VIII. DAS JAHRHUNDERT DES SOZIALEN WANDELS: 1. Flucht in die Stadt (21/1999); 2. Aufstieg durch Bildung (22/1999); 3. Sucht nach Mobilität (23/1999) FOTOS: FORD (o. li.); DAS FOTOARCHIV (u. li.); ACTION PRESS (u. re.) (u. li.); ACTION FOTOARCHIV FORD li.); DAS (o. FOTOS: Henry Ford I. im Ford A-Modell (1924); Porsche, Hitler, -Modell (1936); Highway in Kalifornien; Porsche 911

Das Jahrhundert des sozialen Wandels Sucht nach Mobilität Motor des industriellen Wohlstands, Ikone von Freiheit und Protzsucht – das Automobil veränderte den Alltag wie keine andere Erfindung zuvor. Die Massenmotorisierung hatte ihren Preis: Umweltschäden und Megastaus. Doch das Auto wird weiter geliebt.

der spiegel 23/1999 143 Das Jahrhundert des sozialen Wandels: Sucht nach Mobilität

Das Ding, das vorwärtsdrängt Von Christian Wüst

m frühen Morgen des 5. August Als „sehr unruhiges und ganz und gar 1888 fand der Mannheimer Fabri- unangenehmes Beförderungsmittel“ schalt Akant Carl Benz einen Zettel in der Englands Königin Victoria die junge Erfin- Küche. „Wir sind zur Oma nach Pforzheim dung. Bei der Eröffnung der internationa- gefahren“, grüßten Frau und Kinder. Der len Automobilausstellung 1898 in Paris Wagen war weg. nannte Frankreichs Präsident Félix Faure Bertha Benz reiste, chauffiert von Sohn Autos „ziemlich häßlich und übelrie- Eugen, in dem klapprigen, erst zwei Jahre chend“. Die schwachen Motoren, anfangs zuvor patentierten Dreirad 100 Kilometer meist Einzylinder mit etwa zwei bis drei durch die badische Hügellandschaft. „Tap- PS, kapitulierten bereits an mittleren Stei- fer und mutig“, erinnerte sich der Ehe- gungen (zwei Bauernbuben halfen Bertha mann später, „hißte sie neue Segel der Benz über einen Berg vor Pforzheim) und Hoffnung auf.“ vibrierten so heftig, „daß die Zuschauer Laut Mercedes-Firmenchronik verfügte oft meinten, die Fahrgäste zitterten aus die Fabrikantengattin über beachtlichen Angst“, schreibt Verkehrs-Chronist Max- technischen Sachverstand und reichlich Im- well Lay in seinem Buch „Die Geschichte provisationstalent. Mit der Hutnadel sto- der Straße“. cherte sie die verstopfte Kraftstoffleitung Nichts sprach damals für eine glänzen- frei. Das Strumpfband diente zum Isolieren de Karriere der neuen, bizarr anmuten-

Spiegel des 20. Jahrhunderts eines wundgescheuerten Zündkabels. den Transportmittel. Pferdekutschen be- Als Werbeveranstaltung für das gera- herrschten den urbanen Nahverkehr und de erfundene Benzinmobil taugte der welt- verseuchten die Innenstädte.Allein in New weit erste Akt von Automobiltourismus York sammelten sich täglich 1100 Tonnen nicht. Nach zahlreichen Zwangspau- Mist auf den Straßen an. sen, etwa zum Erneuern der ledernen Die Zukunft des Reiseverkehrs, so Bremsbeläge, erreichte Bertha Benz Pforz- schien es damals, lag auf den Schienen und heim. Mit dem Fahrrad wäre sie schneller Ozeanen. Die Vorboten des beginnenden gewesen. Massentourismus, eine betuchte Elite, roll- Die ersten benzingefeuerten Motorwa- ten in Salonwagen in die Ferne oder be- gen waren alles andere als gebrauchstüch- stiegen Ozeanriesen wie die „Titanic“, die tige Fahrzeuge. Sie erschienen kaum als schwimmende Grand-Hotels zwischen zweckmäßiger als die bereits über 100 Jah- den Kontinenten pendelten. re zuvor eingeführten Dampfmobile, die Den Motorwagen trauten nicht einmal vereinzelt mit ihren gigantischen Heizkes- ihre Erfinder eine große Zukunft zu. Der seln über die Feldwege zuckelten. Weltmarkt für Automobile, prognostizier- ten die Daimler-Werke um die Jahrhundertwen- de, werde eine Million Start bei einem Autorennen um 1910: „Eine Wagen nie überschreiten, da nur ein kleiner Pro- auf eine halbe Milliarde Automobile. Täg- zentsatz der Arbeiter lich kommen 100000 neue hinzu. zum Chauffeur ausgebil- Keine andere Erfindung veränderte das det werden könne. Bild der Erde und den Alltag der Menschen Beginnend mit dieser so schnell und so nachhaltig. Jahrtausen- grandiosen Fehleinschät- dealte Siedlungsstrukturen, in denen kaum zung in eigener Sache, er- jemand weiter als zehn Kilometer vom Ar- hoben sich die Automo- beitsplatz entfernt wohnte, verschwanden. bilbauer binnen weniger Weitverzweigte Wohngebiete und Vor- Jahrzehnte zur Schlüssel- städte breiteten sich aus. industrie der Weltwirt- Der Siegeszug des Automobils gipfelt in schaft. Wie ein Virus mit der täglichen Apokalypse von Lärm, Ab- unerschöpflicher Repro- gasen, Energieverschwendung und kilo- duktionsenergie bevöl- meterlangen Staus. Das Instrument der Be- kerte das Kraftfahrzeug freiung und Mobilmachung wurde zum

B. BOSTELMANN / ARGUM den Planeten Erde. Der Alptraum des Jahrhunderts, was seiner all- Porsche-Stand auf der IAA 1997: Lust am Überfluß Bestand wuchs bis heute gemeinen Beliebtheit jedoch nicht den ge-

