch Monate Das Massaker und der späte Prozess nach Kriegsende den Tod durch von deutschen Soldaten gelegte Minen. Der Name Marzabotto steht in Italien Als die Einheiten der Waffen-SS sich seit 1945 stellvertretend für die am 29. September von verschiedenen Nur wenige Menschen haben das Morde und Gräueltaten, die während Seiten in Richtung Hochebene bewe- Massaker auf dem Monte Sole über- der deutschen Besatzung von gen, vermuten die BewohnerInnen lebt. Sie traten jetzt als ZeugInnen 1943-1945 von Soldaten der zunächst eine Aktion gegen die Par- in diesem Prozess auf. Nur einige Wehrmacht, der Waffen-SS, tisanen oder/und an eine der üblichen von ihnen erzählen ihre Geschichte b e reitwillig, weil sie von der Barbarei den Polizeieinheiten und ihren Durchkämmungsaktionen zur gewalt- des Krieges Zeugnis ablegen wollen, faschistischen Helfershelfern an samen Verschleppung von Männern zur Zwangsarbeit. in der Hoffnung, dass die Menschen italienischen ZivilistInnen verübt daraus lernen. Viele reden nur ungern worden waren. Die Männer im arbeitsfähigen Alter über die schrecklichen Erlebnisse, verstecken sich deshalb in den Wäl- e i nige gar nicht. Am 13. Januar 2007 endete vor dem dern. Die Frauen und greisen Männer Militärtribunal in La Spezia der Marza- bleiben mit den Kindern in den Wei- botto-Prozess mit der Verurteilung lern und Gehöften, weil sie denken, von neun deutschen und einem öster- dass sich die deutschen Soldaten reichischen ehemaligen Soldaten der für sie nicht interessieren werden. 16. SS-Panzer-Division „Reichsführer Ein tödlicher Irrtum: Zu Beginn der SS“ zu lebenslänglicher Haft wegen Durchkämmungsaktion kommt es zu Indischer Partisan der Gruppe Stella Rossa. mehrfachen Mordes an ZivilistInnen. bewaffneten Auseinandersetzungen Als Soldat der Commonwealth-Truppen geriet Alle gemeinsam müssen sie laut Ur- mit Partisanen, bei denen auch deren er in Kriegsgefangenschaft, konnte fliehen und teilspruch die Prozesskosten zahlen Kommandant getötet wird und die schloss sich der Resistenza an. und Entschädigungen von mehr als Partisanen sich zurückziehen müssen, 10 Mio. € an die Überlebenden und aber damit geben sich die deutschen Familienangehörigen der Opfer Soldaten nicht zufrieden. Sie töten s o wie an die Gemeinden Marzabotto, von Anfang an unterschiedslos Kin- G r izzana und Monzuno. Sieben Ange- der, Frauen, Männer, massakrieren sie klagte wurden freigesprochen. mit Schusswaffen und Handgranaten in den Häusern, die sie anschließend Eine gezielte Aktion gegen anzünden, wobei viele Menschen bei die Zivilbevölkerung lebendigem Leib verbrennen. Heute weiß man, dass es bei dieser Aktion von Anfang an nicht um einen Kampf Ende September 1944 umstellen Ein- gegen Partisanen ging, sondern dass heiten der Wehrmacht und der 16. SS- diese gezielt geplant und zur Ausrot- Panzer-Division „Reichsführer SS“ tung der Zivilbevölkerung im Gebiet das Gebiet des Monte Sole südlich des Monte Sole durchgeführt wurde, von Bologna. Ein Gebiet, das zu den um die Verteidigung und den Rückzug Gemeinden Marzabotto, Grizzana und der Deutschen zu sichern. Weiler für Monzuno gehört. Von der Hochebe- Weiler werden überfallen, keiner der ne des Monte Sole aus operierte seit verstreut liegenden Bergbauernhöfe Monaten die immer größer werdende bleibt verschont. Die Menschen flie- Partisaneneinheit Stella Rossa (Roter hen in Kirchen und Kapellen, in der Stern), die den deutschen Truppen mit Hoffnung, dass die Gotteshäuser für Überfällen auf die Nachschub- und die deutsche Soldateska tabu sind. Rückzugswege in Nord-Süd-Richtung Sie täuschen sich, sie werden wie zwischen der Toskana und der Poe- im Oratorio von Cerpiano entweder bene erheblich zu schaffen machte. in der Kapelle ermordet oder wie in

58 Während des Prozesses bricht der 14 Familienangehörige bei dem Trotzdem, und obwohl das Urteil G i anfranco Lorenzini bei seiner Zeu- Massaker verlor, hätte lieber alle in Italien seit Oktober 2008 rechts- genaussage mehrmals zusammen, A n geklagten verurteilt gesehen. kräftig ist, wurden die deutschen überwältigt von den schrecklichen Ermittlungen gegen die in Italien ver- Bildern: Als 13-Jähriger, der sich Er und einige Betroffene sind auch urteilten Täter von Marzabotto 2009 versteckt hatte, musste er mit anse- empört darüber, dass keiner der Ange- in München eingestellt, „weil eine hen, wie die BewohnerInnen seines klagten auch nur ein Wort des Bedau- Zuordnung von einzelnen Tätern zu Weilers San Martino aus den Häusern erns geäußert hat, dass keiner bereit einer Tat auf Grund des Zeitablaufs g e trieben und dann erschossen wur- war, zur Aufklärung der Geschehnisse nicht gelungen ist“. Vollstreckungs- den. Zunächst die alten Männer, dann in jenen Tagen beizutragen. Statt des- hilfeersuchen, die Möglichkeit, die die Kinder, wobei der Körper seiner sen tischten sie in ihren Vernehmungen italienischen Urteile in Deutschland 3-jährigen Schwester wie beim Ton- Lügen, Verharmlosungen und die üb- zu vollstrecken, des zuständigen ita- taubenschießen in die Luft geworfen lichen Entschuldigungen auf, wie der lienischen Militärstaatsanwalts Marco und von einer Maschinengewehrgar- Verurteilte Hubert Bichler in einem De Paolis verliefen im Sande; Ob im be zerfetzt wurde. Danach waren die Interview, das die Zeitung „La Repu- italienischen Justizministerium oder Frauen an der Reihe, darunter auch bblica“ am 17.01.07 veröffentlichte: in den zuständigen deutschen Landes- seine Mutter. Sie wurden erst verge- „Im Gebiet des Monte Sole ging es justizministerien ist unklar. Die deut- waltigt und dann erschossen. am 29.09.1944 nur um einen Kampf sche Gesellschaft ist bis heute nicht Francesco Pirini musste als 17-jäh- gegen Partisanen, wir haben nicht auf bereit, für diese Kriegsverbrechen riger miterleben, wie eine Gruppe Zivilisten geschossen und wir haben und ihre Folgen die Verantwortung zu Soldaten 47 Menschen, darunter seine auch keine toten Zivilisten gesehen, übernehmen, die Täter zur Rechen- Mutter, seine Schwester, Tanten und ich habe nur den Befehlen gehorcht, schaft zu ziehen und die Opfer zu Cousinen in einer Kapelle einsperrten. hätte ich dies nicht getan, wäre ich er- e n tschädigen. Dann warfen sie Handgranaten durch schossen worden.“ Das ist ein immer Fenster und Türen, „damit sie lang- wieder kehrendes Aussagemuster in Marianne Wienemann, sam und qualvoll sterben“. So hatte es diesem Prozess. Einige Angeklagte Prozessbeobachterin in La Spezia der Kommandant nach Aussage eines leugneten erst einmal, zur Zeit der seiner Soldaten bei Vernehmungen Massaker überhaupt bei einer der be- durch die Alliierten angeordnet. teiligten Militäreinheiten anwesend 36 Stunden dauerte das Sterben in gewesen zu sein – bis der Staatsanwalt der Kapelle, während die Soldaten das Gegenteil beweisen konnte. Eine draußen aßen, tranken und beim Spiel Strategie, der auch als Zeugen aufge- einer Harmonika, die sie im Kinder- rufene ehemalige deutsche Soldaten garten gefunden hatten, grölten. Nur folgen. Weder die Angeklagten noch die Kindergärtnerin Antonietta Benni, die Zeugen erinnerten sich an Namen der 8-jährige Fernando Piretti und die von noch lebenden Kameraden und 6-jährige Paola Rossi überlebten, weil Kommandeuren ihrer Einheiten, be- sie für tot gehalten wurden bzw. unter stenfalls an die Namen der bereits ge- den Leichen versteckt lagen. storbenen (gemäß dem Schwur „Treu dem Führer und der Waffen-SS“). Von Der Zeuge Pietro Zebri erzählt, wie den Angeklagten ist keiner zum Pro- er seine hochschwangere Schwester zess nach La Spezia gekommen, das tot fand, mit aufgeschlitztem Bauch, deutsche Recht zwingt sie auch nicht den erschossenen Fötus neben ihr dazu. liegend. Geschichten wie diese wie- derholten sich in den Tälern und auf der Hochebene des Monte Sole vom Kriegsverbrecher werden 29. September bis 5. Oktober 1944 nicht ausgeliefert immer wieder. Erschlagenen, erschos- senen, verbrannten Kinder, Frauen, In der Presse und in anderen Medien greise Männer – in den Wehrmachts- wurden die Urteile von Journalisten, berichten werden sie zu „Bandenmit- Historikern und Politikern als symbo- gliedern“ und „Bandenhelfern“, für lisch bezeichnet, als öffentliche Äch- deren Vernichtung Generalfeldmar- tung der Taten durch die Verurteilung schall Kesselring seinen Soldaten ein der Täter. Symbolisch, weil dem Akt besonderes Lob ausspricht. der Rechtssprechung keine reale Um- setzung folgen wird, da die Täter, dank Der Prozess: Keine Worte der bundesrepublikanischen Verfas- des Bedauerns sung, weiter unbehelligt in Deutsch- land leben können. Um öffentlichen Am 13.1.2007 verkündet der Vor- Druck für eine Anklage erhebung in sitzende Richter in La Spezia die Ur- Deutschland aufzubauen, wurden Mauerreste der Kirche von Casaglia. teile. Die Reaktionen im Gerichtssaal mehrere bundesweite Ak tionstage Von überall her flüchteten sich die BewohnerInnen fallen unterschiedlich aus: Genug- organisiert. Dabei ging es darum, Öf- des Monte Sole in die Kirche von Casaglia. tuung über die Verurteilungen, aber fentlichkeit herzustellen, die in Italien Sie wurden von den Soldaten aus der Kirche auch Enttäuschung. Die Vertreter der verurteilten Kriegsverbrecher beim getrieben und später auf dem Friedhof erschossen. politischen Institutionen sind über- Namen zu nennen und ihre Taten an wiegend zufrieden. Ferruccio Laffi, ihren Wohnorten bekannt zu machen.

