die hochschule. journal für wissenschaft und bildung Herausgegeben von HoF Wittenberg – Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Redaktion: Peer Pasternack & Martin Winter

Anschrift: Redaktion „die hochschule“, HoF Wittenberg, Collegienstraße 62 D-06886 Wittenberg; Tel.: 0177/3270900; Fax: 03491/466-255 eMail: [email protected]; [email protected] http://www.diehochschule.de Vertrieb: Lydia Ponier, Tel. 03491/466-254, Fax: 03491/466-255, [email protected] ISSN 1618-9671. Dieser Band: ISBN 3-937573-03-8

Die Zeitschrift „die hochschule“ versteht sich als Ort für Debatten aller Fragen der Hochschuforschung sowie angrenzender Themen aus der Wissenschafts- und Bildungsforschung. Manuskripte werden in dreifacher Ausfertigung erbeten. Ihr Umfang sollte 25.000 Zeichen nicht überschreiten. Weitere Autorenhinweise sind auf den Internetseiten der Zeitschrift zu finden: http://www.diehochschule.de Von 1991 bis 2001 erschien „die hochschule“ unter dem Titel „hochschule ost“ in Leipzig (http://www.uni-leipzig.de/~hso). „die hochschule“ steht in der editorischen Kontinuität von „hochschule ost“ und dokumentiert dies durch eine besondere Aufmerksamkeit für ostdeutsche und osteuropäi- sche Hochschul- und Wissenschaftsentwicklung sowie -geschichte. Als Beilage zum „journal für wissenschaft und bildung“ erscheint der „HoF- Berichterstatter“ mit aktuellen Nachrichten aus dem Institut für Hochschul- forschung Wittenberg. HoF Wittenberg, 1996 gegründet, ist ein An-Institut der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg (http://www.hof.uni-halle.de). Es hat seinen Sitz in der Stiftung Leucorea Wittenberg und wird von Prof. Dr. Reinhard Kreckel, Institut für Soziologie der Universität Halle-Wittenberg, geleitet. Neben der Zeitschrift „die hochschule“ mit dem „HoF-Berichterstatter“ pub- liziert das Institut die „HoF-Arbeitsberichte“ (ISSN 1436-3550) sowie die Buchreihe „Wittenberger Hochschulforschung“ im Lemmens-Verlag Bonn. die hochschule 1/2005 1 INHALT

HOCHSCHULE UND PROFESSIONEN

Manfred Stock, Andreas Wernet: Hochschulforschung und Theorie der Professionen...... 7

Ulrich Oevermann: Wissenschaft als Beruf. Die Professionalisierung wissenschaftlichen Handelns und die gegenwärtige Universitätsentwicklung...... 15

Kai-Olaf Maiwald: Die ‚Ganzheitlichkeit’ professionellen Wissens und seiner Vermittlung. Überlegungen am Beispiel des juristischen Wissens...... 52

Manfred Stock: Hochschule, Professionen und Modernisierung. Zu den professionssoziologischen Analysen Talcott Parsons’...... 72

Gero Lenhardt: Hochschule, Fachmenschentum und Professionalisierung...... 92

Erhard Stölting: Der Austausch einer regulativen Leitidee. Bachelor- und Masterstudiengänge als Momente einer europäischen Homogenisierung und Beschränkung...... 110

Michael Bommes: Evaluationen – ein Modus der Bearbeitung von Unsicherheit in Hochschulen...... 135

Eva Arnold, Sabine Reh: Bachelor- und Master-Studiengänge für die Lehrerbildung. Neue Studienstrukturen als Professionalisierungschance?...... 143

2 die hochschule 1/2005 FORUM Georg Krücken, Frank Meier: Der gesellschaftliche Innovationsdiskurs und die Rolle von Universitäten. Eine Analyse gegenwärtiger Mythen...... 157

Ruud H.T. Bleijerveld: Von der Gremienuniversität zum Hochschulunternehmen. Die Organisationsreformen an der Universität Amsterdam...... 171

Tilo Hartmann, Jan Blume, Björn Sjut: „Hauptsache irgendetwas mit Medien“. Eine Analyse des Informationsverhaltens von Studieninteressierten...... 197

MITTEL-OST-EUROPA Werner Meske: Wissenschaft und Technik in Mittel- und Osteuropa. Ergebnisse der Transformation und neue Fragen...... 208

Bibliografie: Wissenschaft & Hochschule in Osteuropa von 1945 bis zur Gegenwart (P. Pasternack/D. Hechler) ...... 226

PUBLIKATIONEN Niklas Luhmann: Das Erziehungssystem der Gesellschaft (Jens Hüttmann) ...... 241

Susanne von Below: Bildungssysteme und soziale Ungleichheit. Das Beispiel der neuen Bundesländer (Irene Lischka)...... 245

Thomas Schröder: Leistungsorientierte Ressourcensteuerung und Anreizstrukturen im deutschen Hochschulsystem. Ein nationaler Vergleich (Karsten König)...... 249

Peer Pasternack, Daniel Hechler: Bibliografie: Wissenschaft & Hochschulen in Ostdeutschland seit 1945 ...... 253

Autorinnen & Autoren ...... 275

die hochschule 1/2005 3

4 die hochschule 1/2005

Manfred Stock Andreas Wernet (Hrsg.)

Hochschule und Professionen

die hochschule 1/2005 5 6 die hochschule 1/2005 Hochschulforschung und Theorie der Professionen

Manfred Stock Hochschulen und Universitäten stehen Andreas Wernet heute wieder im Fokus öffentlicher Auf- Wittenberg/Potsdam merksamkeit. Sie befinden sich im Sog des allenthalben geführten Reformdis- kurses. Dabei rückt das Motiv der Leis- tungssteigerung im Kontext internatio- naler Konkurrenz in den Mittelpunkt. Die Reformbedürftigkeit der deutschen Universitäts- und Hochschulland- schaft leitet sich vor allem aus der Vorstellung ab, sie sei mit ihren veral- teten und verkrusteten Strukturen international nicht wettbewerbsfähig. Hochschulen und Universitäten erscheinen als teuere, ineffiziente und un- bewegliche Gebilde, die längst hinter internationale Standards zurückge- fallen sind. Komplementär dazu sucht das politische und öffentliche Inte- resse nach Mitteln und Wegen, durch Leistungs- und Effektivitätssteige- rung den Tanker wieder flott zu machen. Auffällig an dieser Debatte ist, dass sie weitgehend ohne einen genuin auf Wissenschaft orientierten Thematisierungsrahmen geführt wird. Wäh- rend etwa hinsichtlich einer Effizienzsteigerung und Kostenreduzierung der medizinischen Versorgungssysteme im politisch-öffentlichen Raum immer auch die Frage gestellt wird, ob bzw. inwiefern die administrativ- ökonomischen Maßnahmen eine adäquate medizinischen Behandlung be- drohen, also das Eigenrecht der therapeutischen Praxis gegenüber ihrer ökonomisch-administrativen Kontrolle reklamiert wird, fehlt es der wis- senschafts- und forschungspolitischen Diskussion an einem vergleichba- ren Bezugspunkt. Dass der Sache nach die Verhältnisse ganz ähnlich gelagert sind, dass sich hier wie dort die Interessen ökonomischer Rationalität an dem Ei- genrecht, also der inneren Verfasstheit derjenigen Handlungssphäre, die sie mit höherer Effizienz versehen wollen, orientieren müssen; dazu lie- fert das Professionalisierungskonzept den begrifflichen Schlüssel. Der

die hochschule 1/2005 7 weitgehenden Abwesenheit eines diskursleitenden Orientierungsmodells der eigenlogischen Verfasstheit wissenschaftlichen Handelns und einer dieser Eigenlogik sinnlogisch komplementären universitären Lehre kor- respondiert die Abwesenheit des Professionalisierungsbegriffs, den wir mit diesem Heft in Erinnerung bringen wollen. Das Verständnis von Wis- senschaft bzw. von Forschung und Lehre als professionelle Handlungs- sphären ist dazu in der Lage, die strukturellen Konfliktlinien zwischen ökonomisch-administrativer und professioneller Rationalität in den Blick zu nehmen und Vereinbarkeiten und Unvereinbarkeiten zwischen diesen Rationalitätsbereichen zu lokalisieren. Dazu will dieses Heft einen Bei- trag leisten. Überraschenderweise muss eine professionstheoretische Begründung auch und vor allem als Desiderat der Hochschulforschung konstatiert werden. Obwohl die Professionstheorie im Keim zum soziologischen Gründungsprogramm gehört (Marx, Durkheim, Weber)1, obwohl sie das Hauptaugenmerk des zentralen „modernen Klassikers“ des 20. Jahrhun- derts gefunden hat (Parsons)2, obwohl sie von dort aus begrifflich und empirisch anspruchsvoll weiterentwickelt wurde3 und obwohl sie vielfäl- tige aktuelle Theorie- und Forschungsbeiträge initiiert4, wird sie von der Hochschulforschung beharrlich ignoriert. In den umfassenden Selbstbe- schreibungen, die den Forschungsstand des Faches zusammenfassen, den unterschiedlichen „Encyclopedias of Higher Education“ (Altbach 1991, Clark/Neave 1997), kommen „Profession“ oder „Professionalisierung“ als Stichworte nicht vor.5 Die institutionalisierte Hochschulforschung nimmt Konzepte der Professionstheorie kaum in Anspruch. Dies gilt für Analysen zur Lehre und Forschung an Hochschulen bzw. zu den Rollen

1 Entsprechende Analysen zu Weber finden sich in Seyfahrt (1989) und bei Oevermann (in diesem Heft), zu Durkheim in Müller (1991), zu Marx in Stock (2003). Vgl. auch den Überblick in Kurtz (2002). 2 Vgl. zu Parsons u.a.: Turner (1993); Münch (1984: 127 ff.).; Wernet (2003); Stock (2005). 3 Vgl. u.a. Oevermann (1996); Luhmann (2002: 142 ff.), Stichweh (1992, 1996), Freidson (1994), Abbot (1988). 4 Vgl. nur die Sammelbände: Combe/Helsper (1996); Pfadenhauer (2005). 5 Allein in der von Altbach herausgegebenen Enzyklopädie (1991) findet sich ein längerer Beitrag zur „academic profession“, der allerdings nicht unter professionstheoretischen Gesichtspunkten argumentiert. Auch in der bekannten internationalen Vergleichsunter- suchung zur „academic profession“ spielen Analysen im Sinne der Professionstheorie keine Rolle (Altbach 1997).