144 der spiegel 23/1999 fachte er den Spiritusbrenner der um- ständlichen Glührohrzündung und steck- te unversehens seinen benzingetränkten Monteursanzug in Brand. Geistesgegenwärtig warf der Kunde den lodernden Ingenieur in einen nahe gelege- nen Gartenteich. Mit schweren Verbren- nungen überlebte der bedeutendste Pio- nier der beginnenden Motorisierung. Maybach, knebelbärtig und gottesfürch- tig wie ein Protagonist aus der Romanwelt Heinrich Manns, legte den Grundstein des modernen Automobilbaus. Die Vollwaise, im Reutlinger Bruderhaus zum Ingenieur ausgebildet und dort durch den begüterten Unternehmer Gottlieb Daimler entdeckt, befreite das Kraftfahrzeug von den Fes- seln des altertümlichen Karossenprinzips. Die hochbeinigen Kutschen, nachträglich mit Motoren versehen, waren rasch an die Grenzen der Fahrphysik gestoßen. Sie ge- rieten ins Schleudern, kippten in Kurven um und wurden, als die Motorleistungen stiegen, zu tödlichen Katapulten. Daimler-Werksfahrer Wilhelm Bauer verunglückte im März 1900 auf einer Wett- fahrt in Südfrankreich. Bei etwa 60 km/h verlor er in der Kurve die Kontrolle über das Gefährt, wurde gegen eine Wand ge- schleudert und starb am Tag darauf im Hospital an den Folgen eines Schädel- bruchs. Maybach untersuchte den Unfallwagen, erkannte, daß die Ursache im Konstruk- tionsprinzip begründet lag, und schuf ein völlig neues Fahrzeug. Im Jahr darauf er- schien der erste Mercedes, benannt nach der Tochter des österreichischen Ge- schäftsmanns Emil Jellinek, der die Daim- ler-Wagen in Frankreich vertrieb. Mit einer gänzlich vom Kutschenbau ab- gekehrten Rahmenkonstruktion senkte Maybach den Schwerpunkt deutlich ab, verlängerte den Radstand und verlegte den Motor nach vorne. Der Fahrer saß nun zwi- schen und nicht über den Rädern. Neun Jahrzehnte behielt Mercedes diese „Stan- dardbauweise“ bei und verließ sie erstmals mit dem vor zwei Jahren präsentierten

HERBERT / ARCHIVE PHOTOS HERBERT Kleinwagen der A-Klasse und dem Stadt- archetypische Gewalt, völlig immun gegen Aufklärung“ mobil Smart – beide hochbeinig und mit kurzem Radstand. Prompt fielen sie ringsten Abbruch tat. Als „archetypische Schon bevor es ernstzunehmende Ge- wieder um. Gewalt“ definiert der Philosoph Peter Slo- schwindigkeiten erreichte, war das Auto- Maybachs Wagen begründeten den terdijk das Automobil, „die völlig immun mobil ein lebensbedrohliches Gerät, allein Ruhm der Marke Mercedes. Dank seiner gegen Aufklärung ist“. wegen der leichten Entflammbarkeit seines damals einzigartigen Straßenlage vertrug Keine einzige Errungenschaft der zivilen Kraftstoffs. Wilhelm Maybach, Chefkon- er Motorleistungen bis zu 90 PS, erreichte Technikgeschichte entwickelte eine ver- strukteur der Daimler-Motorenwerke in über 130 Stundenkilometer und war in gleichbare Zerstörungskraft. Jede Minute Cannstatt, wurde 1892 beinahe das erste Rennen schier unbesiegbar. Sämtliche Kon- stirbt auf der Welt ein Mensch im Straßen- Feueropfer der Automobilgeschichte. kurrenten übernahmen bald Maybachs verkehr.Weltweit fallen eine halbe Million Vor der Übergabe einer Motorkutsche Konstruktionsprinzip. „Deutschland hat Menschen pro Jahr dem blechernen Göt- an einen Kunden reparierte er deren de- den Beweis erbracht, daß es technisch an zen zum Opfer. fekte Kraftstoffleitung. Kurz darauf ent- der Spitze der automobilistischen Bewe- „Der Kraftwagen ist neben dem Flugzeug zum genialst durchkonstruierten Verkehrsmittel der Menschheit geworden.“ , 1933

der spiegel 23/1999 145 mußte mit einerrotenFahne gehen jedem FahrzeugeinFußgänger „Red Act“ Flag auf,wonachvor 1896 Verbrennungsmotor her mit ersten Lastkraftwagen 1896 Luftreifens fürAutomobile 1895 Pforzheim geschichte vonMannheimnach derAutomobil- die ersteFernfahrt 1888 patentieren Motorwagen Carl Benzlassendieersten 1886 Ungebremste Fahrt Spiegel des 20. Jahrhunderts 148 dafür aber mitautomatischem Strafvoll- zwar nichtexakt eichbar, Lichtschranke, die Behörden eineFrühform dermodernen tiger Schwellen anOrtseinfahrten. den VorläufernGräben durchfurchten, heu- sie dieFahrbahn mit 20Zentimetertiefen indem wehrten sichgegen Schnellfahrer, eigene Kosten instandhaltenmußten, dieihre VerkehrswegeLandgemeinden, auf renden Autorädern tiefdurchpflügt wurde. aber von denrasend rotie- ten Haltgab, diePferdehufen gu- lockeren Kiesschicht, henden Verkehrswegezerstörte. weil esdiebeste- ternden Luxusspielzeug, Die Landbevölkerung grollte demknat- so geschwind zumallgemeinen Ärgernis. sich zumelitären Prestigeobjekt undeben- Rasch entwickelte es keine Zweifel mehr. gegenüber demPferdefuhrwerk bestanden 1924 unangetastet. DieBestleistungblieb bis eine Meileauf. USA den Weltrekord von 228,1km/hüber inden Vierteln derMotorraum ausfüllte, dessenKarosserie zudrei tige Rennwagen, 1911 stelltederrammbockar- Höhepunkt. erreichte diePS-Spirale einenvorläufigen ImBlitzen-Benz von 1909 ten Fahrwerke. neue dieStabilitätsreserven derverbesser- 1901 gewaltig anundüberreizte rasch aufs torenbaus zählten. bald darauf zumStandard modernenMo- dieschon wellen einzuführen –Bauteile, Zündkerzen undobenliegende Nocken- Querelen war seinebeharrliche Forderung, Anlaßder bald ausdemUnternehmen. war 1900 verstorben –mobbte den Visionär Mercedes-Management –GottliebDaimler Ihm Preis undEhr!“ der Konstrukteur desMercedes-Wagens. „Dergeniale Maybach ist geblatt“ 1903. schrieb das„Neue Wiener Ta-gung steht“, Das Jahrhundert sozialen des Wandels: Großbritannienhebtden Daimlerstelltden Verwendung des Benzunternimmt Bertha GottliebDaimlerund Im kanadischenOntarioentwickelten Die Straßen bestandenmeistauseiner An derÜberlegenheit des Automobils Die Leistungder Aggregate stiegnach Das Zuteil wurde ihmletztlich Undank.

