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Das MagazinDas der Hochschule

iszt Einblicke in das Institut für Musikwissenschaft - L N°14 An der Quelle: | Die Seele auf der Zunge: Zu Gast in Prof. Jörg Brückners Hornklasse | Auf Liebesfüßen: Wie klingt die Oboe d‘amore? Großer Sprung: Cellistin Camille Thomas unterschrieb einen Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon Über die Alpen Zur internationalen Tagung Die Adjuvanten als Brennspiegel des italienisch-deutschen Musiktransfers

M it der Adjuvantenkultur und ihrer Teilhabe an italieni- senschaft, welche eindringlich die interdisziplinäre Dimension des schen Musikimporten befasste sich eine internationale mu- italienisch-thüringischen Kulturtransfers vor Augen führten. Helmut- sikwissenschaftliche Tagung. Diese wurde vom 30. Novem- Eberhard Paulus (Würzburg) fokussierte die Berufssparten der ber bis 2. Dezember 2017 in der Petersen-Bibliothek des Stuckateure und Freskanten Caroveri und Lucchese, welche sich Goethe- und Schiller-Archivs Weimar vom Institut für Musik- nach dem Dreißigjährigen Krieg in Thüringen ansiedelten. In der wissenschaft Weimar-Jena in Kooperation mit der Accade- allegorischen, metaphorischen und illusionistischen Gestaltung mia Musicalis Thuringiae veranstaltet. Die beiden Initiato- der Innenräume Thüringer Residenzschlösser manifestiere sich der ren Prof. Dr. Helen Geyer und Dr. Michael Chizzali luden Barock nicht nur als Prunk und Verschwendung, sondern vielmehr 16 renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als gesamtheitliche Geisteswelt, wobei Vorbild und Qualität über aus Italien, Polen, Deutschland und den USA ein, um einen sozialen, gesellschaftlichen und religiösen Grenzen stünden, führte bislang eher unterbelichteten Bereich in der musikalischen Paulus aus. Transferforschung zur Diskussion zu stellen. Widmungsträ- ger der Tagung war der im Mai 2017 verstorbene, ehema- Mit umfänglichem Quellenmaterial zeichnete Egbert J. Seidel lige Direktor des Bach-Archivs Dr. Claus Oefner, (Weimar) die Einwanderung und Akkulturierung italienischer Kauf- der sich in außerordentlicher Weise um die Wiederbele- leute nach Thüringen nach. Als „Headhunter des Barocks“ regten bung der Adjuvantenmusik verdient gemacht hatte. Familien wie die Brentano, Bianchi oder Ortelli nicht nur das hei- mische Buchführungs-, Inventur- und Speditionswesen an, sondern förderten über den Handel auch den Import von Instrumenten und Die Adjuvanten (lat. adjuvare = helfen, unterstützen) stellen den In- Musikalien. Für Künstler avancierten dementsprechend die großen begriff des kirchlichen Laienmusikwesens im sächsisch-thüringischen Handelswege (wie beispielsweise über die Via Regia) zu wichtigen Raum vom 16. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dar. Als Adjuvan- Routen. Den musikwissenschaftlichen Vorträgen wurde ein Grund- ten bezeichneten sich jene vor allem in nonurbanen Umfeldern re- satzreferat zu den Adjuvanten von Dorlies Zielsdorf (Langen) vor- krutierten Hilfskräfte, die gemeinsam mit dem Kantor für die sakrale angestellt, die gegenwärtig zu dem Thema promoviert. Figuralmusik verantwortlich waren. Ähnlich wie die Kantoreien in größeren Städten waren sie in vereinsähnlichen Strukturen organi- Variable Kompositionsweise siert, welche sich Satzungen gaben und Buch über ihre Aktivitäten, über Zu- und Abgänge sowie über vorhandene Noten und Instru- Neben der Beleuchtung des geographischen und soziokulturellen mente führten. Darüber hinaus erfüllten sie auch – in Anlehnung an Umfeldes der Adjuvantenchöre bildete der Blick auf die Musikalien- die mittelalterlichen Kalandbruderschaften – karitative Aufgaben. sammlungen Thüringer Pfarreien, deren anspruchsvolles Repertoire Zeugnis dieser Praxis legen die reichen Musikaliensammlungen erstaunliche musikpraktische Leistungen nahelegten, einen wesent- zahlreicher thüringischer Pfarrgemeinden ab, die seit 2001 im Thü- lichen Aspekt. Mit den Vorträgen von David Bryant (Venedig) und ringischen Landesmusikarchiv akkumuliert und erschlossen werden. Erich Tremmel (Augsburg) sowie der Keynote von Massimo Ossi (Bloomington) standen vor allem satztechnisch und organologisch Am überregionalen Repertoireaustausch teilhabend, bildeten sich fundierte Transfer- und Rezeptionsphänomene im Vordergrund. Bry- in den Notenbeständen der Adjuvanten wichtige musikalische ant zeigte auf, wie die gesteigerte Nachfrage nach Kirchenmusik Tendenzen der Zeit ab, die insbesondere um 1600 und danach in Italien im 17. Jahrhundert sich in einer funktionalen, einfachen zunehmend unter dem Eindruck italienischen Repertoires sowie ita- und im Hinblick auf die Besetzung variablen Kompositionsweise lienischer Stilidiome stehen. Dieses Moment nahm die Weimarer niederschlug. Tagung zum Anlass, um aus einer vermehrt transfergeschichtlichen Perspektive nicht nur die Adjuvanten sowie ästhetische, auffüh- Tremmel arbeitete mit der allmählichen Integration kammertöniger, rungspraktische und konfessionell-liturgische Implikationen ihrer vornehmlich aus Frankreich stammender Instrumente in der Auffüh- Musik, sondern auch vergleichbare Phänomene des kirchlichen rung deutscher Kirchenkantaten im 18. Jahrhundert einen Adapti- Laienmusizierens im deutschen, italienischen, osteuropäischen und onsprozess heraus, der sich parallel zu der Wandlung des geistli- kolonialen Raum zu beleuchten und zu hinterfragen. chen Konzerts zur Kirchenkantate italienischen Zuschnitts vollzog. An Heinrich Schütz demonstrierte Ossi zum einen die auf Giovanni Interdisziplinäre Dimension Gabrieli zurückgehende, klassizistische Faktur des Madrigals, zum anderen – mit der Referenz Monteverdi – den progressiven Einbe- Eingeleitet wurde die Tagung im Goethe- und Schiller-Archiv von zug der Seconda Prattica bei der Vertonung deutscher Texte. zwei Beiträgen aus dem Bereich der Kunst- und Migrationswis-

