Postille

St-Sebastian-Kirche auf dem Gartenplatz, siehe Seite 4

Nachrichten des Weddinger Heimatvereins e.V. Verein für die Geschichte der Ortsteile und Heft 64/2020

Preis € 2,00 1 Impressum Die Panke-Postille wird in unregelmäßigen Abständen mindestens zweimal jährlich herausgegeben vom Weddinger Heimatverein e.V. - Verein für die Geschichte der Orts- teile Wedding und Gesundbrunnen - Postanschrift: Weddinger Heimatverein, c/o Bernd Schimmler, Kattegatstr. 18, 13359 Die Broschüre mit Beiträgen aus dem Vereinsleben, über die Ortsteile und zu sonstigen Themen, wird kostenlos an die Mitglieder des Heimat- vereins abgegeben; weitere Exemplare können zum Kostenbeitrag von 2 €/Exemplar erfolgen. Gewerblicher Verkauf und/oder Verteilung durch Parteien sind ausgeschlossen. Herausgeber und Redaktion: Bernd Schimmler für den Weddinger Heimat- verein. Beiträge zur Panke-Postille aus den Mitgliederreihen oder von weiteren Interessierten sind sehr willkommen, wir bitten um Zusendung an die Postanschrift oder per E-Mail an [email protected] Dank! Achtung! Zeitweilig neue E-Mail-Anschrift. Für die monatlichen Beitragszahlungen oder Spenden an den Verein - gemeinnützig, Spenden als abzugsfähig vom Finanzamt anerkannt - steht unser folgendes Konto zur Verfügung: IBAN: DE41 100708480285553400 I BIC. DEUTDEDB110 Vorstand Vorsitzender : Bernd Schimmler (Tel. 493 34 30) Stell. Vorsitzender : Peter Gierich (Tel. 49360 63) Schatzmeisterin: Marion Kiske (Tel. 45 60 65 10) Geschäftsführer : N.N. Schriftführer: Peter Cucharski Beisitzer: Hans Berg, Bodo Körtge, Peter Lüdtke, Johann Ganz, Michael Zernick, Bernd Wickmann (komm.) Anmeldung Veranstaltungen: Peter Cucharski (Tel. 432 85 37) www.weddinger-heimatverein.de Link zum Heimatmuseum Wedding: www.mittemuseum.de Datenschutzhinweis: Der Verein speichert entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung nur die Namen und Anschriften der Mitglieder zum Zwecke der Einladung und dem Versand der Panke-Postille. Daten werden nicht an Dritte weitergege- ben. Bei Austritt oder Widerruf werden die Daten gelöscht. Daten von Ein-

2 Inhaltsverzeichnis Seite

Besuch der St. Sebastiankirche 4 Namenspatrone unserer Straßen: Wilhelm-Kuhr-Straße 6 Die Posadowsky – Häuser 7 Vor 100 Jahren formte Adolf Wermuth das heutige Berlin 9 Plakatkunst zum Berliner Nachtleben vor dem Ersten Weltkrieg. 11 65 – Chiffre für den Wedding, Von Joachim Faust 12 Neue Sporthalle am Gesundbrunnen. 13 Winter in Berlin – Historisch betrachtet. 13 Kreative Energie im Bewag – Haus 14 Die Mauertoten an der Grenze zum Wedding 15 Buchbesprechungen: - Mutter Krausens Fahrt ins Glück. 16 - ZEITGeschichte, Der Rausch der 20er Jahre. 18 - Hans-Rainer Sandvoß, Mehr als eine Provinz! Widerstand aus der Arbeiterbewe- gung 1933-1945 in der preußischen Provinz , 19 Straßennamen—ein Interview 20 Der "Betende Knabe" vom Leopoldplatz. Von Wolfgang W. Timmler 21 Fundstücke 25 Nachruf auf Wolfgang Sorgatz 26 Fundstück II 26 Buchhinweis zur Rundfunkgeschichte. 27 Aus dem Vorstand 28 Hinweis: Sparkassen 29 Maria Regina Martyrium –Besichtigung 30 Der Alte Dessauer und der Leopoldplatz 33 Das Erzählcafé und die Unterschiedlichkeit der Erinnerungen. 34 Die frühen Berliner Stadtsiegel. 37

3 Tode verurteilte und von Bogenschützen Besuch der St. Sebas- erschießen ließ. Im Glauben, er sei tot, ließ man ihn liegen. Sebastian überlebte und wurde gesund gepflegt. Nach seiner tiankirche Genesung bekannte er sich erneut zum Christentum und wurde daraufhin er- Am 22.10.2019 besuchten die Mitglieder schlagen. und Freunde des Heimatvereins Wedding Im ersten Schlesischen Krieg 1740/42 die St. Sebastian-Kirche auf dem Garten- wurden in Preußen viele Soldaten zu platz. Die katholische Kirche wird ge- Invaliden, die versorgt werden mussten. meinsam von der Gemeinde St. Sebasti- Aus diesem Grunde wurde in der Scharn- an und der kroatischsprachigen Gemein- horststraße in Bln.- am Schönhau- de genutzt. Die Kirche steht unter ser Graben in der Zeit von 1747-48 ein Denkmalschutz. Gegen 15 Uhr begrüßte Invalidenhaus gebaut. Das Invalidenhaus uns der Gemeindereferent, Herr Borken- bestand aus einem 175 m langen Mittel- hagen, und begann gleich mit der Ge- bau mit zwei Seitenflügeln, wobei am schichte der Kirche und ihrer Gemeinde Mittelbau im Süden eine evangelische (Siehe auch Panke-Postille, Heft 61/2019, und im Norden die katholische Kirche S. 38). sich anschlossen. Sie wurde nach dem Schutzpatron der Soldaten, St. Georg, geweiht. Die beiden Kirchen dienten ur- sprünglich nur den Bewohnern des Invali- denhauses. Aber im Laufe der Zeit wuchs die katholische Gemeinde stark an und man war gezwungen, neben der Berliner St. Hedwig Gemeinde eine zweite zivile Gemeinde zu gründen. Die katholische Kirche des Invalidenhauses wurde aus diesem Grunde dem heiligen Sebastian geweiht. Die steigende Anzahl katholi- scher Gläubiger konnte diese Kirche im Invalidenhaus nicht mehr fassen. Somit wurde ein neues Gotteshaus auf dem Gartenplatz uff’n Wedding errichtet, das ebenfalls dem heiligen Sebastian 1893 geweiht wurde. Der heutige Gartenplatz sah am 2. März 1837 Berlins letzte Hinrichtung. Hier wur- de die 42jährige Witwe Henriette Meyer, geb. Heidenreich, wegen vorsätzlicher Ermordung ihres schlafenden Ehemannes Sebastian war ein römischer Soldat und mit dem Rade „von unten herauf“ zu wird seit dem 4. Jh. als Märtyrer und Tode gefoltert. Der Leichnam blieb noch Heiliger in der katholischen Kirche und über zwei Monate liegen, täglich ström- den orthodoxen Kirchen verehrt. Auch ten Neugierige herbei. 1842 wurde das die evangelische Kirche in Deutschland Hochgericht abgerissen (Siehe auch Pan- erinnert an ihn. Er bekannte sich zum ke-Postille Nr.50/2015, S. 33 ff.). Christentum und hatte notleidenden Die im neugotischen Stil erbaute St. Se- Christen geholfen, worauf man ihn zum bastiankirche wurde mit Sandstein ver-

4 kleidet. Das Hauptschiff ist 21 bis 23 Me- Die Fliegerangriffe wiederholten sich. ter hoch, in beiden Seitenschiffen befin- Die Kirche brannte 3 Tage und 3 den sich je drei Seitenkapellen. Der 87 Nächte lang. Mit allen Kräften ver- suchte man von der Kir- che zu retten, was noch zu retten war. Nach En- de des Krieges, im Sep- tember 1946, begann bereits der Wieder- aufbau der Kirche. Am 29.10.1950 wurde der erste feierliche Gottes- dienst in der wiederauf- gebauten St. Sebastian- Kirche gehalten werden. Nach der Liturgiereform wurde das Kircheninnere 1973/74 vereinfacht. In die Vierung kam eine Altarin- sel, an die Stelle des Hoch- altars trat der Tabernakel, ein kunstvoll Meter hohe Turm ist mit einem Spitz- gestalteter Schrein, worin die geweihten helm abgeschlossen. Am Turm brachte Hostien aufbewahrt werden. Die Kirche man ein aus Stein gehauenes Bildnis ist übrigens eines Krebses an. Ein frommer Mann, das größte der Krebs hieß, hat mit einer Spende katholische geholfen, damit die Kirche endlich fertig Gotteshaus werden sollte. Als Fassadenschmuck im Norden dient eine Rosette am Quergiebel und Berlins. über Auch ranken dem sich um die Haupt- St. Sebastia- portal nkirche zwei ein Reli- Sagen, die ef des erwähnenswert sind: heiligen Wer zwischen 12 und 1 Uhr in der Nacht Sebasti- über den Gartenplatz geht, kann oft ein an. leises Klingen hören. Das kommt von (Foto den Glocken, die von selbst zu läuten lrechts) anfangen, ohne dass jemand die Seile 1929 wurde der Hochaltar errichtet. zieht. In der Nacht vom 22.11.-23.11.1943 Wer um Mitternacht am Gartenplatz brannte die Kirche durch einen Flieger- vorüberkommt, sieht wohl im Innern der angriff. Etwa 20 Brandbomben und ein Kirche ein flackerndes Licht, das bald an Phosphorkanister trafen das Dach der dem einen, bald an dem anderen Fens- Kirche. Der Gartenplatz war ein Flam- ter erscheint. Das kommt von der Later- menmeer. Die Feuerwehr, die zweimal ne, die die „alte Meyern“ in der Hand ersucht wurde zu löschen, kam nicht. trägt. Die Unglückliche kann nämlich im

5 Grabe keine Ruhe finden und steigt Dank gilt auch Herrn Thomas Wolff und dann und wann aus der Gruft. Seit aber Herrn Peter Cucharski für die Literatur die Kirche erbaut ist, sieht dort alles über die St. Sebastian-Kirche. anders als früher aus. Darum kann die alte Frau die Grabstätte nicht wiederfin- Bodo Körtge den. Dann wandelt sie mit der Laterne Fotos: B. Körtge auf und ab und sucht und sucht. Literaturnachweis: - Die St. Sebastiankirche, der heilige Sebasti- an, Wikipedia v. 1.11.2019 - Die Invalidenhaussiedlung in Berlin- Frohnau, Wolfram Sternbeck, Sutton Verlag GmbH Erfurt, 2007 - 700 Jahre Wedding, Bruno Stephan, Süssen- guth-Verlagsgesellschaft Berlin - 125 Jahre St. Sebastian, Berlin-Wedding 1860-1985, Maria Grundlach, Katholische Kirchengemeinde St. Sebastian St. Sebastian (Berlin), Wikipedia v. 6.12.2019

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Namenspatrone unserer Straßen: Wilhelm-Kuhr-Straße Der größte Teil der Wilhelm-Kuhr-Straße Im November 2019 war ich anlässlich befindet sich in , der kleinere einer Reise auf Tenerifa. Bei einem Spa- Teil im Gesundbrunnen führt von der S- ziergang durch die UNESCO-Welterbe- Bahn bis zur Gottschalkstraße und dem Stadt „La Laguna“ entdeckte ich die Kir- Panke- che „Sankt Sebastian“. Ende des 19. Jh. Grünzug neu aufgebaut, hat das Gotteshaus sei- („Walter- nen Ursprung in der ehemalige Heilan- Nicklitz- stalt gleichen Namens, die an dieser im Prome- 16 Jh. errichtet wurde. Im Verlauf seiner nade“). Geschichte stand der Komplex unter der Aber auch Leitung unterschiedlicher religiöser Or- dieser Teil den. Heute beherbergt er ein Senioren- war bis 1938 heim. Eine Nonne ermöglichte mir die Teil des Be- Besichtigung der Sankt Sebastian-Kirche. zirkes Pan- Wir bedanken uns für die inhaltsreichen kow. Früher und epochalen Ausführungen der Füh- hieß die rung beim Gemeindereferenten, Herrn Straße Span- Borkenhagen. Wir waren beeindruckt dauer Stra- und haben eine Menge dazugelernt. ße, bevor Nochmals herzlichen Dank. sie 1915 nach Wil-

