Vermessung & Geoinformation 1/2014, S. 11 – 23, 14 Abb. 11

Der Grenzstein als Symbol für das Grundeigentum soll UNESCO Welterbe werden1)

Peter Waldhäusl, Christoph Twaroch, Gerhard Navratil, Reinfried Mansberger, Heinz König, Michael Hiermanseder, Wien; Klaus Hanke, Gerda Schennach, Innsbruck; Günther Abart, Graz

Kurzfassung In Österreich wird ein Antrag für die Aufnahme von „Grenzen & Grenzsteine“ in die UNESCO-Welterbeliste vorbe- reitet. Als erster dafür notwendiger Schritt wurde im Sommer 2013 das Ansuchen um Aufnahme in eine nationale „Vorschlagsliste“ bei den zuständigen Stellen eingereicht. Das Projekt ist offen für weitere Partnerstaaten. Das System Grundbuch und Kataster ist aufgrund der langen Tradition, der Entwicklungsdynamik sowie der friedensschaffenden Bedeutung als potentielles Weltkulturerbe anzusehen. Es leistet einen Beitrag zu allen sechs UNESCO-Kriterien für eine Aufnahme in die Welterbe-Liste, besonders zu den Kriterien (ii) „bedeutender Austausch menschlicher Werte“ und (iv) „hervorragendes Beispiel … eines technologischen Ensembles“. „Grenzen & Grenz- steine“ sind sichtbare Zeichen von Grundbuch und Kataster. Damit sind sie auch Symbole für das Grundeigentum sowie für ein großartiges Gemeinschaftswerk von Rechts- und Vermessungskunst, ohne das heute keinerlei Raumentwicklung möglich ist. Neben einer Vorstellung wesentlicher Punkte der Welterbe-Konvention werden im Beitrag die notwendigen Schritte für die Eintragung in die Liste skizziert sowie der derzeitige Stand des Projekts beschrieben. Abschließend werden die Vorteile einer Aufnahme von „Grenzen & Grenzsteine“ in die Welterbe-Liste aufgezeigt. Schlüsselwörter: Grenzen, Grenzsteine, Kataster, Grundbuch, UNESCO Welterbe, ICOMOS

Abstract In currently a proposal is going to be prepared to register “boundaries & boundary marks” in the UNESCO World Heritage List. The first step – the application for being registered on the national “tentative list” was submitted to the responsible authorities in summer 2013. The project itself is open for other countries to join. The system of land registration and cadastre is regarded as potential World Heritage because of the long tradition, its dynamic development, and its peace-enhancing importance. It contributes to all of the six UNESCO criteria for inclusion in the World Heritage List, particularly criteria (ii) “significant exchange of human values” and (iv) “excellent example of … a technological ensemble”. “Boundaries & boundary marks” are visible evidence of land registry and cadastre. Therewith they are symbols of land property and also for an excellent collaborative work between the arts of law and surveying. Today any spatial development would be impossible without it. In addition to a presentation of essential points of the World Heritage Convention the necessary steps for the intended enrollment into the list are outlined and the current status of the project is described. Finally, the benefits of an inscription of “boundaries & boundary marks” in the World Heritage List are summarized. Keywords: Boundaries, Boundary Stones, Cadastre, Land Register, UNESCO World Heritage, ICOMOS

1. Motivation Grund und Boden ist nicht vermehrbar. Da- her ist ein sorgsamer Umgang damit notwendig. Land ist eine wesentliche Grundlage des Le- Dies bedarf einer guten Dokumentation von bens: Es ist die Produktionsstätte von Nahrung, Land. Unter Maria Theresia wurde in Österreich Voraussetzung für Fauna und Flora, Speicher erstmalig ein vollständiges Grundeigentums- natürlicher Ressourcen (z.B. Wasser, Mineralien), Inventar erreicht, dies wohl auch dadurch, dass Träger von Infrastruktur – aber Land ist auch Hei- sie am Ende der laufenden Arbeiten erklärte: mat. Landraub und Vertreibung sind Verbrechen „Wer nun noch ein Stück Landes nennen kön- gegen die Menschenrechte. Und doch ist die ne, das niemandem gehöre, dem sei es zu ei- Liste der Eroberungskriege, des „ethnologischen gen“. Die Säumigen haben sich dann schnell Bereinigens“, des Vertreibens oder sogar Auslö- gemeldet. Mit dem Franziszeischen Kataster schens ganzer Völker lang. Viel zu lang. und dem Grundbuch wurde ein umfassendes 1) Überarbeitete Fassung eines Vortrages von P. Wald- Eigentumssicherungssystem erstellt. Aber eine häusl bei der Jahreshauptversammlung der Landes- Inventarisierung allein sagt nichts über den ge- gruppe Sachsen des Bundes der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure (BDVI) am 8. November 2013 nauen Grenzverlauf. Grenzstreit ist sowohl lokal in Dresden-Pillnitz. als auch regional und erst recht international 12 Vermessung & Geoinformation 1/2014