8 die hochschule 1/2005 des Wissenschaftlers und des Hochschullehrers6 ebenso wie für Untersu- chungen der beruflichen Rollen von Hochschulabsolventen. Nichtsdestotrotz und geradezu inflationär ist derzeit sowohl in der Hochschulforschung als auch in der Hochschulpolitik von „Professionali- sierung“ die Rede.7 Das modische Schlagwort stellt allerdings eine be- griffliche Pervertierung dar. Denn Professionalisierung bezieht sich hier nicht auf die eigenlogische Rationalität von Forschung und Lehre, son- dern dient als Chiffre für eine Rationalitätssteigerung in ökonomisch- administrativer Hinsicht. So trägt in paradoxer Weise gerade das Etikett „Professionalisierung“, mit dem die intendierte Verbesserung der Hochschulverwaltung versehen wird, dazu bei, eine Bezugnahme auf wissenschaftlich-professionelles Handeln zu umgehen. Die Leitvorstellungen, denen das vermeintlich pro- fessionelle Wissenschaftsmanagement folgen soll, werden derzeit unter den Stichworten des sogenannten „Neuen Steuerungsmodells“ bzw. des „New Public Management“ zusammengefasst. Damit gewinnen Konzepte an Autorität, die die Hochschulen mehr und mehr an Gesichtspunkten ökonomischer Rationalität auszurichten suchen. Damit nicht genug. Der neo-liberale Professionalisierungsjargon begnügt sich nicht damit, gleich- sam flankierend sein Rationalisierungsprogramm auf die ökonomischen und administrativen Rahmenbedingungen einer autonomen Wissenschaft anzuwenden; die Kernoperation der Hochschulen selbst, Forschung und die Lehre, sollen sich dem Diktat ökonomischer Rationalität fügen. Auch sie sollen einem „Kalkül des Kalkulierbaren“, wie Nassehi (2004: 13) kri- tisch bemerkt, unterworfen werden. Die so verstandene „Professionalität“, die in Hochschulen und Uni- versitäten Einzug halten soll und ihr vermeintlicher Rationalitätsgewinn erscheinen aus professionalisierungstheoretischer Perspektive eher als Bedrohung und Erosion der Logik professionellen wissenschaftlichen Handelns, denn als Stärkung und Bekräftigung ihrer eigenlogischen Struktur. Die Kolonialisierung von Forschung und Lehre durch ökonomi- sche und administrative Handlungsimperative bedeutet nicht Professiona- lisierung, sondern Deprofessionalisierung.

6 Eine Ausnahme: Enders (1994, 1998). Professionstheoretische Überlegungen stehen hier aber auch eher am Rande. 7 Vgl. nur Nowotny (2002), Sonnabend (2003), die Diskussion zur „Professionalisieung der Leitungsstruktur“ in Trotha/Alföldy (1999), Nullmeier (2001).

die hochschule 1/2005 9 Nun soll hier nicht polemisch behauptet werden, dass die begriffliche Leichtfertigkeit auf der einen Seite und die theoretische Abstinenz auf der anderen Seite der gemeinsame Ausdruck einer systematischen Schieflage einer Hochschulforschung ist, die in relativer Nähe zu den Bedürfnissen der Politik operiert. Gleichwohl scheint es gerade angesichts des gegen- wärtigen Reformeifers angeraten zu sein, das Geschehen in den Hoch- schulen, gleich ob es sich um die exemplarisch genannte Implementie- rung des New Public Management oder um andere Vorhaben handelt, in professionstheoretischer Perspektive zu analysieren. Eine solche Analyse hätte der Frage nach den Effekten nachzugehen, die sich mit den Re- formvorhaben im Hinblick auf die immanenten Standards und Logiken des Handelns in Forschung und Lehre und des Handelns der Hochschul- absolventen in den späteren beruflichen Feldern der Professionen verbin- den. Erste Untersuchungen, die in anderen europäischen Länder sowie in Australien unternommen wurden, verweisen hier auf problematische Konstellationen: In einer umfassenderen ländervergleichend angelegten Studie, die Befunde aus Schweden, den Niederlanden, Spanien und ins- besondere Portugal berücksichtigt, ziehen Amaral/Magalhaes (2002) den Schluss, dass die Übertragung von Managementvorstellungen aus dem Unternehmensbereich in den Hochschulbereich Ausdruck einer allgemei- nen Tendenz sei, die den Ansprüchen von „external stakeholders“ gegen- über den Hochschulen mehr und mehr an Gewicht verschaffe. Dies könne zur Folge haben, dass “core academic values may be replaced by short- term views and criteria focusing on the needs of the economy” (2002: 19). Braun/Merrien (1999) formulieren ähnliche Befürchtungen, aller- dings eher mit Blick auf ein mögliches Ungleichgewicht zwischen „prio- rity-based and curiosity-driven research“ (1999: 28). In Australien sieht Stilwell (2003) mit der Verankerung von Managementkonzepten auch faktisch ein Modell ökonomischer Rationalität in Hochschulen an Autori- tät gewinnen, das zu einer Deprofessionalisierung des Handelns der Wis- senschaftler führe. Die Professionsstandards, die für Forschung und Leh- re gelten, sind demnach mit den Anforderungen, die das Hochschulmana- gementschema eines „quantitative input-output calculus“ (Stilwell 2003: 55) impliziert, nicht in Übereinstimmung zu bringen. Diese ersten Untersuchungen sind ein Hinweis darauf, dass gerade die Professionstheorie vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Reformbe- mühungen dazu beitragen kann, auf Widersprüche und Konflikte auf-

10 die hochschule 1/2005 merksam zu machen, die durch die normative Orientierung der Reform- konzepte an ökonomischen Rationalitätsmodellen provoziert werden. Zugleich führen diese ersten Studien aber auch vor Augen, dass diese Theorie selbst der weiteren Ausarbeitung bedarf, um sich in diesem ana- lytischen Kontext zu bewähren. Die Beiträge in diesem Heft verfolgen zwei Anliegen. Zum einen geht es um begriffliche Klärungen und Präzisierungen einer Theorie wissen- schaftlicher Professionalität (Oevermann, Maiwald, Stock, Lenhardt). Damit verbunden geht es zum anderen um die genauere Untersuchung aktueller Reformbestrebungen und Umstrukturierungen im deutschen Kontext (Stölting, Bommes, Arnold/Reh). Ulrich Oevermann skizziert in seinem Beitrag die von ihm entwickel- te (allgemeine) Professionalisierungstheorie und verortet auf der Basis dieses Modells wissenschaftliches Handeln. Davon ausgehend unterzieht er die aktuellen Strukturveräderungen (BA/MA-Studiengänge usw.) einer kritischen Betrachtung. Auf der Basis der Oevermann'schen Professionalisierungstheorie wendet sich Kai-Olaf Maiwald einer sogenannten klassischen Profession zu: den Juristen. Er greift die Kontroverse um die juristische Ausbildung auf, die sich im Spannungsfeld eines „ganzheitlichen“ und eines „spezia- lisierten“ Selbstverständnisses des universitären Studiums bewegt. Auf den ersten Blick widerspreche der „professionelle Holismus“ (Maiwald) den Bedürfnissen und Ansprüchen einer spezialisierten juristischen Be- rufskultur. Bei genauerem Hinsehen zeige sich aber, dass er eine Wis- sensstruktur und Habituskonstellation hervorbringe, die für die professio- nelle Praxis grundlegend seien. Ein besonderes analytisches Potential der Professionstheorie für die Hochschulforschung liegt darin, dass sie es erlaubt, Untersuchungen zur Forschung und zur Lehre, also zu den hochschulinternen Kernoperatio- nen, mit Analysen des beruflichen Handelns außerhalb der Universität zu verknüpfen. Jenseits eines bildungsökonomischen Utilitarismus scheint die gesellschaftliche Bedeutung der Universität auch darin zu liegen, dass sie als Stätte der Bildung einer Professionskultur gleichsam eine „Habi- tusressource“ für die Gesellschaft darstellt. Diesem Thema widmen sich die Beiträge von Manfred Stock und Gero Lenhardt. Manfred Stock geht in seinem Beitrag der Professionalisierungstheo- rie von Talcott Parsons nach. Wie kein anderer hat Parsons den Zusam- menhang zwischen Lehre und Forschung in den Hochschulen und der

