Aufbruch in Die Moderne 1924 Testete Walter Gropius Zum Ersten Mal Sein 2 Architektonisches Baukastensystem: in Jena Entstand Haus W 33 Für Ein Ehepaar Mit Hund
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wohnen in ikonen 1 Aufbruch in die Moderne 1924 testete Walter Gropius zum ersten Mal sein 2 architektonisches Baukastensystem: In Jena entstand Haus W 33 für ein Ehepaar mit Hund. Es funktioniert immer Er ist Mr. Bauhaus. Anfang des letzten Jahrhunderts formuliert Walter Gropius noch, sagen die heutigen Besitzer– ein Ehepaar mit Hund. die totale Architektur, eine Baukunst, die den Alltag vom Sofa bis zur Stadt prägen will. Sechs Privathäuser, nicht mehr, ent- stehen dabei. Das erste, das seine Vision vom neuen Wohnen erfüllt, steht in Jena: eine weiße, fremdartige Schachtel, in einer schmalen Straße, an der entlang sich heute wie damals puppenhausartige Landhausvillen der Gründerzeit aufrei- hen mit Erkern, Türmchen, Veranden, Schmuckgiebeln und Fachwerkzierde. Auftraggeber der Schachtel ist ein jü- disches Ehepaar: Anna und Felix Auer- bach, zur Zeit ihres Wohnexperiments 3 65 und 67 Jahre alt. Er ist renommierter Professor für Physik, sie engagiert sich Malerei und Plastik“. 1923 präsentiert Monate vergehen von der ersten Bau- seit Jahrzehnten in der Frauenbewe- Gropius „seinen Baukasten im Großen“ zeichnung bis zum Einzug. Acht Jahre gung. Beide führen ein weltoffenes auf der Internationalen Architekturaus- lang wohnen sie in ihrer Wohnma- Haus, suchen Kontakt zu Künstlern und stellung in Weimar. Doch kaum ein Auf- schine. Bis 1933. Drei Wochen nach der Musikern, unterstützen den avantgardis- traggeber wagt sich an die Herausforde- Ernennung Adolf Hitlers zum Reichs- tischen Kunstverein in Jena und das rung. Anna und Felix Auerbach gehören kanzler wählt das Ehepaar, bedrängt von Staatliche Bauhaus in Weimar, dessen zu den wenigen Wagemutigen. Acht Krankheit und zunehmenden antisemi- Direktor Gropius ist. tischen Übergriffen, den Freitod. Bereits seit 1911 arbeitet dieser an der Zwei Generationen später, 1995, kau- Idee, den Bau von „Kleinsthäusern“ zu fen Barbara Happe und ihr Mann Martin industrialisieren: „Ich habe einen Anker- S. Fischer, beide Wissenschaftler, das Steinbaukasten von einzelnen Bauteilen, Haus und restaurieren es von Grund auf. aus dem ich je nach lokalen und indivi- Heute ist es das einzige Gebäude aus der duellen Bedürfnissen Häuser zu sam - Geschichte des Bauhauses mit einer men setzen kann“ –leichte, bewegliche durchgängig authentischen Farbgebung. „Wohnmaschinen“, die die Mobilität der Bewohner fördern. Flachdächer vergrö- 1 Der ehemalige Musiksalon: quadratisch, mit asymmetrischem Deckenspiegel und ßern dabei die Raumausnutzung, Ein- original eingebautem Regal. Darin Mies bauschränke machen viele Möbel über- van der Rohes Barcelona-Sessel von 1929 flüssig und eine mehrfarbige Wandge- und Barcelona-Tisch von 1930. 2 Das Treppenhaus: Alfred Arndts Farbprogramm staltung organisiert Grundrisse. Sechs leitet und akzentuiert. 3 Die Ostseite des unterschiedliche, miteinander kombi- Gebäudes mit integriertem Wintergarten: nierbare Raumkuben hält das System Der zweistöckige Kubus enthält Wohn-, der dreistöckige nur Wirtschaftsräume. vor. Jedes daraus resultierende Gebäude 4 4 Durchgang zum früheren Herrenzimmer: entsteht als Einheit aus „Architektur und mit Harry Bertoias Hochlehner von 1952. 