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SABINE NARR-LEUTE Kunstbeschreibung und Beschreibungskunst bei Flaubert. Ein Brückenschlag zwischen den Künsten?

Arts. Sont bien inutiles, puisqu’on les rem- place par des machines qui fabriquent mieux et plus promptement.

Descriptions. Il y en a toujours trop dans les romans. (Dictionnaire des idées reçues) Flaubert schreibt in seinem Dictionnaire des idées reçues unter dem Stichwort „Arts“: „Sont bien inutiles, puisqu’on les remplace par des machines qui fa- briquent mieux et plus promptement.“1 Diese ironische Definition der Künste, die sicherlich auch vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Diskussion über die Möglichkeiten (und Grenzen) der Photographie – und als Flauberts Kritik daran – zu verstehen ist, verweist auf ein Thema, das den Autor zeitlebens be- schäftigte: die Auseinandersetzung mit Kunst und den Künsten im allgemei- nen. Schreiben bedeutet für ihn auch immer eine Reflexion von Kunst, Kultur und der damit verbundenen Frage nach dem Status von Kunst in einem Zeital- ter der zunehmenden „technischen Reproduzierbarkeit“ (W. Benjamin), wenn diese mehr und mehr kommerzialisiert, verkitscht, ihrer Aura ‚entledigt‘ und gewissermaßen ‚entästhetisiert‘ wird. Flaubert hat ein Literaturverständnis, das einem „Art pur“2 gleichkommt, das er als ein perfektes Zusammenspiel von „forme“ und „idée“ versteht: „la forme et l’idée, pour moi, c’est tout un et je ne sais pas ce qu’est l’un sans l’autre. Plus une idée est belle, plus la phrase est sonore […]. La précision de la pensée fait (et est elle-même) celle du mot.“3 Seine Texte zeichnen sich einerseits durch eben diese hier beschriebene,

1 : Dictionnaire des idées reçues. Édition diplomatique des trois manuscrits de Rouen par Lea Caminiti. En appendice: Les „idées reçues“ dans l’œuvre de Flaubert, Neapel: Liguori/: Nizet 1966, S. 54. 2 Brief an Louise Colet vom 16. Januar 1852, in: Gustave Flaubert: Correspondance. Tome II (juillet 1851 – décembre 1858). Édition établie, présentée et annotée par Jean Bruneau, Paris: Gallimard 1980 (Bibliothèque de la Pléiade), S. 29-33, hier S. 31. 3 In seinem Brief stellt Flaubert einen weiteren Vergleich von Form und Idee voran, der als Anspielung auf Hugos Formulierung zu einer Ästhetik des Sublimen und Grotesken in der Préface de Cromwell verstanden werden kann: „Vous me dites que je fais trop attention à la forme. Hélas! c’est comme le corps et l’âme; la forme et l’idée, pour moi, c’est tout un […].“ (Brief an Mlle Leroyer de Chantepie vom 12 Dezember 1857, in: G. Flaubert: Correspon- dance. Tome II, op. cit., S. 783-786, hier S. 785). Auch Hugo beschreibt Sublimes und Gro- teskes als zwei Seiten einer Medaille, als „corps“ und „âme“ (cf. : „Préface de Cromwell [1827]“, in: id.: Théâtre complet. Édition de Josette Mélèze et Jean-Jacques Thier-