unerwünscht. Trotzdem ist die Liste von Grenz- ƒ die grundsätzlich grenzüberschreitend frie- streitigkeiten lang. Viel zu lang. densfördernde Bedeutung; Seit jeher werden Streitigkeiten um Land auch ƒ die Sicherung des Landeigentums vor Über- durch unklar definierte Eigentumsverhältnis- griffen Dritter; se und durch mangelnde bzw. unvollständige ƒ die Sicherung und Erkennbarkeit von mit Land Dokumentation der Nutzungsrechte von Land verbundenen Rechten und Pflichten, Verboten ausgelöst (Englert & Mansberger 2008). Jeder und Geboten; Geometer kennt zahllose Beispiele. Eine wohlor- ganisierte Bodenordnung mit sauber definierte ƒ die Ordnung und Erkennbarkeit der Eigen- Grenzen, mit richtig gesetzten und als solche tumsverhältnisse; gut erkennbaren Grenzzeichen sowie mit einver- ƒ das Ermöglichen von Hypothekarkrediten für nehmlich beschlossenen Landrechten ist eine Betriebsgründungen und Investitionen zur wesentliche Voraussetzung für eine ausgewoge- wirtschaftlichen Entwicklung der Kreditnehmer; ne Verteilung von Land, für eine optimale Bewirt- ƒ die Absicherung für Kreditgeber; schaftung von Grund und Boden und damit für die Verfügbarkeit der notwendigen Information eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung von ƒ für den Grundstückshandel; Personen, Gesellschaften und Staaten. Selbst dort, wo es Grundbuch und Kataster gibt, ist die ƒ die Eignung als Planungsgrundlage für Infra- Liste offener oder administrativ noch zu bereini- struktur und Lebensmittelproduktion; gender Grenzveränderungen lang. Viel zu lang. ƒ die Eignung zur gerechten Verteilung von För- Seit Menschen sesshaft wurden, Häuser bau- derungen und Steuerlasten. ten und Ackerbau betrieben, stellten sich Grund- Ist das Grund genug für ein modernes Welt- besitzfragen: Land wurde abgegrenzt, sichtbar erbe? In Österreich gibt es derzeit neun „Welt- vermarkt und vermessen (Abart et al. 2011). In erbe-Stätten“: Die Altstadtkerne Wien, Graz und Österreich wurden im 18. Jahrhundert mit der , die Kulturlandschaften Hallstatt, Neu- Einführung von Kataster und Grundbuch auch die siedlersee (gemeinsam mit Ungarn), Wachau Grenzen von Parzellen und die Eigentumsverhält- und die Semmeringbahn, das Schloss Schön- nisse der Liegenschaften dokumentiert – vorerst brunn sowie die österreichischen Pfahlbauten mit dem Hauptziel der Grundsteuer-Einhebung. (im Verbund mit jenen von fünf Nachbarstaaten) Seitdem haben sich Kataster und Grundbuch (BGBL 2012). Weitere Anträge und Interes- kontinuierlich zu einer wohlorganisierten Land- sensanmeldungen zur Aufnahme in die Liste der administration weiterentwickelt: durch geänderte Welterbe-Stätten liegen vor. gesellschaftspolitische Anforderungen, durch neue rechtliche Rahmenbedingungen und durch 2. Welterbe-Konvention und Welterbeliste technische Innovationen (Twaroch et al. 2011). UNESCO (United Nations Educational, Scientific Im großen Friedenswerk Europa gibt es noch and Cultural Organisation) und ICOMOS (Inter- große Unzukömmlichkeiten auf dem Gebiet der national Council on Monuments and Sites) haben Landadministration; die Liste unterschiedlicher 1972 gemeinsam das Übereinkommen zum Vorgangsweisen, Methoden und Rechte ist lang. Schutz des Kultur- und Naturerbes (Welterbe- Viel zu lang. Konvention) (BGBL 1993) ins Leben gerufen. In Österreich haben Grundbuch und Kataster Leitidee dieser Konvention ist die Erwägung, schon eine lange Tradition (Demelius 1948, Lego dass Teile des Kultur- oder Naturerbes von so 1968). Grundbuch und Kataster sowie Grenzen außergewöhnlicher Bedeutung sind, dass sie und Grenzzeichen zeichnen sich besonders aus für die ganze Menschheit und von der ganzen durch Menschheit erhalten werden müssen. Mit Stand 19. September 2012 haben weltweit 190 Staaten ƒ die großartige intellektuelle und technische diese Konvention ratifiziert. Leistung des Rechts- und Vermessungswerks als Ganzes (trotz historisch bedingter Mängel); Auf dieses völkerrechtliche Übereinkommen geht die von der UNESCO geführte Liste des ƒ dessen Weiterentwicklung und Anpassung an Welterbes zurück. Seit 2013 beinhaltet sie welt- die geänderten gesellschaftlichen Bedingun- weit 981 Objekte, wovon 759 den Kulturstätten, gen; 193 den Naturstätten und 29 beiden Gruppen ƒ die Förderung gutnachbarlicher Beziehungen zugeordnet sind. Die Objekte können etwa Bau- durch die eindeutige Definition der Abgren- denkmäler, Stadtensembles, archäologische zungen; Stätten, Monumente der Technikgeschichte, P. Waldhäusl et al.: Der Grenzstein als Symbol für das Grundeigentum soll UNESCO Welterbe … 13

