SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

Neue Klänge aus Mannheim Zum 300. Geburtstag von (2) Mit Stephan Hoffmann

Sendung: 13. Juni 2017 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2017

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SWR2 Musikstunde mit Stephan Hoffmann 12. Juni – 16. Juni 2017 Neue Klänge aus Mannheim Folge II: Zum 300. Geburtstag von Johann Stamitz

Signet

„Neue Klänge aus Mannheim“ ist das Thema in den Musikstunden dieser Woche mit Stephan Hoffmann und der Mann, dem wir diese neuen Klänge zu verdanken haben, heißt Johann Stamitz, wurde vor 300 Jahren in Böhmen geboren, kam als junger Mann nach Mannheim und wurde dort Chef des damals wohl weltbesten Orchesters. * Wir wissen nicht besonders viel über Johann Stamitz. Vor etwa 100 Jahren wäre das kein Wunder gewesen, damals war das Interesse an Stamitz und seinen Komponisten-Kollegen ausgesprochen verhalten, um es zurückhaltend auszudrücken. Nehmen wir als Beispiel die 1898 erschienene „Geschichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe“. In dem Buch steht viel über die desaströse Beziehung zwischen Kurfürst Carl Theodor und seiner Gemahlin Elisabeth Auguste, die sich nur äußerst selten überhaupt begegneten, weil sie sich, wenn immer möglich, an unterschiedlichen Orten aufhielten. Über Stamitz erfahren wir dagegen kaum etwas, obwohl er an genau diesem kurfürstlichen Hofe viele Jahre lang in leitender Funktion angestellt war. Auf mehr als auf sechs Erwähnungen in diesem Buch kommt Stamitz nicht, vielleicht weil der Autor von Stamitz' „etwas altväterischer und philiströser Physiognomie“ überzeugt war. Das war in dieser Zeit allgemeine Überzeugung. Das lag einerseits daran, dass es in Stamitz' Biographie ziemlich große blinde Flecken gab, über die man kaum etwas weiß, und daran hat sich bis heute auch nicht viel geändert. Andererseits lag es daran, dass man sich für die Wirkungszeit von Stamitz einfach nicht besonders interessierte. Im Fokus standen die großen Barock-Komponisten Bach und Händel, also Stamitz' Vorläufer, und dann wieder Haydn und Mozart, Beethoven sowieso, also die großen klassischen Komponisten, die eine oder zwei Generationen jünger waren als Stamitz. Er selber stand dazwischen und galt als nicht sonderlich interessanter Komponist des Übergangs, als Vertreter einer Zwischenzeit und einer Vorstufe zu etwas hochwertigerem, nämlich zur musikalischen Klassik.

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Zu Stamitz' Lebzeiten und in den Jahren nach seinem Tod sah die Sache ganz anders aus: Als Geiger war er eine europäische Berühmtheit, als Komponist sorgte er zuerst in Paris für Furore, wo er berühmter war als in Deutschland und wo seine Werke schnell verlegt wurden, was damals durchaus nicht selbstverständlich war. Auch seinem Dienstherren, dem kunstsinnigen Kurfürsten Carl Theodor, blieb offenbar nicht verborgen, welchen Hochkaräter er da unter seinen Musikern hatte – sonst hätte er Stamitz kaum schon nach zwei Jahren eine Gehaltserhöhung von 700 auf 900 Gulden gewährt. Denn Carl Theodor war zwar ein Mann der Kunst, aber auch ein Mann des verschlossenen Geldbeutels; andere Musiker mussten auf bescheidenere Gehaltserhöhungen wesentlich länger warten. Als Stamitz' Violinsonaten opus 6 1771 veröffentlicht wurden – natürlich in Paris -, konnte man folgenden Kommentar lesen: „Er ist als großer Geiger bekannt und der beste aus der Mannheimer Schule.“ ------Musik 1: Johann Stamitz, Violinsonate op. 6, Nr. 1. Stephan Schardt, Violine; Michael Behringer, Cembalo. Archiv-Nr. 12-65840. Tr. 1-3. Dauer: 7'31“ ------Der Geiger Stephan Schardt spielte die erste von Johann Stamitz' Violinsonaten opus 6. Am Cembalo begleitete Michael Behringer. Die Fakten, die wir über Johann Stamitz' Leben wissen, sind schnell zusammen getragen. Geboren wurde er wohl am 17. Juni 1717, also vor ziemlich genau 300 Jahren, in Deutschbrod in Böhmen. Anton Stamitz, Johann Stamitz' Vater, war – zumindest in der Zeit von Johann Stamitz' Jugend - ein wohlhabender und auf kommunaler Ebene einflussreicher Mann, der nicht weniger als 40 Jahre lang Stadtrat in Deutschbrod war und eindeutig zu den dortigen Honoratioren gehörte. Natürlich ermöglichte er seinen Kindern eine aufwendige Ausbildung einschließlich Studium. Außerdem war dieser Anton Stamitz offenbar ein ziemlich begabter und erfahrener Musiker, er war jahrelang auch als Organist tätig und erteilte seinem Sohn Johann den ersten Musikunterricht. Da Anton Stamitz seinen Sohn um acht Jahre überlebte, kann man davon ausgehen, dass ihm die Orgelkompositionen seines Sohnes geläufig waren.