Von derMotorkutschezurBlechlawine von Personenwagen erhoben Luxussteuer aufden Besitz 1906 patentieren Prinzip desSicherheitsgurts 1903 wird erfunden Asphalt-Straßenbelags, Vorläufer desheutigen 1901 als 100km/h Geschwindigkeit vonmehr Elektroauto eine Jenatzy erreichtmiteinem 1899 InDeutschlandwird Louis Renault läßtdas DerTeermakadam, DerBelgierCamille en wievieleHühnerwirinden alten nern, Mitglieder desHohenHausessicherin- „Zweifelsohne werden vielederälteren ner Debatte imbritischenUnterhaus: te OberstleutnantMoore-Brabazon beiei- 1934 sag- bilisten schürtebereits Konflikte. ersten (allesamtschwerreichen) Automo- mögen rechtzeitig anhaltenkonnte. schwindigkeit undgutemReaktionsver- denen derFahrer nurbeierlaubter Ge- vor zisten Nagelbretter aufdieFahrbahn, dem heranbrausenden Wagen warfen Poli- Ineinemfestgelegten Abstand vor zug. DPA Baustelle am Frankfurter Kreuz: Baustelle amFrankfurter Das durchweg unsoziale Verhalten der der spiegel der spiegel Pferdedroschke, Omnibus(inLondon, 1907) senproduktion den entscheidenden AnstoßzurMas- Fließband montierenundgibtdamit mobilfabrikant Autosvollständigam 1913 Pferde ersetzt durch Lastkraftwagen 1911 23/1999 HenryFord läßtalsersterAuto- InderbritischenArmeewerden Sucht nachMobilität Jahrtausendealte Siedlungsstrukturen verschwanden iml idroe.Ineiner Ausgabe vonniemals wiederholen. einsolchesEreignis möge sich Hoffnung, Der RichteräußerteimGerichtssaaldie geläutet und„Aus dem Weg!“ geschrien. erhabe seineGlocke tigte sichvor Gericht, Edsallrechtfer- ergriffen wurde undstarb. dem Fahrzeug einesgewissen Arthur Edsall dieam17.August 1896von Bridget Driscoll, Autos zähltedieLondonerPassantin genauso.“ UnddenHundenginges voller Federn. war derKühler wir nachHausekamen, Immerwenn Zeiten überfahren haben. Zu denerstenmenschlichenOpfern des

MARY EVANS PICTURE LIBRARY ersten Diesel-Pkw vor 1936 Reichsautobahn – 1935 in Deutschland 1922 bahnbau Vorbild fürdenspäterenAuto- „Avus“. DieRennstrecke wird 1921 zeichen auf ampel mitdreifarbigenLeucht- die StadtersteVerkehrs- Detroit. DreiJahrespäterstellt 1915 zogen Pferdebus ausdemVerkehr ge- 1914 Mercedesstellt den Eröffnungderersten EinführungderKfz-Steuer derBerliner Fertigstellung ErstesStoppschildin InLondon wird derletzte 1902 beklagte die „Times“: „Es scheint un- kurrenten Ransom Olds einge- gewöhnlich viele Autofahrer zu geben, die führt worden, dem Gründer der keine Gentlemen sind.“ noch heute bestehenden Marke Der Volkszorn gegen rücksichtslose Ra- Oldsmobile. ser führte zu vereinzelten Ausbrüchen von Doch Ford setzte das Poten- Anti-Auto-Terrorismus, etwa dem spekta- tial des Fließbands konsequen- kulären Steinwurf auf den Wagen des ter um und machte es zur Schlüs- Großherzogs von Hessen bei einer Fahrt seltechnik der beginnenden Mas- durch Friedberg 1905. Es handelte sich senmotorisierung. Zwischen 1910 „natürlich nicht um ein Attentat auf das und 1920 stieg die Jahresproduk- Fürstenpaar“, schrieb die Zeitschrift „Au- tion der Ford-Fabrik von 18664 tomobil-Welt“. Der Steinwerfer habe auf 1 250 000 Wagen. Der Preis „eben einmal wieder nach Automobilen für ein Ford-Auto sank von 950

‚schmeissen‘ wollen und nicht bedacht, auf 355 Dollar. Das spartanische SIMON SVEN dass in dem Wagen sein Landesfürst sitzen Model T, erhältlich „in jeder be- Rennfahrer Rosemeyer im Rekordwagen (1937) könnte“. liebigen Farbe, solange sie Mythenbildung auf der Grenzlinie zum Tod Acht Jahre später verunglückte ein Ber- Schwarz ist“ (Ford 1924), war als liner Juweliersehepaar bei einem Attentat erstes Auto der Welt auch für die Leute er- sengeschmack der Amerikaner. Während tödlich. Autogegner hatten bei Hennigs- schwinglich, die es zusammenschraubten. das Design zuweilen von einem Modell- dorf ein Drahtseil über die Hauptstraße Das Sparprogramm des kleinen Mannes, jahr zum nächsten geändert wurde, blieb nach Berlin gespannt. Der empörte ADAC „Ein Tag – einen Dollar, ein Jahr – einen die technische Weiterentwicklung oft auf gründete sogleich einen Fonds zur „Eru- Ford“, wurde bald zum Werbeslogan. der Strecke. Charles Kettering, GM-For- ierung der Verüber büberischer und ver- Der Visionär der Produktionstechnik er- schungsleiter von 1919 bis 1947, erklärte brecherischer Anschläge auf Automobili- wies sich in anderen Bereichen als weniger die latente Innovationsmüdigkeit des Rie- sten“. dynamisch. Autoritär und gewerkschafts- senkonzerns so: „Es liegt nicht daran, daß Die Konflikte legten sich mit dem fort- feindlich führte Ford sein frisch gewonne- wir so lausige Autohersteller sind, sondern schreitenden Wandel des Automobils vom nes Industrieimperium in die Erstarrung. daran, daß die Kunden so lausig sind.“ Luxusspielzeug zum Allgemeingut. Er war „Versammlungen zur Herbeiführung eines Obgleich sich das Auto diesseits des At- das Ergebnis einer kopernikanischen Wen- guten Einvernehmens zwischen den ein- lantiks zwischen den Weltkriegen noch lan- de der Produktionstechnik. Mit der Seil- zelnen Persönlichkeiten oder Abteilungen ge nicht zum Massenverkehrsmittel auf- winde ließ der Detroiter Autofabrikant sind gänzlich überflüssig“, dozierte der schwang (Opel führte als erster deutscher Henry Ford 1913 ein Chassis durch die Fa- alternde Auto-Patriarch. Hersteller 1924 das Fließband ein), wurde brik ziehen. Sechs Monteure folgten dem Entscheidende Weiterentwicklungen, et- Europa wiederum zum Schauplatz techni- werdenden Automobil und komplettierten wa eine dringend überfällige Ablösung des scher Superlative in Form monströser es mit Bauteilen, die am Streckenrand auf- simplen Erfolgsautos Model T, wurden zu Rennwagen. gestellt waren. Schon bei diesem Experi- lange verschleppt. Als der Nachfolger 1927 Phallische Wettkampfgefährte prägten ment halbierte sich die Montagezeit von kam und die Fabrik für die Produktions- den Nimbus von Marken wie Bentley, Bu- bislang zwölf auf knapp sechs Stunden. umstellung sechs Monate geschlossen blieb, gatti und Maserati.Auf der Grenzlinie zwi- Der Bauernsohn, der das Farmleben ver- zog General Motors (GM), gestärkt durch schen Leben und Tod preschten Volkshel- schmähte, weil es dort, „an den Resultaten eine breite Modellvielfalt, an Ford vorbei den wie Rudolf Caracciola, Tazio Nuvola- gemessen, viel zu viel Arbeit gab“, hatte und blieb bis heute der größte Automobil- ri und Hermann Lang in die Phantasiewelt sich nach eigenem Bekunden in den hersteller der Welt. Fortan gilt: „Was gut ist des von Krieg und Wirtschaftskrise ausge- Schlachthöfen von Chicago zur Erfindung für General Motors, ist gut für Amerika.“ mergelten Publikums und festigten die li- des Fließbands inspirieren lassen. Tatsäch- Mit einem weitgefächerten Typenspek- bidinöse Aura des vierrädrigen Götzen. lich waren vergleichbare Montagelinien be- trum, basierend auf schlichter Standard- Die Mythenbildung des Rennsports ver- reits zwei Jahre zuvor von seinem Kon- technik, bedient GM bis heute den Mas- einte sich in den dreißiger Jahren mit dem