24 A &W 2/14 www.awmagazin.de 2/14 A &W 25 wohnen in ikonen Die Baumaterialien sind unprätentiös und auf den speziellen Zweck ausgerichtet: 1 Wintergarten: Ein Hebelmechanismus aus der Industrie öffnet die Fenster. 2 Eingangsbereich und Terrassen: Rot gestrichene Wasserrohre bilden Geländer. 3+4 Wohnräume: Eingebaute Regale und Wandschränke ersparen Kastenmöbel. Fenster haben Wende-, Kipp-, Klapp- und Schwingflügel. 5 Barbara Happe, Martin S. Fischer und Hündin Branca, ein Jagd- hund der Rasse Deutsches Stichelhaar. den Innenraum mit dem Allraum ver- binden. Dazu gehören die Farben, sie betonen das Klare, folgen der Architek- tur und setzen doch eigene Akzente. Wir könnten mittlerweile nicht mehr in weiß gestrichenen Räumen leben. 12Was ist ärgerlich im Alltag? Nichts. Haben Sie sich beim Möbelkauf am Stil des Hauses orientiert? Wir waren schon zuvor mit Designklas- sikern eingerichtet. Hier haben wir sie ergänzt und ansonsten mit Tischlern neue Möbel entworfen und einbauen lassen. Wobei man wissen muss, dass et- wa Mies van der Rohe seine Möbel da- mals erst entworfen hat. Das Ehepaar Auerbach zog mit seinen herkömm- lichen Sesseln und Sofas ein, auch einen Teppich sieht man auf einem alten Foto. Müssen Sie auf Möbel verzichten, weil sie nicht zum Haus passen? Nein. Wir kaufen auch nichts, um das Haus gemütlicher zu machen. Wir ha- 3 4 ben keine Kommoden, kein wertvolles Besteck oder Geschirr. Es würde uns be- A&W: Wie haben Sie das Haus Auer- Für uns ist er ein Genie, dem wir uns in lasten, Gegenständen gegenüber eine bach gefunden? dem Haus komplett unterwerfen. Er Verpflichtung zu haben. Barbara Happe und Martin Fischer: wählte einfache Türen, einfache Griffe, Streifen oft Architekturfans ums Haus? Über das Liegenschaftsamt der Univer- die Borde im Schrank ließ er aus schlich- Ja, sehr häufig. Mit der Zeit kriegt man sität Jena. Es gab zuvor eine Anzeige in der ten Fichtenbrettern schneiden, mehr geradezu einen Blick, wer interessiert FAZ: „W 33 von Gropius zu verkaufen“. wollten und wollen wir nicht. Ein großes und wer geradezu erpicht ist. Darauf hatte sich niemand gemeldet. Anliegen war uns der Nachweis der ur- Seit wann leben Sie hier? sprünglichen Farbfassung, von der man 5 Seit 1995. meinte, sie sei zwar geplant, aber nicht Kannten Sie schon vorher Wohnhäuser umgesetzt worden. von Walter Gropius? Was haben Sie verändert? Nicht aus eigener Anschauung. Die Eine neue Zentralheizung war nötig. Meisterhäuser in Dessau waren zu der Was schätzen Sie an dem Haus? Zeit, als wir das Haus kauften, genauso Das Haus Auerbach ist eine Persönlich- zerstört wie unseres. keit, mit der wir uns auseinandersetzen Wie streng sind die Auflagen des Denk- müssen, und gleichzeitig unprätentiös. malamtes, durften Sie umbauen? Es ist wunderbar funktional in der An- Während der denkmalgerechten Sanie- ordnung der Räume. Schlafzimmer, Bad, rung hieß es einmal, wir seien schlim- Toilette, die Abfolge funktioniert. Zur mer als das Denkmalamt, was wir als Lob Waschküche auf dem Boden gehört die aufgefasst haben. Wir wollten nicht um- anschließende Terrasse zum Trocknen bauen, sondern uns dem ursprünglichen der Wäsche. Und dann natürlich die Hel- Zustand nähern. ligkeit, das Haus ist lichtdurchflutet. Das Was bedeutet Gropius für Sie? war zu Gropius’ Zeit innovativ, er wollte Köhler Elke von Radziewsky; Fotos: Marcel Text: Mehr im Register ab Seite 176 26 A &W 2/14.