Politiker Spahn „Viele Schwule hadern mit der Partei“

der Nominierungsrede. Heute würde be - sagter Satz aber auch im Münsterland nie - manden mehr abschrecken. Hier werden Schwule sogar Karnevalsprinz oder Schüt - zenkönig. SPIEGEL: „Solange der mich nicht anpackt, ist mir das egal“, sagte Konrad Adenauer einst zu dem Gerücht, sein Außenminis - ter Heinrich von Brentano sei schwul. Ist das noch die Grundhaltung in der CDU: Man akzeptiert Homosexualität formell, findet es aber befremdlich? Spahn: Da muss ich zurückfragen: Ist das nicht die Haltung von weiten Teilen der Gesellschaft? Die Union ist auch hier nur ein Querschnitt. Natürlich gibt es immer noch Menschen, die Vorbehalte haben. Ich denke aber, dass man als CDUler im Münsterland besser für Toleranz werben L E G E

I kann als ein grüner Szenefunktionär aus P S

R Köln. Denn dem hört hier im Zweifel nie - E D

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mand zu. R E I

E SPIEGEL: Wann haben Sie gemerkt, dass M K

C Sie auf Männer stehen? O T S Spahn: Z In der Pubertät, mit 15 oder 16, als T I R

F ich das erste Mal ein Gespür für Sexuali - tät bekam. Zum Glück habe ich wunder - volle Eltern. Ich musste gar nichts groß SPIEGEL-GESPRÄCH erklären, Mütter haben für solche Dinge ja ein gutes Gespür. Meine Eltern meinten dann gleich: Es ist okay so, wie es ist. „Meine Art zu lieben“ Mein Freundeskreis reagierte ebenfalls gut. Sie müssen wissen: Ich komme aus einem Dorf, 3700 Seelen, und trotzdem Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn, 32, über sein gab es von Anfang an eine hohe Akzep - Outing als Teenager im erzkatholischen Münster- tanz. Das hat mir geholfen, gelassen da - mit umzugehen. land und die Akzeptanz von Homosexuellen in der Union SPIEGEL: Sie sind 1995 in die Junge Union eingetreten. Damals pflegte die CDU ei - SPIEGEL: Herr Spahn, wir haben Sie vor Partner habe. Ich habe aus meiner Ho - nen noch verklemmteren Umgang mit zwei Jahren das erste Mal gefragt, ob Sie mosexualität nie ein Geheimnis gemacht. Homosexuellen, als es heute der Fall ist. mit uns ein Gespräch über das Leben als SPIEGEL: Spielte das Thema eine Rolle, als Was führte Sie in diese Partei? schwuler Abgeordneter in einer konser - Sie sich vor elf Jahren in Ihrem Kreisver - Spahn: Sie können auch fragen: Kann ein vativen Partei führen wollen. Warum ha - band erstmals um die Nominierung für Vielflieger bei den Grünen sein? Oder ben Sie so lange gezögert? den bewarben? ein Selbständiger in der SPD? Politisch Spahn: Weil ich mich als Politiker nicht Spahn: Bei innerparteilichen Aufstellungs - sozialisiert wurde ich durch den Streit über das Schwulsein definiere. Ich mache verfahren wird immer auch geschaut, wo über die Kernenergie. Damals wurde man keine schwule Klientelpolitik, sondern ein Kandidat angreifbar sein könnte. montags vom Lehrer gefragt, warum man will als Gesundheitsexperte die Probleme Meine sexuelle Orientierung und mein sonntags nicht bei der Anti-AKW-Demo unserer Zeit lösen. Ich möchte nicht, dass Alter – ich war ja erst 21 – haben damals war. Das hat bei mir einen gesunden Re - meine Art zu leben und zu lieben eine gewiss nicht jedem gefallen. Einige ver - flex ausgelöst. Ich wollte mir nicht vom größere Rolle spielt als meine inhaltliche suchten dann, meine Homosexualität zu Lehrer vorschreiben lassen, was ich zu Arbeit. thematisieren. Das hat mich schon sehr denken habe. In die CDU einzutreten SPIEGEL: Was hat den Ausschlag gegeben, belastet. war richtig – ich habe es bis heute nicht nun doch mit uns zu reden? SPIEGEL: Wie sahen diese Versuche aus? bereut. Spahn: Ich möchte ein Signal setzen. Es Spahn: Zum Teil wurde von Mitgliedern SPIEGEL: Ihr Kollege von den gibt viele Schwule in der Union, die mit die Sorge geäußert: Können wir mit so Grünen hat mal über schwule Politiker ihrer Partei hadern. Trotzdem wird dies einem in unserem sehr katholischen gesagt: „Wer seine Karriere mit der Ent - mein erstes und letztes Interview über Wahlkreis gewinnen? scheidung begonnen hat, das zu ver - meine Homosexualität sein. SPIEGEL: Haben Sie damals überlegt, ans schweigen, findet nie mehr heraus.“ Se - SPIEGEL: Sie sind seit zehn Jahren Bundes - Rednerpult zu treten und zu sagen: „Ich hen Sie das ähnlich? tagsabgeordneter. Wurden Sie oft von bin schwul“? Spahn: Vor 20 Jahren war der Satz gewiss Kollegen gefragt, ob Sie eine Partnerin Spahn: Nein! Denn das hat mit meiner Po - richtiger als heute. Damals war Homose - haben? litik und meinen Überzeugungen nichts xualität für Politiker ein großes Problem, Spahn: Wer mich gefragt hat, dem habe zu tun. Deshalb wollte ich das nicht ins und ich bin Volker Beck und anderen ich ehrlich geantwortet, dass ich einen Schaufenster stellen – schon gar nicht bei dankbar für das, was sie erkämpft haben.