1938 Grundsteinlegung 1964 NSU bringt das 1970 Als erstes Land 1975 Pkw dürfen in den USA des Volkswagenwerks erste Automobil mit der Welt führt der nur noch mit Abgas-Kataly- Wankelmotor auf den australische Bundes- satoren zugelassen werden 1940 Erste Autos mit Markt. Das Prinzip er- staat Victoria die automatischem Getriebe weist sich später als Gurtpflicht ein 1980 Japan wird größter Auto- Fehlentwicklung mobilhersteller der Welt 1956 US-Präsident Dwight 1971 Japan stellt 1981 In Mexiko rollt der D. Eisenhower genehmigt 1965 In den USA mehr Autos her als 20millionste VW-Käfer vom den Bau der amerikanischen werden gesetzliche die Bundesrepublik Band Interstate-Highways Vorschriften für das Deutschland Crashverhalten von 1983 Die ersten Kat-Autos Autos festgelegt DPA Erste Abgas-Gesetze kommen in Deutschland auf 1956 Die Bundesrepublik Autobahn-Wanderung am autofreien Sonntag in Kalifornien rückt auf Platz eins im Auto- den Markt mobilexport vor 1967 Der deutsche Verkehrsminister Georg Leber 1996 An deutschen Tankstellen legt ein Programm zur „Gesundung des deutschen 1973 Als Folge der Ölkrise wird kein verbleites Benzin mehr 1959 Erste systematische Verkehrswesens“ vor. Für 90 Milliarden Mark sollte wird zum erstenmal in der angeboten Crashtests bei Daimler- das damals 4500 Kilometer lange Autobahnnetz Geschichte der Bundesrepublik Benz. Die Wirkung eines binnen 15 Jahren mehr als verdoppelt werden. Da- ein generelles Fahrverbot aus- 1999 46 Millionen Autos rollen Aufpralls auf die Auto- nach sollte „kein Bürger weiter als 25 Kilometer gesprochen. An vier Sonntagen auf deutschen Straßen, 500 insassen wird erforscht von der nächsten Autobahn entfernt wohnen“ ruht der Verkehr Millionen sind es weltweit

der spiegel 23/1999 149 Das Jahrhundert des sozialen Wandels: Sucht nach Mobilität

Eröffnung der Reichsautobahn München–Salzburg 1936: Massenmotorisierung nach amerikanischem Vorbild

martialischen Weltbild faschistischer Protz- sich als antisemitischer Buchautor (Titel: VW-Chronist Arthur Railton, „beleidigt sucht und gipfelte in kraftstrotzenden Iko- „Der internationale Jude“) durchaus ins und verärgert, wandte sich abrupt ab und nen der Technikgeschichte, den silbrig glän- nationalsozialistische Weltbild fügen ließ, schritt eilig davon“. zenden Rekordwagen von Daimler-Benz erklärte er bald die Massenmotorisierung Die schon acht Jahre zuvor von General und der Auto Union. nach amerikanischem Vorbild zu einem Motors geschluckte Opel AG eignete sich Dank Kompressoraufladung erreichten seiner politischen Ziele. nicht für deutschnationale PS-Propagan- die Motoren Leistungen von über 600 PS. Persönlich eröffnete er Automobilaus- da. Längst hatte Hitler einen anderen zum Der 16-Zylinder-Mittelmotorwagen der stellungen, was kein Reichskanzler vor ihm Schöpfer des deutschen aus- Auto Union, Urahn heutiger Formel-1- getan hatte, und wetterte öffentlich über ersehen: seinen österreichischen Lands-

