Die Gesellschaft Deutscher Neurologen Und Psychiater Im Zweiten Weltkrieg
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
271 D Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater im Zweiten Weltkrieg 1. Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater und die »Aktion T4« – 273 »In der Schwebe«. Die Organisationsstrukturen der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater, 1939/40 – 273 Exkurs: Paul Nitsche und der Plan zu einem »Ausschuss für Erbgesundheitsfragen«, 1937/38 – 280 Paul Nitsche und die »Aktion T4« – 288 Paul Nitsche und Ernst Rüdin – 292 Die Forschungsabteilung in Brandenburg-Görden und das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung – 293 Die Forschungsabteilung in Wiesloch/Heidelberg und die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie – 298 »Gutachter« für die »Aktion T4«: Kurt Pohlisch, Friedrich Panse, Friedrich Mauz – 303 Hans Roemer – Ablehnung der »Euthanasie« und Verweigerung der Mitarbeit an der »Aktion T4« – 305 Noch einmal: Ernst Rüdin und die »Euthanasie« – 309 Walter Creutz – bereitwillige Mitwirkung oder teilnehmender Widerstand? – 310 2. Netzwerken gegen die »Euthanasie« – vier Fallbeispiele – 315 Karsten Jaspersen – offener Protest gegen die »Euthanasie« – 315 Werner Villingers Doppelspiel – Ratgeber Friedrich v. Bodelschwinghs und T4-»Gutachter« – 319 Gerhard Schorsch – prinzipielle Ablehnung und praktische Mitwirkung an der »Aktion T4« – 324 Hermann Grimme – Verweigerung und Austritt aus der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater – 327 Hans-Walter Schmuhl, Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater im Nationalsozialismus, DOI 10.1007/978-3-662-48744-0_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016 3. Die Sechste Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater – ein Großereignis, das nie stattfand – 334 Vorbereitungen im Jahre 1941 – 334 Psychiatrie und Psychotherapie – 339 Die Deutsche Gesellschaft für Kinderpsychiatrie und Heilpädagogik – 344 Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater, das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung und das Lazarettwesen für Hirn-, Rückenmark- und Nervenverletzte – 354 Was in Würzburg hätte verhandelt werden sollen – 359 Vor einer Kopernikanischen Wende? Carl Schneiders Vision einer Psychiatrie der Zukunft – 365 Eine Jahresversammlung im Jahre 1942? – 369 4. Aktivitäten der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater in den letzten Kriegsjahren – 370 »Mancher glaubte, seinem völkischen Heroismus dadurch Ausdruck verleihen zu müssen, dass er grundsätzlich für die Vernichtung der Geistes- kranken eintrat«. Eine Auseinandersetzung hinter den Kulissen – 370 »Forschungsfragen im Krieg« – 372 Überlegungen zur Reform des Anstaltswesens – 378 Ein Forschungsbericht über »Die Leistungen der deutschen Psychiatrie seit 1933« – 379 »Gedanken und Anregungen betr. die künftige Entwicklung der Psychiatrie«. Lobbyarbeit bei Leonardo Conti und Karl Brandt – 384 Pläne zu einer »Dienstbesprechung« im Herbst 1944 – 391 5. Zusammenfassung – 392 273 D 1. Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater und die »Aktion T4« Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs kam es – als Folge der Einberufung wichtiger Protagonisten – zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Organisationsstrukturen der Gesellschaft Deutscher Neuro- logen und Psychiater. Im Verlauf des Krieges lösten sich die formalen Strukturen weiter auf, während das informelle Netzwerk, das die Fachgesellschaft zusammenhielt, weitgehend intakt blieb und es an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik zu neuen Konstellationen und Kooperationen kam. Das folgende Kapitel untersucht zunächst die Verflechtungen der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater mit dem Machtapparat, der den Massenmord an Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen ins Werk setzte. Zentrale Figur war in diesem Zusammenhang Paul Nitsche, dessen Vorrücken in eine Schlüsselposition im Grenzbereich von Politik, psychiatrischer Praxis und Wissenschaft in den Jahren 1937/38 in einem Exkurs nachvollzogen wird. Die Verbindun- gen zwischen der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater, der Zentrale der »Aktion T4«, ihrem Gutachterstab, den beiden von ihr betriebenen Forschungsabteilungen und der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie sollen im Detail nachvollzogen werden. Dabei werden mehrere Psychiater aus dem Netzwerk um Ernst Rüdin vorgestellt, die in verschiedenen Funktionen am »Euthanasie«-Programm mitwirkten oder sich auf je eigene Art und Weise gegen dieses Programm stellten, dazu auch mehrere Ärzte aus Heil- und Pflegeanstalten, die die informellen Netzwerke zu nutzen versuchten, um gegen die »Euthanasie« zu intervenieren. Auf diese Weise soll auch das Spe k- trum möglicher Verhaltensweisen angesichts des Massenmordes an Menschen mit geistigen Behinde- rungen und