db-Metamorphose BAUEN IM BESTAND

SPEZIAL: 100 JAHRE – ARCHITEKTURERBE ALS DENKMAL

IN ZUSAMMENARBEIT MIT KEIMFARBEN GMBH db-Metamorphose Spezial 2019 100 JAHRE BAUHAUS

IMPRESSUM Sonderheft db-Metamorphose db deutsche bauzeitung HERAUSGEBERIN Katja Kohlhammer VERLAG Konradin Medien GmbH Ernst-Mey-Straße 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany GESCHÄFTSFÜHRER Peter Dilger VERLAGSLEITERIN Marei Röding VERANTWORTLICHER REDAKTEUR Dipl.-Ing. Christian Schönwetter, Phone +49 711 28 49 372 LAYOUT Anja Carolin Graf ANZEIGEN Mediaberatung: Marion Hinze, [email protected] LESERSERVICE Marita Mlynek, [email protected] Fax +49 711 7594-1302

INHALT

FARBLEHREN AM BAUHAUS Bildnachweis: Das Beispiel Hinnerk Scheper 4 Karl Schawelka S. 1: Claudiodivizia / Dreamstime.com Bauhaus-Universität S. 2: Tairen10 / Dreamstime.com S. 3: Stiftung Bauhaus / Foto: Tenschert, PFLEGE DES BAULICHEN ERBES Yvonne, 2012 Instandsetzung und Ergänzung der Dessauer Bauhaus-Architektur 8 S. 4-7: (alle): Bauhaus-Archiv, ; Monika Markgraf (1): Foto: Reinhard Friedrich; (2) Foto: Atelier Bauabteilung Stiftung Bauhaus Dessau Schneider; (3-5): Foto: Markus Hawlik S. 8-11: (1, 4): Jacek Kadaj / Dreamstime.com; HANNES MEYERS LAUBENGANGHÄUSER IN DESSAU (2): Stiftung Bauhaus Dessau / Zeichnung Arge Neuester Stand der Bauforschung 12 Bauhaus und Pro Denkmal, 1999, 2014; (3) Stiftung Anne Stengel, Andreas Buss Bauhaus Dessau / © (Gropius, Walter) VG Bild-Kunst, Universität Kassel Bonn / Foto Tenschert, Yvonne, 2011; (5): Stiftung Bauhaus Dessau / Zeichnung: Markgraf, Monika / BAUHAUS-SCHÜLER ERNST NEUFERT Moretti, Isabella, 2014; (6): Stiftung Bauhaus Dessau / Bewahren seines Darmstädter Werks 16 © (Gropius, Walter) VG Bild-Kunst, Bonn / Foto: Ramona Buxbaum Brück, Martin, 2015; (7): Stiftung Bauhaus Dessau, Ramona Buxbaum Architekten Fotografie: Christoph Rokitta, Neue Meisterhäuser, 2014; (8): Addenda Architects, 2018 S. 12-15: (1, 2): Anne Stengel; (3): Christoph Petras / Stadt im Bild, 2011 / Universität Kassel); (4): Universität Kassel; (5) Stiftung Bauhaus Dessau / Foto: Tenschert, Yvonne, 2012; (6, 7): Andreas Buss S. 16-19: (1-3, 6, 7): Thomas Eicken, Mühltal; (4): Ernst Neufert; (5): unbekannt; (8): Katrin Binner, Frankfurt

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2 100 JAHRE BAUHAUS: ARCHITEKTURERBE ALS DENKMAL

12. April 1919: In Weimar erkennt ein junger Mann von 35 Jahren die Gunst pflegt, nach welchen Kriterien und mit welchen der Stunde. Während ein paar Häuser weiter noch die Nationalversammlung Planungsinstrumenten sie dabei vorgeht. Fünf tagt, um der gerade erst entstehenden deutschen Republik eine Verfassung zu Sozialwohnbauten, die Bauhausdirektor Hannes geben, nutzt Walter Gropius die Wirren der politischen Umbruchphase für Meyer gemeinsam mit Studenten in Dessau ver- eine akademische Reform. Er vereint die örtliche Kunstgewerbeschule und die wirklicht hatte, waren Thema des Vortrags von Hochschule für Bildende Kunst unter einem Dach und ergänzt sie um eine Anne Stengel und Andreas Buss. Diese Häuser, Architekturabteilung. Verschiedene Disziplinen können nun in einem Krea- erst seit 2017 Teil des Welterbes, werden derzeit tiv-Cluster, wie heutige Hochschulpolitiker sagen würden, zusammenwirken. von der Universität Kassel intensiv untersucht, da Der Name der neuen Einrichtung: Bauhaus. sie demnächst zur Sanierung anstehen. Und um In den ersten Jahren ist man eher handwerklich-künstlerisch orientiert und es auch der Wirkungsgeschichte des Bauhauses ein entstehen expressionistisch angehauchte Entwürfe wie das Haus Sommerfeld. wenig nachzuspüren, beleuchtete Ramona Bux- Diese Arbeiten haben noch wenig mit jener »Weißen Moderne« zu tun, die baum zum Abschluss das Werk eines Bauhaus- das heutige Bild des Bauhauses dominiert. Doch allmählich gewinnen tech- Absolventen etwas genauer. Sie stellte mehrere nisch-industrielle Themen an Bedeutung, man beschäftigt sich verstärkt mit Gebäude von Ernst Neufert aus den 50er Jahren Typisierung, Normung und Baukastensystemen. Als die Institution 1926 nach vor und schilderte, wie sie die denkmalgeschützten Dessau umzieht, hat sich bereits ein puristisch-reduziertes Formenrepertoire Objekte instandgesetzt und umgebaut hat. durchgesetzt, exemplarisch zur Schau gestellt mit den Bauhausgebäuden am Die Ergebnisse des Symposiums sind nun in dieser neuen Standort. Nach der Schließung der Schule 1933 wurde dieser Geist von Sonderausgabe der db-Metamorphose zusammen- Studenten und Lehrern in alle Welt getragen und hatte enormen Einfluss auf gefasst. Damit möchten wir Architekten, Denk- die weitere Entwicklung der Architektur. Kein Wunder, dass die Bauhaus- malpfleger und Handwerker auf das Jubiläumsjahr Originalschauplätze, von denen alles ausging, inzwischen zum UNESCO- einstimmen. Weitere Informationen und eine Welterbe zählen. Übersicht über alle Bauhaus-Aktivitäten bis Ende 2019 jährt sich die Gründung der legendären Schule zum hundertsten Mal – 2019 bietet die Website www.bauhaus100.de. Anlass für das Unternehmen KEIM, ein Symposium zu veranstalten, das auf der Messe »denkmal« stattfand. Unter dem Titel »100 Jahre Bauhaus« leuch- Christian Schönwetter tete man Aspekte aus, die bislang noch nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Und man widmete sich der Frage, was heute mit den Bau- hausgebäuden geschieht. Zunächst erläuterte Karl Schawelka das Werk des bislang etwas unterschätz- ten Farbgestalters Hinnerk Scheper, der unter Gropius nicht nur Teile des Dessauer Schulgebäudes in Bunttöne getaucht, sondern dort auch als Meister gelehrt hatte. Monika Markgraf gewährte Einblicke in ihre Arbeit am UNESCO-Erbe in Dessau. Sie legte dar, wie sie als Architektin die Gebäude

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FARBLEHREN AM BAUHAUS {Text: Karl Schawelka

DAS BEISPIEL HINNERK SCHEPER

Obwohl die Auseinandersetzung mit Farben eine wichtige Rolle am Bauhaus spielte, gibt es nicht so etwas wie »die« Farbenlehre dieser Schule. Vielmehr unterrichteten über die Jahre ein gutes halbes Dutzend Lehrende sehr unterschiedliche Ansätze, die teilweise inkohärent sind und sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Etwas in Vergessenheit geraten ist Hinnerk Scheper, dessen Auseinandersetzung mit Farbe im Raum hier betrachtet werden soll.