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Deutschland 2012 ist anders als Deutsch - da noch Grenzen gibt. Vermutlich könnte Das Positive ist doch: Es gibt keine Partei, land 1995. Wer heute noch meint, ein ein Schwuler auch Kanzler werden. die sich in dieser Frage stärker bewegt Doppelleben führen zu müssen, weil er SPIEGEL: Warum hat sich die CDU lange hat als die Union. schwul ist, den treibt eine Angst, die ich so schwergetan beim Thema Homosexua - SPIEGEL: Sie meinen, heute würden CDU für unbegründet halte. lität? und Homoehe zusammenpassen? SPIEGEL: Wenn man bei Google Ihren Na - Spahn: Die CDU ist als christliche Volks - Spahn: Der britische Premier David Came - men eingibt, dann ist der erste Ergän - partei per se nie Vorreiter gesellschaftli - ron hat den schönen Satz gesagt: „Ich bin zungsvorschlag „Jens Spahn schwul“. cher Veränderungen und muss auch gar für die Homoehe – nicht, obwohl ich Kon - Stört Sie das? nicht Speerspitze sein. Unsere Aufgabe servativer bin, sondern weil ich Konser - Spahn: Nein. Ich habe den Eindruck, dass vativer bin.“ Als Konservative können viele junge Politiker auf den Begriff ge- wir uns darüber freuen, wenn zwei Men - googelt werden, besonders wenn sie eini - „Ich musste gar nichts schen, rechtlich verbindlich, füreinander germaßen schlank sind. Testen Sie mal! groß erklären. Mütter Verantwortung übernehmen, in guten wie Ich finde es bemerkenswert, dass das an - in schlechten Zeiten. Gibt es einen bür - scheinend noch so interessant ist. Aber haben für solche Dinge gerlicheren Lebensweg? was da bei mir auftaucht, ist mir ehrlich SPIEGEL: Wie fühlt man sich in einer Frak - gesagt wurscht. ja ein gutes Gespür.“ tion mit Kollegen wie , für SPIEGEL: Waren Sie Klaus Wowereit dank - den Schwulsein eine „Perversion der Se - bar, als er 2001 seinen berühmten Satz ist eine andere. Wir integrieren unter - xualität“ ist und der sagt: „Der Apostel sagte: „Ich bin schwul, und das ist auch schiedliche Positionen und werben für Paulus hält das für eine Sünde. Ich sehe gut so“? eine breite Akzeptanz. das genauso“? Spahn: Ich habe das als junger Mann sehr SPIEGEL: Wissen Sie, was Spahn: Das ärgert mich natürlich mehr, aufmerksam verfolgt und bin auch dank - im Jahr 2000 zum rot-grünen Projekt der als wenn ein Kollege eine andere Auffas - bar dafür. Zur Wahrheit gehört aber auch, gleichgeschlechtlichen Lebenspartner - sung zum Straßenbau hat. Aber die dass Schwulsein an sich kein politisches schaften gesagt hat? Union spiegelt auch in dieser Frage die Verdienst ist. Als Programm ist das zu Spahn: Nein. Gesellschaft wider. Und Ansichten, wie wenig. SPIEGEL: Sie sprach von einem „gesell - Norbert Geis sie vertritt, gibt es halt auch SPIEGEL: Ihr Parteifreund Ole von Beust schaftspolitischen Irrweg“. noch in Deutschland. Man muss solche sagt, dass man, zumindest in der Union, Spahn: Ach wissen Sie … Diskussionen führen und auch aushalten. als Schwuler maximal Ministerpräsident SPIEGEL: Klingt komisch, oder? Diese Menschen erreiche ich ja nicht, in - werden könne. Spahn: Das ist bald 13 Jahre her. Seitdem dem ich mich abwende und beleidigt bin. Spahn: Ministerpräsident ist doch auch hat die ganze Gesellschaft, auch die SPIEGEL: Warum sind Sie als schwuler schon was! Ich glaube aber nicht, dass es Union, einen weiten Weg zurückgelegt. Mann immer noch in der katholischen Gesellschaft