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------Musik 2: Johann Stamitz, Konzert Nr. 1 für Orgel und Orchester D-Dur. Allegro. Archiv-Nr. 336-9219. Tr. 1. Dauer: 8'20“ ------Das war die Organistin Alena Veselá mit dem ersten Satz von Johann Stamitz' Orgelkonzert D-Dur. Es begleitete das Dvořák Chamber unter František Xaver Thuri. Böhmen, wo Johann Stamitz zur Welt kam, war damals ein durch und durch mit Musik getränkter Landstrich. „Es sind kaum zehn Jahre vorüber, als man noch in Prag von manchem Livreebedienten forderte, dass er Musik verstand, wenn er als dienstfähig angesehen seyn wollte, und noch wird dieser Umstand von einigen Herrschaften als unentbehrlich verlangt,“ stand 1796 im Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag. „Da Prag häufig von Fremden besucht wird,“ heißt es weiter, „so geschah es oft, dass geschickte Leute entweder durch Empfehlung oder wohl gar durch Entführung in ein anderes Land kamen, wo sie sich ausbildeten und ein Glück machten, das der Vorzüglichkeit ihrer steigenden Kunstfertigkeiten angemessen war. Daher kömmt es, dass in allen Staaten böhmische Tonkünstler anzutreffen sind und dass sie überall gesucht und geehrt werden.“ Im Falle des böhmischen Künstlers Johann Stamitz kam ein weiteres gewichtiges Argument für seine Abwanderung aus Böhmen hinzu. Er habe nämlich „vor zeithen in Böhmen als virtuoser Musicus Convenabl Salarisirte Condition gesuchet, in nicht Erfündungsfall aber sich in das Pfaltzische nachher Manheim begeben“ - er fand also in Böhmen keine angemessene und anständig bezahlte Stellung, weshalb er sein Glück anderswo suchte, in diesem Fall in Mannheim. Das ungewöhnlich hohe musikalische Niveau in Böhmen hatte nämlich zur Folge, dass es dort ein Überangebot an guten Musikern gab und die ortsansässigen Kapellen bald überfüllt waren. Das natürliche Ziel anstellungsloser böhmischer Musiker waren die deutschen Königs- und Fürstenhöfe – je kunstliebender, desto besser. Das war in Mannheim so, wo außer Stamitz noch weitere böhmische Musiker arbeiteten – oder auch Anton Fils -, in Berlin am Hofe Friedrichs des Großen war es aber auch nicht anders, wie man an der Emigranten-Karriere der Brüder Franz und sehen kann. Mitte des 18. Jahrhunderts wimmelte es in den deutschen Hof-Orchestern von Gastarbeitern.