Am Bauhaus-Meister und Farbgestalter Hinnerk Scheper lässt ausgeführt und manche Vorschläge Schepers nicht angenom- sich zeigen, wie nebensächlich die am Bauhaus kursierenden men wurden. Ohnehin waren viele seiner Entwürfe eher als Vor- Farblehren für die praktische Arbeit in der Architektur waren. schläge für Bauherren gedacht und wurden nach deren Wün- Es ging eher um einen passenden Stil für ein neues Lebens - schen abgewandelt. Außerdem ist bei einer Lehrwerkstatt, die gefühl. Der 1897 geborene Scheper entstammt einem handwerk- kollektives Arbeiten förderte, häufig unklar, wer alles an der lichen Milieu. In Weimar trat er als bereits ausgebildeter Geselle Entwicklung und Durchführung einer konkreten Farbgestal- 1919 in die Werkstatt für Dekorationsmalerei ein und schloss tung beteiligt war. bereits nach fünf Semestern sein Studium mit dem Erwerb des Meistertitels ab. Diese Einrichtung gehörte zu den kommerziell BETONUNG DES EINZELNEN BAUTEILS erfolgreichsten Werkstätten des Bauhauses und war mit der Bauhaus-Architektur besonders eng verbunden. Der Unterricht Was also kann man angesichts dieser Schwierigkeiten über Schepers erfolgte dort anhand der Ausführung praktischer Aufgaben. Farbgestaltungen und deren Qualitäten aussagen? Glücklicher- Nach Beendigung seines Studiums war Scheper freiberuflich tä- weise sind viele seiner Entwürfe erhalten und sie erlauben es, tig, ehe Gropius ihn 1925 als Jungmeister zur Leitung der Werk- seine Konzeption zu erkennen. Einige seiner Farbentwürfe sind statt für Wandmalerei ans Bauhaus Dessau berief. Von 1929-31 geradezu bildmäßig gestaltet. Mit ihren subtilen Lasurlagen und ließ er sich beurlauben, um in Moskau eine staatliche Bera- auch formal erinnern sie an Arbeiten von . Die Vor - tungsstelle für Farbgestaltung aufzubauen. Er gehörte dann dem liebe für Lasuren und der Rückgriff auf lasurfähige Farben sind Bauhaus bis zur endgültigen Schließung 1933 an. für das Bauhaus insgesamt typisch. Sie erzeugen den erwünsch- Trotz der Lehrtätigkeit Schepers sind seine diesbezüglichen Un- ten Eindruck von Leichtigkeit und Transparenz. Grundsätzlich terlagen nur noch rudimentär erhalten. Auch seine zahlreich erstaunt, wie flächig die Farbentwürfe Schepers gehalten sind. ausgeführten Farbgestaltungen können inzwischen höchstens Meist wird der Raum als aufgeklappte Faltschachtel dargestellt noch in denkmalpflegerischen Rekonstruktionen studiert wer- (Abb. 3). In der Mitte erkennt man die Decke und daran hän- den. Selbst das Bauhausgebäude in Dessau (Abb. 1, 2), für das er gend die einzelnen Wände, die man sich in die Vertikale ge- die Farbgestaltung von Gropius übertragen bekam, bietet ein klappt zu denken hat. Eine den Raumeindruck vermittelnde Per- zwiespältiges Bild, da Teile davon von anderen entworfen und spektive wird ebenso vermieden wie eine Modellierung nach

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Licht und Schatten. Der räumliche Eindruck plastischer Volu- mina wird minimiert, indem selbst dreidimensionale Objekte wie Träger oder Treppen auf ihren verschiedenen Ansichtsseiten stark kontrastierende Farben erhalten (Abb. 5, eine der wenigen perspektivischen Darstellungen). In der Regel bekommt jede Wand eine eigene Farbe. Horizontale und vertikale Linien sowie vor allem reine, ungegliederte Flächen herrschen vor. Schepers Auffassung nach muss Farbe als Eigenschaft der Wand, die Linie als Linie, die Fläche als Fläche erscheinen. Die Beto- nung der Flächigkeit der einzelnen Wandscheiben entsprach durchaus dem Ideal von Gropius, aber auch anderer Architekten der Zeit wie van Doesburg oder Mies van der Rohe. Eine jeweils unterschiedliche Behandlung der Flächen behindert die räumli- che Modellierung durch Licht und Schatten und lässt die Einzel- 3 elemente je für sich wirksam werden. Der Raum wird geöffnet. 1 Entwurf einer farbigen Fassadenbe - Selbstständige Farbwände in abgestuften Kontrasten sollen den malung des Bauhauses Dessau, Tempera Eindruck einer umhüllenden »Höhle« verhindern, womit Scheper auf Lichtpause die gleichmäßige Bemalung sämtlicher Wände und der Decke in trüben Erdfarben meint. Am Bauhaus wurde stattdessen die 2 Farbplan für das 1. OG des Bauhaus- Nüchternheit, Funktionalität, Härte und Kälte des Maschinen- gebäudes in Dessau. Im Flur sind gelbe zeitalters zu gestalten gesucht. Deckenträger vorgesehen. Auf jedem Stockwerk sollten die Träger einen SONDERFALL AUSSTELLUNGSARCHITEKTUR anderen Ton bekommen

Es fällt auf, dass Scheper mit seinen Farbgestaltungen besonders 3 Palais Reina, Dessau, Farbplan der bei Ausstellungsbauten und Museen erfolgreich war, etwa dem Ausstellungsräume im EG der neu gegrün- Folkwang-Museum in Essen 1927/28, wo er mit verschieden › deten Anhaltischen Gemäldegalerie

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gefärbten Stellwänden operierte (Abb. 4). Grundsätzlich ging es FARBMATERIALIEN UND -TECHNIKEN ihm darum, als akzentsetzenden Blickfang verschiedenfarbige, manchmal sogar schwarze Wände vorzusehen, auf denen die Bil- Wände einfach einfarbig anzustreichen genügte aber nicht. Es der jeweils optimal zur Geltung kommen. Seine Gestaltung der ging um eine Verlebendigung und Veredelung, die sich in Lasu- Dresdner Galerie Fides 1926, wo er die Hauptwand mittels be- ren, plastischen Wirkungen des Farbauftrags und dergleichen weglicher Elemente variiert, um unterschiedliche Betrachtungs- bekundet, was allerdings heute kaum noch nachvollziehbar ist. weisen nahezulegen, zählt sogar zu den größten Erfolgen des Unter Schepers Leitung experimentierte man mit diversen Tech- Bauhauses (Abb. 6). Dynamik, Bewegung und die vierte Dimen- niken, Zusatzstoffen, Behandlungen des Untergrundes, Farbauf- sion wurden ja in der Rhetorik der Avantgarde gern beschworen. tragsweisen und Oberflächenbehandlungen (Abb. 7). Dabei Das Farbleitsystem, das Scheper als einer der ersten angewandt ging es nicht um eine expressive Handschrift, sondern um Viel- hat, gehört zu Räumen der Erschließung. In der Regel nutzt er falt, um optisch interessante Effekte, wobei kleinste Musterun- dafür die Decken. Beim Berufsschultrakt im Bauhausgebäude er- gen als Struktur wirken. Damit sollte auch eine gewisse schwe- halten z. B. die Träger in den einzelnen Geschossen unterschied- bende, immaterielle Wirkung erzielt werden. Die unterschied - liche Farben (Abb. 2). Auch hier wird also das dynamische Erleb- liche Qualität von Oberflächen war natürlich auch ein Thema nis einer Raumfolge gegenüber dem statischen Eindruck eines der Zeit, wenn man etwa an Rodtschenko und die Diskussion geschlossenen Einzelraums (»Höhle«) akzentuiert. um die »Faktura« in der bildenden Kunst der UdSSR denkt.

