Prof. Dr. Carl Hahn Ehemaliger Vorstandsvorsitzender VW Im Gespräch Mit Adrian Dunskus

Prof. Dr. Carl Hahn Ehemaliger Vorstandsvorsitzender VW Im Gespräch Mit Adrian Dunskus

BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 25.04.2006, 20.15 Uhr Prof. Dr. Carl Hahn Ehemaliger Vorstandsvorsitzender VW im Gespräch mit Adrian Dunskus Dunskus: Unser Gast ist heute Dr. Carl Hahn, langjähriger Vorstandsvorsitzender von Volkswagen und, um nur einen seiner Ehrentitel zu nennen, Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats von Audi. Herr Hahn, Sie haben in der Automobilindustrie eine Karriere durchlaufen, wie sie nur wenige andere Menschen vorweisen können. Inwieweit war Ihnen das in die Wiege gelegt? Hahn: Also, man muss schon zugeben: Wenn man in eine Motorrad- und Automobilfamilie hineingeboren wird, dann übt das natürlich einen großen Einfluss aus. Darüber hinaus ist das Automobil für jeden heutzutage sowieso etwas unglaublich Faszinierendes, ob er nun in dieser Industrie arbeitet, die ja so im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht, oder ob er nur Konsument ist: Das Automobil spielt immer eine große Rolle. So war es wohl ganz natürlich, dass ich nach dem Krieg und einem kleinen Umweg - ich wollte Medizin studieren, um frei zu sein, um unter den damaligen Verhältnissen in den Jahren nach 1945 auswandern zu können - doch in der Automobilindustrie landete. Dunskus: Um es mal auf Englisch zu sagen, with the benefit of hindsight, also mit dem Vorteil des Rückblicks: Hätten Sie als junger Mensch gedacht, dass Ihr beruflicher Weg diesen Verlauf nehmen wird, diesen so erfolgreichen Verlauf? Hahn: Nein, solche Dinge vorausdenken zu wollen, ist meiner Meinung nach verlorene Zeit. Es ist sogar sehr schädlich, wenn man so etwas vorausplanen wollte. Nein, man stellt sich einfach immer wieder neuen Aufgaben und je nachdem, wie man sie löst und wie viel Erfolg, Pech oder Glück man dabei hat, kommt man voran. Ich hatte das Glück, dass ich immer wieder Mentoren für mich gefunden habe: ob bei der OECD in Person eines Franzosen oder bei Fiat oder letztlich bei Volkswagen. Besonders wichtig für mich war aber auch die Zeit unmittelbar nach dem Krieg, als ich mit meinem Vater eine sehr enge Verbindung hatte und wir in verschiedenen Dachkammern hausten und uns durchzuschlagen versuchten. Das hat natürlich schon sehr prägend gewirkt und mir sehr geholfen. Solche Erfahrungen helfen einem dann natürlich auch, wenn man später in dieser Industrie lebt und arbeitet. Man hat nämlich bereits als kleines Kind immer eine Menge aufgeschnappt. Ich muss nur einmal daran denken, wie das war, wenn die Händler am Donnerstagabend bei uns zu Hause mit meinem Vater noch um Aufträge rangen, weil sie wussten, dass sie am Freitag das Geld für die Lohnzahlungen brauchten. Als Kind registrierte man das natürlich mit einem unerhörten Gedächtnis ganz genau. Solche Dinge und viele, viele andere unbewusste Dinge haben mir selbstverständlich dabei geholfen, in dieser Industrie so Fuß fassen zu können. Dunskus: Aus Ihrer Feder liegt eine, wie ich meine, außergewöhnliche Autobiographie vor, außergewöhnlich insofern, als Sie sich darin der Kritik stellen und nicht einfach nur an Ihrem Nachruhm polieren. 2006 feiern Sie ja nun Ihren 80. Geburtstag und Ihr Abschied bei Volkswagen liegt mittlerweile gut zwölf Jahre zurück. Warum haben Sie erst jetzt zur Feder gegriffen? Hahn: Ich muss sagen, dass ich die ersten zwölf Jahre nach dem Ausscheiden bei Volkswagen so überbeschäftigt war, dass ich einfach nicht dazu gekommen bin. Die letzten zwei Jahre habe ich dann ohne große Akten mit diesem Buch begonnen. Ich hatte nämlich überhaupt keine Akten mitgenommen aus meiner Zeit bei Volkswagen. Ich machte mich also nur auf der Basis meines Gedächtnisses an dieses Buch, und auf der Basis von Zeitungsartikeln und meinem Terminkalender. Ich überlegte mir, ob ich nicht die vielen Dinge, die ich erlebt habe und die zu einem guten Teil niemand kennt, festhalten sollte, weil sie Teil der Geschichte sind, insbesondere hinsichtlich der Entwicklung der Auto Union zu Audi. Das war nämlich eine sehr halsbrecherische Geschichte – wie auch die Geschichte von Volkswagen selbst. Dementsprechend habe ich diese Entwicklung dann in verschiedene Kapitel gegliedert: nicht chronologisch, sondern nach Sachthemen. Ich wollte damit einfach nur einen kleinen Beitrag leisten. Ich wollte aber auch den vielen Mitstreitern ein gewisses Denkmal setzen, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Denn es war in dieser Zeit ohne Zweifel Außergewöhnliches geleistet worden. Die Menschen dachten nur an das Ziel, an das Unternehmen, und dachten nicht an sich selbst. Sie wollten eine Basis bauen und wussten natürlich, dass das für sie lebenswichtig war. Aber sie waren von A bis Z Menschen, die ganz Hervorragendes geleistet haben: mit sehr viel Mut, mit sehr viel Kreativität und auch mit sehr viel