Industriedenkmäler, wichtige Gedenkstätten der Menschheitshistorie sowie besonders schüt- zenswerte Kultur- oder Naturlandschaften sein. Die Identifikation von neuen Welterbe-Stätten ist der erste Schritt für einen Eintrag in die Lis- te des Welterbes. Dazu dienen nationale Vor- schlagslisten („Tentative Lists“), welche von den Vertragsstaaten erstellt und in Paris geführt werden. Es liegt im Ermessen jedes Staates, die in seinem Hoheitsgebiet liegenden und für eine Eintragung in die Welterbeliste in Frage kom- menden Kultur- und Naturdenkmäler zu bestim- men und die Einschreibung zu beantragen. Für den Welterbetitel selbst können in der Folge nur jene Stätten eingereicht werden, die mindestens ein Jahr auf der Vorschlagsliste gestanden sind, damit sich alle Staaten mit den Vorschlägen aus- einandersetzen konnten. Für die Titelvergabe ist das UNESCO-Welter- be-Komitee (World Heritage Committee – WHC) zuständig, dem 21 Mitgliedsstaaten der UNESCO angehören, die alle drei bis sechs Jahre von der UNESCO Generalversammlung gewählt werden. Es befindet jährlich über die Neuanträge und nimmt die periodischen Berichte zu den beste- henden Welterbestätten entgegen. Das Komi- tee hat ein Sekretariat in Paris: das UNESCO Welterbezentrum (World Heritage Centre WHC), Abb. 1: Struve Geodetic Arc, Welterbe seit 2005 das die Sitzungen und somit alle Anträge und (Quelle: National Land Survey of Finland). Beschlussvorlagen für das Komitee vorbereitet. Es hat zunächst alle Welterbe-Anträge formal zu Beim ICOMOS Advisory Committee Meeting überprüfen, ob sie den Operational Guidelines 2004 in Bergen wurde die Studie „Die Liste des entsprechen. Für die substantielle Überprü- Welt-Erbes: Schließen der Lücken – Ein Aktions- fung und Bewertung beauftragt es eine ihrer plan für die Zukunft“ präsentiert und angenom- vier Sachverständigen-Organisationen, die den men (Jokilehto et al. 2005). Auf diese Studie Antrag fachlich begutachtet. Diese Evaluierung weist das Welterbe-Komitee in den operationel- erfolgt nach einem vereinbarten Verfahren, das len Richtlinien für Einreichungen ausdrücklich eine Vor-Ort-Begutachtung und eine weitere the- hin (UNESCO WHC 2013). Sie fordert auch die oretische Begutachtung sowie die zusammen- Aufnahme von außerordentlichen technischen Er- fassende Bewertung vorsieht. Nachdem jährlich rungenschaften in die Liste, weil diese bisher mit nur eine geringe Zahl von 10 –15 neuen Titeln nur 2 % stark unterrepräsentiert sind. Als Folge vergeben wird, entscheiden auch Thema und davon wurde 2005 der Struve-Bogen (UNESCO Typ der Nominierung über deren Anerkennung WHC 2012B) als herausragende technische und als Welterbe. Besonders gefährdetes Gut, Vor- intellektuelle menschliche Leistung in die Liste schläge von Staaten ohne oder mit nur weni- aufgenommen. gen eingetragenen Welterbestätten, neuartiges oder seltenes, übernationales oder besonders Der Struve-Bogen ist eine Triangulierungs- Frieden und Zusammenarbeit förderndes Gut kette, die zwischen 1816 und 1855 geodätisch können bevorzugt werden. Nach der sachlichen vermessen und berechnet wurde: Ein völlig neu- Beurteilung erfolgt noch einmal eine formale er Welterbe-Typ. Der Bogen erstreckt sich etwa durch das WHC, das den Vorschlag der jähr- entlang des Meridianbogens 30 Grad östlich lichen Generalversammlung des Komitees vor- Greenwich über eine Länge von 2820 km vom legt. Das Komitee entscheidet dann über jeden norwegischen Nordkap bis an die ukrainische Antrag einzeln und weist Mangelhaftes oder zu Schwarzmeerküste. Er war ein wichtiger Beitrag Leichtgewichtiges zurück. zur Bestimmung von Größe und Form der Erde. 14 Vermessung & Geoinformation 1/2014

Dieses erste geodätische Welterbe ist für un- grenzen Gebiete gleicher Rechte und gleicher seren Antrag ein ganz wichtiger Präzedenzfall, Pflichten. Grenzen sind aber mehr als nur wenngleich Zweck, Objekt und Ausdehnung völ- räumliche Trennlinien für rechtlichen Einheiten. lig verschieden sind (Waldhäusl 2007). Grenzen definieren auch die kulturellen, sozia- len, wirtschaftlichen und moralischen Entitäten 3. Das beantragte Welterbe und dessen (Simmerding 1996). physische Repräsentanten Grenzen und Grenzsteine haben eine lange Das künftige Welterbe soll aus drei Komponenten Geschichte. So wurde z.B. im römischen Reich bestehen: Aus dem Netzwerk der Grenzen und das Wort Terminus sowohl zur Bezeichnung ei- Grenzsteine, aus dem Triangulierungsnetzwerk nes Gottes als auch für Grenzstein verwendet. und aus den Zentralstellen des Grundbuchs und Aberglaube, Rituale und Traditionen waren und der Katastervermessung. In den folgenden drei sind mit Grenzzeichen und Grenzen verbunden.2) Unterkapiteln werden diese Güter eines potenti- Eine Grenzverletzung wurde mit dem Tod be- ellen Welterbes näher beschrieben. straft. Die Wichtigkeit der Grenzlinie ist auch im Alten Testament dokumentiert.3) Allein mit diesen 3.1 Das Netzwerk der Grenzen und Grenz- Hinweisen sind wir im 2. Jahrtausend vor Chris- steine tus. Grenzlinien sieht man nur dann, wenn sie durch Zäune, Mauern, Hauskanten, Gräben oder Däm- men realisiert sind. Zur genaueren Definition be- darf es aber einer speziellen Beschreibung und Vermarkung. Die Grenzlinien selbst sind meist etwas Virtuelles. Länder sind üblicherweise zur Gänze von einem Netzwerk aus Eigentumsgren- zen und weiteren administrativen Grenzlinien überzogen. Dieses Netzwerk ist systemimmanent dynamisch: Es ändert sich zufolge veränderter Anforderungen der Gesellschaft, zufolge neuer Gesetze und aufgrund der Änderungen von Eigentümern. Ohne Rechtsakt verändert sich keine Grenze, verändert sie sich dennoch, muss Abb. 2: Grenzstein von Gezer; In Gezer, Israel, wurden ein Rechtsakt folgen, damit die Veränderung zehn Megalithen sowie neun Grenzsteine gefunden. Ei- Rechtskraft erlangt. ner ist mit „Grenze von Gezer“ beschriftet und wird in Grenzzeichen und die damit kenntlich ge- das 1. Jahrtausend v. Chr. datiert. (Foto: Gil Maestro) machten Grenzen zeigen die räumliche Ausdeh- Grenzen und Grenzsteine beruhen auf der nung von Landrechten und der Verpflichtungen bemerkenswerten Idee, eine sichere Vorausset- realer und/oder juristischer Personen. Sie be- zung für dauernden Nachbarfrieden zu schaffen. Die eindeutig definierten und gemeinsam festge- legten Grenzen werden in Verträgen fixiert. Das erst ermöglicht ein respektvolles Zusammenle- ben von Nachbarn und sozialen Frieden einer Gesellschaft von freien Bürgern einer Nation. Sie sind ein Musterbeispiel dafür, was im wörtlichen Sinn Weltkulturerbe ist. Kataster und Grundbuch sind verfassungs- konforme Elemente eines Landadministrations- systems zum Schutz des Landeigentums und der Landeigentümer vor Enteignung. Sie sichern