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------Musik 3: Franz Benda, Violinkonzert D-Dur. Josef Suk, Violine; Suk Chamber Orchestra, Dir: Christian Benda. Naxos 8.553902. Tr. 6. Dauer: 5'33“ ------Das D-Dur-Violinkonzert von Franz Benda, interpretiert von Josef Suk und dem Suk Chamber Orchestra unter Christian Benda. Mannheim, die Wirkungsstätte des Johann Stamitz, war damals eine Stadt von etwa 20.000 Einwohnern, die in jeder Hinsicht beherrscht wurde vom riesenhaften Residenzschloss des pfälzischen Kurfürsten; ein erheblicher Teil des pfälzischen Landesetats wurde von der Hofhaltung verschlungen. Die Pfalz hatte damals etwa 300.000 Einwohner, die Kosten für Gehälter und Regierung betrugen im Haushaltsjahr 1745/46 ganz genau 389.839 Gulden. Die 900 Gulden Jahresgehalt für Johann Stamitz waren darin enthalten. Dieses Geld gab Carl Theodor aber nicht nur für die Gehälter seiner Bediensteten aus, sondern auch und vor allem für die Festlichkeiten, die er veranstaltete. „Der pfälzische Hof war damals wohl der glänzendste in Deutschland,“ schrieb Cosimo Alessandro Collini, Voltaires Sekretär, der mit diesem 1753 nach Mannheim kam. „Feste folgten auf Feste, und der gute Geschmack, der dabei entwickelt wurde, verlieh ihnen immer neue Reize. Da gab es Jagden, Opern, französisches Schauspiel, Musikaufführungen durch die ersten Virtuosen Europas, kurz die kurfürstliche Residenz war der angenehmste Aufenthalt von der Welt für jeden Fremden von Ruf und Verdienst.“ Da scheint was dran gewesen zu sein, Collinis Urteil wird von höchster Stelle bestätigt. „Alle Tage waren nun durch prächtige Feste ausgefüllt, es gab herrliche Opern, eine glänzende Stadtbeleuchtung, kurz, Vergnügen und Pracht, wohin man blickte,“ begeisterte sich auch Carl Albrecht, König von Böhmen und designierter deutscher Kaiser Karl VII. ------Musik 4: Ignaz Holzbauer, Günther von Schwarzburg. Ouvertüre. Rundfunkorchester des Südwestfunks, Dir: Emmerich Smola. Archiv-Nr. M0061032. Dauer: 5'55“ ------Das war das Rundfunkorchester des Südwestfunks unter Emmerich Smola mit der Ouvertüre zu Ignaz Holzbauers Oper „Günther von Schwarzburg“.

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Holzbauer war seit 1753 Hofkapellmeister in Mannheim und damit für die Oper zuständig. Bis zum Tod von Johann Stamitz 1757 war Holzbauer dessen Kollege, „Günther von Schwarzburg“ ist Holzbauers bekannteste Oper, über die Mozart 1777 voll des Lobes war: „die Musick von Holzbauer ist sehr schön... am meisten wundert mich, dass ein so alter Mann wie holzbauer, noch so viell geist hat; denn das ist nicht zu glauben was in der Musick für feüer ist.“ Holzbauer war damals 66 Jahre alt. Mitten hinein in diese musik- und kunstgeschwängerte Mannheimer Pracht kam, höchstwahrscheinlich 1741, Johann Stamitz. Das folgende Jahr 1742 war gleich in mehrfacher Hinsicht wichtig: für Carl Theodor, der im Januar 1742 heiratete – Anlass für das 14 Tage lang andauernde und wie geschrieben wurde „wohl pompöseste Fest, das die Mannheimer Residenz je gesehen hat“; für Deutschland insgesamt war 1742 wichtig, weil am 12. Februar dieses Jahres Karl VII. zum Kaiser gekrönt wurde – genau derselbe, der kurz zuvor in Mannheim vorbei geschaut und die dortige Hofhaltung bewundert hatte; und schließlich war dieses Jahr für Johann Stamitz wichtig, denn er war in diesem Jahr in Frankfurt, höchstwahrscheinlich anlässlich der Kaiserkrönung,und sorgte durch ein spektakuläres Konzert für zusätzlichen Ruhm. Dieses Konzert am 29. Juni 1742 war gestern schon einmal Thema, aber es war tatsächlich auch ungewöhnlich genug, denn Stamitz spielte dieses Konzert praktisch im Alleingang als Solist auf vier verschiedenen Instrumenten, unter anderem auf der Viola. ------Musik 5: Johann Stamitz, Konzert für Viola und Streichorchester G-Dur. Archiv-Nr. 337-4500. Tr. 1. Dauer: 5'24“ ------Vidor Nagy, Viola, und das Kurpfälzische Kammerorchester unter Jiri Malát spielten Johann Stamitz' Konzert für Viola und Streicher G-Dur. Einen Namen gemacht hat sich Stamitz durch Solokonzerte wie dieses, durch Sonaten für ein Soloinstrument plus Klavierbegleitung oder durch Sinfonien, von denen er mehr als 70 schrieb. In all diesen Fällen handelt es sich um weltliche Musik ohne Zweckbindung durch Theater oder Ballett. Aus solchen Werken besteht fast das Gesamtwerk von Johann Stamitz. Fast, wie gesagt, denn es gibt durchaus auch eine andere kompositorische Seite: Die Kirchenkompositionen. Selbstverständlich war Stamitz katholisch, 1728 findet sich der Name des elfjährigen im Schülerverzeichnis des Jesuitenkollegiums in Iglau und es gilt als sicher, dass er

