• • : Höhepunkt der Ästhetik in der Industrie-Epoche - das und seine Bauten

Weitreichender Zusammenhang. In Bei der Wiedereröffnung des Bau­ Dessau hatte in der zweiten Hälfte des hauses in den 80er Jahren wird der Zu­ 18. Jahrhundert ein aufgeklärter Klein­ sammenhang zwischen Gartenreich und fürst eine vielbewunderte Gesellschafts- Bauhaus erneut diskutiert. Der Begriff Utopie geschaffen: eine Synthese von „Industrielles Gartenreich“ entsteht. Empfindung und Vernunft, sozialem und In diesem Diskurs ergeben sich Ver­ kulturellem Verhalten, Nutzen und Schön­ bindungen zur IBA- / Strategien heit. für Kreuzberg (Hardt-Walther Hämer) Davon ist vieles mental lebendig, als und der IB A-Emscher Park im Ruhrgebiet das Bauhaus 1925 nach Dessau kommt. (Karl Ganser, Gerhard Seitmann). Der ge­ meinsame Faden ist die Begleitung des in­ dustriellen Struktur-Wandels: in einer Synthese von Potential-Denken und Ge­ stalten. In diesem Kontext entwickelt die Landesregierung 1996 eine Strategie: es entsteht eine Agentur zur Entwicklung der regionalen Struktur. Verknüpft mit dem Gedanken an die Expo Hannover heißt dieses umfangreiche Projekt-Paket (S. 596): Expo 2000 Sachsen-Anhalt.