Spiegel des 20. Jahrhunderts Fahrzeuge, war das exotischste und ge- den dürftigen Motorisierungsgrad der mann . fährlichste Sportgerät seiner Zeit. Dank Deutschen. Über 100 Einwohner kamen zu Da sich die etablierten Hersteller nicht seines zentralen Schwerpunkts erlaubte er Beginn der dreißiger Jahre im Deutschen über die Technik des 1934 vom Führer ge- enorme Kurvengeschwindigkeiten, war Reich auf ein zugelassenes Automobil. In forderten Volkswagens einigen konnten, aber im Grenzbereich nur von Ausnahme- Frankreich waren es lediglich 28 und in der „nicht mehr kostet als früher ein mitt- talenten zu beherrschen. den USA 5. leres Motorrad“ (Hitler), schlug der Reichs- Zu den Begabtesten zählte der blonde Der Forderung Hitlers, ein Auto für nur verband der Automobilindustrie (RDA) ei- Emsländer Bernd Rosemeyer, der als erster 1000 Mark anzubieten, kam Opel mit dem nen Wettbewerb freier Ingenieurbüros vor. die damals 22,8 Kilometer lan- Neben Porsche fielen die Na- ge Nordschleife des Nürburg- men Josef Ganz und Edmund rings unter zehn Minuten um- Rumpler, letzterer ein großer rundete. Am 28. Januar 1938 Pionier der Aerodynamik. Die trat er auf einem gesperrten Wahl fiel am Ende nicht Autobahnteilstück bei Darm- schwer. Porsche genoß als stadt gegen den Mercedes-Ma- Rennwagenkonstrukteur der tador Rudolf Caracciola zu ei- Auto Union bereits Hitlers Be- ner tödlichen Wettfahrt an. wunderung. Ganz und Rump- Morgens um 8.20 Uhr stell- ler waren jüdischer Abkunft. te Caracciola mit 432,7 km/h Im Oktober 1936 übergab einen neuen Weltrekord auf. Porsche dem RDA die ersten Danach beunruhigten zuneh- drei Prototypen des späteren mende Winde die Rennleiter VW-Käfers. Die Gunst des der Auto Union. Rosemeyer Führers umgab den böhmi- („Nein, ich versuche es jetzt“) schen Querkopf, der bei Daim- startete kurz vor zwölf Uhr. ler-Benz in Unfrieden ausge- Unweit der Brücke von Mör- schieden war, ebenso wie der felden erfaßte eine seitliche Argwohn der etablierten Au-

Böe den knapp 450 km/h C. GUNDLACH KEETMANN / F. P. tobauer. Hitler begegnete Vor- schnellen Wagen. Er verlor die VW-Auslieferungslager (1953): Epochale Fehlkonstruktion behalten gegen das Volkswa- Bodenhaftung und zerschellte gen-Projekt rhetorisch mit sei- am Straßenrand. Der 28jährige Publi- spartanischen P4 schon recht nah, dessen ner unverwechselbaren Brachial-Logik. kumsliebling wurde das prominenteste To- Preis zur Berliner Autoschau im Februar „Wer diesen Wagen kauft und keinen Mer- desopfer auf Hitlers Autobahnen. 1937 von 1650 auf 1450 Mark abgesenkt cedes“, erklärte er am 26. Mai 1938 bei der Der Diktator, der persönlich hohe Ge- wurde. Wilhelm von Opel empfing den Grundsteinlegung des Werks, „der tut es schwindigkeiten fürchtete, erkannte früh Führer auf seinem Ausstellungsstand mit nicht, weil er etwa ein Feind der Daimler- das propagandistische Potential des Auto- den Worten: „Heil Hitler, Herr Hitler. Das Fabrik ist, sondern weil er sich zum Bei- mobils. Als Bewunderer Henry Fords, der ist unser Volkswagen.“ Der Führer, schreibt spiel einen Mercedes nicht kaufen kann.“

152 der spiegel 23/1999 Die erste Kleinserie von 30 weiteren Ver- suchsfahrzeugen wurde ausgerechnet bei Daimler-Benz gefertigt, ehe der Krieg die zivilen Volkswagen-Pläne beendete und Ferdinand Porsche zum obersten Militär- maschinenbauer der Nazis aufstieg. Hitler, erinnerte sich der damals im väterlichen In- genieurbüro angestellte Sohn Ferry Por- sche später, „hörte auf meinen Vater mehr als auf jeden anderen, wenn es um techni- sche Dinge ging“. Die Automobilisierung des Nazi-Reichs blieb dennoch schwäch- lich. In der angeblich hochmodernen Hit- ler-Wehrmacht wurden 90 Prozent der rund 400 Divisionen noch per Pferdefuhr- werk versorgt. Die Blitzkarriere des Ingenieurs Porsche im Dienste der NS-Machthaber legte den Grundstein einer heute milliardenschwe- ren Familiendynastie. Nach Kriegsende entlohnte VW-Chef den Käfer-Konstrukteur und dessen Erben mit einer Lizenzgebühr von fünf Mark für je- des produzierte Exemplar. Daß insgesamt über 21 Millionen vom Band laufen sollten, ahnte damals noch niemand. Ferry Porsche, vor einem Jahr verstor- ben, hinterließ in seiner Autobiographie den Versuch einer Rechtfertigung: „Natür- lich hatten ihn (den Vater) auch die ihm im Dritten Reich gebotenen Arbeitsmöglich- keiten beeindruckt, aber das war nicht das Entscheidende, es war seine Redlichkeit, die es ihm unvorstellbar erscheinen ließ, al- les, was bisher erreicht worden war, durch das gewaltige Risiko eines Krieges aufs Spiel zu setzen.“ Die Verklärung Ferdinand Porsches zum arglos-genialen Homo faber, der unter fin- steren politischen Vorzeichen im Zenit sei- ner Fähigkeiten stand, ist jedoch auch aus rein technischer Sicht umstritten. Manche Automobilexperten stufen ihn als Schöpfer einer epochalen Fehlkonstruktion ein. Laut Erik Eckermann, dem früheren Au- tomobilchronisten des Deutschen Mu- seums, „hat der Volkswagen die Entwick- lung fahrsicherer Massenautos um ein bis zwei Jahrzehnte verzögert“. Seinen Durch- bruch zum bestverkauften Automobil der Welt verdankte er teils der allgemeinen Beliebtheit seiner drolligen Kugelform, teils seiner sprichwörtlichen Zuverlässigkeit (Werbeslogan: „Er läuft und läuft und läuft“). Keinesfalls jedoch lag es an technischen Besonderheiten der Porsche-Konstruktion. Das Heckmotor-Prinzip hat keine nen- nenswerten Vorteile, beeinträchtigt aber erheblich die Fahrsicherheit. Das Konzept für Rahmen und Motoran- ordnung des Käfers hatte bereits 1925 der in Wien geborene Nachwuchskon- strukteur Béla Barényi in seiner Diplom- arbeit vorgelegt. Alternativ dazu schlug Barényi eine „optimale Triebwerksanord- nung“ mit Frontmotor und Frontantrieb vor. Porsche realisierte die schlechtere Va- riante, wogegen sich die Konstrukteure in

der spiegel 23/1999 Das Jahrhundert des sozialen Wandels: Sucht nach Mobilität FOTOS: S. BOCK / AUTO BILD (l.); DAIMLER-CHRYSLER KONZERNARCHIV (r.) (r.) KONZERNARCHIV BILD (l.); DAIMLER-CHRYSLER S. BOCK / AUTO FOTOS: Mercedes A-Klasse im Slalom, Benz-Victoria (1894)*: Rückkehr zum kippgefährdeten Kutschenprinzip