Entbehrungen. Die Ernte dieser Arbeit erfolgte erst sehr viele Jahre später. Inzwischen sind wir jedoch an dem Punkt angelangt, wo wir bereits beginnen, unser Saatgut zu essen. Dunskus: Ihre Autobiographie trägt den Titel "Meine Jahre mit Volkswagen" und ist im Signum Verlag erschienen. Vom legendären Alfred Sloan, dem Begründer des Konzerns General Motors, stammt ein Buch mit dem Titel "My Years with General Motors", das heute noch ein Standardwerk in der Managerwissenschaft ist. Wollten Sie Sloan nacheifern? Hahn: Ja, ich habe das mit Absicht gemacht, weil ich denke, dass das ein hervorragender Titel ist. Wenn man vor 50 Jahren in einem Unternehmen angefangen und es dann an entscheidenden Punkten begleitet hat, dann ist das doch ein geeigneter Titel für ein Buch und damit auch für das, was ich hier festzuhalten versucht habe. Dunskus: Zu den für mich unvergesslichen Abschnitten in Ihrem Buch zählt der über Ihre Erlebnisse bei Kriegsende. Ihr Vater war Chef bei DKW in Zwickau und die Sowjets kamen. Wie hat sich Ihre Familie gerettet? Hahn: Ich war nicht dabei, denn ich war Soldat zu jener Zeit. Sie hat sich im letzten Augenblick mit einem zufällig noch vorhandenen Benzinwagen von Chemnitz aus in Richtung Zwickau zu den Amerikanern abgesetzt. Die Amerikaner haben ihm dann zusammen mit seinen Vorstandskollegen sehr geholfen. Dadurch ist meine Familie in die rettende Freiheit gekommen. Demgegenüber war ich zu dieser Zeit zu Fuß unterwegs: Getarnt als Fremdarbeiter versuchte ich einen Platz anzusteuern, den wir alle als Treffpunkt nach dem Kriege verabredet hatten. Das war in der Nähe von Ingolstadt. Deshalb ist auch die Auto Union – und die spätere Firma Audi – nach Ingolstadt gekommen. Denn wir landeten in Sandizell, einem kleinen Dorf mit einem wunderschönen Schloss bei Schrobenhausen in der Nähe von Ingolstadt. Dunskus: Das war also der Anfang von Audi in Ingolstadt. Wenn man wie ich 14 Jahre nach Kriegsende geboren ist, dann kennt man die Marke DKW noch. Menschen, die zehn Jahre jünger sind als ich, kennen sie bereits nicht mehr: Sie wissen lediglich, dass Audi in Ingolstadt sitzt, sie wissen, dass der Trabant aus Zwickau kam und dass es heute in Zwickau ein Volkswagenwerk gibt. Für die jüngeren Menschen scheint das so, als wäre es immer schon so gewesen. Aber diese ganze Entwicklung war doch letztlich auch sehr stark vom Zufall geprägt, wenn ich das richtig sehe. Hahn: Nicht durch den Zufall, sondern es war dadurch geprägt, dass ich im Krieg als Junge mit 14 Jahren versucht habe, in den Ferien in der Fabrik für den "Endsieg" zu arbeiten. Wir waren damals ja in der Tat sehr begeisterte kleine Pimpfe. Das brachte mich dann aber doch mit den Realitäten an der Basis in einem Industriebetrieb zusammen. Ich lernte den sächsischen Industriearbeiter kennen: in seiner ganz hervorragenden Disziplin, in seinem großen Qualitätsbewusstsein und allem anderen, was dazugehörte. Ich kannte natürlich aus der Familie die große Tradition in Sachsen auf dem Gebiet der Industriegeschichte: von Zschopau im Erzgebirge angefangen über all die Städte, in denen Werkzeugmaschinen, Textilindustrie oder die Automobilindustrie zu Hause war. Dementsprechend war es für uns ganz natürlich, dass man, wenn man zehn Kilometer von der Zonengrenze entfernt am Mittellandkanal in Wolfsburg in einem Bürogebäude residiert, immer auch den Blick nach Osten richtete. Als der Vorhang dann fiel, waren wir doch relativ gut vorbereitet: geistig und von unserer Tradition her. Wir hatten allerdings schon 1983 mit der Regierung der DDR einen Vertrag über ein Motorenwerk abgeschlossen: Damit hatten wir sozusagen ein Thermometer in der Wirtschaft der DDR. Wir sahen deshalb diesen Zusammenbruch kommen. Wir konnten jedoch nicht annehmen - wir konnten es zwar hoffen, aber wir versagten es uns, das wirklich zu erwarten -, dass sich das eines Tages dank der Menschen in Ostdeutschland über Nacht alles so friedlich entwickeln würde. Dahinter stand jedoch ein Zerfallsprozess, der sich davor bereits über eine sehr, sehr lange Zeit hingezogen hatte. Dunskus: Ich würde gerne noch einmal in das Jahr 1945 zurückkehren, als Sie den Neuanfang für Audi in Gang gebracht haben. Womit haben Sie denn gearbeitet in Ingolstadt? Was war da bereits vorhanden? War da überhaupt etwas vorhanden? Hahn: Ingolstadt hat ja eine große Tradition als Basis des Bayerischen Pionierregimentes. Es hatte jedoch überhaupt keine Basis für eine Industrie. Wir sind also 1945 dorthin gekommen und zunächst einmal entwickelte sich dort gar nichts. Wir gingen dann zunächst einmal in die englische Zone, ließen aber in Ingolstadt ein Zentrum für Ersatzteile zurück. Wir haben dann versucht, uns in der englischen Zone durchzuschlagen. An eine deutsche Automobilproduktion in größerem Umfang war natürlich in jenen Tagen überhaupt nicht zu denken. Selbst neue Motorräder durften damals nicht mehr

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