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Sendung vom 25.04.2006, 20.15 Uhr

Prof. Dr. Carl Hahn Ehemaliger Vorstandsvorsitzender VW im Gespräch mit Adrian Dunskus

Dunskus: Unser Gast ist heute Dr. Carl Hahn, langjähriger Vorstandsvorsitzender von und, um nur einen seiner Ehrentitel zu nennen, Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats von . Herr Hahn, Sie haben in der Automobilindustrie eine Karriere durchlaufen, wie sie nur wenige andere Menschen vorweisen können. Inwieweit war Ihnen das in die Wiege gelegt? Hahn: Also, man muss schon zugeben: Wenn man in eine Motorrad- und Automobilfamilie hineingeboren wird, dann übt das natürlich einen großen Einfluss aus. Darüber hinaus ist das Automobil für jeden heutzutage sowieso etwas unglaublich Faszinierendes, ob er nun in dieser Industrie arbeitet, die ja so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, oder ob er nur Konsument ist: Das Automobil spielt immer eine große Rolle. So war es wohl ganz natürlich, dass ich nach dem Krieg und einem kleinen Umweg - ich wollte Medizin studieren, um frei zu sein, um unter den damaligen Verhältnissen in den Jahren nach 1945 auswandern zu können - doch in der Automobilindustrie landete. Dunskus: Um es mal auf Englisch zu sagen, with the benefit of hindsight, also mit dem Vorteil des Rückblicks: Hätten Sie als junger Mensch gedacht, dass Ihr beruflicher Weg diesen Verlauf nehmen wird, diesen so erfolgreichen Verlauf? Hahn: Nein, solche Dinge vorausdenken zu wollen, ist meiner Meinung nach verlorene Zeit. Es ist sogar sehr schädlich, wenn man so etwas vorausplanen wollte. Nein, man stellt sich einfach immer wieder neuen Aufgaben und je nachdem, wie man sie löst und wie viel Erfolg, Pech oder Glück man dabei hat, kommt man voran. Ich hatte das Glück, dass ich immer wieder Mentoren für mich gefunden habe: ob bei der OECD in Person eines Franzosen oder bei Fiat oder letztlich bei Volkswagen. Besonders wichtig für mich war aber auch die Zeit unmittelbar nach dem Krieg, als ich mit meinem Vater eine sehr enge Verbindung hatte und wir in verschiedenen Dachkammern hausten und uns durchzuschlagen versuchten. Das hat natürlich schon sehr prägend gewirkt und mir sehr geholfen. Solche Erfahrungen helfen einem dann natürlich auch, wenn man später in dieser Industrie lebt und arbeitet. Man hat nämlich bereits als kleines Kind immer eine Menge aufgeschnappt. Ich muss nur einmal daran denken, wie das war, wenn die Händler am Donnerstagabend bei uns zu Hause mit meinem Vater noch um Aufträge rangen, weil sie wussten, dass sie am Freitag das Geld für die Lohnzahlungen brauchten. Als Kind registrierte man das natürlich mit einem unerhörten Gedächtnis ganz genau. Solche Dinge und viele, viele andere unbewusste Dinge haben mir selbstverständlich dabei geholfen, in dieser Industrie so Fuß fassen zu können. Dunskus: Aus Ihrer Feder liegt eine, wie ich meine, außergewöhnliche Autobiographie vor, außergewöhnlich insofern, als Sie sich darin der Kritik stellen und nicht einfach nur an Ihrem Nachruhm polieren. 2006 feiern Sie ja nun Ihren 80. Geburtstag und Ihr Abschied bei Volkswagen liegt mittlerweile gut zwölf Jahre zurück. Warum haben Sie erst jetzt zur Feder gegriffen? Hahn: Ich muss sagen, dass ich die ersten zwölf Jahre nach dem Ausscheiden bei Volkswagen so überbeschäftigt war, dass ich einfach nicht dazu gekommen bin. Die letzten zwei Jahre habe ich dann ohne große Akten mit diesem Buch begonnen. Ich hatte nämlich überhaupt keine Akten mitgenommen aus meiner Zeit bei Volkswagen. Ich machte mich also nur auf der Basis meines Gedächtnisses an dieses Buch, und auf der Basis von Zeitungsartikeln und meinem Terminkalender. Ich überlegte mir, ob ich nicht die vielen Dinge, die ich erlebt habe und die zu einem guten Teil niemand kennt, festhalten sollte, weil sie Teil der Geschichte sind, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der zu Audi. Das war nämlich eine sehr halsbrecherische Geschichte – wie auch die Geschichte von Volkswagen selbst. Dementsprechend habe ich diese Entwicklung dann in verschiedene Kapitel gegliedert: nicht chronologisch, sondern nach Sachthemen. Ich wollte damit einfach nur einen kleinen Beitrag leisten. Ich wollte aber auch den vielen Mitstreitern ein gewisses Denkmal setzen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Denn es war in dieser Zeit ohne Zweifel Außergewöhnliches geleistet worden. Die Menschen dachten nur an das Ziel, an das Unternehmen, und dachten nicht an sich selbst. Sie wollten eine Basis bauen und wussten natürlich, dass das für sie lebenswichtig war. Aber sie waren von A bis Z Menschen, die ganz Hervorragendes geleistet haben: mit sehr viel Mut, mit sehr viel Kreativität und auch mit sehr viel Entbehrungen. Die Ernte dieser Arbeit erfolgte erst sehr viele Jahre später. Inzwischen sind wir jedoch an dem Punkt angelangt, wo wir bereits beginnen, unser Saatgut zu essen. Dunskus: Ihre Autobiographie trägt den Titel "Meine Jahre mit Volkswagen" und ist im Signum Verlag erschienen. Vom legendären Alfred Sloan, dem Begründer des Konzerns General Motors, stammt ein Buch mit dem Titel "My Years with General Motors", das heute noch ein Standardwerk in der Managerwissenschaft ist. Wollten Sie Sloan nacheifern? Hahn: Ja, ich habe das mit Absicht