59 Skulpturengruppe in Rom zum Gedenken an die Verfolgung. Die fünf Metall-Silhouetten symbolisieren fünf Häftlingsgruppen. Die erste Silhouette trägt den Rosa Winkel. Der Piazzale Ostiense, auf dem das Denkmal steht, wurde von den Nazis verwendet, um bei Razzien gegen die Zivilbevölkerung Verhaftete zusammenzutreiben und von hier aus zu deportieren.

geber negierte vielmehr die Existenz „Die Angst war enorm …“ von Homosexuellen und wählte damit eine Strategie, die dem Verschweigen Die Verfolgung Homosexueller und Negieren mehr Erfolgsaussichten beimaß als der offenen Androhung im Faschismus und Anwendung von Repression. Im ersten Entwurf von 1927 war zwar ein expliziter Antihomosexuellen- „Nur eine einzige Frau fühlte sich in „Sie kamen nach Mitternacht an meine Paragraph noch vorgesehen und fand der Lage, sich für meinen Doku- Tür. Sie klopften und riefen: Sind Sie damals Beifall in breiten gesellschaft- mentarilm offen vor die Kamera es L. G.? Kommen Sie, der Kommissar lichen Kreisen. In der Endfassung fiel zu stellen“, erzählt die italienische will mit Ihnen reden. Und so haben sie er dann aber zugunsten der Strategie Filmemacherin Gabriella Romano. uns ins Gefängnis gebracht wo wir 15 der „Repressiven Toleranz“ (Giovanni Tage eingesperrt wurden.“ Der italie- Dall’Orto) weg. Man beschloss, den Und Giuseppe B. aus ist nische Faschismus, wie der deutsche Weg des maximal möglichen Schwei- etwas verwundert, dass nach Nationalsozialismus, verfolgte in den gens zu wählen, um Homosexuelle in so vielen Jahren jemand etwas Jahren seiner Herrschaft Homosexu- die Einsamkeit und Isolierung zu trei- über seine Geschichte wissen alität als „gemeinschaftsschädliches ben und jedes Gefühl von Solidarität will, aber auch er will nicht, dass Vergehen“, später als „Verunreinigung zu ersticken. Tonaufnahmen oder Fotos gemacht der Rasse“. In Italien ging man zwar werden. weniger grausam, aber nicht minder Die Negierung und Pathologisierung Die Angst war enorm, die Angst ent- effizient gegen homosexuelle Männer traf Lesben noch stärker als homo- deckt, als psychisch gestört erklärt vor. Massenvernichtung war nicht sexuelle Männer. „Ich habe das Wort oder verraten zu werden. Die Angst vorgesehen, aber es gab auch unter Lesbe das erste Mal in den 50er Jah- vor Verhaftung, vor Exorzismen Mussolini Maßnahmen der Freiheits- ren gehört“, erinnert sich eine Zeit- beraubung für Hunderte von Personen zeugin, die anonym bleiben will. oder vor der Verbannung. aufgrund ihrer sexuellen Präferenz. Lesben wurden im Faschismus für Und die Angst blieb, zusammen mit Die Faschist*innen griffen die vorherr- hysterisch erklärt, als psychisch ge- der Scham, zugedeckt durch das schende Homophobie auf und verstärk- stört abgestempelt oder Exorzismen Schweigen und die Ignoranz der ten das Klima von Furcht, Intoleranz und Teufelsaustreibungen unterzogen. Gesellschaft – bis heute. und Schweigen. „Das Modell der arbeitsamen und gehorchenden Frau, des jungen Mäd- Gedenkstein in Bologna Das faschistische Strafrecht, der Co- chens, das in den Duce (Mussolini) dice Rocco von 1930, kannte keine verliebt ist, der heroischen Mutter, die speziellen Gesetze gegen Homosexu- immer die männliche Autorität aner- alität, keinen § 175 wie etwa Nazi- kennt, verstärkt durch eine einengende, Deutschland. Allerdings bedeutete die Luft abdrückende Propaganda ver- diese Abwesenheit keinesfalls Tole- folgte die Frauen.“ So beschreibt die ranz oder gar die Anerkennung der Regisseurin Gabriella Romano die Rechte Homosexueller. Der Gesetz- Situation von Frauen und Mädchen im 60 Faschismus. „Es war eine verdeckte, ten, dass die betreffende Person in Neuer ankam. Das diente natürlich aber minutiöse und sehr effektive Zukunft unter Kontrolle stünde – eine auch dazu, die Zeit rumzubringen.“ Form der Repression“. Diese äußerte polizeiliche Maßnahme, die ohne An- Auch wenn manche Zeitzeugen, wie sich zwar kaum in Strafmaßnahmen hörung des Betroffenen angeordnet etwa Giuseppe B., die Zeit der Ver- (in den örtlichen Polizeiakten findet wurde. Eine weitere Repressalie war bannung aus spezifischen Gründen sich die Akte einer einzigen Frau, die eine Art Hausarrest, bei der die be- nicht nur negativ erinnern, war sie unter dem Vorwurf der Homosexua- schuldigte Person nur zu bestimmten ein Mittel der Stigmatisierung und lität eingesperrt wurde - sie war vom Zeiten das Haus verlassen konnte, kei- Ausgrenzung aus der Gesellschaft mit Ehemann einer Freundin denunziert ne öffentlichen Orte aufsuchen durfte anhaltender Wirkung. Etliche, so auch worden), aber sie traf Frauen überall. und sich täglich bei den Behörden mel- Giuseppe B., verließen nach dem Krieg „Eines ihrer Resultate war die Selbst- den musste. Ein anonymer Zeitzeuge erst einmal ihre Städte und Dörfer. beschränkung, die bis heute überlebt erzählt: „Nein, wir konnten nicht mehr hat“, so Romano weiter. „Mir gefiel ohne weiteres das Haus verlassen, wir Die Maßnahme der Verbannung wurde ein Mädchen, und deswegen hatte ich wurden kontrolliert. Man verurteilte vor allem ab 1938 angewendet. 1938 immer Angst vor meiner Mutter und uns zu zwei Jahren Hausarrest. (…) Wir wurden in Italien die Rassengesetze dem Pfarrer, der zu uns ins Haus kam. mussten sehr vorsichtig sein. Man hat eingeführt, begleitet von zahlreichen Erst Jahre später, nach dem Tod meiner uns auch gedroht, wenn sie uns wieder rassistischen Veröffentlichungen. Diese Mutter, gelang es mir meine Lähmung festnähmen, würden sie uns diesmal ideologische Verschärfung schlug sich zu überwinden“, konkretisiert eine Zeit- nie wieder gehen lassen. Die Angst war auch in der Verfolgung Homosexueller zeugin. Vielen Frauen und Mädchen enorm.“ Er war aus der Verbannung nieder, da es nun um den „Schutz der blieb nur die Isolation und die Einsam- entlassen worden, als Italien 1940 in Rasse“ ging. Die italienische Politik keit. „Die Männer hatten wenigstens den 2. Weltkrieg eintrat. Seine Rest- näherte sich dem nationalsozialis- heimliche Treffpunkte.“ (Romano) strafe musste er als Hausarrest absitzen. tischen Bündnispartner an. Homose- Eben jene Verbannung (confine) war xuelle wurden nun als antifaschistisch Auch wenn die faschistische Gesetz- die härteste Strafe, die gegen Homo- und damit als politisch eingestuft. Sie gebung keinen expliziten Antihomose- sexuelle angewendet wurde. Man ver- galten als Gegner, die die Bestimmung xuellen-Paragraphen beinhaltete, war bannte sie, wie auch andere Verurteilte der Männlichkeit innerhalb der Rasse es auf lokaler, administrativer Ebene oder politische Gegner*innen, auf eine nicht respektierten und somit eine Ge- sehr wohl möglich, mit dem Vorwurf Insel oder in einsame, unwirtliche fahr der „Degeneration” darstellten, der Päderastie und dem Vorwurf der Bergregionen innerhalb Italiens. „Wir bzw. sich einer „Verbesserung der Erregung öffentlichen Ärgernisses Ho- versuchten so gut es eben ging zu leben. Rasse” widersetzten. Die italienische mosexuelle (Männer) zu verfolgen. In Wir lachten, wir spielten Theater. (…) Polizei ging in ca. 20.000 Fällen gegen Giuseppe B.’s Akte ist zu lesen, er habe Wenn ein neuer Schwuler angekündigt Homosexuelle vor. Man begründete eine ernste Gefahr für die Gesellschaft wurde, gab jeder von uns eine Lire, um die Maßnahmen mit „per il bene della dargestellt, da er häufig zu Skandalen eine Tischgesellschaft zu organisieren. razza“, zum „Besten der Rasse“. Anlass gebe, wenn er geschminkt auf (…) Im Prinzip ging es uns dort besser der Straße erscheine, ein Anblick, von als daheim. Zu meiner Zeit durftest In Italien gelang es in den letzten Jah- dem sich die Passant*innen angeekelt du als Schwuler nicht auffallen, sonst ren Schritt für Schritt, die Verfolgung fühlten. wurdest du sofort von der Polizei ver- von Schwulen und Lesben im Faschis- Als Repression gegen (männliche) Ho- haftet. In der Verbannung hingegen mus und deren Auswirkungen in die mosexualität wurden Verwarnungen feierten wir, wenn einer von uns Na- öffentliche Gedenkkultur einzufügen. ausgesprochen, die signalisieren soll- menstag hatte, wir feierten, wenn ein Erstmals war 2007 bei den offiziellen Gedenkfeiern der Stadt Turin anläss- lich des 27. Januar (Jahrestag der „Contro tutte le discriminazioni“ – „Gegen jedwede Diskriminierung“! Befreiung des KZ Auschwitz durch An der KZ-Gedenkstätte in Triest wurde am 26.01.2005, einen Tag die Rote Armee) auch ein Vertreter vor den offiziellen Feiern, vom Triester Circolo Arcobaleno (Regenbogen Klub) eine des Bündnisses Turin Pride vertre- Gedenkplatte für die homosexuellen Opfer der Nazi-Faschist*innen eingeweiht. ten. Dieses Bündnis, bestehend aus schwulen, lesbischen, bisexuellen und Transgender-Aktivist*innen, organi- siert seit 2006 die jährliche Pride-De- monstration in Turin. In Rom, Bologna und Triest existieren Gedenksteine zur Erinnerung an homosexuelle Opfer, an denen zum 25. April, dem Tag der Be- freiung von Faschismus und deutscher Besatzung, Gedenkfeiern stattfinden.

