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SWR2 Musikstunde, 2.7.2013, 9.05 bis 10 Uhr Wunderkinder unterwegs. Die Mozarts auf Europareise 1763-1766 Teil 2: München, Ludwigsburg, Schwetzingen

Indikativ 0‘20

In dieser Woche begleiten wir die Mozarts auf ihrer großen Europareise – Vater Leopold, Mutter Anna Maria und die beiden Wunderkinder, die bei Abfahrt 12jährige Maria Anna, genannt Nannerl, und den 7jährigen Wolfgang. Es ist ein Aufbruch ins Ungewisse, vor allem ökonomisch, denn die Eltern haben kein finanzielles Poster und können nicht wissen, ob die Familie von den Einkünften aus Konzerten und Präsentationen wird leben können. Schon in München, ihrer ersten Station, wird deutlich, dass es eine mühsame Reise werden könnte. Denn der Kurfürst zeigt zwar großes Interesse an den musikalischen Kindern, aber die Bezahlung ist mehr als mau und deckt kaum die Kosten. Dabei ist Maximilian III. Joseph selbst ein begabter Musiker. Sein Musiklehrer ist Giovanni Battista Ferrandini, der Leiter der fürstlichen Kammermusik. Ferrandini komponiert 1753 auch die Festoper Catone in Utica zur Eröffnung des Residenztheaters. Die Arie des Cato „Per darvi alcun pegno“ singt Kobie van Rendsburg, es spielt die Neue Hofkapelle München unter Leitung von Christoph Hammer.

Musik 1: CD 3 track 16 3:01 Giovanni Battista Ferrandini, Catone in Utica: “Per darvi alcun pegno”. Arie des Cato Kobie van Rendsburg, Tenor; Neue Hofkapelle München – Christoph Hammer Oehms Classic OC 901 LC 12424

Ferrandini lebt nicht mehr in München, als die Mozarts im Sommer 1763 dort eintreffen. Vater und Sohn werden ihn aber ein paar Jahre später auf ihrer großen Italienreise in Padua besuchen. Von München geht es weiter über Augsburg und Ulm, Geislingen und Bad Cannstatt nach Ludwigsburg, wo die

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Mozarts den württembergischen Herzog und seinen Hof anzutreffen hoffen. Abgesehen von dem Entsetzen darüber, dass Ludwigsburg offenbar mehr eine Garnisonsstadt als eine blühende Residenz zu sein scheint – Leopold Mozart ist wütend über den württembergischen Hofkapellmeister Nicolò Jommelli. Dass er seine Wunderkinder bei Hofe nicht so platzieren kann wie er möchte, ist Jommellis Werk, so glaubt Mozart: Er gebe sich, so schreibt Mozart, „alle Mühe, die Teutschen an diesem Hofe auszurotten und nichts als Italiener einzuführen. Wie sehr aber Jommelli für seine Nation eingenommen ist, können Sie daraus schließen, weil er sich vernehmen ließ, dass es zu verwundern und kaum glaublich sei, dass ein Kind teutscher Geburt so ein Musikgenie und so viel Geist und Feuer haben könne.“ Im Januar 1763 hat Jommelli seine Oper Didone abbandonata in Ludwigsburg uraufgeführt. Die Schlussszene zeigt die karthagische Königin, die sich in die Flammen ihrer brennenden Stadt stürzt, weil sie ihr Dasein nicht mehr ertragen kann, nachdem Aeneas sie verlassen hat. Dorothea Röschmann singt, begleitet von dem Stuttgarter Kammerorchester. Die Leitung hat Frieder Bernius.

Musik 2: CD 3 track 22 5:30 Nicolò Jommelli, Didone abbandonata: Scena ultima Dorothea Röschmann, Sopran; Stuttgarter Kammerorchester – Frieder Bernius Orfeo C 381 953 F LC 8175