gemacht, weil ich denke, dass das ein hervorragender Titel ist. Wenn man vor 50 Jahren in einem Unternehmen angefangen und es dann an entscheidenden Punkten begleitet hat, dann ist das doch ein geeigneter Titel für ein Buch und damit auch für das, was ich hier festzuhalten versucht habe. Dunskus: Zu den für mich unvergesslichen Abschnitten in Ihrem Buch zählt der über Ihre Erlebnisse bei Kriegsende. Ihr Vater war Chef bei DKW in Zwickau und die Sowjets kamen. Wie hat sich Ihre Familie gerettet? Hahn: Ich war nicht dabei, denn ich war Soldat zu jener Zeit. Sie hat sich im letzten Augenblick mit einem zufällig noch vorhandenen Benzinwagen von aus in Richtung Zwickau zu den Amerikanern abgesetzt. Die Amerikaner haben ihm dann zusammen mit seinen Vorstandskollegen sehr geholfen. Dadurch ist meine Familie in die rettende Freiheit gekommen. Demgegenüber war ich zu dieser Zeit zu Fuß unterwegs: Getarnt als Fremdarbeiter versuchte ich einen Platz anzusteuern, den wir alle als Treffpunkt nach dem Kriege verabredet hatten. Das war in der Nähe von . Deshalb ist auch die Auto Union – und die spätere Firma Audi – nach Ingolstadt gekommen. Denn wir landeten in Sandizell, einem kleinen Dorf mit einem wunderschönen Schloss bei Schrobenhausen in der Nähe von Ingolstadt. Dunskus: Das war also der Anfang von Audi in Ingolstadt. Wenn man wie ich 14 Jahre nach Kriegsende geboren ist, dann kennt man die Marke DKW noch. Menschen, die zehn Jahre jünger sind als ich, kennen sie bereits nicht mehr: Sie wissen lediglich, dass Audi in Ingolstadt sitzt, sie wissen, dass der Trabant aus Zwickau kam und dass es heute in Zwickau ein Volkswagenwerk gibt. Für die jüngeren Menschen scheint das so, als wäre es immer schon so gewesen. Aber diese ganze Entwicklung war doch letztlich auch sehr stark vom Zufall geprägt, wenn ich das richtig sehe. Hahn: Nicht durch den Zufall, sondern es war dadurch geprägt, dass ich im Krieg als Junge mit 14 Jahren versucht habe, in den Ferien in der Fabrik für den "Endsieg" zu arbeiten. Wir waren damals ja in der Tat sehr begeisterte kleine Pimpfe. Das brachte mich dann aber doch mit den Realitäten an der Basis in einem Industriebetrieb zusammen. Ich lernte den sächsischen Industriearbeiter kennen: in seiner ganz hervorragenden Disziplin, in seinem großen Qualitätsbewusstsein und allem anderen, was dazugehörte. Ich kannte natürlich aus der Familie die große Tradition in Sachsen auf dem Gebiet der Industriegeschichte: von Zschopau im Erzgebirge angefangen über all die Städte, in denen Werkzeugmaschinen, Textilindustrie oder die Automobilindustrie zu Hause war. Dementsprechend war es für uns ganz natürlich, dass man, wenn man zehn Kilometer von der Zonengrenze entfernt am Mittellandkanal in Wolfsburg in einem Bürogebäude residiert, immer auch den Blick nach Osten richtete. Als der Vorhang dann fiel, waren wir doch relativ gut vorbereitet: geistig und von unserer Tradition her. Wir hatten allerdings schon 1983 mit der Regierung der DDR einen Vertrag über ein Motorenwerk abgeschlossen: Damit hatten wir sozusagen ein Thermometer in der Wirtschaft der DDR. Wir sahen deshalb diesen Zusammenbruch kommen. Wir konnten jedoch nicht annehmen - wir konnten es zwar hoffen, aber wir versagten es uns, das wirklich zu erwarten -, dass sich das eines Tages dank der Menschen in Ostdeutschland über Nacht alles so friedlich entwickeln würde. Dahinter stand jedoch ein Zerfallsprozess, der sich davor bereits über eine sehr, sehr lange Zeit hingezogen hatte. Dunskus: Ich würde gerne noch einmal in das Jahr 1945 zurückkehren, als Sie den Neuanfang für Audi in Gang gebracht haben. Womit haben Sie denn gearbeitet in Ingolstadt? Was war da bereits vorhanden? War da überhaupt etwas vorhanden? Hahn: Ingolstadt hat ja eine große Tradition als Basis des Bayerischen Pionierregimentes. Es hatte jedoch überhaupt keine Basis für eine Industrie. Wir sind also 1945 dorthin gekommen und zunächst einmal entwickelte sich dort gar nichts. Wir gingen dann zunächst einmal in die englische Zone, ließen aber in Ingolstadt ein Zentrum für Ersatzteile zurück. Wir haben dann versucht, uns in der englischen Zone durchzuschlagen. An eine deutsche Automobilproduktion in größerem Umfang war natürlich in jenen Tagen überhaupt nicht zu denken. Selbst neue Motorräder durften damals nicht mehr als 60 Kubikzentimeter Hubraum haben. Die Stahlproduktion für Deutschland war begrenzt auf zwei Millionen Tonnen! Man stelle sich das einmal vor! Wir hatten also ein Vakuum vor uns: des Hungers, des Schwarzmarktes. Und jeder versuchte halt, sich irgendwie durchzuschlagen. Wir glaubten, dass wir das am besten im Rheinland tun könnten, und haben dann solche Dinge produziert und vertrieben wie Nummernschlösser oder Hochdruckkochtöpfe. Mein Vater in seiner Kreativität hat damals ganz einfach bestimmte Dinge erfunden und sie dann auch in Produktion gebracht wie zum Beispiel o.b. ®. Wir waren also schon sehr aktiv, aber wir haben dabei auch immer daran gedacht, dass die alte Auto Union wieder entstehen müsste. So kam es dann 1948 durch eine Verbindung von Otto Wolff zu Kontakten mit Baron Friedrich von Oppenheim, die ja beide in unserer Nachkriegsgeschichte sehr bekannte Gestalten waren. Sie gaben dann Dr. Richard Bruhn und meinem Vater den ersten Personalkredit, der zur Vorbereitung der Gründung der eigentlichen Auto Union in Ingolstadt und Düsseldorf führte: In Düsseldorf wurden zunächst PKWs und in Ingolstadt die Transporter und die Motorräder hergestellt. Das war die Geburtsstunde in den Kasematten von Ingolstadt. Dunskus: Jetzt sollten wir vielleicht doch noch ein Wort zur Auto Union selbst sagen. Die vier Ringe von Audi stammen ja von der Auto Union. Das ist das, was sozusagen von der Auto Union übrig ist. Was war das für ein Unternehmen? Hahn: Auch dieses Unternehmen war sozusagen aus der Not geboren. 