52 LITERATURUND KUNST Neuö Zürcör Zäitung Samstag, 4.Februar 2017 Blitzkerl und Klarkopf HermannBurgerund verband im Leben nur wenig.ImWerk jedoch sind Gemeinsamkeiten zu erkennen,die selbstdie beiden Schriftsteller überraschen könnten. VonThomas Strässle

Max Frischwar für ihn in jungen Jahren eine prägende Figur: der Schriftsteller Hermann Burger (1942–1989) im Oktober

Voreinigen Jahren hatte ich die Ge- lich ins Leerelaufen. Aber der Name dern auch Dozent, kann seine eigenen nicht unnötig psychoanalytisch aufzu- verabschiedete,setzte Burger gerade legenheit, Max Frischs Refugium in Ber- Burger kommt von ihm, nicht von den oder verwandten Produkte von einem laden: Er war für ihn ein Lehrer.Sohat dazu an, zu einem schillernden Namen zona zu besuchen. DasHaus wirdbis Interviewern. Er bringt ihn ins Spiel, um Kollegen ins Lehrprogramm aufnehmen es Burger selber formuliert. der Schweizer Literatur zu werden. Zwi- heute bewohnt und hat sich zum Glück ihn gleich wieder daraus heraus zu neh- lassen (Hermann Burger). Er weiss,wie Einen Beitrag mit dem Titel «Als ich schen den beiden Biografien verläuft nicht in ein Museum oder einen Wall- men. Bei aller Ratlosigkeit, die Frisch der germanistische Karren läuft, welche Max Frischs erstes Tagebuch las», der quasi ein schleifender Schnittaneinan- fahrtsort oder ein Schulreiseziel verwan- angesichts Burgers zu befallen scheint: Bücher von den Mitgermanisten der Be- 1981 in den «Schweizer Monatsheften» der vorbei. Es gibt nicht einmal eine delt. Als ich das Grundstück betrat, Die Frage hat einen präzisen Kern, wie sprechungsindustrie erwartet werden, erschien, beginnt er mit den Sätzen: Fotografie,auf der die beiden gemein- stand ich vor der Wahl, ob ich nun zuerst immer bei Frisch. «Ein Blitzkerl wie und kann das Gewünschte liefern. Oder «Was kann ein Autor von einem Autor sam zu sehen wären. das Wohnhaus oder doch besser gleich Hermann Burger?» er ist (Hermann Burger) ausserdem lernen, oder persönlicher,auch unbe- Solch gegenläufige Gemeinsamkei- die unmittelbar danebenliegende Es ist eine genaue Zuweisung im Ab- noch Feuilletonredaktor und kann Bü- quemer gefragt: Wiestark ist mein Den- ten lassen sich auf verschiedenen Fel- Schreibklause aufsuchen sollte. seits,fern aller politischen Fraktionen, cher besprechen. Oder er arbeitet (Her- ken, Schreiben, Sehen, vielleicht sogar dern beobachten. Burgers Seminar- Ich entschied mich, ganz Literatur- die historisch zu dem Zeitpunkt viel- mann Burger) noch am Fernsehen und Träumen, wie stark ist meine Imagina- arbeit liefert einen ersten Hinweis: Lite- wissenschafter,für den Arbeitsort und leicht auch schon wieder überholt waren. kann dort Kollegen vorstellen. Oder er tion von meinem Lehrer Max Frisch ge- ratur und Architektur.Auch hier gibt es betrat einen Raum, in dem eine etwas Blitzte in Burger womöglich bereits die bedient noch die ‹Frankfurter Allge- prägt nach zwanzigjähriger Beschäfti- eine gegenläufige Verschränkung zwi- unangenehme Stimmung herrschte.Al- nächste historische Veränderung auf? – meine Zeitung› und ‹Die Weltwoche› gung mit seinem Werk, die sich unter schen Frisch und Burger: Frisch hat mit les schien noch genau so zu sein, wie Wieauch immer: Wenn es um die und weitereallgemeine Zeitungen mit anderem in einer Seminararbeit über die Germanistik begonnen, um das Studium Frisch es zwanzig Jahrezuvor hinterlas- Schweizer Literatur der siebziger und Literaturkritik (Hermann Burger).» Architektur bei Frisch, in einer Studie an der Universität nach wenigen Semes- sen hatte.Ein Schrein in Tessiner Stein. achtziger Jahregeht, ist Burger die Figur, Dasist böse,sehr böse sogar.Aber es über die