2) „Communemque prius ceu lumina solis et auras cautus humum longo signavit limite mensor. Und den Boden – Gemeingut bisher wie die Luft und die Sonne – grenz- te mit langen Rainen fortan der genaue Vermesser.“ Abb. 3: Eigentumsstruktur als Netzwerk von Linien (Ovid, Metamorphosen, I, 135) (Grenzen) und Knoten (Grenzsteinen). Quelle: DKM 3) „Verflucht, wer den Grenzstein seines Nachbarn ver- (BEV). rückt“ (5. Mose 27/17). P. Waldhäusl et al.: Der Grenzstein als Symbol für das Grundeigentum soll UNESCO Welterbe … 15

die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Bürger sowie der gesamten Gesellschaft und dienen auch der öffentlichen Verwaltung etwa für die Festlegung und Administration grundstücksbe- zogener Steuern oder Förderungen. Grenzen und Grenzsteine sind Hauptelemente des Land- administrationssystems. In Österreich wurde 1817 mit dem Franzis- zeische Kataster ein flächendeckendes geoko- diertes Katastersystem eingerichtet. Seit damals hat sich das System administrativ, technisch und inhaltlich stetig weiterentwickelt, um die geän- derten Anforderungen der Gesellschaft zu erfül- len (Muggenhuber & Twaroch 2008). Stellvertretend für das gesamte Netzwerk an Grenzen und Grenzsteinen sollen physisch etwa drei bis zehn repräsentative, in verschiedener Weise historisch interessante, an Größe und Gestalt markante und noch immer aktive Grenz- steine das Welterbe repräsentieren. 3.2 Das Triangulierungsnetz zur Vermessung der Grenzen Zur vermessungstechnischen, geokodierten Er fassung aller Grenzlinien und Grenzpunkte benötigt man ein übergeordnetes, hochge- naues Triangulierungsnetz, das mathematisch- geodätisch so berechnet worden ist, dass die dreidimensionale Natur des Erdkörpers nach den Gesetzen der kartographischen Projektions- lehre möglichst verzerrungsfrei in die Ebene der Katasterpläne abgebildet wird. Das Koordinaten- systems wird durch den Koordinaten-Ursprung und die Koordinaten-Hauptrichtungen festlegt. Als Beispiel dafür wird die Spitze des weit Abb. 4: Dieser fünfeckige uralte, 1,30 m hohe Grenz- stein aus 1678 verknüpft sechs Grundstücke, fünf Ka- sichtbaren Südturms von St. Stephan in Wien tastralgemeinden, vier Ortsgemeinden und zwei Ver- als ein solcher historischer Nullpunkt (BEV 1958) waltungsbezirke (Foto: H. König) genommen. Der im Welterbegebiet Wien Innere Stadt gelegene Turm wird daher als ein Reprä- sentant des geodätischen Festpunktnetzes für das Welterbe dienen. Zur Bestimmung des Maßstabes eines Trian- gulierungsnetzes wurde für jedes Koordinaten- system mit einem hohen wissenschaftlichen, technischen sowie personellen Aufwand die Länge einer Präzisionsbasis bestimmt. Eine solche Basis wurde schon 1762 von Joseph Liesganig im Zuge seiner Gradmessung bei Wiener Neustadt gemessen. Diese Basis war auch eine der wichtigsten Grundlinien für die Katastertriangulierung Österreichs. Über dem nördlichen Basisendpunkt wurde zur Erinnerung an die Messungen und zu Ehren von Joseph Abb. 5: Darstellung des fünfeckigen Grenzsteines auf Liesganig ein steinernes Monument errichtete, Basis der DKM (Quelle: BEV) das heute unter Denkmalschutz steht. Das Denk- 16 Vermessung & Geoinformation 1/2014

X

Y

Abb. 6: Die Turmspitze von St. Stephan in Wien war der Koordinatenursprung für Niederösterreich, Mähren, Schlesien und Dalmatien (G. Veith, Das imperiale Wien, Abb. 7: Tafel am Fußpunkt der Turmspitze im Seitenein- in: Endler, Das k.u.k. Wien 1977, 52) gang des Domes (Foto: H. König)

Koordinaten Ursprung Länder der Monarchie 1 Südturm St. Stephan / Wien Niederöstereich, Mähren, Schlesien, Dalmatien 2 Gusterberg / Kremsmünster Oberösterreich, Böhmen, Salzburg 3 Schöckl / Graz Steiermark 4 Krimberg / Laibach Kärnten, Krain, Küstenland, Slowenien, Kroatien 5 Südturm Dom / Innsbruck Tirol, 6 Löwenburg / Lemberg Galizien, Ukraine 7 Westende Basis / Radautz Bukovina, Ukraine 8 Budapest Ungarn Abb. 8: Koordinaten-Ursprünge im Kaiserreich P. Waldhäusl et al.: Der Grenzstein als Symbol für das Grundeigentum soll UNESCO Welterbe … 17

Abb. 10: Pater Joseph Liesganig, Portrait von J. P. Lampi d. Ä. (Quelle: Festschrift 450 Jahre Jesuiten)

Abb. 9: Das Liesganig-Denkmal (Quelle: Denkmal- schutzverein Wr Neustadt) mit der Inschrift: AUF GEHEISS UND MIT FÖRDERUNG DER MAJESTÄTEN FRANZ UND MARIA THERESIA MASS JOSEPH LIESGANIG S.J. DREI GRADE DES WIENER MERIDIANBOGENS UND ERRICHTETE DIESE SÄULE AM NÖRDLICHEN ENDPUNKT DER GRUNDLINIE IM JAHRE 1762. (Breitengrad 47,806111, Längengrad 16,238889 östl. Abb.11: Sondermarke und Ersttagstempel „150 Jahre Ferro) Österreichischer Grundkataster“