1932, als die gesamte deutsche Automobilindustrie im ganzen Jahr nur mehr 30000 Autos herstellte, fusionierten die sächsischen Banken die alle mehr oder weniger bankrotten vier Automobilunternehmen Sachsens: , , Audi und DKW. DKW war damals gleichzeitig der größte Motorradhersteller und wohl noch in der relativ besten wirtschaftlichen Verfassung. DKW wurde auch zur Auffanggesellschaft für diese neue Union, die dann Richard Bruhn ganz entscheidend geformt hat. Diese Auto Union hat dann vom Start weg – man muss allerdings ehrlich zugeben, dass das auch nur dank Hitlers Wirtschaftspolitik und späteren Aufrüstungspolitik möglich war – eine phänomenale Entwicklung genommen. Sie war sehr erfolgreich: von den Rennwagen, die Ferdinand konstruierte, bis zu den Rennsiegen der Motorräder. Man war das zweitgrößte deutsche Automobilunternehmen und agierte bereits europaweit und auch in Übersee sehr aktiv und sehr erfolgreich. Das war ein Unternehmen, das in seiner besten Zeit an die 40000 Menschen beschäftigte. Dunskus: Sie haben also nach dem Krieg die Auto Union wieder gegründet. Hahn: Nicht ich, sondern mein Vater und Richard Bruhn. Mein Vater machte das zusammen mit den Teams, die dann mehr und mehr bei Hof aus Sachsen über die Grenze geführt wurden. Dort gab es einen VW-Händler, der diese Dinge betrieb, um die vielen Menschen nach Ingolstadt zu bringen, sofern sie nicht nach Russland verschleppt worden waren, um dort die Motorradproduktion von DKW in Gang zu setzen. In Ingolstadt wurde dann, wie man sagen kann, eine gewisse Zeit lang mehr Sächsisch als Bayerisch gesprochen. Dunskus: Als in Ingolstadt die Produktion dann wieder anlief, wurden dort jedoch keine , sondern hergestellt. Hahn: Ja, das waren die DKWs mit dem Zweitakter und der berühmten Ölfahne am Auspuff. Ja, das waren diese DKW-Wagen, die sich im Krieg so einen phantastischen Namen gemacht hatten, weil man ihnen praktisch alles in den Tank schütten konnte und sie trotzdem angesprungen sind und liefen. Das waren also zunächst einmal diese typischen Vorkriegsfahrzeuge. Aber es gab dann auch schon bald den berühmten Dreizylinder von DKW mit dem Namen "3=6", der 1953 gleichzeitig in Ingolstadt wie auch in Ostdeutschland vom Band lief und zu einem sehr erfolgreichen Auto wurde. Aber das war eine Zeit, in der ich als Student irgendwo in Europa arbeitete. Erst 1954 kam ich dann schließlich nach Deutschland zurück, als ich bei einem gewissen Herrn Nordhoff eine Anstellung fand. Herr Nordhoff war damals bereits eine Legende und verdient es auch heute noch, eine solche zu bleiben. Nordhoff war nämlich der Mann, der Volkswagen aus dem Nichts heraus zu diesem Weltunternehmen gemacht hat. Dunskus: Wenn Sie von heute aus diese beiden damaligen Marken Volkswagen und DKW vergleichen: Wie standen die zueinander? Was war DKW für eine Marke? Hahn: DKW war eine kleine Marke mit einer Vorkriegskonstruktion. Die Käferkonstruktion hingegen war ihrer Zeit weit voraus und allen anderen Automobilen in dieser Preisklasse damals sehr überlegen. Mit anderen Worten, die kleinen Automobilhersteller hatten es damals sehr schwer: Man kam kaum auf einen grünen Zweig gegen VW. Aus diesem Grund war man auch in Ingolstadt sehr bald dazu gezwungen, das Unternehmen an Daimler zu verkaufen. Dies geschah allerdings erst, nachdem zuvor der Aktionär Flick in die Firma Auto Union eingestiegen war, um diesem Unternehmen eine Finanzspritze zu geben. Auch ein gewisser Ernst Göhner stieg damals in die Auto Union ein: ein Selfmademan aus Zürich. Er gehört ebenfalls zu den Pionieren, die DKW in den ersten Jahren nach dem Krieg finanzierten. Das war schon recht mutig, aber unter dem Strich doch auch sehr erfolgreich. Dunskus: Es hat sich also zuerst einmal Daimler-Benz an der Auto Union beteiligt. Hahn: Zuerst Flick, und dann kam über Flick die Verbindung zu Daimler. Dunskus: Mercedes war damals also an Audi beteiligt, wenn man das mal mit heutigen Worten ausdrücken darf. Hahn: Ja, Mercedes war zu 100 Prozent Eigentümer der Auto Union. Als dann aber nach einigen Jahren Herr Zahn von Mercedes Herrn Nordhoff von VW besuchte und ihm die Auto Union mit der Marke DKW anbot, sagte er zu ihm: "Wir werden mit diesem Unternehmen nicht fertig!" Mit anderen Worten: Man kam einfach nicht aus den Verlusten heraus, obwohl man in Ingolstadt extra eine neue, riesengroße Fabrik gebaut hatte – vielleicht zu groß, vielleicht zu teuer. Man hatte jedenfalls in Ingolstadt immer noch kein Fahrzeug, das den Durchbruch auf dem Markt gebracht hätte. Nordhoff jedoch erkannte die Chance: vor allem auch deshalb, weil Mercedes bereit war, beim Verkauf von Auto Union an VW einen neu konstruierten, wassergekühlten Vierzylinderviertaktmotor mitzuliefern. Aus diesem Grund sagten