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seine ersten Kompositionsversuche mit Vertonungen geistlicher Texte gemacht hat. Als er in den 1740er Jahren nach Mannheim kam, fand er auch dort eine geistige Atmosphäre vor, die von den aufrührerischen Gedanken des französischen Bürgertums geprägt war – und mindestens genauso stark durch jesuitisches Denken. Kurfürst Carl Theodor selber war von Jesuiten erzogen worden, am kurfürstlichen Hof war deren Einfluss nahezu grenzenlos. „Nichts geht in der Stadt vor, davon sie nicht Kundschaft hätten,“ heißt es etwas verbittert in einer zeitgenössischen Quelle, „wenn man nur ihres Schutzes versichert ist, so stehet einem alles frey.“ Trotz dieser engen Beziehungen zwischen Stamitz und der katholischen Kirche wurde die Forschung erst vergleichsweise spät auf Johann Stamitz' Kirchenkompositionen aufmerksam. Prägend für fast alle böhmischen Sakralwerke des 18. Jahrhunderts war das Werk von Heinrich Ignaz Franz Biber, auch er natürlich ein Böhme, der in die Kirchenmusik einen hochvirtuosen Stil eingeführt hatte. ------Musik 6: Heinrich Ignaz Franz Biber, Missa ex B. Kyrie. Gabrieli Consort, Gabrieli Players, Dir: Paul McCreesh. Archiv-Nr. M0077473. Dauer: 1'44“ ------Das war das Kyrie aus Heinrich Ignaz Franz Bibers Missa ex B, interpretiert vom Gabrieli Consort und den Gabrieli Players unter Paul McCreesh. Unter der beträchtlichen Anzahl an Werken von Johann Stamitz, die während seines einjährigen Paris-Aufenthaltes 1755 aufgeführt wurden, war am 4. August dieses Jahres auch seine Missa solemnis in D-Dur, zu deren Aufführung wenige Tage zuvor der Chor frisch gestrichen und gebohnert wurde – es wurden offensichtlich besonders prominente Gäste erwartet. Vor allem dem zweiten Kyrie, mit dem der hier vorgestellte Ausschnitt endet, ist zu entnehmen, wie wirkungsmächtig der Einfluss von Bibers Virtuosität auch Jahrzehnte nach dessen Tod noch war. ------Musik 7: Johann Stamitz, Missa Solemnis D-Dur. Kyrie. Alsfelder Vokalensemble, Barockorchester Bremen, Dir: Wolfgang Helbich. Archiv-Nr. 19-097055. Tr. 1-3. Dauer: 5'45“ (auf Ende einblenden) ------

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Das war das Kyrie aus Johann Stamitz' Missa Solemnis D-Dur mit dem Alsfelder Vokalensemble und dem Barockorchester Bremen unter Wolfgang Helbich. Und das war für heute auch die Musikstunde über Johann Stamitz, der vor ziemlich genau 300 Jahren zur Welt kam. Stephan Hoffmann bedankt sich fürs Zuhören und wünscht Ihnen einen sehr schönen Tag.

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