Heike Herzog und Dieter Binz

61 selbst die Massaker überlebt hatten, aber mit ansehen mussten, wie ihre Familienangehörigen oder andere Menschen aus ihrem Dorf misshan- delt, vergewaltigt, ermordet wurden. Sie mussten miterleben, wie ihre Häu- ser, ihr Vieh, ihre gesamte Lebens- grundlage niedergebrannt und zerstört wurden. Beeindruckend auch die Aus- sagen der Kinder und Enkel der Opfer, die berichteten, wie die Verarmung, aber vor allem die Traumatisierung der Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten das tägliche Familienleben beeinflusst hat – und das oft über Jahrzehnte hin- weg bis heute.

Befragung einer Zeugin aus Cervarolo im Prozess von Verona Keine Andeutung von Reue

Die Beweisaufnahmen zu diesem Pro- Erschütternde Zeugenaussagen zess begannen im Jahr 2005 zunächst durch die Militär-Staatsanwaltschaft Wehrmachtsangehörige in Italien in La Spezia, später dann durch die in Verona. Die deutschen Ermittlungs- zu lebenslanger Haft verurteilt behörden übergaben der italienischen Staatsanwaltschaft die Organigramme der Division Hermann Göring, Kriegs- Überfälle auf Dörfer in der unter 14 Jahren, insgesamt etwa 400 tagebücher, Kartenmaterial, Fotos und Toscana und der Emilia Romagna Menschen. Bei den Dörfern handelt Protokolle von Verhören. Außerdem vor Gericht: Am 06. Juli 2011 um es sich um Monchio, Susano, Costri- 180 Protokolle von Telefongesprächen 21.00 Uhr ist es endlich soweit: im gnano (Provinz Modena), Cervarolo der Verdächtigen, die drei Monate lang Mlitärgericht i von Verona spricht und Civago (Provinz Reggio-Emilia), abgehört worden waren. Der Leiter der Ceppetto, Cerreto Maggio (Provinz ermittelnden italienischen Militärpoli- der Gerichtspräsident nach über Florenz), Vallucciole, Stia, Pratovec- zei, der Carabinieri-General D’Elia, 50 Sitzungen das Urteil im Prozess chio, Partina, Moscaio, Castagno d’ bemerkte dazu im Gerichtssaal, es sei gegen 12 Wehrmachtsangehörige Andrea, Badia a Prataglia, Caprese auffällig, dass keiner der Verdächtigen der Fallschirm-Panzer-Division (Provinz Arezzo), Mommio (Provinz in Befragungen durch ihn auch nur „Hermann Göring“. Vier Angeklagte Massa-Carrara). eine Andeutung von Reue geäußert sind während des Prozesses Keiner der Angeklagten ist vor Gericht habe. gestorben, es gibt 2 Freisprüche erschienen. Sie wurden durch Wahl- Am Ende des Prozesses sieht es das und sechs Verurteilungen zu oder PflichtverteidigerInnen vertreten. italienische Militärgericht anhand der lebenslänglicher Haft. Außerdem Da die Bundesrepublik Deutschland Beweismittel und Zeugenaussagen als müssen die Verurteilten aus Gründen der zivilrechtlichen Haf- erwiesen an, dass die Verurteilten als Entschädigungen zahlen und die tung auch auf der Anklagebank saß, Offiziere und Unteroffiziere an der hatte die deutsche Botschaft in Rom Planung der Massaker beteiligt waren, Kosten des Verfahrens tragen. ebenfalls einen Wahlverteidiger ge- sich am Ort des Geschehens befanden schickt. und als Kommandanten der eingesetz- Beifall im Zuhörerraum, aber auch Erschütternd waren die Aussagen der ten Truppen Verantwortung für deren Tränen und Umarmungen bei den zahlreichen Frauen und Männer, die Tötungsaktionen tragen. Überlebenden und den Familienan- gehörigen der Opfer. 67 Jahre lang mussten sie auf diesen Moment war- Busfahrt von Cervarolo zum Prozess nach Verona ten, darauf, dass die Gesellschaft diese Verbrechen als solche brandmarkt und die Verbrecher beim Namen nennt. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass die Verurteilten des gemein- schaftlich begangenen, fortgesetzten Mordes an nicht kriegsbeteiligten ZivilistInnen schuldig sind. Die Taten geschahen im Zeitraum vom 18. März bis zum 05. Mai 1944. In die- ser kurzen Zeit überfielen Einheiten der Division Hermann Göring, unter- stützt durch faschistische italienische Milizen, mehrere Dörfer in den Bergen der Toskana und der Emilia-Romagna, töteten deren Bewohnerinnen und Be- wohner, darunter zahlreiche Kinder 62 Prozesses hat die zweite Instanz in dass es den italienischen Gerichten Rom im Oktober 2012 drei der sechs verboten sein soll, den deutschen Urteile aufgehoben, die Staatsanwalt- Staat zu Schadensersatzzahlungen zu schaft daraufhin Berufung eingelegt verurteilen. Begründung: „Staatenim- und nun wartet man auf die entschei- munität“. dende dritte Instanz. Wie sagte der Verteidiger der BRD im In anderen Prozessen zu ähnlichen Fäl- Verona-Prozess, Rechtsanwalt Dosse- len wie Marzabotto oder Sant‘Anna di na: Dann könnten ja einzelne geschä- Stazzema sind die Urteile seit Jahren digte vietnamesische BürgerInnen durch alle drei italienische Instanzen die USA wegen Napalmbomben vor gegangen und längst rechtskräftig. G e richt ziehen und Entschädigungen Passieren tut leider nichts. Die deut- fordern. Ebenso Opfer aus den Kriegen sche Justiz hätte verschiedene Hand- in Jugoslawien, bis zu den heutigen lungsmöglichkeiten: weltweiten Konflikten. Das würde die Sie könnte zum Beispiel, wie im Fall Gerichtsbarkeit überfordern, deshalb: Scheungraber(1) geschehen, ein Ge- besser nicht an der Staatenimmunität Gedenktafel in Cervarolo richtsverfahren gegen die Verurteilten rühren. und Tatverdächtigen einleiten. Macht Am 3. Februar 2012 haben die Richter sie aber nicht, weil nach ihrer Sicht- in Den Haag zugunsten Deutschlands Der Schrank der Schande weise die Beweismittel dafür nicht geurteilt. Die Entschädigungen müs- ausreichen. Als nächstes könnte sie sen nicht gezahlt werden. Einspruch Die Frage steht im Raum, warum die Verurteilten ausliefern, das Euro- kann hier nicht eingelegt werden. d i eser und andere Prozesse gegen parecht sieht dies vor. Das macht sie deutsche Kriegsverbrecher erst 60 aber nur dann, wenn die Täter dem Die verurteilten Mörder leben un- Jahre und länger nach den Massakern zustimmen, was diese in allen Fällen gestört ihr Rentnerleben, die Opfer stattfanden. Während des Priebke- selbstverständlich nicht getan haben. erhalten keine Entschädigung. Im- Prozesses in Rom wurden 1994 bei der Danach besteht die Möglichkeit, die merhin aber bleibt die wichtige ge- Militärstaatsanwaltschaft 695 Akten italienischen Urteile in Deutschland sellschaftliche Auseinandersetzung über deutsche Kriegsverbrechen ge- zu vollstrecken. Der zuständige ita- mit diesem Thema, die durch die funden, die detaillierte Angaben über lienische Militärstaatsanwalt Marco Prozesse begonnen hat und weiterhin die Täter enthielten. Der Schrank, in De Paolis hat entsprechende Anträge statt finden muss. Tat und Täter beim dem sie vor unbefugten Augen verbor- auf den Weg gebracht, wartet aber seit Namen nennen, Informationen ver- gen lagen, wird in Italien „Schrank der Jahren auf Antwort. Es ist nicht klar, breiten, Bildung anbieten und so ein Schande“ genannt. Da in vielen Fällen wo die Anträge versandet sind – im wenig Gerechtigkeit von unten erzeu- die vermutlichen Täter noch leben italienischen Justizministerium oder gen. Das kann die Zivilgesellschaft und die Taten nicht verjähren, waren in den zuständigen deutschen Landes- leisten, da sind wir alle gefragt. die Akten als Grundlage für weitere justizministerien. Der “Schrank der Ermittlungen geeignet. Sie wurden an Schande” funktioniert wohl immer Matthias Durchfeld, Mitarbeiter im die zuständigen Militärstaatsanwalt- noch... Institut für Widerstand und schaften zur Bearbeitung gegeben, der Zeitgeschichte (ISTORECO) größte Teil davon an jene in La Spezia. Entschädigung in Reggio Emilia In der Folgezeit kam es zu mehreren Prozessen und Verurteilungen. Aber die Urteile enthalten außerdem (1) Dass ein Prozess gegen NS-Kriegs- Wer oder was hat die italienischen das Recht der Opfer auf Entschädi- verbrecher in Deutschland möglich Militärjustizbehörden zu dieser gungen seitens des deutschen Staates. ist, zeigte die Anklageerhebung gegen „ V ersteckaktion“ veranlasst? Am 10. Die Bundesregierung hätte also un- Josef Scheungraber vor dem Land- Oktober 1956 schreibt der Verteidi- mittelbar handeln können und den gericht München I im Oktober 2008. gungsminister Paolo Emilio Taviani Opfern der Massaker die Entschädi- Scheungraber war zunächst im Septem- an den Außenminister Gaetano Mar- gungen zahlen, die die Gerichte ihnen ber 2006 in Italien wegen des Massakers tino einen Brief. In ihm führt er aus, zugesprochen haben. in Falzano di Cortona zu lebenslanger dass er dagegen sei, von Seiten Itali- Stattdessen hat sie beim Internatio- Haft verurteilt worden. Am 11. August ens Anträge auf die Auslieferung von nalen Gerichtshof in Den Haag, dem 2009 wurde er unter Vorsitz von Richter Kriegsverbrechern an Deutschland zu höchsten Gericht der Vereinten Nati- Manfred Götzl wegen Mordes an zehn stellen, um keinen Riss im atlantischen onen, erfolgreich den Antrag gestellt, Menschen zu lebenslanger Haft verurteilt. Bündnis zu provozieren und um den in letzter Zeit erstarkten Polemiken in Deutschland gegen die deutsche Wie- Matthias Durchfeld ist Mitautor des Films »Die Geige aus Cervarolo« über das Massaker derbewaffnung im Rahmen der NATO in Cervarolo und den Prozess in Verona. Als DVD erhältlich bei: www.resistenza.de keine Nahrung zu geben. Die Akten verschwanden und damit für die Öf- fentlichkeit auch das Thema deutscher Kriegsverbrechen in Italien. Passiert ist nichts