Das Drama der Vorge­ schichte: Aufstieg und Fall des Bauhauses in

Walter Gropius gründet 1919 das Bau­ haus. Er ist seit 1910 Mitglied im Deut­ schen Werkbund - ebenso wie der künst­ lerische Berater der Zukunfts-Industrie, des Elektrizitäts-Konzerns AEG, Peter Behrens. Behrens entwickelte aus indu­ striellen Materialien und Prozessen eine Lyonei Feininger: Kathedrale des Sozialismus eigene Ästhetik der Industrie. 1908 bis (1919, Holzschnitt) 1910 war Gropius im Atelier von Beh- rens tätig, vor allem als Architekt. Er sog tag. Die „Weimarer Künstlerschaft“ for­ dort neue Ideen ein. Und radikalisierte dert die Beseitigung des Bauhauses. Der sie. rechtskonservative Baurat sagt: die künst­ Demokratischer Aufbruch in Wei­ lerische Leistung des Bauhauses stehe auf mar: die provisorische Regierung in Sach­ der Stufe der „Bildnerei der Geistes­ sen-Weimar-Eisenach beruft Gropius. Er kranken.“ vereinigt 1919 die Kunstgewerbeschule Im September 1924 wird behauptet: und die Hochschule für bildende Kunst: das Bauhaus ist „nicht rentabel“. „Vor­ im Bauhaus. Die Idee ist Teil der um­ sorgliche“ Kündigung von Direktor und fangreichen Lebensreform-Bewegung, die Meistern zum 31. März 1925. Etat-Kür­ sich in vielen Facetten seit 1900 entfaltet. zung. Gropius und die Meister kommen 1919 fordert Gropius im Arbeitsrat für der staatlichen Auflösung zuvor: am 26. Kunst: „Kunst und Volk müssen eine Ein­ Dezember 1924 lösen sie das Bauhaus heit bilden. Die Kunst soll nicht mehr Ge­ selbst auf. Letzte Tat in Weimar: Ein Bau­ nuß weniger, sondern Glück und Leben haus-Fest am 28. / 29. März 1925. der Masse sein.“ „das gmndziel für den aufbau des bau- hauses war die syntese alles künstleri­ schen Schaffens zur einheit, die Vereini­ Oberbürgermeister Fritz gung aller werkkünstlerischen und tech­ Hesse holt das Bauhaus nischen disziplinen zu einer neuen bau- kunst als deren unablösbare bestandteile, nach Dessau zu einer baukunst also, die dem lebendi­ gen leben dient.“1 Schon im Sommer haben Walter und Das Bauhaus ist Teil der Bewegungen Ise Gropius die Idee, das Bauhaus in einer für Sozialreform (Bodenreform) und Le­ anderen Stadt weiterzuführen. Ise Gropi­ bens-Reform (Naturschutz, Gartenstäd­ us spricht im September 1924 in Köln te, Kleider-Reform, Freikörper-Kultur). mit Oberbürgermeister Adenauer. Gegenwind. Schon bei der Übernah­ Die Idee. Der Oberbürgermeister von me gibt es starken Gegenwind. Gropius Dessau, Fritz Hesse (Mitglied der Demo­ spricht von Konservativismus und Tradi- kratischen Partei; S. 373), liest im Feuil­ tionalismus, Obstruktion und Anfeindung. leton des >Berliner Tageblattes< immer Drei Monate nach der Vereinigung wieder Artikel des Kunstkritikers Fritz fordert der ehemalige Kunsthochschul­ Stahl über das Bauhaus. So kommt er, als professor Max Thedy den Rücktritt von er von der Auflösung in Weimar hört, auf Gropius. die Idee, sich von Dessau aus darum zu Gropius im Herbst 1919: „Die Bür­ bemühen. germeute heult gewaltig gegen mich, zur Dieselbe Idee hat der Chefdirigent der Zeit müssen alle Schritte in der Stille ge­ Oper Dessau, Franz von Hoeßlin (Nach­ schehen, damit sie nicht hintertrieben wer­ folger von Hans Knappertsbusch). Er geht den können“. zu Hesse. Sie fragen den Landeskon­ Zerstörung. Erster Erfolg der Ge­ servator von Anhalt, Dr. Ludwig Grote. genseite: schon 1920 wird die Kunsthoch­ Grote war schon früher von Werkbund- schule wieder eingerichtet. Im März 1923 Mitglied Heinrich König, der mit Gropi­ entsteht im Landtag Thüringen eine In- us befreundet ist und die Lage in Weimar itiatiti ve deutschnationaler Abgeordneter kennt, mit einer solchen Überlegung an­ gegen das Bauhaus. Im November 1923 gesprochen. durchsucht die Reichswehr das Haus von Dieser fährt an einem der nächsten Gropius. Im April 1924: „Kleine Anfrage“ Tage nach Weimar und sondiert. Bau­ des deutsch-völkischen Blocks im Land­ haus-Direktor Walter Gropius ist nicht greifbar: gedrängt von den Meistern war Die Synthese. Dessau besitzt eine er nach der Strapaze mehrerer Jahre und Handwerkerschule, in Kunstgewerbe- und dem dramatischen Finale schon zur Er­ Handwerkerschule umbenannt. Sie hat holung nach Sizilien gereist, vier Wo­ ihren Sitz an der Mauerstraße. Hesse chen. Die Bauhaus-Meister Moholy-Nagy möchte für sie und das Bauhaus eine ein­ und Muche führen Grote. heitliche Leitung. Überzeugen. Landeskonservator Gro­ Gropius trägt vor. Auf Einladung te gewinnt die beiden Bauräte der Stadt, von Hesse spricht Gropius am 14. März Schmetzer und Overhoff, dann den Mini­ im >Evangelischen Vereinshaus< vor rund ster Kurt Müller. Hesse überzeugt zwei 1000 Menschen, der gesamten Promi­ weitere Landesminister, den Ministerprä­ nenz und den drei anhaitischen Ministern sidenten Deist, alle Sozialdemokraten, so­ zwei Stunden lang über das Bauhaus. wie den Innenminister Dr. Weber, wie An der Tür werden Gegen-Flugblätter Hesse in der Demokratische Partei, ferner verteilt: „Der Bauhaus-Spuk“. den Abteilungsleiter des Schulwesens, Weitere Opposition. Prof. Blum. Die Bauräte beginnen zu schwanken. Am 19. Februar kommen Kandinsky Aber eine Sympathie-Kundgebung und Muche mit ihren Frauen nach Dessau von Ludwig Mies van der Rohe, unter­ und werden von Hesse geführt. Die Stadt stützt von Peter Behrens und anderen Mit­ enttäuscht sie, aber die Umgebung begei­ gliedern der Berliner Architekten-Verei­ stert - also die Wirkung des >Gartenrei- nigung >Der Ringe, richtet sie wieder auf. ches< von Fürst Franz. Die entscheidende Gemeinderats- Sitzung findet am 23. März statt. 15 Am nächsten Morgen besprechen sie Stadtverordnete gehören einer Arbeitsge­ sich mit den Bauhaus-Meistern und tele­ meinschaft von Deutschnationalen, Deut­ grafieren schon am nächsten Tag an Hes­ scher Volkspartei und Vertretern der Haus­ se: alle stimmen zu. Die Übersiedlung besitzer-Vereinigung an. Ein Teil ist vom soll vor dem 1. April geschehen, weil Weimarer Besuch beeindruckt, gerät aber dann Weimar endet. unter starken Druck der Parteispitzen. Der Gemeinde-Rat. Zunächst hält Die Sozialdemokraten begrüßen zu­ Hesse den Plan strikt geheim. In nichtöf­ nächst das Bauhaus, werden dann aber fentlicher Sitzung macht er am 5. März unter großem Druck unsicher. Ihre Posi­ den Gemeinderat mit dem Plan bekannt. tion bleibt bis kurz vor der Sitzung Alle Mitglieder fahren nach Weimar. Sie schwankend. Ein Vortrag des Dessauer nehmen einige Gäste mit: Mitglieder der Kunsthistorikers Dr. van Kempen führt anhaitischen Regierung, den Landtags- zum Ja der Fraktion. Es entscheidet. Präsidenten und Reichstagsmitglied Peus Ergebnis: 26 Ja-Stimmen von Sozial­ sowie Vertreter der Handels- und der demokraten, Demokraten und Magistrat, Handwerkerkammer, ferner die Lokal- 15 Nein-Stimmen. Die gesamte Rechte Chefs der beiden Dessauer Zeitungen. Sie ist dagegen. besichtigen das Bauhaus. Gropius überzeugt die 50 Teilnehmer nach der Führung und dem Mittagessen im Fürstenhof mit einem zweistündigen Das neue Bauhaus in Vortrag. Dann erinnert Hesse an den Im­ Dessau puls des Erziehers Basedow und an das damals heftig umstrittene Philanthropin. Gropius erhält Anfragen und Ange­ Lyonei Feininger erzählt Hesse im Ge­ bote: aus Darmstadt, Krefeld, München, spräch die Schikanen der thüringischen Mannheim, Hagen, Frankfurt am Main Regierung. Auf der Heimreise: heftige und Hamburg. Sie sind ziemlich vage. Diskussionen. Dessau ist konkret. Fritz Hesse, Dessaus sozialliberaler Der zweite Vorentwurf, ebenfalls ge­ Bürgermeister (Demokraten), macht das zeichnet von Carl Fieger, besitzt in den weitestgehende Angebot: Dessau möch­ beiden Ansichten von Westen und von te das Bauhaus als ganzes übernehmen, Nordosten sowie im Modell bereits alle es finanziert ein großes Gebäude sowie wichtigen Bestandteile des heutigen Bau­ Wohn-Häuser für die Meister. Fritz Hes­ es. se stellt auch größere Aufträge in Aus­ Der endgültige Entwurf klärt einiges: sicht, vor allem Wohnungs-Bau zur Er beseitigt monumental-repräsentative Linderung der großen Wohnungs-Not. Züge. Und er verringert glücklich den Perspektive: Junkers-Werke (S. 354). Der Brücken-Trakt um ein Geschoß. Hinzu Meisterrat entscheidet sich: Dessau. kommen Veränderungen von Details, vor Provisorische-Unterkunft. Im März/ allem mancher Fenster. April 1925 zieht das Bauhaus um. Entwurfs-Methode. Gropius kann Zunächst in eine provisorische Unter­ nicht gut zeichnen. Daher entwirft er vor kunft: in das ehemalige Gebäude der allem mit der Sprache. Das läuft so ab: Kunstgewerbeschule. Gespräch zwischen Gropius und Fieger; Die Kunstgewerbeschule in Dessau Fieger Skizzen; Gropius erläutert und ver­ entstand am Ende des 19. Jahrhunderts. feinert nochmals seine Ideen; Fieger än­ 1897 eigener Bau (Mauerstraße 36, später dert. Otto-Holz-Straße, im Zweiten Weltkrieg Gropius nennt als mitarbeitenden Ar­ zerstört). Die Ateliers der Meister sind in chitekten an seinen Bauten in Dessau: der >Kunsthalle< (später Museum für Na­ Karl Fieger, Friedrich Hirz, Max Kraje- turkunde und Vorgeschichte). Die Werk­ wski, Fritz Levedag, Otto Meyer-Ottens, stätten kommen in der Mauerstraße im Ernst Neufert, Heinz Nösselt, Richard Textilversandhaus F. A. Seiler (später Wa­ Paulick, Herbert Schipke, Bernhard Sturz­ renhaus) unter. kopf, Franz Throll, Walter Tralau, Hans Die Neubau-Planung. Im März 1925 Völger. beginnt Gropius die Planung. Es gibt kein Neufert macht die Werkplanung. genaues Raum-Programm. Gegenstrom: Dafür verschiebt er seine Berufung an die Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Hochschule in Weimar von März 1926 wehren sich. Mit Erfolg. Neue Dispositi­ bis zum 22. September. on: In einem Teil des Neubaues soll die Richtfest im April 1926. Gewerbliche Berufsschule untergebracht Einweihung. Am 4. Dezember 1926 werden. Im Juni 1925 zeigt Gropius dem wird das Gebäude eingeweiht: mit einer Magistrat und am 22. Juni dem Bauaus­ Ausstellung und vielen in- und ausländi­ schuß und dem Finanzausschuß Zeich­ schen Gästen. „Am Morgen des 4. De­ nungen und ein Modell in Gips. Zustim­ zember 1926 rollten elegante Kutschen, mung von allen Fraktionen. Überra­ von rassigen Pferden gezogen, und ein­ schung: auch die rechten Parteien sind zelne Autos von modernster Bauart am dabei, lassen jedoch im Protokoll aus­ Eingang des Festhauses vor. Den Wagen drücklich vermerken: dies ändert nichts an entstiegen würdevolle Herren in Frack ihrer grundsätzlichen Ablehnung. Auch und Zylinder, begleitet von stolzen Damen das >Gesellenhaus< (Atelier-Haus) soll in großer Garderobe. gleich mitgebaut werden. Von einer Schar Bauhäusler flankiert, Der erste Entwurf („Vorentwurf') durchschritten sie die weit geöffneten trägt die Handschrift des Mitarbeiters Carl Eingangstüren und sahen sich inmitten Fieger. Er ist außerordentlich opulent: der neuen, von viel Licht durchfluteten weiträumig, mit großer Geste. Deutlich er­ Pracht. Staunend erlebten sie die Feste­ innert er an Bauten von Erich Mendel­ bene des Hauses; plaudernd, flanierend sohn. bewegten sich die ehrenwerten Gäste: Wissenschaftler und Künstler von Rang Übersicht: das und Würden, Magnaten von Wirtschaft und Banken, Verwaltung und Intelligenz Funktions-Schema des jeden Genres, und zwischen ihnen die Gebäude-Komplexes Bauhäusler, angetan mit beigefarbe­ nen weiten Hosen nach neuestem Char­ Es gibt fünf Bereiche5: lestonschnitt und taubenblauen Hemden. Fachschul-Gebäude (West-Flügel): Bis sich die großen Türen zur Aula Technische Lehranstalt. öffneten und Walter Gropius als Herr des Brücken-Trakt: Verwaltungen der neuen Hauses feierlich seine Gäste in der Fachschule und des Bauhauses. Oben ge­ gleichen schlichten Sprache begrüßte, die plante Architektur-Abteilung und Privat- auch sein Werk, das Bauhausgebäude aus­ Atelier „Baubüro Gropius“. strahlt. Werks tätten-Trakt. Uns jungen Vorkurslern hätte keine Aula-Trakt: „Wohlfahrtseinrichtun­ bessere Vermittlung des Gropius’schen gen für die Studierenden“. Gedankengutes gegeben werden können, Aula. Bühne. Speise-Saal. Die Bühne als in diesem schönen Neubau.. .“2 kann nach zwei Seiten geöffnet werden: Gropius spricht über die Geschichte zur Aula und zum Speise-Saal. Speise- des Bauhauses und erläutert die Ziele der >Hochschule für Gestaltung<. Kunst und Saal, Aula und Foyer bilden eine Fest- Technik sollen zu einer Einheit geführt Ebene. werden. An der Süd-Seite erschließt die große Gropius später (1930) im Bauhaus- Terrasse den Blick auf den großen „sport­ Buch: „Ein aus dem heutigen Geist ent­ spielplatz.“6 standener Bau wendet sich von den re­ Atelier-Haus. Über dem Küchen- präsentativen Erscheinungsformen der Geschoß gibt es in vier Stockwerken 24 Symmetriefassade ab. Man muß sonst um Ateliers. Der Namen „Prellerhaus“ erin­ diesen Bau herumgehen, um seine Kör­ nert an einen Weimarer Maler der Goethe- perlichkeit und die Funktion seiner Glie­ Zeit7. der zu erfassen.“3 Walter Gropius (1930): „die Überle­ Zur Einweihung werden auch die be­ gung, daß menschen, die an einer ge­ zogenen Meister-Häuser sowie die ersten meinschaftlichen aufgabe arbeiten, wie Häuser in der Siedlung Törten, 60 Ein­ im bauhaus, die möglichkeit haben müs­ zelwohnhäuser mit Gärten, gezeigt. sen, sich zeitweise ungestört außerhalb „Wohl annähernd zweitausend Gäste der gemeinschaft ganz auf sich selbst mögen es gewesen, die das Haus erfüllten. zurückziehen zu können, führte dazu, das Überall erklang oder erdröhnte Musik, ateliergebäude der studierenden vom übri­ überall wurde getanzt, gesungen, gelacht, gen betrieb abzurücken und jedem ein­ alle gaben sich ausgelassener Fröhlich­ zelnen atelier möglichste wohnruhe, ja keit hin, die erst am hellen Vormittag des auch jedem seinen eigenen kleinen balkon nächsten Tages endete.“4 zu geben“8. Tourismus. Der Strom der Besucher Es ist das erste Studenten-Wohnheim reißt nicht ab. Gropius reist viel und hält einer Hochschule in Deutschland. Vorträge. Das ist Werbung für das Bau­ Das Bauhaus ist ein Mikrokosmos: haus. Die Berliner Illustrierte bezeichnet beisammen sind Wohnen, Essen, Arbei­ das Gebäude als die „modernste Kunst­ ten, Lernen, Unterhaltung. Gropius in­ schule der Welt“. tendiert ein „Gesamtwerk“. Die Grundrisse der geleitet von Laszlo Moholy-Nagy. We­ berei. Material-Raum. Meister-Raum. Geschosse Garderobe. WC / Wasch-Raum. Schmales Treppenhaus. Im Atelier-Haus: Treppen­ im Bauhaus um 1926 / 1927. Alle An­ haus. Mittelflur. An der Süd-Seite Tee- gaben von West nach Süd. Küche. Davor ein gemeinsamer Balkon. Keller-Geschoß. Im Fachschul-Trakt: Östlich vier Atelier-Räume mit individu­ Werkräume der Fachschule. Im Werkstatt- ellem Balkon. Westlich WC und drei Ate­ Bau: Druckerei. Färberei. Bühnen-Werk­ lier-Räume. Insgesamt gibt es in den obe­ statt. Bildhauerei. Pack- und Lager-Räu­ ren vier Wohn-Geschossen 28 „wohnate- me. Druckerei und Magazin sind heute liers für studierende“, auf jeder Etage ei­ die Räume des „Klubs“. Östlich vorgela­ ne Teeküche. gert: eingeschossiger Bau als Lager. Walter Gropius (1930): „jedes studie- Im Aula-Trakt: Heizungs-Anlagen renden-atelier besteht aus einem 5,17 / und Kohlen-Lager. 4,35 (achsenmaß) großen raum, mit Im Atelier-Haus: Hausmeister-Woh­ schlafnische, Waschtisch mit fließendem nung. Bäder. Gymnastik-Raum. Garde­ wasser und zwei Wandschränken, ge­ robe für die Sportler, „eine elektrische meinsame teeküche in jedem stock, spei- Waschanstalt“. seaufzug.“9 Erdgeschoß. Im Fachschul-Trakt: Ein­ Das Dach ist begehbar. Es hat eine gang. Treppenhaus. Mittelflur. An jeder Brüstung und eine umlaufende Sitz-Bank. Seite zwei Klassen. Raum für Materialien. Der freie Raum ist ein Gymnastik-Platz Zwei Laboratorien und Physik-Saal. Im für die Studierenden. Brücken-Trakt: Durchfahrt. Im Werkstatt- 2. Obergeschoß: Im Fachschul-Trakt: Bau: Eingang. Treppenhaus. Vestibül. Fünf Klassen. Im Brücken-Trakt: Stapel­ WC. WC. Ausstellungs-Raum. Material- raum. Architektur. Leitung der Architek­ Raum. Meister-Raum. Polier-Raum. tur. Büro der Architektur. Lehr-Saal. Im Tischlerei, geleitet von Marcel Breuer. Werkstatt-Trakt: Im West-Bereich Gal­ Maschinen-Raum. Furnier-Raum. Wasch- vanisier-Werkstatt. Schleiferei. Metall- Raum. Schmales Treppenhaus. Im Aula- Werkstatt. Maschinen-Raum. Schmiede. Trakt: Aula. Bühne. Kantine (Speise- Im Ost-Bereich: Atelier. Lackier-Werk- Saal). An der Süd-Seite Terrasse mit zwei statt. Aufgängen. Im Atelier-Haus: Eingang. Veränderungen. Das Konstruktions- Vestibül. Treppen-Haus. WC. WC. Putz- System ist so angelegt, daß in Zukunft Raum. Küche. Anrichte. Speise-Kammer. Veränderungen der Funktionen möglich Schüler-Zimmer. sind. 1. Obergeschoß. Im Fachschul-Trakt: Treppenhaus. Mittelflur. An jeder Seite zwei Klassen. Nach Osten: Lehrer-Zim­ mer und Bibliothek. Im Brücken-Trakt: Leitlinien des Entwurfs Flur. An der Ost-Seite im westlichen Teil für das Gebäude Verwaltung der Fachschule, in der Mitte und im südlichen Teil Verwaltung des Walter Gropius: „... da ich selbst mit­ Bauhauses. Schreib-Raum. Wärter Fach­ ten in den kulturellen Kämpfen gestanden schule. Verwaltungs-Raum. Bespre­ und alle Schwankungen auf und ab mit­ chungs-Raum. Direktion. Verwaltung erlebt habe.“10 Bauhaus. Buchhaltung / Kasse. Wärter Walter Gropius: „ziel für die Organi­ Bauhaus. Telefon. Lehr-Saal. WC. Im sation eines guten grundrisses: Werkstatt-Trakt: Treppenhaus. Vestibül. richtige ausnutzung der sonnenlage, Material-Raum. Grundlehre-Werkstatt, kurze zeitsparende Verkehrswege, klare trennung der einzelnen abtei- schwert [!] von einer alten vorstellungs­ lungen des Organismus, weit, die andere technische [!] Vorausset­ Variationsmöglichkeiten der raumfol­ zungen hatte. gen für etwa notwendig werdende Orga­ den schöpferisch arbeitenden archi- nisationsveränderungen mit hilfe sinnrei­ tekten interessiert es in erster linie, neue cher achsenteilung.“11 funktionen [!] aufzudecken [!] und sie Das Gebäude schließt sich nicht gegen technisch [!] und gestalterisch [!] zu be­ den umliegenden Raum ab, sondern greift wältigen. geradezu propellerartig in ihn ein. Der entscheidend für die beurteilung eines Außenraum durchflutet den Innenraum. bauwerks bleibt die feststellung, ob der Und der Innenraum erweitert sich zum architekt oder [!] ingenieur mit dem ge­ Außenraum. ringsten aufwand an zeit und material ein Es gibt keine Hauptfassade. Der Ge­ instrument [!] geschaffen hat, das funk­ bäude-Komplex hat keine Vorder- und tioniert [!], d. h. das dem geforderten [!] Rückseiten mehr, sondern ist überall in­ lebenszweck [!] vollendet [!] dient [!], teressant: jedesmal auf eine neue Weise. wobei diesem lebenszweck sowohl seeli­ sche [!] wie materielle forderungen zu­ grunde liegen können.“12 „Wieviel hat die moderne Technik Industrie-Ästhetik beigetragen zu der entscheidenden Wie­ dergeburt der Architektur und zu der Ge­ Walter Gropius (1930): „das große schwindigkeit, mit der sie sich ent­ publikum interessiert sich aus nahelie­ wickelte! Unsere neuen technischen Mit­ genden gründen in erster linie für die tel haben die vollen Ziegelwände in dün­ äußere erscheinungsform der bauten, die ne Pfeiler aufgelöst, mit dem Ziel größt­ natürliche trägheit des menschen verhin­ möglicher Ersparnis an Gewicht, Trans­ dert eine schnelle Umstellung der öffent­ portmasse und Raum. lichen anschauung gegenüber den verän­ Neue künstliche, synthetische Bau­ derten neuen formen. stoffe - Stahl, Beton, Glas - treten an die die geschichte der technik zeigt, daß Stelle traditioneller Rohmaterialien. sich neue technische erfindungen zunächst Qualitative Höchststeigerung der Ma­ hinter dem imitativ übernommenen kleid terialfestigkeit machte es möglich, leich­ der Vergangenheit verstecken, die ersten tere, fast schwebende Gebäude zu kon­ automobile sahen den postkutschen ähn­ struieren, was früher technisch unmög­ lich! lich war. aber allmählich hat sich der heutige Allein diese gewaltige Ersparnis an mensch infolge der rapiden entwicklung tragender Masse war schon eine Revolu­ der technik daran gewöhnt, neue, logisch tion in der Architektur. (!] entwickelte erscheinungsformen Eines der wesentlichsten Merkmale schneller anzunehmen. der neuen Bautechnik beruht darin,... die die moderne baukunst hat hand in Last des ganzen Gebäudes auf ein Stüt­ hand mit der technik ein charakteristi­ zenskelett aus Stahl oder Beton zu verle­ sches gesicht entwickelt, das von der alten gen. handwerklichen baukunst erheblich ab­ ... Die Wände sind lediglich eine weicht. Schutzhaut... seine typischen kennzeichen sind kla­ ... führt konsequent zu sich steigern­ re, aller unnötigen zutaten bare, wohlpro­ der Vergrößerung der Wandöffnungen, portionierte [!] züge, wie sie auch den die das Tageslicht ungehemmt einströ­ modernen ingenieurmäßigen [! 1 Produk­ men lassen. ten der maschine [!] eigen sind, unbe­ ... tritt logisch das... Fensterband,... spielt das Glas eine immer stärkere keiten vereinigte, sie müßte darin die büh­ Rolle. Seine leichte, schwebende,... Stoff­ nen von heute weit übertreffen, der ver­ lichkeit...“13 schiebbare und versenkbare bühnenfuß- Pole. Walter Gropius (1935): „Je mehr boden, drehscheibe... wir haben zunächst wir aus Gründen der Vernunft dazu ge­ nur einen sehr bescheidenen teil davon. trieben werden, unsere Arbeit zu mecha­ wir haben eine schöne möglichkeit: nisieren, umso notwendiger muß das die des spiels nach zwei seiten, die bühne Schöpferische in jedem Individuum ge­ nach zwei seiten offenzuhalten, auf beiden pflegt und entwickelt werden... Wäre die seiten Zuschauer zu plazieren; also die Mechanisierung Selbstzweck, so müßte möglichkeit, den guckkasten zu überwin­ das Wichtigste, die lebendige, volle Men­ den und räumliche gestaltungen zu ver­ schennatur, verkümmern...“14 suchen, die wenigstens ein schritt zu dem problem der raumbühne sein könnten, die tatsache der zwei fronten, keine rücken- deckung zu haben, gibt der mitte der büh­ Die Bühne am Bauhaus ne eine erhöhte bedeutung und zwingt zu einem raumplastischen spiel, das sowohl gestaltet sein Thea­ körperbewegungsmäßig als auch wort- ter mit ähnlichen räumlichen Spannungs- und tonakustisch neue Wirkungen ergibt. Formen wie wir sie in der Architektur, in den Objekten und in der Grafik finden. „nachdem es in dem dessauer neubau endlich gelungen ist, auch eine art bühne einzubauen... nachdem nun also die so sehr gewünschte „hausbühne“ endlich da ist... was das heißt, von bestimmten räum­ lichen maßen auszugehen und alles auf sie zu beziehen, kann nur der ermessen, der weiß, was raummathematik und -dyna- mik heißt: nämlich die gesetzmäßige be- ziehung alles dessen, was innerhalb dieses bestimmten einmaligen raums sich voll­ zieht. Es ist in der tat wichtig, wie die di- Bauhaus-Bühne und Oskar Schlemmer (1928) mensionen des bühnenraums, höhe, tiefe, breite, sich zueinander und zur menschli­ chen figur verhalten, der ideale theatrali­ wenn der bühnenraum so sehr teil ei­ sche raum, muß ein vom maß des mensch­ ner gesamtarchitektur ist wie hier im bau- lichen körpers bestimmtes architektoni­ haus... so ist der wünsch groß, auf dieser sches gefüge sein“. bühne nun nicht auch mit stationären d e ­ Schlemmer läßt Kritik durchscheinen, menten zu wirken, sondern im gegensatz „diese eigentlich nur als vortragspodium einen beweglichen Organismus zu schaf­ gedachte bühne gibt doch gelegenheit, in fen, immer neue raumgebilde zu erzeu­ einem raum zu schalten und zu walten gen, deren wesen die leichtigkeit der Ver­ und das theatralische spiel aus ihm und änderung ist. seinen gesetzen zu entwickeln. ... fahrbare kulissen...; Schiebewän­ ... die einrichtung einer bühne, wie sie de, klappgestelle, mechanismen. dem geist des bauhauses entsprechend der helle bühnenraum, die transpa- wäre, müßte nun vollends ein präzisions­ renz und magie des lichtes, projektion werk sein, das alle technischen möglich­ und film...... raumtanz..., der aus jenen räumli­ ... durch die bewegung des menschen chen beziehungen entwickelt, sozusagen das elementare des raums eindeutig ver­ ein raumabtasten, raumausschreiten be­ anschaulicht. deutet. die mitte, die achsen, die diago­ ... „raumbehextes“... nalen werden auf dem bühnenboden als jede geste und bewegung wird mit au­ wesentliche... faktoren eingezeichnet“ tomatischer Sicherheit in die Sphäre des (Bauhaus, 1, 1926, 3). bedeutsamen gerückt. „bei festlichen gelegenheiten lassen ... vor sich die auf jede regung und sich die bühnenwände öffnen, so daß die aktion gespannnten, aufnahmebereiten raumfolge speisesaal, bühne, aula, V e ­ Zuschauer... stibül zu einer großen festebene vereint von hier aus sind zwei grundsätzlich werden kann.“1-* verschiedene gestaltungswege möglich, entweder der des seelischen ausdrucks, des gefühlsgeladenen affekts, der drama­ tischen mimik und gestik oder der der be- wegungsmathematik, der gelenkmecha- nik... beide wege können in konsequenter Verfolgung höchstleistungen ergeben, wie auch ihre Verschmelzung zu einer ein­ heitlichen kunstform führen kann... figur im raum mit bodengeometrie raumlineatur mit figur Vorhang- und bewegungsstudien Stadien dramatischer gestik chorische pantomime raumtanz formentanz gestentanz kastenspiel lichtspiel mit projektion und transpa- renz pantomime mit figuren und transpa­ renten wänden triadisches ballett der bau als bühne... der moderne bau mit seinen gestuften begehbaren dach- flächen, terrassen, Veranden bildet die Oskar Schlemmer: Systematik ideale zukünftige freilichtbühne sinn und ende: zu einer fliegenden truppe zu werden, die ihre spiele zeigt, wo „teil der form ist die färbe und das immer sie zu sehen gewünscht werden“ licht. ... weil wir die formen bewegen (Bauhaus 3, 1927, 1 / 4). und in der unsichtbaren mechanischen Schlemmer 1927: „eine realisierung bewegung geheimnisvolle, überraschende solcher möglichkeiten wird voraussicht­ Wirkungen erblicken; weil wir den raum lich das piscatortheater von gropius brin­ mit hilfe von formen, färbe, licht ver­ gen. - ein utopisches, zunächst nicht rea- wandeln, umwandeln können; ... raum­ lisierbarers projekt ist das kugelthea- bühne. .. es sind also spiele zu denken, de­ ter“ von Andreas Weininger (Bauhaus 3, ren geschehen lediglich in der bewegung 1927, 1). von formen, färben und licht besteht... Wer trat auf der Bühne auf? Der Zusammenhang. Im einge­ führungen. diese feste waren eins der schossigen Ost-Takt: Foyer-Aula - Büh­ stärksten mittel des freundschaftlichen ne - Speise-Saal. Walter Gropius: „die Zusammenhalts im bauhaus und wurden aula mit anschließender bühne, deren allen teilnehmem zu einem unvergeßli­ rückwand sich nach dem speisesaal öffnen chen erlebnis.“17 läßt, dient für Versammlungen, vorträge „Die Bauhauskapelle... war [1926] und bühnenaufführungen. diffuse, nicht noch dieselbe Besetzung wie in Weimar: blendende beleuchtung mit röhrenlam­ Andi Weininger am Flügel, dem er pen, oben rechts im bild schlitz für film- Reißzwecke an den Filzhämmerchen be­ und Projektionsapparate.“16 festigte, um einen stärkeren Klang zu er­ Schlemmer versteht die Bühne als Er­ reichen. Unter seiner Regie wirkten mit: gänzung der Architektur. In der Wand­ Wolf Rößger, der Banjo spielte, Xanti malerei versuchte er, Architektur zur Büh­ Schawinsky (S. 585), der das Saxophon ne zu machen. meisterhaft beherrschte. Isaakson wußte Stichworte: „Untersuchung der Grun­ am Schlagzeug aufregende Geräusche aus delemente des bühnenbildnerischen Trommel, Pauke und Becken hervorzu­ Schaffens und Gestaltens: Raum, Form, zaubern, und Fritz Kuhr bediente Teu­ Farbe, Ton, Bewegung, Licht.“ Handlung felsgeige und klopfende und rasselnde In­ wird aus bildnerischen Elementen ent­ strumente. wickelt. ... Im Wandel der Semester wandelte Schlemmer inszeniert: „Bauhaustän­ sich auch die personelle Besetzung... So ze“: Formentanz, Gestentanz, Raumtanz, gehörten ihr am Ende der zwanziger Jah­ Stäbetanz, Kulissentanz, Reifentanz, Bau­ re an: Edmund Collein, Emst Egerle, Rolf kastenspiel, Kastenpromenade. „Equili- Sklarek, Lux Feininger und Waldemar bristik“. „Triadisches Ballett“. Adler. Auch kamen neue Instramente da­ 1929 Gastspiel-Reise bis in die zu wie Akkordeon und Flöten... Schweiz. Xanti Schawinsky (S. 585) ist zeit­ weilig Assistent von Oskar Schlemmer. Er entwirft eine konstruktive Raum-Bühne und Variete-Szenen.