Dramaturgie der Permutation, tern abzubrechen und zur Architektur Ich schaute nicht zum berühmten die aus der Reihe tanzt –und zwar so trifft einen Nerv: Hermann Burger hat in einer fünfzehnteiligen Vorlesung und an die ETHhinüberzuwechseln; er war Tisch auf der anderen Seite des Raumes, auffällig,dass es nicht zu übersehen war. das Spiel mit der Aufmerksamkeits- in etlichen Rezensionen niedergeschla- diplomierter Architekt mit eigenem sondern wandte meinen Kopf instinktiv Man kennt die Porträtkunst von ökonomie beherrscht wie kaum ein gen hat?» Atelier,bevor er sich ganz der Schrift- nach rechts.Dort stand ein Bücherregal, Frisch. Er hat vielfach bewiesen, wie er Dasist ein etwas anstrengendes Be- stellerei zuwandte. und das erste Buch, das ich erblickte, mit wenigen, aber gezielten Strichen kenntnis,geradezu streberhaft in der Burger hingegen hat mit Architektur war Hermann Burgers «Brenner». eine Figur in ihrer ganzen Komplexität Aufzählung der eigenen Dienstbarkei- begonnen, um das Studium an der ETH Daserstaunte mich. Frisch hat Burger zu erfassen vermag,etwa im «Berliner ten. Es fehlt nur noch Burgers Habilita- nach wenigen Semestern abzubrechen gelesen?Davonwar mir nichts bekannt. Journal»–anAndersch, Biermann und tionsschrift «Studien zur zeitgenössi- und zur Germanistik an die Universität Frischund Burger hatten schonzuLeb- Enzensberger,anGrass,Johnson und schen Schweizer Literatur», 1974 an der hinüberzuwechseln; er war habilitierter zeiten und haben bis heute nach landläu- .ImInterview mit der ETHZürich eingereicht, die mit einem Literaturwissenschafter,der neben der figerMeinung wenigmiteinanderzutun «WoZ» genügt ihm ein einziges Wort, Max Frisch war für Kapitel über «Biografie: Ein Spiel» be- Schriftstellerei als Privatdozent lehrte. –ausser dass sie beide Schweizerwaren das es aber in sich hat. ihn ein Lehrer.Sohat ginnt. Vielleicht hat Frisch Burger sogar Bei aller biografischen Umkehrung: und sich in unterschiedlicher Weiseda- Es trifft in mehrfachem Sinnezu: bis in seine Träume hinein geprägt! Der Einfluss des architektonischen mit auseinandersetzten. Burger gehörte Hermann Burger war ein «Blitzkerl» – es Hermann Burger Denkens auf das Schreiben war beiden auch nicht zum Kreisederer,die sichum einer, der seine Texte mit sprachlichen selber formuliert. Gegenläufige Gemeinsamkeiten gemeinsam, vor allem das Denken in Frischals literarischen PraeceptorHel- und gedanklichen Einfällen zum Fun- Skizzen und, namentlich bei Burger,in vetiae scharten. Undals es geboten keln brachte,einer, derals poetadoctus Da will einer gefallen und sich womög- Räumen und Konstellationen. In einem schien,sichals Schriftstellerpolitisch blitzgescheitund als Literaturredaktor lich doch ein wenig scharen um den lite- Gespräch mit Horst Bienek von 1961 hat und staatskritischzuzeigen, nicht zuletzt glänzend informiertwar,aberauch rarischen Praeceptor Helvetiae.Das es Frisch mit Blick auf sein erstes «Tage- unterdem Einfluss Frischs,hieltsich einer,der nur kurzaufleuchteteund bald überrascht auch insofern, als man nicht buch 1946–1949» wie folgt beschrieben: Burger abseitsund genoss lieberdie wiedererlosch und dessen Aufleuchten Max Frisch, sondern «Ich war damals [. ..]Architekt. Auf Freuden des bürgerlichenGemeinwohls vor dunklemHintergrund stand. für Burgers «Prosalehrer» hielt, wie er es dem Heimweg vom Atelier,ineinem in Männerchor,Rotary undDorftheater. Blitze treten überraschend auf und anderer Schweizer Schriftsteller seiner in demselben Jahr 1981 im Text «Zu Be- Caf´e ,manchmal sogar im Atelier,wenn nehmen einen unvorhersehbaren Ver- Zeit, und er hat auch als Erster einen such bei Thomas Bernhard» bekannt