Zurück zur aktuellen Situation und der Frage, wie es um die Vollstreckung dieses und vergleichbarer Urteile bestellt ist. Im konkreten Fall dieses

63 hat mich so getroffen, dass ich noch Jahre später die Erinnerung an den Platz, an die Toten verdrängte. Und lange habe ich nicht darüber sprechen können.“ Anlass der Demonstration war die Regie- rungsbildung der konservativen Demo- crazia Cristiana mit Duldung durch den faschistischen MSI (die Partei Mussolinis, nach dem Krieg nicht verboten). 15 Jahre nach der Befreiung spielten die Faschisten öffentlich wieder eine tragende Rolle. Lan- desweit war es zu Demonstrationen zur Verteidigung demokratischer Errungen- schaften gekommen, gegen die die Polizei mit Härte vorging.

Obwohl mit vielen TeilnehmerInnen ge- rechnet wurde, wird von der Behörde die Demonstration auf dem Hauptplatz von Reggio Emilia verweigert und nur ein Saal am Rande des Platzes zugestanden. Die 24. April 2008: Annita Malavasi auf einer Kundgebung Menschenmenge wächst aber auf 20.000 am Abend vor den Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung an, die auf dem Platz vor dem Saal aushar- ren. Bevor die Veranstaltung beginnt, gibt der Einsatzleiter der Polizei den Befehl, „Ich muss weiter kämpfen!“ anzugreifen. Mannschaftswagen fahren in die Menge, Rauchbomben werden gewor- Für viele Männer und Frauen der das für eine Mühe, ihn zu ver- fen, Wasserwerfer eingesetzt. Laila und die Resistenza hörte der Kampf nicht mit stehen. Ich habe ihn gelesen, ich Organisatoren hatten gerade versucht, eine dem 25. April1945 auf. Frauen wie habe ihn auswendig gelernt, aber Öffnung des zugestandenen Saales und eine Annita „Laila“ Malavasi wollten nicht dann gemerkt, dass das auch nichts Übertragung auf den Platz zu erreichen, als in das traditionelle Frauenleben nützt und so habe ich gelernt, mit sie Schüsse von draußen hören. Laila läuft z u rückkehren. Sie engagierten den anderen zu diskutieren.“ auf den Platz: „Ich versuchte vorwärts zu sich sozial und politisch in der kommen, aber die Menschenmassen kamen i t alienischen Nachkriegsgesellschaft. Im Januar 1946 bekommen die mir entgegen gestürmt und da habe ich ka- italienischen Frauen das Wahl- piert, dass scharf geschossen wird. Vor mir Laila triff t Monate nach ihrem recht. Es geht um die Entschei- tauchte ein Mann auf, der einen anderen am B e schluss in die Berge zu gehen eine dung Monarchie oder Demokratie. Jackenaufschlag mit sich schleppte. Er war weitere wichtige Entscheidung: Laila und andere Aktivistinnen blass, richtig weiß im Gesicht. Als ich ihn „Ich hatte mit der Vergangenheit verstärken ihre Anstrengungen, genauer anschaute, erkannte ich Emilio, gebrochen, ich hatte auch keine um Frauen über die Wahlen aufzu- einen wirklich guten Freund von mir, mit Möglichkeit mehr einen Ehepartner klären und zur Wahl zu animieren, dem ich in den Bergen war.“ zu inden, weil dort unten herrschte um so ein Gegengewicht zu Kir- Als sich die Situation endlich beruhigt, ist noch die gleiche Mentalität wie da- che und konservativen Kräften zu es Lailas Aufgabe, den Angehörigen der mals, als ich in die Berge bin. Des- setzen. Toten die Nachricht zu überbringen. Es fol- halb spürte ich auch eine gewisse gen Mahnwachen, Trauermärsche und die Traurigkeit, weil ich eine Welt zu- Später wechselt sie zur Gewerk- Beerdigungen: rück ließ, in der ich einen wichtigen schaft und wird Vorsitzende der „Nach drei Tagen ging ich nach Hause, Moment meines Lebens gelebt hat- Frauenkommission. „Es gab in drei Tage, die die schlimmsten in meinem te. Ich hatte Freunde, die alles für Italien eine Frauenfrage, die nicht Leben waren, aber ich musste durchhalten mich gaben und ich für sie. Freunde, nur die kulturelle und soziale Dis- – wegen der Verantwortung, die meine Ar- die jetzt tot sind, die Ideale hatten kriminierung der Frau beinhaltete, beit mit sich brachte. Ich kam nach Haus und auf eine bessere Welt hoff ten.“ sondern auch die Diskriminierung und begann zu weinen. Mein Vater sagte: Sie entscheidet sich gegen eine Fami- in Arbeitsfragen. Der Lohn für ‚Als du deine Wahl getroffen hattest, wuss- lie zugunsten eines Arbeitslebens und Frauen lag 40% unter dem der test du, was der Preis sein würde, von dir des politischen Kampfes. Zuerst orga- Männer.“ Aber es ging nicht nur wird Stärke erwartet, und ich weiß, dass du nisiert sie die Frauen in ihrem Viertel um Lohn, sondern auch um Kin- sie hast.‘“ und auf Arbeit. Nach sechs Monaten derbetreuung, Renten, Inhalte der wird sie von der kommunistischen Erziehung. Bis zu ihrer Pensionierung engagierte sich Partei zur Vorsitzenden der Frauen- Laila als Gewerkschaftsfunktionärin. Auch sektion in Reggio Emilia ernannt. Da habe ich kapiert, dass als Mitglied der ANPI, der Vereinigung der Für sie ist es vor allem wichtig, dass scharf geschossen wird italienischen Partisanen, kämpfte sie für Frauen mehr Bildung bekommen. Sie die Errungenschaften des Antifaschismus stellt fest, dass in ihrer Jugend nie- Der einschneidendste Moment und dafür, die Erinnerung an den Befrei- mand Wert auf eine gute Bildung für ihres Kampfes ist der 7. Juli 1960, ungskampf wach zu halten. Als Zeitzeugin sie gelegt hatte: an dem es in Reggio Emilia zu erzählte sie ungezählte Male jungen Men- „Ich erinnere mich gut an den ersten Schüssen auf demonstrierende Ar- schen von ihrem Leben und ihren Idealen. Artikel vom Chef der kommuni- beiterInnen kommt – 5 Menschen stischen Partei über Frauen. Was war werden ermordet. „Diese Sache Heike Herzog, resistenza.de 64 Laura „Mirka“ Polizzi kämpfte in der Resistenza, dann arbeitete sie als Funktionärin der Kommunistischen Partei (PCI). Der PCI hatte den höchsten Frauenanteil unter den Parteien, auch innerhalb der Führungspositionen. Dennoch hielt er am traditionellen Frauenbild und bürgerlichen Geschlechterverhältnis fest. Im Partisanenverband ANPI war Polizzi Vorsitzende der Frauensektion und Teil des Vorstands auf nationaler Ebene. Am 22. Januar 2011 ist Laura Polizzi mit 86 Jahren in ihrer Wohnung in Parma gestorben. „Forza, non è inita“ - „Vorwärts, es ist nicht vorbei!“, hieß Laura „Mirka“ Polizzi in den 1950er Jahren auf einer Wahlveranstaltung es bei ihrer Beerdigung. „Du musstest gleichzeitig Hausfrau, Laura Polizzi: In die Politik einzu- steigen war eine ideelle Entschei- Parteif u nktionärin, Mutter sein …‘‘ dung. Wir wollten eine Revolution vorbereiten, an die wir alle im tiefsten Inneren glaubten. Nach dem Krieg Laura Polizzi über das Frauenbild nach 1945 hatte ich enorme Hindernisse zu be- wältigen. Als Verkäuferin zu arbeiten zeitig Hausfrau, Mutter und Partei- Drama der Schwangerschaftsabbrüche: und den Haushalt zu erledigen, war funktionärin sein, und bei der Partei heimlich und ohne Geld. schon doppelte Arbeit, aber zudem waren sie nicht besonders verständnis- Bis es zur Legalisierung kam, habe ich Berufsrevolutionärin zu sein... Beim voll, wenn du mal zu spät kamst oder niemandem davon erzählt. Es gab kein UDI (Vereinigung der italienischen unvorbereitet erschienst. Du hattest Geld für einen Arzt sondern Strick- Frauen) gab es lange kein Gehalt. Wir eine Wahl getroffen, und nur das zähl- nadeln bei der Engelmacherin. Auch als Frauen mussten sehr viel ertragen, te. Zudem war ich lange die einzige wenn sie weniger kostete als ein Arzt, auch innerhalb der Partei. Funktionärin, die ein Kind hatte. Es war es ein Problem. Es gab ja keinen Eine Frau, die öffentlich auftrat, erregte gab anfangs nur wenige Funktionä- Posten “Abtreibung” in der Familien- viel Neugierde und zog Leute an. Ich rinnen, dann kamen immer mehr. bilanz. Zudem war eine Abtreibung erinnere mich an eine Versammlung, eine moralische Belastung. Und sie en- die ich in Parma abhielt: Der Platz Wir waren alle so voller Idealismus. dete unweigerlich mit Infektionsfieber war brechend voll, einfach grandios, Du warst mit dem Wiederaufbau und Ausschabung in der Entbindungs- und die Leute waren neugierig darauf, b e schäftigt, damit, den Frauen zu station bei vollem Bewusstsein. Wir mich als Frau zu hören. Bestimmte einem demokratischen Bewusstsein zu wurden dort sehr schlecht behandelt. Genossen aber wollten nichts davon v e rhelfen (in Italien wird das Frauen- Wir mussten den Abbruch leugnen wissen, dass ich Vorträge hielt, da wahlrecht erst 1945 eingeführt), und um nicht im Gefängnis zu landen. Ich “eine Frau nicht sprechen kann”. den Grundstein für den Sozialismus zu konnte schon wegen der Partei nicht ins (...) Mein Gefährte und ich wollten legen, denn wir dürfen nie vergessen, Gefängnis gehen: Aus nicht politischen aus Prinzip nicht heiraten, auch nicht, dass genau der die treibende Kraft war. Gründen inhaftiert zu werden war sehr als ich schwanger wurde. Aber mein Das war nicht gerade eine Kleinig- unehrenhaft. Onkel war Sekretär des PCI. Er sagte, keit! Als Kommunistin fühlte ich mich nicht er selbst hätte nichts dagegen, aber da Und dann gab es für mich wie auch schuldig, weil ich abgetrieben hatte, ich Kommunistin sei, stünde ich im für viele andere das Problem der Ab- sondern weil ich danach krank wurde Rampenlicht und solle deswegen hei- treibung: Strenge Sitten und von der und fehlte. Ich habe damals ein elendes raten, um mich den Sitten anzupassen. Sexualerziehung ganz zu schweigen. politisches Leben geführt, konnte an So haben wir eben geheiratet. Dann Innerhalb der Partei und in der Gesell- e t lichen Kongressen und Versamm- hat mir der PCI das Gehalt gestrichen, schaft war die Moral rigide. Ich bin lungen nicht teilnehmen. Es war nicht weil “zwei Gehälter in einer Familie sicher, dass es Geschwätz über mich so, dass ein Genosse dich wegen einer zuviel sind”. Aber weil wir es wirklich gab, wenn ich erst um zwei, drei Uhr abgebrochenen Schwangerschaft nicht schafften, habe ich einen Brief nachts heimkam, in Begleitung von k r itisiert hätte, wenigstens hoffe ich das an die Partei geschrieben. Doch sie Genossen. Oft haben Genossen zu doch. Es war nicht vorstellbar, dass ich antwortete nur, ich müsse ein Beispiel meinem Mann gesagt: “Also ich hätte als Stadträtin und Parteimitglied, die geben. Immer wieder das mit dem es ja nicht gern, wenn meine Frau so auf den Plätzen lautstark die Familie Beispiel, ich arbeitete, schuftete und ein Leben führen würde.” verteidigt hatte, dann wegen einer bekam kein Gehalt. Ich erklärte ihnen Zudem hatten weder ich noch mein u n erlaubten Abtreibung ins Gefängnis meine Situation, und sie gaben mir Mann große Erfahrung mit Sexuali- gemusst hätte. wenigstens das halbe Gehalt. tät, so dass ich oft schwanger wurde, Dann ist mein Kind zur Welt gekom- mit sehr schmerzhaften Schwanger- Übersetzung: men, meist hat meine Mutter darauf schaften. Ich habe nicht mal in der Par- Nadja Bennewitz, resistenza.de aufgepasst. Aber es war wirklich ein tei gesagt, dass ich mich unwohl fühle Hundeleben, denn du musstest gleich- weil ich schwanger war. Es blieb das

65 Bezeichnend für die deutsche Besatzungsherrschaft und Kriegsführung in Italien ist eine Feststellung des Ministerrates von Mussolinis sogenannter REPUBBLICA SOCIALE ITALIANA im Januar 1945: Die Deutschen sollten endlich auhören, das „Territorium der Republik, deren Bürger und Güter“ als ihre „Kriegsbeute“ zu betrachten. Das Diktum des faschistischen Führungsgremiums widerspricht der bei uns gern geglaubten Behauptung, dass dem „Bruch kriegsvölkerrechtlicher Einhegungen und der Menschen- vernichtungsmaschinerie im Osten eine überwiegend penibel anständig agierende Wehrmacht im Westen“ gegenüberstand. In Wahrheit gab es, das zeigt sich am polnischen, jugoslawischen, g r iechischen, französischen und i t alienischen Beispiel, bei der Missachtung des Kriegsrechts lediglich ein quantitatives Ost-West-Gefälle.

So sah das auch der Philosoph Karl Jaspers, der schon 1945 klarstellte, dass der vom Deutschen Reich ent- fesselte Krieg in „Ursprung und Durchführung verbrecherische Tücke und bedenkenlose Totalität des Ver- nichtungswillens“ bedeutete. Genau das bestätigt das Kriegsgeschehen in Italien.

Nach dem 8.September 1943 veröffentlichtes deutsches Plakat „Bedenkenlose Totalität des Vernichtungswillens“ Deutsche Kriegsverbrechen in Italien