Die Feste im Bauhaus

Gropius fördert die Feste. Das Ge­ bäude ist für sie angelegt: Foyer, Aula und Speise-Saal lassen sich „zu einer großen Festebene“ (Walter Gropius) zu­ sammenschließen . Am Bauhaus wurde oft und gern ge­ 21. März 1926: Richtfest des Bau­ feiert, und jeder denkt mit Vergnügen dar­ haus-Gebäudes. „Weißes Fest“. 4/5 weiß, an zurück: an das Metallische Fest, an 1/5 Farbe, gedippelt, gewürfelt, gestreift. das Fest der Klänge, Glocken und Schel­ Walter Gropius (1930): „seit den Wei­ len, an Tanz und zwangloses Beisam­ marer bauhauszeiten hatte sich eine tra­ mensein in der Kantine. dition der „bauhausfeste“ entwickelt: will­ Geld hatte keiner oder nur wenige, es kommene aufgaben, um die einfälle von gab also kaum Alkohol, der Kantinenwirt meistern und studierenden improvisiert Meinberg servierte fast nur Brause und auszuführen, festräume, kostüme, auf­ Bier. Die Mädchen liebten es, sich phanta­ natürlichen [!] Fähigkeiten das Leben [!] sievoll zu kleiden, sich zu schmücken und in seiner kosmische [!] Totalität [!] faßbar zu bemalen. zu machen, ein Ziel, das dem Unterricht in Alle Jahre gestalteten die Bauhäusler den üblichen, abgetrennten Fach- und ihren Bauhausfasching... Spezialklassen unerreichbar ist. Da gab es eine Rutschbahn, der ein­ Ich versuchte, das schwierige Pro­ zige Zugang zu den Festräumen, da waren blem zu lösen, Phantasie und technisches Jahrmarktbuden, Bauchläden, Leierka­ Können zum Einklang zu bringen, und stenmänner. Einer der Flure hatte dicht bemühte mich daher, einen neuen, bisher bei dicht in vielen Farben einen bunten nicht vorhandenen Typ von Mitarbeiter gläsernen Christbaumkugelhimmel. Ein für Industrie und Handwerk heranzubil­ reicher Nabob zerschlug am Ende des den, der Technik und Form in gleichem Festes diese Herrlichkeit und erfreute sich Maße beherrscht. daran, in den Scherben zu waten...... ihr Ziel war Vielseitigkeit in der Die Beherbergung solcher Feste war Ausbildung, nicht handwerkliche Eigen­ kompliziert. Viele Gäste wurden von den brötelei. Schlummermüttem der Bauhäusler in der Denn das Bauhaus bejahte die Ma­ Hohen Lache und auf dem Ziebigk auf­ schine als modernstes Mittel der Gestal­ genommen. Auch das Prellerhaus war mit tung und züchte die Auseinandersetzung Gästen vollgestopft, dort schlief man mit ihr. selbst in den Einbau schränken des Ate­ Die Bauhauswerkstätten waren im liers. .. .um am nächsten Nachmittag und wesentlichen Laboratorien.. ,“19 Abend aufs neue... zu feiern... Genese. „Mit der Entwicklung der Walter Gropius und die Meister des Akademien starb allmählich die wahre, Bauhauses erkannten, daß sich dabei die das ganze Volksleben durchpulsierende Gemeinschaft festigte und förderten sol­ Volkskunst ab, und es blieb jene vom Le­ ches Treiben.“ (Bauhäusler Konrad Pü- ben isolierte Salonkunst übrig, die schließ­ schel) lich im 19. Jahrhundert nur mehr das Ein­ zelbild ohne Beziehung zu einer größeren Baueinheit kannte. In der zweiten Hälfte Das Bauhaus als Bil­ des 19. Jahrhunderts begann aber eine Protestbewegung gegen die verheerenden dungs-Stätte: das Kon­ Wirkungen der Akademien. Ruskin und zept und sein Wandel Morris in England, van de Velde in Bel­ gien, Olbrich, Behrens (Darmstädter Von Anfang an (1919) liegt ein Ge­ Künstlerkolonie) und andere in Deutsch­ staltungs-Konzept zugrunde, das die Ideen land, endlich der >Deutsche Werkbund<, des Deutschen Werkbunds (1907 gegrün­ suchten und fanden bewußt erste Wege det, u. a. von Walter Gropius) aufnimmt, zur Wiedervereinigung der Werkwelt mit radikalisiert, zur Synthese bringt und den schöpferischen Künstlern. weiterentwickelt. In Deutschland entstanden die >Kunst- Das Bauhaus soll experimentieren und gewerbeschulenc, die eine neue Generati­ entwickeln: vom Haushalts-Gerät zur on der künstlerisch Begabten werklich Wohnung. „... durch systematische Ver­ vorgebildet in Industrie und Handwerk suchsarbeit in Theorie und Praxis - auf einführen sollten.“20 formalem, technischem und wirtschaftli­ Synthese. „Der beherrschende Ge­ chem Gebiete.“18 danke des Bauhauses ist also die Idee der „Als Basis des Unterrichts stellte ich neuen Einheit, die Sammlung der vielen für das gesamte Institut das Ziel auf, dem >Künste<, >Richtungen< und Erscheinun­ Studierenden durch Erziehung [!] seiner gen zu einem unteilbaren Ganzen, das im Menschen selbst verankert ist und erst ren. 1925 werden fünf zu Meistern der durch das lebendige Leben Sinn und Be­ neuen Werkstätten ernannt: die „Jung­ deutung bekommt. meister“ Gunta Stolz (Weberei), Hinnerk Von dem richtigen Gleichgewicht der Scheper (Wandmalerei), Marcel Breuer Arbeit aller schöpferischen Organe hängt (Tischlerei), Joost Schmidt (plastische die Leistung des Menschen ab. Es genügt Werkstatt), und Herbert Bayer (Werkstatt nicht, das eine oder das andere zu schulen, für Druck und Reklame). sondern alles zugleich bedarf der gründ­ Werkstätten. In Dessau gibt es statt lichen Bildung. zehn Werkstätten nur noch fünf: Tischle­ Daraus ergibt sich Art und Umfang rei. Wandmalerei. Textil. Buch- und der Bauhauslehre. Kunstdruck. Plastische Werkstatt. Hinzu Sie umfaßt die handwerklichen und kommt eine praktische Versuchsabteilung: wissenschaftlichen Seiten des bildneri­ für Modelle in Handwerk und Industrie. schen Schaffens.“21 1927 wird die Bühne wieder eingerichtet. Veränderungen des Konzeptes. Gro- Lehre und Betrieb. Gropius verfolgt pius modifiziert das Konzept mehrfach. auch weiterhin das Konzept, neben der Da sich in Weimar das Handwerk als ent­ Lehre einen Produktions-Betrieb aufzu­ täuschend reformunwillig erwies, akzen­ ziehen, der wirtschaftlich arbeitet. tuiert Gropius in Dessau stark auf Indu­ 1925 gründet er die Gmbh, mit Geld strialisierung. des Berliner Bauunternehmers Adolf „Die zweigeteilte Verantwortung für Sommerfeld, für den er auch entwirft, und die Werkstätten in der Hand je eines geleitet von einem Syndikus. Herbert Werkmeisters und eines Formmeisters Bayer entwirft den „Katalog der Muster“. wurde durch die eines einzigen Meisters Die Erwartungen erfüllen sich wenig. ersetzt.“22 Die Stadt hatte auf Einnahmen gesetzt. Nun setzt er auf völlig neue und jun­ Lizenzen auf Innovationen sind schwer ge Leute - auf Eigengewächse: fünf Stu­ verkäuflich - grotesk: sehr viel später dierende, die 1924 Meister geworden wa­ werden sie eine Gold-Grube.

Die Meister am Bauhaus von links nach rechts: Albers, Scheper, Muche, Moholy-Nagy, Bayer, Schmidt, Gropius, Breuer, Kandinsky, Klee, Feininger, Stölzl, Schlemmer. Wie in Weimar wird in den Lehr-Plä- Der dritte Direktor. Landeskonser­ nen unterschieden zwischen der Arbeit in vator Ludwig Grote versucht, Gropius den Werkstätten für die Lehre und für die wiederzugewinnen. Aber er lehnt ab. Produktion. Dann fragt Gropius den Architekten Otto Struktur-Wandel. Noch von Gropi- Haesler. Aber nach kurzem Bedenken us vor seinem Rücktritt 1928 eingefädelt, sagt Haesler ab. Die nächste Verhand­ geht im April 1927 die Abteilung Archi­ lung findet mit dem Berliner Architekten tektur in Betrieb. Ludwig Mies van der Rohe statt. Mies Unter dem neuen Direktor Hannes sagt zu. Meyer rangiert sie nun an der Spitze des Damit gewinnt das Bauhaus einen Unterrichts, der in Gruppen eingeteilt ist. berühmten Namen. Stationen: Arbeit im Rücktritt des Gründers. Gropius Büro von Peter Behrens. Arbeitsrat für tritt, von ihm lange bedacht, über Nacht Kunst. Entwurf für ein Hochhaus aus zurück: zum 1. April 1928. Er ist kein Glas. 1926/1927 Oberleitung der Werk­ Verwalter. bund-Siedlung Weißenhof. 1929 Deut­ Der Rücktritt löst eine Krise aus. Mit scher Pavillon in der Weltausstellung Bar­ ihm gehen Herbert Bayer (Reklame), celona. Marcel Breuer (Tischlerei) und Laszlo Abschaffung der Produktion. Der Moholy-Nagy (Grundlehre, Typografie). neue Direktor reduziert das Haus auch Unruhe. Immer schon war das Bau­ dadurch, daß er die erfolgreiche Werk- haus ein radikales Unternehmen, das zur stätten-Schiene Produktion abschafft. Es Vielfalt führte, die aber zugleich ausba­ dürfen nur noch Modelle für die Indu­ lanciert werden mußte. Das hieß: Unruhe. strie angefertigt werden. Gropius war bei aller Radikalität zugleich Auch hier kommt er dem Geschrei Moderator des Unterschiedlichen. Hannes der Handwerker-Verbände entgegen, die Meyer verfügt nicht über diese Modera- auch lange nach der Aufhebung der Zünf­ toren-Fähigkeit. te ein Zunft-Verhalten pflegen und beson­ : „Das Bauhaus wird sich ders über die Aggressivität der Rechts­ nie beruhigen, sonst ist es keines mehr, parteien Pressionen ausüben. und wer dabei ist, muß etwas mittun, Folge: Studenten verlieren Arbeit und wenn er auch nicht will.“ Verdienst. Zu gleicher Zeit wird das Der harte Kurs der Umstrukturierung Schul-Geld erhöht. verbittert nicht wenige und schafft Hannes Macht-Ergreifung. Im Landtag er­ Meyer Feindschaften, die schließlich auch hält die NSDAP die absolute Mehrheit. zu seinem Sturz führen. Erbittert ist Josef Die Regierung, die „bisher stets ihre Albers. 1929 geht Oskar Schlemmer zur schützende Hand über das Bauhaus ge­ Kunstakademie nach Breslau. 1930 läßt halten hatte“ (Fritz Hesse) stürzt. Die An­ sich Paul Klee an die Akademie Düssel­ träge der Nazis haben zunächst im Ge­ dorf berufen. 1930 verlassen Marianne meinderat keinen Erfolg. Vorsorglich Brandt (Metall-Werkstatt) und Hinnerk werden jedoch die Mittel zum 1. Oktober Scheper (Wandmalerei) das Bauhaus. 1932 gekündigt. Der NS-Ministerpräsi- Kandinsky ist unzufrieden. dent besichtigt mit Paul Schulze-Naum­ Berufungs-Absichten. Hannes Mey­ burg das Bauhaus. Schultze-Naumburg er möchte berufen: den niederländischen schreibt ihm ein verheerendes Gutach­ Architekten J. J. P. Oud, den Maler Willi ten. Baumeister, Karel Teige und den nieder­ Erst als die NS-Landesregierung zwei ländischen Fotografen / Typografen Piet Mitglieder des Magistrates ersetzt, erhält Zwart. sie im Gemeinderat die Mehrheit. Am 22. Dies scheitert, weil am August 1932 kommt der Antrag: Schlie­ 1. August 1930 entlassen wird. ßung des Bauhauses. Der Oberbürger­ meister hat eine Vertrauens-Erklärung ke ein. Im Bauhaus arbeitet auch ein Bau­ namhaftester Architekten, Künstler, Wis­ stab des NS-Ministers Albert Speer. senschaftler erhalten. Selbst, mit wun­ Kultur-Zerstörung: Im März 1945 derlichen Verrenkungen, der Weg von treffen Spreng-Bomben und Brand-Bom­ Grote über Hugo Bruckmann in die ben. Das Bauhaus brennt völlig aus. Nach Reichsleitung des Kampfbundes für deut­ den Bomben wird das Gebäude notdürftig sche Kultur, der NS-Kultur-Zentrale, und geflickt. Bis 1948 wird der Berufsschul- von dort ein positives Schreiben von Al­ Trakt erneuert. Im Werkstatt-Bau treten an fred Rosenberg, haben keinen Einfluß auf die Stelle der Vorhang-Fassade aus Stahl die örtliche NS-Fraktion. und Glas nun Ziegel-Mauern mit ordinä­ Für die Auflösung: eine Mehrheit. Ge­ ren Fenstern. In dieser Zeit sind im Ge­ genstimmen: Nur Oberbürgermeister Fritz bäude die beiden Gymnasien für Jungen Hesse und vier Kommunisten. Stimm- und für Mädchen untergebracht. Der spä­ Enthaltungen: Sozialdemokraten. Be­ tere Architektur-Kritiker der „Zeit“, Man­ gründung: Ihre lange Unterstützung habe fred Sack, macht hier sein Abitur. Er sagt, sie Wähler-Stimmen gekostet. es habe damals kein Bewußtsein vom Das Bauhaus wird zum Ende Sep­ „Bauhaus“ gegeben. Dies bestätigen vie­ tember 1932 aufgelöst. le alte Leute. Berlin 1932 / 1933. Zwei sozialde­ Gescheiterter Neuaufbau. 1945 ver­ mokratische Städte bieten die Weiter­ sucht der Bauhaus-Schüler Hubert Hoff- führung an: Magdeburg und Leipzig. Aber mann auf Initiative des wiedereinge­ Mies van der Rohe entschließt sich, das setzten Bürgermeisters Fritz Hesse das Bauhaus als private Schule in Berlin fort­ Bauhaus wieder zu eröffnen, aber eine zuführen. In einer leerstehenden Telefon- Intrige und der beginnende Kalte Krieg Fabrik in Steglitz (Birkbuschstraße). Am zwingen ihn, in den Westen zu flüchten22. 11. April 1933 durchsucht und versiegelt 1951 ächtet das Zentralkomitee der SED die Gestapo das Gebäude. 19. Juli 1933. das Bauhaus. Nach ergebnislosen Verhandlungen lösen Erste Wiederherstellung 1960 / die Meister in einer Versammlung im Ate­ 1961. Die Westseite erhält nun, auf In­ lier von Lilly Reich, nach Diskussion der itiative des Stadtarchitekten Hans Krause äußerst diskriminierenden Bedingungen, und des bereits am Bau 1925 /1926 täti­ auf Antrag von Mies van der Rohe das gen Carl Sturkopf, eine eigentümliche Bauhaus auf. Rekonstruktion. Die Entwerfer hätten sie als „nachempfunden“ bezeichnet: in den beiden Obergeschosse des Werkstatt-Bau­ es drei weiße durchlaufende Brüstungs- Umwandlung - Bänder. Zwischen ihnen sind breitere Zerstörung - Glas-Flächen angelegt. Im Sommer 1964 wird das Gebäude Rekonstruktion aufgemessen und untersucht - als Grund­ lage für eine weitere Rekonstruktion. Die Paradox: Ausgerechnet im „kultur­ Leitung der Studenten-Gruppe haben Karl bolschewistischen“ Bauhaus etabliert sich Heinz Schlesier (Stadtbauamt) und Kon- in Teilen die Landes-Frauenarbeitsschule, rad Püschel (inzwischen Professor an der im Oktober die NS-Gauführer-Schule. Hochschule für Architektur und Bauwe­ Auf der grauen Fläche des Kubus haben sen in Weimar). die Machthaber die Schrift BAUHAUS Langsame Wiederbelebung. 1964 abgenommen und auf die Westseite den zeigt die Galerie Georgium Kunst, die am Adler mit dem Hakenkreuz gesetzt. Im Bauhaus entstand. 1976 wird das Bau­ 2. Weltkrieg ziehen die Wehrmacht und haus unter Denkmal-Schutz gestellt und das Konstruktions-Büro der Junkerswer­ rekonstruiert. 1979 entsteht im Bauhaus ein „Wis­ ter und meiner Großmutter hat es Spaß ge­ senschaftlich-Kulturelles Zentrum“. Es macht. Mir auch. Meinen Eltern weniger. baut eine Sammlung auf. 1986 geht daraus In den 60er Jahren, als die Leute alle Fern­ das „Bauhaus Dessau - Zentrum für Ge­ sehen geguckt haben, ist es wieder einge­ staltung der DDR“ hervor. Initiator war gangen. Bernd Grönwald (Hochschule für Archi­ Wenn die Holzhauern zum Vespern tektur und Bauwesen in Weimar und Ber­ gekommen sind, dann haben sie nach lin). Wald gerochen. Sie haben nur ein Bier Genaue Rekonstruktion. 1976 / bei uns gekauft. Und dann ihre Wurst her­ 1978 wird das Gebäude philologisch ge­ ausgeholt, in Scheiben geschnitten und nau rekonstruiert. Eine Tat, für die die zum Bier gegessen. Welt den daran Beteiligten sehr dankbar In Weimar habe ich Städtebau stu­ sein darf. Das Projekt der Rekonstruktion diert und ein Praktikum gemacht. In Wei­ erarbeitet Wilhelm Schulze (VEB Indu­ mar ist man als Student sehr von den Stu- strieprojektierung Dessau). Die Bauar­ denten-Klubs geprägt worden. Es waren beiten leitet das Büro des Stadtarchitekten wohl die besten, die es in der DDR gab. mit Wolfgang Paul, Gerhard Plahnert, Den Kasseturm, ein alter Turm von der Chefkonservator Hans Berger) sowie die Weimarer Stadtmauer, wo man zur Kas­ früheren Bauhaus-Studenten Konrad Pü- se gebeten wurde in mittelalterlicher oder schel, Selman Selmanagic und Carl Marx. nachmittelalterlicher Zeit. Das war eine Ise Gropius besucht 1979 das Bau­ Art Heimstatt und wurde von den Stu­ haus und schreibt ins Gäste-Buch: „nach denten selbst betrieben. Es gab dort einen 57 Jahren das erste Wiedersehen mit wie­ gewissen Freiheits-Grad, den man sonst derhergestelltem Bauhaus! Welch ein Er­ in der DDR nicht vermutete. Dort trat lebnis das meinem Mann nicht mehr be- zum Beispiel auch Biermann auf. Es gab schieden war!... The visit in the Bauhaus einen kleinen Skandal, aber das gehörte was like a conversation with Gropius for dazu. me.“ Diese Klubs und Studenten-Organi- Am 1. April 1984 nimmt das Bil­ sationen, die mit den Klubs verbunden dungszentrum Bauhaus Dessau seine Ar­ waren haben das ausgereizt. Es gab jeden beit auf. Am 1. Januar werden seine Auf­ Donnerstag einen Vortragsabend. Da wur­ gaben und die des wissenschaftlich-kul­ den Leute eingeladen, die die Studenten turellen Zentrums in einer neuen Institu­ reizvoll fanden, nicht die Professoren. tion zusammengefaßt. „Im Bauhaus Des­ Und da waren eben Leute wie Biermann sau entstand eine Stätte der Bildung und dabei. Und andere, von denen man kultu­ Forschung auf den Gebieten Städtebau, rell-wissenschaftlich-architektonisch et­ Architektur, Produktgestaltung und ar­ was erwartete und die gegen den Strich chitekturbezogener Kunst. Sammlung, bürsteten, von denen man Diskussion und Werkstatt, Akademie...“ neues Denken erhoffte. Es war immer eine sehr kritische At­ mosphäre in diesen Klubs. Die Hoch- Der Klub im Bauhaus schul-Leitung war einerseits ganz froh und führte den Delegationen aus dem We­ Rolf Kuhn, Direktor des Bauhauses sten stolz diese Klubs vor. Sie hatten eine von 1988 bis 1998: „Groß geworden bin tolle Atmosphäre. Das spürte man gleich. ich in einem Gasthaus. Ein Dorf mit 75 Das prägte mich mit und deshalb woll­ Einwohnern kann sich an sich kein Gast­ te ich, als ich ins Bauhaus kam, sofort haus leisten. Gelebt haben meine Eltern diesen Klub. Cafe wär mir zu wenig ge­ von der Landwirtschaft. Dieses Wirts­ wesen. Cafe gibts woanders. Der Name haus, das war mit dabei. Meinem Großva­ Klub war verbunden mit dieser Form der Der östliche führt zur Gropius-Allee und damit zum wichtigsten alten Zugang des Bauhauses. Der nördliche kommt vom Bahnhof über die >Bauhausstraße< (Nord­ ausgang erst 1938). Am Gelenk-Punkt (Seminarplatz) der beiden Achsen Bahnhof und Bauhaus be­ gegnet einer jungen Frau, die sich mit dem Bauhaus intensiv beschäftigen möch­ te, eine Plastik (1988; 1985 aufgestellt) von Max Bill. Bill studierte am Bauhaus und gründete 1952 eine ähnliche Institu­ Ausstellung. Da gibt es jetzt auch einen tion: die Hochschule für Gestaltung in Jazz-Klub. Den gab es in Weimar auch. Ulm (1969 geschlossen). Das sollte ein kultureller Ort sein und Walter Gropius, so hat die junge Be­ nicht nur ein Ort, wo man ißt und trinkt. sucherin gelesen, hat seinen Gästen ge­ Er konnte nicht gleich eröffnet wer­ sagt: „... man muß rund um diesen bau den. Da gab es politische Probleme. Sie herumgehen...“24 sagten: .Der Kuhn baut da eine Kneipe Die Frau weiß von alten Fotos, daß in und da trifft sich dann die Opposition. ‘ den 20er Jahren das ganze Terrain aus Der Klub ist aber noch ein Kind der Feldern bestand und daß das Bauhaus in DDR. Er entstand 1989, direkt in der einiger Entfernung von der Stadt auf die Wende. War aber vorher schon konzipiert grüne Wiese gesetzt wurde25. und auch gebaut. Immer so ein bißchen im Verborgenen - mit Hausmeister und Fei­ erabend-Brigaden. Man sieht: diese Stei­ ne sind alle noch Produkte aus DDR-Zei- ten. Mit einfachsten Mitteln haben wir es gemacht. Ich wollte auch von Anfang an Stu­ denten aus verschiedenen Gestalter-Schu­ len der DDR hier am Bauhaus haben. Die erste Studenten-Arbeit, eine Diplom-Ar­ beit, ist dieser Klub. Eine Design-Stu­ dentin aus Halle und ein Architektur-Stu­ dent aus Weimar haben dann gemeinsam diesen Klub entworfen. Und der Betreuer war Dieter Bankert, ein sehr sensibler Ar­ chitekt. Die beiden haben ihre Arbeit in Halle und in Weimar verteidigt und beide eine eins bekommen. Es war wirklich ei­ ne sehr gute Arbeit.“