 274 SABINE NARR-LEUTE große Präzision eines jeden Wortes, des ‚mot juste‘ aus; andererseits weisen sie eine starke Visualität und hohe Imaginationskraft auf, deren Ziel es ist, dem Leser die Figuren, Schauplätze, Gegenstände und Handlungen möglichst lebhaft vor Augen zu führen – in Flauberts Worten „faire voir“ sowie „faire rêver“4. Dies macht deutlich, welch hohen Stellenwert das Medium des Textes für den Autor einnimmt. Auch seine ablehnende Haltung gegenüber Illustrati- onen seiner Texte ist in dieser Perspektive zu sehen. Ihm zufolge würde eine Abbildung eine Textbeschreibung ‚bildlich fixieren‘ und somit den Raum des Imaginären deutlich beschneiden.5 Gerade weil das Medium des Textes für Flaubert so bedeutsam ist, mag es gleichwohl überraschen, daß sein Œuvre stark von den visuellen Künsten be- einflußt ist. Bereits in der oben zitierten Definition des Begriffs „Arts“ wird deutlich, daß es ihm bei diesem Thema um die grundlegende Frage der Mime- sis geht, wenn von einer ‚besseren‘ und ‚schnelleren Herstellung‘ und damit implizit von einer technischen Reproduzierbarkeit die Rede ist. Kunst mani- festiert sich in Flauberts Texten auf ganz unterschiedliche Weise: Sie findet Eingang auf der Ebene der ‚histoire‘, etwa in Darstellungen von Gemälden, Antiquitäten, Kirchenfenstern und Skulpturen wie beispielsweise in , Salammbô und Les Trois Contes, aber auch auf der Ebene des ‚dis- cours‘, indem malerische Erzählstrukturen auf das Medium des Textes über- tragen sind wie etwa in La Tentation de saint Antoine und La Légende de saint Julien l’Hospitalier.6 Sie klingt in L’Éducation sentimentale an, wenn Flaubert

ry. Préface de Roland Purnal, Tome I, Paris: Gallimard 1963 (Bibliothèque de la Pléiade), S. 409-454, hier S. 422). 4 Die Formulierung des „faire rêver“ verwendet Flaubert im u.g. Zitat (Fußnote 5) im Kontext der Ablehnung von Illustrationen. Sie findet sich aber auch in anderen Briefen, wie dem Brief an Louise Colet vom 26. August 1853, der am Ende dieses Beitrags zitiert wird. Die Formulierung „faire voir“ findet sich mehrfach in seiner Korrespondenz, so etwa in einem Brief vom 6. April 1853 an Louise Colet, in dem er über Leconte de Lisle urteilt, daß jenem genau diese Eigenschaft fehle, „la faculté de faire voir“ (in: G. Flaubert: Correspondance. Tome II, op. cit., S. 296-299, hier S. 298). 5 Cf. seinen Brief an Ernest Duplan vom 12. Juni 1862 im Kontext der Publikation von Sa- lammbô: „Jamais, moi vivant, on ne m’illustrera, parce que la plus belle description littéraire est dévorée par le plus piètre dessin. […] Du moment qu’un type est fixé par le crayon, il perd ce caractère de généralité […]. Une femme dessinée ressemble à une femme, voilà tout. L’idée est dès lors fermée, complète, et toutes les phrases sont inutiles, tandis qu’une femme écrite fait rêver à mille femmes. Donc, ceci étant une question d’esthétique, je refuse formel- lement toute espèce d’illustration. […] En résumé: Je suis inflexible quant aux illustrations.“ G. Flaubert: Correspondance. Tome III (janvier 1859 – décembre 1868). Édition établie, pré- sentée et annotée par Jean Bruneau, Paris: Gallimard 1991 (Bibliothèque de la Pléiade), S. 221-223, hier S. 221f. 6 In den letzten Jahren hat sich die Flaubert-Forschung zunehmend intermedialen Fragestellun- gen gewidmet. Cf. exemplarisch: Patricia Oster: „Der Schleier zwischen religiöser und ästhe- tischer Erfahrung. Vier Beispiele aus Frankreich“, in: Aleida Assmann/Jan Assmann (Hrsg.): Schleier und Schwelle. Geheimnis und Offenbarung, München: Fink 1998, S. 233-252; Adri- anne Tooke: Flaubert and the Pictorial Arts. From Image to Text, Oxford: Oxford University Press 2002; Joseph Jurt: „Flaubert e as artes visuais“, in: Alea, Estudos neolatinos 4 (1)/2002, S. 33-54; Vf.: Die Legende als Kunstform. Victor Hugo, Gustave Flaubert, Émile Zola, Mün-