6 helm Kuhr benannt wurde. Der am 9. August 1865 in Ostpreußen geborene Die Posadowsky – Häuser Kuhr war von 1906 bis 1914, als er im Ersten Weltkrieg an der Front fiel, der Die Posadowsky – Häuser in der Pankower Bürgermeister. Zuvor war der Wollanksraße 75 – 80 (Gesundbrunnen) Verwaltungsjurist schon zweiter, später wurden im Zuge der christlichen Arbei- erster Bürgermeister in Burg (bei Magde- terbewegung von Carl und Walter Köp- burg). Dann übernahm er das Bürger- pen 1905/06 und 1910/11 für den meisteramt in der Landgemeinde Pan- kow, die damals noch zum Landkreis Niederbarnim gehörte. In dieser Pankower Zeit erreichte er, dass das riesige Grundstück des Barons Kilisch von Horn als Komplex erhalten blieb, nicht mit Mietskasernen bebaut wurde und den Bürgern als ihren Park vollständig zur Nutzung frei gegeben wurde: der Bürgerpark. Aber auch ein Wasserwerk, Straßen, Schulen wurden in seiner Amtszeit errichtet. Der promovierte Jurist Baron Kilisch von „Vaterländischen Bauverein“ erbaut, der auch für die Versöhnungs-Privatstraße an der Hussitenstraße verantwortlich zeichnete. Förderer dieses Baues war der Graf von Posadowsky – Wehner. Das gesamte Viertel entlang der westli- chen Wollankstraße gehörte einst zu Pankow. 1938 schlugen die Nationalsozi- alisten das Nordbahnviertel im Zuge der Grenzbegradigung dem Wedding zu. Der Zipfel ging früher bis zum Elisabethfried- Horn (geb. 1821 in Bromberg, verst. hof. 1886 in Berlin) war von einem unbe- mittelten Adligen von Horn adoptiert Der erste Bauabschnitt der Posadowsky worden, durfte aber in Preußen zu sei- – Häuser ist eine symmetrische Anlage nem Leidwesen sich nur Kilisch-Horn um 3 Höfe, von denen der mittlere als nennen, was er oftmals umging. Er war „Ehrenhof“ zur Wollankstraße offen ist. Gründer und Betreiber der Berliner Bör- Der zweite Bauabschnitt schließt sich als sen Zeitung. 1856 hatte er das Grund- Randzeile dem ersten nördlich an. Der stück in Pankow erworben und einen Ehrenhof ist gärtnerisch gestaltet und Landschaftsgarten anlegen lassen. Das zur Straße durch ein hohes geschmiede- Eingangstor und einzelne Gebäude sind tes Gitter mit 2 Portalen geschlossen. noch erhalten. Die Häuser sind Beispiele des neuen bs luftigeren Wohnungsbaus nach dem ################################# Motto „Mehr Luft und Licht“ mit Balko- nen und verbesserter Ausstattung der Wohnungen wie Gas und fließend Was-

7 ser. Für damalige Verhältnisse war die promovierte 1867 zum Dr. jur. 1871 be- Anlage einer gemeinsamen Badeanstalt gann sein politischer Aufstieg in Posen mit drei Zellen bemerkenswert. als Mitglied der Freikonservativen Partei. Von 1882 – 1885 saß er im Preußischen Das Haus Wollankstraße 96 ist gleichfalls Abgeordnetenhaus und wurde zum Lan- deshauptmann Posens ernannt. Kaiser Wilhelm II. berief ihn 1893 zum Staats- sekretär des Reichsschatzamtes. 1897 stieg Posadowsky – Wehner zum Staats- sekretär des Reichsamtes des Innern, Vizekanzler und zum preußischen Staats- minister ohne Geschäftsbereich auf. Auf- grund von Meinungsverschiedenheiten in der Kolonialpolitik wurde ihm die politi- sche Arbeitsgrundlage entzogen. Er trat am 24. Juni 1907 zurück. Posadowsky – Wehner genoss aufgrund von Carl und Walter Köppen 1907 errich- seines sozialpolitischen Versöhnungskur- tet, ist aber ein typisches Berliner Miets- ses auch Anerkennung unter den Arbei- haus, doch ohne Quergebäude in zeitent- tern und blieb jedoch der Politik erhal- sprechend schon gewandelter Form. ten. Arthur Adolf Graf von Posadowsky – Die Niederlage im Ersten Weltkrieg (1914 Wehner, Freiherr von Postelwitz (1845 – – 18) bedauerte er zutiefst. Bis 1920 war 1932) war ein deutscher Politiker und er Fraktionsvorsitzender der DNVP entstammte schlesischem Uradel. Er stu- (Deutschnationale Volkspartei). Nach dem Kapp–Putsch verließ er die Partei Ende 1920, weil sie ihm zu radikal gewor- den ist. Er saß dann noch ab 1928 im preußischen Landtag als Alterspräsident. Er starb im Oktober 1932 in Naumburg (Saale). Er veröffentlichte u.a.: - Über die Altersversorgung der Arbeiter (1883) - Die Wohnungsfrage als Kulturproblem (1910)

Bodo Körtge Fotos: B. Körtge Literaturnachweis: - Kunstführer Berlin, Reclam 1991, S. 221, Günther Kuhne - Plötzlich Proletarier, Der Tagesspiegel v. dierte der väterlichen Tradition folgend 9.10.2019, Christian Hönicke Rechts- und Staatswissenschaften und - Posadowsky – Häuser, Google v. 14.10.2019

8 - Arthur von Posadowsky – Wehner. Wikipe- Politiker und wurde am 12. Mai 1912 dia v. 10.10.2019 von der Stadtverordnetenversammlung - Landesdenkmalamt, Denkmalliste, Po- mit sozialdemokratischer Mehrheit zum sadowsky-Häuser, Obj.Dok.-Nr.0903448 Oberbürgermeister gewählt. Dieses Amt -Simone Herzig Die "Ära Posadowsky". Po- hatte er vom 1.9.1912 bis zum sadowskys Beitrag zur staatlichen Sozialpoli- 25.11.1920 inne. tik im Deutschen Kaiserreich. 2012: Lassen Sie uns aber einen Blick zurück in die Geschichte Berlins werfen. Um die ++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Zeit von 1170 – 1184 erfolgte die Grün- dung von Berlin und Cölln. Am 20. März 1307 vereinten sich Berlin und Cölln. Vor 100 Jahren formte Adolf Jede Stadt sollte aus den ihr zufließen- den Einnahmen für die Förderung der Wermuth das heutige Berlin Wohlfahrt ihrer eigenen Bürgerschaft und die Bestreitung der nötigen Unkos- Am 1. Oktober 2020 wird Berlin den hun- ten sorgen, namentlich für die Befesti- dertsten Geburtstag groß feiern. Es war gung und Sicherung der Mauern und der 1. Oktober 1920, als Berlin über Tore, jedoch Berlin der Stadt Cölln und Nacht zur drittgrößten Stadt der Erde diese der Stadt Berlin hierbei frei und wurde. Damals verschmolz Berlin mit nachbarlich helfen. Aus den gemeinsa- umliegenden Gemeinden und Städten, men Mitteln sollten die erforderlichen formte sich zur Metropole, wie wir sie Abgaben an den Landesherrn und die heute kennen. sonstigen Untertanenpflichten geleistet Adolf Wermuth (geb. 23.3.1855 in Han- werden. Zwei Brücken verbanden beide Städte, die Lange Brücke und dahinter der Mühlendamm. Über Jahrhunderte ist dann Berlin ge- wachsen, indem Vororte sich entlang der Stadtmauer bildeten und sich günstig entwickelten, weil sie von Zöllen ausge- nommen waren. Obwohl der Grenzwall immer weiter hinausgeschoben wurde, blieb die Unterscheidung von drinnen und außen wichtigster Wachstumsim- puls. Erst 1709 vereinigte König Friedrich I. unter erheblichen grundrechtlichen Neuordnungen Alt-Berlin, Cölln und wei- tere Stadtteile unter Einschluss der Vor- städte zur Residenzstadt „Berlin“. 1858 wurde James Hobrecht bestellt, um die grassierenden hygienischen Probleme der expandierenden preußischen Haupt- stadt in den Griff zu bekommen. Ideen zur Stadterweiterung gab es schon im- mer. 1861 wurden Moabit, Gesundbrun- nen und Wedding, Teile von Tempelhof und Schöneberg eingemeindet. Später nover, gest. 11.10.1927 in Berlin) war ein folgten Tiergarten, der Zoo, Schlossbe- Jurist, Verwaltungsbeamter, parteiloser zirk Bellevue, Teile von Lichtenberg und

9 die Jungfernheide. 1870 sollte Berlin mit antwortete die Repräsentanz des Deut- Charlottenburg, Köpenick und anderen schen Reiches bei den Weltausstellun- Gemeinden gen in Melbourne und Chicago und wur- vereinigt de später im Reichsschatzamt Staatssek- werden. 2 retär. 1912 fragte man ihn, ob er Nach- Anläufe folger des amtsmüden Oberbürgermeis- scheiterten, ters Martin Kirchner werden wolle. Wer- auch der im muth willigte ein. Kirchner war Berlins Jahre 1896. zehnter „Regierender“ (1898-1912). Er Es vergin- hätte die rasant wachsende Millionen- gen aber stadt ins 20. Jh. führen können. Am 12. Jahre bis Mai 1912 wurde Wermuth mit sozialde- sich Stadt- mokratischer Mehrheit zum neuen planer zu Oberbürgermeister gewählt. Wort mel- In den 2 Wochen, bevor er sein Amt an- deten. 1905 trat, machte er sich ein Bild von der wurde ein initiierter James Hobrecht „Wettbewerb Groß-Berlin“ gebil- det, weil Berlin und seine umliegenden Gemeinden bei den damals größten Problemen der Wohnungsnot und des Pendlerverkehrs nicht vorankamen. Kei- ne der prämierten Entwürfe wurde reali- siert. Am 1. 4. 1912 kam es dann zur Gründung des „Zweckverbandes Groß- Berlin“. Der preußische Staat versuchte, Herr über die größten infrastrukturellen Probleme der Metropole zu werden. 1882 wurde bereits Adolf Wermuth ins Reichsamt nach Berlin berufen. Er ver- Berlin, vor dem Groß-Berlin-Gesetz 1920 (dunkelrot) und das heutige Berlin

Stadt, die er regieren sollte. Wohnungs- not und Hunger herrschten, Unruhe und Krankheiten waren Alltag. Wermuth machte die Versorgung der Bevölke- rung zu seiner Hauptaufgabe: Die Ein- führung von Lebensmittelmarken. Die Not schweißte Berlin mit dem Umland zusammen. Auch verkehrstechnisch wollte er Berlin vernetzen. Nach Ende des ersten Weltkrieges 1918 scheiterte eine Zwangseingemeindung des Umlan- des per Notverordnung. Ab März 1919 erfolgte eine Beratung im Roten Rathaus Hobrecht-Plan über die genaue Form der zukünftigen Stadt. In einigen Parlamenten gab es daraufhin Tumulte und Prügeleien. Vor 10 allem Charlottenburg, die reichste Stadt 4. Berlin, Brockhaus, Enzyklopädie, Band 3, Preußens kämpfte erbittert. Noch heu- 1987 te steht das Charlottenburger Tor als 5. Kunstführer Berlin, Philipp Reclam jun., Abgrenzung zum einstigen Berlin. Stuttgart, 1991 Schließlich wurde eine unabhängige 6. Plan B, Kai Müller, Der Tagesspiegel v. Verwaltung mit eigenem Parlament 23.12.2017 und Regierung mit den Namen 7. Plötzlich Metropole, Ulrich Zawatka- „Bezirksversammlung“ und „Bezirks- Gerlach, Der Tagesspiegel v. 12.1.2020 amt“ gebildet. Mit nur 16 Stimmen Mehrheit trat das „Gesetz über die 8. Berlin Kalender 1998, Haude & Spener/ Einheitsgemeinde Berlin“ am 1. Okto- Edition Luisenstadt ber1920 in Kraft. Dem alten Berlin wur- ********************************* den 7 Nachbarstädte, 59 Landgemein- den und 27 Gutsbezirke einverleibt. Plakatkunst zum Berliner Nacht- Groß-Berlin war geboren, gegliedert in leben vor dem Ersten Welt- 20 Verwaltungsbezirke. Wermuth wurde 1920 noch einmal zum krieg. Oberbürgermeister gewählt, doch die Vor dem Ersten Weltkrieg schien für Ausgestaltung des modernen Berlins viele Menschen die Welt in Ordnung zu übernahm sein Nachfolger Gustav Böß. sein. Wer es sich leisten konnte, reiste Wermuth starb 1927 im Alter von 73 mit einfachem Pass zumeist visalos Jahren. Seine Grabstelle finden wir auf durch Europa, die Löhne stiegen dank dem Friedhof der Schlosskirche . kraftvoller Gewerkschaften und das Zwei Anträge auf ein Ehrengrab wurden vielfältige Nachtleben in Berlin und bisher abgelehnt. Viele prominente seinen noch nicht eingemeindeten Plätze und Straßen Berlins tragen die Nachbarn, wie Charlottenburg florierte. Namen ehemaliger Bürgermeister. Die Plakatkunst hatte in Zeiten ohne Nach Adolf Wermuth ist nur der Wer- Fernsehen und Internet eine hohe Be- muthweg benannt, eine knapp 500 m deutung, wie an den zahlreichen Litfaß- lange Betonschleife im Rücken der Säulen sichtbar wurde. Einige Plakate Hochhäuser der Gropiusstadt. Dabei hat das damalige in Ost-Berlin befindli- führte Wermuth Berlin durch eine der che Museum für Deutsche Geschichte schwierigsten Phasen seiner Geschich- als Postkarten in den achtziger Jahren te. Er vereinigte das alte Berlin mit dem herausgebracht. Wir dokumentieren Umland und schuf eine Megametropole einige: mit fast 4 Millionen Einwohnern. Er war die treibende Kraft zum Zusammen- schluss.