psychischen Erkrankungen ausgeleuchtet werden. Im Mittelpunkt des Kapitels steht das Programm der Sechsten Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater, die 1941 stattfinden sollte, wegen des Kriegsverlaufs jedoch kurzfristig abgesagt werden musste und trotz aller Bemühungen bis zum Kriegsende nicht mehr zu- stande kam. Anhand dieses Programms lassen sich die Themen herausarbeiten, die die Fachgesellschaft in der Kriegszeit beschäftigten: das Verhältnis zwischen Psychiatrie und Psychotherapie, die Bildung einer eigenen kinderpsychiatrischen Fachgesellschaft, die Fortschritte der Neurochirurgie im Hinblick auf die Behandlung der Hirn-, Rückenmark- und Nervenverletzungen und schließlich der Einsatz innovativer Therapieformen bei der Behandlung der Psychosen – vor diesem Hintergrund sollten die versammelten Psychiater und Neurologen auf das »Euthanasie«-Programm eingestimmt werden. Schließlich werden mehrere wichtige Denkschriften und Berichte vorgestellt, die der Kreis um Ernst Rüdin in den letzten Kriegsjahren im Namen der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater an politische Entscheidungsträger richtete, um die psychiatrische Forschung im Sinne der Biopolitik auszurichten und die psychiatrische Praxis auf der Basis der »Euthanasie«-Aktion neu zu ordnen. 1. Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater und die »Aktion T4« »In der Schwebe«. Die Organisationsstrukturen der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater, 1939/40 Von September 1935 bis Januar 1939 änderte sich an der Zusammensetzung der Vereinsorgane der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater kaum etwas. Ernst Rüdin amtierte als Vorsitzender – die Bezeichnung »Reichsleiter« war 1936 aufgegeben worden1 –, Heinrich Pette als sein Stellvertreter, Paul Nitsche als Geschäftsführer. Als der Beirat am 24. September 1938 – unmittelbar vor dem Beginn 1 Der Beirat der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater hatte 1936 beschlossen, dass die Bezeichnungen »Reichsleiter«, »stellvertretender Reichsleiter« und »Reichsgeschäftsführer« in den Satzungen durch die Bezeichnungen »Vorsitzender«, »stellvertretender Vorsitzender« und »Geschäftsführer« zu ersetzen seien. Rüdin/Nitsche, Jahresver- sammlung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater 1936, S. 235. 274 D · Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater im Zweiten Weltkrieg der Jahresversammlung in Köln – zu seiner vierten Sitzung zusammentrat, gehörten ihm – neben Rüdin, Pette und Nitsche – nach wie vor die 1935 ernannten Mitglieder Friedrich Ast, Maximinian de Crinis, Hans Demme, Hermann Hoffmann, Ernst Kretschmer, Hans Roemer, Carl Schneider und Paul Schröder sowie die 1937 neu berufenen Mitglieder Hugo Spatz, Wilhelm Tönnis und Viktor v. Weizsäcker an.2 Wohl mit Rücksicht darauf, dass Ernst Rüdin an dieser Sitzung krankheitsbedingt nicht teilnehmen konnte, wurde über die Bestätigung der bei der Gründung der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater berufenen Beiratsmitglieder nicht gesprochen, obwohl diese laut Satzung vom Vorsitzenden nur für drei Jahre ernannt worden waren. Auch war keine Rede mehr davon, dass D der Vorsitz in der Fachgesellschaft auf den Leiter der Neurologischen Abteilung übergehen könnte, obwohl die Satzung vorsah, dass sich die beiden Abteilungsleiter »nach Möglichkeit« alle drei Jahre im Amt des Vorsitzenden abwechseln sollten. Rüdins Stellung innerhalb der Gesellschaft war allzu beherr- schend, als dass Pette mit Aussicht auf Erfolg einen Anspruch auf den Vorsitz hätte geltend machen können – wenn er es denn gewollt hätte. Erst zu Beginn des Jahres 1939 kam Bewegung in die institutionellen Strukturen. Im Bericht über die Mitgliederversammlung, die am Rande der Fünften Jahresversammlung am 28. März 1939 in Wiesbaden zusammenkam, heißt es, dass von den 1935 berufenen Beiratsmitgliedern Maximinian de Crinis, Ernst Kretschmer und Hans Roemer vom Vorsitzenden für weitere drei Jahre bestätigt worden seien. Dagegen schieden Hans Demme, Hermann Hoffmann, Carl Schneider und Paul Schröder aus dem Beirat aus.3 Von Friedrich Ast war gar nicht mehr die Rede. Wahrscheinlich hatte der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar, der zum 1. Oktober 1937 wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand getreten war,4 von sich aus auf seinen Sitz im Beirat verzichtet, wenngleich er sich, wie seine Mitarbeit an den Richtlinien zur Begutachtung der Schizophrenie zeigt, weiter in der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater engagierte. Welche Motive lagen der Entscheidung Rüdins zugrunde, de Crinis, Kretschmer und Roemer im Beirat zu belassen und Demme, Hoffmann, Schneider und Schröder nicht mehr zu berücksichtigen? Hans Roemer schien als Geschäftsführer des Ausschusses für psychische Hygiene sowie als Herausgeber der »Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie und ihre Grenzgebiete« und der »Zeitschrift