mal wurde 1930 vom Bundesamt für Eich- und dass er ohne eine exakte Erfassung der Eigentü- Vermessungswesen instandgesetzt; 1954 wurde mer und Grundgrenzen keine Steuern einheben es vor dem Haus Wiener Neustadt, Neunkirchner konnte. Das Land war nach der Herrschaft der Straße 70 neu aufgestellt (Zeger 1991). Das Franzosen und dem Spanischen Erbfolgekrieg Bundesdenkmalamt hat vorgeschlagen, dieses (1701–1714) leer und arm. Prinz Eugen, der Denkmal in unseren Vorschlag mit einzubeziehen. 1716–1718 wieder gegen die Türken kämpfen Zur 150-Jahrfeier des Österreichischen Grund- musste, erwirkte danach bei Kaiser Karl VI. katasters erschien 1967 eine Sonderbriefmarke (1711–1740) die Einsetzung einer Giunta di nuo- mit diesem Monument. vo censimento Milanese. In diese wurde Johann 3.3 Die Zentralstellen für Grundbuch und Jakob Marinoni (1676 – 1755), Kaiserlicher Hof- Katastervermessung mathematiker und Leiter der Ingenieurakademie der Armee, berufen. Er stellte 1720 – 1723 den Die weltweit älteste, ein ganzes Herzogtum (spä- ter Königreich) umfassende Grenzvermessung weltweit ersten landesweit gleichartig gestalteten fand im damals österreichischen Mailand statt. Reinertragskataster her, der Inselpläne von 2387 Prinz Eugen von Savoyen, der 1714 Generalgou- Gemeinden im Maßstab 1:2000 mit je einem verneur von Mailand wurde, erkannte nämlich, Gemeinde-Koordinatensystem umfasste. 18 Vermessung & Geoinformation 1/2014

Abb. 12: Das Zentralgebäude des Militärgeographischen Instituts in Wien nach der Aufstockung 1871 (Quelle: 125 Jahre Hauptgebäude des BEV) Mailand blieb das Zentrum der Militärgeogra- phie auch nach der Eroberung Mailands durch Napoleon 1796 (Cisalpinische Republik) und auch noch nach dem Wiener Kongress 1815. Auf Anordnung von Kaiser Franz I. erfolgte 1839 die Vereinigung des Mailänder mit dem Wiener Militärgeographischen Institut. Dafür wurde in Wien von Franz Ferdinand von Mayern ein neues Gebäude errichtet (Messner 1986). Die Mailän- der Ingenieurgeographen übersiedelten nach Wien und zogen nach Baufertigstellung 1841/42 in das neue Gebäude ein, worum sie von den Wienern ob der schönen Lage unweit des Palais Auersperg mit Blick über das Glacis auf Wien beneidet wurden. Es ist ein typisches Beispiel eines monumentalen Administrationsgebäudes des Vormärz, also der Zeit vor der Revolution 1848. 1870/71 wurde es um einen Stock erhöht. Noch heute ist es das dominanteste Gebäude am Friedrich Schmidt Platz, am Außenrand des Wiener Weltkulturerbe-Gebietes gelegen, gegen- über der Rückseite des neugotischen Rathauses. Die kubische Struktur des MGI-Gebäudes be- steht aus einer zweigeschossigen Sockelzone, auf der drei gleichartige Obergeschoße liegen, die durch dorische Riesenpilaster gegliedert Abb. 13: Der Turmpavillon des MGI. Die Uhr erinnert sind. In der Mittelachse wurde ein turmartiger daran, dass das Institut auch für die Zeitgebung zu- Pavillon aufgesetzt (Messner 1969). ständig war. Symbolisch für das Messwesen befindet sich unter der Uhr ein Reliefportrait von Johannes Kep- Dieser Pavillon mit einem markanten Globus, ler, der solcherart zum Patron des Gebäudes gewählt einer Uhr und einem Reliefportrait von Johannes wurde. (Quelle: 125 Jahre Hauptgebäude des BEV) P. Waldhäusl et al.: Der Grenzstein als Symbol für das Grundeigentum soll UNESCO Welterbe … 19

Abb.14: Johannes Kepler (1571–1630), der Patron des MGI bzw. des BEV von 1842 bis 1983 (Quelle: My Hero Project)

Kepler, solcherart Patron des Hauses, steht unter dern gleichzeitig vorbereitet und eingereicht Denkmalschutz, das Gebäude selbst noch nicht. werden. Zur Vermeidung des für einen solchen Wegen seiner großen Bedeutung als erste ge- gemeinsamen Antrag notwendigen Koordina- samt-österreichische Vermessungszentrale von tionsaufwands wird Österreich zunächst allein 1841 – 1983, von der aus also in der Kaiserzeit, vorangehen und eine Mustereinreichung für während zweier Weltkriege und in der 1. und gefährdetes, serielles, grenzüberschreitendes 2. Republik die gesamt-österreichische Grundla- Sammelgut durchführen. Eine Gefährdung ist genmessung, Landes- und Katastervermessung gegeben, weil immer wieder einmal besonders geleitet wurden, soll dieses Gebäude in den schöne alte Grenzsteine gestohlen werden. Vorschlag für das Welterbe einbezogen werden. Grenzüberschreitend stimmt für Staatsgrenzstei- ne a priori, weil sie jeweils zu gleichen Teilen 4. Der Vorgang der Beantragung und dessen den beiden (oder auch mehreren) Nachbarn Begründung gehören. Als Sammelgut ist es offen für weite- „Grenzen und Grenzsteine“ als Symbole für das re Partnerstaaten, die sich zu einem späteren Grundeigentum haben aus vier Gründen gute Zeitpunkt anschließen wollen und gleichartige Ei- Chancen für eine Aufnahme: Erstens will die genschaften von ihrem Kataster erwarten. Ideal UNESCO besonders vorbildliche technische Wer- wäre es, wenn derartige „Folgeländer“ sowohl ke in das Welterbe aufnehmen. Zweitens erwar- verschiedene geografische Regionen als auch tet die Generalversammlung von ICOMOS vom unterschiedliche Typen von Landadministrations- zukünftigen Kulturerbe Beiträge zur Schaffung Systemen abdecken könnten. und Erhaltung des Weltfriedens (ICOMOS 2012). 4.1 Die Bedingungen für Welterbe: Drittens bevorzugt die Welterbe-Kommission Außergewöhnlicher Wert, Authentizität Projekte, die die internationale Zusammenarbeit und Integrität fördern. Und viertens will die Welterbe-Kommis- In den operationellen Richtlinien der UNESCO sion auch Ländern eine Teilhabe ermöglichen, sind sechs Kriterien für Beurteilung des außerge- die bislang noch keine oder nur relativ wenige wöhnlichen Wertes (Outstanding Universal Value Welterbestätten haben. Netzwerke von Grenzen – OUV) eines Kulturgutes aufgelistet. Mindestens und Grenzsteinen mit den zugehörigen Trian- eines der ersten fünf muss für eine Annahme gulierungsnetzen und Fundamental-Bauwerken des Antrags erfüllt sein, das sechste ist optional. für Messung, Verwaltung, Archivierung können Grenzen und Grenzsteine erfüllen – wenn auch diese Wünsche erfüllen. nicht vollständig – alle diese Kriterien, tragen Der Weltkulturerbe-Antrag „Grenzen und aber jedenfalls Wesentliches zu allen Kriterien Grenzsteine“ sollte ursprünglich von zehn Län- bei, wie im Folgenden ausgeführt wird. 20 Vermessung & Geoinformation 1/2014