Dafür stehen ungefähr 17.000 getötete E n tschädigungszahlungen der Stif- Massaker an Zivilpersonen, rund 37.000 politische tung „Erinnerung, Verantwortung und italienischen Soldaten Gefangene, die nicht mehr heim- Zukunft“. Tatsächlich aber wurden die kehrten, etwa 12.000 aufgrund ver- Militärinternierten aus dem Kreis der Zu den ersten Opfern nach dem brecherischer Befehle umgekommene Entschädigungsberechtigten ausge- i t alienischen Kriegsaustritt zählten die Soldaten und nicht weniger als 46.000 schlossen. Ex-Waffenbrüder. Am 10. und 12. Sep- tote „Militärinternierte“. Vom 8. September 1943 bis zum tember 1943 gab das Oberkommando Bei letzteren handelte es sich um mehr 2. Mai 1945 starben im Durchschnitt der Wehrmacht zwei Führerweisungen als 600.000 in Gefangenschaft gera- – ohne Berücksichtigung der knapp heraus: Bei Truppen, die sich – wie tene italienische Militärangehörige, 45.000 getöteten PartisanInnen, der von ihrer Regierung befohlen – gegen denen die Reichsführung den Kriegs- gefallenen regulären Soldaten sowie die Entwaffnung und Besetzung des gefangenenstatus und damit die im der durch Kriegseinwirkungen (etwa Landes wehrten, sollten die Offiziere Genfer Abkommen vom 27. Juli 1929 Luftangriffe) umgekommenen Per- nach der Gefangennahme erschossen garantierten Rechte verweigerte. sonen – täglich über 160 italienische und die Unteroffiziere sowie Mann- Völkerrechtswidrig machte das NS- Kinder, Frauen und Männer jeden Al- schaften ins Operationsgebiet des Regime das Gros dieser jeder Will- ters durch deutsche Hand. Heeres im Osten verbracht werden. kür ausgesetzten, extrem schlecht Deutschland verstieß damit gegen behandelten Männer im Sommer die Haager Landkriegsordnung vom 1944 zu zivilen Zwangsarbeitern. 28. Oktober 1907. Denn dieses inter- Sie hätten damit Anspruch auf nationale Abkommen, das nicht alle, 66 aber einen großen Teil der Regeln des eine breite Blutspur. Allein in der wirkte. Signifikanterweise wurden die Krieges zwischen Landstreitkräften Provinz Caserta ermordeten deutsche U n terführer fast durchgehend mit einer kodifiziert, verbietet in Artikel 23c Soldaten vom 9. September bis zum Carte blanche ausgestattet. Und nicht „die Tötung oder Verwundung eines 27. Dezember 1943 knapp 700 Men- nur Kesselring, die Waffen streckenden oder wehr- schen. Und in Caiazzo, einer kleinen der Oberbefehlshaber in Italien, dem losen Feindes, der sich auf Gnade oder Stadt unweit von Neapel gelegen, dort seit April 1944 zugleich die ober- Ungnade ergeben hat“. brachten Angehörige der 3. Panzerg- ste Leitung der Partisanenbekämp- Eine weitere verbrecherische Wei- renadierdivision am 13. Oktober 1943 fung oblag, erklärte wiederholt, dass sung Hitlers für den italienischen zehn Kinder unter 14 Jahren, eine „zu scharfes Durchgreifen niemals Kriegsschauplatz befahl am 18. Sep- Jugendliche, sieben Frauen und vier Grund zur Strafe“ sein würde, wohin- tember 1943, dass unter den auf der Männer auf allerscheußlichste Wei- gegen „schlappe und unentschlossene Insel Kefalonia Widerstand leistenden se um. Die Mörder gaben später zu Führer“ rigoros „zur Rechenschaft“ Angehörigen der Infanteriedivision Protokoll, es habe sich um Bandenbe- gezogen werden sollten. Für die Aus- „Acqui“ keine Gefangenen gemacht kämpfung gehandelt. Das traf objektiv wirkungen derartiger Befehle auf die werden sollen. Der Befehl war völker- nicht zu. Doch die Behauptung hätte Zivilbevölkerung stehen Hunderte ita- rechtswidrig gemäß Artikel 23 d der ihnen bei einer Untersuchung der Tat lienischer Ortsnamen. Beim Lesen der Haager Landkriegsordnung, der „die durch die Wehrmachtsgerichtsbarkeit Berichte von Augenzeugen entstehen Erklärung, daß kein Pardon gegeben“ Straffreiheit verschafft. Denn nach Bilder, die exakt jenen gleichen, die werde, „untersagt“. Dennoch führte dem 8. September 1943 galt Hitlers uns aus dem „Vernichtungskrieg im man ihn aus: Bis zu 5.326 Offiziere, ursprünglich für den russischen und Osten“ überliefert sind (siehe auch die Unteroffiziere und Mannschaften wur- den balkanischen Kriegsschauplatz Artikel Marzabotto und über den Kriegs- den (oft auf grausamste Weise) umge- herausgegebener – „Bandenbekämp- verbrecherprozess in Verona in dieser bracht, als sie ihre Waffen niederlegen fungsbefehl“ vom 16. Dezember 1942 Broschüre). wollten oder niedergelegt hatten. auch in Italien. Dieser verpflichtete die Truppe, „ohne Einschränkungen Protest vom „Duce“ gegen Keine Lebensgefahr auch gegen Frauen und Kinder jedes „blindwütige Repressalien“ bei Befehlsverweigerung Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg“ führte. Zugleich enthielt der Da sich solche Zustände für Mussolini Für die wenigen Offiziere, die sol- Befehl ein totales Strafverfolgungs- innenpolitisch auswirkten, protestierte che Befehle nicht ausführten, hatte verbot: Kein Deutscher durfte wegen er im Mai und August 1944 gegen ihre Verweigerung in keinem Fall „seines Verhaltens im Kampf gegen „verbrecherische Handlungen“ deut- nachteilige Folgen. Das überrascht die Banden und ihre Mitläufer diszi- scher Truppen. Kesselring mahnte nicht, denn jeder Wehrmacht- oder plinarisch oder kriegsgerichtlich zur daraufhin eine gewisse Disziplin an, SS-Angehörige konnte sich auf § 47 Rechenschaft“ gezogen werden. beharrte aber auf der „Bandenbekämp- Militärstrafgesetzbuch berufen, der es Dass Hitler den Soldaten mit dem fung mit schärfsten Mitteln“ – so blieb verbot, wissentlich einen Befehl zu be- „Bandenbekämpfungsbefehl“ jede im Grunde alles beim Alten. folgen, der ein „bürgerliches oder mi- Scheu vor Exzesstaten nehmen wollte, Der „Duce“ schrieb deshalb Mitte litärisches Verbrechen oder Vergehen hatte sich bereits am 1. Dezember September an Botschafter Rahn, er bezweckte“. Außerdem durfte gemäß 1942 gezeigt, als er mit General- habe geglaubt, das von Kesselring den „Zehn Geboten für die Kriegfüh- feldmarschall Keitel, dem Chef des verschickte Rundschreiben würde rung des deutschen Soldaten“, die Oberkommandos der Wehrmacht, und den „blindwütigen Repressalien ein jeder Wehrmachtangehörige in den General Jodl, dem Chef des Wehr- Ende“ setzen. Hingegen müsse er Händen hatte, „kein Gegner getötet machtführungsstabes, die endgültige „fest stellen, dass man in derselben Art werden“, der sich ergab, nicht einmal Fassung des Befehls diskutierte. weitermacht“. der „Freischärler und der Spion“. Das Hitler bestand darauf, dass selbst die mag erklären, warum sich bis heute Tötung unschuldiger Frauen und Kin- Hitler wollte den Soldaten mit – bei rund 1.600 untersuchten Fällen der erlaubt sein müsse. Nach General dem „Bandenbekämpfungs- – kein einziger Fall nachweisen ließ, Jodl war nicht nur das gewährleistet. befehl“ jede Scheu vor in dem ein Soldat oder SS-Mann we- Denn die Männer durften „im Kampfe gen der Nichtausführung eines verbre- machen, was sie wollten“. Sie konnten Exzesstaten nehmen cherischen Befehls in Befehlsnotstand ihre Gegner, weibliche offensichtlich geriet, das heißt, in eine Lage, in der eingeschlossen, sogar „aufhängen, Kesselrings Reaktion vom 24. ihm eine „gegenwärtige Gefahr für verkehrt aufhängen oder vierteilen“. September bezweckte Schadens- Leib oder Leben drohte“. Dessen ungeachtet behauptete Keitel begrenzung. Bemerkenswert erscheint im Nürnberger Prozess, „dass es nie- sie vor allem deshalb, weil der Ge- mals nötig gewesen wäre, deutschen neralfeldmarschall das „Erschießen Straffreiheit bei Soldaten zu sagen, dass sie Frauen von Frauen, Greisen und Kindern“ „Bandenbekämpfung“ und Kinder nicht töten können und durch seine Soldaten zugab und er- nicht töten dürfen“. Wenn dem so kennen ließ, dass