25. internationales forum 7 des jungen films berlln 1993 nSESSSZi

BABEL/ LETTRE A MES AMIS RESTES Romain Schneid. Marie André. François Beukelaers. Fanny Tran, Evelyne Snyeer, Etienne Arcq. Jean-Baptiste Nicaise. EN BELGIQUE Anne Weber,CatherineSmet, IsabelleLapierre, Marianne Ebrant, Babel / Briet'an meine in Belgien gebliebenen Freunde Carlo Chapelle. Geneviève Robillard, Hubert Toint, Shirles Scrimgeour, Eve Leguèbe. Jaeques Calonne. Eliane Du Bois. Land Belgien 1983-92 LoïcGrelier. Marie-Christine Lambert. Alain Miroir. Jean-Noël Produktion Dovfilm / Boris Lehman Gobron. Michel Havoit. Jean-François Rinken. Henri Sonet. Koproduktion Paradise Film / Marilyn Watelei Claude Waldmann. Sélim Sasson, . Monsieur Regenberg. Alain François, Annik Leroy, Véronique Peynet, Regie. Buch Boris Lehman AmidChakir. Nicole Debatte. Marc Romboul. Sabrina W 'eldnian. Claudine Thyrion. Bruno Tanière, Jules Imberechts. Robin Van Kamera Michael Sander. Antoine-Marie Rooyen, Bernard \'iiiers. Marie Desbarax, Vincent Halflants, \ leert Paul Goosse. Monsieur Van Devyvere. Carmela Locantore. Musik Edouard Higuet, Fernand Schirren Antonio Moyano. Yolande Duvivier. Manu Bonmariage. Ton Henri Morel le Antoine-Marie Meert. Dominique Loreau. . Martine Schnitt Daniel De Valck Kivits. Paulus Brun. JoDekmine. Marta Bergman. Jane Lemaine. Mischung Antoine Bonfanti Renelde Liégois, Marjana Vukadinovic. Meriam Kerkour. André Kameraassistenz Thierry Zeno. Thierry De Mey, Reinitz, Joëlle Baumerder, Zaha\ a Seeu ald. Zelda Ziegelbaum. Claude Goldmann, Saguenail Didier Kengen. Anne Bousseau, Pierre Droulers, Yvon Vroman, Abramovici, Michael Baudoin Norbert Brassine. Fernand Schirren Tonassistenz Mara Pigeon. Luc Renn. Bruno Die /ahlreichen Menschen, die gefilmt wurden, aber nicht auf Tanière, Pierre Jadot. Basile der Leim* and erscheinen, bitte ich um Entschuldigung, ebenso Sallustio jene, die ich aufgrund von Unaufmerksamkeil oder Gedächt• Schnittassistenz André Coline!. Anne Dehgne. nisschwund \ ergessen habe. Dominique Loreau, Connue Behin, Mary Ii ne Lefort Dank an . François Albera, Luc Baele, Aria• Titel Guy Jungblut ne Bratzlavsky. Freddy Buache, Carlo Chapelle. Francis Col- Geneviève Robillard, Nadine ignon, Luc Dardenne, Robert Daudelin, Kathleen de Béthune. Regieassistenz Wandel Magali Delers, Daniel Fano, Daniel Lehman. Raymond Ravar, Patricia Kilesse Jean-Paul Tréfois, Hadelin Trinon. Marc Van den Esch Skript Paul Gérimon, Nikio Kokkinos. Mit den Stimmen von Martine KivitS, Boris Lehman Uraufführung I. Mar/ 1992. Lausanne

Darsteller in der Reihenfolge ihres Auftretens : Formal 16mm, larbe Boris Lehman. Balou Yalon. Nathalie Yalon. Kathleen de Länge Teil I: 160 Minuten Béthune. Evelyne Paul. Marie-Paule Gaillard. Christine Défri• Teil II: 220 Minuten se, Maggy Col lard. Nadine Wandel. Joëlle Lanscott. Robert Baussay, Maria Dyszinska, Pierre Thijs. Pola Rapaport, Chri• Weltvertrieb Dovfilm/Boris Lehman. 19 Rue A. stine Khondjie, Dan\ Vassart, Maurice Raymakers, Jacques Labarre. 1050 Brüssel. Belgien Bauduin, Edith Goldbeter. Rou\e Hauser. Jean-Michel Alex• Tel. 322 -649 14 33 andre, Jean-PaulTréfois, André Simon. Stephen Sack. Véroni• Fax 322 - 647 49 83 que Danecis. Roselyne Hermal. Hugo Van der Vennet. Michel Van der Vennet, Jean-Jacques Andrien, Rene Keym, Henri Mit Unterstüt/iing des Ministère de la Communauté française Morelle, Christiane Dano, Micheline Créteur, Marie-Hélène de Belgique, des RTBF (Belgisches Fernsehen), des Centre Massin. Ihierrx Zeno. Sann S/lingerbaum. Marie-Jeanne Audiovisuel à Bruxelles, des Atelier des Jeunes Cinéastes und Vo/. Monica Glineur. Mara Pigeon, Anne hosts. L\land der GS ARA. Doyen, Marc-Henri Wajnberg. Function Nuyens, Nadia Baes- Azifi, Michel Baudson, Miguel Annachiel, Corinne Cygler, "Mein Leben ist zum Drehbuch eines Films geworden, der seihst Rachel Fajersztajn, Beatrice Drion, Paula Lambert. Monsieur wiederum mein Lehen wurde" (Boris Lehman) de Méeus. Monsieur Vanhamme. Peggy Brauer. Maryse Math\. Guillaume Maridjan-Koop, Sylvie Auzas, Louise De Vorbemerkung Neef. Marianne Berenhaut. Nicole Lefèvre. Françoise Lerus- se. Christiane Blanche/. Elisabeth Thornburn, Beatrice Popo- Es liegt eine gewisse Schamlosigkeit in der Präsentation eines vitch, Mirko Popovitch, Vanessa Popovitch, Liliane Mazy, Filmprojekts, das ein wenig mein personliches Tagebuch ist Marilyn Watelei. Michèle Blondeel. Fric Pauwels. Michèle- und das meine Freunde und mich, für jedermann erkennbar, in Anne de Mey, Domonique Thyrion, Maua Santos. José Rami• einer Reihe von Ereignissen und Situationen auftreten läßt. rez, Carlos Aguilar Zafra, Bela Limenes Rosenfeld. Solange Ich sage Schamlosigkeit und nicht Exhibitionismus oder Nar• 1 abbé. Hadelin Trinon, Marie-Dominique Buche. Raymond zißmus, weil ich denke, dal.) mein Film über den bloßen Ravar, Denise Deblock. Eva Houdova, Thierry De Duve, Gefallen, sich selber/u filmen, hinausgeht. Jenseits einer Vielzahl Philippe