Als Büttgen Und Kaarst in Frankreich Lagen
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Als Büttgen und Kaarst in Frankreich lagen Umbrüche und Reformen in beiden Gemeinden in napoleonischer Zeit1 Sven Woelke Mit der Eroberung des gesamten linken waltungsebenen entstanden sind.3 Bezüg- Rheinufers im Jahr 1794 und der Einverlei- lich des Ortsteils Büttgen ist die Quellenlage bung dieses Gebietes in den französischen nicht anders, jedoch gibt es hier die fundier- Staat für die folgenden zwanzig Jahre be- ten Untersuchungen Reinhold Mohrs.4 Der ginnt das erste Kapitel der neueren Kaarster vorliegende Beitrag ist als eine Bestandsauf- Stadtgeschichte. Die Geschichte des Ortsteils nahme der bisherigen Forschung zu ver- Kaarst in dieser Epoche ist bislang ein nahe- stehen, die anhand ausgewählter Beispiele zu unerforschtes Gebiet.2 Das Stadtarchiv – nämlich des Baus des Nordkanals, der Kaarst verwahrt aus dieser Zeit mit Ausnah- Neuerungen in der staatlichen und kom- me der Zivilstandsregister keine amtlichen munalen Verwaltung, der Einführung von Unterlagen. Um zu fundierten Erkenntnissen Zivilstandsregistern und Bevölkerungszäh- zu gelangen, ist eine intensive Durchsicht lungen sowie der Säkularisation – die weit- der Akten nötig, welche auf höheren Ver- reichenden und bis heute nachwirkenden Spezialvermessungskarte des Nordkanals vom Rhein bis zur niederländischen Grenze. Blatt 5 von 22 Blättern, aufgenommen durch den Katastergeometer Rappenhöner, 1847. 86 Umbrüche und Reformen der Franzosenzeit Nord“, die günstigste Verbindung für eine aufzeigen möchte. Kanaltrasse zwischen Rhein und Maas zu erkunden. Geplant wurde schließlich ein gut 53 Kilometer langer Kanal zwischen Neuss Nordkanal und Venlo mit insgesamt neun Schleusen. Vorgesehen waren Erdbewegungen über 3,4 Blickt man heute in Büttgen und Kaarst Millionen Kubikmeter und Baukosten über auf die französische Zeit zwischen 1794 und sechs Millionen Francs. Die Trassenführung 1814, fällt zunächst ein Bauwerk auf, das in unserem Raum wurde wie folgt beschrie- sich heute recht unscheinbar zwischen ben: „Der Kanal beginnt bei Grimlinghausen Neersener Straße und Regiobahnstrecke ein- in der Nähe der Erftmündung, führt am Ran- fügt. Was einst als Verkehrsprojekt europä- de der Niedertrasse vorbei und kreuzt hier ischen Ausmaßes geplant und begonnen die Obererft, die zur Speisung herangezogen wurde, ist heute nur noch als ein schmales werden soll. Anschließend folgt der Kanal Wasserrinnsal sichtbar, das bis heute Bütt- dem Tal der Krur, durchschneidet die Moore gen und Kaarst trennt. Die Rede ist vom und Bruchgebiete von Neuss, Büttgen und Nordkanal. Die technische Planung des Schiefbahn, die teils zum Rhein, teils zur Kanals und sein Bau sind umfangreich er- Niers hin entwässern.