Bodo Körtge

Literaturnachweis: 1. Berlins vergessener Vater, Christian Höni- cke und Lars Spannagel, Der Tagesspiegel v. 12.1. 2019 2. Adolf Wermuth, Wikipedia v. 12.1.2020 3. Berlin, Geschichten & Anekdoten, Fried- helm Reis, Verlag Berliner Flair, Berlin Lucian Bernhard 1911

11 65 – Chiffre für den Wed- ding Von Joachim Faust (Redakteur des Weddingweiser)

Wer im Wedding unterwegs ist, kommt um die Zahl „65“ nicht herum. Doch was hat es damit auf sich? Warum identifi- Jo Steiner 1912. Der Künstler ist durch zieren sich Weddinger ausgerechnet mit zahlreiche Kabarettplakate hervorgetre- dieser Zahl? Und das schon seit fast 160 ten, so auch für Veranstaltungen mit Jahren? Claire Waldorff. Das damals bekannteste Mehr als nur eine Postleitzahl Varieté-Theater war um 1900 der Win- tergarten mit einem beleuchtetem Ster- Schon seit 1861 gehörte das Gebiet des nenhimmel und der ersten Drehbühne späteren Bezirks Berlin-Wedding zur in Deutschland. Dort konnte man sich Stadt Berlin. Diese wurde ab dem 15. prächtig amüsierten, wie auch das Pla- Mai 1862 in nummerierte Postzustellbe- kat von Fritz Wolff zeigt, das etwa um zirke eingeteilt. Ähnlich wie heute noch 1914 entstand. in London bestand die Bezeichnung der Zustellbezirke nicht nur aus einer Zahl, Mit dem Vergnügen war dann im großen sondern auch aus einem Buchstaben, der für eine Himmelsrichtung stand. Es gab ein C für Central (also das Zentrum), NO (Nordost), O (Ost), SO (Südost) , S (Süden), SW (Südwest), W (Westen), NW (Nordwesten) und N (Norden). Dahinter folgte die Nummer. In den beiden Kreuz- berger Kiezen SO 36 und SO 61 hat sich diese Bezeichnung aus dem 19. Jahrhun- dert bis heute erhalten. Das Gebiet des späteren Bezirks Wedding lag hingegen vollständig im Norden, bekam also Post- zustellbezirke mit einem „N“. Jetzt kommt die Zahl 65 in Spiel – das ent- sprechende Postamt „N 65“ befand sich in der Schulstraße 7, später in der Ge- richtstraße. Es gab aber auch die Zustell- bezirke N 39 in der Reinickendorfer Stra- ße, N 90 in der Brunnenstraße, N 91 Ackerstraße, N 19 in Pankow und N 31 Usedomer Straße, die für Teile des spä- teren Bezirks Wedding zuständig waren. Das 1928 in der Gerichtstraße gebaute Postamt im Stil der Neuen Sachlichkeit Weltkrieg Schluss. war nach seiner Fertigstellung das Post- Bernd Schimmler amt N 65.

12 Der ganze Wedding wird „65“ mit seinen zwei Ortsteilen Wedding und Gesundbrunnen zum neuen Bezirk Ber- lin-Mitte. Was bleibt Immerhin 131 Jahre gab es eine Verbin- dung zwischen der Zahl 65 und dem Wedding. Es ist also kein Wunder, dass die Chiffre „65“ die Zeiten und die Ab- schaffung des Bezirks Berlin-Wedding überdauert hat – sei es als Aufdruck auf Das ehemalige Postamt N 65 in der Ge- einem Hoodie, als Graffiti an der Wand richtstraße oder als Erkennungszeichen, mit dem die Weddinger etwas verbinden: das Kurz nach dem Mauerbau 1961 wurde Bekenntnis zu ihrem Kiez in Berlin. in der Bundesrepublik und auch in West- Berlin ein neues vierstelliges Postleit- [Der Artikel erschien zuerst im Wed- zahlen-System eingeführt. Dabei behielt dingweiser am 20.1.2020] man 1962 auf Weddinger Gebiet nur die ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ hundert Jahre früher gewählte Nummer des Alt-Berliner Zustellbezirks Berlin Neue Sporthalle am Gesund- N 65 ohne die Abkürzungsbuchstaben bei. Da ganz West-Berlin die Postleitzahl brunnen. „1000“ hatte (die anfangs auch mit „1“ abgekürzt werden durfte), musste die Ab Sommer 2020 wird an dem Schulge- Nummer des Zustellbezirks hinten ange- lände der Vineta-Schule an der Ecke stellt werden. Für den ganzen Bezirk Lortzingstraße und Putbusser Straße Wedding galt nun die Bezeichnung eine neue zweistöckige Sporthalle ge- „1000 Berlin 65“. baut. Bauzeit etwa ein Jahr. Die Sport- halle soll auch eine Tribüne für ca. 50 Aus „65“ werden viele Zahlen Zuschauer beherbergen. 1993 wurde das vierstellige Postleitzah- +++++++++++++++++++++++++++++++++ len-System zugunsten eines fünfstelli- gen Systems für ganz Deutschland abge- Winter in Berlin – schafft. Dabei verlor der Wedding seine charakteristische Zahl „65“. Denn plötz- Historisch betrachtet. lich gab es viel kleinteiligere Zustellbe- Mit dem schneereichen Winter in Berlin zirke – von 13347 am Leo über 13405 an ist es nicht so einfach. Die Berliner Mor- der Julius-Leber-Kaserne bis zu 13407 im genpost hat dies einmal versucht am Übergangsbereich von der Markstraße Beispiel der Weihnachtsfeiertage einzu- nach Reinickendorf geht das Spektrum ordnen. heute – man erkennt nicht unbedingt mehr zweifelsfrei, in welchem Bezirk Danach gab es mindestens einmal sich eine Adresse befindet. Immerhin Schnee in den Jahren 1949, 1956, 1960, sind es wie bei der 65 ausschließlich 1964, 1966, 1968, 1976, 1978, 1995, ungerade Zahlen. 2001 wurde dann 2000, 2002, 2005, 2009 und 2012. auch noch dem Bezirk Wedding der Gar- aus gemacht – seither gehört das Gebiet

13 Richtig durchgehend lag eine Schneede- aus den Kraftwerken von max. 110 000 cke in den Jahren 1961, 1963, 1969, Volt auf bis zu 6000 Volt transformier- 1970, 1981, 1986, 2001 und 2010. ten. Das Umspannwerk sorgte somit der Versorgung der Endverbraucher mit Dies bedeutet, dass es seit 2012 keine Strom. Das Gebäude wurde 1977 zu Schneedecke gab, es waren auch die einem Bürohaus umgebaut und stand ab Jahre in denen es durchschnittlich im- 1997 leer. Die Bewag suchte einen Käu- mer wärmer wurde. Zum Glück kann fer für die Denkmalimmobilie. sich wenigstens in diesem Winter die Pflanzenwelt über mehr Regen freuen. Im Auftrag des „Quartiermanagements Soldiner Straße“ wurde ein Konzept ent- (Quelle: Berliner Morgenpost vom 22.12.2019, S.21) bs wickelt. Das Haus sollte zum „Kultur- wissenschaftlichen Innovationszentrum #################################### Christiania“ mutieren. Mehr als 20 Krea- tive hatten Interesse. Das Prime Time Kreative Energie im Be- Theater spielte im Erdgeschoss des Turmbaus seine Döner-Sitcoms. Das wag – Haus Kunstspektakel mit Behinderten „Heller Wahnsinn“ zog ebenfalls hunderte Besu- In dem markanten goti- schen Turmbau an der Osloer Straße/Ecke Prinzenallee ist schon lange wieder Leben eingezogen. Das ehe- malige Abspannwerk bzw. Umspannwerk Christiania, das aus einem turmartigen Eck- bau und einem westlich anschließendem 4ge- schossigen Büro- und Wohngebäude besteht, wurde 1928 – 29 nach den Plänen von Hans Heinrich Müller in An- lehnung an Schinkels Backsteinbauten im Auftrag der Bewag er- cher an. Nur einige genannt. Heute tum- richtet, um die Stromverteilung in der meln sich hier Fotografen und Designer, Großstadt zu verbessern. Musiker und Journalisten, Bildende Das Umspannwerk Christiania ist ein Künstler und Architekten in dem Bau- eigenwilliges Gebäude. Der Eckturm denkmal. besteht aus gotisierenden Bündelpfei- Über der Tür findet sich noch ein altes lern, die ohne Sockel über den Boden Firmenzeichen der Bewag, das auf die aufwachsen und mit schmalen hohen ehemalige Funktion als Umspannwerk Fensterbahnen versehen sind. Von 1929 hinweist. Die Osloer Straße wurde übri- – 1977 standen in dem 6geschossigen gens erstmals 1892 benannt nach Chris- Turm Transformatoren, die den Strom 14 tiania, der Hauptstadt Norwegens, und Bernauer Str. 1. Verstorben an den fol- wurde 1938 mit der Namensänderung gen am 1. September 1961. der Stadt in Osloer Straße umgetauft. Daher stammt auch der Name: , am 25.9.1961 bei der Flucht „Abspannwerk Christiania“. aus ihrer Wohnung in der Bernauer Str. 34 verletzt und daran am 26.9. 1961 Bodo Körtge verstorben. Fotos: B. Körtge Bernd Lünser, (Foto) am 4.10.1961 beim Literaturnachweis: Sprung vom Dach des Hauses Bernauer Str. 44 tödlich verunglückt. - Der Nordberliner v. 27.10.2004, Kreative Energie, DJ Hans-Dieter - Landesdenkmalamt Berlin, Umspannwerk Wesa, er- Christiania, Google v. 10.10.2019 schossen am - Ehemaliges Umspannwerk Christiania, 23.8.1962 am Google v. 10.10.2019 S-Bahnhof - Zeitzeugen aus Stein, www.schoene- Bornholmer Straße kurz kiezmomente.de v.14.10.2019 vor erreichen - Berliner Straßen, Beispiel: Wedding, des Weddin- Heidrun Joop,