er davon gewusst Mit dem Rekurs auf Zwang, Terror, g e wesen wäre, hätten mindestens 580 hatte. Doch praktisch tat Kesselring das Prinzip von Befehl und Gehorsam, italienische Kinder unter 14 Jahren ihr auch in der Folgezeit nichts gegen die Empörung über den angeblichen Leben nicht verloren. derartige Verbrechen. Kein einziger Verrat oder die schwierige Lage der Weisungen für die Partisanenbe- Fall ist bekannt, in dem ein deutscher deutschen Truppen in Italien ist be- kämpfung, bei der es in aller Regel Befehlshaber einen deutschen Täter sagter Massenmord nicht zu erklären. zu den Verbrechen an der großzügig wegen solcher Verbrechen zur Verant- Es mangelte vor allem an Zivilcoura- zu Mitläufern, also Mitschuldigen er- wortung zog. ge. Nicht zuletzt deshalb hinterließen klärten Zivilbevölkerung kam, lassen die deutschen Divisionen bei ihrem vermuten, dass sich Hitlers „Banden- Rückzug von Süd- nach Norditalien bekämpfungsbefehl“ normativ aus- 67 Auch nach dem Kriegsende 1945 Geiseltötung holung die Hinrichtung abschrecken wurde nur eine Handvoll deutscher und Völkerrecht sollte, angemessen war, man spricht Täter von alliierten oder italienischen hier von einer „Proportionalitäts- Gerichten zur Rechenschaft gezogen, Bis 1945 erfuhr die Geiselfrage im schranke“. was in erster Linie im Zusammenhang Völkerrecht keine kodifizierte Rege- Nachgewiesen werden musste ferner, mit dem sich anbahnenden Kalten lung. Folglich wird die Frage nach dass es unmöglich gewesen ist, die Krieg und unter Berücksichtigung der der Rechtmäßigkeit der Geiselnahme Täter zu ergreifen. innenpolitischen Verhältnisse in Ita- und Geiseltötung (in der Zeit vor dem Untersagt waren Befehle, die feste lien gesehen werden muss. Ende des Zweiten Weltkrieges) unter- Quoten für Geiseltötungen in allgemei- schiedlich beantwortet. ner Form vorschrieben. Die Behaup- Kesselrings blutiger Terror Die amerikanischen Richter im tung, das Völkerrecht billige generell Fall VII, einem der 12 Nürnberger die Repressalquote 1:10, ist frei erfun- Im zitierten Brief Mussolinis war Nachfolgeprozesse, befassten sich den. Hinzu kamen der Ausschluss von auch von Repressalien die Rede. Der detailliert mit dem Problem der Ver- Sühnemaßnahmen, die von der Schuld faschistische Regierungschef bezog trags- und Repressalgeiseln. Erstere einer besonderen „Rasse“, Klasse sich hierbei auf Geiselerschießungen. hafteten in einem besetzten Land mit oder Bevölkerungsgruppe ausgingen, Dazu kam es in Italien zwar weniger ihrem Leben für das Wohlverhal- und das Erfordernis, dass der Befehl häufig als in Frankreich, wo während ten des Bevölkerungsteils, dem sie zur Geiseltötung auf dem Spruch des des Krieges – gemäß den Nürnberger a n gehörten. Letztere wurden nach zuständigen Kriegsgerichts beruhte, Prozessakten – 29.660 Personen als Attentaten oder Sabotageaktionen mit dem dieses bestätigte, dass die für Geiseln exekutiert worden sind. Aber genommen und im Extremfall zur die Hinrichtung erforderlichen Voraus- spätestens seit dem Januar 1944 ver- V e rgeltung und Abschreckung getö- setzungen erfüllt waren. fuhr man in Italien nicht weniger ri- tet. Die meisten der von den amerika- goros. Besagte Richter, die ausführlich nischen Richtern gestellten Bedin- Traurige Berühmtheit erlangte die b e gründeten, dass die von ihnen als gungen wurden bei den von deutschen grausame Erschießung von 335 Men- Kriegsverbrechen anerkannten Taten Befehlshabern auf dem italienischen schen in den Fosse Ardeatine in Rom Verbrechen gemäß dem zur Tatzeit Kriegsschauplatz befohlenen Geisel- als Vergeltung für ein Attentat in der vereinbarten Recht oder dem Gewohn- tötungen nicht erfüllt. Deshalb ist Via Rasella, bei dem das Polizeire- heitsrecht darstellten, verdammten nach dem Unrechtsbewusstsein der giment „Bozen“ am 23. März 1944 Geiseltötungen als ein „Greuel“ und verantwortlichen Offiziere zu fragen. 33 Tote und 67 Verwundete beklagte. „barbarisches Überbleibsel aus der Es geht dabei um die Einsicht in die Im Juni 1944, als die Partisanentätig- Vorzeit“. Trotz dieser moralischen Rechtswidrigkeit ihres Tuns, die sie keit deutlich zunahm, ging Kesselring Verurteilung bejahten sie jedoch das besaßen oder besitzen konnten. bei der Geiseltötung erheblich weiter. Recht auf Geiselnahme und Geisel- Befehle aus dem Herbst 1943, die in Er gab bekannt, dass „Orte, in denen tötung. Hierbei stützten sie sich zum etwa den von den Nürnberger Richtern sich Banditen nachweisen“ ließen, in einen auf die gewohnheitsrechtlich aufgestellten Bedingungen genügten, welchen es zu „Anschlägen auf deut- begründete Gehorsamspflicht der lassen erkennen, dass die Wehr- sche oder italienische Soldaten bezie- Z i vilbevölkerung in einem besetzten machtsführung in Italien zur Tatzeit hungsweise [zu] Sabotageaktionen“ Land; und zum anderen bezogen sie wusste, welche Bedingungen bei Gei- kam, völlig niedergebrannt und „alle sich auf die Theorie von der Kollek- seltötungen erfüllt sein mussten. männlichen Einwohner“ über 18 Jahre tivverantwortlichkeit. Beide Recht- Zu bedenken ist ferner, dass die erschossen würden. Die Frauen waren fertigungen sind heftigst umstritten A l liierten das Töten von Geiseln in Arbeitslagern zu internieren. Das und lassen sich nicht mit Artikel 50 der 1942 und 1944 zum Kriegsverbrechen Schicksal der Kinder blieb offen. Haager Landkriegsordnung harmo- e r klärten. Außerdem erließ der Ober- nisieren. In diesem heißt es nämlich: befehlshaber der alliierten Landstreit- Um die Verurteilung schuldig „Keine Strafe in Geld oder anderer kräfte in Italien, General Alexander, gewordener Uniformträger zu Art darf über die ganze Bevölkerung am 20. Oktober 1944 einen Aufruf verhindern, griffen die Autoren wegen der Handlungen einzelner an die deutschen Truppen, in dem er verhängt werden, für welche die Be- u n ter Nennung von Beispielen bekannt auf die „Alle-Macht-dem-Führer- völkerung nicht als mitverantwortlich machte, dass Offiziere und Soldaten, Erklärung“ zurück angesehen werden kann.“ die solche „Geiselmorde“ und „Mas- Ansonsten aber machten die Richter senvergeltungen gegen unschuldige Der Ortskommandant von Cóvolo, in die Rechtmäßigkeit der Geiselnah- Zivilisten“ sowie „Folterungen und der Provinz Vicenza, der sich augen- me und -exekution von bestimmten, andere ähnliche Barbareien“ befahlen scheinlich an der zitierten Anordnung genau definierten Voraussetzungen oder ausführten, nach dem Krieg als Kesselrings orientierte, informierte abhängig. Dazu gehörten: das Verbot, „Kriegsverbrecher“ abgeurteilt wer- am 11. Juli 1944 die Bevölkerung, Geiseln aus Rache oder militärischen den würden. dass bei einem verwundeten Deut- Zweckmäßigkeitsgründen zu töten; schen 50 und bei einem toten 100 die Verpflichtung, nachzuweisen, „Alle-Macht-dem-Führer- männliche Einwohner des Ortes hin- dass die Bevölkerung aktiv oder pas- gerichtet würden, in dessen Nähe sich siv an dem zu sühnenden Vergehen Erklärung“ der Anschlag ereignet hatte. Bei meh- Anteil genommen hatte; die Gewähr, Was die deutschen Täter angeht, so reren deutschen Verwundeten oder dass vor der Geiselnahme oder Geisel- zeigte sich ihr Unrechtsbewusstsein Toten sollten „sofort alle Männer des tötung alle anderen Möglichkeiten zur besonders deutlich bei Kriegsende, als Bereichs erschossen, die Frauen inter- Wiederherstellung von Ruhe und Ord- ihnen die alliierterseits angekündigte niert und das Vieh requiriert werden“. nung erschöpft waren; das Gebot, dass Bestrafung drohte. Die militärische die Anzahl der getöteten Geiseln der Führung suchte deshalb nach einem Schwere der Tat, von deren Wieder- alle entlastenden Ausweg.