“6 Die Baumaßnahme forscht worden.5 An dieser Stelle wollen wir wurde jedoch erst ab 1806 forciert und ist in uns hierzu auf wenige Sätze beschränken: der bisherigen Forschung vor handelspoliti- Ziel war die Errichtung einer Schifffahrts- schem Hintergrund verstanden worden: Die straße zwischen dem Rhein und Antwerpen. von Napoleon verhängte Kontinentalsperre Seit 1794 waren sowohl das linke Rheinufer untersagte jeden Handel mit Großbritanni- als auch das heutige Belgien von franzö- en. Da sich die Niederlande aus eigenem sischen Truppen besetzt und sind wenige wirtschaftlichem Interesse nicht daran hiel- Jahre später in den französischen Staat ein- ten, sei der Bau des Nordkanals als Sanktion gegliedert worden. Nach 1800 beauftragte gegen die Niederlande zu verstehen. Als die Napoleon Bonaparte, seinerzeit Erster Kon- Bauarbeiten im Frühjahr 1808 begannen, sul, den Chefingenieur für Brücken und sollte der Kanal bis Ende 1813 fertiggestellt Straßen der zweiten Sektion des „Canal du werden. In den ersten Jahren des Baus be- Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland. 87 Seit zwei Jahrhunderten ist der Nordkanal in Kaarst ein sichtbares Relikt der französischen Herrschaft. Ausschnitt aus einer 1919 gelaufenen Ansichtskarte. Archiv im Rhein-Kreis Neuss. schränkte man sich auf die Erdarbeiten. Leo Klövekorn hat einst die Behauptung Schleusen, Brücken und Kanalwärterhäuser aufgestellt, dass Napoleon 1804, auf der sollten erst in den späteren Jahren errichtet ersten Reise ins Rheinland während seiner werden. Für die Bauarbeiten und für Fuhr- Regierungszeit, persönlich im Kaarst- dienste gegen Bezahlung wurden die Be- Schiefbahner Raum die geplante Trasse wohnerinnen und Bewohner der anliegen- des Nordkanals inspiziert habe.9 Diese den Gemeinden herangezogen. Die Bauern Reise ist kürzlich in einer Doktorarbeit an mussten mit ihren Pferden und Karren den der Universität Mannheim näher unter- Aushub transportieren, zudem wurden mit sucht worden, der Folgendes über die Rei- öffentlichen Aufrufen zahlreiche Tagelöhner seroute zu entnehmen ist: Am 11. Septem- angeworben.7 ber 1804 brach Napoleon morgens um Am 22. Dezember 1810 entschied Napole- fünf Uhr in Aachen auf. Die erste Station on, inzwischen französischer Kaiser, die war Jülich, wo er den Vormittag verbrach- Bauarbeiten am Nordkanal vorerst zu been- te. Mittags hielt er sich für eine halbe den. Zu diesem Zeitpunkt war nur die Stre- Stunde in Neuss auf. Gegen 18 Uhr er- cke zwischen Neuss und Neersen fertigge- reichte er sein Etappenziel Krefeld. Am stellt. Die bisherige Forschung hat als Aus- folgenden Tag reiste er über Venlo weiter löser dieser Entscheidung die Einverleibung nach Geldern, um am 13. September von der Niederlande in das französische Kaiser- dort über Rheinberg und Neuss nach Köln reich angesehen.8 Hinter diese Begründung zu reisen.10 Es wäre also möglich, dass soll hier ein Fragezeichen gesetzt werden, Napoleon am 11. und am 13. September weil bereits seit 1806 Louis Bonaparte, ein 1804 durch Kaarst gereist ist. Bruder des Kaisers, das Königreich Holland Das Bauprojekt Nordkanal hat in der als Monarch regierte. Damit gehörte Holland überregionalen Geschichtsforschung bis- Ende 1810 bereits vier Jahre zum französi- her keine oder kaum Beachtung gefun- schen Einflussbereich. Wahrscheinlicher den.11 Die Erforschung der Geschichte des scheint, dass vielmehr die Verdoppelung der Nordkanals ist bislang auf unseren Raum Baukosten und die Finanzierung des bevor- beschränkt geblieben. Insofern gibt es an stehenden Russlandfeldzuges zum Baustopp dieser Stelle Nachholbedarf. Der Nordka- geführt haben. nal ist in der ersten Hälfte des 19. Jahr- 88 hunderts sowohl