Die ästhetische Insze­ nierung des Bauhauses Zwei Wege gibt es, um das Bauhaus zu erreichen. Begrüßung in Dessau: Max-Bill-Plastik Diese städtebaulichen Zusammen­ kung zustande? fragt sie das Gebäude ab. hänge sind heute nicht mehr sichtbar, Das Sockelgeschoß, ein Stück in der Er­ denkt sie, nur durch ein sprechendes Ge­ de, ist grau und leicht eingezogen, d. h. dächtnis in Form einer Tafel können wir weniger breit26 - das ordnet unter und sie uns erschließen. entzieht der Greifbarkeit. Sie findet später Im Westen liegen die Junkers-Werke. diesen Trick auch an den weiteren Bauten: Sie sind der wichtigste wirtschaftliche Es sieht so aus, als gäbe es keine Sockel. Grund, warum Oberbürgermeister Fritz Das Gebäude wirkt leicht und schwebend, Hesse das Bauhaus 1925 von Weimar als ob es atme, als ob es Luft hole und nach Dessau holen konnte. leicht abhebe. Der Gebäude-Komplex selbst signa­ Wie sind solche Erscheinungs-Wei­ lisiert, daß es in Zukunft nicht allein auf sen erzeugt? Das Weiß, sieht sie, ist die dem Feld stehen wird, sondern daß es ei­ Farbe der Leichtigkeit. Auch mit weiteren ne Initial-Zündung für die Anlage einer Mitteln ist der Wand der Charakter der Vorstadt sein möchte. massiven plastischen Mauer genommen. Gegensätzlichen Großformen. Von Sie ist nicht gestuft, sondern wie eine Osten (Bahnhof-Seite) aus kommend er­ imaginäre Fläche ausgebildet, als sei sie lebt die Besucherin anschaulich einen Ge­ aus weißem Papier oder gespanntem Se­ gensatz: langgestreckt breitet sich der geltuch. Brücken-Trakt aus - und vor ihm steigt Die Fenster des Atelier-Hauses liegen seitlich der hohe Kubus des Atelier-Hau­ nicht in der Tiefe der Mauer, sondern in ses auf. dieser gespannten hellen Ebene. Sie er­ scheinen wie aus einer Folie gestanzt27. Völlig überrascht entdeckt sie, daß im Brücken-Trakt die Fenster sogar hand­ breit vor der weißen Fläche liegen - eine völlig unfaßbare Konstruktion. Später wird sie dieselbe Konstruktion im Hör­ saal-Trakt und an der Vorhang-Fassade des Werkstatt-Baues finden. Gitter-Netz. Nun bemerkt die junge Frau, daß die Fenster nicht die üblichen Teilungen haben, sondern eine ganz an­ dere Gliederung: Schwarze Eisenstäbe bilden ein Gitter. Es erscheint wie ein Netz. Diese Netzgitter-Flächen, so er­ kennt sie, führen die imaginäre Fläche auch über die Öffnungen weiter. Zusammengebundene Gegensätze. Schillern der Wirkungen. Diese So sind die Fenster einerseits durch ihr Höhe wirkt eigenartig: mal erscheint sie Glas transparent, andererseits aber ist die­ sehr hoch, mal weniger - sie hat etwas se Transparenz an die imaginäre Flächig- Schwankendes. Die Frau ahnt, daß dieses keit gebunden. Und auch das Weiß der Schillern der Wirkungen sie nun begleiten Fläche hat Transparenz. Die Frau denkt: wird. Hier sind in der raffiniertesten Weise Ge­ Schweben. Der Kubus scheint vor gensätze zusammengebunden: das Ele­ ihren Augen zu schweben. Er ist eine Um­ mentare der klarsten Ordnung, die sich kehrung der traditionellen Gestaltung von in der Fläche ausdrückt - und zugleich das Baumassen mit dem Prinzip der Schwer­ Geheimnisvolle der Transparenz, das kraft-Ästhetik^ Wie kommt diese Wir­ nicht faßbar ist. Poetik. Diese Transparenz wirkt poe­ Stehenbleiben / bewegen. Der Be­ tisch. Und sie poetisiert auch die Ord­ sucherin wird deutlich, was die Insze­ nung. Der Frau geht auf, warum viele nierung strukturiert: sowohl Bilder wie Nachkriegs-Bauten, die dem Einfluß des Abläufe. Das Atelier-Gebäude erscheint Bauhauses zugeschrieben wurden, fast ihr wie ein Bild und die beiden Gebäude, nichts mit ihm zu tun haben. Sie triviali- die hinter ihm an beiden Seiten erschei­ sierten es, denkt sie, ihre Entwerfer haben nen, geben ihr den Eindruck von Abläu­ nicht mitgelernt, was diese Poetik am fen, Prozessen. Was sie hier an einer Stel­ Dessauer Bauhaus ist. le sieht, begegnet ihr im Weitergehen im­ Blick-Punkt. Die Frau geht unter dem merzu: sie bleibt überrascht stehen, weil Brücken-Trakt durch und zum westlichen vor ihr ein Bild entsteht - und zum Ste­ Platz. Dort steht eine Telefon-Zelle und als henbleiben herausfordert. sie hineingeht und den Hörer in die Hand Es gibt die Bilder, die die Fotografen nehmen will, um rasch jemanden anzuru­ herausgefordert haben: die Zeitgenossen fen, ist sie wie vom Blitz angerührt: dies Lucia Moholy, Laszlo Moholy-Nagy und ist die Stelle, die ihr das Bauhaus mit ei­ Erich Consemüller. ner besonderen Faszination erschließt. Aber die aufmerksame Akteurin merkt, daß die Bilder in sich in Bewe­ gung sind und deshalb geradezu moto­ risch, wie ein Film, dazu treiben, dieser Bewegung nachzugeben und weiterzuge­ hen. So setzen die schwankenden Bilder den Film in Gang. Und der Film friert ein zum Bild. Und das Bild kippt zum Film. Und der Film bleibt stehen. Und einen Konglomerat. Sie erlebt den Kom­ Augenblick balanciert das Bild. Und be­ plex als eine Vielzahl von Bauten. Das wegt sich weiter. Und so fort. Dies ist ei­ linke Gebäude ist der Hörsaal-Trakt, die ne starke Spannung. Brücke die Verwaltung und Bibliothek, Übrigens: Gropius setzt in seinem rechts die Werkstätten, auf der Ost-Seite Buch 1930 Film-Bilder zwischen Foto­ der niedrige Theater- / Mensa-Bau und grafien28. dahinter das Atelier-Haus. Die Gruppie­ Spannungs-Motorik. Das drama­ rung erscheint ihr funktional bestimmt, tischste an diesem Wechsel ist, daß er mit aber rasch überlegt sie, daß ihre ei­ feiner Spannungs-Motorik in allen De­ gentümliche Anordnung darüber hinaus­ tails eingebaut ist. Serien von Fenstern geht: wohl mehr Sinn beinhaltet. Doch sind nicht einfach Wiederholungen, son­ ist ihr dies zunächst undurchschaubar. dern ein Element weist auf das ähnliche nächste. So bedeutet dann die Wieder­ kehr den Bezug zueinander. Nach rück­ wärts wie nach vorwärts. Wie in einem Die Inszenierung: Film. Stehenbleiben und sich Nicht-Fixierendes. Nach dem Ate­ lier-Haus entsteht so etwas wie eine klei­ bewegen ne Hof-Situation vor dem Theater-Ge­ bäude, aber ohne eine Fassade, die fixiert. Die junge Frau beschließt, dieses Überhaupt fixiert hier nichts. Konglomerat von allen möglichen Seiten Balance der Weg-Entscheidung. Der anzulaufen, um herauszufinden, was dar­ Raum mit seinen Pfeilern unter dem in an Inszenierung steckt. Brücken-Trakt ist eine dramatische Ein- schnürung. Dann muß sich die Akteurin Auch Gropius hat diese transparente entscheiden. Selbst entscheiden. Denn die Vorhang-Wand aus einem Netz an Stahl- Inszenierung nimmt ihr das nicht ab wie Gittern und Glas als bis dahin konse­ ältere Inszenierungen, etwa an absoluti­ quenteste Gestaltung dieser Art empfun­ stischen Schloß-Anlagen. Hier emanzi­ den29. Gropius (1930): „die außenwand piert die Bau-Gestalt bei der Akteurin das des Werkstattbaues ist ganz [!] in fenster­ Urteil, den Willen und die Entscheidung. sprossen mit spiegelglasverglasung auf­ Sie sieht unmittelbar links und rechts Ein­ gelöst [!].“ Und er erklärt die Technik an, gänge. Aber unwillkürlich dreht sie sich die nicht genau sichtbar ist: „die tragpfei- und empfindet so etwas wie einen Hof, ler stehen im innern hinter der glas- der sich nach Westen öffnet. Sie ent­ wand.“30 scheidet sich, noch nicht ins Gebäude zu Mit dem Blick sucht die Akteurin gehen. durch das ausgebreitete Netzgitter aus Ei­ Das Inkommensurable. Die Akteurin senstäben und Glas in die Räume einzu­ versucht zu fotografieren. Aber das gelingt dringen. ihr überhaupt nicht. Dies zeigt: das Wich­ Gitter war in der Baugeschichte stets tigste ist nicht das stehende Bild, sondern eine Spannungs-Form: ein Schwanken der szenische Ablauf. Sie erkennt, daß zwischen Verhüllen und Enthüllen. diese Struktur bei aller Ordnung uner­ Walter Gropius (1930): „in der ent- schöpflich, d. h. inkommensurabel ist. wicklung der modernen bauweise wird das glas als moderner baustoff gerade in­ folge der zunehmenden Vergrößerung [!] Die Inszenierung: der Öffnungen eine wesentliche rolle spie­ len. seine anwendung wird unbegrenzt [!] Transparenz und sein und nicht auf das fenster beschränkt Schräg-Sicht bleiben [!]; denn seine edlen [!] eigen- schaften, seine durchsichtige klarkeit [!], Der Sog der Transparenz. Die Akteu­ seine leichte, schwebende [!], wesenlose rin geht nach rechts: entlang der großar­ Stofflichkeit [!] verbürgen ihm die liebe tigen transparenten Wand des Werkstät- der modernen baumeister“31. ten-Traktes (Gropius-Allee). Hier wird Architektur als Bühne. Die auf­ sie in die Transparenz des Gebäudes hin­ merksame Akteurin sieht vielerlei Ge­ eingenommen. schehen auf dieser weit entfalteten Bühne. Wo hat sich je zuvor in der Geschich­ Sie entwickelt sich in mehreren Stock­ te ein Gebäude so geöffnet? fragt sie sich werken mit vielen Räumen. Die Wahr­ und macht einen schnellen Streifzug durch nehmbarkeit schillert hin und her: zwi­ die Baugeschichte. schen Deutlichkeit und Ahnung, zwischen Offenliegen und Verstecken. Die vielen Wodurch geschieht dieses Weiterleiten Vorhänge verstärken dies: sie können be­ fragt sich die Frau? Sie sieht, daß die Cha­ wegt werden. raktere dieser beiden Bau-Bereiche höchst Kontrapunkt. Nach einigem Ver­ unterschiedlich geformt sind und aufs weilen versucht die Akteurin, sich vom Härteste nebeneinander, nein, gegenein­ Gebäude zu lösen. Sie ist gespannt, ob ander gestellt sind. das Gebäude dies zuläßt. So entsteht durch den Kontrast Span­ Aber das Vorhaben wird verhindert: nung. Das Wesen der Spannung ist Zu­ vom hohen grauen Kubus. Im Osten, et­ sammenhang - und zwar als dynamische was zurückliegend, setzt er einen totalen Bewegung. Langsam durchwandert sie Kontrapunkt. den ausgebreiteten Reichtum der Trans­ Spannung als dynamische Bewe­ parenz des Gitter-Netzes. gung. Dann geht die Frau absichtsvoll ei­ Schräg-Sicht. Besonders aufregend nige Schritte nach Süden, bis zum älteren findet die neugierige Akteurin, daß ihr Krankenhaus: sie möchte erleben, wie die Blick fast nie in der Achse, sondern meist Inszenierung abläuft, wenn sie als Akteu­ schräg läuft. rin von dieser Seite aus ankommt: Hier Sie erinnert sich an die aufregenden begegnen in den 20er Jahren die Leute Schrägen in vielen Fotografien der 20er dem dem Bauhaus. Der Ankommende er­ Jahre. Was war zuerst da? fragt sie sich. hält ein deutliches Signal, angelegt auf Hat eine avantgardistische Fotografie oder Femwirkung: Souverän auf der weißen vielleicht der Film den Entwerfern diese Fläche stehen von oben nach unten die schrägen Sichten gegeben? Oder haben großen Buchstaben BAUHAUS. Die die Entwerfer sie gehabt und die Foto­ Schrift ist hier größer als an den beiden grafen sie aufgenommen? Oder entste­ Eingängen. hen sie gleichzeitig aus dem gleichen Kontext. Oder in wechselseitigem Aus­ tausch? Was ist das Aufregende daran? fragt die Akteurin weiter. Der schräge Blick ist labil. Ist immer in Bewegung. Setzt alles, was er sieht, in Bewegung. Dann bemerkt sie, daß an die Stelle der Achsen, die weit­ gehend aufgegeben wurden, oder zumin­ dest immer gestört werden, die span­ nungsvolle Schräg-Bewegung getreten ist.