wir uns bei VW, dass wir dieses Risiko des Kaufs von Auto Union auf uns nehmen können. Ich war damals ja bereits wieder zurück bei VW: allerdings nicht mehr als Assistent von Nordhoff wie 1954, sondern ich hatte ja mittlerweile in Amerika als Chef der Volkswagen of America gearbeitet. Ich erfand damals, wie ich wohl sagen darf, die divisionale Politik bei Volkswagen. Damit ist gemeint, dass wir die Produktionsstätte von Auto Union in Ingolstadt nicht zum sechsten oder siebten Produktionsstandort für Volkswagen machen wollten. Stattdessen machten wir Audi zu einer unabhängigen Division innerhalb des Konzerns Volkswagen, die allerdings technisch integriert sein musste. Nach dieser Verfahrensweise wurden wir von VW dann die "Herren" in Ingolstadt. Aber schon bald mussten wir feststellen, dass auch wir dort enorme Verluste zu bewältigen hatten. Daraufhin sagten wir uns: "Na gut, wir müssen dieses Ziel einer unabhängigen Marke namens Audi trotzdem erreichen!" Ich war dann allerdings zuletzt bei VW nur mehr der Einzige, der dieses Ziel erreichen wollte. In der Zwischenzeit musste ich jedoch auch noch mit der Montage des Käfer klarkommen, die wir nach einiger Zeit in Ingolstadt aufgenommen hatten, um die Leute in diesem Werk überhaupt beschäftigen zu können, denn die alten Zweitakter kaufte uns niemand mehr ab und die neuen Viertakter waren noch nicht produktionsreif. Ich musste also noch zusätzlich 70000 Käfer verkaufen. Der Käfer war damals ja schon nicht mehr der Jüngste. Gleichzeitig war aber auf mein Betreiben hin auch noch das Werk in Emden gebaut worden: mit einer Kapazität von 1000 Käfer pro Tag! Es zeugt von der unerhörten Kraft dieser Konstruktion, dass wir noch bis 1973 in Wolfsburg von diesem Käfer leben konnten. Gleichzeitig gab es innerhalb der Führungsriege bei VW jedoch auch riesige Kämpfe um diese Politik. Ich gewann schließlich mit meiner divisionalen Politik – auch dank eines neuen Vorstandsvorsitzenden nach dem Tode von Nordhoff. Ich hatte mir dabei aber jede Menge Feinde gemacht: sowohl wegen meiner Großhändlerpläne wie auch wegen meiner divisionalen Politik im Hinblick auf die Marke Audi. So kam es dann, dass ich 1972 mit großem Krach und in hohem Bogen rausflog bei Volkswagen. Dunskus: Vorher lassen Sie uns aber bitte noch einen Blick auf die sechziger Jahre werfen, als es diesen Neubeginn von Audi gegeben hat. Der Neubeginn von Audi war ja wohl auch gleichzeitig das Ende von DKW. Hahn: Richtig. DKW stand einfach für den Zweitakter, für den Ölgeruch dieser Fahrzeuge, für die blaue Fahne, die der Auspuff hinter sich herzog usw. DKW stand damit eben für eine Vorkriegskonstruktion. Das war in der damaligen Welt einfach nicht mehr zu verkaufen. Es gab zwar noch Theoretiker und Praktiker, die an den Zweitakter glaubten. Auch die damaligen Motorräder der Japaner zeigten ja die Leistungsfähigkeit des Zweitaktprinzips. Es gab immer wieder Versuche, den Zweitaktmotor auch für den PKW weiterzuentwickeln. Aber letztlich ging das alles schief: Der Zweitakter fand kein Comeback mehr im PKW. Dementsprechend wurde dann eine komplette Zäsur mit dem Namen "Audi" gemacht. Zwar sagten laut einem Protokoll, das mir neulich in die Hand fiel, meine Vorstandskollegen bei VW, das sei der schlechteste Name, der mir hätte einfallen können. Aber ich glaube, heute sind wir doch anderer Ansicht. Denn Audi ist heute nach allerdings hartem Kampf zu einer großartigen Erfolgsgeschichte geworden. Dies auch dank der Menschen in Ingolstadt. Ingolstadt ist heute keine Garnisonsstadt mehr, sondern eine blühende Industriestadt, ja fast schon eine Automobilstadt. Dunskus: Man muss das für die Jüngeren unter unseren Zuschauern vielleicht noch ein wenig näher erläutern. Die automobile Landschaft erscheint uns heute ja sehr, sehr festgefügt: Da gibt es Mercedes, da gibt es BMW, da gibt es Audi und diese drei Firmen teilen sich heute die automobile Oberklasse auf. In den sechziger Jahren sah das ja noch ganz, ganz anders aus. Hahn: Das stimmt. Damals war Mercedes der absolute Herr. Mercedes verkaufte auf Warteliste und setzte seine Preise, wie es dem Unternehmen richtig erschien. Diese Fahrzeuge waren, wenn sie nicht als Diesel in die Landwirtschaft oder ins Taxigewerbe gingen, zumeist Dienstfahrzeuge: Kein Mensch kümmerte sich groß darum, wie viel sie kosteten. Damals legte Daimler-Benz auch seine großen "Kriegskassen" an, die in den letzten zehn Jahren wohl etwas geplündert werden mussten. Der Erste, der versuchte, dieses Monopol zu sprengen, war dann BMW. Das ging allerdings auch nicht auf einen Schlag, aber BMW war, als ich nach meinem Rauswurf bei VW und meiner Conti-Epoche von 1972 bis 1981 zu Volkswagen zurückkam, bereits ein ernstzunehmender Herausforderer für Mercedes geworden. Audi hingegen war damals erneut in einer schwierigen Lage. Denn man hatte inzwischen die Audi-Absatzorganisation liquidiert, was wiederum VW viele hervorragende Menschen für den Vertrieb brachte, einschließlich des Audi-Vertriebsvorstandes Schönbeck. Wir sagten uns damals jedenfalls: "Wenn wir Audi voranbringen wollen, dann müssen wir wieder eine getrennte Absatzorganisation haben! Wir müssen sie scharf differenzieren von VW und wir müssen das Programm bei Audi erweitern!" Damals gab ich die Anregung, die jedoch gar nicht so leicht