15 Bahntunnel nördlich des Bahnhofes Die Aufzählung zeigt, dass es vielmehr Bornholmer Straße. Tote als Folge der Mauer an den Wed- Heinz Cyrus, unter Beschuss am 10.11.1965 beim Fluchtversuch aus dem Haus Gartenstraße 85 verletzt und hie- ran am 11.11.1965 verstorben. Dieter Brandes, am 9. 6 1965 auf dem Gelände des Nordbahnhofes in Höhe der Weddinger Feldstraße angeschossen und hieran am 11.1.1966 verstorben. Klaus-Jürgen Kluge, am 13.9.1969 nahe dinger Grenzen gab, als auf dem Gedenk- der Helmut-Just-Brücke (Behmstraßen- stein an der Swinemünder Straße ver- brücke) erschossen. merkt wurden. Leo Lis, am 20.9.1969 erschossen in der Bernd Schimmler Nähe des Nordbahnhofes nach Überwin- dung der Panzersperren. ______Volker Frommann, verletzte sich am Buchbesprechungen: 1.3.1973 beim Sprung aus der S-Bahn nahe dem S-Bahnhof Pankow in einem grenznahen Bereich und verstarb hieran 1. Mutter Krausens Fahrt ins am 5.3.1973. Glück. Piel Jutzis revoluti- onärer Spielfilm von 1929. Thomas Taub- mann, verun- Geschichte, Analyse und glückt am Kritik. Das Buch zum Film. 12.12.1981 Herausgeber Walter Frey. tödlich beim Band 5 der Reihe Versuch von „Weddinger Bücher“, Ber- einem Güterzug aus die Mauer lin 2019, 232 Seiten, € unterhalb der 15,00. Bösebrücke zu Bodo Körtge hat in der Panke-Postille Nr. erreichen. (Foto 51-2015 ab Seite 9 einen längeren Artikel links) über diesen in der Weimarer Republik in Michael der Tat revolutionären Film geschrieben. Schmidt, er- Jetzt hat der Verlag von Walter Frey mit schossen am dem 5. Band seiner „Wedding-Bücher“ 1.12.1984 an die Geschichte des Films, seiner Entwick- der Schulzestraße unmittelbar hinter lung und der Kritiken daran, sowohl der dem S-Bahnhof Wollankstraße. zeitgenössischen der Weimarer Repub- lik, wie aus der Zeit nach dem 2. Welt- Ingolf Diederichs, verunglück tödlich am krieg nachgezeichnet. 13. 1.1989 beim Sprung von der S-Bahn in Höhe der Bösebrücke, bleibt er hän- Am 30. Dezember 1929 wurde im Berli- gen und wird tödlich mitgeschleift. ner Alhambra-Kino am Kurfürstendamm der Spielfilm "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" uraufgeführt - einer der bedeu-

16 tendsten deutschen Filme der späten des Films könnte auch "Wedding" lauten: "Denn der Hauptdarsteller dieses Films ist nicht eine einzelne Person, sondern - Wedding." Die in dem Buch veröffentlichten Beiträ- ge zur (film-)politischen Debatte, filmäs- thetischen Analyse und zum zeitge- schichtlichen Kontext rufen den Kino- Klassiker "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" wieder in Erinnerung. Der Band enthält zur Darstellung des Lokalkolorits auch zahlreiche Beiträge über den Wedding, so die kluge Darstel- lung von Fritz Rück auch dem Jahre 1931. Auch eine Nachkriegsdarstellung von Margot Michaelis aus dem Jahre 1978 (im Hanser Verlag erschienen) schildert das Umfeld des Filmes: „Deutlich lassen sich Bezüge zu "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" herstellen. Die im Film dargestellten Lebensbedingun- gen entsprechen offensichtlich denen der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in den 20er Jahren. Ebenso ergeben sich die im Film angegebenen Auswege und Weimarer Republik. Produziert von der die dazugehörigen ideologischen Positio- linken Prometheus-Filmgesellschaft war er ein großer Publikumserfolg, nicht zu- letzt aufgrund seiner schonungslosen Darstellung der Lebensverhältnisse: Wohnungsnot, Armut, Arbeitslosigkeit. Dem Regisseur Piel Jutzi gelang auch die populäre Vermittlung einer politischen Perspektive, die einen Ausweg aus dem Elend aufzeigen will; deshalb wird sein Werk oft als "proletarisch-revolutio- närer" Film bezeichnet. Ideengeber für den Film war Heinrich Zille, der viele seiner Motive im Berliner Arbeiterbezirk Wedding fand. Ein Groß- teil der Filmaufnahmen wurde dort ge- nen aus diesem Milieu. An einigen Bei- dreht, und auch die Handlung spielt dort. spielen thematisiert der Film die Tatsa- Der damals als "Wedding-Maler" bekann- che, dass es noch eine Vielzahl arbeiten- te Künstler Otto Nagel trug entscheidend der Menschen gibt, die nicht die Notwen- zur filmischen Umsetzung bei. In einer digkeit oder die Möglichkeit sehen, für zeitgenössischen Kritik heißt es, der Titel ihre eigenen Interessen einzutreten. Er

17 stellt als Alternative die organisierte Ar- die Erinnerungen einer der Hauptdarstel- beiterklasse dar und damit die Notwen- lerinnen, der damals 23jährigen Ilse digkeit des solidarischen Kampfes aller Trautschold. (siehe Szenenfoto Seite 17) Arbeitenden für die eigenen Interessen Die 1991 verstorbene Schauspielerin ist (hier beispielhaft bezogen auf die Ver- Nachkriegs-Berlinern noch als Mitglied besserung der Lebensbedingungen). An- im RIAS Kabarettprogramm „Die Insula- gesichts der beschriebenen historischen ner“ bekannt. Situation ist außerdem anzunehmen, Insgesamt bietet das Buch so viele As- pekte – gerade auch zum Wedding, dass es ein Muss für Wedding-Interessierte ein sollte.

2. ZEITGeschichte, Der Rausch der 20er Jahre. Glanz und Tragik der Wei- marer Republik, Heft 1/2020, 130 Seiten, € 7,50.

Direkt anschließend an den zuvor be- sprochenen Band bietet dieses Heft der Reihe ZEIT-Geschichte einen reich bebil- derten Überblick über die Krisen der Weimarer Republik und dem gleichzeiti- gen Aufbruch in der Kultur. Der Span- nungsbogen reicht von der neuen Sachlichkeit Filmplakat von Käthe Kollwitz in Kunst und Architektur, dass die Autoren, die ja der organisierten über die Arbeiterschaft nahestanden oder ange- drastischen hörten, den Film vor allem als eine Großstadt- Aufforderung an die im Film gezeigten darstellungen "Unentschlossenen" verstanden, die eines Otto Veränderung der gezeigten Verhältnisse Dix, dem flir- selbst in die Hand zu nehmen.“ (S.55) renden Nachtleben Hoch interessant in dem Buch sind auch bis zum die Skripte der einzelnen Filmsequenzen Aufleben – wer hat schon die Gelegenheit ein einer Fußball- Drehbuch zu lesen! Lesenswert sind auch Die Tänzerin Anita Berber kultur. Thema- zeigte damals fast alles, gegen den Protest aus rechten Kreisen 18 tisiert werden auch die Wandlungen im infrage gestellt wird, enorm wichtig ist. Geschlechterverhältnis – androgyne Ty- Seine Erkenntnisse hat Rainer Sandvoß in pen erobern auch die Modewelt-, die seiner Dissertation über die „andere Entwicklung des modernen Theaters – Reichshauptstadt“ und den Berliner Wi- ohne die Bevormundungen und Verbote derstand gegen das NS-Regime 2007 ein- der Kaiserzeit. Die Faszination der Auto- drucksvoll zusammengefasst. Seine um- mobile, der Siegeszug von Rundfunk und fassenden Kenntnisse führten ihn dann Kino, die Explosion der Presseauflagen, all dies prägte die Erste Republik ebenso, wie wuchernder Antisemitismus, begin- nender Kulturkrieg gegen Bücher und Filme („Im Westen nichts Neues“) und dem sich ständig steigernden Hass auf die Republik, die Linke und alles was nicht konservativ, reaktionär oder irgendwie fremd war. Der Band endet dann auch mit einem Artikel des renommierten His- toriker Andreas Wirsching mit einer Ein- ordnung der Weimarer Erfahrungen in die heutige Zeit: „ Die Hasspropaganda ist zurück“. Schon deshalb ist dieser Band sehr lesenswert. 3. Hans-Rainer Sandvoß, Mehr als eine Provinz! Wi- derstand aus der Arbeiterbe- wegung 1933-1945 in der preußischen Provinz Bran- denburg, Lukas Verlag, Ber- lin 1919, Seiten 624, € 29,80

Dr. Hans Rainer Sandvoß ist den Mitglie- auch auf ein Nebengleis der Berliner NS- dern unseres Vereins nicht nur als Mit- Geschichte. Er hatte soviel Material in glied, sondern auch als Autor wegweisen- den Berliner Ortsteilen auch über die der Bücher über den Widerstand in der Kirchengemeinden und ihre oppositionel- NS-Zeit bekannt. Als Mitarbeiter und spä- len Pfarrer gesammelt, dass er 2014 das terer stellvertretender Leiter der Gedenk- Buch über diese Entwicklung veröffent- stätte Deutscher Widerstand in der Ge- lichte: „Es wird gebeten, die Gottesdiens- denkstätte in der Stauffenberg Straße hat te zu überwachen . Religionsgemein- er den Bezirken – beginnend mit seinem schaften in Berlin zwischen Anpassung, politischen Heimatbezirk Wedding die Selbstbehauptung und Widerstand von Geschichte des Widerstandes in allen 1933 bis 1945“, 564 Seiten, 159 Abb.. Dr. Berliner Bezirken aufgearbeitet. Das um- Sandvoß hat dabei viel Material gesam- fangreiche Material mit zahlreichen per- melt, denn in diesen Zeiten der Unterdrü- sönlichen Interviews, sind heute ein her- ckung trafen sich z.B. Weddinger Sozial- ausragender Schatz der Lokalgeschichte demokraten am Bahnhof Gesundbrunnen sind, den er gesichert hat, der gerade in und fuhren in die Mark, um sich unge- den Zeiten, wo von rechts wieder alles stört von der Gestapo zu treffen und Er- 19 fahrungen auszutauschen. Diese Bezie- Wir dokumentieren das Interview: hungen, aber auch die eigenen Entwick- lungen in Brandenburg hat Sandvoß „Bernd Schimmler jetzt in dem eingangs beschriebenen ist Vorsitzender Buch ausführlich dargestellt. Dabei be- des Weddinger ginnt er mit den Jahren vor dem Ende Heimatvereins. Der der Weimarer Republik und dem vergeb- Geschichtsverein lichen Kampf des Reichsbanners Schwarz gibt die mehrmals -Rot-Gold. Der Schock der Verfolgung jährlich erschei- und der zahlreichen Misshandlungen der nende Panke- dem Machterwerb der Nazis folgte, wird Postille mit The- Andrei Schnell von men zur Geschichte ausführlich ebenso dargestellt, die lei- der WAZ der vergeblichen Bemühungen unabhän- der Ortsteile Wed- giger Gruppen, wie die Gruppe von Wolf- ding und Gesund- gang Abendroth, der in den sechziger brunnen heraus. Im Interview erklärt der Jahren zum Vordenker einer jungen Poli- ehemalige Stadtrat Bernd Schimmler, tologengeneration wurde. Sehr ausführ- was es mit bestimmten Straßennamen lich wird der Widerstand gerade in länd- auf sich hat. lichen Bereich der der KPD-Gruppen Herr Schimmler, es heißt, der Wedding dargestellt, der aber gerade in ihren ist bunt. Das ist wahrscheinlich nicht der Verbindungen zu den Berliner Industrie- Grund, dass es eine Türkenstraße gibt. betrieben ihre Stärke erlebte, aber we- Warum aber dann? gen dieser engen Verbindungen auch leichter von der Gestapo aufgespürt wer- Bernd Schimmler: Der Name Türkenstra- den konnte. ße steht in Zusammenhang mit dem so genannten Großen Türkenkrieg. Das war Wer sich einmal ausführlich—Stadt für ein Krieg zwischen dem Heiligen Römi- Stadt, Landkreis für Landkreis sich um schen Reich, mit Kaiser Leopold I an der die NS-Widerstandsgeschichte in Bran- Spitze, und dem osmanischen Reich. denburg, heute keine Provinz mehr, son- Bekannt aus dem Geschichtsunterreicht dern ein wichtiges Bundesland, kann ist vielleicht die Belagerung von Wien dieses Buch von Dr. Hans-Rainer Sand- durch die Osmanen. Der Kaiser ging nach voß nicht umgehen und auch die Ge- der abgewehrten Belagerung daran, schichts-, Heimatvereine oder Touristen- 1686 von den Tür- vereine können für ihre Führungen sehr ken die Stadt Buda viel lernen. zurückzuerobern. ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Budapest ist ja ein Zusammenschluss Straßennamen aus den Städten Buda und Pest. Im Februar fragte Andrei Schnell, der Und der deutsche auch schon Artikel in der Panke-Postille Name für Buda ist veröffentlichte bei unserem Vorsitzen- Ofen. Deshalb gibt den Bernd Schimmler wegern eines In- es in direkter terviews für die neue Weddinger Allge- Nachbarschaft zur meine Zeitung (WAZ), die seit November Türkenstraße eine Gen. Barfus 2019 in zahlreichen Geschäften ausliegt Ofenerstraße, die zum Thema einiger Straßennamen im nichts mit einer Heizung zu tun hat. Die Wedding nach. Barfus- und die Schöningstraße gehen