68 Anlässlich des Überfalls auf die UdSSR 1941 veröffentlichtes Plakat Das 1944 verteilte Plakat wirbt für den Eintritt in die Spezialeinheit

Bis Mitte Mai 1945 entstand in der machen, dass Paragraph 47 Militär- Die Richter in Nürnberg wiesen die Rechtsabteilung des Oberkommandos strafgesetzbuch, der das Befolgen von Argumentation des Oberkommandos der Wehrmacht, das nach der Kapitu- als verbrecherisch oder rechtswidrig der Wehrmacht zurück. Sie bestanden, lation noch eine Weile funktionierte, erkannten Befehlen mit Strafe belegte, auch unter einem Unrechtsregime, auf eine Ausarbeitung zur „Rechtslage der nach dem April 1942 nicht mehr galt. der Verantwortung des einzelnen. sogenannten Kriegsverbrecher“. Das ist nachweislich falsch. Denn Um die Verurteilung schuldig gewor- zum einen gab es weiterhin folgenlose Diesem Artikel liegt ein Vortrag von dener Uniformträger zu verhindern, Verweigerungen verbrecherischer Be- Gerhard Schreiber von 2002 zu Grunde. griffen die Autoren auf die „Alle- fehle, etwa 1943 in Italien, und zum Macht-dem-Führer-Erklärung“ des anderen steht seit dem Auschwitz- Gerhard Schreiber Deutschen Reichstags vom 26. April Prozess von 1964 fest, dass verbre- ist Militärhistoriker und Autor u. a. 1942 zurück und behaupteten, Hitlers cherische Befehle selbst dann nicht des Buches Deutsche Kriegs- Befehle wären nach jener Erklärung allgemeinverbindlich wurden, wenn verbrechen in Italien. Täter, Opfer, in der Wehrmacht „bindendes Gesetz“ sie Führerbefehle waren oder auf sol- Strafverfolgung, München 1996. gewesen. Zudem habe ein Führerbe- che zurückgingen. Zudem konnte die fehl die Soldaten „jeder strafrecht- Reichsregierung internationales Recht lichen Verantwortung“ enthoben, „da nicht außer Kraft setzen. durch ihn entgegenstehende gesetz- Alles in allem gab die Rechtsabteilung liche Normen ihre Wirksamkeit verlo- des Oberkommandos der Wehrmacht ren“ hätten. Selbst Weisungen, die ein in ihrer Studie zu, dass staatlich legiti- „allgemeines oder militärisches Ver- mierte Verbrechen wissentlich ausge- brechen oder Vergehen“ bezweckten, führt wurden. Nur wollte dafür nach mussten angeblich befolgt werden. dem 8. Mai 1945 niemand die Verant- Man wollte unter anderem glauben wortung übernehmen.