aufgenommen wurde, um das mal etwas vorsichtig auszudrücken, mit Audi in Oberklasse zu gehen. Wir hatten damals bei Audi einen etwas überdimensionierten Audi 100/200. Dieser diente uns als Träger für die erste Stufe dieser Entwicklung und machte das Ganze für uns finanziell erträglich. Aber das war natürlich für Audi und für den VW-Konzern eine unerhörte Belastung, denn wir wussten ganz genau, dass wir nicht in einer einzigen Phase zum Erfolg kommen würden. Aber wir hatten dann schon in der zweiten Welle dank der Kreativität von Ingolstadt - Leichtbau, Allradantrieb usw. - unsere ersten Erfolge auf diesem Gebiet. Seitdem und bis heute ist Audi in einer Position, dass man sagen kann: In der Oberklasse ist das der meistverkaufte Achtzylinder und Zwölfzylinder. Dieses Auto hat mittlerweile ein unerhörtes Prestige und ist heute in der ganzen Welt anerkannt. Von vielen Fachzeitschriften wird der große Audi als das beste Fahrzeug seiner Klasse bezeichnet. Das stelle ich natürlich mit großer Befriedigung fest, denn damals hatten wir nur die tränenreiche Zeit der Opfer, der großen Investitionen. Denn es ging damals ja nicht nur um Entwicklungsinvestitionen, sondern wir mussten ja auch in einen Sechszylindermotor, in einen Achtzylindermotor investieren; schließlich kam dann sogar noch ein Zwölfzylindermotor hinzu. Aber es fehlte ja auch bei VW selbst ein Sechszylindermotor: Dementsprechend war das damals eine Zeit großer technischer Vorleistungen, um den Konzern auch technisch auf eine europaweite Verkaufs- und Marktpolitik vorbereiten zu können. Denn als ich zu VW zurückgekommen bin, war man noch gefesselt von diesem Irrweg der Diversifizierung. Man glaubte nämlich damals, die Automobilindustrie sei eine Industrie der Vergangenheit. Dunskus: Sie sprechen jetzt von den beginnenden achtziger Jahren. Hahn: Genau. Heute ist die Automobilindustrie die wichtigste Industrie in Deutschland. 30 Prozent unserer gesamten Forschung wird in dieser Industrie betrieben, 20 Prozent der gesamten Industrieumsätze wird dort erwirtschaftet usw. 1982 jedoch schien es ganz natürlich zu sein, dass man sich als Automobilkonzern diversifizierte: Man wurde dafür auch immer wieder gelobt von der Presse und die Öffentlichkeit war begeistert von dieser Art Firmenpolitik. Aber diese Politik hat nicht nur den Volkswagenkonzern, sondern auch alle anderen Automobilhersteller sehr, sehr viel Geld gekostet. Bei VW war dies vor allem dem Engagement bei Triumpf Adler geschuldet. Dunskus: Damals hat VW in Büromaschinen investiert. Hahn: Ja, man hat in Büromaschinen investiert, obwohl schon damals die Büromaschinen überhaupt keine Zukunft mehr hatten. Denn dieses Feld wurde ja innerhalb weniger Jahre von der Elektronik und den Computern substituiert. Aus diesem Grund gab es dann auch gar keine Verbesserung dieser alten Dinge mehr. Dies müssen wir auch heute wieder bei vielen anderen Dingen bedenken: Es geht nicht darum, Altes zu verbessern, sondern man braucht heute radikal Neues. Aber lassen Sie mich zu 1982 zurückkommen, denn schon damals fiel bei uns die Entscheidung, diese Diversifizierungspolitik aufzugeben und Audi in die Oberklasse zu führen. Die dritte und wie ich denke sehr wichtige Entscheidung war damals: Wir wollten VW europäisieren! Wir waren damals nämlich bei VW komplett auf Deutschland fixiert – abgesehen von unseren brasilianischen und mexikanischen Töchtern, die uns jedoch in Europa nicht stärken konnten und die damals leider nach einer sehr erfolgreichen Zeit sogar rote Zahlen schrieben. Es ging jedenfalls darum, dass wir es uns nicht wie Fiat leisten konnten, uns hauptsächlich auf ein einzelnes Land in Europa zu beschränken und nur in Deutschland zu produzieren, dem Land in Europa mit den höchsten Herstellungskosten. Wir waren damals in den übrigen europäischen Ländern einfach nicht zu Hause. Fiat konnte sich das damals noch leisten – heute selbstverständlich auch nicht mehr. Es gab damals ja den schönen Spruch: "VW gehört dem deutschen Volk, Fiat gehört der italienischen Regierung!" Man hatte nämlich sehr viel Einfluss auf die italienische Politik und genoss auch sehr viel Schutz durch die Politik. Unter diesem Schutz machte man damals bei Fiat noch sehr große Gewinne und konnte selbst nach ganz Europa exportieren. Fiat war, das weiß man heute vielleicht gar nicht mehr, über Jahrzehnte der größte Kraftfahrzeughersteller in Europa. Bis 1983 war das so: Wir lösten nämlich in diesem Jahr, ausgehend vom fünften Platz, Fiat als die Nummer 1 in Europa ab. Daran hat sich auch bis zum heutigen Tag nichts mehr geändert. Aber kommen wir zurück zu den achtziger Jahren und den wichtigen Entscheidungen damals. Wir haben also diese Europäisierung begonnen mit unserem Engagement bei Seat. Das war der erste wichtige Schritt, um mit einem Fahrzeugprogramm einer mediterranen Lebensweise in die Mittelmeerländer hineinzukommen. Das hat sich sofort als ein sehr wichtiger und sehr erfolgreicher Schritt für uns erwiesen. Wir hatten erst nach zwei Jahren Seat kaufen müssen: In der Zwischenzeit produzierte Seat jedoch für uns bereits Polos, sodass wir hier bei uns mehr Golfs produzieren konnten. Damit konnten wir sozusagen das Geld für den Kauf von Seat ansparen. Wir bekamen dann Seat auch ohne Schulden von der spanischen Regierung