20 auf Generäle zurück, die im Großen Tür- Doch es kam nie zu Hagenbecks Tier- kenkrieg wichtig waren. Die Straßenna- und Menschenzoo als feste Einrichtung. men wurden 1892 und 1894 vergeben, die Türkenstraße bekam ihren Namen Als letzte Länderstraße wurde erst am 8. 1904. Oktober 1958 die Ghanastraße getauft. Zu diesem Anlass kam das Staatsober- Warum tummeln sich Armenische, Irani- haupt Kwame Nkrumah nach Berlin. sche und Syrische Straße so dicht beiei- nander? * * * * Bernd Schimmler: Diese Namen wurden Der "Betende Knabe" vom zwischen 1927 und 1929 vergeben. Eine gute Antwort gibt es für Ihre Frage nicht. Leopoldplatz Länder des vorderen Orients waren viel- leicht einfach dran. Es mussten ständig Von Wolfgang W. Timmler neue Straßennamen vergeben werden, weil im 19. Jahrhundert viele aus damali- Die Straße Unter den Linden in Berlin ger Sicht künftige Straßen mit dem Hob- führt vom Brandenburger Tor zur rechtsplan von 1862 lediglich numme- Schlossbrücke. Nach der Thronbestei- riert wurden. Die Indische Straße zum gung ließ Friedrich der Zweite hier – am Beispiel hieß einfach 32b und die Arme- heutigen Bebelplatz - ein Forum aus nische 35b. Die Iranische Straße hatte Opernhaus, Kirche, Bibliothek und Stadt- bereits einen Namen, sie hieß seit 1827 palais nach antikem Vorbild erbauen. Zu Exerzierstraße, sie führte von der all diesen Bauwerken hatte der König Badstraße zu den damaligen Truppen- Skizzen angefertigt und die Standorte übungsplätzen der preussischen Armee. selbst bestimmt. Fünfundsechzig Jahre 1934 wurde sie in Persische Straße um- benannt. Bereits ein Jahr später 1935 folgte nach Ausrufung der Islamischen Republik die Umbenennung in Iranische Straße. Am auffälligsten ist im Wedding das Afri- kanische Viertel mit über zwanzig Län- dernamen. Wie kam es zu dieser Häu- fung? Bernd Schimm- ler: Das liegt an den Zoo- oder Zirkusdirektor Reiterdenkmal Friedrichs II. im Bezirk Mitte Hagenbeck. Des- mit dreistufigem Postament und Figuren- sen Tierpark gibt schmuck es noch heute in nach seinem Tod wurde unweit des Plat- Hamburg. In zes ein Reiterstandbild eingeweiht, wel- Berlin wollte er in den Rehbergen Men- ches Friedrich den Zweiten in Uniform schen und Tiere ausstellen. Man muss und mit umgehängtem Krönungsmantel, wissen, die Rehberge wurden erst 1929 gleichsam in sein Forum einziehend, dar- als Park angelegt. Vorher gab es nur stellt. wüste Sandberge. 1906 wurde als erstes der Name Afrikanische Straße vergeben.

21 An dem dreizehneinhalb Meter hohen von Meer zu Meer fährt und der Welt Denkmal arbeitete der Bildhauer Christi- den Tag gibt. Rhodos gehörte damals an Daniel Rauch über zehn Jahre. Es gilt dem Johanniterorden. 1503 brachte man als das bedeutendste Werk des Künst- die Figur nach Venedig, wo das antike lers. Acht Bildtafeln mit Szenen aus dem Kunstwerk Gelehrte und Künstler gleich- Leben des Königs schmücken den obe- ermaßen anzog. ren Teil des Postaments. Eine davon zeigt Friedrich den Zweiten im Schloss Die Figur war stark beschädigt; ihr fehl- Sanssouci, als er 1747 den sogenannten ten beide Arme und ein Teil eines Fußes, der als erstes ergänzt wurde. 1576 wur- de die Figur nach Verona verkauft, 1604 nach Mantua, 1631 nach London, 1649 nach Paris, wo der Besitzer die fehlen- den Arme ergänzen ließ. 1717 wurde die Figur nach Wien und 1747 nach Potsdam weiterverkauft, wo Friedrich der Zweite

Bronzerelief auf der Nordwestseite des Denk- mals. "Betenden Knaben" in Empfang nimmt. Ein Gelehrter erläutert dem König das kostbare antike Bildwerk und dessen wechselvolle Geschichte. Anfang des 16. Jahrhunderts entdeckte man die ein Me- Karyatidenpaare am Mittelbau der kö- ter dreißig hohe Bronzefigur bei Fes- niglichen Sommerresidenz in Potsdam. tungsbauarbeiten auf Rhodos, der Insel die aus der Zeit Alexanders des Großen stammende Figur auf der Terrasse von Schloss Sanssouci aufstellen ließ. So hatte er sie stets im Blick, wenn er im Der König in seinem Arbeits- Bibliotheks- zimmer daselbst. zimmer sei- ner Sommerresidenz am Schreibtisch Wanderschaft des "Betenden Knaben" quer saß. durch Europa. des Gottes Helios, der im Sonnenwagen

22 friedhof in der Gericht- straße im Bezirk Wed- ding. Kött- gen hatte als hoher Beamter im preußischen Justizminis- terium ge- dient.

Im 19. Jahrhundert angefertigte Kopie des "Betenden Knaben" im östlichen Gitterpavil- 1914 abgefertigte Kopie des lon von Schloss Sanssouci. „Betenden Knaben“ vor der alten Nazarethkirche Die Bronzefigur war das wichtigste anti- ke Bildwerk, welches der preußische König für seine Sammlung erwarb. Nach seinem Tod ersetzte man die Figur in Potsdam durch eine Kopie. Das Original kam ins Berliner Stadtschloss. Heute befin- det sich die Familiengrabstätte in Gestalt eines antiken Figur im Al- Rundtempels (Monopterus) auf dem Urnen- ten Museum friedhof Gerichtstraße im Bezirk Wedding. in Berlin. Die Grabfigur war von der Bronzegieße- Mit dem rei Gladenbeck in Berlin-Friedrichshagen angefertigt worden, wie aus dem Gie- Original des "Betenden Übergang in Knaben" im Nordsaal des eine öffentli- ßerstempel auf der hinteren Schmalsei- Alten Museums im Bezirk che Sammlung te der Plinthe hervorgeht ("AKTIEN- Mitte. wandelte sich GESELLSCHAFT GLADENBECK /BERLIN auch die Deu- FRIEDRICHSHAGEN"). 1963 schenkten tung der Figur, wie diese Kopie von 1914 die Nachkommen von Arnold Köttgen zeigt, die früher als Grabschmuck diente die Antikenkopie dem Bezirk Wedding. und heute hinter einem Wartehäuschen Als der Ausbau der U-Bahn-Linien 6 und ein Dasein im Verborgenen führt. 9 eine Umgestaltung des Leopoldplatzes erforderlich machte, stellte das Garten- Bis Ende der fünfziger Jahre schmückte bauamt Wedding die restaurierte Figur die Kopie des "Betenden Knaben" die mitsamt geschleiftem Grabsteinsockel Grabstelle von Heinrich Bernhard Arnold im sogenannten Lindenrondell vor der Köttgen (1871-1914) auf dem Urnen- Alten Nazarethkirche neu auf

23 Im 17. und 18. Jahrhundert galt die Eine allegorische Figur bekrönt die letzte Bronzefigur als antike Darstellung eines Ruhestätte des Bildhauers, der das Rei-

Detail des "Betenden Knaben" vor der Alten Grabstätte des Bildhauers C. D. Rauch auf Nazarethkirche im Bezirk Wedding. dem Dorotheenstädtischen Friedhof im Bezirk Mitte. Lustknaben, eine Deutung, welche das prüde 19. Jahrhundert ablehnte. Statt- terstandbild Friedrichs des Zweiten dessen sahen die Zeitgenossen von schuf. Die Allegorie ist nach dem Vorbild Christian Daniel Rauch in der Figur einen der antiken Bronzefigur modelliert und betenden Knaben, das heißt, die Darstel- drückt schwärmerische Frömmigkeit aus. lung eines religiösen Ritus', welche der In der Linken hält die Figur die Blüte ei- Bildspra- nes Granatapfels, das antike Symbol für che der Frucht- christli- barkeit, chen das hier Kunst für die nicht Auferste- fremd hung in war. Christus steht. Auf dem [Familiengrabstätte in Gestalt Dorothe- Auch im eines antiken Antentempels auf enstädti- 1851 dem Dorotheenstädtischen Friedhof im Bezirk Mitte. schen vollende- Allegorie der Hoffnung auf dem Friedhof ist ten Rei- Grab von C. D. Rauch im Bezirk die Berliner Grabmalkunst des 19. Jahr- terdenk- Mitte. hunderts vielfältig vertreten. Antike Mo- mal erscheint die antike Figur als religiös tive wie das tempelförmige Mausoleum überhöhte Gestalt, die Fürbitte für ihren oder der Krug mit Standfuß bilden den König einlegt. Schmuck vieler Grabstellen. Typisch für den Kunststil um 1850 ist die Stele mit Fotos und Bildzusammenstellung: Portraitmedaillon, wie hier beim Grab- Wolfgang W. Timmler mal von Christian Daniel Rauch, der 1857 Literatur: starb. Betender Knabe - Adorant

24 Bloch, P., Einholz, S. und J. v. Simson (Hrsg.): Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauer- schule 1786-1914. Katalog der Ausstellung der Skulpturengalerie der Staatlichen Muse- en Preußischer Kulturbesitz vom 19.5. bis 29.7.1990 im Hamburger Bahnhof. Berlin 1990. Zimmer, G. und H. Hackländer: Der Betende Knabe. Original und Experiment. Begleitheft zur Ausstellung der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Berlin 1997. Wie der damalige Leiter des Weddinger ##################################### Heimatarchivs Bruno Stephan damals der Presse mitteilte, hatte der Schwie- Fundstücke gersohn des bereits verstorbenen Wed- Manchmal muss man nur aufräumen dinger Finanzstadtrates Willy Nathan im und in den eigenen Unterlagen Ordnung Nachlass diesen Ausweis gefunden. Da- schaffen und schon findet man Interes- rin bestätigte am 1. Mai 1945 ein Carl santes, so wie dieses Bild (leider ohne Schröder als Bürgermeister des Bezirkes Herkunftsbezeichnung— wahrscheinlich Wedding, dass Nathan Leiter der Finanz- eine Postkarte): verwaltung des Bezirkes sei. Soweit entzifferbar, wurde diese Bescheinigung auf Russisch bestätigt. Bruno Stephan hatte seinerzeit (etwa 1969) in der Bezirksverwal- tung nachgefragt. Der Leiter des Standesamtes wollte sich erinnern, dass Schröder von der Straße weg zum Bür- germeister ernannt wurde, aber schon am 8.Mai 1945 wieder ab- gesetzt wurde. Ihn er- setzte der Kommunist Hans Scigalla, der bis zur Neuwahl 1946 am- tierte. Nachfragen noch in den neunziger Jahren Es zeigt „Blindekuh“ spielende Kinder brachten keine neuen Erkenntnisse. und Erwachsene auf der großen Wiese Auch der Hinweis bei Wikipedia auf Karl im Schillerpark ca. 1914. Schröder, den 1950 verstorbenen kom- munistischen Schriftsteller und Leiter Ein anderes Fundstück ist aus der Litera- der Volkshochschule Neukölln dürfte tur—auch des Weddinger Heimatvereins fehlgehen, da dessen Lebenslauf die bekannt. Es ist der provisorische Aus- Weddinger Episode sicherlich nicht aus- weis für den ersten Nachkriegsbürger- gelassen hätte. BS meister 1945:

25 [Quellen: Schimmler, Der Wedding, „Kutte kennt sich aus“, den Berlinern Berlin 1985, S.115. Berliner Morgen- ihre Geschichte nahebrachte. Es war post vom 11.5.1969.] Anlass selbst wieder in „Kuttes“ Bücher zu schauen. Dabei fand ich etwas Neu- ++++++++++++++++++++++++++++++++ es, dass ich bisher überlesen hatte. Kurt Fundstück II. Pomblun schrieb in seinem Buch „Von Häusern und Menschen“ auch über den Unser Leser Herr Steinert aus Wiesba- Meyers Hof. Dabei erwähnte er auch den gibt uns immer wieder Hinweise die Klosettgebäude auf dem ersten, aus seiner eigenen Berlin-Literatur. Erst dritten und fünften Hof. Dies war nichts kürzlich erinnerte er uns an Kurt Pom- Neues. Der französische Historiker Pier- plun, den 1977 im Alter von nur 67 Jah- re Paul Sagave hatte diese 50 Wasser- ren verstorbenen Heimatforscher, der klosetts als „etwas Hochmodernes“ für mit zahlreichen Berlin-Büchern und seine Zeit beschrieben. Was aber viele seiner Radiosendung im RIAS—Berlin : wohl übersehnen hatten, hat Pomplun Nachruf

Wolfgang Sorgatz

19. Dezember 1931 - 28. Februar 2020 Kurz vor Redaktionsschluss erhielten wir die Mitteilung, dass der frühere Vorste- her der Weddinger BVV und spätere Sozialstadtrat Wolfgang Sorgatz nach kurzem Krankenhausaufenthalt plötzlich verstorben ist. Wolfgang Sorgatz war zwar nicht Mitglied unseres Heimatvereines, aber immer ein gern gesehener Gast und regel- mäßiger Spender. Wir danken ihm für seine Zuwendungen. Frühzeitig war Wol- fang Sorgatz Mitglied der SPD geworden, der er 66 Jahre angehörte und in Ost- Berlin in jungen Jahren auch als Kreisgeschäftsführer tätig. So hatte er frühzeitig „engen“ Kontakt zum SED-Regime, wenn er die west-berliner SPD-Zeitung „Berliner Stimme“ per Fahrrad für die Mitglieder nach Ost-Berlin transportierte oder wenn ihm Sanktionen angedroht wurden und er zur Stasi vorgeladen wurde – in ein Zimmer ohne Türklinke- wie er oft betonte, weil er ein Bild von Ernst Reu- ter in der Geschäftsstelle in Fenster stellte. Später arbeitete er in West-Berlin, wo seine Eltern ein Lokal im Brunnenviertel betrieben, in dem die Sozialdemokraten sich trafen. Beruflich war er beim Innensenator beschäftigt und aufgrund seiner Erfahrungen mit der DDR-Bürokratie wurde er in der ersten Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten der west-berliner Leiter. Später war er der Referent des Innensenators Neubauer, dann Grundsatzreferent beim Umwelt- Senator Pätzold. Seit 1967 war er Mitglied der Weddinger Bezirksverordnetenver- sammlung deren Vorsteher er 1975 wurde. Danach wurde als Stadtrat für Soziales in das Bezirksamt Wedding gewählt, musste aber 1986 aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden. Nachdem er lange im Wedding wohnte, zog er zuletzt nach Tegel. Wolfgang Sorgatz hat sich sehr engagiert, um Brücken zwischen den ver- schiedenen Fraktionen zu bauen. Er wird für den Heimatverein, aber auch für die Kommunalpolitik immer ein Beispiel sein. Bernd Schimmler Peter Gierich Peter Cucharski

26 damals aufgeschrieben: Die Klosettge- der Hörfunkgeschichte. Er lässt seine bäude—sie wurden zögerlich ab 1897 Leser den rasanten Fortschritt miterle- durch Innentoiletten ersetzt— „konn- ten kurioserweise nur gemeinsam ge- spült werden, was der Verwalter zwei— bis dreimal am Tag veranlasste“!! Man muss sich vorstellen, dass bei bis zu 2000 Bewohnern und Nutzern der Klosetts der Gestank zwischen den Spül- vorgängen nicht unerheblich gewesen sein muss. Es war daher auch nicht überraschend, wenn eine Untersuchung der Ortskrankenkasse ab 1901 feststell- te, „dass die Klosettverhältnisse eine Quelle der bedenklichsten Ansteckungs- gefahr bilden“. BS (Quellen: Pomplun, Von Häusern und Men- schen, Berlin 1977, S. 87ff; Schimmler, Der Wedding Berlin 1985, S.67-70.) ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Buchhinweis zur Rundfunk- geschichte. In früheren Ausgaben haben wir über den Besuch in Königs Wusterhausen und dem dortigen Funkerberg und über ben, der nicht nur von neuen techni- die Großfunkstelle in Nauen berichtet schen Möglichkeiten getrieben wurde, (u.a. PP 54.S. 16). Jetzt ist hierzu ein sondern vor allem vom stetig wachsen- Buch von Rainer Suckow, des Vorsit- den Bedürfnis der Menschen nach Un- zender des Fördervereins »Sender Kö- terhaltung und aktuellen Informatio- nigs Wusterhausen« e. V. erschienen: nen. So wird ein spannendes Kapitel der Technikgeschichte anschaulich und Eine Prise Funkgeschichte. Fünfzig Ge- kurzweilig nachvollziehbar gemacht. So schichten aus hundert Jahren Rundfunk schildert Suckow auch die Entwicklung 160 Seiten, Paperback, be.bra-Verlag, der Funktechnik, z.B. bei Rettungsein- Februar 2020, € 16,00. setzen, die Entwicklung des deutsch- Die drahtlose Übertragung von Musik landweiten Rundfunks ebenso wie die und Informationen ist heute allgegen- Geschichte des Haus des Rundfunks in wärtig. Doch der Siegeszug dieser Tech- der Masurenallee. Interessant ist auch nologie begann erst vor 100 Jahren mit die Darstellung welche europaweiten der ersten Übertragung eines Weih- Regelungen es für den Rundfunk gibt. nachtskonzerts vom legendären Fun- Das Buch ist eine gute Ergänzung zu kerberg in Königs Wusterhausen bei unseren Artikeln in der Panke-Postille. Berlin. Rainer Suckow erzählt in 50 un- BS terhaltsamen Geschichten von prägen- den Menschen, Ereignissen und Orten

27 Anzeige bäude gewürdigt, die für Wittler per- sönlich und für die Brotfabrik errich- tet wurden. Im Anschluss wurde auch der Artikel von Bodo Körtge über Wittler aus der Panke-Postille Nr.60/2018 angedruckt. Wir freuen uns, dass unser Mitteilungsblatt auch über den Alt-Bezirk Wedding solches Interesse findet. 2. Die Weihnachtsfeier im Vereinsheim des BSC Rehberge war wieder für die 30 Teilnehmer ein Erfolg. Auch unser jährliches Quiz mit Fragen aus den letzten Ausgaben der Panke-Postille war doch nicht so leicht wie vom Vor- sitzenden vermutet. Nur zwei Teilneh- mer hatten alles richtig. Die zehn Buchpreise wurden unter den zehn besten Antworten verteilt. Gast der Weihnachtsfeier war auch Vera Mor- genstern, die Vorsitzende des bezirkli- chen Kulturausschusses, die auch gleich einen Aufnahmeantrag an den Aus dem Vorstand Heimatverein mitgebracht hatte. 1. Der Freundeskreis der Chronik Pan- 3. Ebenso erfolgreich war auch die im kow e.V. hat in seinem Mitteilungs- November stattgefundene Weinpro- blatt 1-2019 über die Geschichte der be, bei uns Peter Gierich diesmal

Wittler Brotfabrik geschrieben, und verschiedene Sekte kredenzte. Er- dabei auch die Architekten der Ge- neut – wie schon bei einer früheren

28 Weinverkostung machte er darauf diese Arbeit mit den langen Anfahrts- aufmerksam, dass gerade bei den wegen nicht mehr erledigen. Wir dan- billigen Sektmarken durch seinerzeit ken Peter Lüdtke auch an dieser Stel- von Kaiser Wilhelm II. eingeführte le für seine langjährige Arbeit für den Sektsteuer, ein Großteil des Preises Weddinger Heimatverein und auch davon abgeht, wenn man dann noch die zahlreiche Organisation von Aus- die Kosten für Flaschen, Verkorkung, Transport und die Kosten der Händler abzieht, kann man ermessen, dass es sich bei den Grundweinen ver- schiedenste zusammen vergorene billige Weine handeln muss. Auch machte Peter Gierich auf den bei eini- gen Sekten hohen Zuckergehalt auf- merksam. So kann ein trockener Sekt bis zu 6 Stück Würfelzucker enthal- ten, halbtrockener Sekt bis zu 10 Stück. Dagegen darf Extra brut nur weniger als 1 Stück Würfelzucker oder 2,3 g pro Flasche enthalten. Pe- ter Gierich erläuterte auch die ver- schiedenen Gärmethoden wie die traditionelle Flaschengärung und die heute weit verbreitete Tankgärung. Peter Lüdtke bei einer Klausurtagung Wir hatten wieder neue Erkenntnisse rechtzeitig vor dem Einkauf zum Weihnachtsfest und dem Jahres- flügen und schließlich war er es, der wechsel gewonnen und geschmeckt zuverlässig bei unseren Veranstaltun- hat´s auch! gen immer einen Fotoapparat dabei- hatte und unsere Arbeit dokumen- 4. In unseren Vorstandssitzungen hat tierte. Daran müssen wir noch arbei- Johann Ganz berichtet, dass jetzt die ten. Lieber Peter wir danken dir!! Bescheide auf die Widersprüche ge- BS gen die Straßenumbenennungen ergangen sind. Jetzt wird es Klagen ################################ gegen Umbenennungen geben. Dies wird deshalb interessant, weil sich Hinweis: Sparkassen seinerzeit auch das bezirkliche Rechtsamt z.B. gegen die Umbenen- In der Panke-Postille 61-2019 haben wir nung der Petersallee gewandt hatte. auf Seite 4 über die Besichtigung des Wir werden weiter berichten. historischen Archivs der Sparkasse be- richtet. Zu einem Teilaspekt ist jetzt ein 5. Unser Schaukasten am alten Weddin- interessantes Buch erschienen: Salden, ger Rathaus wurde durch Johann Der Deutsche Sparkassen– und Girover- Ganz auch wieder auf den neuesten band zur Zeit des Nationalsozialismus. Stand gebracht. Bisher hatte sich Pe- Franz Steiner Verlag Stuttgart 2019, 384 ter Lüdtke um unser Aushängeschild Seiten, € 64. gekümmert, nach dem Umzug zu seiner stark pflegebedürftigen Ehe- frau in den Berliner Süden, konnte er

29 sehr abstrakten Darstellung der Kreuz- Maria Regina Martyrium weg Jesu in Bronzeskulpturen von Otto Herbert Hayek dargestellt, wobei die 15 Am 4. März 2020 besuchte der Weddin- Kreuzwegstationen zu Gruppen zusam- ger Heimatverein die Kirche Maria Regi- men gefasst wurden, was das Erkennen na Martyrium in Charlottenburg Nord erschwert und einer Erläuterung bedarf, am Heckerdamm. Die Kirche wurde 1960 bis 1963 als „Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blut- zeugen für Glaubens- und Gewissens- freiheit in den Jahren 1933–1945“ ge- baut und liegt unweit der Gedenkstätte Plötzensee. Das Gelände der Kirche um- fasst diese, einen Glockenturm und ei- nen Feierhof mit Außenaltar. Die Errich- tung der Gedenkkirche ging auf eine Anregung des Berliner Bischofs Wes- kamm auf dem Katholikentag 1952 zu- die wir dankenswerterweise von einer Karmeliterin erhielten, die uns durch das Gelände und die Kirche führte. Der Frei- altar wurde ebenfalls von Hayek er- schaffen und wird von einer Bronzeum- randung umfasst, die einer Dornenkrone nachempfunden wurde. Die Kirche selbst wurde vom Dombau- meister Hans Schädel aus Würzburg errichtet. An der Außen- wand befindet sich eine Plas- tik von Fritz rück. Die Grundsteinlegung erfolgte König an der 1960, die Fertigstellung und Weihe der mit Marmor- Kirche 1963. kieselplatten Neben der Kirche befindet sich ein Klos- verkleideten ter der Karmeliterinnen, deren Ordens- Fassade, deren teil nahe dem KZ Dachau gegründet Kiesel anders wurde und die seit 1984 auch die Ge- als beim ehe- denkkirche als ihre Klosterkirche nutzen. maligen Wed- Am Eingang zum Feierhof und der Kirche dinger Rat- sind Zitate von Erzbischof Kardinal Döpf- hausneubau ner und des Papstes Pius XII im Mauer- nur selten her- werk angebracht, die die Intention die- abfielen, wie ser Gedenkkirche nahe der Hinrich- uns versichert tungsstätte in Plötzensee deutlich ma- wurde. chen. Als erstes betraten wir die Unterkirche Den Feierhof umgibt eine dunkle Basalt- mit einer Pieta ebenfalls von Fritz König. mauer, die an einen Gefängnishof erin- Im Eingangsbereich sind in Glaswänden nern sollte. An der Mauer ist in einer handschriftliche Zitate von Opfern des