Die Akteurin läuft auf der rechten Straßen-Seite. Da begegnet ihr zunächst der hohe graue ziemlich geschlossene Ku­ bus. Er ist kein wirklicher Punkt zum Ein­ halten, sondern ein Element der Spröde: auch weil er so schmal ist, weist er un­ mittelbar auf die faszinierende Transpa­ renz des Werkstätten-Traktes. Der breite Rasen-Teppich sorgt für Abstand: zum Schauen. Bauhaus und Junkers-Flugzeug (1927) Scharfe Ecke. Am meisten wird der Aber dort bleibt der Blick nicht hängen, schräge Blick herausgefordert an den sondern läuft weiter zum schwebenden Ecken. Diese sind meist so scharf, ja spitz, Brücken-Gebäude. Sein Mittelteil wird daß sie provozieren. stark grafisch akzentuiert: durch schwarze Die scharfe Ecke ist das einprägsam­ Balken unter und über dem Gitternetz- ste Motiv expressionistischer Architektur Band der Fenster. der 20er Jahre, am spektakulärsten im Mitte? Die Akteurin versucht, sich Chile-Haus in Hamburg. Die Akteurin in diesem eigentümlichen Hof eine Mit­ merkt, daß auch die andere Ausdrucks­ te zu suchen. Warum tue ich das? fragt sie sprache des Bauhaus-Entwurfes schar­ sich. Ach, natürlich bin ich auch harmo­ fe Ecken hat. Ihr geht durch den Kopf, nie-süchtig. Es gelingt ihr einen Augen­ daß es Strukturen gibt, die in unterschied­ blick. Sie sagt sich: Das ist wohl ein lichen Ausdrucks-Sprachen ähnlich sind. bißchen intendiert. Sie weiß, daß der Bau­ haus-Direktor Walter Gropius sein Zim­ mer oben im Brücken-Trakt genau in der Achse der Straße hatte. Es gibt also doch Inszenierung: irgendetwas wie eine Mitte. Aber danach die offene, muß ich suchen. Und wenn ich meine, sie gefunden zu haben, wird sie in Frage ge­ spannungsvolle Mitte stellt. Durchfahrbares Gebäude. Die Be­ Ständige Bewegung. Die schweben­ sucherin beginnt über die Brücke zu stau­ de weiße Streifen-Fläche fließt wie ein nen, eine der größten Überraschungen an Band und führt die Akteurin weiter. So diesem Gebäude. Lange denkt sie darüber geht der Blick dann im Sprung auf die nach. Wieso ausgerechnet eine Brücke. weiße Fläche, die den Quer-Trakt des Notwendig? Nein. Die Straße hätte vor Hörsaal-Flügels signalisiert. Ihre Füße dem Gebäude enden können. Ein Behelf? folgen dem Blick. Nein. Praktisch? Wohl kaum. Aber warum Zwischen Werkstatt-Trakt und Hör- dann eine Brücke? saal-Flügel bildet sich ein Raum, der wie Ihr geht durch den Kopf: In den 20er ein Hof wirkt. Der Blick bleibt nicht ste­ Jahren waren viele Leute, und wohl auch hen. Die schwarzen Fenster-Bahnen Gropius, fasziniert von den neuen Trans­ führen weiter - über den Hof hinaus. portmitteln und ihren Geschwindigkei­ Ein Kontrast fängt den Blick ab: Das ten. Eine verrückte Idee: Gropius und Fie- aufrechtstehende schwarze Gitterfeld vor ger entwerfen ein Gebäude, in dem sie den Treppen über dem Hörsaal-Eingang. mittendurch fahren können. Die Mitte als Bewegung. Natürlich kommt der Akteurin ein kri­ tischer Gedanke: Heute, nachdem sich die Mittel der Schnelligkeit allgegenwär­ tig und allesfressend ausgebreitet haben, ist diese Idee nur noch als historisches Ereignis faszinierend. Unterschiedliches vereint. Diese Stelle ist ein Ort eigentümlicher Span­ nung: sie vereint die unterschiedlichsten Bereiche. Rechts hat die Akteurin noch ei­ nen Teil des gerade Erlebten neben sich, links einen ganz anders gestalteten Be­ reich und vor sich das überraschende Mo­ tiv des schwebenden Quergebäudes und des weit geöffneten Durchblicks. Dadurch bleibt der Hof nicht in sich geschlossen ruhend, sondern völlig un­ ruhig: entweder, so fühlt es die Akteurin, gehe ich links oder rechts in einen der Flügel oder ich folge dieser Spannung. Zwei surreale Bilder. Der Blick der Akteurin fällt nun über dem rechten Ein­ gang auf das hohe Gitternetz-Fenster: es wirkt wie ein Bild, denkt sie, ein surrea­ listisches Bild, denkt sie weiter - denn dort laufen im Spiegel die weißen und schwarzen Bänder des Brücken-Traktes weiter. Auch über dem gegenüberstehen­ den Eingang findet sie ein solches Bild in der Architektur. Auflösender Schräg-Blick. Sie ent­ schließt sich erneut, noch nicht das Ge­ bäude zu betreten. Und folgt den Impul­ sen, sich schräg zu orientieren. Nun saugt rasch der Durchgang zwischen den breit auseinanderstehenden Stützen die Auf­ merksamkeit der Akteurin an. Er bildet ei­ nen Raum, der riesig erscheint. Doch so­ fort entsteht der Durchblick. Die schrägen Blicke lösen feste Situationen auf. Und wieder geht die Aufmerksamkeit in die Schräge. Zum niedrigen Theater- Trakt, zum Treppen-Aufgang mit seinem Eingang, begleitet von seitlichen Fen­ stern32. Und dann hebt der Blick ab: scheint in die Höhe des aufsteigenden Atelier-Hau­ ses (Preller-Haus) zu fliegen und gerät dabei ins Trudeln. Die neugierige Akteurin entschließt sich, weiterzugehen: um das hohe Haus herum.

Pantomimen-Szene. Sie tritt einige Schritte zurück und sieht oben in den bei­ den Fluren des Brücken-Ganges von jeder Seite jemanden gehen, wie von Fäden ge­ zogen, geradezu marionettenhaft anein­ ander vorüberpassieren und weglaufen. Das erscheint ihr wie eine Szene aus Oskar Schlemmers Bauhaus-Theater. Inszenierung: der Blick Langsames In-Szene-Setzen. Nun kommt hinter der Kante des Gebäudes der Meister auf ihrem im Osten langsam der Werkstatt-Trakt in täglichen Weg den Blick. Mit der Bewegung der Akteu­ rin setzt er sich mehr und mehr in Szene. Eine weitere Inszenierung ist die An­ Die Akteurin assoziiert, ihr Blick sei kunft vom Norden, einst von der Fried­ eine fahrende Film-Kamera. richsallee, heute von der Gropius-Allee. Überraschung. Als sie an die Ecke Weg der Meister. Die Akteurin des Hörsaal-Baues kommt, wird sie über­ weiß, daß es der Weg ist, den morgens rascht - durch einen atemberaubenden Gropius, Meyer, Mies van der Rohe, Kan­ Schräg-Blick: oben schwebt der Brücken- dinsky, Moholy-Nagy, Feininger, Muche, Trakt, unten öffnet die Brücke erst einen Schlemmer, Klee, von ihren Meister-Häu­ überdeckten Raum und läßt dann den sern zum Bauhaus machten: Es ist ihr Blick in die Weite gehen. Im Hof geschieht Blick. nun Gegensätzliches: ein bißchen Mitte, Bauhaus-Klischee. Die Akteurin ein auflösender Schräg-Blick, die weitere stellt sich vor, daß sie, als es die Häuser­ Inszenierung führt zum Atelier-Haus. zeile entlang der Straße noch nicht gab, Es fasziniert sie, im Brücken-Trakt schon von weitem das Hörsaal-Gebäude zu beobachten, wie dort Menschen hin- und hergehen. sahen: schwebend, im Kontrast von Schwarz und Weiß. Sie erinnert sich, daß diese Fassade im Laufe des Jahrhunderts unendlich oft zitiert wurde: eine weiße Inszenierung: Fläche mit drei über die gesamte Fläche laufenden Fensterbändern. das Umkreisen Es gibt noch eine weitere Inszenie­ rung. Die neugierige Akteurin hat längst gemerkt, daß dieses Bau-Agglomerat da­ zu auffordert, es zu umkreisen. Nach wei­ teren Umgangs-Weisen zu suchen. Darin drückt sich dreierlei aus: Der Bau ist in­ kommensurabel. Er zwingt niemanden in ein vorgegebenes Schema. Er emanzipiert die Akteurin: zum Entdecken. Dynamisierte Bewegung. Sie biegt im Osten von der Gropius-Allee auf den Wirtschaftsweg ein. Auf diesem Gelände, so weiß sie, gab es in den 20er Jahren ei­ ne Wiese, auf der die Studenten Sport trie­ Sie vermutet, daß diese Seite des Ge­ ben33. Sie ist also ein Raum für vielerlei bäude-Komplexes ein Klischee-Bild for­ Bewegung, vor allem für dynamisierte mulierte: leicht eingängig, gut merkbar, Bewegung. Die Dynamisierung der Be­ einfach. Aber damit auch simplifizierbar wegung, kommt der Akteurin in den Sinn, - für die Falle der Verballhornung. sehe ich in der Forcierung der Blick-Wei­ Die Süd-Fassade hingegen ist span­ sen: in den aufregenden Schräg-Blicken. nungsreicher: im ersten Teil von unten Abstand als Spannung. Die Wiese bis oben ein weißes Feld, im zweiten Teil hält die Akteurin im Abstand zu den Ge­ schweben übereinander drei schwarze bäuden. Dies drückt nicht Distanzierung Bänder. aus, sondern Spannung. Rund ums Haus gibt es solche fla­ chen, abstrakt geschnittenen Rasen- Flächen, teilweise mit einer einfachen Markierung aus Eisenstangen verdeut­ licht. Gleichwertigkeit der Seiten. Zu­ nächst geht ihr Blick an der Ost-Seite des Werkstatt-Traktes entlang. Sie bemerkt, daß es hier, wie auch sonst, keine Vorder- und Rückseite gibt, sondern daß alle Sei­ Auf der Hälfte dieser Bewegung, in­ ten gleichwertig sind. Rasanter Blick. Dieser Blick geht ra­ tensiviert sie sich räumlich: eine balkon­ sant in die Tiefe. Zum offenen Treppen­ artige Terrasse beginnt. Und dann steigt haus. Er scheint durch die großen, mit das Atelier-Haus hoch35. Daran wieder­ keinem Gitter versehenen Öffnungen holen sich die Baikone in kleinerem For­ (Ganzglas), in das gesamte Treppenhaus mat. Unglaublich bewegt ist diese Szene­ eindringen zu können. Wieder erinnert rie. sich die Akteurin an eine Kamera-Fahrt: Szenerie und Bewegung. Sie heftet jäh - wie sie der Film-Regisseur Murnau die Akteurin nicht an einen festen Punkt, erfand, als er den Apparat an einem Seil sondern läßt sie rasch merken, daß sie schräg auf ein Objekt in die Tiefe stürzen von ihr ebenso Bewegung fordert. Je mehr ließ. sie sich bewegt, desto mehr hat sie von der Szenerie. Desto mehr erlebt sie. Und im­ merzu Neues. Überraschung auf Überra­ schung. Verklammerung. An der Ost-Seite wird am deutlichsten, wie sehr sich die Trakte verklammern: sich ineinander schieben, sich räumlich übereinander le­ gen. Hier erfährt es die Akteurin beim Umkreisen. Im Zentrum des Außenrau­ mes, vor dem Brücken-Trakt, wird dieses Verklammern als ein Durchschneiden ge­ radezu extrem deutlich: der Straßen-Raum durchschneidet das Gebäude. Nacht-Sicht. Walter Gropius (1930): Ruhe-Kontrast. Rechts davon hält „die nachtbeleuchtung läßt das konstruk­ ein weißes großes Feld (die Schmalseite tive gerüst des baues besonders gut er­ des Brücken-Traktes) den sich bewegen­ kennen.“ den Blick einen Augenblick fest: auf sei­ Die Journalistin Nelly Schwalacher nem ruhigen Kontrast. 1927: „Einen besonderen... Eindruck bie­ Die bewegte Szenerie. Aber sofort tet das Riesengebäude bei Nacht, wenn erscheint gegen diese hohen Formen ein wie am Tage der Einweihung sämtliche neuer Kontrast: die eingeschossige Ost- Räume beleuchtet waren und so einen Fassade des Theater-Traktes. Zwei weiße Lichtwürfel bildeten, der durch und durch Streifen-Felder fassen ein schwarzes Fen­ sichtbar an seinen Außenseiten durch die ster-Band34 und bewegen sich in ausge­ Eisenkonstruktion quadriert und gefaßt dehnter Breite. wurde.“36 Die ästhetischen und der Farbe zusammen. Und weil es so bindend ist, können sich in ihm die größ­ Gestalten ten Gegensätze entfalten. Die größtmög­ liche Spannung. Die schwarze imaginäre Fläche. Un­ Schwarz-Fläche / schwarzes Netz­ ter dem Brückenbau blickt die junge Frau gitter. Unsere neugierige Beobachterin auf die niedrige, eingeschossige Fassade, schaut sich um und erkennt, daß die Netz­ hinter der der Zuschauer-Raum, die Büh­ gitter das Prinzip der Fläche nun in ne und die Mensa liegen. Schwarz und im Glas weiterführen. Und Wieder sieht sie die beiden weißen sie sieht, daß die Tür zum Atelier-Haus Streifen-Flächen - unten und oben. Und (Preller-Haus) in ihren Details ähnlich zwischen ihnen stehen Fenster. Und zwi­ geformt ist: Unten hat sie eine schwarze schen den Fenstern entdeckt sie verblüfft, Fläche und darüber ein schwarzes Netz­ daß die Flächen schwarz gestrichen sind. gitter. Kontrastbildende Streifen-Flächen. Die Besucherin geht einige Schritte wei­ ter, dreht sich um und schaut sich das lan­ ge Brücken-Gebäude an. Jetzt versteht sie den Aufbau der Fas­ sade: sie beginnt mit einer schwebenden weißen Streifen-Fläche, darüber schwebt eine schwarze Streifen-Fläche, gebildet vom Gitternetz und vom Glas, darüber schwebt erneut eine weiße Streifen- Fläche, eine zweite schwarze Streifen- Fläche und als letztes eine weiße Streifen- Fläche. Ähnlich sind an der West-Seite des Atelier-Hauses hoch oben zwischen den schwarzen Fenstern die Pfeiler schwarz gestrichen.