übergeben, denn Fiat hatte Seat der spanischen Regierung geschenkt, nachdem man dort nicht mehr weitergekommen war. Ursprünglich ist nämlich Seat eine Fiat-Gründung aus dem Jahr 1953. Wir übernahmen also dieses Unternehmen schuldenfrei und haben dann auch sehr schnell dank unserer Plattformpolitik eine sehr erfreuliche Entwicklung bei Seat eingeleitet, die 1993 nach meinem Abgang etwas ins Schleudern gekommen ist. Ich denke jedoch, dass Seat heute einen ausgezeichneten Ruf hat – auch wenn es intern möglicherweise Mode geworden ist, auf Seat zu schimpfen. Aber Gott sei Dank sind die Kunden von den Seat- Fahrzeugen begeistert. Dunskus: Sie haben also damals Seat übernommen. Seat war eine Fabrik, die in Spanien für den dortigen Markt Fiatmodelle in Lizenz fertigte. Das klingt ja nicht gerade begeisternd. Was hat Sie daran gereizt? Wie haben Sie erkannt, was in Seat stecken könnte? Hahn: Wir lernten natürlich durch die Montage Seat in- und auswendig kennen. Wir erfuhren dabei, dass sie in der Lage sind, unsere Produkte hervorragend herzustellen. Zweitens war es so, dass man bei Seat, nachdem man an die spanische Regierung abgegeben worden war, damit begonnen hatte, ein Fahrzeug zusammen mit Porsche und Karmann zu entwickeln. Dieses Fahrzeug stand kurz vor der Einführung damals: Das war der Seat Ibiza. Und damit hatten wir ein Fahrzeug, das uns als Brücke dienen konnte, bis der erste Toledo fertig war: Er bekam eine Golf-Plattform, aber nicht diejenige des damals neuen Golfs, sondern die des alten Golfs. Damit war dieses Fahrzeug besonders wirtschaftlich. Der weitere Weg bestand dann natürlich darin, mit Hilfe von VW-Plattformen neue, dem Stil der mediterranen Kundschaft angepasste Fahrzeuge herzustellen. Diese Kundschaft sind nicht nur Menschen, die in mediterranen Ländern leben. Auch wir hier in Deutschland gehen ja gerne in ein italienisches Restaurant zum Abendessen usw. Mit anderen Worten, es war dann so, dass wir mit Seat eine völlig getrennte Division hatten, die einen eigenen Charakter besaß. Nur eines hatte diese Division nicht, und das war ebenfalls so ein Pferdefuß: Sie hatte nämlich keine Absatzorganisation außerhalb Spaniens. Diese Organisation haben wir dann aber ziemlich über Nacht ins Leben gerufen. Auch das ist letztlich sehr gut gelungen: Heute steht Seat als europäisches Unternehmen sehr gut da und hat seinen Weg gemacht. Dunskus: Seat hat heute eine Schwestermarke, nämlich Skoda. Wie kam es dazu, dass Sie Skoda übernommen haben? Hahn: Wir konnten 1982 natürlich nicht voraussehen, dass der Eiserne Vorhang so schnell und so friedlich fallen würde. Aber wir haben natürlich als Grenzbewohner schon auch immer wieder mal über die Grenze geschaut. Deutschland hatte ja mit seiner Grenze zum Eisernen Vorhang innerhalb der westlichen Welt die östlichste Position... Dunskus: Und in Wolfsburg war das erst recht so. Hahn: In Wolfsburg konnte ich die Kirchtürme von Oebisfelde sehen! Wir hatten auch unsere Verbindungen zur Regierung der so genannten Demokratischen Deutschen Republik, die freilich alles andere als demokratisch war. Aber dieser Begriff wird ja ohnehin ständig missbraucht. Dementsprechend sahen wir ja, was sich dort tat, was z. B. in Polen geschah, was in Ungarn heraufdämmerte usw. Wir hielten tatsächlich ständig Kontakt mit Fabriken wie Skoda oder auch zu Fabriken in der Sowjetunion, um zu sehen, was sich dort tut und um sozusagen sprungbereit zu sein, wenn es darum gehen sollte, dort möglicherweise Positionen aufzubauen. Als dann die Wiedervereinigung Deutschlands geschah und damit eben auch Europas, haben wir sehr schnell den Weg zu Skoda antreten wollen. Ich flog nach Prag, aber die tschechische Regierung schleppte mich zuerst einmal nach Bratislava. Ihr Gedanke war: "Dort haben wir eine leer stehende, funkelnagelneue Automobilfabrik!" Etwas Ähnliches fanden wir dann auch in Zwickau vor, wenn auch in einem viel zu kleinen Umfang. Auch diese Fabrik war wie die Fabrik in Bratislava nicht in Betrieb genommen worden, weil man nicht mehr die wirtschaftliche Kraft dazu gehabt hatte. Ich kam mir beim Besuch in Bratislava wie ein Hochstapler vor: Da gab es eine reine Kapazität, dies aber ohne Absatzorganisation, ohne neue Marke. Dies schien mir doch zunächst einmal ein zu großer Schritt zu sein. Wir spielten irgendwie auf Zeit und taten einfach so, als ob wir das wirklich kaufen würden. In Wirklichkeit eilten wir dann zu Skoda und gingen dort mit einer Basispolitik ans Werk. Demgegenüber versuchten unsere französischen Konkurrenten mit einem eher politisch-diplomatischen Vorgehen Skoda zu erwerben. Wir eroberten dabei aber die Menschen von Skoda und die tschechische Regierung hat dann am Schluss der Verhandlungen uns den Zuschlag gegeben: auch etwas unter dem Druck der Arbeiter dort, weil sie erklärt hatten, dass sie streiken würden, wenn sie nicht zu Volkswagen kommen würden. Das war natürlich ein großes Kompliment für uns. Inzwischen hatten wir auch nachgedacht, was wir mit Bratislava machen könnten und sollten: Wir dachten an eine strategische Reservekapazität, die sich schon mit 50 PKW pro Tag auszahlen würde. Dies war allerdings ein großer Irrtum, denn wir haben in dieser Fabrik schon sehr bald in drei Schichten sieben Tage in der Woche gearbeitet, weil unsere Expansionsgeschwindigkeit