30 NS-Regimes eingraviert. In der Krypta war schon vor der NS-Machtergreifung sind unter der Bodenplatte drei Sarko- von den Nazis angegriffen worden. Nach phage beigesetzt, einer enthält die den Judenprogromen von 1938 hielt er Fürbittgottesdienste: „Lasset uns beten für die verfolgten nicht-arischen Christen und für die Juden“. Diese Fürbitten wie- derholte er immer wieder. Als er dann von der Predigt des Münsteraner Bi- schofs Graf von Galen 1941 hörte, der sich gegen die Euthanasie wandte, be- zeichnete er diese in einem Schreiben an den Reichsärzteführer Dr. Conti als sterblichen Überreste von Dr. Erich Klau- sener (Foto). Er war ein führender Ver- treter des politi- schen Katholi- zismus in der Wei- marer Republik und bis 1933 Lei- ter der Domprobst Bernhard Lichtenberg Polizeiab- teilung im Mord. Nach seiner Inhaftierung wurde er Preußi- vom Sondergericht I beim Landgericht schen Berlin zu einer Gefängnisstrafe von zwei Innenmi- Jahren verurteilt. Nach der Verbüßung nisterium wollte ihn die Gestapo nach Dachau ins und be- KZ bringen. Auf dem Weg dahin starb er kannt für seine Gegnerschaft zum Natio- in Hof. nalsozialismus. Auf Weisung des Leiters der Gestapo Reinhard Heydrich wurde er In einem dritten mittleren Sarg ist eine 1934 im Zuge der Röhm-Affäre ermor- Urkunde enthalten die auf die zahlrei- det. Ein weiterer Sarkophag war für den chen Opfer des NS-Regimes, die unbe- auf dem Weg zum KZ Dachau verstorbe- kannt blieben. Der Mittelteil der Boden- nen Berliner Domprobst Lichtenberg platte enthält daher die Inschrift: „Allen vorgesehen, der aber zunächst auf dem Blutzeugen, denen das Grab verweigert Friedhof in der Liesenstraße und dann in wurde – allen Blutzeugen, deren Gräber der Hedwigs-Kathedrale beigesetzt wur- unbekannt sind“. Auf einer weiteren de, weil die DDR eine Überführung in die Platte sind die Daten von Domprobst Gedenkkirche nicht erlaubte. Zurzeit ist Bernhard Lichtenberg, sowie des jungen sein Grab aber in der Oberkirche beige- Jesuitenpfarrers Alfred Delp und des mit setzt – jedenfalls bis die Hedwigskirche ihm befreundeten Widerständler und umgebaut wird. Bernhard Lichtenberg Protestanten Helmuth James Graf von Moltke eingraviert. Moltke und Delp

31 korrespondierten in der Haft mit kleins- Hinrichtungsstätte in Plötzensee. Die fensterlosen Seitenwände sind aus Sicht- beton. Einzelne Leuchtkörper erhellen das Altarbild und eine Madonna aus Südfrankreich um 1320. Das Altarbild von Georg Meistermann ist eine abstra- hierte Darstellung der Offenbarung des Johannes. Rückwärtig ist noch eine Beichtkapelle mit einer Skulptur aus dem 16. Jahrhundert und darüber die

Pfarrer Alfred Delp vor dem Volksgerichts- hof Empore für die Orgel und die Sänger. ten Kassibern, die von Schwestern, aber auch vom Gefängnispfarrer Harald Poel- Abschließend bedankten wir uns für die schau weitergeleitet wurden, wie dieser eindrucksvolle Führung durch diese in seinen Erinnerungen 1947 schrieb: mehr als bemerkenswerte Kirche. Bernd Schimmler Fotos: Schimmler, Wolfgang Roßow, Wikipedia. Literatur: 1) Kath. Gedenkkirche Maria Regina Mar- tyrum Berlin. 2. Aufl. Schnell & Steiner, Regensburg 1995, S. 2 (Schnell, Kunstführer Nr. 1703) Altarbild von Georg Meistermann 2) Benedikta Maria Kempner, Priester vor Hitlers Tribunalen, Leipzig 1967, S.61 ff „Ich habe die meisten dieser Manuskrip- (Delp); S. 227 ff. (Lichtenberg) te aus seiner Zelle herausschmuggeln 3) Harald Poelschau, Die letzten Stunden. können. Er hatte eine so kleine und unle- Erinnerungen eines Gefängnispfarrers, serliche Handschrift, dass es nur einen Berlin1949, S.127. Menschen gab, der sie entziffern konnte 4) Schimmler, Recht ohne Gerechtigkeit, – seine Münchener Sekretärin.“ Zur Tätigkeit der Berliner Sondergerich- Anschließend besichtigten wir die Ober- te im Nationalsozialismus, Berlin1984, kirche, ein rechteckiger nach Osten aus- S.32 (Lichtenberg). gerichteter Raum – in Richtung auf die 32 einer neuen Kirche mit einem 78 Meter Der Alte Dessauer und der hohen Turm, keine 200 Meter von der Leopoldplatz alten entfernt. Die Alte Nazarethkirche wurde daraufhin Viele Weddinger nennen den Leopold- 1905 zu einem Gemeindehaus umge- platz kurz und liebevoll einfach ihren baut. Während des Zweiten Weltkrieges „Leo“. Doch wenige wissen, an wen da- (1943/44) wurde die Kirche erheblich mit erinnert wird. An den „Alten Dessau- beschädigt. Nach dem Wiederaufbau er“, an Leopold I., Fürst von Anhalt- wurde die Kirche am 21.3.1954 von Bi- Dessau. Es ist eine Ironie der Geschichte, schof Otto Dibelius wieder eingeweiht. dass gerade im einstigen Arbeiterbezirk Sie steht unter Denkmalschutz. dem „Roten Wedding“, der zentrale Platz und etliche Straßenzüge nach dem Be- Die Neue Nazarethkirche wurde 1945 gründer des preußischen Militarismus ebenfalls und seinen Feldzügen benannt sind. beschädigt. Es kam infol- Schon Hobrecht hatte in seinem Bebau- gedessen ungsplan den Platz unter der Bezeich- 1960 zur Um- nung „J“ geführt. Erst am 2.4.1891 er- gestaltung hielt der Platz seinen heutigen Namen. des Innen- raumes. Zu- Als der Berliner Baumeister Karl Friedrich nehmend zeigte sich die Kirche als zu groß. Nach der Entwid- mung der Kirche 1989 zog für einige Jahre eine freikirchliche Gemeinschaft der USA ein, heute hat eine religiöse Gruppe aus Bra- silien hier ihre Deutschlandzentrale. Die besitzt hierzulande zwar nur Vereinssta- tus, doch in ihrer Heimat gehört die Kir- Schinkel die „Alte Nazarethkirche“ im che zu den größten des Landes. Auftrag Friedrich Wilhelms III. 1835 in Der Leopoldplatz ist mehrmals umgestal- den märkischen Sandkasten baute, also tet worden. Er ist heute nicht mehr ganz lange vor Bildung Groß-Berlins, waren die Flächen des heutigen Platzes ödes Gelände oder dienten als Kartoffelacker. Die Kirche ist der kunsthistorische wert- vollste Bau des Weddings und eine der vier Vorstadtkirchen im Berliner Norden. Die Alte Nazarethkirche war aufgrund des raschen Wachstums der Gemeinde bald zu klein geworden. Zunächst gab es Überlegungen, die alte Kirche durch Um- bau zu vergrößern. Doch dann fiel 1893 die Entscheidung zu Gunsten des Baus

33 so schmuddelig. Freitags und dienstags es bis zum Generalfeldmarschall und galt belebt ein kleiner Wochenmarkt den auch als eifriger Modernisierer der preu- Platz ein wenig. ßischen Armee. Er führte bei den Hand- feuerwaffen einen eisernen Ladestock Wer war der „Alte Dessauer“? Leopold I. und das vernichtende Schnellfeuer ein. (3.7.1676 - 7.4.1747) wurde in Dessau Er forderte strenge Disziplin und unnach- giebigen Drill bei den Soldaten. Aus dem von ihm eingeführten Gleichschritt ent- wickelte sich der Stechschritt. Er wirkte auch auf die Militärmusik: Der „Dessauer Marsch“ geht auf seine Idee zurück. Leopold I. war schon lange tot, da er- reichte den Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow ein ehrenvoller Auftrag für die Anfertigung eines Mar- mordenkmals. Es wurde auf dem ehema- ligen Wilhelmplatz aufgestellt. Das Marmordenkmal wurde jedoch auf- grund von Witterungseinflüssen durch einen Bronzenachguss Mitte des 19. Jh. ausge- tauscht. Schadows Marmorfi- gur kam 1904 in das geboren. Dessau wurde 1213 erstmalig Kaiser- erwähnt und war bis zum 1.7.2007 eine Friedrich- kreisfreie Stadt. Heute ist Dessau ein Museum, Stadtteil von Dessau-Roßlau in Sachsen- das heutige Anhalt. Leopold I. war ein deutscher Bodemuse- Fürst und Landesherr von Anhalt- um, wo sie Dessau. Er diente unter drei preußischen mit weite- Königen mit rühmlicher Auszeichnung, ren Generä- zum Schluss Friedrich dem Großen. len des 18. Schon in seiner Jugend verachtete er Jh. in der jeder Art wissenschaftlicher Bildung, Kleinen welche sich nicht auf Soldaten und den Kuppelhalle Krieg bezog. Es war jede Bemühung der steht. Wäh- Erziehung vergebens, ihm auch nur die rend der gewöhnlichsten Schulkenntnisse beizu- DDR-Zeit bringen, sodass er mit neun Jahren we- stand das der lesen oder noch schreiben konnte. Bronze- Aber er zeichnete sich schon von Jugend Denkmal an durch Tapferkeit, Ausdauer und sol- zeitweilig datische Unerschrockenheit aus. Bereits im Lustgarten. Seit Juni 2005 steht das 1688 wurde er zum Obersten und Inha- Denkmal des „Alten Dessauer“ wieder ber eines Regiments gemacht. Er brachte auf dem heutigen Zietenplatz (Foto)