BEVORZUGTE FARBTÖNE

Scheper legt Wert auf wahrnehmungspsychologische Sachverhal- te wie die raumverändernde Wirkung der Ausmalung. Dunkle Decken lassen den Raum niedriger erscheinen, helle höher. War- me Farben an den Wänden machen Räume visuell enger, kühle dagegen weiter. Mag sein, dass solche Erkenntnisse auf Goethes Farbenlehre zurückgehen, ein solches Erfahrungswissen dürfte aber Standardwissen im Malergewerbe gewesen sein. Schepers Farbigkeit sollte »klar, heiter und rein« wirken. Die ersichtliche sinnlich-sittliche Aufladung der Begriffe »klar« und »rein«, im Gegensatz zur »Verschmutzung« oder »Abstumpfung« bei ge- mischten Farben, verweist auf einen Habitus, der dem Nutzer na- hegelegt wird. Insgesamt bevorzugt Scheper helle Pastelltöne, was ihn von den dunklen Innenräumen des 19. Jahrhunderts absetzt. Nur selten verwendet er kräftige Buntfarben. Es gibt aber eine klare Trennung zwischen den Unbunt- und den Buntfarben. Nor- malerweise wählt er sogenannte »hellklare« Farben, das heißt, solche möglichst reinen Buntfarben, die nur mit Weiß abgetönt werden. Die Bezeichnung »hellklar« verweist zwar auf Wilhelm Ostwald, der Sache nach aber findet sich die Regel, Buntfarben allenfalls mit Weiß abzutönen, bereits bei den Impressionisten. 4

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Verglichen mit der de-Stijl-Gruppe ist Schepers Farbigkeit recht der Räume, die klar, heiter und rein anmuten, wenn auch nur in zurückhaltend, was ihn zwar als radikalen Neuerer und Avant- Verbindung mit den passenden Möbeln, die ebenfalls Leichtig- gardisten diskreditiert, andererseits aber alltäglich brauchbare keit und Beweglichkeit in einer offenen Architektur suggerieren. Resultate ermöglicht. Er zerstört den Raumeindruck nicht völlig Möglicherweise war die auf billiger Arbeitskraft beruhende und stellt Beziehungen zur Abfolge der Räume her. Jedenfalls handwerkliche Produktionsweise Schepers aber auf Dauer zu werden sein Farbempfinden und seine Sensibilität häufig gelobt. aufwendig und entsprach nicht dem Ziel, Prototypen für die Ein Kritiker vergleicht die Ausmalung der Dresdner Galerie Standardisierung und Industrialisierung des Bauens oder die Fides sogar mit einer Kultiviertheit und Feinfühligkeit, die seit maschinelle Massenproduktion zur Verfügung zu stellen. dem Empire-Stil nicht mehr erreicht worden sei. Die von vielen der freien Künstler am Bauhaus angefeindete Karl Schawelka studierte zunächst Malerei, dann Kunsterziehung Harmonielehre Ostwalds, derzufolge eindeutig ablesbare Schrit- und schließlich Kunstgeschichte. Er unterrichtete als Professor an te nach einfachen Zahlenverhältnissen die Grundlage harmoni- der Gesamthochschule Kassel, bevor er an die Bauhaus-Universi- scher Beziehungen bilden, mag einen gewissen konzeptuellen tät Weimar berufen wurde. Daneben war er Vorsitzender des Einfluss auf Scheper ausgeübt haben, denn die unterschiedli- deutschen Farbenzentrums. chen Abtönungen seiner Wände sind trotz ihres Pastellcharak- ters stets klar voneinander geschieden. Andererseits entspricht die Regel, Farben deutlich voneinander getrennt zu halten, be- 4 Farbplan Folkwang-Museum Essen, Ausstellungs- reits klassisch-klassizistischen Vorstellungen und wurde in den raum mit verstellbaren Wänden Akademien und Werkkunstschulen gelehrt. Jedenfalls verließ sich Scheper bei der Beurteilung von Farbempfindungen eher 5 Farbplan für das Restaurant Onkel-Toms-Hütte, auf das Augenmaß, statt sich wie Ostwald auf messbare Verhält- Berlin- nisse zu stützen. 6 Galerie »Neue Kunst Fides« in , Großer UNDOGMATISCHE LEHRE Ausstellungsraum, Längswand mit beweglichen Elementen in verschiedenen Farben Alles in allem war Scheper, was Farblehren betrifft, ein Eklekti- zist. Nach den erhaltenen Unterlagen sowie Berichten seiner 7 Foto der Bauhaus-Werkstatt für Wandmalerei, Schüler zu schließen, stellte er einige Bereiche aus Goethes Far- um 1928 benlehre vor und ließ Versuche zum Simultan- und Sukzessiv- kontrast durchführen. Auch wurden Runges Farbenkugel, der zwölfteilige Farbkreis von Hölzel sowie Ostwalds Doppelkegel 7 gezeigt und erläutert. Nach der Erinnerung eines Schülers wur- de dies alles aber eher gesprächsweise und »ohne wertende Ori- entierung« vorgestellt. Die Inkonsistenzen und Inkohärenzen dabei scheinen Scheper nicht gestört zu haben. Weder die exakte Bestimmung von Gegenfarben noch präzise Harmonieregeln sind ihm wichtig. An eine Standardisierung denkt er nicht. Sein Vorgehen ist, ähnlich wie die spätere Farblehre von Albers, eher empirisch angelegt und verlangt ein – sein – geschultes Auge. Weshalb wurde Scheper von Auftraggebern im Umkreis des Bauhauses so gern herangezogen? Abgesehen von seiner hand- werklichen Kompetenz und Verlässlichkeit scheinen seine Farb- gestaltungen dem neuen Lebensgefühl der Bauhaus-Anhänger durchaus entsprochen zu haben. Dazu gehört die Auflichtung

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1 PFLEGE DES BAULICHEN ERBES {Text: Monika Markgraf

INSTANDSETZUNG UND ERGÄNZUNG DER DESSAUER BAUHAUS-ARCHITEKTUR

Einige der Bauhausgebäude, die 1925–32 in Dessau entstanden, zählen heute zur Welterbestätte Bauhaus [1]. Welche Instandsetzungs- und Ergänzungsmaßnahmen werden momentan durchgeführt? Und welche Planungsinstrumente zur Erhaltung der Architektur kommen dabei zum Einsatz?

DAS BAUHAUSGEBÄUDE werden grundlegende Leitlinien für den Umgang mit dem Ge- bäude festgelegt, etwa die Forderung nach Anpassung der Nut- 1926 errichtete Walter Gropius in Dessau den neuen Sitz des Bau- zung an das Gebäude (und nicht des Gebäudes an die Nutzung) hauses, der als Schlüsselwerk für die Entwicklung der modernen oder die Reduzierung von Eingriffen in die Substanz auf ein Mini- Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts gilt. Unterschiedliche mum [4]. Die Ausarbeitung und Fortschreibung der denkmalpfle- Flügel mit unterschiedlichen Raumhöhen und Fassaden entspre- gerischen Zielstellung erfolgt in enger Abstimmung zwischen der chend der unterschiedlichen Funktionen (Werkstatt, Verwaltung, Stiftung Bauhaus als Nutzerin und Eigentümerin, der Bauforschung Mensa, Wohnen) prägen die stark gegliederte Anlage mit den bei der Stiftung Bauhaus sowie den Fachplanern. Seitens der Denk- charakteristischen Stahl-Glas-Elementen (Abb. 1). Das Gebäude malpflege wirken die Untere Denkmalbehörde der Stadt Dessau, wurde 1996 in die Liste des Welterbes bei der UNESCO aufge- das Landesamt für Denkmalpflege sowie ICOMOS mit. nommen und beherbergt heute die Stiftung Bauhaus Dessau [2]. Ein Beispiel für Festlegungen in der Zielstellung ist der Bin- Gleichzeitig wird es von zahlreichen Gästen aus aller Welt be- dungsplan, der Aussagen zum Umgang mit historischen Zeit- sucht, für die Serviceeinrichtungen zur Verfügung stehen. schichten trifft (Abb. 2). In den rötlich markierten Bereichen wird der bauzeitliche Bestand von 1926 erhalten, grundlegend Denkmalpflegerische Zielstellung restauriert und gegebenenfalls rekonstruiert, um die komplexen Über die Jahrzehnte hat das Haus in seinen einzelnen Flügeln Werte des Denkmals zu bewahren und zu erschließen. Die grün verschiedene Veränderungen erfahren, sodass heute eine Viel- gekennzeichneten Bereiche des Gebäudes sind überwiegend zahl unterschiedlicher Zeitschichten erhalten ist und man bei der durch die Rekonstruktion aus dem Jahr 1976 geprägt, bei der Pflege mit einer einheitlichen Herangehensweise dem Bestand nach vielen Zerstörungen das Erscheinungsbild des Bauhauses nicht gerecht würde. Bei Baumaßnahmen sind neben den übli- wiederhergestellt worden war. Diese Bereiche werden instand- chen technischen, rechtlichen sowie nutzungsbezogenen Anfor- gehalten und instandgesetzt. Im Gebäude gibt es auch Zonen, in derungen in besonderem Maße die komplexen historischen und denen die Priorität nicht auf der Bewahrung oder Herstellung kulturellen Werte der Architektur zu berücksichtigen. Dafür eines bestimmten historischen Zustands liegt. Was heute an wurde das Instrument der »denkmalpflegerischen Zielstellung« technisch oder funktional bedingten Maßnahmen nötig ist, wird erarbeitet, ein Rahmenplan, der all die unterschiedlichen Belange v. a. in diesen blau markierten Zonen umgesetzt. Für alle Berei- im Zusammenhang analysiert und bewertet[3]. Auf diese Weise che gilt höchste Rücksicht auf den bauzeitlichen Bestand.

