«Er Hat Sich Ja Selbst Immer Wieder Inszeniert» Hermann Burger (1942–1989) Simon Zumsteg, Herausgeber Der Werkausgabe, Über Burgers Leben Und Schreiben
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14 Nordwestschweiz | Mittwoch, 5. Februar 2014 «Früher hatten Män- ner keine Krise, sondern nur schlechte Laune.» KULTUR Frank Goosen, Kabarettist und Autor («Liegen lernen») «Er hat sich ja selbst immer wieder inszeniert» Hermann Burger (1942–1989) Simon Zumsteg, Herausgeber der Werkausgabe, über Burgers Leben und Schreiben VON MARCO GUETG Was halten Sie von der These, wo- nach Hermann Burger sich nicht absichtlich umgebracht hat, dass sein Tod vielmehr ein Unfall war? Ich glaube auch eher an einen Unfall. Doch letztlich ist das wohl gar nicht so wichtig. Schon interessant ist je- doch, wie dieser Suizid rezipiert wird err Zumsteg, – immerhin hat Burger ja nur ein als Hermann Jahr vor seinem Tod in seinem «Trac- Burger 1989 tatus logico-suicidalis» über die starb, waren Sie 16 Jahre alt. Er war Selbsttötung philosophiert. Nun gibt somit wohl kaum einer jener Auto- es zwei Lager. Die einen gehen von ren, die zu Ihrer literarischen Sozi- einem Unfall aus, die anderen wollen alisation beigetragen haben. Burger den Triumph der Freiheit, Simon Zumsteg: Sie täuschen sich! dem Leben selber ein Ende gesetzt zu An der Kantonsschule Baden – ich haben, nicht wegnehmen. Für einen trat in Burgers Todesjahr ein – unter- Zauberer wäre es ja himmeltraurig, richteten mehrere Lehrer, die mit wenn er sein Leben nur aufgrund ei- Hermann Burger studiert hatten oder nes dummen Zufalls verlöre. Das mit ihm befreundet waren und ihn sind freilich alles Spekulationen, quasi zum literarischen Kanon zähl- aber halt irgendwie eine fast logische ten. Folge der Selbstinszenierung, die Burger so erfolgreich praktiziert hat. Ihre erste Burger-Lektüre fällt so- mit in die frühe Kanti-Zeit? Aber es ging ihm nicht gut zum Ja. Es war sein erster Roman «Schil- Zeitpunkt seines Todes. ten». Ja. Es war eine höchst turbulente Zeit: Verlagswechsel, Autokäufe, Ver- Erinnern Sie sich an Ihre Reaktion? lust der Festanstellung bei der Ich war irritiert. Das war der erste «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» Reflex. Der zweite: aber witzig! Na- usw. Ob ein Unfall oder nicht, Burger türlich war ich noch viel zu jung, um starb in einer Zeit einer massiven zu begreifen, was da alles drinsteck- Überbelastung. te. Irgendwie bin ich davon dann aber doch nicht mehr losgekom- Mann mit Schlapphut: Bei Hermann Burger verschmolzen Kunst und Leben. HO Welches Buch raten Sie einem Bur- men ... ger-Novizen zum Einstieg? ■ Eine der «Diabelli»-Erzählungen. Dort Spricht man heute von Hermann DER HERAUSGEBER DES GESAMTWERKS: SIMON ZUMSTEG ist Burgers Virtuosität, seine Kunst – Burger, taucht gleich ein Burger- Literatur, die sich um sich selbst Bild auf: Mann mit Schlapphut, 1973 in Zürich gebo- tik, Philosophie und Hermann Burger» (Edi- Schweizerischen Lite- dreht, sehr schön angelegt. Danach Goldkettchen und Zigarre, der mit ren und im Aargau auf- Geschichte studiert. tion Voldemeer). Er ist raturarchiv an der text- dann sollte er sich möglichst schnell einem Ferrari durch die Gegend gewachsen, hat Simon 2011 erfolgte die Pro- Herausgeber der acht- genetischen Edition «Schilten» vornehmen. brauste. Ein Zerrbild, oder? Zumsteg zwischen motion mit der Studie bändigen Ausgabe der von Burgers bisher «Zerrbild» hat ja mit «Groteske» zu 1994 und 2002 an den «‹poeta contra doctus›: Werke Hermann Bur- noch unveröffentlich- Sie sind Mitglied eines Teams am tun. So gesehen, stimmt das Bild: Universitäten Zürich Die perverse Poetolo- gers und zurzeit Teil ei- tem Roman «Lokal- Schweizerischen Literaturarchiv, Burgers Verhalten hatte tatsächlich und Wien Germanis- gie des Schriftstellers nes Teams, das am bericht» arbeitet. (GU.) das an der wissenschaftlichen Edi- groteske Züge angenommen. Doch tion von Burgers erstem noch un- letztlich sind das einfach Facetten, veröffentlichten Roman aus den die dazugehören, wenn man den folgte der Erzählband «Bork». Ich denke, es ist die Addition von al- Eher wenig anfangen kann ich auch frühen 1970er-Jahren arbeitet. Wo- ganzen Burger verstehen will. Er hat Steckt in diesen frühen Werken lem. Fundamental für die Art seines mit den Gedichten des 24-Jährigen von handelt er? sich ja selbst immer wieder erfolg- schon der spätere Burger? Schreibens waren seine Leseerlebnis- im Band «Rauchsignale». Sie sind mir Er heisst «Lokalbericht», wird erzählt reich inszeniert. Bei Burger waren Im Keim. In den «Rauchsignalen» se: Thomas Bernhard oder Günter noch zu sehr angelehnt an Paul Ce- von einem jungen zwischen Wirk- Kunst und Leben derart verschmol- taucht schon seine Melancholie auf, Grass’ «Blechtrommel». Was er dar- lan, Ingeborg Bachmann oder Erika lichkeit und Illusion hin- und herge- zen, dass heute die meisten Men- in «Bork» tanzen einzelne Texte be- aus aber gemacht hat, ist etwas An- Burkart. rissenen Germanisten und kreist um schen nur noch über biografische Re- reits auf der Grenze zum Surrealen. deres und hat mit einer Einflussangst das damalige kulturelle Leben in ei- miniszenzen reden wollen. Dabei Die sprachliche Gestaltung allerdings vor den Giganten der Literatur zu Wie wichtig war für Burger der Ort ner Stadt an der Aare ... sind es doch eigentlich seine wunder- ist zu diesem Zeitpunkt noch wenig tun. Diese Angst hat ihn sein Auto- seiner Herkunft? baren Texte, die im Mittelpunkt ste- akrobatisch. renleben lang begleitet. Burger woll- Ausgesprochen wichtig! Sein Leben Ist noch mehr aus Burgers Nach- hen sollten. te etwas Neues schaffen. In dieses und Schreiben spielte sich vor allem lass zu erwarten? Wann trat die Zäsur ein? Neue reingepackt hat er jedoch suk- im Aargau ab; ausser in jungen Jah- Ja, ein Burger-Text wird voraussicht- Sie haben sich diesen im Rahmen Mit «Schilten», diesem fast barocken zessive so ziemlich alles, was ihn ge- ren ist er selten gereist. Ja, seine Tex- lich bald einmal wortwörtlich erklin- Ihrer Dissertation intensiv gewid- Roman, der eine Art geschlossenes prägt hat. Dazu gehört auch die aus- te geben gar zur Vermutung Anlass: gen. Der Komponist Michael Pelzel met. Wie hat sich Ihr Burger-Bild Wahnsystem präsentiert. Wohl geprägte Anbindung an seine Hermann Burger ist nichts eingefal- arbeitet gegenwärtig an Burgers nie dabei verändert? schweift Burger immer wieder ab, Heimat, an den Kanton Aargau. Bur- len, was ausserhalb seines Lebens- integral aufgeführtem Theaterstück In seinen Texten steckt sicherlich doch er bewegt sich darin in einem ger hat sich entschieden gegen die kontextes stattgefunden hat. «Die Scheintoten». Er will einen Teil weit mehr als der von mir untersuch- eng abgesteckten Rahmen. Jedes These vom «Diskurs in der Enge» ge- davon als Oper in Szene setzen. te Kampf gegen die grossen Vorläu- Phänomen wird strikt durchexer- stemmt und sich erfolgreich in die Welchen Titel würden Sie über sei- ziert. Einmal tut er dies ganz geord- Bewegung des neuen Regionalismus ne Biografie setzen? net, dann wieder mäandert er. Ein eingeschrieben. Was immer ihn be- Hm … wenn er originell sein sollte, Hermann Burger/Simon Zumsteg «Burger hat gezielt Low- Roman in dieser Form war damals troffen gemacht hat, nahm er auf vielleicht nicht «Ein Mann aus Wör- (Hrsg.): Werke in acht Bänden. Nagel & schon einzigartig in der Schweizer und verarbeitete es in seinen Texten. tern». Diesen Titel – er stammt von Kimche 2014. 