die Angestellten es nicht sehen konnten, Eine Frage ohne Antwort lauf.Sie verbreiten und verzweigen sich PR-Manager in eigener Sache engagiert. hat. Aber , Hermann schrieb ich solche Skizzen wie die Skizze in alle Richtungen, sie sind Netzwerke Burger mag innerhalb der Schweizer Hesse und Günter Grass kommen dafür vom andorranischen Jud; abgesehen da- Dasentging auch Frisch nicht. Als er um einen Hauptkanal. Dieser Aspekt Literaturszene eine abseitige Position ja mindestens auch noch in Frage.Und von, dass ich nie das hehreGefühl von 1986, kurz nach den Feierlichkeiten rund seiner Blitzkerlhaftigkeit wurde Burger eingenommen haben: Als Schriftsteller, Peter Bichsel. Berufung kannte,hatte ich damals gar um seinen 75. Geburtstag und der Solo- zuweilen unter die Nase gerieben, am Privatdozent, Literaturredaktor und 1981: Daswar das Jahr,indem Frisch nicht Zeit, die Entwürfe auszuführen. thurner Rede «Am Ende der Aufklärung hartnäckigsten von Niklaus Meienberg, Medienprofi, als Zauberer,Zigarren- mit «Blaubart» sein letztes und nicht un- Ich musste Geld verdienen.» steht das Goldene Kalb», der «WoZ» ein der 1983 zu einem Rundumschlag gegen raucher und Ferrarifahrer war er in so bedingt bestes Buch schrieb,umdanach Wasnach blossen (zeit)ökonomi- Interview gab,wurde er von den beiden die gesamte Schweizer Literaturszene vielen Bereichen und in so vielen Ge- für ein ganzes Jahrzehnt bis zu seinem schen Zwängen tönt, hat auch seine emi- Redaktoren Patrik Landolt und Andreas ausholte,weil er sich als einziger kriti- stalten präsent, wie es sich für einen Tod1991 in eine kreative Müdigkeit zu nent poetologische Seite.Burger erkann- Simmen nach seinem politischen Ein- scher Kopf im Lande von allen übrigen Blitzkerl eben gehört. verfallen. 1981 war umgekehrt ein Jahr, te dies sehr früh, schon in seiner dreitägi- fluss auf die jüngereSchweizer Literatur Geistern verlassen fühlte. Blitzkerl: Daskann nur der Ältere in dem Burger zwar schon weitgehend gen Hausarbeit bei der Lizentiatsprü- gefragt. Frisch antwortete: «Sie ist politi- über den Jüngeren sagen. Hermann etabliert war und mit «Schilten» (1976), fung im Nebenfach Kunstgeschichte an scher geworden, ja, aber auch das ist viel- Die Betriebsnudel Burger war mehr als dreissig Jahrejün- «Diabelli» (1979) und den «Kirchberger der Universität Zürich, die später unter leicht schon vorbei. Ein Blitzkerl wie ger als Max Frisch und ist mehr als zwei Idyllen»(1980) gewichtige Werkevorge- dem Titel «Architektur-Darstellung bei Hermann Burger? Wieauch immer: – In einem «WoZ»-Artikel mit dem Titel Jahrevor ihm gestorben. Dasmuss man legt hatte,einer breiteren Öffentlichkeit Max Frisch» in der Sammlung «Als das kam ja nicht durch meine Person, «Dataar me nöd», in dem er die Verban- sich einmal vor Augen führen: Frisch hat aber noch nicht sehr bekannt war. Autor auf der Stör»erschien. Sie beginnt meine Produktion, sondern durch eine delungen des helvetischen Literatur- Burger überlebt. Dabei war Frisch für Die grossen Posen und Preise,etwa mit den Sätzen: «Frischs erstes bedeu- historische Veränderung.» betriebs anprangerte,stellte er Burger Burger eine Vaterfigur,nicht nur wegen der Ingeborg-Bachmann-Preis 1985, tendes Prosawerk ist ein Skizzenbuch, Frisch wirft eine Frage auf,ohne sie als eine Art Betriebsnutte dar: «Daist des Generationenunterschieds –oder sollten erst noch folgen. Während also das ‹Tagebuch 1946–1949›. Viele später zu beantworten. Er lässt sie ausdrück- einer z. B. nicht nur Schriftsteller,son- sagen wir besser,umdie Konstellation Frisch sich langsam aus der Produktion ausgeführte Arbeiten sind skizzenhaft