doch größer war, als wir das in unserem konservativen Denken angenommen hatten. Das war dann allerdings erst nach meiner Zeit. So kam es, dass heute auch die Fabrik in Bratislava eine Fabrik ist in einer Größenordnung von über 200000 Fahrzeugen und fünf Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist. Damit ist diese Fabrik der größte Wirtschaftsfaktor des Landes geworden. Wir haben dort damit wie in allen zentraleuropäischen Ländern auch eine bestimmte Infrastruktur geschaffen, die unsere Konkurrenz anlockte. Heute ist es so, dass die Slowakei auf dem Weg ist, zur größten automobilbauenden Nation der Welt pro Kopf der Bevölkerung zu werden. Denn nach uns ist dann noch Peugeot gekommen und auch Hyundai und Kia, die jetzt dort Fabriken im Bau haben. So ist es auch in Polen gegangen: Überall haben wir, wie ich glaube sagen zu dürfen, sehr viel für die Dynamik der Entwicklung dieser Länder getan, die ja trotz unserer Investitionen in Sachsen weit besser verlaufen ist als in den neuen Bundesländern. Auch gegenwärtig verläuft in diesen Ländern die Entwicklung besser: Auch in Zukunft haben diese Länder eine sehr gute Chance sich beispielhaft weiterzuentwickeln und uns neue Märkte zu geben. Auch dort war Fiat vor uns die Nummer 1 gewesen. Wir wurden dann aber im Handumdrehen die Nummer 1 mit fast 30 Prozent Marktanteil und einer Produktion, die ich auf über 750000 Autos schätze. Es werden dort auch über 40000 Menschen beschäftigt, die aber auch für die Beschäftigung von 20000 Menschen in Deutschland sorgen – was wir hier jedoch gerne vergessen. Denn es gibt ja von Deutschland aus Zulieferungen für diese Plattformen in solche Länder wie Spanien, Portugal, Tschechische Republik, Ungarn und Polen. Durch diese Politik werden also in Deutschland sehr viele Arbeitsplätze gesichert. Man glaubt immer, dass das Hinausgehen in die Welt uns schadet. Nein, das schadet uns nicht. Schaden tut es uns lediglich, wenn unsere Kosten in Deutschland nicht stimmen. Und das tun sie ja, wie wir wissen, seit langer Zeit nicht mehr. Dunskus: Sie haben vorhin erwähnt, dass bei Seat unter dem Blech ein Volkswagen steckt. Bei Skoda ist es ähnlich. Wie lange kann es gut gehen, dem Kunden etwas als verschiedene Marken anzubieten, wenn dabei nur die Verpackung unterschiedlich, die eigentliche Substanz aber fast identisch ist? In den USA ist eine solche Unternehmenspolitik ja bis zum Exzess getrieben worden; dort ist das am Ende aber gescheitert. Wie lange kann so etwas also gut gehen? Hahn: Die Amerikaner haben einschließlich der Karosserien viele, viele Dinge vereinheitlicht. Wir jedoch haben bei der Motorisierung der einzelnen Fahrzeuge und der Abstimmung der Fahrwerke diesen Fahrzeugen sehr unterschiedliche Charaktere gegeben und wir haben ihnen ein sehr unterschiedliches, sehr individuelles und charakteristisches Äußeres gegeben. Aber auch die Innenraumausstattung, die der Kunde zu sehen bekommt und spürt, ist ganz unterschiedlich. Deshalb gibt es so gut wie keine Substitutionen. Wenn eine Marke mit einem Produkt erst einmal ein gewisses Volumen erreicht hat, wie das bei Volkswagen z. B. mit dem Golf der Fall ist, dann kann man unter den heutigen Konkurrenzverhältnissen den Absatz unter diesem Namen und unter diesem Produkt einfach nicht mehr weiter ausbauen. Mit einem zweiten "Angelhaken", der ganz unterschiedliche Köder hat, kann man sich dann aber noch einmal ganz unterschiedliche Käuferschichten erschließen, auch ganz unterschiedliche Käuferschichten in ganz unterschiedlichen Preisklassen. Denn der Golf selbst deckt ja innerhalb der so genannten Golfklasse den oberen Teil des entsprechenden Preissegments ab. Der Golf hat nämlich, wie man weiß, eine eigene Fahrzeugklasse geschaffen, aber das gilt z. B. auch für den Passat und überhaupt für alle unsere Fahrzeuge. Diese Arbeitsteilung hat also dazu geführt, dass zu diesem VW-Volumen, das ja praktisch alleine schon die Nummer 1 in Europa darstellen würde, noch einmal ein Volumen von einer halben Million Skoda und einer knappen halben Million von Seat dazukommen. Dies hat uns diese starke Position in Europa verschaffen. Und die Aggregate, die ja hauptsächlich in Deutschland produziert werden, können nun in immer größeren Serien hergestellt werden: kapitalintensiv und weniger von Löhnen abhängig. So kam es, dass wir unsere deutsche Basis sehr gut ausbauen und absichern konnten und können. Gleichzeitig sind wir die Nummer 1 und dies nicht etwa mit nur einem halben Prozentpunkt Vorsprung zum nächstgrößeren Konkurrenten. Nein, wir sind auch heute noch die Nummer 1 mit einem Marktanteil von 18, 19 Prozent, während unser schärfster Konkurrent gerade mal zwölf Prozent Marktanteil hält. Diese große Differenzierung schafft man eben offensichtlich mit nur einer einzigen Marke nicht, schon gar nicht in einem so konkurrenzträchtigen Umfeld wie dem heutigen Weltautomobilmarkt, der sich ja auch in jedem Einzelmarkt widerspiegelt. Dunskus: Wenn Sie das so erzählen, dann klingt das wie zwingende Logik. Aber man muss so etwas ja zuerst einmal vorausahnen, voraussehen können. Wie entsteht denn so eine Strategie? Wird die in einem Gremium erfunden? Hahn: Nein, ich glaube nicht. Die großen Strategien entstehen teilweise durch Zufall, teilweise durch einzelne Personen. In meinem