8 E.50 E.52a WC E.51 Küche Lager E.50a WC E.52b Kochstudio E.00i E.00k E.52 Vestibül Küche

E.00j Vorraum

E.11 Kantine E.11a Terrasse

E.10a Bühne

E.10 E.42b E.41 Aula Büro Lehrraum E.24a WC

E.42 E.23 Büro E.40 E.24 WC Dunkelkammer Abstellraum

E.43 E.00b Büro E.00a Vestibül Haupteingang E.00g E.43a Haupteingang Technik

E.48/E.49a WC E.21a E.44 Lager Lehrraum E.00f E.47 Seminarraum Flur E.20 E.22 Besucherinfo Besucherzentrum

E.00o Treppe

E.45 E.46 Lehrraum Lehrraum 3

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Conservation Management Plan MEISTERHÄUSER Zweites wichtiges Instrument ist der »Conservation Manage- ment Plan«, der im Vergleich zur denkmalpflegerischen Zielstel- Das Ensemble der Meisterhäuser entstand 1926 nach Plänen lung stärker ins Detail geht. Ziel ist u. a., die zahlreichen Unter- von Walter Gropius unter Mitwirkung der Bauhaus-Werkstätten suchungen und Befunde, die im Lauf der Zeit erstellt wurden und wurde 1932 durch eine Trinkhalle nach Plänen von Mies und werden, zu strukturieren und sie leichter zugänglich zu ma- van der Rohe ergänzt (Abb. 5). Die zweieinhalbgeschossigen, chen. Denn über die Jahrzehnte wechseln immer wieder die Ak- kubischen Bauten bilden einen reizvollen Kontrast mit dem um- teure, die mit der Pflege des Bauwerks betraut sind – und mit je- gebenden, weitgehend natürlich belassenen Baumbestand und dem Wechsel droht wertvolles Spezialwissen verloren zu gehen. öffnen sich mit großen Glasflächen, Terrassen und Balkonen zu Beim Conservation Management Plan für das Bauhausgebäude den Gärten (Abb. 4). Die Gestaltung der Oberflächen durch werden die relevanten Informationen über ein Datenbanksys- Struktur, Material und Farbe ist ein wichtiger Beitrag zur archi- tem aufbereitet und erschlossen. tektonischen Wirkung der Meisterhäuser wie der Architektur Derzeit werden Angaben präzisiert, die für die langfristige und der Moderne im Allgemeinen. kontinuierliche Pflege, Instandhaltung und Reparatur nötig sind. Nach Schließung des Bauhauses 1932 verließen die Bauhaus- Der Plan orientiert sich an der Charta von Burra [5]. Er umfasst Meister ihre Häuser. In den folgenden Jahrzehnten führten Um- genaue Hinweise und Bindungen für die Behandlung von Ober- bauten und Vernachlässigung zur weitgehenden Entstellung der flächen, Bauteilen, Ausstattungselementen etc. Detaillierte Fest- ursprünglichen architektonischen Qualität; die Häuser Gropius legungen etwa für die Verwendung von Farbtönen und Materia- und Moholy-Nagy wurden im Krieg sogar ganz zerstört. Ab 1994 lien, aber auch für Werktechniken und Kontrollzyklen schaffen erfuhren die erhaltenen Meisterhäuser eine sorgfältige Sanierung die Basis für die langfristige Erhaltung des Gebäudes. Dabei wer- und wurden 1996 in die Liste des Welterbes bei der UNESCO den Strukturen für die Planung, Begleitung und Dokumentation aufgenommen. Heute sind sie für Besucher zugänglich. von Bau- und Pflegemaßnahmen entwickelt, einschließlich er- forderlicher Termin- und Intervallpläne. Nicht zuletzt erfüllt Instandsetzung der Conservation Management Plan auch die Forderung der Bei den Sanierungsmaßnahmen der 90er Jahre wurde die Ge- UNESCO nach der Darstellung des Managementsystems. staltung im Innern der Bauten mit ihrer intensiven Farbigkeit Teil des Plans sind beispielsweise die Festlegungen zum Umgang wiederhergestellt. Besondere Wirkungen erzielen beispielsweise mit der farbigen Gestaltung des Bauhausgebäudes, die 1926 die hochglänzend polierten Oberflächen wie im Haus Muche unter der Leitung von Hinnerk Scheper entwickelt worden war oder die Verwendung von metallischen Oberflächen wie im (Abb. 3). Sie unterstreicht die architektonische Gliederung, un- Haus Kandinsky (Abb. 6). › terstützt die Orientierung im Gebäude und wird durch unter- schiedliche Materialität und Struktur der Oberfläche differen- 1 Blick von Südosten auf das Bauhausgebäude im ziert. Für die Erhaltung oder Wiederherstellung der historischen Jahr 2018 Farbigkeit sind daher auch Untergrund, Materialität und Werk- technik der Oberfläche relevant. In dem Bewusstsein, dass es in 2 Denkmalpflegerische Zielstellung für das Bauhaus- einem farbigen Umfeld keine neutrale Farbigkeit geben kann, gebäude, Ausschnitt Bindungsplan EG, 2014 wurde für Flächen und Bauteile ohne bauzeitlichen Befund eine Palette von vier Farbtönen festgelegt, die sich in die historische 3 Bauhausgebäude, farbige Gestaltung im Nord- Farbigkeit einfügen. flügel, 2011

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Momentan finden Instandsetzungsarbeiten an den Meisterhäu- sern statt. Neben der Beseitigung von bautechnischen Schäden und Mängeln werden z. T. auch Eingriffe rückgängig gemacht, die man in den 90er Jahren für die Nutzung als Museum vorge- nommen hatte. So hatte man etwa im Doppelhaus Kandinsky/ Klee in die Brandwand zwischen den beiden Wohnzimmern einen Durchgang gebrochen, um für Besucher einen musealen Rundgang durch beide Haushälften zu ermöglichen. Er wird nun wieder geschlossen. Die Klimaanlagen, die man in die Sani- tärräume eingebaut hatte, stören die historischen Raumfluchten und werden ebenso entfernt wie die Gardinen vor den Fenstern, die man zum Schutz der Kunstwerke bislang stets geschlossen hielt. Der ursprüngliche Raumeindruck als Wohnhaus wird durch diese Rückbauten bald wieder besser erlebbar sein. Auch die Bearbeitung der Architekturoberflächen spielt eine wichtige Rolle. Dabei werden z. B. die Farbtöne im Meisterhaus Kandinsky/Klee auf Grundlage von vertiefenden restauratori- schen Untersuchungen neu justiert. Hohe Bedeutung kommt auch der Behandlung des Putzuntergrunds zu, der für die Wir- kung der monochromen Wände wichtig ist. Größere Störungen, etwa wo ein Ofenrohrdurchbruch irgendwann wieder notdürf- tig geschlossen worden war, werden mit einer Putzschlämme überfasst, um sich der ursprünglichen Wirkung anzunähern, während kleinere Störungen als Zeugnis der Geschichte der Häuser sichtbar bleiben.