Kirche? In deren Augen sind Sie ein Solidarität, da werden die Wände Sünder. von Kindergärten und Schulen Spahn: Ich bin ein gläubiger Mensch, des - gestrichen, wenn die Stadt das wegen halte ich meiner Kirche die Treue. nicht schnell genug hinbekommt. Und wenn ein Mann wie der Berliner Erz - Familie ist wichtig, Ostern und bischof Kardinal Rainer Woelki sagt, dass Weihnachten kommen die Groß - auch in schwulen Partnerschaften Werte eltern aus Bayern oder Schwaben L E G E

gelebt werden, die die Kirche anerkennen I zu Besuch. In ländlichen Gebie - P S

sollte, dann sieht man doch: Da ist ein R ten wählen diese Menschen CDU, E D

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Prozess im Gange. in entsprechenden städtischen R E I

SPIEGEL: Sie haben ein bischöfliches Gym - E Wahlbezirken holen wir, wenn es M K nasium besucht. Wie war das, wo doch C gut läuft, zehn Prozent. O T S SPIEGEL: weite Teile der katholische Kirche Homo - Z Woran liegt das? T I R sexualität für verwerflich halten? F Spahn: Das Interessante ist ja, Spahn: Ich war sogar Messdiener und habe Spahn, SPIEGEL-Redakteure*: „Es fehlt Coolness“ dass sich die CDU objektiv sehr mich in der Kirche immer wohl gefühlt. gewandelt hat. Gesellschaftspoli - Katholiken haben oft eine größere kunft. Familien brauchen und verdienen tisch hat sich mit Angela Merkel vieles Gelassenheit, als man ihnen gern unter - unser aller Unterstützung. Die überwie - verändert. Aber das dringt nicht genü - stellt – vermutlich, weil sie stets im Hin - gende Zahl der Schwulen und Lesben gend durch, vor allem bei den jungen terkopf haben: Im Notfall kannst du alles sieht das genauso. Aber es ist doch albern Wählern. Das ist bedenklich. Selbst 1998 beichten. zu unterstellen, dass die gesellschaftliche waren wir bei den Jungwählern noch die SPIEGEL: Ärgern Sie sich nie über Ihre Kir - Anerkennung gleichgeschlechtlicher Part - stärkste Partei. Davon sind wir heute weit che? nerschaften der Ehe oder der Familie entfernt. Dabei haben wir den Jüngeren Spahn: Klar. Ein deutscher Bischof sagte schadete. etwas zu bieten. Ich kämpfe etwa für den vor einiger Zeit, Homosexualität sei wi - SPIEGEL: Wären Sie dafür, dass schwule Sonntag als Ruhetag, zur Entschleuni - dernatürlich. Das ist natürlich großer Paare Kinder adoptieren dürfen? gung, gerade weil der Lebenstakt vieler Blödsinn. Ich habe mir doch nicht ausge - Spahn: Lasst uns doch nicht danach fragen, junger Menschen vom Smartphone dik - sucht, schwul zu sein. Das war eher die ob die Eltern schwul oder heterosexuell tiert wird. Und wenn Sie schauen, was Natur. sind. Entscheidend ist, wer im konkreten den meisten jungen Menschen wichtig ist, SPIEGEL: Sie haben im Sommer zusammen Fall das beste Elternpaar abgibt. Es geht Familie, Verbindlichkeit, beruflicher Er - mit zwölf weiteren Abgeordneten aus der ausschließlich ums Kindeswohl. folg – dann ist der Zeitgeist eigentlich Unionsfraktion ein Papier für die steuer - SPIEGEL: Sie meinen: besser ein engagier - CDU. Ich denke auch, dass wir es eines liche Gleichstellung homosexueller Le - tes schwules Elternpaar als heterosexuelle Tages wagen sollten, im Bund ein benspartnerschaften mit der Ehe veröf - Rabeneltern? schwarz-grünes Bündnis einzugehen. fentlicht. Warum konnten Sie nicht mehr Spahn: So ist es. Auch wenn sich die CDU dabei nicht ver - Mitstreiter gewinnen? Die Unionsfraktion SPIEGEL: Ihr Fraktionschef biegen darf. zählt immerhin 237 Mitglieder. sagte, beim Adoptionsrecht gehe