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Oktober 1987 in Frankfurt am Main. ISOLDE OHLBAUM Die Tätigkeit als Architekt prägte sein späteres literarisches Schaffen ganz entscheidend. Max Frisch(1911–1991) in einer Aufnahme aus dem Jahr 1979. ISOLDE OHLBAUM

darin enthalten: ‹Andorra›, ‹Graf Öder- Hermann Burger war,solieferte sie der der verhandelt wird. Bei Burger indes schellen anzuschreiben, so liefert im hat, aber kein Ende: Die hätte Burger land›, ‹Stiller›- und ‹Gantenbein›-Mo- nun aus dem Nachlass erschienene verkörpert der Satz «Ich bin nicht Schil- «Stiller» das Verschollenheitsmotiv gerne von seinem Lehrer Frisch gelernt. tive.Esbesteht für mich kein Zweifel, Romanerstling «Lokalbericht»von 1970 ler» im «Lokalbericht»sein Problem mit ebenfalls,aber in ganz anderer Weise, Und noch etwas,ersagt es ihm sehr dass Frisch die Anregung zu einem sol- in überreicher Anzahl. Man weiss gar der Nachzeitigkeit, der Einflussangst, den Erzählanlass: «Heute bringen sie ausdrücklich, im Namen seiner ganzen chen Skizzenbuch teilweise der Ausbil- nicht, wo man anfangen soll, so zahlreich der Gefahr des Epigonentums und der mir dieses Heft voll leerer Blätter: Ich Generation (Stichwort Vaterkomplex): dung zum Architekten verdankt. Der und ausdrücklich sind die Verweise.Es Notwendigkeit, sich dieser Gefahr soll mein Leben niederschreiben! wohl «Dies ist es,was wir von Ihnen lernen Architekt lernt beim Entwerfen, aus un- beginnt schon beim Namen der Haupt- schreibend zu stellen, kurz: das Problem um zu beweisen, dass ich eines habe,ein möchten, die Fähigkeit des Jungseins in zähligen Planskizzen eine Idee herauszu- figur: «Mein Name sei Günter Frisch- des poetadoctus,der die Literatur- anderes als das Leben ihres verscholle- Gedanken, die Fähigkeit zur Neugeburt. kristallisieren. Die erste Entwurfsphase, knecht. In diesem Namen stecken alle geschichte genauer im Kopf hat, als ihm nen Herrn Stiller.» Ist die Verschollen- Nicht das Frühreife,Schnellfertige,nicht in der man mit dem weichen Bleistift Hinweise,die man für die Kunst der als Schriftsteller lieb sein kann, wenn er heit im einen Fall die Ausgangslage,aus die atemlose Produktion, nicht dieses noch beinahe planlos über das Paus- Interpretation braucht.» vor dem weissen BlattPapier sitzt. der sich einer herschreibt, so ist sie im tischlerhafte Können, mit ein paar papier fährt, ist die glücklichste und un- Tatsächlich, man wäreselber nicht Es ist eine weitereironische Pikante- anderen Fall der Endzustand, in den sich Hobelspänen einen fehlenden Tisch zu beschwerteste.» darauf gekommen. Und so deutscht es rie,dass Burger nach eigener Aussage in einer hineinschreibt. Ein Verhängnis ist umreissen und mit Gesellenstücken die Burger auch noch aus: «Günter Frisch- der Frankfurter Poetik-Vorlesung auf sie in beiden Fällen. Meisterprüfung ad absurdum zu führen, Die Offenheit der Skizze knecht. Günter ist klar.Frisch auch, diese Problematik unter anderem im sondern ein zähes Ringen um die Wider- Knecht bedarf vielleicht der Erläute- Gespräch mit Frisch aufmerksam wur- Bestürzende Entschärfung sprüche einer Persönlichkeit.» Dasklingt immer noch nach einer blos- rung.Esgibt einen Glasperlenspieler de,der selber nie ein grosser Leser war: Die Kunst des Fragens und die Kunst, sen Arbeitstechnik, bezeichnet aber in dieses Namens,erist der Knecht einer «Jaich verfasste damals einen Artikel Zu den Entsprechungen zwischen «Stil- mit den eigenen Widersprüchen umzu- Tatund Wahrheit einen poetischen geistigen Inzucht, die aus Ekel vor dem für die Studentenzeitung mit dem Titel ler» und «Schilten» gehört zuletzt auch gehen und immer wieder von vorn zu Grundzug,der sich sowohl bei Frisch als feuilletonistischen Zeitalter betrieben ‹Schreiben Sie trotz Germanistik?