Bastien.Hilda Helfgott.Corneille Hannosei. Luc Rem) . persönlicher und unbedeutender Szenen, die sich entlang einer Irrfahrt durch Brüssel entfalten, welche auch die Irrfahrt des Der Film hat also diese eigentümliche Form des persönlichen Odysseus ist. entsteht eine Vision, eine Beschreibung von Welt. Tagebuchs, der Dokumentation und des Selbstporträts ange• So ist für mindestens ein Jahr mein Leben zum Drehbuch eines nommen. Dennoch trägt er paradoxerweise von allen meinen Films geworden, der selbst wiederum mein Leben wurde. Die Filmen am meisten romaneske und erzählerische Züge. Dreharbeiten, die Entstehung und Verfertigung des Werks - im Es ist weder beängstigend noch schwierig, sich selbst zu architektonischen und alchimistischen Sinn des Wortes - ent• filmen. Ich hatte das schon mehrmals getan, vor allem in Album wickelten sich, von Zeil und Stimmungen abhängig, mit Ab• I ( 1974) und in Couple. Regards, Positions ( 1982). Jedoch aus weichungen. Schw ierigkeiten und Zw ischenfallen, gemäß einer seinem Leben einen Film zu machen, die ganze Zeit von einer uranfänglichen Bestimmung. Kamera (und einem Team) begleitet zu leben, ist auf eine Nicht alles, was im Film vorkommen sollte, ist auch /wangsläu- andere Weise anstrengend und verstörend. fig in ihm enthalten. Denn die Dinge ereignen sich nie so. wie Meinen Film und mein Leben zusammenfallen zu lassen, hat man sie geplant hat. Ich mußte akzeptieren, daß mein Vorhaben zweifellos eine Grenzerfahrung bedeutet. Meinem Leben nur vom Weg abweicht, abzweigt, die falsche Richtung einschlägt. durch meinen eigenen Blick Bedeutung geben. Lin totalitärer Es sind die Regeln eines Spiels, das ich selbst erfunden habe. Blick, der mit Gott rivalisieren will, nicht mehr und nicht Schamlosigkeit, gewiß, aber auch Schamgefühl: ich sage nicht weniger. alles. Es gibt sogar Dinge, die ich gar nicht sage. Ich führe nicht Im Besitz des Universums zu sein, mich seiner irgendwie zu nur ein einziges lagebuch. Ich führe drei oder vier zu gleicher bemächtigen, indem ich es filme. Um meinen Platz darin zu Zeit. linden. Es gibt auch Dinge, die ieh zensuriert habe: Worte. Namen, Wo auch immer ich mich befinde, unter welchen Umständen ausgelöschte, beseitigte, störende, manchmal geänderte: defor• auch immer, filme ich. setze ich die Dinge, die mir begegnen, mierte Tatsachen und andere, schlichtweg erfundene. in Szene. Ja. wieviel Wahrheit bleibt bei all dem.' Ich sage filmen, doch passiert das meistens ohne Kamera: Sie Maskerade der Fiktion. haben mich hoffentlich richtig verstanden. Mit der Kamera Wieviel zeige ich noch wirklich von mir* kommen sicherlich zusätzlich Freude und Angst hinzu, aber ich Mein Bild liegt zweifellos /wischen dem. was ich zeige, und finde Gefallen daran, die Realität auf imaginäre Weise ins Bild dem, was ich verberge. zu setzen. Das ist mein eigener Film, nur für mich und für die Die erste Idee zu BABEL kam mir wahrscheinlich im August Menschen, die da und bei mir sind. 1973 in Waterloo. Ich w ai dort mit Daniel Fant), und w ir stellten Das Abenteuer der Dreharbeiten hat sich über sieben Jahre uns bereits Orson W elles in der Hauptrolle vor. Er wurde erstreckt, mit der Zeil und Geduld einer Ameise, oder w ie beim verfolgt und floh auf die Treppe, die zur Spitze des Hügels mit Zusammensetzen eines Puzzles. Der Schnitt hat über drei Jahre dem Löwen führt, doch der Aufseher hielt ihn auf. gedauert. Von August 197X bis März 1979 notierte ieh in meinem Ich habe ungefähr fünfzig Stunden Bild- und Tonaufnahmen Tagebuch den größten Teil der Ideen, die sich im ersten gesammelt. Drehbuch finden, eingereicht im Dezember 1979. Zum heuti• Was wollte ich mit diesem Film einfangen? Den Zeitgeist? gen Zeitpunkt existieren sechs Drehbücher \on BABEL. Einen Teil meines Privatlebens? Ein Stück Totalität, aber Im Prinzip soll BABEL ein Film von vierund/wan/igstündiger wovon? Es ist in erster Linie ein 'ungeglätteter' Film, der sich Dauer werden, in vier Teilen von je sechs Stunden ( 1. Lettre ä aus tausend Details entwickelt, der tausend Geschichten, tau• mes amis restés en Belgique - 2. Etranges étrangers - 3. Le Juif send Filme, oder ein Ensemble möglicher Filme und über• errant - 4. A la recherche de mon temps perdu), der alle Genres geordneter Themen suggeriert, die sich kreuzen und mischen w ie und Filmformen mischt: Dokumentartilm. Werbefilm, touri• in einem vielstimmigen Gedieht. stischer, wissenschaftlicher. Musikfilm, fantastischer I ihn. Der Film beschreibt einen Weg. der keine Gerade ist, sondern Familienfilm, komischer, romanesker, (melo)dramatischer ehereine Spirale, tastend, zögernd, kreisend, und doch zugleich Film, historischer, ethnographischer, autobiographischer Film. entschieden, hartnäckig, unendlich. Traumfilm, epischer, experimenteller, fiktionaler, feuille- Boris Lehman. Lettre à mes amis restés en Belgique. Editions tonistischer Film... Yellow Now. Liège 1992 Jeder Teil ist ein eigenständiger Film für sich.