Also fünf Streifen-Flächen. Drei weiße Streifen, zwei schwarze Streifen. Übersichtliche Zahlen: drei und zwei. Die Akteurin erinnert sich an ein Zitat von Max Osbom in der Vossischen Zeitung zur Einweihung (4.12.1996): „Noch nie Jetzt wird ihr klar: Es gibt weiße hat sich der Grundsatz der klaren, kubi­ Flächen. Und es gibt schwarze Flächen. schen Fügung, das System des unver- Dasselbe Prinzip der imaginären Fläche, wischten Kontrastspiels von geradlinig das alles durchstrukturiert, hält den größ­ durchgeführten Horizontalen und Verti­ ten Gegensatz im Charakter der Helligkeit kalen mit so starker Wirkung an einem Exempel bewährt.“ Helle und dunkle Und da entdeckt sie, daß er ähnlich Streifen-Flächen stoßen aufs Härteste auf­ wie eine bestimmte Musik der 20er Jahre einander. Und damit aufs Klarste. wirkt: synkopisch. Schweben. Am Werkstatt-Bau ist das Dann schaut sie sich genau an, wie Keller-Geschoß zurückgesetzt und dun­ diese Rhythmisierungen in den Fenstern kel, so daß man es kaum sieht. Dadurch aussehen. In den schwarzen Bändern fol­ scheint der Bau zu schweben. Aber es gen auf einen dickeren Stab drei dünne schwebt kein Gebäude, sondern eine Stäbe, dann ein dicker, drei dünne, ein weiße Streifen-Fläche. Oben schwebt eine dicker, drei dünne, ein dicker, drei, eins, schmale weiße Streifen-Fläche. Zwischen drei eins, drei eins... ihnen spannt sich ein schwarzes Gitter. Es Sie fühlt den Rhythmus mit dem Kör­ ist durchsichtig. Glas. Raum. Licht. per, merkt, daß das Bild ihrer Augen in die Der weite Lauf der Bänder. Drei Füße geht, sie schlägt mit dem Fuß den weiße Streifen-Flächen schweben über Takt: drei, eins, drei, eins. der Straße: am Brücken-Bau. In den schwarzen Bändern der Brücke Am Fachschul-Bau laufen die drei ist der Takt gleichförmig. Warum? fragt schwarzen Fenster-Bänder - verschränkt die Akteurin sich. Hier ist etwas mit wei­ durch das aufrechtstehende schwarze ter Geste gespannt, es unterbricht sich Fenster-Band über dem Eingang - am nicht. Ein dicker Stab erscheint nur am Brücken-Bau weiter. An der Ost-Seite Anfang - wo nach einer kurzen Phase des macht der Lauf der weißen und der Auftaktes, vielleicht auch des Zögerns, schwarzen Bänder nicht mehr unter­ die Bänder von breiten schwarzen Streifen scheidbar, was die drei Bauteile Fach­ begleitet werden. schul-Bau, Brücken-Trakt, Treppen- / Ve­ Rhythmisierung entdeckt die Akteurin stibül-Trakt sind. Die Bänder einen sie nicht nur im waagrechten Ablauf, son­ nahtlos. Es entsteht eine große, ausgrei­ dern auch in der Vertikalen. Die Fenster fende Geste. haben unten und oben über schmalen Liegen und Stehen. Der Blick der Flächen dunkle Stäbe. Was ist dies für Frau erkennt über die Spannung zwischen ein Rhythmus? Der kurze Takt kontra­ Weiß und Schwarz hinaus eine zweite stiert stark mit dem langen Takt. Dann Spannung: Die weißen Streifen liegen, wiederholt sich der kurze Takt. die schwarzen sind höher - sie stehen auf­ Unterschiedliches Schwarz. Der recht. neugierigen Bebachterin fällt nun auf, daß Oberflächen-Textur. Und sie ent­ die schwarzen Flächen in den fünf Bauten deckt eine dritte Differenzierung: Die unterschiedlich verwandt werden. Im weißen laufen in ihrer Oberflächen-Textur Brücken-Gebäude sind sie lange schwe­ vollkommen gleitend an ihr vorbei. Die bende Streifen. Ähnlich an der Fassade schwarzen Streifen aber haben mit ihrem des Theaters. An der West-Seite des Ate- schwarzen Gitternetz eine Oberflächen- Textur, die wie in Schritten vor ihren Au­ gen vorbeiläuft. Es sind leichte Schritte und stärkere. Denn die schwarzen Eisen- Stäbe sind im Wechsel leicht und stärker. Rhythmisierungen. Die schwarzen Eisen-Stäbe sind Schritte, so assoziiert sie, die einen eigenartigen Rhythmus ha­ ben. Er bleibt zwar im Ganzen gleich, aber in sich hoppelt er - sie stellt sich diesen Rhythmus mit ihren Füßen auf der Erde her. lier-Hauses stellt sich der schwarze Strei­ genpol entsteht: ein schmaler aufrechter fen schwebend aufrecht hin. Die Frau as­ Kubus, heute in Grau. Große weiße soziiert: Er kann schwanken, nach links, Flächen haben die Schmalseiten des auf­ nach rechts, er balanciert wie ein Seil- rechten Kubus vom Atelier-Haus. Tänzer. Auch die beiden Treppen-Häuser Und der Brücken-Bau schließt an sei­ haben schwarze vertikale Streifen. An der ner Westseite mit diesem Kontrast ab: den Ost-Fassade des Atelier-Hauses wird die fünf weißen und schwarzen Streifen stellt schwebende Fläche von kleinen Flächen sich eine weiße Fläche entgegen - hier in durchsetzt - in einer Art Flecken-Struktur. der seltenen Form des Quadrates. Jetzt stellen sich diese breiten und da­ Die weißen Bänder halten zusammen durch liegenden Elemente in Kontrast mit Schau-Spiel. An der Ost-Seite des der hochaufgerichteten weißen Gesamt­ Werkstatt-Baues macht die aufgehende fläche. Sonne in den Netzgitter-Flächen ein auf- Im Werkstatt-Gebäude hat sich diese schwarze, transparente Fläche aufs Äußer­ ste dynamisiert: Sie schwebt auf einer weißen Streifen-Fläche und expandiert dann, dehnt sich über drei Geschosse aus. Hoch oben ist die weiße Streifen- Fläche ganz schmal, die Frau assoziiert: Diese dynamische Ausweitung des Schwarz soll nicht begrenzt werden, hat nur einen leichten Abschluß, kann sich weiterbewegen, es gibt keine Autorität, die sie zwingt... Schwarze große Flächen - weiße Morgen-Sonne auf dem Bauhaus große Flächen. Gegen die schwarzen Flächen treten weiße, nicht nur als alter­ nierende Streifen an, sondern auch als regendes Schauspiel. Diese große Fläche große weite Flächen. mit ihrem feinen Gitter erscheint ihr jetzt Die Frau umrundet einmal den Ge­ und später auch von anderen Sichtwinkeln bäude-Komplex, um dieser Dramaturgie aus den ganzen Tag wie eine Art Lein­ nachzugehen. Zunächst begegnet ihr an wand, auf der sich Szenen abspielen. der West-Seite am Hörsaal-Gebäude in Oft sind sie kaum greifbar, wie Nebel, der östlichen Gegenwand eine große manchmal aber sieht sie dort Menschen weiße Fläche als Gegensatz zur schwar­ gehen, miteinander reden, über sie hinweg zen im Werkstatt-Trakt. Dann sieht sie, oder nach unten schauen. daß diesem Trakt an der Ost-Seite ein Ge­ Raffinierte Verschränkungen. In der Erdgeschoß-Zone sieht die Akteurin, wie unter der Brücke der Trakt der Aula in das andere Gebäude hineinläuft. Über­ schneidung. Eines der wichtigsten The­ men der Ästhetik des Bauhauses, erkenn­ bar in vielerlei Produktionen. Es gibt also keinen Anfang und kein Ende. Der Akteurin kommt ein Vergleich aus der Literatur: Der Gebäude-Komplex hat also keine Punkte, sondern nur Kom­ mas. Im Hof heben die großen Glas- Fläche über den beiden Eingängen den Die Elemente, die hier den Eingang markieren, sind niedrig und ganz einfach. Drei Treppen-Stufen heben die Situation leicht bühnenhaft hervor. Zwei Pfeiler tre­ ten nach vorn. Auf ihnen liegt eine schwarze Scheiben-Fläche, die in den Umraum eingreift. Der Akteurin gehen Vergleiche zu an­ deren Bauten durch den Kopf. Sie be­ merkt, daß sie keinerlei Repräsentation mehr haben. alten Gedanken an Ende und Anfang auf. Außen-Innen-Bezug. Vor beiden Ein­ Was sind sie? fragt sich die Akteurin. Ich gängen kann die Akteurin von außen in könnte „Offen-Situationen“ dazu sagen. die Treppen-Bereiche hineinsehen. Die Wo ich einen Punkt erwarte, erhalte ich ei­ Treppen sind die Dreh-Bereiche einer ful­ ne Szene, in der etwas geschieht, was völ­ minanten Inszenierung. lig gegen meine Erwartung läuft: Ich se­ Surreale Raum-Blick-Folge. Die he, wie sich alles ineinander verschränkt. Akteurin steht vor dem Portal. Die sich entgegenkommenden, unter­ Links und rechts einfache Türen, in schiedlichen Bau-Körper. Innen und der Mitte eine Doppeltür. Schwarze Außen. Waagerecht und Senkrecht. Sie Flächen, vor allem unten, geben ihnen ei­ erinnert sich an surrealistische Bilder. ne bildhafte Formung. Auch den Durch­ Überrationalität. Warum, sagt sich blicken. Denn ein großer Teil der Türen die Akteurin, wird dieses >Komma-Prin- besteht aus Glas. zip< und das Verändern der Erwartung, Sie tritt ein. Eine Treppe mit zehn Stu­ die Gegenläufigkeit, auf surrealistischen fen begegnet ihr, ragt noch zwei Stufen Bildern sofort erkennbar und hier vor die seitlichen weißen Scheiben, die die zunächst nur geahnt? Stufen fassen. Im Bauhaus entsteht zunächst das Bild Neben diesen Scheiben findet die Ak­ einer hohen Rationalität. teurin erneut je eine Glas-Tür, nun mit Dies kippt an dem Punkt um, wo es einem hellgrauen Rahmen. überrational wird. Das Prinzip der Verschränkung / Überschneidung ist das Produkt der zu­ gespitzten Intelligenz. Dann wird es faszinierend. Italiener würden sagen: magisch.

Eingänge und Treppen- Häuser Die Akteurin hält vor den beiden Hauptzugängen inne. Sie fragt sich, wie sie gemacht wurden. Jeder Eingang steht Und oben erscheint erneut die im hohen transparenten Netzgitter-Raum. schwarze Doppel-Tür. Hinter ihr geht ihr Es gibt keinen Gegensatz mehr zwischen Blick ins Blau und Grau des Himmels. Innen und Außen, der sich in einer festen Und dort erscheint seitlich dasselbe Bild, Mauer und einer Öffnung manifest macht. das sie rechts vor der Fassade hatte: das Gitter-Netz des Werkstatt-Baues. Sie hat den Eindruck, daß dies wieder ein sur- reales Bild ist. Scheiben-Flächen. Der Treppenraum besteht aus Scheiben-Flächen. Jede w Scheibe ist deutlich geformt. Weiße Sei- “4 ten-Scheiben. Weiße Scheiben, zwischen I p i i Ul.lllJI ■ m wL 1 die sich die breite Treppe in Grau und f pg— ■ ft» !*” 3i schwarzem Auftritt-Belag spannt. Seit­ h lich eine Handbreit zurückliegend zwei j| N * -tl schwarze Scheiben. Darin führen weiße und gläserne große Türen ins Unterge­ re Augen gleiten am engen Netz-Gitter des Werkstatt-Traktes entlang. Und zur anderen Seite ins Offene. Schichtung der Scheiben. Die Ak­ teurin sieht, daß auch im Foyer der Raum aus Scheiben-Flächen besteht. Die Öff­ nung erscheint ihr aus einer weißen Schei­ be herausgeschnitten. An beiden Seiten liegt hinter der weißen Scheibe eine tief­ schwarze. An den Seiten hellgraue Schei­ ben. An der Eingangs-Seite kehrt sich die Farbigkeit um: eine schwarze Scheibe. In schoß hinab. Der Fußboden ist eine sie geschnitten sind die leicht graue Schei- schwarze Scheibe. Ganz oben als Decke ben-Fläche der Doppeltür und die Öff­ eine rote Scheibe. Unter ihr schwebt in der nungen der seitlichen Treppen. Mitte, in die Treppen-Scheiben ein­ schneidend, eine weiße Scheibe. Die Eingangs-Seite hat eine weiße Scheibe. Aus ihr sind die drei Öffnungen ausgeschnitten. Diese sind als schwarze Scheiben geformt. Zwischen Tür und Oberlicht schwebt eine weiße Scheibe und verbindet den Innen- und den Außen­ raum miteinander - als Vordach über dem äußeren Eingang. Sprung nach draußen. Die Akteurin geht hoch zum Foyer. Verblüfft bemerkt sie, daß etwas Un­ erwartetes geschieht: ihr Blick geht durch die große Öffnung nach Außen. Innen = Hinter der schwarzen Scheibe erkennt außen! Eigentümlich denkt sie. Es über­ die Akteurin an beiden Seiten eine weiße rascht sie, daß sie keinem Netz-Fenster Scheiben-Fläche. begegnet, sondern daß die Öffnung so to­ Sie vergegenwärtigt sich das Gestal­ tal wie möglich offen ist. Sie wird später tungs-Mittel: Die einzelne Scheibe wird resümieren, daß diese Ganzglas-Fenster also dadurch deutlich gemacht, daß hinter nur an der Süd-Seite dieses Gebäudeteiles, ihr eine zweite liegt. Und daß jede eine an­ in allen drei Geschossen, erscheinen. Ih­ dere Farbe besitzt. An der Decke erscheint die Schich­ Das sieht aus wie ein Netz aus Licht. tung der Scheiben erneut. Eine große Die Akteurin erinnert sich an die Git­ weiße Scheibe schneidet in die Scheiben ter-Fenster. der Nord- und Süd-Seite ein. Diese Gestaltung scheint ihr in die Verblüfft erkennt die Akteurin, daß Form der künstlichen Energie übertragen seitlich von ihr die zweite, höherschwe­ zu sein. bende, gelbe Scheibe viel mehr Abstand Die Schräge. Es läge nahe, jetzt in zur mittleren hat als die Scheiben an den den Saal zu gehen, denkt die Akteurin. Seiten. Sie denkt an Atem-Raum. Und Aber dann entscheidet sie sich dazu, daß die unter Decken-Scheibe wirklich die Treppe hochzulaufen. schwebt. Gegen die gefügten Geraden des ku­ In diesem Raum fühlt sich die Akteu­ bischen Raumes entsteht eine Irritation: rin irritiert. durch die schrägen Geraden. Schwarze Sie dreht sich zur Seite. Da hat sie im Westen eine hellgraue Scheibe. Mit Schaukästen und Spiegeln. Und im Osten eine zweite Schicht, tiefliegend: ein etwas dunkleres Grau. Sie erkennt: Türen. Die Akteurin denkt an drei Bilder. Denn um die schwarzen Knöpfe der Grif­ fe schwebt ein Rund in silberfarbenem Metall. Der Fußboden hat rechteckige Felder. Wo sie gegen die Seiten stoßen, haben sie keine Umgrenzung, sondern scheinen sich als Fläche nach außen fortzusetzen - also durch die Wände hindurchzuschneiden. Vor der Seite zum Saal sieht die Ak­ teurin einen schwarzen Quer-Streifen und zwei schwarze Streifen, die sie schnei­ den und dann aufhören. Dadurch formt sich die Zugangs-Sei­ te zum Theater-Saal zu einem eigentüm­ lichen Gebilde. Das Schwarz der tiefein­ geschnittenen Tür-Nischen setzt sich auf dem Fußboden fort - und verräumlicht die Szene dadurch noch stärker. Licht-Netz unter der Decke. Der Blick der Akteurin geht an die Decke. Dort erscheinen, als stießen sie durch die hellgraue Scheibenfläche, vier Rohre und schweben durch den Luft-Raum. Wieder ist die Akteurin überrascht. Ich hätte vermutet, daß sie durch den ganzen Raum laufen, aber nein: plötzlich biegen sie sich leicht hoch und durch­ stoßen die Scheibe der Decke. Zwischen diesen Stangen schweben Lichter: wie kurze Stangen. Mit Glüh- Fäden. Von Stangen gehalten. Markierungen verstärken sie: die Fußbo­ den Verwaltungs-Räumen in die Tiefe. den-Leiste, die Abdeck-Platte der niedri­ Diese langen Geraden geben ihr das Ge­ gen Treppen-Brüstung und der Handlauf fühl von Rasanz. der Treppe. Die Akteurin erinnert sich an zeit­ gleiche Bilder von Theo van Doesburg. Die Akteurin fühlt, daß die seitlichen Brüstungen niedrig sind, ihr nur etwa bis zur Leiste reichen. Welche Wirkung hat das auf mich? fragt sie sich. Erstaunt bemerkt sie, daß sie sich größer fühlt. Und aufrecht. Raum. Die Akteurin erinnert sich an zwei Sätze von Walter Gropius: „Wir empfinden den Raum mit unserem ganzen Wieder gibt es nur ganz wenige Ge­ unteilbaren Ich, zugleich mit Seele, Ver­ staltungs-Elemente. Die Akteurin wun­ stand und Leib, und also gestalten wir ihn dert sich, mit welcher Einfachheit schla­ mit allen leiblichen Organen. gende Wirkungen erzeugt werden. Der Mensch erfindet durch seine In­ Dunkler Boden: abstrakt flächig. tuition. .. den stofflosen Raum des Scheins Eine glatt durchlaufende Seiten-Wand. und der inneren Schauung, der Visionen Die Türen fügen sich in die Fläche ein. und Einfälle...“37 Eine dünne schwarze Fußboden-Lei­ Ja, von einem Treppenhaus aus blickt ste. sie gegenüber durch den Außenraum in Eine weiße Schwebe-Fläche. den Innenraum des nächsten Treppen­ Eine kräftige schwarze Fläche. hauses. Unterschiedliche Brüstung. Am An­ fang ist die Brüstung niedrig, bemerkt die Akteurin, das läßt mich, ähnlich wie auf der Treppe, souverän stehen. Dann verändert sie sich: sie springt höher. Ist dies ein psychologischer Schutz vor der Tiefe dort außen? Als die Brüstung niedrig liegt, fühlt sich die Akteurin eher draußen. Wenn sie höher liegt, denkt sie; hier bin ich eher in­ nen. Schatten: Bilder der Sonne. Die Ak­ teurin bewundert die Bilder, die die Son­ ne mit den Fenster-Stäben auf die Boden- Fläche zaubert. Vom Balkon des Lebens gibt es ei­ genartige Blicke nach draußen. Die schwarzen Rahmen nehmen dem Blick Die Brücke das Diffuse und schaffen Bilder. Bühne. Von außen, so erinnert sich Die Rasanz der räumlichen Tiefe. die Akteurin, war es interessant zu beob­ Die Akteurin bleibt stehen. Überrascht achten, daß die Menschen, die hoch oben und irritiert blickt sie den langen Flur vor über den weißen Bändern lang laufen, wie Schauspieler auf einer eigentümli­ form war. In jedem Kreis gibt es zwei chen Bühne erschienen - und dies gera­ Akzente: zwei schwarze runde Knöpfe - dezu filmisch. die Tür-Griffe. Auch innen kommt sich die Akteurin Hinten rechts entdeckt die Akteurin wie eine Schauspielerin vor. vier kleine Luken und sie weiß, daß von der Film-Kabine dahinter, Dias und Filme projiziert wurden. Aula Der Zusammenhang. Im einge­ schossigen Ost-Takt: Foyer - Aula - Büh­ ne - Speise-Saal. Die Inszenierung. Das Foyer ist der innere Dreh-Punkt des Gebäude-Kom­ plexes. Er akkumuliert die künstlerischen Mittel. Der Fußboden ist geformt wie ein kleiner Platz. Die Akteurin dreht sich um. Sie möch­ te den Raum in der Weise sehen, wie er im normalen Vorgang wahrgenommen wird. So beginnt sie mit der Eingangs-Seite. Ihr Blick bleibt auf den drei großen Türen Sessel. Die Großform des Raumes hat hängen. Wenn sie offen sind, denkt sie, sie im Stehen beobachtet. Die Details ver­ können die Leute, auch bei Festen, zwi­ folgt sie nun im Sitzen - in einem Sessel. schen Aula und Vestibül fließend hin und Er ist durchaus bequem, aber vor allem so herlaufen. geformt, daß der Körper aufrecht sitzt. Warum das? fragt sie sich. Und antwortet dann gleich: Damit ich konzentriert blei­ be. Sie erinnert sich, daß dies das psy­ chische Prinzip aller Bauhaus-Stühle ist. Sie denkt an Wort wie: klar bleiben, wach sein. Und es kommt ihr ein langer Asso­ ziations-Bogen in den Sinn: Gestaltungen aus der italienischen Renaissance, aus Florenz im 15. Jahrhundert. Auch dies war eine intelligente, wache, konzentrierte Kultur. Sie denkt daran, wie sehr Italiener „Das schwarze Quadrat“. Jetzt sind das Bauhaus lieben. sie geschlossen, und ihr fällt auf, daß sie Der Stahlrohr-Rahmen blinkt silbrig. zu einer schwarzen Fläche zusammen­ Ähnlich sehen auch die Heizkörper vor gefaßt sind - so wirken sie wie ein Bild. den Fenstern aus. Sie assoziiert Kasimir Malevitchs Die Stahlrohr-Sessel sind mit sch schwarzes Quadrat. Dieses Bild könnte Die Bühne hat zwei Pfeiler. Sie er­ eine Variation darauf sein. möglicht wie ein Flügel-Altar ein Haupt - In diesem Schwarz schweben drei und zwei Seitenbilder. silbrig-metallene Kreis-Flächen. Die Ak­ Die Schauspieler können von hinten teurin weiß, daß der Bauhaus-Maler Was­ kommen; oder aus dem Keller rechts die sily Kandinsky ein Liebhaber der Kreis­ Treppe hoch. Speise-Saal Drehstühle, Klubsessel, Theatersessel, Klappstühle von der Firma Lengyel & Die Akteurin wundert sich: eine große Co Berlin. Glas-Wand macht die Küche einsehbar. Die Beleuchtung fertigt die Metall- Werkstatt, geleitet von Laszlo Moholy- Nagy, an. Die Harmonika-Türen lassen sich ein­ falten: dann verbindet sich dieser Raum mit der Bühne und der Aula.