(i) Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft: einem einzigen Punkt eine Aufnahme als Welter- Ein Mangel an Klarheit und/oder eine feh- be gefährdet. lende Anerkennung von Grenzen führt – wie Authentizität und Integrität von Grenzen und die Geschichte zeigt – zu Streitigkeiten und Grenzsteinen nachzuweisen stellt für Geodäten sogar zu Kriegen. Die erste Einführung von kein Problem dar. Auch für die unter Kapitel Grenzzeichen zur Visualisierung der Grenzen 3.2 und 3.3 angeführten Denkmale liegen sehr bis zur späteren des Katasters und der Land- gute Dokumente vor, für alle besteht bereits informationssysteme waren außerordentliche Denkmalschutz. Mit dem Bundesdenkmalamt ist Schritte, Grundeigentum im nachbarlichen das Einvernehmen hergestellt. Auch die vorzu- Einverständnis exakt zu definieren, zu beur- schlagenden Mustergrenzsteine werden unter kunden und zu sichern. Grenzverträge sind Denkmalschutz gestellt. Auch weitere UNESCO- Friedensverträge. Anforderungen, wie ausgearbeitete Manage- (ii) Bedeutender Austausch menschlicher Werte: mentpläne für die Kontrolle und die Erhaltung Gut definierte Grenzen in einem gut funkti- speziell der Werte des Welterbes, sind für alle onierenden Landadministrations-System beantragten Teilgüter bereits durch staatliche unterstützen wesentlich den Austausch Richtlinien vorgegeben. menschlicher Werte in Bezug auf soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie auf die 4.2 Der Antrag Gestaltung der Landschaft. Die Antragstellung um Aufnahme in die Welter- (iii) Einzigartiges Zeugnis einer kulturellen be-Liste erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird ein Antrag um Aufnahme in die österreichische Tradition: Grenzsteine und Grenzen sind 4) bemerkenswerte Zeugnisse einer jahrtausen- Vorschlagsliste (Tentative List) gestellt. Diesen delangen Tradition. Antrag hat die Arbeitsgruppe Grenzsteine nach Diskussionen mit internationalen Experten (iv) Hervorragendes Beispiel eines … techno- vorbereitet. Die Österreichische Gesellschaft logischen Ensembles, …, das bedeutsame für Vermessung und Geoinformation (OVG) Abschnitte der Menschheitsgeschichte hat diesen Vorschlag im Juli 2013 bei dem in versinnbildlicht: Die Einrichtung und die Österreich dafür zuständigen Ministerium für Nachführung eines landesweiten Netzes an Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) im Juli vereinbarten Grenzen ist eine hervorragende 2013 eingereicht. Die Vorschlagslisten werden technische Errungenschaft, welche jeweils national getrennt geführt und umfassen alle Stät- an die wechselnden Anforderungen der ten, für die in den nächsten fünf bis zehn Jahren menschlichen Gesellschaft angepasst wird. ein Antrag um Aufnahme in die Welterbe-Liste (v) Herausragendes Beispiel für Landnutzung, erfolgen soll. Die Vorschlagsliste wird dann zur die repräsentativ für die menschliche Interak- Prüfung der formalen Richtigkeit und zur Veröf- tion mit der Umwelt ist: Landadministrations- fentlichung an das UNESCO-Welterbe-Zentrum Systeme sind die Basis für eine nachhaltige in Paris weitergeleitet (Brincks-Murmann, 2009). Nutzung und Entwicklung von Grund und Nach Aufnahme des Antrages in die Vor- Boden sowie von anderen natürlichen Res- schlagsliste würde der Hauptantrag von der ös- sourcen. Sie sind unverzichtbare Instrumente terreichischen Arbeitsgruppe vorbereitet werden. zur Milderung der Verletzbarkeit der Umwelt Dieser Hauptantrag umfasst zwei Teile. Teil 1 be- durch menschliches Handeln. inhaltet die allgemeinen, auch international gülti- (vi) Verknüpfung mit überlieferten Lebensformen gen Grundsätze, die Geschichte, die allgemeine und künstlerischen Werken von außergewöhn- Beschreibung der Landadministrationssysteme, licher universeller Bedeutung: Grenzsteine ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen so- und Grenzen sind lebende Zeugnisse für wie die Bibliographie. In diesem Teil wird auch soziale, wirtschaftliche, rechtliche, administ- 4) Zur Zeit hat Österreich auf seiner Tentative List: Abbey of rative und technische Innovation. Zusätzlich Kremsmünster (01/08/1994), Bregenzerwald (Bregenz sind überlieferte Traditionen und Rituale eng Forest) (01/08/1994), Cathedral of Gurk (01/08/1994), verknüpft mit Grenzsteinen und Grenzen. Cultural Landscape of „Innsbruck-Nordkette/Karwen- del“ (23/ 01/ 2002), Frontiers of the Roman Empire – The Der gegenständliche Antrag wird die Argumenta- Danube Limes in Austria (10/ 06/ 2011), Hall in – The tion auf die Kriterien (ii), (iv) und (vi) fokussieren. Mint (01/02/2013), Heiligenkreuz Abbey (01/ 08/ 1994), Dies auch deshalb, weil eine Einreichung unter (01/08/1994), Iron Trail with Erz- berg and the old town of Steyr (23/01/ 2002), National allen sechs Gesichtspunkten problematisch ist, Park „Hohe Tauern“ (11/02/2003); Quelle: http://whc. weil bereits die Ablehnung der Begründung zu unesco.org/en/ tentativelists/state=at (06.12.2013). P. Waldhäusl et al.: Der Grenzstein als Symbol für das Grundeigentum soll UNESCO Welterbe … 21