es vor SPIEGEL: Im Moment schließen die Grünen Spahn: Die Debatte über das Papier hat allem um die „Selbstverwirklichung von eine Koalition mit der Union aus. gezeigt, dass wir nicht alleinstehen. Ich Lesben und Schwulen“. Spahn: Das stimmt. Wir werden den Grü - finde, die steuerliche Gleichstellung von Spahn: Er hat aber auch gesagt, dass Poli - nen auch nicht hinterherrennen. Mit einer lesbischen und schwulen Paaren ist eine tik mit dem Betrachten der Wirklichkeit Partei der linken Gleichmacherei werden Wertefrage. Es geht darum anzuerkennen, beginnt. Und in der Realität wollen die wir nicht koalieren. Aber umgekehrt ha - dass zwei Menschen verbindlich fürein - meisten schwulen Paare gar kein Kind ben auch die Grünen nichts davon, wenn ander einstehen: Lebenspartnerschaften adoptieren. Diejenigen aber, die es möch - sie sich auf Gedeih und Verderb der SPD umfassen ja alle Pflichten, etwa die Un - ten, sind oft bereit, sich mit ihrer ganzen an den Hals werfen. terhaltspflicht nach der Scheidung oder Kraft dem Adoptivkind zu widmen. Es SPIEGEL: Was kann die CDU tun, um we - bei Arbeitslosigkeit. Da kann der Staat ist wirklich eine pauschale Unterstellung niger provinziell zu wirken? zu sagen, homosexuellen Paaren gehe es Spahn: Die Republikaner haben die Wahl nur um die Selbstverwirklichung. in den USA auch deswegen verloren, weil „Es ist eine pauschale SPIEGEL: Tragen Sprüche wie der von Kau - sie als die Partei des alten weißen Mannes Unterstellung zu sagen, der dazu bei, dass die CDU in den großen galten. Weit weg von einer solch einseiti - Städten als vermuffte Altherrenpartei gen Wahrnehmung sind wir leider auch Homosexuellen gehe es nur wahrgenommen wird? nicht. Wir müssen also die gesellschaftli - Spahn: Das sehe ich nicht so. che Wirklichkeit besser abbilden. Es soll - um Selbstverwirklichung.“ SPIEGEL: Tatsache ist, dass die CDU in kei - ten mehr Frauen für uns kandidieren. ner Millionenstadt mehr regiert. Und es würde helfen, wenn wir alle im auf der anderen Seite nicht sagen, die Pri - Spahn: Unser Problem in den großen Städ - Bundestag stärker am Leben in vilegien, die das Gesetz für die Ehe vor - ten ist kein inhaltliches, sondern eines teilnähmen. Bei vielen gibt es geradezu sieht, bekommt ihr vorenthalten. Ich wer - der emotionalen Anschlussfähigkeit. Es einen Wettbewerb, wer am nächsten am de jedenfalls innerhalb der CDU für diese fehlt da eine gewisse Gelassenheit und Reichstag wohnt. Berlin kennt man dann Sicht werben. Coolness. Ich habe in Berlin eine Zweit - allenfalls von der Taxifahrt vom Flug - SPIEGEL: Ihre Fraktionskollegin Katherina wohnung im Prenzlauer Berg. Wenn ich hafen ins Regierungsviertel. Man muss Reiche hat Ihre Initiative mit den Worten mich dort umschaue, dann sehe ich Leute, sich ja nicht gleich in Szeneclubs wie das abgelehnt: „Unsere Zukunft liegt in der die eigentlich Unionswähler sein müssten. Berghain aufmachen. Aber etwas mehr Hand der Familien, nicht in gleichge - Es gibt dort viele Familien, die sehr leis - Neugierde auf die Stadt, auf ihre Vielfalt schlechtlichen Lebensgemeinschaften.“ tungsorientiert sind. Es gibt aber auch und ihre Galerien und Bars würde da Empfanden Sie das als Beleidigung? schon helfen. Spahn: Es war zumindest unglücklich for - * Markus Feldenkirchen und René Pfister im westfäli - SPIEGEL: Herr Spahn, wir danken Ihnen muliert. Natürlich sind Kinder unsere Zu - schen Ahaus. für dieses Gespräch.

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