Städtebauliche Reparatur Der Wunsch, das Ensemble zu vervollständigen und die zerstör- ten Bauwerke (Haus Gropius, Haus Moholy-Nagy, Umfassungs- mauer mit Trinkhalle) zu rekonstruieren, führte zu einer jahre- langen Diskussion, bei der sich konträre Positionen von der Er- haltung des vorhandenen Zustands bis zur möglichst original - getreuen Wiederherstellung gegenüberstanden. Die Debatte mündete in einen dritten Weg, die Ergänzung im historischen Ensemble mit Mitteln heutiger Gestaltung. 2014 wurde das von 5 den Berliner Architekten Bruno Fioretti Marquez entwickelte Konzept der »präzisen Unschärfe« realisiert. Es stellt nicht die detailgetreue Wiederherstellung eines historischen Zustands in den Vordergrund, sondern lediglich die Erinnerung daran, die meist unscharf und ungenau ist (Abb. 7). Die Architekten ließen sich dabei durch Konzepte aus der Kunst inspirieren, etwa die

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»Architektur-Serie« des japanischen Fotografen Hiroshi Sugi- [1] http://whc.unesco.org/en/list/729 moto. Auf städtebaulicher Ebene zeichnet die Hülle der Gebäu- [2] www.bauhaus-dessau.de de sehr präzise die Kubatur der ursprünglichen Bauten nach [3] Arge Bauhaus: Brambach und Ebert, Halle/Saale und Pfister und schließt so die Lücke im Ensemble. Mit dem Einsatz heuti- Schiess Tropeano, Zürich: Generalsanierung Bauhaus Dessau, ger Materialien (lasierter Beton [7] statt verputztem Mauer- Denkmalpflegerische Zielstellung, Dessau 1999; ProDenkmal, werk) und dem konsequenten Verzicht auf Details wie Fenster- Bamberg und Berlin: Fortschreibung der Denkmalpflegerischen rahmen oder Geländer entsteht jedoch keine Rekonstruktion, Zielstellung, Dessau 2014. Eine zusammenfassende Darstellung sondern eine Interpretation [8]. ist erschienen in: Monika Markgraf (Hg.): Archäologie der Moderne. Berlin 2006 BAUHAUS MUSEUM DESSAU [4] »In der Art, wie sie in jeder Zeit und auch in der unseren unter- schiedlich befragt werden, stimulieren Denkmäler im besten Fall In der Innenstadt wird derzeit das neue Bauhaus Museum er- eine kulturelle demokratische Toleranz im konkurrierenden und richtet, das im September 2019 eröffnet. Es bietet eine Ausstel- ergänzenden Zugriff auf die Erinnerungsinhalte des Denkmals. lungsfläche von 2 100 m² für die Sammlung der Stiftung Bau- Die Verteidigung dieser Denkmalaussagen ist auch Verteidigung haus Dessau. Das junge spanische Büro addenda architects der materiellen Denkmalsubstanz, weil nur in ihr (…) die immer überzeugte im 2015 durchgeführten Wettbewerb mit seinem neue besondere Wirkung und Befragbarkeit des Denkmals er- Entwurf für einen schwebenden Riegel aus Stahlbeton, in dem reichbar ist.« Mörsch, Georg, Thesen zur Nachhaltigkeit denkmal- sich die Exponate in einer geschlossenen »Black Box« präsentie- pflegerischer Ziele und Maßnahmen. In: Wohlleben, Marion/Meier, ren lassen (Abb. 8). Der Bearbeitung der Oberflächen gilt auch Hans-Rudolf, Nachhaltigkeit und Denkmalpflege, Zürich 2003 hier hohe Aufmerksamkeit: Der Beton wird mit einer Lasur [7] [5] The Burra Charter, The Australia ICOMOS Charter for so behandelt, dass die schalungsraue Struktur nicht nur erhal- Places of Cultural Significance, 2013 ten, sondern durch einen schwachen Glanz verstärkt wird. Eine [6] Es handelt sich um die RAL-Farbtöne Schwarzbraun (8022), gläserne Hülle umfasst dieses massive OG und ein transparentes Quarzgrau (7039), Seidengrau (7044) und Reinweiß (9010). EG mit offenem, großzügigem Foyer. [7 ]Es handelt sich um die Lasur »Concretal« von KEIM. In dem neuen Museum können auch empfindliche Exponate [8] Vergl. auch: Stiftung Bauhaus Dessau (Hg.), Neue Meister- ausgestellt werden, deren konservatorische Anforderungen so häuser in Dessau, 1925-2014, Leipzig 2017 hoch sind, dass eine Präsentation in den denkmalgeschützten Bauhausgebäuden bisher nicht möglich war. Sie hätte allzu star- 4 Straßenseite des Meisterhauses ke Eingriffe in die Bausubstanz erfordert. Die neuen Räume Muche/Schlemmer 2018 nehmen also auch Nutzungsdruck vom UNESCO-Welterbe und tragen dadurch indirekt zu seinem Erhalt bei. 5 Gruppe der Meisterhäuser in Dessau 1932-2014 Monika Markgraf hat Architektur studiert und ist Mitglied bei ICOMOS und DOCOMOMO. Seit 1997 arbeitet sie für die Stif- 6 Meisterhaus Kandinsky-Klee, Blick tung Bauhaus Dessau – dort führt sie das Bauforschungsarchiv in den Wohnraum mit Goldnische 2015 und ist stellvertretende Leiterin der Bauabteilung. 7 Abstrahierender Wiederaufbau des Meisterhauses Gropius

8 Bauhaus Museum Dessau, Sieger- entwurf von addenda architects

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HANNES MEYERS LAUBENGANG- HÄUSER IN DESSAU

{ Text: Anne Stengel und Andreas Buss

NEUESTER STAND DER BAUFORSCHUNG

Fünf Sozialwohnbauten in Dessau-Törten gel- von Einfamilienhäusern umgeben. Diese Kombination wurde ten als Schlüsselwerk des Bauhauses unter auch verwirklicht, allerdings mit nur fünf nahezu baugleichen der Leitung von . Im Unterschied Laubenganghäusern in der Peterholzstraße 40, 48 und 56 sowie zu den berühmten Meisterhäusern und dem Bau- der Mittelbreite 6 und 14 – inklusive einem Waschhaus je Block. hausgebäude von Walter Gropius entstanden Die Gebäude wurden in allen Leistungsphasen [1] durch Stu- sie als Teil des Unterrichts und wurden von denten des Bauhauses unter Federführung des Direktors Han- Lehrern und Studenten gemeinsam entwickelt. nes Meyer realisiert. Sie sind Ergebnis des von ihm praktizierten Seit 2017 Teil des UNESCO-Welterbes, werden und am Bauhaus in Dessau eingeführten Unterrichtskonzepts, sie für die anstehende Sanierung derzeit das Lehre und Praxis eng miteinander verknüpfte. gründlich erforscht. Welche Erkenntnisse über Planung und Konstruktion konnten die VORGESCHICHTE Wissenschaftler bisher gewinnen? Das Laubengangprojekt fand erstmals in der Bauhauszeitschrift Der Wohnungsnot in Dessau war man 1926-28 mit dem Neu- vom 1. Juli 1928 Erwähnung. Zu diesem Zeitpunkt wurde der baugebiet Törten nach Plänen von Walter Gropius begegnet. Ab Auftrag noch als Nr. 604 »laubengangbau mit 32 wohnungen für 1928 plante die Bauabteilung des Bauhauses eine Erweiterung die gemeinnützige bau- und wohngenossenschaft e.v. dessau« [2] der Siedlung nach Süden und in diesem Zusammenhang ent- betitelt. Bis zum eigentlichen Baubeginn im Februar 1930 erfuhr standen die Laubenganghäuser von Hannes Meyer (Abb. 1-4). das Projekt noch diverse Veränderungen. Die Auftragsgenese ist Ursprünglich waren zehn solcher Mehrfamilienhäuser vorgese- geprägt durch politische Diskussionen und spiegelt das schwieri- hen, nach dem stadtplanerischen Prinzip der Mischbauweise ge Verhältnis zwischen dem Magistrat der Stadt Dessau und dem

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1 Detail der Laubengänge. Ungewöhnlich sind die großen Fenster der Badezimmer

2 Heutiger Zustand eines der Treppenhäuser

3 Die Stirnseiten der vorgestellten Treppen- haustürme waren ursprünglich verglast. Beim Haus Mittelbreite 6 wurde irgendwann die Glasfront durch eine Bandfassade ersetzt

4 Grundriss o. M. mit Wohnräumen im Süden und Nebenräumen im Norden 2

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Bauhaus wider. Das Laubengangprojekt verläuft über den gesam- ten Zeitraum des Direktorats Hannes Meyers vom Sommerse- mester 1928 bis zum Sommersemester 1930. Durch die Auswer- tung der Bauhausdiplome und Zeugnisse lässt sich die Beteili- gung einzelner Studenten an den verschiedenen Leistungsphasen belegen: An der Vorprojektierung war beispielsweise Ernst Göhl beteiligt, der zu diesem Zeitpunkt studienbegleitend Mitarbeiter der Bauabteilung des Bauhauses war. Von seinem Kommilitonen Konrad Püschel stammen die ersten überlieferten Vorentwürfe vom März 1929: ein Laubenganghaus mit noch zwei integrierten Treppenhäusern und einer Höhe von drei Geschossen. Püschel tritt zu einem späteren Zeitpunkt neben Hans Volger und Bela Scheffler als Bauleiter des Projekts erneut in Erscheinung.