III I Kl A MIS AMIS RESTES EN BELGIQ1 I Boris Lehman und das belgische Kino Dieser Teil - bis heute der ein/ig realisierte - kreist um das (...) Fast das ganze belgische Kino steckt in Boris Lehman. Alltagsleben eines Brüsseler Filmemachers, der einen Film Zunächst in rein physischer Form, in seinen Filmen: um nicht über Babel vorbereitet und davon träumt, auf den Spuren in ihnen zu erscheinen, muß man dies wirklich wollen, oder Antonin Artauds zu den Tarahumaras nach Mexiko zu reisen. hose auf ihn sein (er sagt, das sei möglich, die ganze Welt sei Ohne festen Wohnsitz, irrt er in einer Stadt umher, die die seine im Grunde gegen ihn). ZU sein scheint, und reist schließlich ab. Sodann als Erbschaft: als habe sich das Beste einer Tradition in Als er zurückkehrt, haben sich die Dinge und Menschen verän• seinem Werk zusammengefunden, ihn. von seiner Integrität dert. Die Probleme häuten sich. Er verliert seine Arbeit, muß überzeugt, als Erben auserkoren, in der Hoffnung, noch ein umziehen, /erstreitet sich mit seinen Freunden und findet sich wenig zu überdauern. schließlich allein, er. der mit so \ ielen Menschen Kontakt hatte, Von Edmond Bernhard, seinem Film-Vater, hat er die Faszina• und singt: "Parlez-moi d'amour...". tion für das Ritual und für die bis an die Grenze des Fantasti• In seiner Vorstellung löst sich die Stadt völlig auf, das ganze schen gehenden Verschiebungen zwischen dem. was gefilmt Königreich scheint bedroht. wird und dem. was sich von einem Bild ablöst (es steckt etwas Der Filmemacher bin natürlich ich. doch ich meine, wirklich von Lumière des hommes - einem Film von Bernhard, A.d.R. - ich. Boris Lehman, von mir selber gespielt. Auch sonst spielt im in Muet comme une carpe). Von Dekeukelaire stammt das Film jeder ohne Ausnahme seine eigene Rolle. Fast vierhundert Gefallen am Zu-Fuß-Gehen, begriffen als Methode kinemato- Freunde haben akzeptiert, auf diese Weise 'babelisiert' zu graphischer Forschung: von Storck und Meyer kommt die Lei• werden. Nur hundertfünf/ig erscheinen im Film in seiner denschaft für das Menschliche: von de Heusch die ethnographi• gegenwärtigen Form. sche Eleganz, von Van Antwerpen und de Buchet die ursprüngliche Nah ität des Blicks, und \on allen zusammen die ist bereits im Bild enthalten. Es gibt zuerst solche Fragen: Wo ist schone Sorglosigkeit wahrer Amateure und Liebhaber. die Kamera? Was nimmt man auf? Das muß deutlich sein, richtig. Schließlich durch die Topographie. Insbesondere in BABEL "Limage juste' (das richtige/gerechte Bild), wie Godard sagt. prüft und korrigiert er m> stische Orte und Szenerien einer ganzen Eine andere Ähnlichkeit: alles Material wird beim Schneiden Bilderwelt: am Anfang natürlich Waterloo (er steht auf dem Platz gestaltet: es wurde für den Schnitt aufgenommen. Man filmt des Löwen): die Lifel. hell. rein, strahlend grün in voller Sonne, nicht irgendwie. Wertow macht nicht wirklich Filmbilder, einmal frei von ihren Schatten (in einer Szene unbeschwerten sondern eher Photos, photographische Ansichten. Vielleicht Glücks à la Renoir pflückt erdort Heidelbeeren): die Küstenstrände mache auch ich solche Ansichten: eben diese oftmals statischen (er ist jener Fremdkörper, der /wischen bräunendem Heisch Einstellungen erscheinen in den Augen professioneller Filme• herumschleicht, angetan mit warmer Jacke und alten Hosen, den macherdürftig. Da bewegt sich nichts, es gibt wenig Handlung. Koffer in der Hand: Boris Lehman ist auch unser letzter Dennoch kann man keine wirklichere Handlung, kein größeres Burleskendarsteller); vor allem Brüssel, wie ein Dorf Photogra• Ereignis finden als ein Kind, das aus dem Mutterleib kommt. phien, dessen eigentümliche Landschaft er als einziger begreift. Ästhetizismus, das schöne Bild Li hat diese Orte allesamt erforscht, ihnen mehr Wirklichkeil verliehen, sie als pro\ isorische und streng persönliche Unterkunft Ohne Frage lehne ich den Ästhetizismus, die reinen Effekte, ab. Lin ganzes Kino existiert auf diese Weise, überladen von seiner erschlossen. Denn der ganze Bons Lehman steckt auch in Boris ästhetischen Verpackung. Man macht ein schönes Bild, aber Lehman. Briefe. Photos. Wohnungen. Stimmen. Blicke. Freundschaften - was er für sich ins Leben ruft und bei anderen das ist alles, es bedeutet nichts. Ich bin für die ungeglätteten auslost - stellen zusammen ein unteilbares Werk dar. das von Bilder im Sinne des cinéma direct, weil sie mir mehr sagen. Viele Filmemacher machen ästhetische Filme (im pejorativen Film ZU Film (Tagebüchern, Bekenntnissen. Autopsien) befördert wird und welches, aneinandergefügt, ein einziges ergibt, gevs irkt Sinn), weil sie nichts zu sagen haben: ein schönes Bild bleibt ein aus den essentiellen Fragen nach der Identität, dem Land, dem schönes Bild. Ursprung und dem Bedürfnis nach Liebe: lieben, geliebt weiden, Die Filme von Raoul Ruiz sind barocker, manirierter als die sich \ergew issern. meinen. Das ist sein Stil, seine Sprache, denn bei ihm gibi es das Thema der Mystifikation, des Labyrinths, und daher arbeiten Patrick Leboutte, L'encyclopédie des cinémas de Belgique. seine Bilder mit Effekten wie