die hochschule 1/2005 11 Entwicklung professioneller Berufsrollen der „applied professions“ zum Gegenstand soziologischer Analysen gemacht. In der Hochschulfor- schung sind Parsons’ Untersuchungen bisher ohne größere Resonanz geblieben. Der Beitrag stellt daher die professionssoziologischen Analy- sen des späten Parsons in ihren Grundzügen vor und setzt sich mit ihnen auseinander. Parsons geht es insbesondere um die normativen Orientierungen pro- fessionellen Handelns. Dieser Gesichtspunkt steht im Zentrum des Bei- trags von Gero Lenhardt. Er untersucht die Wertmuster, die sich im Ver- laufe der Hochschulentwicklung Geltung verschafft haben. Dabei unter- scheidet er normative Ordnungsvorstellungen feudal-ständischen, obrig- keitsstaatlich-absolutistischen und bürgerlich-individualistischen Charak- ters. Dem Autoritätsgewinn des zuletzt genannten Wertmusters, so das Argument, entsprechen Professionalisierungstendenzen in der Arbeits- welt, die die Kultur des Fachmenschentums mehr und mehr zurückdrän- gen. Der Beitrag von Erhard Stölting beschäftigt sich mit Prozessen der Strukturveränderung der Universität unter besonderer Berücksichtigung der Studienorganisation. In der Einführung von BA- und MA-Studien- gängen komme ein neues institutionelles Leitbild der Universität zum Ausdruck. Deren traditionelles Leitbild beruhte auf der „Selbstbewegung der Wissenschaft“, die gegenüber der beruflichen Praxis und ihren An- sprüchen abgefedert war. Genau dieses Leitbild verliere an Einfluss, in- dem die universitäre Lehre sich nun eher am Modell der Fachhochschul- ausbildung orientiere. Michael Bommes nimmt einen anderen Gesichtspunkt der aktuellen Bemühungen um eine Reform der Hochschulen in den Blick. Er unter- sucht die Evaluation der Hochschullehrer. Seine Analyse arbeitet dabei mit der Unterscheidung von Profession und Organisation. Evaluationen, so zeigt er, profanisieren gleichsam den professionellen Status des Hoch- schullehrers und führen die Implikationen seiner Rolle als Mitglied der Hochschule als sozialer Organisation vor Augen. Der Beitrag von Eva Arnold und Sabine Reh diskutiert die Auswir- kungen, die die Einführung von BA/MA-Studiengängen auf die universi- täre Lehrerausbildung hat. Die spezifische Struktur der deutschen Lehr- amtsstudiengänge – ein Studium zweier Unterrichtsfächer, ergänzt durch ein erziehungs- oder bildungswissenschaftliches Begleitstudium – lasse sich nicht umstandslos in das BA/MA-Modell übertragen. Die dadurch

12 die hochschule 1/2005 erzwungene Umstrukturierung werfe die Frage professioneller Kompe- tenzen und Standards neu auf und eröffne durchaus auch Professionalisie- rungschancen für den Lehrerberuf und für die Lehrerausbildung.

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14 die hochschule 1/2005 Wissenschaft als Beruf Die Professionalisierung wissenschaftlichen Handelns und die gegenwärtige Universitätsentwicklung

Ulrich Oevermann „Wissenschaft als Beruf“ ist der Titel Frankfurt/Main eines berühmt gewordenen Aufsatzes bzw. Vortrages von Max Weber. Ihn wieder aufzugreifen muß in Anspruch nehmen, sowohl an Webers These fort- schreibend oder widerlegend anzu- schließen als auch dessen Gedanken- gänge in mindestens einer Hinsicht entscheidend weiterzuentwickeln. Dies letztere wiederum, um das es hier gehen muß, kann bedeuten, der seitdem registrierbaren Entwicklung des Untersuchungsgegenstandes, al- so der Geschichte des wissenschaftlichen Handeln und seiner Bedingun- gen seit Ende des 1. Weltkrieges, nachzugehen oder den theoretischen Neuerungen, die in dieser Zeit hinsichtlich seiner Analyse zu verzeichnen sind. Letzterem will ich mich hier vor allem widmen.

I. Anschluß an Max Weber

Weber hielt den Vortrag, auf den sein Aufsatz (Weber 1968) zurückgeht, im Wintersemester 1918/1919, im ersten Semester nach Kriegsende in ei- ner Zeit größten Umbruchs und höchster Krise der Modernisierung inner- halb einer Reihe mit dem Obertitel „Geistige Arbeit als Beruf“. Es mußte ihm also um das säkularisierte Ethos wissenschaftlichen Handelns als ei- nes zentralen Sektors der gesellschaftlichen Modernisierung gehen, auf den sich ähnlich wie heute die gegensätzlichsten Hoffnungen der Krisen- bewältigung richteten. Selbstverständlich befaßten sich Webers Überle- gungen nicht mit der Trivialität wissenschaftlicher Berufe in Gestalt von Tätigkeiten, die durch disziplinenspezifische Studienabschlüsse am Ar- beitsmarkt nachgefragt und angeboten wurden: also Berufe wie Diplom- Physiker, Chemiker, Philologen, etc., sondern es mußte ihm, wenn der

die hochschule 1/2005 15 aufs Allgemeine wissenschaftlichen Handelns zielende Titel gerechtfertigt sein sollte, darum gehen, die Struktureigenschaften und –gesetze wissen- schaftlichen Handelns als einer allgemeinen Praxis zu bestimmen, die jen- seits der Unterschiede zwischen den Fächern generell gelten. Damit war die schon vor Weber virulente Frage danach aufgeworfen, was das wissenschaftliche Handeln als solches in seiner inneren Struktur- logik und -dynamik und seiner äußeren Stellung innerhalb der Gesell- schaft ausmacht und welcher Stellenwert denjenigen zukommt bezie- hungsweise von ihnen beansprucht werden kann, die es zum Mittelpunkt ihrer Leistungsbiographie erhoben haben. Weber beginnt denn auch mit der Explikation der Differenz zwischen dem äußeren und dem inneren Beruf von Wissenschaft und arbeitet die Spannung zwischen beiden her- aus. Den äußeren Beruf bestimmt Weber in einem höchst riskanten und durch „Hazard“ geprägten Avancement zwischen Assistentur und profes- soralem Ordinariat, in dessen Mittelpunkt die höchst unsichere Position des privat sich alimentierenden Privatdozenten stand. Um die Frustratio- nen und Unwägbarkeiten dieses Avancements auszuhalten, bedurfte es einer ins Weltfremde übergehenden Identifikation mit dem inneren Beruf von Wissenschaft, deren Hervorbringungen keineswegs auf eine ihnen angemessene Würdigung im äußeren Betrieb der Wissenschaft gesichert rechnen konnten, weshalb diese Hingabe an die Sache der Wissenschaft leicht in die realitätsfremden Phantastereien über die eigene Bedeutsam- keit übergehen konnten, die sich kompensatorisch mit den Verbitterungen über die ausbleibende Anerkennung paarten. Drei Prämissen gehen in diesen von Weber gewählten Ansatz von vornherein unausgesprochen ein: 1. Wissenschaft als Beruf wird von ihrer inneren Strukturlogik und -dynamik her bestimmt, auf die die äußere, institutionelle, die ver- schiedenen Disziplinen übergreifende Karrierelogik reagieren muß, aber nur so reagieren kann, daß eine nicht zu schlichtende Spannung grundsätzlich bleibt. 2. Wissenschaft als Beruf findet idealtypisch in den Universitäten oder Akademien statt, also dort, wo wissenschaftliche Erkenntnis primär nicht angewendet, sondern durch Forschung erarbeitet wird. Davon ist eine logische Implikation, daß die in der Lehre zu leistende Ausbil- dung zur Wissenschaft eine Funktion dieser Forschung sein muß und nicht umgekehrt die Forschung auf der Lehre aufruht. Weber arbeitet

16 die hochschule 1/2005 die Spannung zwischen Forschung und Lehre auf der Folie ihrer Ein- heit scharf heraus. 3. Wissenschaft als Beruf ist fachübergreifend durch eine Einheit eines Forschungsethos, einer Hingabe an die Sache konstituiert, die sozio- logisch ausgedrückt im Studium als Habitusformation durch die ex- emplarische Aneignung fachspezifischer Methoden, Theorien und Wissensinhalte erworben werden muß und über diese Spezialisierung hinaus Geltung hat. Diese Habitusformation bildet den Berufskern auch in allen eine wissenschaftliche Qualifikation erfordernden Beru- fen außerhalb der durch die Einheit von Forschung und Lehre gepräg- ten wissenschaftlichen Einrichtungen, also in der außeruniversitären Praxis. Der theoretische Fortschritt in der Soziologie seit Webers Aufsatz besteht nun vor allem in der Konstruktion einer Theorie der Professionalisierung, in deren Mittelpunkt die Explikation des Habitus von Professionen steht. Weber hat für eine solche Theorie zwar den Boden bereitet, sie aber nicht ausgearbeitet.