DER SCHLIEßLICH REALISIERTE ENTWURF

Die für die Laubenganghäuser zur Verfügung stehenden Mittel der Dessauer Spar- und Baugenossenschaft wurden im Mai 1929 für die Errichtung anderer Wohngebäude verwendet. Der Stadt- 4 rat Paulick akquirierte im Sommer 1929 erneut Gelder und in diesem Zusammenhang wurde auf politischer Ebene auch die endgültige Geschosshöhe der Laubenganghäuser festgelegt sowie im Anschluss die entsprechenden Parzellen an die Genossen- schaft veräußert. Nach einer weiteren politisch motivierten Unterbrechung der Planung entstanden Ende 1929 die ersten Entwürfe der heutigen Laubenganghäuser durch den Studenten Walter Kaminsky: viergeschossige Gebäude mit jeweils sechs Wohneinheiten pro Ebene, größtenteils Dreiraumwohnungen. Die Funktionsräume Bad, Flur und Küche orientieren sich in Richtung Laubengang nach Norden (Abb. 1). Die Wohnräume ›

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– ein Schlafzimmer, ein Wohnraum und ein Kinderzimmer – bauhygienische Vorstellungen, aber auch praktische Überlegun- sind nach Süden ausgerichtet. Die Treppe wird in einen Turm gen, etwa zur Möblierbarkeit, bestimmten den Entwurf. Ebenso integriert, der dem Gebäudekörper vorgestellt ist, und ermöglicht folgen die Wahl der Baustoffe, der Konstruktion und der Aus- die Erschließung der einzelnen Wohnungen via Laubengang. bauelemente rational bewertbaren Kriterien. Die Ökonomie der Der eigentliche Bauauftrag ging erst Anfang 1930 an das Bau- Herstellung spielte eine sehr gewichtige Rolle, ging es doch um haus, im April des Jahres fand das Richtfest statt und zum 1. Au- die Schaffung einer sozial engagierten Architektur, die als ge- gust waren die Gebäude bezugsfertig. Im Vorfeld der Eröffnung nossenschaftliche Wohnform organisiert und auf untere Ein- wurden durch die Werkstätten des Bauhauses drei Musterwoh- kommensschichten zugeschnitten war. nungen ausgestattet, die Ende Juli 1930 von Interessenten be- Das Versprechen kostengünstigen Bauens vermittels weitrei- sichtigt werden konnten. Auch für den Innenausbau der übrigen chender Vorfertigung war durch Walter Gropius beim Bau der Wohnungen konnte die Beteiligung verschiedener Bauhaus- Siedlung Dessau-Törten nicht eingelöst worden. Bei ihrer Er- Werkstätten nachgewiesen werden. weiterung durch das Bauhaus unter Hannes Meyer wurde nun Die fünf Häuser befinden sich seit 1930 durchgehend im Eigen- auf industrialisiertes Bauen verzichtet. Darüber hinaus bestehen tum der heutigen Wohnungsgenossenschaft Dessau. Seit 1977 in Materialität und Erscheinung der Laubenganghäuser deut - stehen sie unter Denkmalschutz, seit 2017 sind sie Bestandteil liche Unterschiede zur Mehrzahl der Dessauer Bauhaus-Bauten. des UNESCO-Welterbes. An die Stelle einer verputzten und farbig gefassten Massivbau- Etwa gleichzeitig mit den Laubenganghäusern entstand nach weise trat ein Sichtmauerwerk aus Ziegeln, deren rotbunte Farb- Entwürfen Hannes Meyers und Hans Witters und der Mitwir- streuung ein warmes und lebendiges Erscheinungsbild hervor- kung von Studenten des Bauhauses die Bundesschule des ADGB rief. Die Geschossdecken, als betonierte Rippendecken ausge- in Bernau bei Berlin. Im Gegensatz zu diesem Gebäudekomplex führt, zeichnen sich an den Längsfassaden ab [3]: Im Süden ist gibt es bei den Laubenganghäusern kein Gesamtfarbkonzept. ein durchlaufend betonierter Sturz wie ein Band über die Reihe Die Farbigkeit der Bauten entsteht allein durch das Zusammen- der Fensteröffungen gespannt (Abb. 5); im Norden setzt sich die spiel der markanten Materialien wie Ziegelstein und Sichtbeton Geschossdecke in den Kragplatten der Laubengänge nach außen und derer Oberflächenstrukturen (Abb. 5). hin fort. Die Betonung der Horizontalen resultiert aus der inne- Die Planungsgeschichte der Laubenganghäuser spiegelt die ren konstruktiven Logik der Geschossdecken. Auf diese Weise Wohnungspolitik Dessaus zwischen 1928 und 1930 wieder. Sie wird ein prägnantes, der Typologie des Laubenganghauses adä- sind die einzigen erhaltenen Bauten, bei denen Hannes Meyer quates Fassadenbild gezeichnet. Die Kombination von Sicht- mit Bauhaus-Studenten und -Werkstätten zusammenarbeitete, mauerwerk und vor Ort betonierten Bauteilen offenbart eine die durch Arbeitsverträge an das Projekt gebunden waren. feine Durchbildung und legt, anders als bei den Putzbauten, alle Maßbeziehungen offen. KONSTRUKTION IM SPIEGEL EINER RATIONALEN Die Rohbau- und Ausbaudetails sind von besonderer Schärfe ENTWURFSPRAXIS und spiegeln eine pragmatische Haltung. Das Dach der Lauben- ganghäuser ist nicht etwa flach, sondern als sanft geneigtes Pult Konzeptionell, aber auch in ihrer baulichen Ausführung reflek- ohne Attika angelegt. Die frappierend einfache Lösung legt ein tieren die Laubenganghäuser die rationale Baulehre Hannes kontinuierliches Gefälle quer zum Baukörper, das als schützen- Meyers. Wissenschaftlich erfassbare Parameter wie Belichtung, der Dachvorstand über die Laubengänge und das vorgelagerte

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5 An der Südfassade der Laubenganghäuser zeichnen sich die Betondecken als lange Streifen ab. Rechts: ein Waschhaus