Spiegelungen. Weitwinkelauf• Liège 1990 nahmen. Aufnahmen aus der Vogel- und der Froschperspekti• ve. Boris Lehman über seine Filmarbeit Orson Weltes ist barock, ist expressionistisch... gut. Line Entstehung und Dreharbeiten gewisse Kohärenz ist vonnöten. Wenn es übereinstimmt mit Ich besitze Anhaltspunkte und Vorgaben: ich weiß, was ich dem. was man sagen will, bin ich dafür. Was ich ablehne, ist der filmen werde, auch wenn ich das eigentliche Sujet des Films reine Ästhetizismus. Effekte, die nichts ausdrücken, die auf noch nicht kenne. Wenn ich für A la recherche du lieu de ma nichts verweisen. naissance Hélène Lapiow er bitte, mit einem Kissen eine schwan• Die Schauspieler gere Frau darzustellen, dann weil.) ich vielleicht ein wenig, was Linen Film zu machen, ist mit meinem Leben verbunden; so das für mich bedeutet, aber ich weiß noch nicht, welchen Platz lebe ich. Ich suche Darsteller, weil ich weiß, sie können spielen, die Szene im Film einnehmen w ird. Ich glaube, daß ich das erst wozu ich sie auffordere. Darin liegt ein Unterschied zum am Schluß finden kann, wenn einmal alles gefilmt, einmal alle Großteil der Regisseure, die von den Schauspielern verlangen, Szenen im Schnitt strukturiert sind. Daher die Unmöglichkeit, etwas herzustellen. Helene Lapiow er sagte mir einmal. "Man ein Drehbuch abzugeben. Für diesen Film mußte ieh einen verlangt von mir. etwas zu spielen, was nicht zu mir gehört, das ersten Entwurf vor der Drehbuchkommission einreichen, dann ich nicht oder mit Schwierigkeilen herstellen kann. Man ver• noch einen. Tatsächlich habe ich das erst gemacht, als alle langt nicht, daß ich ich selber bin. Du tust genau das." Ich finde Dreharbeiten abgeschlossen waren, denn ohne sie hätte ich das das richtig. Es ist jedoch davon abhängig, daß man die Men• Buch nie schreiben können. Nur wissen das die, die das Projekt schen gut kennt, oder jemanden von der Straße engagiert, der erhalten, nicht. dann aber eben das tut. was man ihn tun gesehen hat. weil Manche schreiben einen Film im Arbeitszimmer an der Schreib• niemand das besser könnte. Ieh glaube nicht, daß ein Schau• maschine. Dann konkretisieren sie das Geschriebene: diese spieler die Rolle eines Blinden spielen kann, es muß ein Blinder Schauspielerin (Adjani, oder ihre Kollegin, das ist egal) wird sein, er kann es besser, weil eres täglich tut. Ich kann nicht von den Dialog sprechen. Sie konkretisieren das auf dem Papier einem Schwimmer verlangen, auf dem Seil zu tanzen, ich muß Geschriebene. Bei mir ist es das Gegenteil: ich beobachte, was zu einem Seiltänzer gehen. In meinen Filmen kann ich die sich in meinem Leben oder in dem. was ich lese, was ich sehe, Menschen nur zu dem auffordern, was sie wirklich tun können. abspielt, dann rekonstruiere ich es oder suche es wieder auf. Babel Meine Filme ergeben sich aus der Beobachtung des Realen und nicht aus einer Arbeit an einem Drehbuch. Das Drehbuch BABEL ist meine unglaublichste Erfahrung. Ich habe den kommt immer danach, und wenn es kommt, ist auch das Sujet Entwurf 1979 geschrieben und 19X3 zu drehen begonnen. Es ist da. und der Sinn des Films... eine lange Geschichte. Im Film kommen vierhundert Personen vor, all meine Brüsseler Freunde. Wenn Du in Brüssel irgend• Der Ursprung, Wertow, der Schnitt wo vorbeikommst, sage ich Dir: dort habe ich gefilmt. "'Guten Als François Albera meine rushes ansah, fand er Ähnlichkeiten Tag", und ich sage Dir: "Er kommt in meinem Film vor". zw ischen den Filmen Wertow s und meinen: Ähnlichkeiten in der Kurzum, ganz Brüssel' steckt in dem Film. Nachdem man Art. die Welt zu filmen, die nicht im Einlangen der puren einen Ort gefilmt hat. sieht man ihn anders. Man sieht z.B. ein Realität besteht, wie bei den Gebrüdern Lumière. Im Falle Graffiti,das ich aufgenommen habe, und ich kann Dir sagen, sieh Wertow s handelt es sich eher um eine Vision von der Welt. Das da. es hat sich verändert, ein Fleck ist hinzugekommen (ich sehe Material, das er sammelt, ist von dergleichen Art w ie das meine. das sofort). Ls ist furchtbar, daß die Hälfte von dem. was ich in Ihn beschäftigt der Standort der Kamera: wo steht sie für eine Brüssel gefilmt habe, inzwischen verschwunden ist: plötzlich bestimmte Aufnahme. Ich denke, ich gehe genauso \ or. Es ist (.lie sagst du dir: ich betreibe Archäologie! Wenn Du an etwas erste Frage, die ich mir stelle. Man kann eigentlich nicht von Fiktivem arbeitest, ist das alles anders. Inszenierung und von Schauspielerführung sprechen... alles das BABEL ist eine Geschichte des Zentrums. Das Zentrum ist eines der Themen des Ulms, weil ich im Zentrum wohne - w as man das Aus einem Gespräch mit Boris Lehman Stadtzentrum nennt - und dort herumgezogen bin. weil ich keine Frage: In Deinen Filmen fällt mir besonders auf. wie wichtig das Wohnung hatte. Das ist der Anfang des Films: ieh wohne bei Ritual, die Zeremonie ist. Das ist bereits an den offiziellen Reden, jemandem, dann bei jemand anderem, und jedes Mal verändere an den Militär- und den religiösen Szenen inMagnwnBegynasiwn ieh mich. Ich bleibe eine Weile, man /erstreitet sich, ich gehe Bruxellense zu sehen. woanders hin. Es ist