Woher sind wir eigentlich so genau über die Reise der Mozarts informiert? Leopold Mozart ist ein begnadeter Briefschreiber, und er hat die Reise in langen Briefen an Lorenz Hagenauer in Salzburg dokumentiert. Mozart hat bei Hagenauer, seinem reichen Salzburger Freund, einen Kredit aufgenommen und wird versuchen, mit den Auftritten seiner Kinder so viel Geld zu verdienen, dass er diesen Kredit alsbald zurückzahlen kann. Hagenauer ist ein sehr erfolgreicher Kaufmann, und er dürfte auch ein eigenes Interesse an der musikalischen Reise gehabt haben. Mozart versorgt ihn mit vielen Informationen, die dem Kaufmann für seine Geschäfte nützlich sein können, zum Beispiel über den Umgang mit den vielen unterschiedlichen Währungen entlang der Reiseroute. Umrechnungsbeispiele füllen ganze Seiten seiner Briefe. In Koblenz, so schreibt er Hagenauer, hört die Reichsmünze auf, statt dessen rechnet man in

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Petermännern. In Köln und Bonn fangen die Stüber und die Fettmännchen an, in Aachen Mark, Schillinge und Pattacons, in Lüttich dann die Sous, in Brüssel die Escalins und die Brabanter Gulden. Und das Ganze, wohlgemerkt, innerhalb eines Radius‘ von wenigen hundert Kilometern. In Ludwigsburg kann man wenigstens mit Reichtalern zahlen, aber die Stadt bietet ansonsten nichts, was die Mozarts zu Bleiben einlädt. Also geht es weiter nach Schwetzingen, mit Empfehlungsschreiben aus München in der Tasche, und Mitte Juli trifft die Familie in der kurpfälzischen Sommerresidenz ein. Dort hält sich auch das Orchester auf, und Mozart ist überaus angetan von der Hofmusik. Sie wird von glänzenden Instrumentalisten dominiert, darunter dem Flötisten . Für ihn oder für seinen kurfürstlichen Schüler Carl Theodor dürfte die Sonate G-Dur von komponiert worden sein, aus der Karl Kaiser jetzt das Larghetto spielt.

Musik 3 CD track 8 4‘39 Franz Xaver Richter, Flötensonate G-Dur: 2. Satz Larghetto Camerata Köln: Karl Kaiser, Traversflöte – Sabine Bauer, Cembalo – Rainer Zipperling, Violoncello cpo 999 440-2 LC 8492

Von dem Mannheimer Orchester ist Leopold Mozart begeistert. „Ich hatte das Vergnügen, schreibt er, „einen bewunderungswürdigen Flutotraversisten, Mr. Wendling, zu hören. Das Orchester ist ohne Widerspruch das beste in Teutschland, und lauter junge Leute, und durchaus Leute von guter Lebensart, weder Säufer, weder Spieler, weder liederliche Lumpen, so dass sowohl ihre Conduite als ihre Produktion hoch zu schätzen ist.“ Tatsächlich gilt das kurfürstliche Orchester als das beste in ganz Europa. Darüber sind sich viele einig, auch Reisende wir der englische Musikgelehrte Charles Burney, der das Orchester eine „Armee von Generälen“ nennt. Das Besondere an diesem Orchester ist die Kontinuität seiner Zusammensetzung. Die Musiker sind fest angestellt, bleiben über Jahrzehnte Mitglied und verschmelzen im Laufe der Jahre zu einem einzigen homogenen Klangkörper. Daran ist nicht unbeteiligt, der Konzertmeister und Orchestererzieher. An seiner Sinfonie Es-Dur kann man sehr deutlich hören, was die Besonderheit der Mannheimer

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Orchesterkultur ausmacht. Hören Sie den zweiten und dritten Satz Andante und Presto, gespielt von Concerto Köln.

Musik 4 CD track 2+3 5‘32 Christian Cannabich, Sinfonie Es-Dur: Andante und Presto Concerto Köln Teldec 3984-28366-2 LC 6019

Die besondere Mannheimer Orchesterkultur bringt Werke hervor, wie man sie andernorts weder kennt noch überhaupt spielen könnte, einen besonderen, unverwechselbaren Sound. 15 Jahre später, wenn Wolfgang ein zweites Mal in Mannheim ist und der Vater in Salzburg grummelnd zurückbleiben muss, weil er diesmal keine Beurlaubung bekommen hat, 15 Jahre später also wird Leopold Mozart abfällig über den „vermanirierten Mannheimer Gout“ schreiben. Was er damit gemeint haben könnte, wird deutlich, wenn wir Anton Fils‘ g-moll Sinfonia hören – ein Stück, das in hohem Maße von einem perfekten Zusammenspiel der Orchestermusiker lebt. Anton Fils war Cellist in der Hofkapelle gewesen, aber er war 1760, drei Jahre vor der Wunderkind-Reise der Mozarts, mit 27 Jahren bereits gestorben. G-moll war zu dieser Zeit keineswegs eine Tonart für Sinfonien, und wenn wir den letzten Satz Allegro assai hören, so können wir feststellen, welchen Einfluss Fils mit seinem wilden Pathos auf Komponisten wie Haydn und Mozart genommen hat. Es spielt das L’Orfeo Barockorchester unter Leitung von Michi Gaigg.