6 Schlafzimmer einer Wohnung, die als Museum hergerichtet wurde

7 Was auf den ersten Blick wie ein Flachdach wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Pultdach 6

Treppenhaus herausgeschleppt wird. Die Neigung wird nicht leichten Stahlzargen verbaut, die sich vergleichbar auch an an- etwa kaschiert, sondern lässt sich am betonierten oberen Ab- deren Bauhausbauten finden. Durch annähernd wandbündigen schluss des Mauerwerks am Höhenversatz der Steinschichten Einbau und ein Minimum an Vorsprüngen entsprachen sie den sogar deutlich ablesen (Abb. 7). Die sichtbar angebrachten Hygienevorstellungen der Zeit (Abb. 6). Für die Fenster kamen Regenrinnen und Fallrohre schmälern nicht die Integrität von bei drei der Häuser Profile aus Stahl, bei den übrigen aus einfa- Hannes Meyers Architektur. Sie sind wie alle Installationen der chem Holz zum Einsatz. Während die Stahlfenster gängigen Ver- und Entsorgung ganz selbstverständlich dem Baukörper Vorstellungen von der klassischen Moderne eher entsprechen, vorgelagert. Dazu zählte auch der Müllschlucker, der sich einst bezeugen die kostengünstigeren Holzfenster die kritischen öko- offen an den Laubengängen befand, aber längst verschwunden nomischen Verhältnisse zur Bauzeit. ist. Ein bis heute genutzter, mit Holz verschalter Verschlag für Die sehr schwierige Situation während der Weltwirtschaftskrise Fahrräder unter dem Laubengang gehört ebenfalls in diese Kate- vor Augen, sind die Bauausführung, der Wohnkomfort und der gorie. Einsatz moderner Bauelemente bemerkenswert. Die Tatsache, dass die Laubenganghäuser seit Fertigstellung über fast 90 Jahre WOHNKOMFORT AM EXISTENZMINIMUM kontinuierlich genutzt werden und substanziell gut erhalten sind, bestätigt die Praktikabilität nicht nur des architektoni- Als Mauerwerksbauten mit Steineisendecken und mit Wänden schen Konzepts, sondern auch der eingesetzten Mittel. von 38 cm Dicke entsprechen die Laubenganghäuser dem Wohnbau-Standard der Zeit. Sie sind also in konstruktiver Hin- Anne Stengel und Andreas Buss sind an der Universität Kassel sicht nicht als sonderlich innovativ oder gar experimentell her- am Lehrstuhl von Prof. Philipp Oswalt mit der Erforschung der vorzuheben. Es ging vielmehr darum, zu günstigen Konditionen Laubenganghäuser (www.uni-kassel.de/go/meyer-dessau) angenehme Wohnbedingungen für Arbeiterfamilien zu ermög- betraut. Anne Stengel hat Kunstgeschichte, Geschichte und Sozio- lichen. Die Innovation lag eher in der städtebaulichen Einbet- logie studiert, war u. a. für die Deutsche Stiftung Denkmalschutz tung, aber auch in einem für diese Kategorie besonders kom- tätig und promoviert über die Laubenganghäuser. Andreas Buss fortablen Wohnen. Komfort geht mit Technik einher – daher gründete nach dem Architekturstudium ein Büro in Zürich und liegt im Rahmen des Forschungsprojekts ein besonderes Inter- promovierte an der ETH über Tankstellen von Jean Prouvé. esse auf den haustechnischen Anlagen. Eine in jeder Wohnung einzeln installierte Warmwasser- Schwerkraftheizung ermöglichte den Mietern ein staubfreies Beheizen ihrer Wohnräume mittels gusseiserner Radiatoren. Der Heizkessel war im Eingangsbereich aufgestellt, wo er in der Museumswohnung bis heute seinen Platz behielt. Bäder und Küchen waren darüber hinaus mit modernen Gasgeräten, unter [1] In der GOA von 1926 wurden Leistungsphasen als »bauliche anderem von Junkers, ausgestattet. Sparsam eingesetzte Einbau- Leistungen« und »Bauführung« bezeichnet möbel boten eine schlichte, aber funktional durchdachte Grund- [2] Bauhaus. Zeitschrift für Gestaltung 1928/2 und 3 ausstattung der Küche. Bei den Fenstern und Türen wählte man [3] Steineisendecken mit Hohlziegeln als verlorener Schalung innovative Produkte. So wurden fast ausschließlich Türblätter in (System Ackermann)

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BAUHAUS-SCHÜLER ERNST NEUFERT {Text: Ramona Buxbaum

BEWAHREN SEINES DARMSTÄDTER WERKS

Viele Ideen des Bauhauses lebten auch nach dessen Schließung weiter – ehemalige Schüler und Lehrer trugen sie in alle Welt. Exemplarisch sei hier Ernst Neufert herausgegriffen. Mit seiner berühmten »Bauentwurfslehre« hat er wie kein anderer Bauhäusler die Themen »Rationalisierung« und »Normung« vorangetrieben. Seine Bauhaus-Prägung schlägt sich aber auch in einer Reihe anspruchsvoller Gebäude nieder, die er ab 1945 in Darmstadt errichtete. Inzwischen denkmalgeschützt, wurden sie von Ramona Buxbaum Architekten behutsam instandgesetzt und umgebaut.

Einer der ersten Bauhaus-Studenten war Ernst Neufert. Am rer an der privaten Kunstschule von . 1928-30 rea- 15. März 1900 in Freyburg an der Unstrut geboren, hatte er lisierte er verschiedene Projekte, z. B. die Mensa am Philoso- zunächst eine Lehre zum Maurer, Zimmerer, Einschaler und Be- phenweg und das Abbeanum in Jena. tonierer absolviert. 1919 begann er dann eine Ausbildung am Weil er früh das Potenzial von Normung und Vereinheitlichung Bauhaus in Weimar, das gerade erst gegründet worden war. für die Architektur erkannte, widmete er sich diesen Themen Nach einem einjährigen Studienaufenthalt 1921 in Spanien wur- mit einem umfangreichen Grundlagenwerk: Die erste Ausgabe de er im Architekturbüro von Walter Gropius in leitender Positi- der »Bauentwurfslehre« erschien 1936. Die Nachricht vom über- on tätig. Mit ihm arbeitete er 1925-26 an den neuen Bauhaus- raschend großen Erfolg dieses Buches erreichte Neufert wäh- Bauten und an den Meisterhäusern für Kandinsky, Klee und rend einer Amerikareise, bei der er Arbeitsmöglichkeiten in den Muche in Dessau. USA sondierte. Inzwischen ist dieses Standardwerk in 18 Spra- 1926 kehrte er wieder nach Weimar zurück, um dort eine Lehr- chen erschienen und liegt in der 42. Auflage vor. tätigkeit als Professor für Planung an der Bauhochschule (Nach- Als erster deutscher Professor an einem Lehrstuhl einer Archi- folge des Bauhauses) unter aufzunehmen. Sein tekturfakultät nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Neufert 1945 Privathaus errichtete Ernst Neufert 1929 in Gelmeroda bei Wei- als Professor für Baukunst an die Technische Hochschule Darm- mar als Prototyp für ein serielles Einfamilienhaus in Schnellbau- stadt berufen. 1949 errichtete er in dieser Stadt ein eigenes Ate- weise aus vorgefertigten Holzelementen. Heute ist es Sitz der liergebäudes mit Büro. Dort sind zwei seiner wichtigsten reali- Stiftung Ernst Neufert und der Neufert Box, einer kleinen Aus- sierten Bauten in Darmstadt entstanden: das Ledigenwohnheim stellungshalle. Nach Schließung der Bauhochschule durch die auf der Mathildenhöhe (1952-55) und die Wasserbauhalle der NS-Verwaltung ging Neufert nach Berlin und arbeitete als Leh- Technischen Hochschule (1954-55).

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DAS LEDIGENWOHNHEIM: DESSAU IN DARMSTADT? schnitt und Gestaltung unangetastet, während die restlichen Einzimmer-Apartments zu größeren Wohneinheiten zusam- Der 1951 in der Ausstellung »Mensch und Raum« gezeigte Ent- mengelegt wurden. wurf von Ernst Neufert für ein Ledigenwohnheim wurde Durch Sanierung und Umbau schufen wir eine dem hochwerti- 1952-55 von der Bauverein AG auf einem Grundstück am Fuße gen Standort Mathildenhöhe angemessene Mischung aus drei der Mathildenhöhe verwirklicht. Er ist als einer von fünf reali- verschiedenen Wohnungstypen: »Atrium-«, »Maisonette-« und sierten Darmstädter Meisterbauten wichtiges Zeugnis der Ar- »Geschosswohnungen« wurden innerhalb des bestehenden chitekturdiskussion der Nachkriegszeit und ist als hochrangiges Baukörpers durch Kombination der ehemaligen Einzimmer- Denkmal einzustufen. Aufgabe war es, in erster Linie Kleinwoh- Raumeinheiten so angeordnet und miteinander verschränkt, nungen für Alleinstehende und junge Paare zu schaffen. Neufert dass eine Art räumlichen Puzzles entstand. entwarf einen differenzierten Baukörper, gegliedert in einen So- Um das ehemals als Trockenboden dienende Dachgeschoss des ckel, der die Steigung zur Mathildenhöhe ausgleicht, einen ring- Hochhauses als Wohnraum nutzen zu können, planten wir hier artigen, dreigeschossigen Gebäudeteil und einen neungeschos- Atriumwohnungen (Abb. 2). Ihre nach oben offenen Freibereiche sigen Hochhaustrakt (Abb. 1, 4). Die Ausgewogenheit dieser ermöglichten es, auf das Anfügen von Balkonen zu verzichten und Komposition mag an das Bauhausgebäude in Dessau erinnern, somit die historische Fassade beizubehalten. Im Osten geben sie v. a. aber die Fassade mit den typischen Balkon-Fensterelemen- mit ihrer Dachterrasse einen Panoramablick auf die Mathilden - ten der Einzimmer-Apartments (Abb. 1). höhe frei, drei Terrassen laden im Westen, verborgen hinter › Rund 50 Jahre nach Fertigstellung ließen sich die 156 Wohnein- heiten, davon 131 Einzimmer-Apartments mit 25 m² Wohnflä- che, nur noch schwer vermieten. Selbst Studenten zeigten kein 1 Ledigenwohnheim in Darmstadt. Links Interesse an den kleinen Wohnungen. Mein Büro erhielt den im Hintergrund: die Mathildenhöhe Auftrag, die Revitalisierung dieses besonderen Meisterbaus zu bearbeiten, die 2002 abgeschlossen wurde. 2 Neue Atriumwohnungen machen im Hoch- haus des Wohnheims das DG nutzbar WEITERENTWICKLUNG DES LEDIGENWOHNHEIMS 3 Einstige Kleinapartments wurden In enger Abstimmung mit dem Amt für Denkmalpflege wurde zu Maisonetten zusammengelegt festgelegt, die Tragstruktur mit ihrem Konstruktionsraster von 3,75 m und die Fassade unverändert zu erhalten. Im Innern des 4 Frühe Entwurfszeichnung des Wohnheims Gebäudes blieben zehn der Einzimmer-Apartments in Zu- von Ernst Neufert