II. Gelöste und ungelöste Probleme in Webers Argumentation

Ich möchte kurz zusammenstellen, worin Weber die heutigen Möglichkei- ten einer professionalisierungstheoretischen Analyse von wissenschaftli- chem Handeln vorbereitet hat und worin er sie verfehlt. 1. Daß es sich in beiden Sphären, Politik und Wissenschaft, um einen Beruf im Sinne einer inneren Berufung und eines durch ein spezifi- sches Ethos geprägten Habitus handelt und damit um einen Beruf, der sich von anderen, üblichen Berufen unterscheidet, ist von zentraler Bedeutung. Es wird damit die Unterscheidung von Beruf im Sinne von „vocatio“, d.h. der Berufung auf einen bestimmten gesellschaftli- chen Funktionsplatz durch eine leitende, transzendente Instanz, und von „professio“, dem öffentlichen Bekenntnis zu einer Tätigkeit, sei es im Sinne der öffentlichen Anmeldung eines Gewerbes oder der ge- lobenden Hingabe an eine geistige Haltung, angesprochen. Beruf im Sinne von „vocatio“ meint die gesellschaftlich institutionalisierte Bündelung von gesellschaftlich notwendigen und an einem Arbeits- markt nachgefragten Tätigkeiten zu einer normierten Einheit, nicht

die hochschule 1/2005 17 notwendig mit eigenem Ausbildungsgang. Beruf in diesem Sinne geht in Europa wesentlich auf die Luthersche Berufsethik zurück. Sie war revolutionär, weil mit ihr die ständische Gliederung in jene gesell- schaftlichen Straten, die nur die Lebensnot bewältigten, und jene, die – vor allem mittels der Verfügung über die Produkte dieser Lebens- notbewältigung durch andere – über Vermögen und Privilegien ver- fügten, um die Tugenden stellvertretend zu verwalten, aufgehoben wurde zugunsten eines Universalismus der Berufenheit vor Gott, je- weils an dem gesellschaftlichen Ort, an den man durch ihn gestellt war, in Überwindung des Widerstandes von Faulheit und Bequem- lichkeit das zu leisten, was einem unter den je gegebenen Bedingun- gen maximal möglich war. Die daraus resultierende universalistische Leistungsethik war also mit einem Gleichheitsprinzip verknüpft, das jenseits aller ständischen Gliederungen alle Kinder Gottes integrierte. Alles was für den Beruf im Sinne von „vocatio“ gilt, trifft auch auf die Professionen zu. Aber sie heben sich aus diesen Berufen zusätz- lich dadurch als besondere Klasse hervor, daß sie über die allgemeine Leistungsethik hinaus durch eine schwer allgemein faßbare Ethik der Dienstleistung von gemeinwohlbezogener Bedeutsamkeit geprägt sind. Professionen sind historisch viel ältere Gebilde als die Berufe. Aber sie werden zu Berufen mit der Institutionalisierung der „vocati- ones“ und nehmen dann darin einen Sonderstatus ein, in dem sich das ursprünglich Ständische ihrer Ausgliederung als Gemeinwohlbezug fortsetzt. Indem Weber sich bei der Kennzeichnung der Politik als Be- ruf auf die für ihn konstitutive widersprüchliche Einheit von Verant- wortungs- und Gesinnungsethik konzentriert und der Sache nach kontrastiv dazu für die Wissenschaft als Beruf vor allem eine Haltung herausstellt, die dem gleichfalls von Weber in einem anderen berühm- ten Aufsatz für die Wissenschaft in Anspruch genommenen Wertfrei- heitsprinzip entspricht und die aufgrund der fallibilistischen For- schungslogik den Verzicht auf eine persönliche Sinngebung durch Wissenschaft hinnehmen muß, arbeitet er zwar in aller Deutlichkeit eine entscheidende Differenz der beiden Sphären heraus, aber er sug- geriert dennoch, die Sphäre der Politik sei hinsichtlich ihrer Professi- onalisierungsbedürftigkeit mit der der Wissenschaft vergleichbar. 2. Denn implizit geht Weber, zieht man seine anderen Schriften aus die- ser Zeit hinzu, von der strukturellen Differenz zwischen dem Fach-

18 die hochschule 1/2005 menschen als der Hervorbringung und dem Träger der modernen Bü- rokratie einerseits und den geistigen bzw. geistesaristokratischen Tä- tigkeiten andererseits aus, zu denen man gelübdeartig berufen ist.

Schaubild 1: Veranschaulichung der Argumentation Max Webers in den „Berufs“-Aufsätzen

III. Der professionalisierungstheoretische Ansatz

Wie müßte nun eine Theorie beschaffen sein, die alle Errungenschaften der Weberschen Analyse bewahrte und ihre Mängel behöbe, die also den spezifischen Habitus wissenschaftlichen Handelns in der Einheit von For- schung und Lehre explizierte und die hinreichend begründete, daß sich dieser Habitus aus der Bearbeitung des aufgegebenen Sachproblems als solchem zwingend ergibt, sobald methodenkritisch verfahren wird; daß die Professionalisierungsbedürftigkeit also einem inneren Zwang ent- spricht, einer eigenen Strukturlogik und –dynamik folgt und deshalb „in die hochschule 1/2005 19 the long run“ „von unten“ sich naturwüchsig und nicht „von oben“ ge- plant einstellt. Eine Professionalisierung „von oben“, d.h. durch staatli- ches oder herrschaftliches Handeln, kann immer nur den äußeren Beruf, also die institutionalisierte Karriere, bewirken, muß darin aber auf das Vorhanden-Sein des inneren Berufs sich jeweils schon gründen. Diese Theorie müßte aber vor allem die kategoriale Differenz zwischen wissen- schaftlichem und politischem Handeln so fassen können, daß dabei die Professionalisierungsbedürftigkeit des ersteren und das Fehlen dieser Strukturvoraussetzung bei letzterem zwingend hervorträte. Denn politi- sches Handeln ist in sich primäre Praxis der Krisenbewältigung ohne die Vorbedingung eines standardisierten fachspezifischen methodisierten Wissens. Nach Weber und durch ihn wesentlich angestoßen entwickelte sich eine soziologische Theorie der Professionen, die sich an diesen Gesichts- punkten orientierte. Sie faßte Professionen als jene herausgehobenen Be- rufe, deren klientenbezogene Dienstleistung auf der Basis einer wissen- schaftlichen Expertise erbracht wurde, gemeinwohlorientiert war und sich auf zentrale gesellschaftliche Werte bezog, weder durch den Markt noch durch eine formale Bürokratie wirksam kontrolliert werden konnte und deshalb sowohl hinsichtlich ihrer Ausbildung als auch ihrer Berufsaus- übung auf der Basis einer verbindlichen Professionsethik sich autonom verwaltete. Diese klassisch gewordene Version einer Professionstheorie erlaubte es immerhin, den Prozeß der Professionalisierung von dem der bloßen Expertisierung, mit dem er heute, nachdem diese Theorie versun- ken ist, in der Regel unkritisch und oberflächlich zusammengeworfen wird, scharf zu trennen. Aber es gelang ihr nicht, die institutionelle Er- scheinungsweise der Professionen als hinsichtlich Autonomie und Erzie- lung eines Einkommens qua Honorar privilegierte Berufe aus der den in- neren Beruf konstituierenden Praxis der Bearbeitung eines bestimmten Handlungsproblems zu begründen und deren innere Strukturlogik und – dynamik zu bestimmen. Deshalb verfiel sie vergleichsweise wehrlos der in den siebziger Jahren der Marxismus-Renaissance sich formierenden Kritik einer interessentheoretisch formulierten Version einer Theorie der Professionen, worin jene Professionsethik als bloße Rechtfertigungsideo- logie der Professionalisierung gedeutet wurde, die institutionell als bloßer Ausdruck eines erfolgreichen, den Dienstleistungsmarkt monopolisieren- den Statussicherungsgeschäftes galt. Daran konnte sich die systemtheore- tische Deutung des historischen Professionalisierungsprozesses im Sinne

20 die hochschule 1/2005 der Einrichtung der institutionellen Erscheinungsweise von Professionen anlehnen, der zumindest für das obrigkeitsstaatliche und absolutistische Kontinentaleuropa als eine „Professionalisierung von oben“ gedeutet wurde im Kontrast zu einer „Professionalisierung von unten“ – zumindest für die klassischen klientenbezogenen Professionen – in den angelsächsi- schen Ländern, und mit der weiteren Modernisierung angeblich durch „Zweckprogrammierung“ ersetzt wurde, also durch einen Prozeß der funktionalen Differenzierung, der sich aus der Fundierung im Habitus lö- sen konnte. Nicht ohne Ironie eignete sich dieser Ansatz für eine in ihrem Selbst- verständnis ideologisch progressive sozialgeschichtliche Forschung, weil sich in ihm die vergleichsweise leicht greifbaren Quellen für eine statisti- sche Erfassung der Institutionalisierung von Professionen methodisch günstig bearbeiten ließen. Dieser interessen- bzw. systemtheoretische An- satz geriet und gerät aber schnell in die Gefahr, hinter seiner scheinkriti- schen Fassade einer bloßen Ideologiekritik zum Büttel einer technokrati- schen Erosion der Autonomie von Wissenschaft, sei es in der Grundla- genforschung oder in der Fundierung von klientenbezogener professiona- lisierter Praxis, zu werden und damit letztlich das Erbe des puritanisch verwurzelten Zeitgeistes der 68er Bewegung anzutreten, die ja bei aller historischen Berechtigung ihres suggestiven Enttraditionalisierungs- Impulses innerhalb des Modernisierungsprozesses vor allem der Politik eine Bresche für den bürokratisierenden Angriff auf die Autonomie von Wissenschaft geschlagen hat. Die Analytik der klassischen soziologischen Theorie der Professionen kann gegenüber diesem Angriff nur Bestand haben, wenn es gelingt, die von ihr herausgearbeitete Notwendigkeit einer professionsethischen Fun- dierung und des ihr innewohnenden geistesaristokratischen Prinzips auf eine stichhaltige Rekonstruktion der inneren Strukturlogik und –dynamik einer Praxis zurückzuführen, die der wissenschaftlich-rationalen Erledi- gung eines für die Aufrechterhaltung gesellschaftlichen Lebens zentralen Handlungsproblems geschuldet ist.