34 Leopold I. legte sein raues und derbes 5. BVG Plus, Nr. 2/Febr. 2020, S. 16/17, Leo- Wesen nie ab. Er war berühmt für seine poldplatz, Jan Ahrenberg groben Späße. Sie überschritten jede 6. Dessau, Google v. 14.2.2020 Grenze des Anstandes: „In einer Damen- 7. Der Alte Dessauer, Google v. 14.2.2020 gesellschaft, wo er mehrere seiner ge- 8. Fürst Leopold kehrt frisch frisiert an die schworenen Feindinnen anwesend Wilhelmstraße zurück, Helmut Caspar, Der wusste, behauptete er eines Abends, er Tagesspiegel v. 1.6.2005 habe einen Grenadier, welcher die Kunst 9. Berlin, Geschichten & Anekdoten, Fried- verstehe, sich unsichtbar zu machen. Die Damen, welche über den Gespenster- helm Reis, S. 146/147, Verlag Berliner Flair glauben längst aufgeklärt waren, ver- 2017 lachten den Fürsten und behaupteten, dass der Grenadier mit Ober- und Unter- Rückblick gewehr sich schwerlich in ihrer Gegen- wart würde unsichtbar machen können. Das Erzählcafé und die Un- Der Grenadier ist vor der Tür, rief Leo- terschiedlichkeit der Erinne- pold. Sie dürfen nun kommandieren: Marsch! und er tritt ein. Die Damen rie- rungen. fen, wie der Fürst es ihnen gesagt, die Tür tat sich auf und ein Grenadier mit Degen, Patronentasche und Gewehr, In den neunziger Jahren schrieb Horst trat außer Hut, Schuhe und Gamaschen, Löwe (Foto) in seinen hektografierten ohne ein Stück Bekleidung, herein. Die Erinnerungen an das Jahr 1953 folgen- Damen schrien auf, verbargen ihr Ge- des: sicht in ihre Hände und der Grenadier „Das musste auch der marschierte an ihnen vorüber zur ande- Kreissekretär [der SPD] ren Tür hinaus. Sämtliche anwesenden von Weißensee, Her- Damen beteuerten, dass der Grenadier bert Mießner, erfahren. in der Tat die geheime Kunst verstehe, Er wurde wegen Ver- sich unsichtbar zu machen.“ breitung von Hetzmate- Bodo Körtge rial verhaftet. Zunächst wusste niemand, wo er abgeblieben ist. Der Fotos und Bilder: B. Körtge u. Archiv Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses Dr. Otto Suhr pro- Literaturnachweis: testierte in der Sitzung am 21. Mai 1. ecke Müllerstraße Nr. 1-Februar 2012, S. [1953] gegen diesen Willkürakt und ge- 10, Eberhard Elfert gen die Verhaftung des Vorsitzenden 2. Stadtplätze im Wedding, Jürgen Handrich, des Arbeiterradiobundes Otto Voigt aus Gerd Kittelmann, Brigitte Prévot, Bezirksamt Kaulsdorf. Herbert Mießner wurde am Wedding 25. August unter Rechtsbeugung wegen Von Berlin, 1991, S. 42 ff. friedensgefährdender faschistischer 3. Einer der schönsten Bauten der Schinkel- Propaganda zu drei Jahren Freiheitsstra- zeit, Dr. Hans-Joachim Beeskow, Der Nord- fe verurteilt.“ berliner vom Nach seiner Freilassung ging Herbert 16.12.2010 Mießner in den Wedding, wo er sich 4. Mehr als klassisches Kirchenprogramm, führend in der SPD und in der Arbeiter- Lokales Seite 6, Der Nordberliner v. 7.3.2013 wohlfahrt erheblich engagierte. Nach seinem Tod fiel der Witwe Gisela Mieß-

35 ner eine Einladung zum Erzählcafé im Jahre als ´Oberrichter des Stadtgerichts Berlin` viele unhaltbare Terrorurteile fällte.“ Zum Nachweis zitiert sie dann den Beschluss des Landgerichts Berlin – 6. Strafkammer – Kassationsgerecht, mit dem das Urteil aufgehoben wurde. In dem Beschluss heißt es: „Das Urteil des Stadtgerichts Berlin beruht auf einer schwerwiegen- den Verletzung des Gesetzes, § 311 Abs.2 Nr. 1 StPO der DDR und ist daher aufzuheben.“ Herbert Mießner (lks) wird von SPD- Weiterhin stellt Mitgliedern nach seiner Haftentlassung das Kassations- 1956 begrüßt. gericht u.a. fest: „Das Ver- Bürgersaal in der Malplaquetstraße in teilen von sozi- die Hände. Darin hieß es: „Im 102. Erzähl aldemokrati- -Café [1992….] tauchen wir ein in ein schen Zeitun- Gisela Mießner langes Leben [ein ….] das dieses Jahrhun- gen und Flug- dert gleichsam in seinen entscheidens- blättern, die zur Teilnahme an einer DGB ten Auseinandersetzungen widerspie- -Kundgebung aufriefen, waren indes gelt. Wir erleben einen Mann, Götz weder friedensgefährdend, noch diente Berger, einen Juristen, der den aufrech- dieses Tun in irgendeiner Form national- ten Gang mit der allergrößten Selbstver- sozialistischer oder militaristischer Pro- ständlichkeit und ohne jede Eitelkeit paganda“, was nach der Kontrollratsdi- beherrscht. „Ein Jurist mit aufrechtem rektive Nr. 38, Abschnitt II Art. III A III Gang“ Götz Berger erzählt.“ Zu seiner verboten war. Diesen Paragraphen des Person wurde in der Einladung mitge- Alliiertenrechts hatte das Stadtgericht teilt, dass der Sohn aus bürgerlichem unter Dr. Berger rechtswidrig ange- Elternhaus Jura studierte, als Anwalt für wandt. Dr. Berger hatte seinerzeit ausge- die kommunistische Rote Hilfe arbeitete, führt: „Der Angeklagte Mießner hat (…) 1933 Berufsverbot erhielt, im Spanischen friedensgefährdende faschistische Pro- Bürgerkrieg teilnahm, 1946 nach paganda getrieben“ durch Verteilung Deutschland zurückkehrte und als er sozialdemokratischer Schriften!!! Dabei Robert Havemann verteidigte auch in stellte das Gericht unter der Führung von der DDR ein Berufsverbot erhielt. Dr. Berger fest, dass Herbert Mießner Was nicht in der Einladung stand, waren vor der NS-Herrschaft sozialdemokra- seine zwischenzeitlichen Tätigkeiten. An tisch organisiert war und ab 1945 sofort die erinnert Gisela Mießner (zu ihrer wieder. Aber genau das war das Verbre- Person siehe den Nachruf in der Panke- chen aus der Sicht der SED-Führung, Postille Nr. 28-2007) in einem Brief: denn er hatte - wie das Gericht schrieb: „Völlig unerwähnt lassen sie in der Schil- „die Vereinigung der beiden Arbeiterpar- derung seines Lebenslaufes, dass es sich teien ab[gelehnt]“ – wohl auch direkt bei Dr. Berger um einen Juristen handelt, gegenüber Erich Mielke, dem Chef der der […] von 1950 bis Mitte der fünfziger Staatssicherheit.

36 Herbert Mießner faschistische Propagan- Spiegel vorhält“: „Mit dem linken Auge“. da vorzuwerfen, ist schon deshalb proble- Opfer wie Herbert Mießner waren wohl matisch, war er doch mit Gisela Mießner nicht links genug. verheiratet, die mit ihrer Mutter zu den Bernd Schimmler Protestierenden gehörten, die 1943 mit Erfolg die Freilassung ihrer jüdischen Vä- (Quellen: wikipedia: Dr. Götz Berger; Im Ar- ter und Ehegatten in der Rosenstraße chiv Schimmler: Schreiben von Gisela Mießner erreichten! Darauf ging das Gericht nicht vom 3.4.1992; hektografiertes Manuskript von ein. Dr. Berger war linientreu, was auch Horst Löwe vom Sommer 1993; Abschrift des seine Vita zeigt. Der 1929 zum Dr. jur Urteils des Stadtgerichts Berlin vom 25.8.1953 ( 1 C 91.53) und des Beschlusses des Landge- promovierte Jurist war schon 1925 Mit- richts Berlin vom 19.8 1991 ( 506 Kass 202/91) glied des Kommunistischen Studenten- Fotos: Panke-Postille; August-Bebel- verband, trat 1927 der KPD bei und wur- Institut:http://www.linke-lebensläufe.de/ de 1931 Mitglied der Anwaltskanzlei von lebenslauf/miessner.html Hilde Benjamin im Wedding (vgl. Panke- Postille Nr. 60 und Nr. 61). Er nahm als ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Dolmetscher am Spanischen Bürgerkrieg teil, wurde festgenommen, trat der briti- Die frühen Berliner Stadtsie- schen Armee bei und entschloss sich nach Russland zu gehen, wo er am Kriegsende gel. mit Unterstützung von Wilhelm Pieck nach Berlin zurückkehrte. Im ZK der SED In den frühen Jahren der Städtegründun- war er schließlich Abteilungsleiter für gen wurden Verträge oder die Verleihung Justiz, anschließend Oberrichter beim von Rechten mit Urkunden ausgetauscht, Stadtgericht Berlin (1951-1957). 1950 die am unteren Rand—zumeist an Bän- wurde der westdeutsche Kommunist und dern - mit Siegeln versehen wurden, die Landtagsabgeordneter Kurt Müller nach häufig in Wachs eingedrückt wurden. dessen Aussagen von Berger nach Ost- Bald erhielten auch Städte ihre Siegel. Berlin gelockt, verhaftet und zu 25 Jahren Ausgegeben wurden diese Siegel in der Haft verurteilt. 1959 war er im Sekretari- Regel vom Landesherrn. Oftmals wurden at von tätig, ab 1958 ar- Urkunden und Siegel auch gefälscht, wes- beitete er als Rechtsanwalt. In den späten halb sie meist nur mit landesherrlicher sechziger Jahren war er Verteidiger von Unterstützung anerkannt wurden. So war Robert Havemann und seinen Söhnen das erste bekannte Berliner Siegel eine und als er wie viele aus dem Havemann- Abwandlung Umfeld gegen die Ausbürgerung Bier- des askani- manns protestierte, wurde ihm 1976 die schen Siegels Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. des Landes- Leider hat Dr. Berger dieses bewegte Le- herrn mit der ben nicht genutzt, um Frieden mit seinen Aufschrift früheren Opfern zu schließen. Nach der „Siggillum de Aufhebung seiner Urteile hat er auf ein Berlin burgen- Schreiben von Gisela Mießner auf sein sis“ (Grafik 1). hohes Alter und fehlende Erinnerungen Erstmals zwei verwiesen. Wie dankbar wären die Opfer Bären enthielt für ein klärendes Gespräch gewesen. Im- das Wappen merhin hatte er kurz vor dieser Absage von 1280 auf Siegel von 1253 noch ein weiteres Buch veröffentlicht, einem Gilde- das nach dem Cover „seiner Zeit den brief der städtischen Kürschner, aber es

37 war im- über allen mer noch die Königs- ein mark- krone. Erst gräfliches ab 1883 Wappen. wurde das Die Bären Stadtwap- fanden pen ein Bär sich zur im Schild Abgren- mit einer zung aber Mauerkro- nicht in ne. Dieses den Wap- gab es in pen der mehreren Siegel von1448 Siegel von 1283 Nachbar- Variationen (z. B. mal mit schwarzen stadt Cölln. Krallen -1935 -, mal mit roten – seit 1338 dominiert schon ein laufender Bär, während das landesherrschaftliche Wap- pen an seinem Halsband hängt. Nach- dem im 15. Jahrhundert die Berliner ge- gen Eingriffe in ihre Stadtrechte protes- tierten und die Hohenzollern dieses

1954). Siegel 1338 BS Aufbegehren niederschlugen, wurde dies (Quellen: Berliner Morgenpost vom auch im Wappen von 1448 deutlich. Der 15.12.2019, S.21; siehe auch Karl Kroeschell, landesherrschaftliche Adler thronte auf Deutsche Rechtsgeschichte (1250 –1650), dem Bären, der zudem ein Halsband trug Reinbek 1973, S. 35 ff.) (siehe Grafik oben rechts). Von diesem Halsband befreite sich die Stadt erst im Wappen von 1875, aber wie auch bei den vorangegangenen Wappen thronte

38 An den Weddinger Heimatverein e.V. c/o Bernd Schimmler Kattegatstr. 18 13359 Berlin

Ich Interessiere mich für den Weddinger Heimatverein.

○ Bitte senden Sie mir Informationsmaterial über den Heimatverein zu, einschließlich Satzung und Aufnahme- Formular.

○ Ich möchte gern das Veranstaltungsprogramm des Weddinger Heimatvereins erhalten.

○ Bitte rufen Sie mich unter der Tel.Nr.______an, ich habe Fragen zur Geschichte des Gesundbrunnens und des Wedding.

○ Ich beantrage die Mitgliedschaft im Weddinger Heimatverein (aktueller Mindestbeitrag pro Jahr 36 €).

Sie erreichen mich unter folgender Anschrift (bitte in Druckbuchstaben):

—————————————————————————————————- (Name, Vorname, Geburtsdatum)

—————————————————————————————————-- (Straße, Hausnummer)

—————————————————————————————————— (Postleitzahl, Ort, gbfs E-Mail)

[Datenschutzhinweis: Die Daten werden nur für vereinsinterne Zwecke verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.]

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Weddinger Wappen seit 1955

Wappen von Mitte (seit 2001)

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