entsprechend der in Kapitel 4.1 angeführten Zur Abklärung des internationalen Interesses Bedingungen der außergewöhnliche universelle an einem UNESCO-Welterbe „Grenzen und Wert von „Grenzen und Grenzsteine“ begründet. Grenzsteine“ wurde während der FIG Working Bereits bei der Bearbeitung des ersten Teils Week 2012 in Rom eine Informationsveranstal- wird es eine Zusammenarbeit mit interessierten tung organisiert. Dabei ergaben sich zahlreiche Partnerstaaten geben. Dies ist notwendig, damit Kontakte mit interessierten Vertretern von Län- der Inhalt für alle teilnehmenden Partnerstaa- dern aus allen Teilen der Welt. Auch die für das ten akzeptabel ist und von ihnen ratifiziert und Thema zuständige UNESCO Beraterorganisation verwendet werden kann. Teil 2 betrifft dann den ICOMOS wurde kontaktiert. Die dort erhaltenen spezifisch nationalen Beitrag, wobei der österrei- Ratschläge wurden und werden berücksichtigt. chische Teil auch für andere als Formatvorlage dienen kann und damit eine spätere übernatio- 4.3 Vorteile der Eintragung als nale Zusammenfassung erleichtert. Weltkulturerbe

Jedes Land wird einige außergewöhnliche, Die Aufnahme von Grenzen und Grenzsteine in repräsentative und tatsächlich „aktive“ Grenzzei- die Liste des Weltkulturerbes wird mediales Inter- chen als sichtbares und materialisiertes Symbol esse an Grenzen und Grenzsteinen hervorrufen. für dieses Weltkulturerbe auswählen, beschrei- Das bietet die Möglichkeit, die Bedeutung der ben und später im Feld als solches besonders in der Natur und in Registern dokumentierten kennzeichnen. Auch Güter analog zu 3.1 und Eigentums- und Rechtsverhältnisse einer breiten 3.2 sollen einbezogen werden, damit das ganze Öffentlichkeit bewusst zu machen. Der Grenz- System Grenzen und Grenzsteine durch Beispie- stein soll ein Symbol für geordnete Verhältnisse le sichtbar vertreten ist. sowie für den Frieden zwischen Nachbarn sein. Zusätzlich soll er die soziale Bedeutung der Im Hauptantrag muss das Kulturgut selbst Grenze als ordnendes Element ins Bewusstsein definiert und beschrieben werden. Die Beschrei- rücken. Der Bevölkerung werden Grenzen und bung unterscheidet sich aber in diesem Fall Grenzsteine (und andere Grenzmarkierungen) signifikant von denen anderer Welterbe-Stätten: als einzigartiges Zeugnis einer äußerst sinnvol- Bisher wurden architektonisch oder historisch len kulturellen Tradition und als Voraussetzung wertvolle Einzeldenkmale wie Schlösser oder für sozialen Frieden deutlich vor Augen geführt. Dome, Ensembles, wie Städte oder Siedlungen Durch die Teilnahme am Weltkulturerbe stehen oder etwa Kulturlandschaften oder National- auch die beteiligten Berufsstände und öffentli- parks in die Welterbe-Liste aufgenommen. Dabei chen Institutionen im Rampenlicht. Das hebt ihr war das zu beschreibende Objekt innerhalb einer Ansehen in der Bevölkerung und kann genutzt Kernzone klar abgegrenzt. Das Netzwerk aus werden, um das hohe Berufsethos des Vermes- Grenzen und Grenzsteinen erstreckt sich jedoch sungsingenieurs zu betonen. Die Marke „Welt- über ein ganzes Land, außerdem ist es seiner kulturerbe“ unterstreicht, dass geordnete und Art nach ein zeitlich variables Gebilde. Grenzen nachvollziehbare Verhältnisse über Grundbesitz sind nun einmal durch neue Verträge veränder- und dessen Dokumentation in öffentlichen Regis- lich und damit sind Änderungen eine immanente tern Voraussetzung für nachhaltige Eigentumssi- Qualität. Bleibend aber ist, dass jeder Quadrat- cherung, Werterhaltung und einen gesicherten meter des Landes stets jemandem gehört, dem Grundstückshandel sind. Eigentümer und Träger der damit verbundenen Rechte und Pflichten. Die beschränkte Ressource „Grund und Bo- den“ ist bestmöglich zu verwalten und schonend Anmeldungen von Sammelgütern können zu nutzen. Zweifelsfrei definierte Grenzen und nach den operationellen Richtlinien auch über gut geführte Landregister sind eine wichtige mehrere Anmeldezyklen zur Beurteilung vorge- Voraussetzung für gesicherte Investitionen in legt werden. Österreich wird daher zuerst und Grundstücke und darauf aufbauende Nutzungs- allein einreichen und das Komitee darüber infor- pläne aller Art. Die Bevölkerung soll wissen, dass mieren, dass Folgeanträge anderer Staaten zu sie sich auf ihre Landadministratoren und auf ihre erwarten sind. Es wäre vorteilhaft, wenn nicht Geodäten, die auf eine Tradition von Jahrtausen- nur europäische Staaten beispielhaft genannt den zurückblicken, verlassen kann. Die Aktion werden, sondern solche aus allen Kontinenten „Grenzen und Grenzsteine“ soll auch ihre positive und mit unterschiedlichen Systemen der Land- Wirkung auf die Ausbildung haben. Aber das administration neue UNESCO Welterbe kann auch als Werbung 22 Vermessung & Geoinformation 1/2014 für den Tourismus und für die Geoinformation er Wissenschaftlicher Verlag. Wien. Graz. ISBN 978-3- und die daran beteiligten Firmen genutzt werden. 