IV. Eine neue Version der Professionalisierungstheorie

Im folgenden kann ich diesen Theorieansatz nur von seinem Ergebnis her um den Preis einer argumentationslogischen Erstarrung seiner Ablei-

die hochschule 1/2005 21 tungsdogmatik darlegen und muß auf den Nachweis seiner Motivierung am konkreten Fallmaterial verzichten. Oberste Ableitungsbasis für diese Theorie ist die begriffliche und die Realität des Human-Sozialen bestimmende Polarität von Krise und Rou- tine, auf die der Soziologe zwingend gestoßen wird, sobald er in metho- discher Hinsicht nicht mehr nur klassifikatorisch-subsumtionslogisch, sondern sequenzanalytisch-rekonstruktionslogisch vorgeht. Er muß dann in der konkreten Analyse von Protokollen der Praxis, z.B. aus Gesprä- chen in Forschungslabors oder in Arzt-Patient-Beziehungen, an jeder Se- quenzstelle den faktischen Ablauf als eine vollziehende, d.h. Wirklichkeit erzeugende Auswahl von Alternanten bestimmen, die aufgrund generati- ver Regeln der Sequenzierung in Abhängigkeit vom Akt der vorausge- henden Sequenzstelle als objektive Möglichkeiten eröffnet wurden. Auf- grund einer solchen Methodik erst erscheint auch die faktisch routinisiert verlaufende Ablaufssteuerung als eine potentiell krisenhafte Entschei- dung, von der die manifeste Krise zu unterscheiden ist, so daß entgegen der Perspektive der Lebenspraxis selbst in diesem Ansatz analytisch die Krise den Normalfall bildet und die Routine den Grenzfall. Erst dann kann methodologisch die Sozialwissenschaft in Anspruch nehmen, ihren Gegenstand konstitutionstheoretisch aufschlußreich auf Distanz gebracht zu haben. Dieser methodologische Ansatz schmiegt sich der systemati- schen Frage nach der Erklärung der Entstehung bzw. systematischen Er- zeugung des Neuen an, deren Verfolgung die Geschichtswissenschaften mit der Soziologie innig verbinden sollte. Es wird dann zur zentralen Frage, jeweils systematisch die Struktur- stellen für die systematische Erzeugung des Neuen im gesellschaftlichen Leben zu bestimmen, also jene Stellen, für die die Bewältigung von Kri- sen konstitutiv ist. Im Sinne des allgemeinen Satzes, daß nicht die Routi- nen, sondern die Krisen konstitutionstheoretisch den Normalfall von Pra- xis bilden, gilt für die Lebenspraxis auf welchem strukturellen Aggregie- rungsniveau auch immer, also ob einzelne Person, kleine Vergemein- schaftung wie Familie oder Freundschaft, Organisation, community oder Herrschaftsverband, daß sie sich in der selbständigen, primären Bewälti- gung von Krisen konstituiert und fortzeugt und darin ihre Autonomie mehr oder weniger gelungen ausbildet, sie insofern also immer auch die primäre Quelle der Erzeugung des Neuen ist und bleibt. In Relation zu dieser unmittelbar gegebenen, in der Logik der Verge- meinschaftung sich vollziehenden Lebenspraxis entstehen im Prozeß der

22 die hochschule 1/2005 Vergesellschaftung, d.h. der sozialen Differenzierung, die sekundären ge- sellschaftlichen Steuerungsinstanzen und -mechanismen. Sie lassen sich grundlegend einteilen danach, ob sie in institutionalisierten Routinen be- stehen wie der gesamte Komplex der Bürokratie und der formalen Orga- nisationen oder explizit der Bewältigung von Krisen dienen. Diese Unter- scheidung verläuft im übrigen genau parallel zu der von Weber immer wieder betonten Differenz zwischen Fachmenschentum ohne Geist sowie Genußmenschentum ohne Herz einerseits, der er das Kulturmenschentum bzw. die Geistesaristokratie oder eben, wie im Titel jener Vorlesungsrei- he, die „Geistige Arbeit als Beruf“ andererseits gegenüberstellt. Die Sphäre der sekundären Krisenbewältigung wiederum muß ihrerseits – und das hat Weber nicht klar genug gesehen bzw. bestimmt – danach dif- ferenziert werden, ob diese sekundäre Krisenbewältigung in einer Stell- vertretung durch Delegation eines Kollektivs an Anführer besteht, wie das in den drei Grundtypen von Politiker, Unternehmer und Intellektuel- lem idealtypisch gegeben ist (im übrigen die drei Typen, die Weber vor allem als Verkörperungen der Geistesaristokratie bzw. des Kulturmen- schentums im Auge hatte) oder ob sie in einer Stellvertretung aufgrund einer in einem bewährten Wissen wurzelnden Expertise zu sehen ist, wie das exemplarisch für die Wissenschaftler und für die Künstler, mithin für die Professionen gilt. Ich beschränke mich hier natürlich auf die Betrach- tung der Wissenschaft. Es gilt nun, aus dieser Bestimmung der professionalisierten Praxis, sie sei grundlegend eine stellvertretende Krisenbewältigung auf der Basis von routinisiertem Wissen, die Rekonstruktion der Strukturlogik und – dynamik professionalisierten Handelns zu gewinnen. Am einfachsten und sinnfälligsten gelingt das dort, wo die Krise der primären Lebenspraxis anschaulich in Gestalt der Beschädigung der somato-psycho-sozialen In- tegrität des einzelnen konkreten Lebens gegeben ist, also für die ärztliche Praxis. Sie setzt dort ein, wo die konkrete Lebenspraxis ihre Krisen- bewältigung, z.B. in Gestalt einer Krankheit, nicht mehr selbständig be- wältigen kann. An dieser Stelle müssen wir ein als bewährt geltendes und in An- spruch genommenes, also institutionalisiertes Wissen unterstellen, das ei- ne gültige Expertise konstituiert. Und sofort ergibt sich hier eine grundle- gende Differenz zwischen einer ingenieurialen Anwendung von Wissen, in der nach dem Muster deduktiver Logik eine technische Lösung aus ei- ner Theorie abgeleitet wird oder eine Erfindung durch sie nachträglich

die hochschule 1/2005 23 begründet wird, einerseits und einer Interventionspraxis andererseits, in der die Wissensbasis dazu zu helfen dient, die Krise einer der Möglich- keit nach autonomen Lebenspraxis zu bewältigen, d.h. ein Problem, das sich nicht aus der Bindung an die Perspektivität dieser Lebenspraxis voll- ständig lösen läßt, ohne seinen Charakter grundlegend zu ändern. Anders ausgedrückt: die Problemlösung muß auf die Wiederherstellung der be- schädigten Autonomie der Lebenspraxis ausgerichtet sein, was über eine bloße Reparatur eines technischen Apparates hinausgeht.

Schaubild 2: Die Lokalisierung der geistesaristokratischen Tätigkeiten in der Verzweigung der gesellschaftlichen Orte der Krisenbewältigung und der systematischen Erzeugung des Neuen

24 die hochschule 1/2005 Mit dieser grundlegenden Verzweigung in den ingenieurialen und den in- terventionspraktischen Modus der Wissensanwendung entsteht für letzte- ren die Professionalisierungsbedürftigkeit einer Praxis der stellvertreten- den Krisenbewältigung, die sich ihrerseits in die Polarität einer grund- sätzlich standardisierbaren und nach Möglichkeit standardisierten Kom- ponente der Expertise und einer grundsätzlich nicht standardisierbaren Komponente zerlegen läßt, die über die bloß fachmenschliche Wissens- anwendung hinausgeht. Es ist nun genau diese Nicht-Standardisierbarkeit der professionalisierungsbedürftigen Expertise, die sich für die therapeuti- schen Berufe am leichtesten exemplarisch bestimmen läßt. Sie wird aus drei Gründen notwendig. Zum ersten muß die Diagnose der Störung fall- verstehend in einer Rekonstruktion der Konkretion eines lebensgeschicht- lichen Zusammenhangs bestehen. Gesundheit ist in dieser Betrachtung z.B. nicht einfach das Gegenteil von Krankheit, sondern jenes Maß an Gesundheit, das eine konkrete Lebenspraxis in ihrer Traumatisierungsge- schichte maximal in ihrem Überlebenskampf erreichen konnte. In dieser Sicht muß eine Diagnose mehr sein als ein einer standardisierten TÜV- Überprüfung korrespondierender „Check“. Zum zweiten kann eine Thera- pie, die sich nach der Übersetzung der aus konkretem Fallverstehen be- stehenden Diagnose in ein standardisiertes, routinisiertes Wissen aus die- sem deduzieren läßt, nur interventionspraktisch wirksam greifen, nach- dem sie wiederum in den konkreten lebensgeschichtlichen Zusammen- hang des Klienten rückübersetzt worden ist. Zum dritten schließlich – und am gewichtigsten – ergibt sich der Zwang zur Nicht-Standardisierbarkeit aufgrund des folgenden strukturellen Paradox. In dem Maße nämlich, in dem die durch standardisiertes Wissen ermöglichte Hilfe der stellvertre- tenden Krisenbewältigung gewissermaßen technisch erfolgreich ist, kor- rumpiert sie zugleich das eigentliche Ziel ihrer Hilfe. Sie macht nämlich darin den Klienten als hilfsbedürftigen abhängig und zerstört in dem Ma- ße dessen Autonomie, um deren Wiederherstellung es doch gerade gehen muß. Diese Paradoxie läßt sich nur auflösen, wenn es gelingt, die Selbst- heilungspotentiale des Klienten im Verlaufe der Behandlung so zu we- cken, daß er im Sinne der Selbsthilfe beteiligt ist. Dazu bedarf es eines Arbeitsbündnisses mit dem Klienten, in dem dieser sich mit seinen ge- sunden Anteilen auf der Basis der Anerkenntnis der kranken Anteile, also eines Leidensdruckes, bindet, alles dafür zu tun, gesund zu werden. Diese Bindung erfordert bei aller durch die Expertise konstituierten Asymmetrie der Arzt-Patient-Beziehung eine Symmetrie der wechselseitigen Bindung

die hochschule 1/2005 25 als ganze Personen und läßt damit diese Beziehung das Strukturmodell einer rollenförmigen Sozialbeziehung überschreiten. Genau darin besteht soziologisch gesehen ihre Nicht-Standardisierbarkeit.