3184 S., Fr. 198.–. culture-Aspekte in seine Literatur. Dieter Bachmann, der ein Burger-Port- Literatur eingebaut.» Er war ein Lexikon-Plünderer und rät fürs «Das Magazin» geschrieben Barock und ausufernd ist eine Qua- Wort- und Formmaniak und lief da- hatte – fand Burger so gut, dass er ihn Hermann-Burger-Woche Simon Zumsteg, Herausgeber lifikation, die auch für andere Ro- durch auch Gefahr, zu überdrehen. gleich usurpiert hat. Das wurde dann Die Bücher von Hermann Burger mane jener Zeit gilt. Ich denke an Überdrehen ist die richtige Meta- sozusagen zur Marke und manch ein (1942–1989) waren bis auf seinen Albert Vigoleis Thelen, an Gerold pher! Der Zauberer Burger hat im- Nachruf trug noch diesen Titel. ersten Roman «Schilten» (1976) fer. Mir wurde zunehmend bewusst, Späth ... mer mit der Volte gearbeitet – nicht lange Zeit vergriffen. Mit der diese dass Burger gezielt Low-culture-Aspek- … stimmt, insofern ist das, was Her- erst in seiner Erzählung «Diabelli». Nach der Publikation von «Schil- Woche erschienenen Werkausga- te in seine Literatur eingebaut und in- mann Burger in der Nachfolge etwa Dass er dabei gelegentlich eine Pirou- ten» hat Burger die existenzielle Er- be ändert sich das nun. Darin ent- sofern gerade am Überschreiten der eines Jean Paul gemacht hat, nicht ette zu viel geschlagen hat, wurde fahrung gemacht, dass Fiktion die halten sind Burgers Gedichte, Er- Grenze zwischen E und U gearbeitet einzigartig. Einzigartig aber ist die ihm denn zuweilen auch vorgewor- Wirklichkeit durchaus beeinflus- zählungen und Romane wie viele hat. «Die Künstliche Mutter» zum Bei- Kombination dieser Poetik der Ab- fen. Bei solch rasanten Fahrten auf sen kann. Glauben Sie, dass ihn das seiner Feuilletons und Aufsätze. spiel ist ein wilder Mix aus Hoch- und schweifung mit der kühlen Radikali- der Geisterbahn von Form und Inhalt zusätzlich psychisch belastet hat? Aus Anlass dieses Burger-Revivals Niederkultur; es kommen zotige Witze tät à la Thomas Bernhard. kann das schon mal passieren ... Was seine Depression betrifft, so hatte findet in unserem Kulturteil eine vor, Pornografisches, Sagen aus der er ab 1971 körperliche Symptome, die Burger-Woche statt. Heute publi- Schweiz … ein Kulturpotpourri in der Wie kam es eigentlich zu Burgers Wo ist er gestrauchelt? im Frühjahr jeweils wiederkehrten. zieren wir ein Gespräch mit Simon Art, wie es zuvor in der Schweizer Lite- künstlerischem So-Sein? Hat das Darauf zu antworten, fällt mir 1979 dann durchlebte er seine erste Zumsteg, dem Herausgeber dieser ratur noch nie angerichtet worden ist. mit seinem Studium zu tun, mit schwer – aber das hat wohl mit mei- manische Episode. Auslöser der Krank- Werkausgabe. Morgen werfen wir seinen Lektüreerfahrungen, mit ner persönlichen Eingenommenheit heit war seine Erkenntnis über die einen Blick auf Burgers Wirkung Angefangen hatte Burger mit dem seinem Leben oder mit der Summe zu tun. Wenig überzeugend sind für Wirkung von Literatur aber bestimmt bis heute. (GU.) Gedichtband «Rauchsignale».