69 Als deutsche Besonderheit, die Wie war das alles möglich? w e sentlich zur Ermöglichung der auf dem italienischen Kriegsschauplatz Eine Betrachtung von Gerhard Schreiber und anderswo verübten Kriegsver- brechen beigetragen haben dürfte, wäre eine bis ins 19. Jahrhundert zu verfolgende Relativierungstendenz gegenüber dem internationalen Recht zu benennen. Diese fand zum Beispiel Ausdruck in der verbreiteten theore- tischen Abwertung des Völkerrechts oder in der Bekämpfung humani- tären Denkens im Offizierkorps. Im N a tionalsozialismus erreichte all das einen Höhepunkt. So behauptete etwa Werner Best, promovierter Jurist und SS-Obergruppenführer, im August 1939, dass das Völkerrecht – im völ- kischen Verständnis gar kein Recht darstelle. Seine Begründung: „Jedes Volk hat nur den Zweck der Selbst- erhaltung und Selbstentfaltung und kennt nur Maßstäbe des Handelns, die auf diesen Zweck ausgerichtet sind.“ Und was das humanitäre Denken a n betraf, so durfte es gemäß der Auffassung von Hitler bei der Be- stimmung der Kampfformen keine Rolle spielen. Hier liegt der Ursprung der verbrecherischen Befehle. So- bald es um die Machterhaltung oder Machtsteigerung des Reichs ging, war der Einsatz sämtlicher Mittel nicht nur gestattet, sondern verpflichtend. Eine wichtige Rolle spielten zudem die Dominanz so genannter Kriegs- notwendigkeiten gegenüber dem jus in bello (Kriegsvölkerrecht) und der willkürliche Rückgriff auf beliebig definierbare Kriegszwecke. Ließ sich doch im Verständnis deutscher Mili- tärs mit solchen Kriterien jeder T e rror im Rahmen der Besatzungspolitik rechtfertigen. Recht war, was dem deutschen Volk beziehungsweise dem Reich nutzte. Oder mit den W o rten Hitlers, das „Recht“ lag im Siege. Jene nationalsozialistische Maxime, 1940 veröffentlichtes Propagandaplakat zur Freundschaft Italien/Deutschland gemäß der Macht Gewaltanwendung rechtfertigte, wurde vom Militär aner- Prinzipiell bin ich der Auffassung, zu einer moralischen Verwüstung im kannt und gewöhnlich handelte seine dass man im Kontext der Täter- Menschenbild als solchem zu füh- Führung danach, nicht nur in Italien. forschung, wenn es um die Ursachen ren. Anders gewendet, als Folge der In Bezug auf das Ermöglichen von von Kriegsverbrechen geht, als einen permanent erlebten Begrenztheit der Kriegsverbrechen ist auch das Ideal- maßgebenden Faktor, unter vielen eigenen Existenz nimmt die Achtung bild des politischen Soldaten anzu- anderen Faktoren, die besondere Men- vor dem Leben ganz generell, aber sprechen, das keineswegs allein für die talität zu berücksichtigen hat, die sich insbesondere der Respekt gegenüber SS oder Waffen-SS verbindlich war. bei Männern im Kriege ausformt. dem Leben des anderen kontinuierlich Vielmehr verstand man darunter einen ab. Bei alldem handelt es sich freilich Wehrmachtangehörigen, der sich mit Niemand musste der Front um kein spezifisch deutsches, sondern der NS-Ideologie und den politischen den „politischen Soldaten“ um ein menschheitliches Phänomen. Zielen des Regimes identifizierte. In aufdrängen, sie wollte diesen Deshalb vermag die Bezugnahme auf diesem Zusammenhang ist daran zu diese Beziehungsstörung oder Irrita- erinnern, dass Hitler Heer, Luftwaffe von sich aus tion letztlich auch nicht zu erklären, und Kriegsmarine bereits im Mai 1936 wie und warum der Zweite Welt- zur intensiven „Pflege des Rassege- Die direkte und ständige Gegenwart krieg im Hinblick auf die deutsche dankens“ als Kernpunkt der „natio- des Todes scheint, so mein Eindruck, Kriegsführung zum präzedenzlosen nalsozialistischen Staatsauffassung“ bei Militärangehörigen allmählich V e rbrechen geworden ist. verpflichtete. So gesehen überrascht zu moralischer Gleichgültigkeit, ja es nicht, dass hohe Off iziere in Italien 70 Ende 1943, um einen qualifizierten F ü hrungsebene – aber ebenso auf den Meines Erachtens bieten der alltägliche Personalersatz zu garantieren, nicht nachgeordneten Ebenen – um sich antiitalienische Rassismus und der nur die „drillmäßige Ausbildung im Er- griff und jedwede Solidarität erstickte. blinde Gehorsam, mit dem sich die satzheer“ forderten, sondern zugleich Mussolini erkannte das hin und wie- Täter jeder ethisch-moralischen Ver- die „regelmäßige politische Erzie- der. Beispielsweise stellte er schon antwortung zu entheben versuchten, hung“ der jungen Soldaten „durch auf Anfang Juni 1941 fest, dass die Deut- die überzeugendste Erklärung für die dem Boden der nationalsozialistischen schen die Italiener als „Sklavenvolk“ Ursachen der an Italienern verübten Weltanschauung stehende Offiziere“ und sich selbst als „Herrenvolk“ be- Gräueltaten. verlangten. Niemand musste der Front trachteten. Doch zog er daraus keine Die Opfer der Verbrechen sind bei uns den „politischen Soldaten“ aufdrängen, Konsequenzen. vergessen, wir haben die Erinnerung an sie wollte diesen von sich aus. Wie recht der „Duce“ im übrigen sie bislang erfolgreich verdrängt. Für Außerdem ist es eine Tatsache, dass das hatte, zeigte sich im Juli desselben mich ist das ein unwürdiger Zustand, im militärischen Leben zentrale Prin- Jahres, als das Rassenpolitische Amt der endlich beseitigt werden sollte. zip von Befehl und Gehorsam dazu an- der NSDAP erstmals ganz offiziell ein Dazu erscheint es mir notwendig, dass getan ist, beim einzelnen Soldaten das deutsch-italienisches Heiratsverbot wir, ohne Beeinträchtigung der nach Bewusstsein dafür zu verdunkeln, dass vorschlug, weil Ehen zwischen Deut- wie vor unverzichtbaren Auseinander- er selbst bei befohlenen politischen und schen und Italienern – wie es später setzung mit dem singulären Verbre- militärischen Handlungen eine persön- hieß – die „Reinerhaltung [des] deut- chen der Ermordung der europäischen liche Restverantwortung trägt. schen Blutes“ gefährdeten. Juden und dem Vernichtungskrieg im Zu berücksichtigen wären zudem alle Gewiss, jener alltägliche Rassismus Osten, die Problemstellung erweitern diejenigen Faktoren, die aus der mili- bezweckte nicht den Genozid, den und uns um schonungslose Antworten tärischen Lage oder der individuellen Völkermord, sondern die nationale auf die Frage bemühen, warum und psychologischen Situation resultierten. Deklassierung. Nichtsdestoweniger wie es dazu kam, dass nicht nur die Nicht zu vergessen ist ferner der Ein- kostete er, da durch ihn die Hemm- Achtung vor jüdischem, sondern der fluss der Propaganda, die zum Beispiel schwelle gegenüber der Tötung von Respekt vor nichtdeutschem Leben nach Italiens Kriegsaustritt ein ganzes Italienern erschreckend tief abgesenkt ganz allgemein verloren ging. Volk zu Verrätern stempelte. wurde, Tausende das Leben. Mit der Propaganda gingen Befehle Gerhard Schreiber einher, welche die Soldaten mit Hass- gefühlen indoktrinierten, um sämtliche Hemmungen von Moral und Gewissen auszuräumen. Als exemplarisch er- scheint mir hierfür eine gemeinsame Anordnung der Generalfeldmarschälle Rommel und Kesselring. In ihr bezeich- neten die beiden Oberbefehlshaber (am 23. September 1943) die regulären ita- lienischen Soldaten, die auf alliierter Seite kämpften, als „Gesindel“, das „jedes Anrecht auf Schonung verloren“ habe. Da der Erlass im truppendienst- lichen Unterricht behandelt werden musste, dürfte er den meisten damals in Italien eingesetzten Wehrmachtan- gehörigen vertraut gewesen sein. In Befehlen dieser Art kam eine weit verbreitete Geringschätzung des italie- nischen Menschen zum Ausdruck. Ein Kompaniechef der Division „Branden- burg“, der in Albanien befehlsgemäß 52 an Malaria erkrankte, unschuldige Offiziere eigenhändig durch Genick- schuss tötete, kommentierte seine Untat lapidar: „Das sind doch nur Italiener.“ Und General Westphal, Kesselrings Chef des Stabes, wies im April 1944 den Oberst Berlin vom Armeeober- kommando 10 an, er solle alle Italie- ner, die verbotenerweise in die von der Zivilbevölkerung geräumten Zonen zu- rückkehrten, „umlegen“ lassen. Auf die Frage, ob man das so einfach machen könne, beschied er den Obristen: „Man muss nicht soviel darüber sprechen.“ Dermaßen menschenverachtende Äußerungen und Anordnungen ent- stammten einem alltäglichen Ras- sismus, der seit Dezember 1940 auf der höchsten nationalsozialistischen Von Flugzeugen der RSI abgeworfene Flugblätter über PartisanInnengebieten 71 72