also ein Umherirren im Zentrum. Ich Boris Lehman: Jemand hat einmal sehr richtig gesagt, daß ich durchstreife das Zentrum und suche es zugleich, weil ich nicht Filme mache, wie man betet. Ich könnte auch sagen, um Filme weiß, wo ich bin, als sei es ein no man's land. Das ist ähnlich w ie ZU machen, muß man daraus eine Religion machen, das heißt, bei Godard. Er sucht das Sujet, ich suche das Zentrum des Films. man muß sich dem völlig widmen. Denn finde ich das Zentrum, dann finde ieh den idealen Das Ritual hat sehr viel mit der Inszenierung zu tun. In Muet Kamerastandpunkt. Als ob man den Standpunkt Gottes lande. comme une carpe filme ich einen Fischfang, die Zubereitung Aber es gibt das Zentrum nicht: es gibt mehrere Zentren. In einer Mahlzeit, ein Essen. Gebete, das sind sehr intensive Brüssel sagte man mir: Das Zentrum, wie es im Verzeichnis Vorgänge, es genügt, sie zu beobachten, sie zu erfassen, sie steht, befindet sich dort.'* Also gehe ich dort schauen, am nochmals in Szene zu setzen, dies oder jenes Detail hervorzu• Großen Markt, in einer kleinen Straße. Als ich den Aufseher heben, aber der Gegenstand ist vor dir. er muß nicht erfunden frage, "Ist hier das Zentrum?", antwortet er, "Nein. Sie müssen werden. Die dokumentarische und sogar ethnographische Basis ZUT Kathedrale gehen, dort gibt es eine Platte mit einem Stern, ist in meinen Filmen wichtig. und da ist es". Ich laufe zur Kathedrale, schaue dort nach, dann Frage: Was suchst du in Deinen Filmen einzufangen? noch woanders, ich schaue in die Luft. Ich erblicke eins der Boris Lehman: Ich glaube, ich stelle mir diese Frage nicht. Es /ahlreichen Schilder, auf denen 'Zentrum' steht. Am Boden in stimmt, daß ich Bilder versammle. Ich bin ein 'Kollektor', ein der Mitte eines verlassenen Platzes sehe ich noch eines und Sammler. Ich lese Bilder (und Geräusche) auf, setze sie zusam• filme das auch. Das landen ist auch eine Metapher. Das ist das men, manipuliere sie. konstruiere, strukturiere, ich erzähle eine eigentliche Sujet des Films BABEL. Geschichte, und das wird zu einem Film. Die Nicht Vollendung Ich beginne immer, ohne zuviel zu wissen, in einem Zustand

Ich habe Angst, etwas zu Ende ZU führen, wie Kafka... es gibt von Panik. Dann gibt es einen Moment, in dem ich ins Wasser wenig Abgeschlossenes. Das ist das Problem eines jeden Künst• springe, mich mitreißen lasse. Das ist manchmal schwer. Das lers. Ein Maler malt ein Bild: wann ist es fertig / Muß ein Strich Ergebnis sind Materialien, ein Stück fügt sich an ein anderes, hinzugefügt werden oder nicht? Es könnte ein Strich zuviel und schließlich wird daraus ein Film. Im Unterschied zu den sein, und das Bild wäre plötzlich zerstört. Das sieht man m Le meisten anderen Filmen entstehen meine in kleinen Etappen Mystère Picasso. Picasso weiß nicht, wann er aufhören soll. über lange Zeit hinweg. Das gibt mir Zeit, nachzudenken, etw as Überhaupt kann er nicht aufhören, und er sprengt das ganze Bild reifen zu lassen, vor allem die Möglichkeit, abzuschweifen, in die Luft. Das gleiche Problem gibt es beim Film, aber dort meinen Film, falls notig. neu anzusetzen, vielleicht eine Szene verbirgt man es. denn Film kostet Geld, und das Geld bestimmt, nochmals zu beginnen. Ich lasse mir diese Freiheit, ich verfahre wann der Film beendet ist. Ls heißt: "Es gibt kein Geld mehr", ein wenig in tastenden Versuchen. Das ist im Film selten, die es heißt "Schluß. Du hast deine fünf Drehtage gehabt". Lin Filmemacher finden sich eingezw ängt in eine rigide Planung, sie Produzent kann zu einer Drehzeitaufstellung von zehn Tagen haben weder das Recht, zu experimentieren, noch das Recht, sich sagen. "Vorbei, es wird nicht mehr gedreht. Es ist kein Film zu irren. mehr da'". Aber wie soll ich den Film beenden, wenn ich noch Frage: Das klingt zugleich sehr präzise und sehr improvisiert. unzählige Ideen habe und noch etlichen Menschen begegnen Boris Lehman: Das Sujet meines Films kenne ich nicht. Natürlich muß? gibt es immer eine Vorgabe. Aber ich drehe keinen Film über Unter dem sozialen Gesichtspunkt ist es für mich besonders etwas oder über jemanden. Eigentlich ist die Suche nach dem schwer. BABEL nicht zuende zu bringen, denn alle sind gegen Sujet der Film. Ich konstruiere den Film um den Mangel herum, mich: der Prozent, das Ministerium, die Menschen, die an dem doch das ist seit Flaubert. Proust und Kafka ein wohlbekanntes Film mitgearbeitet haben, die Menschen, die darin auftreten Vorgehen, es geht um etwas, das man weder benennen noch und fragen. "Wann kann man den Film sehen? Ist überhaupt zeigen kann, das zu erreichen man verlangt, und das man doch Film in der Kamera? Ist das Ganze ein Schwindel?" Alle sind niemals erreichen w ird. I...) gegen mich. Die Leute können nicht begleiten, daß es soviel Frage: In deinen Filmen verwendest du niemals erzählerische Zeit braucht. Sie wollen sich am gleichen Abend im Fernsehen Elemente, dramatische Vena icklungen. Ist das charakteristisch? sehen. Sie können nicht verstehen, daß ein Kunstwerk Zeit Boris Lehman: In der Grande Histoire Officielle du Cinema' braucht. gibt es ein dominierendes Kino, die