für den Güter- als auch Die Bürgermeisterei Kaarst war identisch den Personenverkehr genutzt worden, mit der Pfarrei und dem Gerichtsbezirk nachdem der Kanal in den 1820er Jahren Kaarst, welche seit Jahrhunderten unver- schiffbar gemacht worden war. Zu dieser ändert waren. Bei der Bildung der Bürger- Zeit befanden sich beiderseits des Kanals meisterei Büttgen wurde die Grenze zu breite Treidelpfade. Auf diesen Trassen Kleinenbroich neu gezogen. Die Ortschaft sind später die preußische Chaussee – die Rottes wurde geteilt. Die östlich des Rot- heutige Neersener Straße – und die Eisen- teser Weges liegenden Häuser wurden zur bahnstrecke zwischen Neuss und Neersen Bürgermeisterei Büttgen, die westlichen zur – die heutige Regiobahn – gebaut worden. Bürgermeisterei Kleinenbroich geschlagen. Zudem wurde 1799 die bisherige Kapellen- gemeinde Kleinenbroich aus der Pfarrei Staatliche und kommunale Büttgen ausgegliedert und zu einer ei- Verwaltung genständigen Pfarrei erhoben. Damit wur- de die jahrhundertealte Bindung zwischen Spuren der französischen Zeit finden sich beiden Orten zerschlagen. Die Bürgermeis- nicht nur im Landschaftsbild, sondern auch terei Kleinenbroich wurde im Unterschied in der Verwaltung. Am 23. Januar 1798 zu Büttgen dem Kanton Neersen zugeord- begann die Durchführung einer umfangrei- net. Die damalige Grenzziehung wurde im chen Verwaltungsreform, die die bisherigen Wesentlichen bis heute beibehalten – so- Verwaltungsformen im Rheinland beseitig- wohl 1816 bei der Bildung der preußischen te und derart tiefgreifend revolutionierte, Landkreise Gladbach und Neuss wie auch dass an eine Rücknahme dieser Reform 1975 bei der Bildung der heutigen Städte nach Ende der französischen Herrschaft Kaarst und Korschenbroich.13 1814 nicht zu denken war. An diesem Tag Die Gemeindeordnung der Französi- wurden aus 150 verschiedenen Herrschaf- schen Republik vom 17. Februar 1800 hob ten auf dem linken Rheinufer ohne Rück- die traditionelle Unterscheidung von Stadt sichtnahme auf historische Grenzen nach und Land auf. Mit der Bürgermeisterei gab französischem Vorbild vier Departements es nur noch einen Gemeindetyp. An der gebildet, die in Arrondissements, diese Spitze der Bürgermeisterei stand ein Bür- in Kantone und diese wiederum in Mairi- germeister – der Maire. Dieser wurde vom en (Bürgermeistereien) unterteilt wurden. Präfekten des jeweiligen Departements Büttgen und Kaarst wurden jeweils eine ernannt. Der Bürgermeister war bei der eigene Bürgermeisterei. Diese wurden dem unmittelbaren Staatsverwaltung vom Prä- Kanton Neuss im Arrondissement Krefeld fekten abhängig, in Fragen der kommuna- im Departement Roer zugeordnet.12 len Selbstverwaltung unabhängig. Dem Bürgermeister in Büttgen und Kaarst Büttgen Kaarst Johann Josephs (1798/1800 – 1807) Heinrich Pellio (1799/1800 – 1805) Johann Görtz (1808 – 1812) Josef Franken (1805 – 1808) Franz Aloys Heusgen (1813 – 1821) Andreas Michels (1808 – 1812) Matthias Pfeil (1813 – 1821) 89 Bürgermeister war in solch kleinen Ge- Zivilstandsregister meinden wie Büttgen und Kaarst je ein Adjunkt, ein Beigeordneter, an die Seite Eine seitdem im staatlichen Auftrag ste- gestellt. Die Aufgaben des Bürgermeisters hende Verwaltungsaufgabe der Kommune waren