›. Ein der grossformale Aufbau der beiden beginnen: Dies ist es,was Burger an auch bei Burger beobachten lässt: Der wird.» Grass,Frisch, Hesse: das frühe Gespräch mit Max Frisch im ‹Hinteren Romane: Endet «Stiller» mit einem er- Frisch als Schriftstellerpersönlichkeit Hang zum Skizzenhaften bedeutet eine Dreigestirn in Hermann Burgers litera- klärenden «Nachwort des Staatsanwal- wahrnahm und für sich selber vornahm. tastende Herangehensweise und eine rischem Weltbild. Jedem Namen kommt tes», das Frisch später übrigens aus- Vielleicht liegt darin, bei allen gegen- Scheu vor der endgültigen Fixierung. im Namen der Hauptfigur Günter drücklich bereut hat, so endet «Schilten» läufigen Gemeinsamkeiten, wie sie sich Die Skizze ist Ausdruck einer Such- Frischknecht eine eigene Funktion zu. mit einem «Nachwort des Inspektors», in den Biografien und Texten zeigen, die bewegung,die sich zur eigenen Offen- Für Frisch bedeutet dies: «der Schule das zu bereuen Burger allen Anlass ge- grundlegendste Verbindung zwischen heit bekennt. Frisch sagt es im ersten dienen, aber noch frisch und unver- habt hätte.Beide Male sorgt das Post- Frisch und Burger. Tagebuch sehr deutlich: «Die Skizze hat braucht sein, auch: Schweizer Autor scriptum für eine Ordnung im Roman- eine Richtung,aber kein Ende; die sein, aber von der deutschen Stilüber- Der Einfluss des archi- kosmos,die dessen poetische Brisanz auf Die Möglichkeitsform Skizze als Ausdruck eines Weltbildes, fremdung nicht unverseucht». Das tektonischen Denkens bestürzende Weise entschärft. das sich nicht mehr schliesst oder noch klingt etwas bedenklich, vor allem die Wirmüssen zum Schluss noch einmal In der Frankfurter Poetik-Vorlesung nicht schliesst.» Wendung am Schluss,aber es deutet auf das Schreiben war ins Tessin, nach Berzona. Dort war näm- sagt Burger gegen Ende,imSinne eines Burger hat dies nicht nur als lesender schon auf Burger,wie man ihn aus spä- den beiden gemeinsam. lich auch Burger,als er im Sommer 1970 R´esum´e s: «Schreiben als Existenzform Germanist erkannt, er hat sich auch als teren, reiferen Texten kennt, dass er in Calascino an seinem ersten Roman heisst, die komplementären Erfindun- Schriftsteller darin wiedererkannt. Im diese einigermassen aufdringlichen In- schrieb.Erhat Frisch in seinem Rustico gen suchen zu diesem Leben, das als erwähnten Aufsatz «Als ich Max Frischs terpretationshilfen zuletzt selber ins besucht und ihm anscheinend den Kopf Rohfassung nicht genügt. Entscheidend erstes Tagebuch las» sieht er gerade im Lächerliche zieht: «Frische Knechte vollgequatscht. Jedenfalls war dies seine ist der Spieltrieb.Max Frisch sagt im architektonisch skizzierenden Denken güntern frisch frische Knechte.Freche peinliche Erinnerung,als er kurz darauf zweiten Tagebuch, der älter werdende Max Frisch als seinen Lehrer an: «Dass Knirsche knechten gekenterte Frische. einen Brief an Frisch schrieb,den er aber Mensch verlieredie Lust, einen Draht in mein Wegvon der Architektur zur Ger- Günters Günt güntert günte Günter. nie abgeschickt hat. Er bedauert, zu viel die Hand zu nehmen und ihn zu biegen. manistik und von da zur Schriftstellerei Womit dieser Gag erledigt wäreund wir Sternen› hatte viel dazu beigetragen, geredet und zu wenig gefragt zu haben: Werschreibend sich verhält, kann dem führte,mag im Zusammenhang mit uns wohl oder übel wieder etwas einfal- dass ich die Problematik erkannte.» «Sehr geehrter Herr Frisch, Haben Sie Reiz nicht widerstehen, potenzielle Da- Frisch als ironische Pikanterie erschei- len lassen müssen.» Wieprägend für Burger der Umgang Dank fürs