kommerzielle Filmindu• strie, die Unterhaltung liefert, indem sie Geschichten erzählt, Das Publikum, der andere und die mehr oder weniger auf dem Starsystem basiert. Inner• Man macht Filme um einen Augenblick der Reflexion. Es gibt halb der Kunst stellen Filme aber nur eine geringe Prozentzahl die idiotische Frage des Publikums: "Für wen machen Sie ihren der ganzen Produktion dar. Wonach ich mit meinen Filmen Film? Haben Sie ein großes Publikum?" Man braucht kein suche, ist etwas ganz anderes. Ich versuche zu leben, geliebt zu großes Publikum! Man braucht eine Person, wie am Telephon. werden, ich brauche eine Kamera, um zu sehen, um Menschen Oder auch, als schreibe man einen Briet, den man an jemanden zu begegnen, um mit ihnen zu sprechen, um sie zu begleiten, schickt. Du schickst einen Briet, jemand liest ihn. Das ist eine Beziehung zu ihnen zu haben. Die Kamera verleiht mir Kommunikation. Man braucht nicht Millionen von Zuschau• dieses Vermögen. Darin liegt eine bestimmte Magie, die mir ern. Man muß zu denen sprechen, die uns hören und uns zuhören wollen: man muß sie linden, denn sie sind nicht in den Kinos, sie andere Ausdrucksmöglichkeiten nicht bieten können. Die 'Ge• sind auch nicht Direktoren von Kinos, oder von Fernsehstatio- schichte' dabei ist völlig sekundär. nen. Sie sind über die ganze lade verstreut. Man muß sie finden. Frage: Ich trage mich, ob es nicht noch einen weiteren Grund Das ist schwer, aber es gelingt. gibt. Mir scheint, jeder Deiner Filme bezieht sich auf den Verlust. Deine Filme funktionieren wie ein Behälter mit Sou• Zusammengestellt von Nora Delgado. in: Encyclopédie des venirs, wie ein Übertragungsgerät, so daß das. was sich verheil, cinémas de Belgique nicht vollkommen verloren geht. Boris Lehman: Gewissermaßen ein Kino der Nostalgie. 1990/91 geschnitten. Doch keine Nostalgie. Das Publikum lacht Frage: Hin Kampf gegen die Zeit und das Verschwinden. viel: Boris ist ein Held, dem etliche Mißgeschicke zustoßen, Boris Lehman: Das ist eine der Funktionen von Kunst: etwas vor welche als komödiantische Elemente vermittelt und verstanden dem Tod /u schützen, unsterblich zu machen. Aber offensicht• werden. Es ist nicht verboten. Vergleiche zu Charlie Chaplin lich ist diese Verlängerung seiner selbst nur eine Illusion, man oder Woods Allen zu ziehen. Der Filmemacher versäumt nicht, weiß nur/u gut. daß die für die Ess igkeit angelegten Gräber eines seine eigenen Schnitzer und Ungeschicklichkeiten aufzuzeichnen: Tages zerstört sein werden. Aber dieses Vertrauen, dieser Glaube Als Gegenleistung für die Wohnung bittet ihn eine Freundin, ihre läßt uns dennoch etw as schaffen und unsere Existenz nicht als zu Katzen zu füttern, jedoch Boris erweist sich als unfähig, die negativ, zu animalisch empfinden. Dosen zu öffnen.

Interview von Rachel Pajersztajn. in: Encyclopedie des cinemas Der Film macht mit einem gewaltigen Fresko bekannt, dessen Titel eine gewisse Tragödie beschwort. Die Geschichte des de Belgique, a.a.O. Turms von Babel ist die einer zweiten Erbsünde, deren kata• strophale Folgen bekannt sind. LETTRE A MES AMIS... ist Der Mann aus Mexiko eine Vorwarnung in Gestalt eines Kunstwerks. BABEL könnte Sein Name ist Boris. Erbesitzt keine teste Wohnung. Er befindet zur Chronik eines Untergangs werden. In jedem Fall sind Turm sich in einem eher depressiven Zustand. Langsam keimt in ihm und Film auf dem Prinzig der Spirale autgebaut: "Sie ist ein ehe Idee. Brüssel zu verlassen - und nach Mexiko zu reisen. wenig meine Poetik. Zum ersten Mal sage ich wirklich alles, Li verkündet jedem, der es hören will, daß er die Reise des was ich über das Kino denke, über Bilder, über die Konzeption Dichters Antonin Artaud zu den Tarahumaras nachvollziehen von Bildern, die Nichtigkeit der Schöpfung.*1 Boris Lehman wolle. Doch wird die Abreise immer wieder verschoben, man stellt die Frage: "Was ist ein Film?" Eine grundsätzliche Frage, fragt sich, ob Boris wirklich fahren will oder sich mit der die das Kino des schnellen Konsums weder sich noch uns exotischen Phantasie begnügt. Abreisen? Nicht abreisen/ Der jemals stellt. zweite Teil des Films LETTRE A MES AMIS RESTES EN Daniel Fano. L'Homme de Mexico, in: Le Eignem 38, Brüssel. BELGIQUE läßt vermuten, daß er tatsächlich nach Mexiko 2. Oktober 1992 gefahren ist. Da ist er. mit Photos. Geschenken. Geschichten: wer vor ihm in Mexiko gewesen ist. hat genau dieselben mitgebracht. Die Probleme, die er zurückgelassen hatte, treten Kritik energisch w ieder auf: Boris begegnet aufs neue der Depression. BABEL, das ist vor allem ein Mann, der durch die Stadt Doch Achtung, diesmal ist die Krankheit nicht mehr auf seine wandert, von Freund zu Freund, von Cafes zu Galerien, von Person beschränkt, sondern hat sich über die ganze Hauptstadt, engagierten Buchhandlungen zu Freunden, die aus Mexiko über das ganze Königreich verbreitet. Der Film beginnt am IS. zurückkommen. Boris Lehman verdient das Fußbad, das er sich Juni in Waterloo und endet wiederum an einem 18. Juni eines der kurz vor dem Ende seines langen Fußsvegs zugesteht. folgenden Jahre ebendort. Offensichtlich ist die Wahl des Feiertags