Frankreich und Großbritannien bald für genannt. Zur Lichtgestalt dieser Entwick- riebaus. „Ich kann nicht annähernd schät- den richtigen Weg entschieden. Die frühen lung wurde der Mann, der bereits das Kon- zen“, erklärte der spätere Mercedes-Chef Fronttriebler Citroën 2CV, Renault 4 und zept des VW-Käfers erdacht hatte. Werner Niefer, „wie viele Autofahrer ihr der englische Mini gelten als wegweisende Mehr noch als darüber, daß sich Porsche Leben seinen Erfindungen verdanken.“ Vorläufer aller modernen Kleinwagen. unentgeltlich seines Entwurfs bedient hat- Die seit 1970 rückläufige Zahl der Ver- In der Hoffnung, am Erfolg des Volks- te, ärgerte sich Béla Barényi über dessen kehrstoten werten Unfallexperten eindeu- wagens teilhaben zu können, setzten an- unvollständige Umsetzung. Sein Konzept tig als Ergebnis der besseren Crashsicher- dere Hersteller in den Fünfzigern und von 1925 verfügte über eine zurückver- heit moderner Fahrzeuge. Sechzigern auf Heckmotoren, jedoch mit setzte Lenkung mit kürzerer Säule anstel- Gemessen an seinen Verdiensten nahm Ausnahme von Fiat ohne großen Erfolg. le des langen Lenkspießes, den der junge sich die Karriere des „Vaters der passi- Die bemerkenswerteste Fehlentwicklung Ingenieur bereits damals als Tötungsin- ven Autosicherheit“ (Eckermann) be- dieser Art leistete sich General Motors mit strument erkannt hatte. Wie Rammböcke scheiden aus. Im Rang eines Abteilungs- dem Chevrolet Corvair von 1959. erdrückten die Lenksäulen den Fahrer leiters ging Barényi in den Ruhestand und

Ganz nach Käfer-Vorbild hatte der sogar beim Frontalcrash. Erst 1967 ersetzte VW starb vor zwei Jahren weitgehend unbe- Spiegel des 20. Jahrhunderts einen Boxermotor im Heck, der im Vorgriff den von Porsche realisierten Lenkspieß kannt und unvermögend. auf spätere Porsche-Sportwagen über sechs durch eine Sicher- Während die Si- Zylinder verfügte und zuletzt 142 PS stark heitslenkung im Sinne cherheitstechnik enor- war. Eine solch tückische Kombination aus Barényis. me Fortschritte mach- hoher Leistung und extremer Hecklastig- Der arbeitete in- te, blieb ein anderes keit fahrwerkstechnisch abzusichern zwischen längst bei Kardinalproblem der mißlang den GM-Konstrukteuren voll- Daimler-Benz, wo er Massenmotorisierung ständig. Mit seiner altertümlichen Pendel- mit einer 1952 paten- ungelöst: die Abhän- achse und Diagonalreifen neigte der Wagen tierten Idee bereits gigkeit von der endli- zu abruptem Übersteuern. Unversehens das Prinzip der chen Ressource Öl. In schlitterte er mit dem Heck voraus aus der Knautschzone ent- den Energiekrisen Kurve. wickelt hatte. Den der siebziger Jahre Nach zahlreichen Corvair-Unfällen weltweit ersten Wagen wurde zum ersten machte der damals noch unbekannte nach diesem Rezept Mal spürbar, daß der Rechtsanwalt Ralph Nader Front gegen (extrem steife Fahr- größte Feind des Au- den größten amerikanischen Industrie- gastzelle und weiche- tomobils sein eigener konzern und wurde rasch der Held des rer Vorbau und Heck- Erfolg ist. Zweifellos Verbraucherschutzes. 1965, im Erschei- bereich zur Dämp- bescherte es den

nungsjahr von Naders inzwischen le- fung der Aufprall- / GRAFFITI RÖTTGERS J. Menschen völlig neue gendärem Buch „Unsafe at any speed“, wucht) brachte Mer- Konstrukteur Barényi: 2500 Patente Formen von Lebens- setzte Chevrolet noch 235528 Corvair ab. cedes 1959 heraus. Ein qualität.Auch Durch- Drei Jahre später waren es nur noch zweites Mal nach dem ersten Mercedes schnittsverdiener können es sich heute lei- 15 399. GM nahm das Modell 1969 vom von 1901 war Daimler eine Konstruktion sten, weit außerhalb der Stadt im Grünen Markt und ließ fortan die Finger von Heck- gelungen, die sich wenig später alle Her- zu wohnen, jeden Tag zur Arbeit zu pen- motoren. steller der Welt zum Vorbild nahmen. deln und mit dem eigenen Wagen zu reisen, Das von Nader geschärfte allgemeine 33 Jahre arbeitete Barényi als Entwick- viele mehrmals im Jahr. Über Jahrtau- Gefahrenbewußtsein ließ auch eine neue, ler bei Daimler-Benz, ließ 2500 Patente an- sende hinweg konnte sich niemand einen bis dahin kaum beachtete Disziplin im Au- melden und festigte den Ruf der Marke solchen Aktionsspielraum auch nur vor- tomobilbau an Bedeutung gewinnen: die Mercedes als Inbegriff sicheren Karosse- stellen. gezielte Optimierung der Fahrzeuge für Bis in die fernsten Winkel der Erde drang den Crashfall, später „passive Sicherheit“ * Carl Benz (r.) mit Frau, Tochter und Freund Fritz Held. das Auto vor als dienstbarer Knecht des „Ich bin der Kanzler aller deutschen Autos.“ Gerhard Schröder, 1999

der spiegel 23/1999 157 Das Jahrhundert des sozialen Wandels: Sucht nach Mobilität B. AHRENS / AUTO BILD B. AHRENS / AUTO Pkw und Geländewagen im Crashtest: Größte Zerstörungskraft der zivilen Technikgeschichte

manisch mobilen Menschen: kaum eine handeln. Binnen weniger Jahre führte Benutzung des Autos in der Stadt unat-