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den Lüftungsschlitzen der Klinkerfassade, zum zurückgezogenen die Versuchshalle mit einer Grundfläche von 70 x 25 m stützenfrei Verweilen ein. In den anderen Hochhausgeschossen fassten wir je zu halten, unterteilte Neufert sie längs in sieben Joche von 10 m drei Einzimmer-Apartments, die über- und hintereinander lagen, (Abb. 5, 6). Jedes Joch wird von einer betonierten Tonnenschale zu Maisonettewohnungen nach dem Vorbild der Unité d`Habi - überwölbt. Die sieben Schalen spannen quer über die Halle und tation zusammen (Abb. 3). Im flachen Gebäudering schließlich ruhen auf Stützen, die ganz am Rand stehen, ab Brüstungshöhe wurden je zwei oder drei nebeneinanderliegende Einzimmer- aber nach innen abgewinkelt sind, um die Spannweite von 25 auf Apartments zu Geschosswohnungen mit zwei bzw. drei Zimmern 21,5 m zu verkürzen. Angenehmer Nebeneffekt: Weil die Glasfas- kombiniert. Architektur und Design der 50er Jahre bewegten sich sade nicht von den Hauptstützen unterbrochen wird, wirkt sie in einem Spannungsfeld zwischen Neuanfang und Kontinuität. noch durchlässiger. Zwei lastverteilende Überzüge in Hallenlängs- Aus dem Mangel der Nachkriegszeit heraus bestimmte ein maßvol- richtung ermöglichen die glatte Untersicht der Schalen und steifen ler Einsatz der Mittel die gestalterischen Themen. Am Beginn des die Konstruktion aus. In ihrer Reihung ergeben die Schalen von 21. Jahrhunderts fanden diese Prinzipien mit der Diskussion um außen betrachtet eine Wellenform, die sich als dezenter Hinweis die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und der Forderung nach auf die Bestimmung des Gebäudes auffassen lässt. Verwirklicht deren nachhaltigem Einsatz auch im Bereich der Architektur zu wurde die Wasserbauhalle von der Firma Dyckerhoff Zement. neuer Aktualität. Es sind die Leichtigkeit der Konstruktion und die Transparenz Alle neuen gestalterischen Maßnahmen folgen den Prinzipien des der Fassade, die dieses Bauwerk als beispielhaften Vertreter der bestehenden Gebäudes. Gestaltungsmerkmale des denkmalge- an der Moderne orientierten Architektur der 50er Jahre aus- schützten Bestandes wurden aufgegriffen und verstärkt oder an zeichnen. Die Schalenkonstruktion, die in den Scheitelpunkten anderer Stelle fortgeführt. Daraus entwickelte sich ein eigenstän- jeweils eine Dicke von nur 7 cm aufweist, ist als ein Ausweis diges Gestaltungskonzept, das die Themen der 50er Jahre variiert besonderer Ingenieurs- und Handwerkskunst zu bewerten. Seit und zeitgemäß verarbeitet. So wurden beispielsweise die Balkon- Langem genießt die Halle Denkmalschutz. geländer mit Rundstählen in gleicher Dimensionierung wie in den 50er Jahren erhöht, um die aktuellen Anforderungen der Bauord- ERTÜCHTIGUNG UND UMNUTZUNG DER WASSERBAUHALLE nung zu erfüllen. Die Eingriffe bleiben so im Bauwerk erkennbar. 2009-11 führte mein Büro eine energetische Sanierung dieses DIE WASSERBAUHALLE: SCHLANKE ELEGANZ hochrangigen Bauwerks durch – mit dem Ziel, den Charakter der filigranen Stahl-Glas-Fassade und des scheinbar schweben- 1954–55 errichtete Neufert für die Technische Hochschule ein den, wellenförmigen Daches zu bewahren (Abb. 7). Versuchsgebäude, das dem Institut für Wasserbau und Hydrome- Da es keine Bestandspläne der Fassade gab, fertigten wir zu- chanik Raum für praktische Experimente an Modellen bot. Um nächst eine umfangreiche Bauaufnahme an, damit die neue

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Hülle gestalterisch so nah wie möglich an das Original kommt. tete er bis zur Fertigstellung seines letzten Darmstädter Gebäudes Nach historischem Vorbild wurde die Fassadenkonstruktion im Jahr 1973, des Hans-Busch-Instituts, ebenfalls ein Bauwerk für mit Stahlprofilen erneuert und mit einer Isolierverglasung die Technische Hochschule. Gegen Ende seiner Darmstädter Zeit nachgerüstet. Bei der energetischen Sanierung der wellenförmi- in den 70er Jahren baute er sich dann ein Privathaus am Genfer gen Dachkonstruktion legten wir besonderen Wert darauf, dass See. Er starb am 23. Februar 1986 in Rolle in der Schweiz. die neue Dämmschicht an den Dachrändern einige Zentimeter Ich hatte das große Glück, dem Darmstädter Werk von Ernst nach hinten zurückspringt, damit die schlanke Ansicht des Neufert zu begegnen und in der Zeit von 2009-15 mein Archi- Bauteils erhalten bleibt. Weil die Betonkonstruktion Schäden tekturbüro in der Planstatt zu beziehen, um von dort aus die aufwies, planten und überwachten wir eine Beprobung und eine Sanierung der Wasserbauhalle zu bearbeiten. Schadstoffanalyse zu Beginn der Maßnahme und ließen eine denkmalgerechte punktuelle Betonsanierung durchführen. Ramona Buxbaum betreibt in Darmstadt ein Architekturbüro Nach der energetischen Sanierung erfolgte eine Nutzungsände- mit neun Mitarbeitern. Bereits mehrmals erhielt es Auszeichnun- rung, da Wasserströmungsversuche mehr als 60 Jahre nach der gen bei deutschlandweit ausgeschriebenen Preisen. Seit 2016 ist Fertigstellung des Gebäudes nicht mehr im Modell, sondern an sie Mitglied im Denkmalbeirat von Darmstadt. Sie hat nicht nur Computern durchgeführt werden. Die Hochschule wollte in mehrere Neufert-Gebäude saniert und in einem, der Planstatt, dem Gebäude nun ihre zentralen Werkstätten unterbringen. gearbeitet, sondern für ein paar Jahre auch in einem gelebt: im Wir haben die Halle mit einzelnen Raumboxen in Leichtbau - Ledigenwohnheim. weise möbliert (Abb. 8). Sie wurden frei eingestellt, nehmen be- sonders lärmintensive Bereiche auf und sind außen mit Akustik- elementen bekleidet, die die Nachhallzeit in der Halle verbes- 5 Wasserbauhalle in Darmstadt, kurz nach sern. Die restliche Fläche dient als großer Montageplatz, der mit der Fertigstellung in den 50er Jahren Maschinen und Werkbänken belegt ist. Der weitläufige Charak- ter der ehemaligen Versuchshalle und der Blick von unten auf 6 Effiziente Konstruktion: Sieben schlanke die prägnante Schalenkonstruktion blieben gewahrt. Tonnenschalen überspannen den Hallenraum

WEITERE NEUFERT-BAUTEN IN DARMSTADT 7 Trotz nachträglicher Dämmung blieb die zarte Dachkante gewahrt Nach Fertigstellung des Ledigenwohnheimes und der Wasserbau- halle errichtete Ernst Neufert 1957 zum zweiten Mal ein eigenes 8 Das Innere der Halle wurde für die Atelier, die »Planstatt«, in der er sein Büro einrichtete. Dort arbei- zentralen Werkstätten der TU umgenutzt

19 FARBE. FORM. FUNKTION. 100 JAHRE BAUHAUS

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