7083-0770-1. BEV (1958): Die Katastralvermessung und die Wiener Ländern ohne funktionierende Eigentumssi- Stadterweiterung vom Jahre 1858, Ausstellungskatalog, cherung an Grund und Boden soll die Bedeu- Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen, Wien tung des Konzeptes „Grenzen und Grenzsteine“ 1958. verdeutlicht werden. Es ist zu hoffen, dass diese BGBl (1993): Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Länder es als Anreiz sehen, ihrerseits ein Land- Naturerbes der Welt, BGBl. Nr. 60/1993. administrationssystem zur Dokumentation von BGBl (2012): Kundmachung des Bundeskanzlers betref- Grund und Boden zu implementieren. fend das Kultur- und Naturerbe auf dem Gebiet der Republik Österreich, das in die Liste des Erbes der Welt 5. Zusammenfassung und Ausblick aufgenommen wurde, BGBl III Nr. 105/2012. Es wird eine Initiative beschrieben, die von Brincks-Murmann, C. (2009): Das Aufnahmeverfahren. In: zahlreichen österreichischen Fach-Institutionen Welterbe-Manual, pp. 74-79. Handbuch zur Umsetzung der Welterbe-Konvention in Deutschland, Luxemburg, getragen und/oder unterstützt wird. Die An- Österreich und der Schweiz. Verlag Gebrüder Kopp. erkennung von Grenzen und Grenzsteinen als Köln 2009. ISBN 978-3-940785-05-3. UNESCO-Welterbe hätte große Auswirkungen Demelius H. (1948): Österreichisches Grundbuchsrecht, auf die an der Grenzsicherung und Landdoku- Entwicklung und Eigenart. Manz-Verlag, Wien 1948. mentation beteiligten Berufsstände. Die breite Englert, B., Mansberger, R. (2008): Gender & Landrech- Bevölkerung erfährt über die Bedeutung von te. Vergleichsstudie zu Gender und Landrechte in den Grenzen und Grenzsteinen und den damit Schwerpunkt- und Kooperationsländern der Österreichi- verbunden Aufwand. Damit könnte der oft ge- schen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit. Wiener äußerten öffentlichen Meinung entgegengewirkt Institut für Internationalen Dialog und Zusammenarbeit (VIDC), Wien. werden, dass die Vermessung nur ein „lästiges Beiwerk“ bei der Sicherung von Eigentum sei. Geissl, G.(2001): Joseph Liesganig. Die Wiener Meridi- anmessung und seine Arbeiten im Gebiet von Wiener Für die Aufnahme in die Welterbe-Liste haben Neustadt, Wiener Neustadt 2001. bereits umfangreiche Vorarbeiten stattgefun- ICOMOS (2012): Proceedings of the General Assembly den. Der österreichische Antrag um Aufnahme 2011, Document 29, Paris 2012 in die Vorschlagsliste wurde im Sommer 2013 Jokilehto, J., Cleere, H., Denyer, S., Petzet, M. (2005): The eingereicht. Das bedeutet jedoch nicht, dass World Heritage List: Filling the gaps – An action plan die Arbeit zum großen Teil schon getan ist. Der for the future. Documentation XII. ICOMOS, München, Hauptantrag muss noch geschrieben werden. 189p. http://openarchive.icomos.org/id/eprint/433 (06- 12-2013). Die Auslandskontakte werden noch viel Arbeit erfordern. Der gesamte Eintragungsprozess Lego (1968), Geschichte des österreichischen Grundkata- sters. BEV 1968. wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Eine Unterstützung der Initiative durch eine möglichst Messner, R. (1969): Das Wiener Militärgeographische Ins- titut. Ein Beitrag zur Geschichte seiner Entstehung aus breite nationale und internationale Basis ist dafür dem Mailänder Militärgeographischen Institut. In: Jahr- erforderlich. buch des Vereines für Geschichte der Stadt Wien. Band Das System „Grenzen und Grenzsteine“ mit 23/25, 1967/69. Verlag Ferdinand Berger & Söhne, Horn/ Wien 1969, S. 206–292. seinen Ausprägungen Grundbuch und Kataster, dem Triangulierungsnetzwerk und den Denk- Messner, R. (1986): Das kaiserlich-königliche Militärgeo- graphische Institut zu Mailand 1814 – 1939, BEV 1986. malen ist ein großes technisches Kunstwerk. Muggenhuber, G., Twaroch, Ch. (2008). Dynamisches Ver- Dieses wurde im Laufe der Jahrhunderte von messungsrecht. VGI, 96(2): 135-145. Rechtsgelehrten, Mathematikern und Geome- Simmerding, F. (1996): Grenzzeichen, Grenzsteinsetzer tern, Astronomen, Geodäten und Physikern, Op- und Grenzfrevler. DVW Bayern. ISBN 3-923825-08-0. tikern und Feinmechanikern, Informatikern und Twaroch, Ch.; Navratil, G.; Muggenhuber, G.; Mansberger, Managern in internationaler Zusammenarbeit R. (2011): Potenziale der Landadministration – Ist der entwickelt und hat es wegen seiner Auswirkung Kataster noch zeitgemäß? In: Grimm-Pitzinger, A.; Wei- auf sozialen und internationalen Frieden sowie nold, Th. (Hrsg.), 16. Internationale Geodätische Woche seiner Sicherung von Grundeigentum und Wirt- Obergurgl 2011, pp. 176-186. Wichmann Verlag. Berlin- schaftsentwicklung verdient, als Weltkulturerbe Offenbach. ISBN 978-3-87907-505-8. Anerkennung zu finden. 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