Gespräch. Hinterher ärgert seinsformen zurechtzubiegen, Lebens- nen. Wichtig war das ‹Tagebuch› als Selbstverständlich hat Burger dies mit Einflussängsten und Prätexten war, man sich immer,dass man zuviel gefaselt läufe auszuprobieren. Wiewäreich als Sehschule für meine Existenz, und es ge- getan und sich einen neuen Gag einfal- ist inzwischen bekannt und zeigt sich be- und zuwenig gefragt hat, in der Meinung, Tabakkaufmann herausgekommen, wie hört seither zu meinem Gepäck.» len lassen, einen Kalauer der besonde- sonders schön in seinem grossen Roman man müsse eine Prüfung in Deutsch und als Drehorgelspieler,wie als Leiter einer Kaum erstaunlich also,dass Burger in renArt. Im «Lokalbericht»heisst es ein- «Schilten» –der ja nur schon vom Titel Weltanschauung ablegen. Eine Art von Hausiererschule? Zwei Formen beherr- seiner Frankfurter Poetik-Vorlesung mal, frei nach Max Frisch: «Ich bin nicht her eine lupenreine Assonanz ist auf den Vaterkomplex.» schen mein Denken: die Frageform und «Die allmähliche Verfertigung der Idee Schiller.» Normalerweise sollte man berühmten Romantitel von Frisch – Stil- Nun fällt es doch noch, das Wort, das die Möglichkeitsform.» beim Schreiben» von 1986, auf deren Kalauer,zumal germanistische,diskret ler / Schilten –, von der Alliteration ganz wir lieber vermieden hätten, um nicht in Die Frageform und die Möglichkeits- Umschlag ein architektonischer Grund- übergehen, um keine Peinlichkeit auf- zu schweigen. DasVerschollenheitsmo- psychoanalytische Untiefen zu geraten. form: Daswaren auch die Formen, die riss des Romans «Die Künstliche Mut- kommen zu lassen. Hier aber lohnt es tiv,das in «Schilten» bis zum bittersten Bleiben wir also besser beim Fragen, das Denken von Frisch beherrschten ter» abgebildet ist, unumwunden das sich, näher hinzusehen. Ich binnicht Ende durchdekliniert wird(schilten, Burger kommt nämlich später im Brief und die Frisch als Schriftsteller am bes- Bekenntnis ablegt, dass er «im architek- Schiller / Ich binnichtStiller:Der Kalauer schellen, verschellen, verschollen), kommt darauf zurück: «Verzeihen Sie mir [. ..], ten beherrschte,man denkenur an die tonischen Entwerfen mehr für das spä- ist literarisch erstaunlich existenziell. im «Stiller» schon auf der allerersten wenn ich primarlehrerhaft nach Ber- ewigwährenden Fragebögen aus dem tereSchreiben gelernt habe als während In beiden Fällen zielt er auf den Seite vor: «Ich bin nicht Stiller!», lautet zona fahreund Ihnen hilflos quasselnd zweiten Tagebuch oder an das Stück der ganzen Germanistikausbildung». Es archimedischen Punkt: Bei Frisch ver- nur der erste Ausruf der Hauptfigur,der gegenübersitze,stattFragen zu stellen, «Biografie: Ein Spiel», das die Existenz ist eine Aussage,die wohl auch Frisch körpert der berühmte Ausruf «Ich bin zweite lautet: «sie halten mich für einen Fragen, die wir alle nicht beantworten in ihrem Möglichkeitssinn durchspielt. unterschrieben hätte. nicht Stiller!» im ersten Satz des «Stil- verschollenen Bürger ihres Städtchens!» können, deren Unbeantwortbarkeit Sie Für Max Frisch wie für Hermann Burger Wenn es noch der Beweise bedurft ler» wie kein anderer das Problem der Ist Burgers Roman «Schilten» der aber seit Jahrzehnten ausgetragen und gilt der Satz: Schreiben heisst, von der hätte,wie massgeblich die Figur Max Identität, das ja bekanntlich in seinem verzweifelte Versuch Armin Schild- gelebt haben.» Die Kunst des Fragens Frageform und der Möglichkeitsform Frisch für den werdenden Schriftsteller gesamten Werk immer und immer wie- knechts,gegen sein unaufhaltsames Ver- also,das,wie die Skizze,eine Richtung auszugehen.

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