V. Die drei Foci der Professionalisierungsbedürftigkeit

Es wird nicht strittig sein, daß die grundsätzlich professionalisierungsbe- dürftige Behandlung durch eine in dieser Weise aus der widersprüchli- chen Einheit von standardisiertem Wissen und nicht-standardisierbarer fallspezifischer Intervention im Arbeitsbündnis bestehende therapeutische Expertise zu den zentralen Bedingungen der Aufrechterhaltung gesell- schaftlichen Lebens gehört. Sie tritt immer dann in Aktion, wenn die au- tonome Lebenspraxis in der ihr abgeforderten selbständigen Krisenbewäl- tigung durch Krankheit beeinträchtigt ist. Das gilt gewissermaßen zu allen Zeiten. Historisch dynamisiert verschärft sich die Notwendigkeit einer solchen professionalisierten Hilfe in dem Maße, in dem das sie fundieren- de Wissen sich kumulativ entwickelt und die darin verkörperte Problem- lösungsrationalität durch ihre Überlegenheit über das Laienwissen als sol- che eine relative Hilfsbedürftigkeit gewissermaßen sekundär verschärft. Wir nennen diesen Funktionsbereich professionalisierter Praxis den Focus der Erzeugung und Aufrechterhaltung einer somato-psycho-sozialen In- tegrität der partikularen Lebenspraxis. In Opposition dazu steht ein zweiter Focus, der ebenso zentral für die Aufrechterhaltung gesellschaftlichen Lebens ist: die Erzeugung und Ge- währleistung von Gerechtigkeit in der professionalisierten Rechtspflege. Die professionalisierungsbedürftige Interventionspraxis ergibt sich hier daraus, daß bei einem schon eingetretenen Gesetzesbruch oder bei einer Strittigkeit über das, was Recht ist, die miteinander in Streit liegenden Parteien mit ihren eigenen, primären Einigungspotentialen die konsen- suelle Geltung von Recht nicht mehr wiederherstellen können und dazu eines mediativen Verfahrens bedürfen, das von der Rechtsgemeinschaft eingesetzt wird. Der direkte Klient dieser professionalisierten Praxis ist die Rechtsgemeinschaft, die mit einem souveränen Herrschaftsverband als einer kollektiven Lebenspraxis identisch ist und von einer jeden parti- kularen Lebenspraxis als Schutzgemeinschaft vorausgesetzt wird, in der sie als ganze Person bzw. als Totalität aufgehoben ist. Die partikulare Le- benspraxis ist jeweils aus der Verfahrenslogik als ganzer abgeleitet der

26 die hochschule 1/2005 mittelbare konkrete Klient von verfahrensbeteiligten Professionsangehö- rigen. In diesen beiden Foci richtet sich die professionalisierungsbedürftige interventionspraktische Expertise jeweils an konkrete Klienten, von de- nen sie auch direkt oder indirekt honoriert wird. Die Institutionalisierung dieser Expertise setzt ein methodisch bewährtes Wissen, bestehend aus theoretisch-explanativen Argumenten einer Erfahrungswissenschaft, nor- mativen Rechtfertigungen, aus Methoden und Praktiken, voraus. Aus dieser Wissensfundierung ergibt sich das Folgeproblem, daß die Geltung des Wissens als solche zu einem Problem wird. Sie muß in dem Maße, in dem sich das Wissen aufgrund der immanenten Dynamik der Wissensakkumulation differenziert, methodisch explizit nachprüfbar ge- sichert sein und kann ihrerseits gerade aufgrund der methodischen Nach- prüfbarkeit jederzeit in Geltungskrisen geraten, so daß die Erzeugung und die Gewährleistung der Geltung von Wissen angesichts dieser Krisendro- hungen ihrerseits zu einem eigenen Problem der Expertise werden. Dies konstituiert den dritten Focus der stellvertretenden Bewältigung von Geltungskrisen, um den es in unserem Thema geht. Sicherlich be- ginnt diese Entwicklung historisch mit magischen und rituellen Errich- tungen der Geltung von Wissen, die von der Ausübung einer klientenbe- zogenen Intervention noch nicht getrennt sind. Erst mit der Institutionali- sierung der Erfahrungswissenschaften im 17. Jh. liegt eine unwiderrufba- re, deutliche Trennung der methodischen Geltungsüberprüfung des Erfah- rungswissens in Gestalt eines autonomen Wissenschaftsbetriebs der Grundlagenforschung von der Ausbildung und Ausübung von klienten- bezogenen Professionen vor, die dann um 1800 zu einer grundlegenden Veränderung der Universitäten führt und die ständische Ausprägung der Professionen auf eine universalistische erfahrungswissenschaftliche Basis stellt. Erst mit dieser Trennung werden die Professionen des dritten Focus institutionalisiert. Für das wissenschaftliche Handeln ist ein konkreter Klient nicht mehr nachweisbar. Läßt sich dennoch, d.h. trotz dieser Abstraktion vom kon- kreten Klienten, die Prämisse der stellvertretenden Krisenbewältigung auf sie anwenden und wenn ja, wessen Krisen werden dann stellvertretend bewältigt? Das soll im folgenden näher untersucht werden. Der Klient der Wissenschaft ist letztlich die Gesellschaft in ihrer To- talität. Aber beginnen wir zunächst damit, Wissenschaft als Krisenbewäl- tigung zu bestimmen. Wir haben gesehen, daß die Autonomie von Wis-

die hochschule 1/2005 27 senschaft erst dort beginnt, wo sie nicht nur die Fragen und Probleme, al- so die Krisen untersucht und behandelt, die eine scheiternde Praxis an sie heranträgt, sondern darüber hinaus gerade auch das in Frage stellt, also in den Modus der Krise rückt, wovon die Praxis problemlos überzeugt ist und was sie wie selbstverständlich für geltendes Erfahrungswissen hält. Wissenschaft beginnt also autonome und systematische Wissenschaft erst dann zu sein, wenn sie wie selbstverständlich gewissermaßen künstlich in Zweifel zieht, was der Praxis nicht fraglich ist. Wissenschaft simuliert al- so systematisch Krisen, sie verwandelt ohne Not durch Bezweiflung Rou- tinen in Krisen und erzeugt paradoxal genau dadurch sich bewährendes Wissen. Der forschungslogische Fallibilismus ist in dieser Sicht nichts anderes als die systematische Erzeugung von Krisen in Relation zu einem vermeintlich bewährten Wissen. Und dieser Fallibilismus simuliert die realen Krisen des Scheiterns im wirklichen Leben, indem er systematisch gedankenexperimentell die logisch möglichen Bedingungen der Falsifika- tion konstruiert und dann experimentell oder recherchierend empirisch mit allen Kräften zu realisieren trachtet. Genau dadurch erzeugt er seine enorme rationalisierende Kraft für die Gestaltung der Zukunft der Gesell- schaft. Denn er erspart damit der Praxis das naturwüchsige folgenreiche Scheitern von Überzeugungen, das mit der Erzeugung großen Leids und hoher Kosten verbunden wäre. Man veranschauliche sich, wie viele Kos- ten und Gefahren erspart werden konnten, wenn durch experimentelle Überprüfung von Hypothesen bzw. durch eine theoretische Zusammen- fassung von „trial and error“-Bemühungen der Einsturz eines Gewölbes in der Zeit der Romanik verhindert werden konnte. Die Krisen, die die wissenschaftliche Forschung bewältigt, sind also nicht primär die Krisen einer bestimmten, konkret umschriebenen Ge- meinschaft oder gesellschaftlichen Praxis, sondern die Krisen der zukünf- tigen Menschheit überhaupt. Der Klient der wissenschaftlichen For- schung ist demnach diese zukünftige Menschheit. Indem die Wissen- schaft sich der Bewältigung dieser Krisen widmet und damit ein mögli- ches tatsächliches praktisches Scheitern in der Zukunft in der erheblichen Ersparnis der Simulation vorwegnimmt, erfüllt sie die Logik eines Gene- rationenvertrages, an dem jeweils die alimentierende konkrete politische Vergemeinschaftung ihrerseits stellvertretend teilhat. Die Praxis des Ar- beitsbündnisses nimmt die professionalisierte Wissenschaft in dieser Lo- gik des Generationsvertrages abstrakt in der Gestalt einer autonomen Öf- fentlichkeit an, in der sich – reguliert durch die universalistische Logik

28 die hochschule 1/2005 des besseren Argumentes – die Forschungsergebnisse und Erkenntnisse der Wissenschaft unter dem Gesichtspunkt praktischer Entscheidungen politisch und kulturell übersetzen.