BABEL ist also die Geschichte eines Mannes, der tatsächlich der berühmten Schlacht kein Zufall: der Staat Belgien entstand und nicht nur im Geiste reist, als sei die bloße Vorstellung dem aus den unmittelbaren Folgen von Waterloo. Boris Lehman (ieist genug. Seit Raymond Roussel hat es zahlreiche solcher erzählt auf seine Weise die Geschichte von Leben und Tod Auswanderer, die auf der Stelle blieben, gegeben. Sie sind Belgiens... was ihn nicht daran hindert, am Ende des Films sogar ihrerseits zu Stereotypen der literarischem! und kinema- Brüssel als Zentrum der Welt zu feiern. tographischen Moderne geworden. Boris Lehman entkommt LETTRE A MES AMIS RESTES EN BELGIQUE läßt sich nur der zweiten Stereotype, die ein solcher Film nahelegen konnte: mit einem vielstimmigen Gedicht vergleichen, es ist ein Werk der Irrfahrt. Unnötig, das weiter zu entwickeln. Man sprach in der vielfachen Lektüre und Interpretation. Man kann an ihm den siebziger Jahren sogar von einer kinematographischen einerseits etwas von 'Bouvard und Pecuchet sehen, eine Satire Strömung, die diese Bezeichnung trug. auf den menschlichen Unverstand: "Gemeinplätze sind mir Dennoch ist es wahr, daß der Filmemacher dem Zuschauer sehr w ichtig. Sie besitzen eine sowohl warmherzige (ich mache zuflüsterten, daß. "wenn er überall gewesen ist. er zu sich selbst mich nicht über die Leute lustig) als auch ironische Dimension, finden wird'*. Was in svenigen Worten diese Assoziation des

1 wobei die Ironie den Spott über sich selbst voraussetzt.' Reisens und der Kenntnis seiner selbst, w ie Segal sie theorisier- Der Film ist als Ganzes kein Dokumentarfilm, wenn in ihm te, zusammenfaßt. auch nicht Bilder fehlen (wie der Besuch bei den Kaktus- Jedoch BABEL ist weit mehr als das. und meines Erachtens ist Sammlern), die man leicht für Fernseh-Reportagen halten dieser Film der erste seines Autors, der mit Erfolg dies seltene konnte. Der Film ist vielmehr eine Enzyklopädie des Alltags, in Gleichgewicht halten kann, jenes des 'Erstlingswerks' - zwi• seiner Art von den Filmen Georges Perecs inspiriert: "Ich hatte schen der Meisterschaft des Ausdrucks und der unberührten vor. alle Orte zu zeigen, an denen ich in den achtziger Jahren Authentizität. Boris Lehman steht dem Fortschritt in der Be• gewesen bin. wo ich gegessen und gewohnt habe." Lehman hat herrschung des Metiers nicht gleichgültig gegenüber. Er hat Orte und Wirklichkeiten auf Film festgehalten, die inzwischen diesbezüglich schon seine Sorge ausgedrückt. Davon ist BA verschwunden sind, und so etwas wie einen historischen, BEL Zeichen einer wichtigen Etappe, die übrigens die gering• archäologischen, ethnographischen Film geschaffen. LETTRE ste Beeinträchtigung sossohl der Freiheit der Gestaltung wie A MES AMIS RESTES EN BELGIQUE ist vor allem aber cm auch der Schärfe eines Sujets ausschließt. BABEL bedeutet für persönliches Tagebuch: "Der Unterschied zu Jonas Mekas und Belgien das Äquivalent zu Milestones von Robert Kramer oder zu Joseph Mörder liegt darin, daß ich selbst im Film spiele, ich La Maman et la Putain von Jean Eustaehe. Dieser erste Teil, bin nicht nur Filmemacher, der aufnimmt, was ihm begegnet, I I I IRE A MES AMIS RESTES EN BELGIQUE, ist die sondern ich bin auch noch Schauspieler, ich spiele vor der gefühlvolle Diagnose eines Lebens und einer Stadt, eine Unter• Kamera meine eigene Rolle, ich schalle eine fiktionalisierte suchung der Fäden, die gessebt sserden müssen, um dieses I eben Nachbildung." in dieser Stadt weiter leben zu können, laue Generation und ein LETTRE A MES AMIS... hat eine Dauer von sechs Stunden Land. Männer und Frauen begegnen sich, allein und dennoch zwanzig Minuten, wurde während und nach den Dreharbeiten verführt von einem sanften Herdentrieb.Wir sind Zeuge von vor strukturiert und beim Schnitt mit einem Kommentar versehen. dem Film begonnenen Dialogen, und dennoch sind wir sofort Die ersten Aufnahmen stammen von 19S3/S4. der Film wurde betroffen, von den ersten Worten an in heimlichem Einverständnis. Aus diesen impressionistischen Begegnungen könnte eine ge• aufmerksam zuhören, hören Sie vielleicht das Geräusch der wisse Unordnung resultieren.Doch alles ist auf ein geographi• Kamera, wenn auch der Wind viel lauter erscheint. Und... ich sches und poetischesZiel hin angelegt. Der Film bezieht seine weiß wirklich nicht, was ich sagen soll, ich bin auch nicht in Dramatik aus einem Entschluß zur Abreise (etwas sehr Belgi• Panik, ganz unbegreiflich. sches...), die Vorbereitungen schieben dieses Projekt hinaus, Jedes Mal. wenn ich einen Film beginne, meine ich zu ertrinken. indem sie die Sehnsucht schwächen (die außerplanmäßige Ich fühle mich wie bei einem Schiffbruch. Hier gibt es jetzt Sequenz im Reisebüro), sie machen den Entschluß zur Abreise diesen kleinen Sturm.doch der steht in keinem Verhältnis zu lächerlich und die zeitliche und räumliche Perspektive der meinem Zustand von Panik. Reise beängstigend. Wenn im Zentrum des Films zwar, wie 18. Juni 1983. Der 18. Juni 1815 war der Tag der berühmten üblich, sein Autor steht, so entgeht er ihm doch schließlich: das Schlacht von Waterloo... Persönliche