Atelier-Haus (Preller- Haus) Im Klub bekommt die Frau, die hier An den Seiten Kippflügel der eisernen einige Tage zu Gast ist, den Schlüssel. Fenster. Sie steigt Stufen hoch. Öffnet die Tür. Die farbige Gestaltung entwickelte Kommt in eine Halle. Geht die Treppen die Werkstatt für Wandmalerei, geleitet hoch. Die Treppe führt sie in der Nord- von Hinnerk Scheper. West-Ecke des Gebäudes hoch. Wie ein­ Die Möbel entwarf die Tischlerei des fach ist das Geländer! - aus Rohren, die Hauses, geleitet von Marcel Breuer. um die Mauer herumlaufen. Werbung: „Breuer-Metallmöbel“, „die Flur. Ein hoher, aber nicht breiter stoffbespannten stahlrohrmöbel haben die Gang. Sie bemerkt, daß er zwischen zwei bequemlichkeit von guten polstermöbeln, Lichtquellen gespannt ist: im Westen öff­ ohne deren gewicht, preis, Unhandlich­ net sich an der Treppe die Wand und im keit. .. das Stahlrohr ist in geringen quer- Osten ebenfalls. Es sind totale Licht- schnittdimensionen widerstandsfähiger Flächen. als irgend ein anderes material... es ergibt eine besondere leichtigkeit und auch eine besonders leichte erscheinung. sämtliche typen sind zerlegbar... ca. 200 prozent wirtschaftlicher als die üblichen sitzmö­ bel.“ Fabriziert werden Hocker, Stühle,

Rechts der älteste lebende Bauhäusler, Hubert Hoffmann (93). S. 563, 564 Dazwischen liegen links und rechts Türen - zu Paaren zusammengestellt. Sie denkt: Dieser Flur ist zwischen das Licht des Außenraumes in die Luft gehängt, ja gespannt. Zimmer. Sie öffnet mit dem Schlüs­ sel die Tür zum Zimmer 204 (S. 535). Ein großer Raum liegt vor ihr: drei Seiten weißgespannt und vom fast völlig offen zum Himmel über Dessau. Eine Gardine aus Gaze macht das Panorama der Stadt weich. Das Offene ist nicht diffus, sondern ein Netzgitter aus dünnen schwarzen Eisenstäben gibt ihm Eine der Fenster-Flächen ist leicht eine Gestalt. Wie ein Bilder-Rahmen. geöffnet und so dringen die Gespräche Aber noch mehr. der Vögel herein. Dieser Rahmen zerlegt das Bild in Dann die Musik der nahen Eisenbahn. weitere Bilder, insgesamt in sechs. Unten Und wieder ist der Himmel voll vom sind es drei kleine, die durch ihre langge­ Zwitschern der Vögel. zogene Form eine starke Spannung haben, Sie sieht im Fenster links oben eine ebenso oben. Und in der Mitte nebenein­ weiße Fläche ins Blau schweben und am ander drei große. Sie rätselt: kein Quadrat, Ende sanft umbiegen: wie ein Absprung- aber auch nicht weit davon entfernt. Alle Podest für jemanden, der fliegen will. Sie Verhältnisse balancieren zwischen dem geht zum Fenster, um sich dies ei­ Einfachen und dem Ungewöhnlichen. gentümliche Gebilde näher anzusehen Und haben dadurch in jedem Detail Span­ und bemerkt oben darauf ein schwarzes nung. Gitter. Dieses Netzgitter ist aber zugleich ei­ Dann sieht sie, daß auch ihr Raum ne zusammenbindende Form. Doch in­ ein solches Gebilde hat. Sie öffnet die nerhalb der Form ist Bewegung, drängt Tür und tritt auf diesen Balkon. das Querrechteckige nach außen. Und das annähernd Quadratische versucht, sich zu vergrößern, so daß das Fenster sich auch nach unten und oben zu erweitern scheint. Mit einfachen, aber genau treffenden Mitteln gestaltet, dringt die Außenwelt in den geöffneten Kasten des Raumes. Die Frau zieht ihre Schuhe aus, macht einige Schritte quer und in die Tiefe des Raumes: Wie in einem Tanz. So erschließt sie sich ihn wie eine Choreographin. Und damit gewinnt sie den Raum zu ihrem Körper. Und der Raum erfüllt sich nun da­ durch, daß er sein Subjekt erhalten hat, an das die Entwerfer gedacht hatten. Sie fühlt sich von den drei weißen Flächen umschlossen und geborgen. Und sie hat zugleich das Gefühl, daß sie sich der Welt öffnet. Er ist klein, denkt sie unwillkürlich, Umgebung. Die Häuser stehen an ei­ gewöhnt an gewöhnliche Verhältnisse, ner wichtigen Achse des Dessau-Wörlit- und nichts zum Frühstücken und darauf zu zer Gartenreiches (S. 508) an der Burg- bleiben. kühnauer Allee (Ebertallee) - 20 m tief im Aber er hat andere Qualitäten: ohne Kiefern-Wald, der von der Elbe hoch­ daß ich der Welt entzogen bin, fühle ich, kommt und sich über das Georgium und was es ist, wenn ich schwebe. die >Sieben Säulen< entlang der Burg- Sie denkt an die Faszination der Flug­ kühnauer Allee hinzieht - zum nächsten zeuge, sie könnten den Entwerfern in den Aussichts-Punkt (Point de vue), dem 20er Jahren im Kopf geschwebt haben. Amaliensitz (Friedrich Wilhelm von Erd­ mann sdorff). Auch die Perspektiv-Ansicht von Carl Fieger (Kohlezeichnung 1925) knüpft dar­ an an und betont diesen Charakter: Häu­ ser in einem Wald, der wie ein Park be­ handelt ist. Hier entsteht eine kleine Künstler-Ko­ lonie. Gropius und seine Mitarbeiter, wohl vor allem Carl Fieger, erweitern die Idee der Künstler-Häuser, die sie in Weimar nur im Haus am Horn (Georg Muche) realisieren konnten. Alle haben eine Hand­ schrift, sind aber sehr individuell ausge­ Bauhäusler Hubert Hoffmann imitiert auf dem Dach des Bauhauses ein Junkers-Flugzeug (1928 prägt. Nur sechs Jahre werden die Häuser / 1929) von den Meistern bewohnt. Zerstörung. Kurz vor Ende des Krie­ ges, im Wahnsinn des Vandalismus, wer­ den im Frühjahr 1945 die Häuser von Bomben getroffen. Vom Haus Gropius Die Meisterhäuser bleibt nur das Sockelgeschoß erhalten. Der südliche Teil des zweiten Hauses Zu den einzigartigen Möglichkeiten, (Moholy-Nagy) wird zerstört, der nörd­ die Oberbürgermeister Fritz Hesse 1925 liche (Feininger) ist ein Torso. dem Bauhaus in Dessau schafft, gehört die Rekonstruktion. 1991 wird das halbe glückliche Tatsache, daß mit dem Bau­ Doppelhaus Ebertallee 63 (Feininger) frei­ haus zugleich ein Studenten-Wohnheim gezogen. Das Landesamt für Denkmal­ und sieben Häuser für alle alten Bauhaus- pflege und das Amt für Denkmalpflege Meister gebaut werden können. Zugleich mit dem Bauhaus-Neubau beschließt sie der Finanz-Ausschuß. Hesse und Gropius suchen gemeinsam das Grundstück. Walter Gropius entwirft für sich selbst ein einzelnes Wohn-Haus sowie für Mo- holy-Nagy, Feininger, Muche, Schlem­ mer, Klee und Kandinsky drei Doppel­ häuser mit Wohnung und Atelier. Alle sind Miet-Häuser der Stadt. Sie werden kurz vor dem Bauhaus fertiggestellt und bezogen und bei dessen Einweihung vor­ geführt. Meister-Haus für Feininger der Stadt Dessau lassen 1992 durch die die räumliche Organisation innerhalb der Architekten Brambach und Ebert (Halle) Wohnungen, bringt aber gleichzeitig star­ diese Haus-Hälfte restaurieren. Ziel: Das ke Variation in die Wirkung an sich glei­ ursprüngliche Erscheinungs-Bild rekon­ cher räume. struieren38. Als Unterlage dienen Archi­ möbel: bauhaustischlerei (m. breuer), valien, Fotos und Literatur. Genutzt wird beleuchtungskörper: metallwerkstatt des das Haus von der Kurt-Weill-Stiftung bauhauses (moholy-nagy).“39 (Ebertallee 63). Walter Gropius (1930): „bauen be­ Geplant ist, sämtliche Häuser wieder­ deutet gestalten von lebensvorgängen. der herzustellen bzw. zu rekonstruieren (Wie­ Organismus eines hauses ergibt sich aus deraufbau des Gropius-Hauses). dem ablauf der Vorgänge, die sich in ihm Entwurfs-Konzept. Im Sommer abspielen... die baugestalt ist nicht um 1925 geplant, sind die Häuser im Sommer ihrer selbst willen da, sie entspringt allein 1926 bezugsfertig. Walter Gropius (1930): aus dem wesen des baus...“49 „alle sechs Wohnungen in den drei Die Flächen scheinen keine Körper doppelhäusern sind gleich bis ins detail zu haben, sie wirken in ihren Ebenen ima­ und dennoch verschieden in der Wirkung. ginär. Wie gewalztes Blech. Die großen Vereinfachung durch multiplizierung be­ und kleinen Fenster und Türen sehen aus deutet Verbilligung und beschleunigung. wie gestanzt. Das Glas ist dunkel und der grundriß der einen der beiden Woh­ spiegelt den Wald: als stehe er innen. nungen ist der verschränkte, um 90 grad Das Vorgesetzte Podest vor dem Ein­ von ost nach süd gedrehte Spiegelbild des gang ist schwarz, daß es fast inexistent ist. grundrisses der anderen, genau die glei­ Vordächer sind schmale weiße Scheiben- chen bauteile sind verwendet, die ansicht Flächen. beider hälften aber durch die Verschrän­ Die Gebäude bilden abstrakte Kuben. kung verschieden. Teilweise sind sie in den Ecken auf­ die atelier, treppenhaus, küche, Spei­ geschnitten: der Luftraum greift in sie sekammer und w. c. liegen nach norden, hinein, sie verweben sich mit ihm. der direkten bestrahlung abgewandt; Mitsprache. Die Frauen der Meister wohn-, speise-, schlaf- und kinderzim- tragen Gropius ihre genauen Wünsche mer mit garten, terrassen, balkons und vor. Dieser hört sie an. „In allen Fällen dachgärten liegen nach der sonne, die pflegte Walter Gropius den besorgt auf wirtschafts-, wohn- und speiseräume lie­ ihn eindringenden Damen treuherzig zu gen im erdgeschoß, die schlafräume und versichern, daß er daran denken werde, ateliers im Obergeschoß, die von der doch ließ er sich in seiner Arbeit dadurch Wandmalereiabteilung des bauhauses keineswegs beirren; er hatte die richtige durchgeführte farbige gestaltung betont Lösung bereits im Kopf und folgte in sei­ nen Entwürfen unbeeindrukt der eigenen Konzeption“ (Reginald R. Isaacs).41 Ausstattung. Zentrale Gas-Warm- wasser-Versorgung (Junkers-Therme). Viele Wand-Schränke sind eingebaut. Nur Walter Gropius und Laszlo Moholy-Nagy richten sich vollständig neu mit Möbeln aus den Bauhaus-Werkstätten ein. Die Metall-Werkstatt, geleitet von Laszlo Moholy-Nagy, fertigt Lampen an, meist von Marianne Brandt entworfen. Die Tischlerei, geleitet von Marcel Breu­ Stahlrohr-Sessel (Marcel Breuer) er, stellt Möbel her. Feininger läßt sie sich von seinem dort studierenden Sohn An­ Die Bewohner können selbst Vor­ dreas herstellen. Kandinsky möchte auf schläge machen. Der Maler Paul Klee Breuers Tischen den Kreis als Grundmo­ läßt sich vom Bauhaus-Studenten Fritz tiv haben. Kuhr einen Farb-Plan machen: Das Ate­ Stichworte zur Gestaltung: Schwe­ lier wird gelb und schwarz gestrichen42. ben. Klare Kuben. Imaginär wirkende Die ausgreifendsten Ideen hat der Ma­ glatte Scheiben-Flächen. Scharfe, ausge­ ler Kandinsky. Nina Kandinsky: „Der stanzt aussehende Kanten. Überschnei­ Wohnraum war hellrosa getüncht, eine Ni­ dungen. Kontraste: weiß / schwarz, verti­ sche mit Blattgold ausgelegt. Das Schlaf­ kal / horizontal, Kubus / Raum, Natur- zimmer erhielt einen mandelgrünen, das Form / Bau-Form. Alle Elemente sind auf Arbeitszimmer Kandinskys einen hellgel­ Spannung disponiert. Balance. Schwarz / ben, das Atelier und das Gästezimmer ei­ weiß / grau. nen hellgrauen Anstrich. Die Wände mei­ Es gibt keine Zäune zwischen den nes kleinen Privatraumes leuchteten in Häusern. hellem Rosa... jeder Raum [war] ein ar­ Farbe. Gropius möchte, daß die far­ chitektonisches Individuum.“43 Muche experimentiert mit Farben. bige Gestaltung die Organisation der Räu­ Marcel Breuer entwirft die Farben für me betont. Und Abwechslung von glei­ Muches Schlafzimmer. chen Räumen schafft. Tourismus. Die Bauten sind Demon­ Farben: Weiß, gelb, rosa hellgelblich- strations-Objekt. Ise Gropius und Julia rosa, orange, rot, englisch-rot, hellgrau, Feininger führen Hausfrauen-Vereine. dunkelgrau, blau, dunkelbraun, schwarz. Das Einzelhaus für den Direktor für Walter Gropius / Ise Gropius (im 2. Welt­ krieg weitestgehend zerstört). Im Gegen­ satz zu den anderen Häusern hat das Haus Gropius kein Atelier. „heute wirkt noch vieles als luxus, was übermorgen zur norm wird!“ (Walter Gropius, 1930)44. Walter und Ise Gropius leben nur zwei Jahre (1926-1928) in diesem Haus. Für Gropius zieht Hannes Meyer ein, 1930 Fudwig Mies van der Rohe. Doppelhaus Moholy-Nagy / Feinin­ ger für Laszlo Moholy-Nagy / Fucia Mo- holy und Fyonel Feininger / Julia Feinin­ ger. Im 2. Weltkrieg wurde die östliche Hälfte zerstört. Die zweite (für Feininger) ist vorbildlich rekonstruiert. Beide Mo- holys sind die großen Experimentierer im Bauhaus. Feininger machte den Titelholz­ schnitt für das Bauhaus-Manifest. Die Fei- ningers holen im Fauf der Zeit antike Möbel ins Haus. Für die Moholy-Nagys ziehen 1928 / Annie Albers ein. Doppelhaus Muche / Schlemmer für V ' ...... r ...... ~.....—... Georg Muche / El Muche (bis Mitte 1927) Alfred Arndt: Farbplan für die Meisterhäuser und Oskar Schlemmer / Tut Schlemmers. (1926) In stark umgebautem Zustand erhalten. ziehen, schreibt 1927 die Stadt Dessau Für Muche ziehen Hinnerk Scheper / Lou einen Wettbewerb aus: für ein Arbeits- Scheper ein. Oscar Schlemmer: „Meine Nachweis-Amt. Themen, die menschliche Gestalt im Walter Gropius (1930): „die bestre- Raum, ihre Funktion nach Ruhe und Be­ bungen der industrie, die Warenprodukti­ wegung in diesem, das Sitzen, Liegen, on zu rationalisieren, haben zur folge, daß Gehen, Stehen, sind ebenso einfach, wie auf dem arbeitsmarkt ständig mit arbeits­ sie allgemeingültig sind. Überdies sind losen zu rechnen ist. um den austausch der sie unerschöpflich.“ arbeitskräfte, angebot und nachfrage, zu Doppelhaus Klee / Kandinsky für beschleunigen, hat das reich nach dem Paul Klee / Lily Klee und Wassily Kan­ kriege die arbeitsvermittlung selbst über­ dinsky / Nina Kandinsky. In stark umge­ nommen. bautem Zustand erhalten. ... es mußte ein von grund aus neuer Die Kandinskys richten sich die Woh­ typ für diese art von gebäuden geschaffen nung mit russischer Magie ein. werden. : „Mein >Geheim- die Stadt dessau ergriff hierin die ini­ nis< besteht ausschließlich darin, daß ich tiative und schrieb 1927 einen engeren seit Jahren die glückliche Fähigkeit er­ Wettbewerb für ein arbeitsnachweisge- warb (vielleicht bewußt erkämpfte), mich bäude in dessau aus.“ (und damit meine Malerei) von N eben­ Gropius gewinnt den Wettbwerb, geräuschen < zu befreien, weil für mich I 500 RM und den Bau-Auftrag. jede Form lebendig klang - und damit „das wesentliche der aufgabe bestand ausdrucksvoll wurde. So erwarb ich darin... die arbeitsvermittlung für eine gleichzeitig die glücklichste Fähigkeit, große anzahl arbeitssuchender verschie­ die leiseste Sprache zu >hören<“. dener berufsgebiete mit einer möglichst Das Klee / Kandinsky-Meisterhaus geringen anzahl von beamten zu bewälti­ wird mit Hilfe einer Spende von Hochtief gen. instandgesetzt. Es wird eine Dependance aus dieser forderung resultiert die der Anhaitischen Gemäldegalerie im na­ halbkreisform des grundrisses, die die an- hen Schloß Georgium. Als 1918 der Stadt ordnung der großen warteräume - nach ein Teil des fürstlichen Kunstbesitzes zu­ berufsgruppen segmentförmig geteilt - fiel, gründete Oberbürgermeister Fritz an der periferie ermöglicht, die der ein- Hesse die Anhaitische Galerie (S. 265). zelberatungsräume dagegen dahinter im Ihr Bilder-Bestand stammte größtenteils innern... aus dem Gotischen Haus in Wörlitz. Lud­ die halbkreisform hatte zur folge, daß wig Grote übernahm die Leitung. Trotz die belichtung der im innern liegenden Kritik aus dem Stadtrat sammelte er Bau­ räume mit hilfe konzentrisch angeordne­ haus-Meister. ter shedringe gelöst wurde... an den halbkreisförmigen flachbau lehnt sich der zweigeschossige, für das publikum in der hauptsache nicht zu­ Das Arbeitsamt in gängliche verwaltungsbau an... Dessau die bauhauswandmalerei übernahm die farbige gestaltung sämtlicher räume.“45 (Askanische Straße / August Bebel- Der neue Arbeitslose geht seitlich in Straße) Im Winter 1925 / 1926 gibt es in das halbrunde Gebäude, kommt in der Deutschland zweieinhalb Millionen Ar­ Mitte zum großen Raum der Beratungs­ beitslose. Der Reichstag beschließt 1927 stelle und wird weitergeleitet. das Gesetz über Arbeitslosenversicherung Wer wiederholt kommt, nimmt einen und Arbeitsvermittlung. Um es zu voll­ der fünf Eingänge im Halbrund. Das Gebäude ist eine Antwort auf die Nachfrage ist groß, die Stadt beschließt Rationalisierung der Produktion: sie heißt 1927 einen 2. Bau-Abschnitt: weitere 100 Rationalisierung der Verwaltung (Elke Häuser. Kurz nach Gropius Rücktritt vom Mittmann). Bauhaus 1926 beschließt die Stadt einen Ein äußerer und ein innerer Ring. 3. Bau-Abschnitt: 156 Wohnungen. Ins­ Außen für jede Berufs-Gruppe ein Ein­ gesamt werden von 1926 bis 1928 314 gang zum Warte-Raum. Wer Arbeit findet, Häuser gebaut. Im Zusammenhang mit geht den Weg nach draußen durch den ihnen entsteht das fünfgeschossige Ge­ inneren Ring. Andere laufen ins Zentrum bäude mit dem angebauten Laden der und erhalten dort den Schein für das Ar- Konsumgenossenschaft. beitslosen-Geld und gehen zur Kasse, die im Mittelpunkt der Anlage steht. Der Bau wird als „Maschine“ bezeichnet. Leitbild: Fabrik-Bauten mit Shed-Dächern. Das Gebäude blieb als einziger der Bauhaus-Bauten vom Krieg verschont.