Schaubild 3: Die drei Funktionsfoci der Professionalisierung dominan- Erfah- Funktions- zentrale Klient ter rungs- fokus Praxisform Krisentyp modus somato- partikulare Arbeitsbünd- traumati- Natur- und (1) psycho-soziale Lebens- nis sche Krise Leiberfah- Integrität praxis rungen Recht und Ge- Rechtsge- Verfahren Entschei- religiöse rechtigkeit meinschaft nach formalra- dungskrise Erfahrung (2) tionalen Re- geln methodisch ex- universe of methodische Krise durch ästhetische plizite Gel- discourse Kritik in herr- Muße Erfahrung tungsüberprü- (vertreten schaftsfreiem fung in begriff- durch sou- Diskurs (Lo- licher und sinn- veräne gik des besse- (3) licher Erkennt- Rechtsge- ren Argu- nis (Wissen- meinschaft) ments und schaft und Suggestivität Kunst) der sinnlichen Präsenz)

Damit ist auch gesagt, daß die Wissenschaft diese Funktion der stellver- tretenden Krisenbewältigung selbstverständlich nur als Forschung erfüllt. Professionalisierungsbedürftig ist das wissenschaftliche Handeln also in ihrem Kern als Forschung, der die Lehre nachgeordnet ist. Forschung tas- tet sich bewußt auf der Folie bewährten Wissens ins Ungewisse vor. Das geschieht grundsätzlich eingespannt zwischen zwei Pole. Auf der einen Seite stellt sie in künstlicher Naivetät Fragen an das selbstverständlich praktisch Gewußte und sucht nach Erklärungen. Auf der anderen Seite setzt sie die dabei gewonnenen und zu Hypothesen transformierten Über- zeugungen systematischen und methodisch kontrollierten Falsifikations- versuchen aus, in denen sich das hypothetisch Konstruierte bewähren muß analog zum Bewährungsprozeß der tatsächlichen Lebenspraxis.

die hochschule 1/2005 29 VI. Die Fundierung des Forschungshabitus in der ästhetischen Erfahrung

Entsprechend läßt sich Forschung als ein in sich widersprüchliches Zu- sammenspiel von standardisierten Methoden, Techniken und theoreti- schen Wissenselementen einerseits und nicht-standardisierbaren Kompo- nenten des Erahnens, der Gestalterfassung und der erfahrungsgesättigten Strukturerkenntnis andererseits fassen. Das Argument der Nicht-Stan- dardisierbarkeit impliziert hier, daß die Verfügung über diese Komponen- te eine Funktion der konkreten Totalität der Person des Forschers mit ih- rer unverwechselbaren Lebensgeschichte ist und als solche ohne Rest in der Erfahrung einer anderen rollenidentischen Person nicht aufgeht. Weil das theoretisch so schwer zu fassen ist, erlaube ich mir hier ausnahmswei- se die Veranschaulichungshilfe aus unserem empirischen Fallmaterial: Ein fraglos zur Weltspitze der biologischen Grundlagenforschung zu zäh- lender Wissenschaftler führt in einem unserer Interviews an einer Stelle, an der es um die Differenz zwischen den zäh in der risikobehafteten Laufbahn der öffentlich finanzierten Grundlagenforscher verbleibenden und den in die Industrieforschung abwandernden Wissenschaftlern geht, das Folgende aus: „W: Ach die meisten, die in die Industrieforschung gehen, müssen ja dann überhaupt nicht mehr denken, äh, ich mein, das ist ja der Grund, warum se reingehen, äh, und das .., die Verantwortung auch auf andere Schultern zu le- gen. Also ich glaube, ... ich kenne en paar Leute, die sind in die Industrie ge- gangen, weil se halt einfach zu frustriert waren. Ich mein, der, der ganze Job ist natürlich, das ham wir bisher noch gar nicht diskutiert, ist natürlich dahin- gehend sehr sehr kritisch, daß man sehr sehr lange auf nicht permanenten Stellen sitzt. Das wissen Sie ja selber auch, ähm, .... ja, das Risiko ist sehr sehr lange da, ist sehr sehr hoch und ich kenn also Leute, die sehr weit fortge- schritten waren, und waren dann trotzdem nur zweiter Sieger, obwohl sie gute Sachen gemacht haben, und die sind vor lauter Frust in die Industrie gegan- gen, aber im Großen und Ganzen sind es doch die Typen, die, ähm, hervorra- gende Wissenschaftler sind, aber die einfach diesen philosophischen Bezug nicht haben, und die das wirklich dann als Job machen, das sind nicht die schlechteren Biologen, das ist, oder Chemiker, das ist schon ganz klar, aber, ähm, die driften dann einfach dahingehend ab und sagen, ach ja, ich mach das jetzt, also ich habe zum Beispiel den besten molekularbiologischen Techni- ker, den ich hatte, das war ein holländischer Post-Doc, der dann nach drei Jahren, .. der hat das Projekt wunderbar gemacht, hatte auch ein Wissen, äh, ohne das wir dieses Projekt nicht hätten machen können, also ein hervorra- gender Mann, aber der philosophische Bezug, der war einfach nicht da, ja, der spulte das Programm ab, das war also alles wunderbar, mit einer riesigen, äh, mit einem riesigen Enthusiasmus auch und Liebe zum Detail, ähm, und der

30 die hochschule 1/2005 arbeitete auch seine 12 Stunden täglich, das war alles nicht der Punkt, aber der, ..der Bezug, zum, .. zur philosophischen Grundfragestellung, der war ein- fach nicht da, und, äh, dementsprechend äh, ist er dann in die Industrie ge- gangen, war glaub ich vielleicht auch ne richtige Entscheidung. I: Ja, könnten wir das vielleicht noch mal ein bißchen, äh, äh, klären, also, was sie mit dem, ...weil das Wort ja jetzt schon en paar Mal gefallen ist, der philosophische Bezug... W: Der philosophische Bezug ist, ja, natürlich die Natur draußen, ja, ich mein, wir sind ja alle Reduktionisten par excellence, ja ich meine wir küm- mern uns da um irgendwelche Moleküle oder Aminosäuren oder Nukleinsäu- ren in nem riesigen Molekül, aber, ähm, das Ganze ist natürlich Bestandteil eines riesigen biologischen Systems und wir wollen in Wirklichkeit ja dieses biologische System verstehen....Meine philosophische Grundfrage ist zu ver- stehen, warum das Leben so formenvielfältig ist, wie es wirklich ist. Und wie das auf all den verschiedenen hierarchischen Ebenen wirklich zusammen- spielt von der molekularen Ebene bis zur morphologischen.“

Die Faszination durch die Formenvielfalt des Lebens ist letztlich für die- sen Forscher der Erfahrungsgrund für die Präsenz eines „philosophischen Bezugspunkts“ seines Forschens, in dem er andererseits mit aller Radika- lität zu einer, wie er sich ausdrückt, „mechanistischen“ Erklärung gelan- gen will, d.h. zu einer vollständigen Auflösung des Rätsels der Art, daß er lückenlos in einer Eins-zu Eins-Entsprechung zwischen genomanalytisch nachgewiesenem Gen und Expression einer einzelnen Körperzelle der von ihm als System bzw. Modell gewählten Tiergattung den Gang der Evolu- tion nachzeichnen kann. Mit der Bewunderung für die Formenvielfalt des Lebens hatte aber sein unwiderstehliches Interesse für die Biologie be- gonnen, so als ob dahinter eine Ur-Szene der Erweckung stehen müßte. Dem in diesem biographischen Erfahrungshintergrund liegenden, als „philosophisch“ bezeichneten, d.h. zugleich als unwägbar und als Totali- tätskonfiguration empfundenen Bezugspunkt des Forschens entspricht letztlich ein ästhetisches Erleben der Formenvielfalt des Lebens, das zu genauem, selbstvergessenen Beobachten anhält. Dieser Erfahrungsgrund, mit dem der innere Beruf dieses Wissenschaftlers schon in der Pubertät, also in der Bewältigung der Adoleszenzkrise, nach der man sich dem Be- währungsproblem des Lebens verbindlich stellen muß, begann, begleitet ihn bis heute. Spuren davon lassen sich in allen unseren Interviews mit Grundlagenforschern nachweisen. Immer bestimmt ihren Beruf, der häu- fig von einer extremen Einsamkeit des Spezialisten begleitet ist, der über seine Krisen im Forschungsprozeß nur mit ganz, ganz wenigen Kollegen verständnisvoll reden kann, und der in der Phase der Beendigung des die hochschule 1/2005 31 zweiten Buches zudem in eine extreme Unsicherheit seiner Karriere- Zukunft geraten kann, als Grundmotiv der Drang, die aus einem künstlich naiven Fragen resultierenden Rätsel zu lösen; dahinter zu kommen, wa- rum etwas so funktioniert, wie es funktioniert. Und fast immer läßt sich aus den Interviews eine biographische Ur-Szene herauslesen, in der dieses Fragen erweckt wurde. Das verweist auf eine Analogie zur kindlichen Neugierde, an die im Forschen unter der Bedingung der hoch sophistizierten methodisierten Kontrolle wieder angeschlossen wird. Die kindliche Weise der Welter- schließung und Weltaneignung vollzieht sich aber im Modus der ästheti- schen Erfahrung, der das zugrundeliegt, was ich Krise durch Muße ge- nannt habe. Gemeint ist damit das Folgende: Dem Menschen ist es möglich, die Wahrnehmung als selbstgenügsames vollständiges Handeln um ihrer selbst willen durchzuführen, also die in ein zweckvolles Handeln einge- paßte Phase der Wahrnehmung zu verselbständigen. Genau das ist Muße: etwas, einen Gegenstand oder einen Prozeß, um seiner selbst willen wahrnehmen. Je länger und intensiver man das tut, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß man Merkmale und Eigenschaften entdeckt, die man noch nie zur Kenntnis genommen hat. Man wird also in die Krise des Unvorhergesehen und Unerwarteten gestürzt, und es setzt dann sofort der Mechanismus ein, den man als das Prinzip umschreiben kann: „Man kann nicht nicht reagieren“ auf das, was neu, überraschend und fremd ist. Die Fundierung des Forschungshabitus in der ästhetischen Erfahrung, vor allem hinsichtlich des erahnenden Sich-Vortastens in die Regionen des Unbekannten, bringt auch die Notwendigkeit hervor, die technisch und methodisch hoch spezialisierte Konzentration auf spezifische Ge- genstandsprobleme der Forschung mit einer sehr allgemeinen, syntheti- sierenden, weit über die Fachgrenzen hinausgreifenden Theoriesprache paaren zu müssen. In der Humboldt`schen Universität entsprach dem die Einbettung der Fächerspezialisierung in die Einheit stiftende Begrifflich- keit der Philosophie. Der biologische Forscher unseres Beispiels legt, oh- ne daß er je Humboldt dazu systematisch sich angeeignet hätte, davon spontan und naturwüchsig ein instruktives Zeugnis in seinen Interview- Äußerungen an anderer Stelle ab. Wir können also das wissenschaftliche Forschen in den Modus der äs- thetischen Erfahrung einrücken bzw. es auf das Fundament dieses Erfah- rungsmodus stellen. Dem entspricht die Entbindung vom unmittelbaren

32 die hochschule 1/2005 Handlungsdruck der Praxis, die die Forschung in Anspruch nehmen muß, um stellvertretende Krisenbewältigung betreiben zu können. Ganz leise nebenbei: Es zeigt sich hier, daß die von Habermas ins Zentrum seiner berühmten Schrift „Erkenntnis und Interesse“ gestellte These, die Natur- wissenschaften seien aus dem Funktionskreis instrumentellen Handelns hervorgegangen, eine kurzschlüssige Zusammenziehung der Koinzidenz von puritanischem Utilitarismus und Entstehen der experimentellen Wis- senschaften in England und wahrscheinlich ganz falsch ist. Das gerade Gegenteil: der Modus der ästhetischen Erfahrung, ist der Mutterboden für die Entstehung dieser Wissenschaften. Für Robert Boyle habe ich das gemeinsam mit Peter Münte in einer exemplarischen Fallanalyse nach- weisen können (Münte/Oevermann 2002).