24 Liszt - Das Magazin der Hochschule 2018 | Con fuoco: Lisztiges Flankiert von reichhaltigen Quellenkorpora des Thüringischen Lan- Joachim Kremer (Stuttgart) spürte adjuvantischen Spuren in Würt- desmusikarchivs, spannten dessen Leiter Christoph Meixner (Wei- temberg nach. Obschon über die Musikpflege abseits des Stuttgar- mar) sowie Undine Wagner (Weimar) den Bogen, den Zielsdorf in- ter Hofs kaum etwas bekannt ist, lassen ausgewählte Beispiele aus itiiert hatte, fort. An Adjuvantenbeständen aus dem 17. Jahrhundert kleineren Städten wie Fellbach, Schorndorf oder Herrenberg ein (u.a. Neustadt an der Orla, Goldbach) machten sie offenkundig, ambitioniertes Musizieren erkennen. Rezeptionellen Spezialfällen wie sehr italienische, insbesondere mehrchörige Werke die damali- im Adjuvantenrepertoire widmeten sich die Vorträge von Michael gen Aufführungen mitbestimmten. Auf Neustädter Repertoire berief Chizzali (Weimar), Steffen Voss (München) und Stefan Garthoff sich auch Helen Geyer (Weimar), die die Rezeption von teilwei- (). Mit Verweis auf die Sammelhandschrift Udestedt se hochaktueller weltlicher Vokalmusik aus Italien – freilich häufig 3 hob Chizzali die Relevanz der Kontrafakturdrucke italienischer maskiert durch intertextuelle Bearbeitungen wie die Kontrafaktur – weltlicher Vokalmusik von Georg Baumann dem Älteren (aktiv ca. im thüringischen Raum unterstrich. 1557–1599) für das Adjuvantenwesen hervor.