Musik 5: CD track 11 4‘21 Anton Fils, Sinfonie g-moll: Allegro assai L’Orfeo Barockorchester – Michi Gaigg cpo 999 778-2 LC 8492

Christian Cannabich ist Geiger und Orchesterleiter des Mannheimer Hoforchesters. Bei Hofe ist aber auch die Kammermusik sehr geschätzt, und umso mehr, als es so viele hervorragende Solisten im Orchester gibt. Und so komponiert Cannabich neben seinen Sinfonien auch Quintette in

6 unterschiedlichen gemischten Besetzungen. Sie werden als op. 7 später in Paris gedruckt. Im letzten Satz des e-Moll-Quintetts mit der Satzbezeichnung „Non tanto allegro“ konzertieren zwei Flöten und eine Violine wechselseitig, dass es eine Freude ist – offenbar ein musikalischer Leckerbissen für Cannabich selbst, den Flötisten Wendling und einen zweiten Flötisten – vielleicht sogar den Kurfürsten selbst, der ein begeisterter Flötenspieler war? Hier hören Sie die Camerata Köln mit Karl Kaiser und Michael Schneider, Traversflöte, Sabine Lier, Violine, Ingeborg Scheerer, Viola und Rainer Zipperling, Violoncello, außerdem Sabine Bauer am Cembalo.

Musik 6: CD track 3 4:50 Christian Cannabich, Quintett e-moll: Non tanto allegro Camerata Köln: Karl Kaiser und Michael Schneider, Traversflöte; Sabine Lier, Violine; Ingeborg Scheerer, Viola; Rainer Zipperling, Violoncello; Sabine Bauer, Cembalo cpo 999 544-2 LC 8492

In Schwetzingen halten sich die Mozarts zwei Wochen auf. Bislang sind sie auf ihrer Reise nie länger als ein paar Tage an einem Ort geblieben. Die meiste Zeit verbringen sie in der Postkutsche. Das ist ohnehin schon eine anstrengende Art zu reisen, auf holperigen Straßen, in Gefährten ohne zufriedenstellende Federung, ohne Möglichkeit, sich anders zu ernähren als von dem, was einem unterwegs, oft zu überteuerten Preisen, angeboten wird. Wie aber können die Kinder ihre musikalischen Fertigkeiten, aus denen die Reise ja finanziert wird, vervollkommnen? In Augsburg, seiner Geburtsstadt, hat Leopold Mozart ein „Clavierl“ von einem alten Freund gekauft, „welches uns, wie er an Hagenauer schreibt, wegen dem Exercitio auf der Reise große Dienste tut.“ Man stelle sich also vor, wie die Kutsche über die Landstraßen schaukelt und darinnen entweder Nannerl oder Wolfgang ihre Fingerübungen am Clavichord machen. Auch der Kompositionsunterricht, den Leopold Mozart seinem Sohn erteilt, dürfte buchstäblich über weite Strecken in der Postkutsche stattfinden. Schon in Salzburg hatte Wolfgang ja angefangen, kleine Menuette zu komponieren. Im Sommer 1763, also vielleicht in Schwetzingen, kommt dann ein Allegro in C- Dur dazu, das möglicherweise als Ecksatz einer Sonate geplant ist. Dieses

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Allegro wird heute unter den Köchelnummern 5a und 9a geführt. Es ist eines der ersten Stücke, bei denen wir sogar Wolfgangs Kinderschrift erkennen können – zuvor hatte der Vater die Niederschriften ja meist besorgt. Guy Penson spielt.