wird Fiktion, die Ich-Bezogenheit romanesk. BA- (Stimme Lehmans aus dem Off) BFL ist ein sehr bemerkenswertes Beispiel einer solchen Ich betrachte jetzt diese Bilder und kommentiere sie. Die eisten Metamorphose eines Dokumentarfilms über sich selbst, anders Aulnahmen, vor sechs Jahren gedreht. BABEL: ein unmögli• gesagt eines gefilmten Tagebuchs, zu einer absolut imaginären ches Unterlangen, zur Nichtvollendung. zum Scheitern verur• Geschichte. Boris Lehman stellt eine Person dar. die sich Boris teilt, und dennoch! Lehman nennt. Dies ist keine bloße Rhetorik. Denn wenn der Das Abenteuer begann in Waterloo, an jenem Ort. an dem Filmemacher sich abhorcht und sich abhorchen läßt (hier auch IS 15. nach der Niederlage Napoleons, das Land Belgien, das medizinisch begriffen), gelingt ihm die Passage von der ersten noch nicht Belgien war. sich anschickte. Belgien zu werden. Person zu einer eher sachlichen und allegorischen Erzählweise. Franzosen. Taigländer. Preußen und andere... stritten um dieses Am Ende des Films ist es das Abhorchen Belgiens, zu dem sich kleine Stuck Land, das andere vor ihnen. Julius Cäsar, die der Zuschauer während der drei Stunden des ersten Teils Spanier, besetzt hatten. eingeladen wähnte. Ist es Zufall (neben einer Hommage an Fünfzehn Jahre später wird dieses kleine Gebiet nach einer Edmond Bernhard), wenn der Film auf der Spitze des Denkmal- Palastrevolution, die der Oper entliehen war. unabhängig. hügels von Waterloo beginn, dieses weltlichen Wallfahrtsorts, Seitdem existiert Belgien, 'la Belgique. la Belle Gique'. verste• Sinnbild Belgiens/ hen Sie. Belgien, das moderne Babel. Die Bewegung von einer sehr persönlichen Ebene zu einer Aus dem veröffentlichten Drehbuch des ersten Teils: Lettre à metaphorischen, die der Film vollführt, ist eindrucksvoll, da mes amis restés en Belgique. Liège 1992 der Zuschauer im Bewußtsein die Rückkehr zur Ausgangspo• sition vollzieht. Eben diese Bewegung macht aus BABEL ein vollendetes Kunstwerk, das übrigens Verweis wäre auf den Biofilmographie mythischen, unvollendeten Turm. Man muß eher die Figur der Boris Lehman, geb. 1944, 1962-66 Filmstudium am INSAS. Spirale des legendären Turms im Kopf behalten als den Gedanken Brüssel. Filme in Zusammenarbeit mit psychisch Kranken des an die endlos lange Erbauung. Club Antonin Artaud: Mitarbeit an Filmen von Chantal Aker- Die Spirale ist die heimliche Form des Films - die Begegnungen man. Henri Storek. Michèle Blondeel. Samy Szlingerbaum. dergleichen Personen.die vv iederholten 'administrativen' Gänge "Boris Lehman ist auch Zeichner. Pianist. Filmkritiker. - und ebenso des ganzen Werks des Filmemachers, dessen Sozialarbeiter in einem Zentrum der Rehabilitierung von Synthese BABEL darstellt, um von hier aus weiter zu gehen. Geisteskranken, er gibt Kurse in einer Kunsthochschule, er ist Boris Lehman liebt all diese Männer und Frauen, die seine Welt Tennislehrer und Golf-Champion. Aber er kann und will nicht bilden, auf intensive Weise. Es ist zudem auffällig, wie beson• Auto fahren. Er ist ein Fußgänger." (Laurent Baes) der schön diese 'Schauspieler' aus dem Leben dieses Filme• Filme mache rs/Wande re rs e rsc heinen. L963 La clé du champ Die Präsenz der Schönheit, die Sensibilität gegenüber den 1967 Catalogue Momenten des Glücks (Musik. Gesang. Sonne. Zeit, die ver• 1968 Histoire d'un déménagement geht) rivalisieren mit der Paranoia, dem Pessimismus und der 1970 Le centre et la classe Lebensangst. Diese Spannung zwischen den zwei Polen, die in 1973 Ne pas stagner diesem Film deutlicher zutage tritt als in seinen vorangegange• 1974 Album 1 : Knokke oui nen, verleiht dem Werk des Filmemachers Größe. 197S Magnum Begynasium Bruxellense Dominique Pauli, in: Encyclopedie des cinemas de Belgique. 1979 Symphonie (Forum 1981 ) a.a.O. 1980 Marcher ou la fin des temps modernes I9S3 Couple. Regards, Positions (Forum 1983) Aus dem Prolog des Films 1983 Port mit du peintre dans son atelier Einstellung: Boris auf dem Gipfel des Löwenhügels in Waterloo. 1986 Masque 1987 Muet comme une carpe Boris: Läuft die Kamera? 1989 L'Homme de terre Kameramann: Ja. 1989 La chute tics heures Boris: Die Kamera läuft. Lauter als jetzt werde ich nicht spre• 1990 A la recherche du lieu de ma naissance chen. Wir sind jetzt also in Waterloo, auf dem Moni Saint-Jean. 1992 BABEL / LETTRE A MIS AMIS RESTES EN dem Hügel des Löwen, am IS. Juni 1983. BELGIQUE Beginn der Dreharbeiten zu meinem neuen Film BABEL. Warum hier? Weil ich genau hier vor zehn Jahren auf die Idee kam. einen Film über Babel zu drehen. Und jetzt also habe ich ganz den Eindruck, daß die Kamera läuft, der Ton aufgenom• men wird, und es erscheint wie ein Wunder. Ich hatte mich vorbereitet, etwas zu sagen, und jetzt kann ich es nicht sagen.

Ich hatte auch die Idee, die erste Einstellung so von mir zu Herausgeber: Internationales Forum des Jungen Films / Freunde der drehen.Also muß man sich daran hallen. Ich wollte mir irgendw ie Deutschen Kinemathek. Berlin 30 (Kino Arenal). Druck: grafiepress bew eisen, daß ich begonnen hatte, den Film zu drehen. Wenn Sie Redaktion dieses Blattes: Christine Gregor