Spiegel des 20. Jahrhunderts Urlaubsinsel, auf der nicht Scharen von Deutschland und später ganz Europa den traktiver macht“. Hauptverkehrsadern ent- Mietwagen bereitstehen; kaum eine Wü- Abgas-Katalysator ein, der nahezu alle zog er Fahrspuren, um die Staubildung zu ste, deren Sand nicht schon unter den All- Schadstoffe eliminiert. Es war die erste und fördern, Parkplätze wichen Grünflächen. radantrieb eines abenteuersuchenden Frei- bisher einzige gemeinsame Aktion von Po- Die Zürcher Straßen wurden mit Tempo- zeit-Daktari geriet. litik und Autoindustrie, die zu der umge- 30-Zonen und Holperschikanen übersät, Doch die Freude am Fahren mündete henden Lösung eines Problems führte. bis die gepeinigten Autofahrer den Stadt- mit zunehmender Verbreitung des Autos Die zweite große Welle der Kritik am baurat als „Riegel-Ruedi“ beschimpften in den Frust auf verstopften Straßen. Auto verebbte in einem seichten Durch- und sein Revier als „Schwellen-Land“. Der Gedanke, daß die schöne neue Welt einander schwiemeliger Absichtserklärun- Doch die Zürcher, die ihre Stadträte di- der Mobilität am Ende in Autos ersticken gen und halbherziger politischer Vorgaben. rekt wählen, unterstützten beharrlich und zur Müllhalde ihres eigenen Größen- Kaum war der Katalysator eingeführt, stan- Aeschbachers Kurs, der parallel zum wahns werden könnte, sickerte langsam ins den die Hersteller erneut als Umwelt- Straßenrückbau aus einer massiven Förde- Bewußtsein. Politische Konsequenzen zur schädlinge am Pranger. Das Abgas des An- rung der öffentlichen Verkehrsmittel be- Eindämmung der Autoflut ließen jedoch stoßes war nun keine giftige Substanz stand. Die Resonanz war beachtlich. noch lange auf sich warten. mehr, sondern das klimaerwärmende Koh- 470mal nutzte jeder Einwohner in Zürich Umweltschäden durch Abgase wurden lendioxid, das auch den Kat-Autos ent- 1990 Busse und Bahnen. In anderen Städ- noch in der sozial-liberalen Regierung un- weicht. ten lag die Quote nicht einmal halb so ter Helmut Schmidt als Hirngespinste ver- Zudem war aus dem Symbol individu- hoch. Die eidgenössische Metropole wur- bohrter Industriefeinde abgetan. Erst die eller Freiheit ein lärmender Vernichter ur- de zum Mekka autofeindlicher Verkehrs- nachfolgende Kohl-Administration konn- banen Lebensraums geworden. Stadtpla- planer, die zunehmend an Popularität ge- te das Problem nicht mehr leugnen, als ein ner rüsteten zur Gegenwehr und beschnit- wannen. staatstragender Fußgänger Alarm schlug. ten systematisch das urbane Straßennetz, Die Volkswut auf die Blechlawine er- Im Juli 1983 stiefelte Bundespräsident sie beseitigen Tausende Innenstadt-Park- reichte zu Beginn der neunziger Jahre Karl Carstens durchs niederbayerische plätze, um die Autofahrer zum Umsteigen ihren Höhepunkt. Die Trauer um ein tot- Gehölz. Kaum nach Bonn zurückgekehrt, auf Busse und Bahnen zu zwingen. gefahrenes Kind führte in Hamburg zu schilderte der Wandersmann dem Kanzler Vom PS-Protz zum Tribun der Autoge- derart massiven Bürgerprotesten, daß eine seine bestürzenden Beobachtungen: Der schädigten wandelte sich der Zürcher vierspurige Durchgangsstraße zur zwei- Wald starb. Stadtbaurat Ruedi Aeschbacher.Als stolzer spurigen Tempo-30-Zone zurückgebaut Wenige Tage später befaßte sich die Re- Ferrari-Fahrer hatte er 1978 sein Amt an- wurde. Auf der Frankfurter IAA geißel- gierung der Bundesrepublik Deutschland getreten. Der Sportwagen blieb in seinem ten Greenpeace-Aktivisten die Schwer- generalstabsmäßig mit einem Phänomen, Besitz („Er war ein Teil meiner persönli- wagen der Mercedes S-Klasse als techni- vor dem Forstwissenschaftler und Natur- chen Entwicklung“), wurde jedoch bald schen Irrweg – unter breitem öffentlichem schutzverbände seit Jahren gewarnt hat- abgemeldet und in einem städtischen Park- Applaus. ten. Abgase aus Kraftwerken und Auto- haus eingelagert.Aeschbacher stieg auf ein In den Messehallen verschanzten sich mobilen entpuppten sich als Baumkiller. Dienstfahrrad um. die Hersteller „wie Wilderer, die sich ins Der Schock der späten Erkenntnis ließ Motiviert von Klagen lärm- und abgas- Kloster geflüchtet haben“ (BMW-Sprecher die Verantwortlichen immerhin schnell geschädigter Bürger, tat er „alles, was die Richard Gaul), und warfen Nebelker-