Musik 7: CD vol. 6,9 track 14 2:32 , Allegro C-Dur KV 5a (9a) Guy Penson, Cembalo Brilliant Classics 92630/9 LC 09421

Stolz meldet Vater Mozart nach Salzburg: „ Meine Kinder haben ganz Schwetzingen in Bewegung gesetzet: Und die Kurfürstlichen Herrschaften hatten ein unbeschreibliches Vergnügen, und alles geriet in Verwunderung.“ Seinerseits wundert sich Leopold Mozart in Schwetzingen über das Durcheinander der Konfessionen. In seinem Brief vom 19. Juli 1763 schreibt er: „Wir sind nun wirklich immer in Orten, wo 4 Religionen sind, nämlich katholisch, lutherisch, calvinisch und Juden. Schwetzingen ist außer der Menge der Hofleute meist calvinisch. Es ist nur ein Dorf, hat drei Kirchen, eine katholische, lutherische und calvinische, und so ist es durch die ganze Pfalz. Merkwürdig ist, dass wir von Wasserburg aus bis itzt kein Weihwasserkrügel nimmer in unserm Zimmer hatten. Denn wenn die Örter gleich katholisch sind, so bleiben derlei Sachen doch schon weg, weil viele Lutherische fremde auch durchreisen, und folglich sind die Zimmer schon so eingericht, dass alle Religionen darin wohnen könnten. Man sieht auch in den Schlafgemächern selten etwas anders als ein paar Landschaften oder das Portrait eines alten Kaisers etc. gar selten ein Crucifix. Die Fastenspeisen bekommt man sehr hart, sie machen solche auch sehr schlecht, denn alles frisst Fleisch.“ Mozart bemerkte schon, dass der kurpfälzische Hof katholisch war; wären sie im Winterhalbjahr in Mannheim gewesen, hätten sie dort die prächtige Kirchenmusik in der Hofkirche miterleben können, wie zum Beispiel die Motette „O salutaris hostia“ von mit ihrem üppigen Orchestersatz. Hören Sie Monika Frimmer, Sopran, sowie das Alsfelder Vokalensemble und das Barockorchester Bremen; die Leitung hat Wolfgang Helbich.

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Musik 8: CD track 16 4‘52 Johann Stamitz, Motetto de Venerabili Sacramento: “O salutaris hostia” Monika Frimmer, Sopran; Alsfelder Vokalensemble und Barockorchester Bremen – Wolfgang Helbich. cpo 999 471-2 LC 8492

Obwohl Kurfürst Carl Theodor und sein Hofstaat sich in Schwetzingen aufhalten, lässt es sich Leopold Mozart doch nicht nehmen, die Residenzstadt Mannheim wenigstens zu besichtigen. Und er ist von der modernen Quadratestadt mit ihren Sichtachsen begeistert. „Die Stadt Mannheim, so schreibt er aus Mainz an Hagenauer, ist wegen ihrer Regularität ungemein schön. Aber, da alle Häuser nur ein Stock hoch sind, so scheint es eine Stadt en minuature zu sein. Am Ende jeder Straße sehen Sie vier Hauptstraßen im Kreuz zugleich. Und durch alles Straßen stehen bemalte Pfähle, auf denen bei dunkler Nacht die Laternen stehen. Es kann demnach nichts schöneres zu sehen sein, als eine dergleichen beleuchtete perspektivische Aussicht, da man vom Schloss aus bis ans Neckartor siehet.“ Von Mannheim aus geht es Ende Juli dann weiter über Worms und Mainz am Rhein entlang. In seinen Reisenotizen listet Leopold Mozart alle Namen auf, die ihm wichtig erschienen, auch mehrere Hofmusiker, wie Cannabich und Wendling. Ignaz Holzbauer dagegen, den Hofkapellmeister, scheint er nicht kennengelernt zu haben; er erwähnt ihn an keiner Stelle. Vielleicht ist Holzbauer nicht in Schwetzingen, als die Mozarts dort logieren. Mit einem Ausschnitt aus Holzbauers Sinfonie d-Moll wollen wir die Kurpfalz verlassen und den Mozarts auf ihrem Weg nach Paris folgen. Das L’Orfeo Barockorchester unter Leitung von Michi Gaigg spielt die Sätze Adagio und Allegro.

Musik 9: CD track 5+6 5:10 Ignaz Holzbauer, Sinfonie d-Moll: Adagio und Allegro L’Orfeo Barockorchester – Michi Gaigg cpo 999 585-2 LC 8492