Dass dem musikalischen Transfer aus Italien in Osteuropa eine Voss arbeitete in Motetten des Tröchtelborner Kantors Michael Al- tragende Rolle zukam, machten Marina Toffetti (Padua) und Alek- tenburg singuläre, auch mit italienischen Stilidiomen in Bezug ste- sandra Patalas (Krakau) deutlich. Während Toffetti hierbei vor hende Strategien hinsichtlich Satz und Besetzung (wie etwa die allem auf Forschungsperspektiven in diesem zu großen Teilen un- von Mädchen gesungene Choralstimme) heraus. Mit ergiebigem erschlossenen Feld aufmerksam machte (etwa im Rahmen der For- Beispielmaterial stellte Garthoff den vor allem im Adjuvantenarchiv schergruppe TRA.D.I.MUS. = Tracking the Dissemination of Italian Großfahner überlieferten Komponisten und Namensvetter David Music), fokussierte Patalas in ihrem Beitrag das Dominikanerkloster Heinrich Garthoff (1671–1740) vor. im polnischen Gidle: Neben Kontaktaufnahmen zu italienischen Dominikanern im 17. Jahrhundert, die auch von musikhistorischer Die Schlussdiskussion ließ insbesondere zwei Sachverhalte virulent Relevanz waren (Rezeption italienischer Lauden, Ankauf italieni- werden: zum einen die oberflächliche Kategorisierung von Stilidio- scher Instrumente), verwies Patalas auf das aus den umliegenden matiken italienischer Musik im Schütz’schen Zeitalter – häufig auf Dörfern rekrutierte Ensemble des Klosters. die Mehrchörigkeit reduziert –, zum anderen aber die Potenziale, die sich in der bis dato nur ausschnitthaft betriebenen Erforschung Suche in Südamerika adjuvantenähnlicher Musikpraxis ergeben würden. Mit der Aus- sicht auf eine vermehrt international vernetzte Forschungstätigkeit, Auf die Suche nach adjuvantischen Strukturen in den deutsch-pro- die sich im Rahmen thematisch vielfältig diversifizierter Projektcluster testantischen Siedlungen Blumenau und Joinville, im südbrasiliani- und Workshops vollziehen soll, und dem ausdrücklichen Wunsch schen Bundesstaat Santa Catarina gelegen, begab sich Christian der beiden Initiatoren, die Beiträge in einem Sammelband veröf- Storch (Bad Liebenstein, Vortrag verlesen von Michael Chizzali). fentlichen zu wollen, schloss die Tagung. Zwar ließen sich dort Hinweise für die Existenz von Kirchenchören und Sängerbünden finden, jedoch waren diese weder organisiert Dr. Michael Chizzali noch durch ein bis heute überdauerndes Repertoire dokumentiert. In der anschließenden Diskussion wurde die Vergleichbarkeit der beiden Kolonien mit dem Adjuvantenwesen angezweifelt, da der Bild S. 25: Notenregal im Kantoreiarchiv Neustadt an der Orla Rückgriff auf Kinder- und Männerchöre in der kirchenmusikalischen Bild oben: Helmut-Eberhard Paulus (Würzburg) Praxis sich in Brasilien und Deutschland parallel vollzog. Bild rechts: Adjuvantenchronik Udestedt mit Namensliste aus dem Jahr 1664

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