Arbeiter-Siedlung Törten (Dessau)

(Doppelring u.a.) Früh widmet sich Logistik. Walter Gropius arbeitet Walter Gropius dem Wohnungsbau für schon lange an einer Logistik für die In­ Arbeiter: 1906 Ein Arbeiterwohnhaus auf dustrialisierung des Bauens. Rationali­ Golzengut. 1906 Wohnhäuser für Gutsar­ sierung soll breiten Schichten ein er­ beiter auf Janikow. 1912 Arbeiter-Sied­ schwingliches Wohnen ermöglichen. 1910 lung in Damburg (mit Adolf Meyer). 1912 entwirft er das >Memorandum über die /1913 Arbeiterhäuser „Eigene Scholle“ in industrielle Vorfabrikation für das Bau­ Wittenberge (mit Adolf Meyer) mit 44 wesens 1923 entwerfen Walter Gropius Häusern. 1921 Reihenhäuser in Holz­ und Adolf Meyer Modelle zu Serien-Häu- konstruktion für die Firma Sommerfeld sem: eine „Vereinigung größtmöglicher (mit Adolf Meyer). 1922 Plan für eine Typisierung mit größtmöglicher Variabi­ Bauhaus-Siedlung bei Weimar (mit an­ lität.“ Sie nennen es „Baukasten im deren). 1927 Haus in der Weißenhof-Sied­ Großen.“46 lung Stuttgart. Zur Logistik gehören: eine Planungs- Wohnungs-Not. 1920 entsteht das Struktur für die Arbeits-Schritte und den Reichsheimstättengesetz: „dauernd gesi­ Zeit-Ablauf, Abstimmung von Hand- und cherte Wohnstätten für deutsche Familien“ Maschinen-Arbeit, Standardisierungen, (Adolf Damaschke, einer der Väter der die Rationalisierung der Baustelle, vor­ Heimstätten-Bewegung), vor allem für fi­ gefertigte Bauteile und Materialien. Kies nanziell Schwache. und Sand unter dem Baugrund ermög­ Die Junkers-Werke expandieren und lichen es, die Steine vor Ort herzustel­ benötigen Unterkünfte für Facharbeiter. len. Die Stadt legt ein Wohnungs-Programm Versuchs-Programm. Der 2. und 3. auf, läßt in Törten Häuser bauen und ver­ Bauabschnitt Törten ist eines der ersten kauft sie. großen Versuchsvorhaben der Reichsfor­ Nach dem Gesetz sollen Reihenhäu­ schungsanstalt für Wirtschaftlichkeit im ser mit Gärten gebaut werden. 1. Bauab­ Bau- und Wohnungswesen. Parallel mit schnitt: 1926 entstehen 60 Häuser. Die Frankfurter Siedlungen von Ernst May, der Weißenhof-Siedlung und der Kochen­ der bisherige handwerkliche Charakter hof-Siedlung in Stuttgart sowie einer des baugewerbes wandelt sich allmählich Siedlung in München. nach der industriellen seite hin. der flie­ Kern der Siedlung ist die >Doppel- genden Werkstatt an der bausteile wird reihe<. Nördlich vom Nordweg entsteht in mehr und mehr arbeit durch die stationä­ zwei Knicken der >Kleinring<. Ihm folgt re industrielle Werkstatt - die fabrik - ab­ der >Mittelring< und ganz außen der genommen. der bisherige saisoncharakter >Großring<. Äußere Begrenzungen sind des bauens mit seinen nachteilen für ar- im Nordwesten der Lorkteich und im beitgeber und arbeitnehmer sowie für die Osten die Trasse einer Hochspannungs- gesamte Volkswirtschaft weicht allmäh­ Leitung (Damaschkestraße). lich dem dauerbetriebe. Walter Gropius (1930): „in bisher 3 ... der Vorgang der allmählichen Ver­ bauabschnitten 1926, 1927, 1928 sind drängung zahlreicher handwerklicher er- dort 316 einfamilienreihenhäuser als zeugungsmethoden der dinge des tägli­ reichsheimstätten zu je 5 bzw. 4 wohn- chen gebrauchs durch industrielle meto- räumen errichtet worden. den greift nur allmählich in das kompli­ die aufgabe hatte zum ziel, die mieten zierte schlüsselgewerbe der bauwirtschaft der häuser unter zusammenfassungaller über; denn die umstelung ist so ein­ rationalisierungsmöglichkeiten herabzu­ schneidend für das gesamtwirtschaftsie­ drücken. dieses ziel billiger mieten wurde ben, daß ihr tempo vorsichtig gewählt durch ökonomische komposition der pla­ werden muß, um bestehende wirtschafts­ ne, rechtzeitige arbeitsvorbereitung, sorg­ gruppen, insbesondere das handwerk, fältige vergäbe und Ökonomie des ge­ nicht durch Übereilung zu gefährden.“47 wählten konstruktionsprinzips erreicht. „tragende brandwände aus Schlacken­ ... bei der anzahl der gleichzeitig ge­ betonhohlkörpern, decken frei gespannt bauten Wohneinheiten 1926 60 häuser, von brandgiebel zu brandgiebel aus be- 1927 1000 häuser, 1928 156 häuser, war tonrapidbalken, die - balken neben balken die anwendung von großgerät rationell... - trocken verlegt werden, die frontwände kräne für 1,5 t gewicht... werden durch isolierende, nicht tragende ... genauer Zeitplan nach art der ei- füllwände aus Schlackenbetonhohlsteinen senbahnbetriebspläne... gebildet, die auf armierten, freitragenden ... halbländliche Siedlung... mit je betonbalken mit direkter lastübermittlung 350-400 qm grundstück pro hauseinheit... auf dem brandgiebel ruhen.“48 aufgrund neuer erfahrungen des er­ „das fix und fertig eingerichtete Wohn­ sten bauabschnitts bewilligte die reichs- haus vom lager wird in kürze ein haupt- forschungsanstalt für Wirtschaftlichkeit produkt der industrie werden. ... so wie im bau- und Wohnungswesen für Ver­ die industrie jedem gegenständ, den sie suchszwecke einen betrag... als darlehn vervielfältigt, zahllosen versuchen syste­ für beschaffung neuer maschinen und matischer Vorarbeit unterwirft, an der geräte zur Verbesserung des bausystems... kaufleute, techniker, künstler gleicherma­ infolge des grundsätzlichen Vorstoßes ßen beteiligt sind, ehe sein „typus“ ge­ in der richtung der unaufhaltsamen indu- funden wird, so verlangt auch die her- strialisierung und rationalisierung des bau- stellung typisierter bauteile systematische wesens wurde die Siedlung törten als ex- Versuchsarbeit in großzügigem Zusam­ ponent dieser bewegung in heftigster wei­ mengehen der wirtschaftlichen, industri­ se befehdet, trotzdem haben die grundge- ellen und künstlerischen kräfte.“49 danken, die hier in die praxis übergeleitet „der gedanke der rationalisierung ist wurden, inzwischen in weiten kreisen auf- vom Wirtschaftsleben der Völker ausge­ nahme gefunden, da sie eben in der zeit hend zu einer großen geistigen bewegung liegen... in der zivilisierten weit geworden. sie hat zu einer veränderten lebens- lung ist schon in den „dreißiger Jahren einstellung geführt, die neue schöpferi­ fast ausnahmslos bis zur Unkenntlichkeit sche kräfte auslöst. verschandelt“ (Hans M. Wingler). das tiefgreifende dieser idee liegt dar­ in, daß sie zum ziele hat, das wirtschaft­ liche handeln des einzelnen menschen in Das Konsumgebäude nutzbringendem Zusammenhang mit dem wohl der gesamtheit zu bringen. (Damaschkestraße / Dreieck 1) Walter diese... ratio-Vernunft... wird auch Gropius (1930): „das im Zentrum der Sied­ zur grundlage der modernen baugesin- lung törten liegende viergeschossige kon- nung, denn die wohnung des menschen, sumgebäude wurde nach meinen plänen das gehäuse des lebens, die zelle des grö­ von dem konsumverein für dessau und ßeren gemeinschaftsgebildes der Straße, Umgebung im jahre 1928 erbaut. ... es der stadt, ist ein komplexes element, des­ enthält außer läden im erdgeschoß drei sen Vielfältigkeit seiner funktionen nur Stockwerkswohnungen von je 3 zimmern durch Vernunft im höheren sinne zu einer mit küche.“51 Das Dach ist benutzbar. einheit gebunden und gestaltet werden Die Konsumgenossenschaft schließt kann. nach 1989. es wäre ein irrtum, zu glauben, daß das ziel der rationalisierung der bauwirt­ schaft allein darin läge, die bestehende bauproduktion nur wirtschaftlich, nicht Die Laubenganghäuser auch sozial zu verbessern, die rationali­ in Dessau Süd sierung ist nicht eine mechanische Ordnung! wir dürfen um keinen preis (Peterholzstraße 40, 48, 56). 1928 / über der ratio das schöpferische verges­ 1930 unter Leitung von Hannes Meyer. sen.“50 Hannes Meyer und seine Bau-Abteilung Ästhetik. Die ursprüngliche Fassade machen Vorschläge, die Siedlung Törten läßt das Prinzip der Scheiben-Fläche weiterzustricken. Im Gegensatz zu Gro­ deutlich werden. Diese Flächen sind ab­ pius entwickeln sie eine gemischte Struk­ lesbar gemacht: die Seitenwände, die Ge­ tur. Bauherr ist die Genossenschaft. Bis schoß- und Abschluß-Decke. Dazwi­ heute sind die Häuser in ihrem Eigen­ schen, zurückgesetzt, sehen wir Füll­ tum. Gebaut wird sehr wenig: 1928 / 1930 wände. Das Treppenhaus läuft vertikal nur fünf Laubengang-Häuser. Sie bieten von unten bis oben durch. Die Tür kann Wohnungen für 90 Arbeiter-Familien. man kaum sehen. Die Fenster sind ziem­ Die Inneneinrichtung fertigt das Bauhaus lich klein. an. Schon früh verändern die Bewohner Anhalter Volksblatt (25.7.1930): ihre Häuser. Das hat damit zu tun, daß „Was hier auf [nur] 48 qm [Wohn-]Fläche sie als Eigentümer oft keinerlei Bindun­ an zweckmäßiger, ja raffinierter Raum­ gen an andere Maximen als die eigenen ausnutzung, an strahlender Lichtfülle fühlen. und angenehmer Wohnbequemlichkeit Die Nationalsozialisten polemisieren geschaffen ist... Freundliche Räume, gegen die Siedlung. Sie propagieren die in die fast ungewöhnlich große Fenster Individualisierung (die sie politisch nicht Licht übergenug hineinfluten lassen, sind wollen) und zielen bewußt auf Unein­ versehen mit den Wohnerfordernissen heitlichkeit. Die Kritik äußert sich auch in der Neuzeit: Gas, elektrisch Licht, Warm­ einem Teil der Veränderungen. Die Sied­ wasserheizung und Badeeinrichtung“. Das Stahlhaus nischen gründen eine Veränderung erfah­ ren. es werden sich im laufe der zeit viel­ (Südstraße 5) Ein Haus als Experi­ leicht acht bis zwölf standardtypen her­ ment, 1926 /1927 von Georg Muche und ausbilden, die ähnlich wie in der automo- Richard Paulick - in Fortsetzung des Ex­ bilindustrie in bezug auf komfort und äste- perimentier-Hauses Am Horn in Weimar. tischen wert und in bezug auf den preis Georg Muche (1927): „es gibt noch verschieden sind und dadurch den indivi­ keine zeitgemäße wohnhausproduktion. duellen ansprüchen gerecht werden. der hausbau ist immer noch und überall ... das stahlhaus, das zur eröffnung architektur geblieben, das dem heutigen des bauhauses nach meinen plänen er­ stand der technik entsprechende haus wird richtet wurde, entstand in enger Zusam­ nicht mehr der architektur zugerechnet menarbeit mit der „carl kästner a. g. leip- werden können, die ablösung der hand­ zig“... werklichen methode durch das technische die von mir mit r. paulick zusammen prinzip verändert die Situation von grund bearbeiteten konstruktionen zu metall-ty- auf: das haus wird industrieprodukt. penhäusern auf schematisiertem an­ baufähigem grundriß konnten in diesem fall nicht zur anwendung kommen... mein erster entwurf zu einem stahl­ haus entstand im Jahre 1924 als Weiter­ entwicklung aus dem in weimar 1923 er­ richteten versuchshaus des bauhauses... nun ist aber die familie ein veränder­ licher Organismus, der im lauf der zeit in der zahl... abnimmt, der grundriß muß deshalb so ausgebaut werden können, daß eine Vergrößerung und Verkleinerung als selbstverständliche maßnahme möglich ist, ohne daß bauteile zerstört werden müssen.“ Der Bau ist Teil der Industrialisierung ... die technische konstruktion ent­ des Bauwesens. Er versucht, den Sektor hält in sich schon elementar eine ihr ohne Stahl-Industrie im Hinblick auf das Bau­ weiteres „anhängende Schönheit“. en auszuloten. Hinzu kommt, daß er da­ ... in england ist der stahlhausbau durch den Beschäftigungs-Effekt studiert. über das erste entwicklungsstadium her­ Wie alle Neuerungen gerät das Projekt ausgelangt, tausende von stahlhäusern sofort in die Schußlinie der Kritik: Das ist werden gebaut, die englische Stahlindu­ ein Geld-Schrank. Tatsächlich stellen sich strie sucht neue absatzgebiete. . . . aus dem Projekt unlösbare technische Pro­ diesen gründen entstand eine lebhafte be- bleme entgegen. wegung zugunsten von fabrikmäßig, in großen mengen herzustellenden metall- wohnhäusern... die bauzeit... beträgt im Haus Fieger durchschnitt 6-9 tage. bisher sind die englischen stahlhäuser (Südstraße 6) Am nördlichen Rand ihrem aussehen nach geistlose imitationen von Törten / Dessau Süd, neben dem des üblichen Steinhauses mit giebeldach. Stahlhaus steht das Haus Fieger. Carl Fie­ das wird nicht so bleiben, die form des ger, Absolvent der Kunstgewerbeschule in stahlhauses muß zwangsläufig aus tech­ Mainz, tritt 1919 in das Büro von Walter Gropius in Weimar ein. Er arbeitet als Chefzeichner und Zeichner in der Bau- Ausführung52. 1927 baut er sich ein ei­ genes Haus: Kubus und Halbrund, ste­ hend und liegend, szenisch: Terrassen in zwei Ebenen.

Kornhaus (Kornhausstraße / Elballee) 1929 / 1930 von Carl Fieger. (S. 439).

Surrealismus in der Architektur