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zen. Mit alternativen Verkehrskonzepten, cher den einst glorifizierten „Riegel-Rue- „Macht, was ihr wollt, aber laßt den Leu- etwa der „Blauen Zone München“ von di“ Aeschbacher nicht mehr in den Stadtrat. ten das Auto.“ BMW, legten sie ihren Kunden den gele- „Verkehrspolitik“, kommentierte die „Neue Eine rot-grüne Regierung, deren Chef gentlichen Umstieg auf Busse und Bahnen Zürcher Zeitung“ sein Scheitern, „war im sich als „Auto-Kanzler“ feiern läßt, deren nahe und definierten sich vielsagend als jüngsten Wahlgang einfach kein Thema.“ ökologische Steuerreform sich auf eine „Anbieter von Mobilität“. Die Entwicklung sparsamerer Kleinwa- kaum spürbare Benzinpreiserhöhung re- Die Grundlage ihres Geschäfts bestand gen, etwa des Drei-Liter-Autos von VW, duziert und deren Verkehrsminister wei- freilich weiter darin, möglichst viele mög- hat eher den Charakter eines sportlichen terhin dem Straßenbau die Priorität gibt, lichst teure (also große) Autos zu verkau- Showeffekts als den einer fahrzeugtechni- erscheint absurd, folgt aber mit streng ra- fen. Ökobetroffene Managertypen mit phi- schen Neuorientierung, solange die politi- tionalem Kalkül den Gesetzen eines Sy- losophischer Aura wie der Ford-Chef und schen Vorgaben ausbleiben. Konstant gün- stems, an dessen Spitze ein Ding aus Blech spätere VW-Vorstand Daniel Goeudevert stige Kraftstoffpreise – die Fünf-Mark-Plä- beharrlich vorwärtsdrängt, weil es so vie- („Ich könnte mit einem Tempolimit le- ne der Grünen sind längst Makulatur – ga- len Menschen Vergnügen beschert – oder ben“) empfahlen sich als „Querdenker“. rantieren weiterhin die Marktchancen lei- Machtgefühl oder Statusbehagen. Zu konkreten technischen Konsequenzen stungsstarker Spritschlucker, mit denen die Das Prinzip verkehrspolitischen Pha- kam es jedoch kaum. Hersteller erheblich mehr Geld verdienen. risäertums ist fast so alt wie die Gottheit Das einzige radikal neue Fahrzeugkon- zept der jüngsten Zeit entsprang aus dem Phantom des Swatch-Mobils, mit dem der Schweizer Uhrenfabrikant Nicolas Hayek die zwei größten deutschen Automobil- konzerne virtuos nasführte. 1991 gewann er VW für die Entwicklung des zweisitzigen Minimalautos, ehe der neue Vorstandschef Ferdinand Piëch das Projekt zwei Jahre später stoppte. Kurz darauf biß Daimler-Benz an. Vom Öko-Zeitgeist beflügelt, beschlossen die Mercedes-Manager, den elitären Hersteller schwerer Limousinen zum Anbieter von Klein- und Kleinstwagen fortzuentwickeln. Das Projekt gipfelte im Kipp-Trauma des

Spiegel des 20. Jahrhunderts Elchtests, der größten Blamage des älte- sten Automobilherstellers der Welt. Ideen- geber Hayek zog sich bald nach der Markt- einführung im vergangenen Jahr aus dem Gemeinschaftsunternehmen zurück. Zudem erwies sich die radikalökologi- sche Volksstimmung, die zur Erschaffung Ford-Montage in Detroit (1912): Kopernikanische Wende der Produktionstechnik des Smart geführt hatte, als kurzlebig. Statt ostentativen PS-Verzichts keimte eine neue Das erfolgreichste Industrieprodukt des selbst. „Autos sind ein Symbol der Arro- Begeisterung für hochmotorisierte Protz- 20. Jahrhunderts erstarrt wohlgenährt in ganz und Verantwortungslosigkeit des mobile auf. Mit 18zylindrigen Sportwagen- seiner eigenen Beliebtheit. „Autofahren ist Reichtums, der sich nicht im gering- Studien schürt VW-Chef Piëch die neue eine Weltreligion“, sagt Philosoph Sloter- sten um die anderen schert“, behauptete Lust am Überfluß. Umweltbewegte Indu- dijk. Sie basiere auf dem archaischen Woodrow Wilson, der Präsident der Uni- striemanager wie Goeudevert sind längst, Drang des schwachen Menschen, sich versität von Princeton (New Jersey) im als Versager gebrandmarkt, in der Versen- durch die Nutzung fremder Kräfte zu ei- Jahr 1906. Wenig später war Wilson Präsi- kung verschwunden. nem mächtigeren Hybridwesen zu erhe- dent der Vereinigten Staaten von Amerika Von einer drohenden Klimakatastrophe ben. Nichts befriedigte diesen Urtrieb bis- und schuf mit dem „Federal Aid Road durch fossilen Energieraubbau ist kaum her überzeugender als ein röhrender, rau- Act“ die gesetzliche Grundlage für die noch die Rede – dabei dürfte sie mit Si- chender Verbrennungsmotor. Straßeninfrastruktur der USA – das größ- cherheit eintreten, wenn ein Riesenreich Den Gott auf Rädern zu leugnen te Bauvorhaben in der Geschichte der wie China die europäische Autodichte er- schmückt aufgeklärte Menschen, ihn poli- Menschheit. reichen sollte. Und auch der allgemeine Bei- tisch zu bekämpfen führt unweigerlich fall für autofeindliche Stadtplanung schwoll in die Niederlage. Ein moderner Machia- Christian Wüst, 35, ist Wissenschafts- merklich ab. Im März 1994 wählten die Zür- velli würde den Herrschenden zurufen: redakteur beim SPIEGEL.

LITERATUR Dokumentation des Kraftfahrzeugbaus in Deutsch- Arthur Railton: „Der Käfer. Der ungewöhnliche Weg Erik Eckermann: „Vom Dampfwagen zum Auto“. Ro- land. eines ungewöhnlichen Automobils“. Verlag Eurotax, wohlt-Verlag, Reinbek 1981; 252 Seiten – Entwick- Maxwell G. Lay: „Die Geschichte der Straße – Vom Pfäffikon 1985; 224 Seiten – Erfolgsgeschichte des lungsgeschichte des motorisierten Radfahrzeugs vom Trampelpfad zur Autobahn“. Campus Verlag, Frank- Volkswagens. frühen 19. Jahrhundert bis in die Neuzeit. furt am Main 1994; 308 Seiten – Unterhaltsame Chro- Rainer Stommer: „Reichsautobahn – Pyramiden des Olaf von Fersen: „Ein Jahrhundert Automobiltech- nik des Straßenverkehrs von der frühen Mensch- Dritten Reiches“. Jonas Verlag, Marburg; 204 Seiten nik“. VDI-Verlag, Düsseldorf 1986; 724 Seiten – Text- heitsgeschichte bis zur Massenmotorisierung aus der – Chronik der Schnellstraßenplanung während des sammlung namhafter Autoren mit verschiedenen Sicht eines Straßenbauingenieurs. Nationalsozialismus. technischen Schwerpunkten und zahlreichen Illu- Barbara Haubner: „Nervenkitzel und Freizeitvergnü- Peter Bode, Sylvia Hamberger, Wolfgang Zängl: strationen. gen – Automobilismus in Deutschland 1886 bis 1914“. „Alptraum Auto – Eine hundertjährige Erfindung und Hans Christoph Graf von Seherr-Thoss: „Die Deut- Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1998; 228 Sei- ihre Folgen“. Raben Verlag, München 1986; 236 Seiten sche Automobilindustrie“. Deutsche Verlags-An- ten – Amüsante Schilderung der Pionierjahre des mo- – Kritische Analyse der ökologischen und verkehrs- stalt, 1974; 656 Seiten – Chronologische torisierten Straßenverkehrs. planerischen Schattenseiten der Massenmotorisierung.

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