Fall lag das wohl auch an meiner Prägung durch die Auto Union und ihre vier Marken. Das war etwas ganz Ähnliches. Aber ich wurde auch sehr beeinflusst von dem, was General Motors früher praktizierte: Zu meiner Zeit in den USA praktizierte die Firma General Motors eine Politik, die ihr einen Marktanteil von 50 Prozent verschaffte. Sie hatten nur die Sorge, über diese 50 Prozent zu geraten und von der Anti Trust Division zerschlagen zu werden. Wenn man also diese Politik richtig praktiziert, wenn man sie in den richtigen Maßen praktiziert und mit der richtigen Vernunft, dann hat man auch Erfolg damit. Ich glaube, das kann man bei VW sehr gut sehen, dass das möglich ist. Ein anderer Wettbewerber in Europa hat das dann auch sehr gut kopiert, nämlich der Konzern Peugeot mit der Firma Citroën. Das ist also sehr wohl möglich. Eine Marke jedoch von Null an zu entwickeln, ist ein sehr, sehr schwieriges Unterfangen. Wir haben eben als einziges Unternehmen unsere Chance sowohl in Ostdeutschland sofort aufgegriffen – die anderen dort produzierenden Automobilfirmen sind ja erst zwölf Jahre nach uns nach Ostdeutschland gegangen – wie auch in Zentraleuropa. Wir waren nämlich zunächst einmal wirklich die Einzigen, die nach Zentraleuropa gegangen sind. Unsere Audi-Freunde gingen damals mit Herrn Piech nach Ungarn und die übrigen VW-Leute nach Posen in Polen, zu Skoda in der Tschechischen Republik und nach Bratislava in der Slowakei usw. VW und Audi haben dort inzwischen weiter kräftig investiert und diese Länder sehr bei ihrer Politik unterstützt, zurück in die westliche Gemeinschaft zu kommen. Ich glaube, wir haben das damals schon recht klar so gesehen. Wenn ich eine Begabung gehabt habe – ich habe leider keine Begabung für die Musik oder die Malerei –, dann hatte ich eine Begabung für Strategien. Das hat uns damals auch bei Continental geholfen. So haben wir eben auch bei VW bestimmte Dinge sehr viel früher machen können als andere. Ich denke da z. B. nur einmal an solche Stichworte wie "Leasing" oder an die VW-Bank usw. Oder nehmen Sie als anderes Beispiel China: Wir waren 20 Jahre vor unserer Konkurrenz in China. Viele sind heute noch nicht richtig dort – meistens nur mit dem Mund und mit Kommissionen. Man kann also schon sagen, dass wir da eine ganz gute Nase gehabt haben, bestimmte Dinge zu tun. Diese Dinge sind jedoch zu meiner Zeit noch heftig kritisiert worden. Wir konnten diese Dinge sogar finanzieren, obwohl wir doch immer kritisiert wurden, wir würden nicht genug Gewinne machen. Dies wäre jetzt aber ein anderes Kapitel: Wir haben einst gute Gewinne gemacht, aber wir haben diese Gewinne für unsere Expansion genutzt und nicht, wie wir zugeben müssen, für unsere Aktionäre. Die Aktionäre hatten dabei jedoch den Vorteil, dass ihre Aktie immer wertvoller wurde. All diese Dinge haben uns also für Deutschland unsere Führungsposition in Europa gesichert. Aber das hat uns eben auch den Weg nach China geöffnet. Unser Gang nach China war allerdings kein Spaziergang, den wir alleine gemacht haben. Wir haben diesen Weg übrigens in winzigen Schritten begonnen: mit 500 Wagen samt Montage im ersten Jahr. Damit haben wir auch die gesamte Zulieferindustrie der Automobilindustrie mitsamt ihrem Kapital und mit ihrem Know-how nach China gebracht. Die kluge und weitsichtige chinesische Führung hatte ja von vornherein gestattet und sogar gefordert, dass ausländisches Kapital und Know-how ins Land kommt – im Gegensatz zu solchen Ländern wie Korea und Japan. China hat sich also nicht abgeschottet. Das ist auch das Geheimnis dessen, dass China mit einer so rasanten Geschwindigkeit Know-how und Kapital bekommen hat und damit in unglaublicher Größenordnung expandieren konnte: Über 25 Jahre hinweg expandierte die chinesische Wirtschaft jährlich um über zehn Prozent! Dies hat noch nie jemand geschafft, und schon gar nicht mit so einem riesigen Land. Und das war ja auch der Unterschied zu Indien. Indien hatte sich ja bis vor kurzem noch abgekapselt. Deshalb wuchs Indien zunächst einmal gar nicht und dann erst relativ langsam. Heute jedoch kommt Indien sehr, sehr gut in Gang und stellt sozusagen den Nachfolger von China dar. Uns in der westlichen Welt bringt das unvorstellbare Vorteile. Wir haben damit nämlich auf einmal, wie Prestowitz sagt, drei Milliarden neue Kapitalisten, die Kunden sind. Man muss sich mit Bezug auf Deutschland ja fragen, was aus unserem Land geworden wäre, wenn es diese beiden riesigen Blöcke nicht geben würde. Für die Weltwirtschaft und den Welthandel gäbe es dann nämlich überhaupt kein Wachstum mehr. Was würde dann heute aus unserer Wirtschaft werden? Das Wachstum des Welthandels, die Investitionen in diesen Ländern usw.: Das sind ja alles Dinge, die wiederum unsere Industrien befruchten. Das betrifft aber nicht nur die Automobil- und die Automobilzulieferindustrie, sondern z. B. auch die Leute, die ein Stahlwerk bauen können. Für diese Firmen hat es ja in Europa selbst nichts mehr zu tun gegeben. Dunskus: Wir müssen diesen Rückblick auf ein faszinierendes Berufsleben in Tuchfühlung mit dem Auto leider beenden, unsere Zeit hier im alpha-forum ist zu Ende. Unser Gast war heute Dr. Carl Hahn, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen.

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