VII. Drei Krisentypen in ihrem Verhältnis zu den drei Foci der professionalisierten Praxis

Grundsätzlich können wir zwischen drei Krisentypen unterscheiden, de- nen wir vier Modi der – naturgemäß in sich krisenhaften – Konstitution von Erfahrung zuordnen können: 1. Die traumatische Krise des schmerzhaften oder ekstatisch-glückhaften Überrascht-Werdens durch dramatische Vorgänge in der äußeren oder inneren Umwelt der Lebenspraxis. Dieser Krise durch „brute facts“ kann die Konstitution der Natur- und der Leiberfahrung zugeordnet werden. Diese Paarung ist dominant für den ersten Focus der stellver- tretenden Krisenbewältigung im Bereich der Aufrechterhaltung der somato-psycho-sozialen Integrität. 2. Davon läßt sich scharf die Krise unterscheiden, die dadurch entsteht, daß wir uns zwischen den sich ausschließenden Möglichkeiten einer hypothetisch konstruierten Zukunft entscheiden müssen, ohne daß wir routinisierte Präferenzen zur Verfügung haben. Hier gilt der Grund- satz, daß man sich nicht nicht entscheiden kann, auch und gerade dann nicht, wenn man keine eindeutige Berechnungsgrundlage zur Verfügung hat. In die ungewisse, offene Zukunft, in die hinein man sich entscheiden muß, ist die unaufhebbare Verpflichtung zur Be- gründung dieser Entscheidung nur aufgeschoben. Diese Zukunft wird also erweisen, ob sich die Entscheidung bewährt. Der Entscheidungs- krise entspricht die Konstitution der religiösen Erfahrung, insofern

die hochschule 1/2005 33 diese als der Modus der sittlichen Bewährung der autonomen Lebens- praxis zu gelten hat. Diese Paarung von Krise und Erfahrung ist do- minant für den Focus der Aufrechterhaltung von Gerechtigkeit. 3. Schließlich können wir die schon bekannte Krise durch Muße, der die Konstitution der ästhetischen Erfahrung entspricht, dem Focus der Aufrechthaltung von Geltungsansprüchen zuordnen, also dem Bereich von Wissenschaft und Kunst als Beruf. Diese professionalisierungstheoretische Modellbildung ist folgenreich für die Einschätzung der institutionellen Bedingungen von Wissenschaft. Sie besagt, daß der innere Beruf zur Wissenschaft sich gesteigert in der Krise als Normalfall bewegt, entsprechend die Krisenlösungen eine Funktion des Operierens des Forschers als ganzen Menschen darstellen, die dann, wenn dessen grundsätzlich nicht standardisierbare Komponenten getilgt oder mißachtet würden, denaturiert würde. Sie impliziert des weiteren, daß das Forschen das Zentrum von Wissenschaft als Beruf darstellt, aus dem aber gerade wegen seiner nicht-standardisierbaren Anteile wie selbstverständlich die Verpflichtung zur Lehre sich ergibt im Sinne der Einsozialisation bzw. Professionalisierung der Novizen in den inneren Beruf. Daraus erwächst zwingend die Anforderung der Einheit von For- schung und Lehre, in der gleichwohl die Logik der Forschung das führen- de Prinzip ist. Diese Logik der Forschung ist in sich nicht etwa, wie viele philoso- phische Wissenschaftshistoriker meinen, allein ein analytisch wahres oder normativ zweckmäßiges Modell des Schließens, das der forschende Wissenschaftler zu befolgen hat, sondern sie kann nur aufgefaßt werden als die Rekonstruktion einer Habitusformation des Forschens, die sich sukzessive in der forschenden Auseinandersetzung mit Ausschnitten der erfahrbaren Welt gebunden an die Biographie des Forschers bildet und im Sinne eines Passungsverhältnisses zur gesetzmäßigen Strukturiertheit der gegenständlichen Welt mit anderen Perspektiven oder Biographien kon- vergiert. Forschungshabitus und Logik der Forschung sind also nur zwei verschiedene Explikationsstufen derselben Handlungslogik. Krisenhaft ist das Forschen aber noch in zwei weiteren Hinsichten. Methodologisch vollzieht sich die Geltungsüberprüfung in der Logik des besseren Argumentes, also in einer Logik, die aus dem Dialog von Pro- position und Opposition hervorgeht. Jede Konjektur fordert zu ihrer Überprüfung sofort ein kritisches Gegenargument heraus. Es muß nicht

34 die hochschule 1/2005 von einem Opponenten geliefert werden, der kompetente Forscher sucht wie von selbst nach ihm. Jeder Forscher muß also seine Hypothese durch Gegenargumente und durch Falsifikation einzureißen versuchen. Das meinte Max Weber, wenn er davon sprach, daß das wissenschaftliche Forschen dem Leben inhaltlich einen Sinn nicht verleihen kann, weil es auf Zerstörung aus ist statt auf Erfüllung. Auf der anderen Seite macht es wenig Sinn, Hypothesen ernsthaften Falsifikationen auszusetzen, von de- nen man ohnehin nicht überzeugt ist. Es wäre dann viel aufschlußreicher, die Annahmen systematisch zu falsifizieren, die einen dazu bringen, jene Hypothesen von vornherein zu bezweifeln. Es lohnt sich also nur, solche Hypothesen zum Scheitern zu bringen, von denen man zunächst zutiefst überzeugt ist. Das kann dazu führen, daß man lange Jahre auf eine Über- zeugung setzt und sie nach allen Seiten auslotet, um dann am Ende fest- zustellen zu müssen, daß man auf das falsche Pferd gesetzt hat. Diese schwere Niederlage, die dem Forscher immer droht, hat dennoch für die wissenschaftliche Entwicklung ihren Sinn, weil sie instruktiv das Schei- tern ausgetestet und protokolliert hat. Damit hängt des weiteren die Permanenz der Krise fehlender Aner- kennung zusammen, mit der sich der Forscher allein schon deshalb ab- finden muß, weil selbst dann, wenn seine Forschungsleistungen fraglos zukunftsbedeutsam sein werden, sie nur selten von jener Öffentlichkeit, mit der er als Forscher ein abstraktes Arbeitsbündnis unterhält, entspre- chend gewürdigt werden.

VIII. Die institutionellen Konsequenzen des professionalisierten Forschungshabitus

Mit der Explikation dieser Strukturlogik und –dynamik des professionali- sierten wissenschaftlichen Handelns haben wir Wissenschaft als inneren Beruf behandelt und damit zugleich die Triebfeder für den historischen Prozeß einer Professionalisierung „von unten“. Dieser Prozeß bringt sei- nerseits die institutionelle Erscheinungsweise von Wissenschaft und da- mit Wissenschaft als äußeren Beruf hervor. Eine Leistung und ein Test dieser Professionalisierungstheorie besteht entsprechend darin, wie gut sie die historische Entwicklung der Institutionen von Wissenschaft deuten kann. Es wäre wenig plausibel, wenn die institutionelle Entwicklung von Wissenschaft mit Einrichtungen der reinen Forschung begänne. Vielmehr

die hochschule 1/2005 35 setzt die Entwicklung mit Philosophen- und Rhetorenschulen ein und setzt sich in den christlichen Ordenseinrichtungen fort. Die okzidentale Entwicklung der wissenschaftlichen Institutionen beginnt bekanntlich im 13. Jahrhundert mit den Universitäten, die sich zunächst um die Ausbil- dung der drei klassischen Professionen von Juristen, Medizinern und Theologen auf der Basis des allgemeinen Studiums der „artes liberales“ kristallisieren. Erste spezifische erfahrungswissenschaftliche Forschun- gen bilden sich weitgehend außerhalb dieser Universitäten unter dem Mäzenatentum der fürstlichen Akademien der Renaissance aus und sind nach dem Muster, daß „gentlemen Geld haben, um arbeiten zu können und nicht arbeiten müssen, um Geld zu haben“, an die zu fördernde oder vermögende Einzelpersönlichkeit gebunden. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert entwickeln sich daraus auf der geistigen Grundlage des „Ba- conianistischen“ Experimentalismus die nationalen Akademien als Stät- ten einer nunmehr institutionalisierten erfahrungswissenschaftlichen For- schung. Die Royal Society mit Robert Boyle als einer zentralen Figur wird zur historisch ersten Einrichtung einer auf expliziten Regeln des Forschens beruhenden Wissenschaft. Diese Institutionalisierung von Wis- senschaft geht auf die Vergemeinschaftung interessierter Geistesaristo- kraten zurück, die sich weitgehend selbst finanzieren und in ihrer fakti- schen Autonomie die Herrschaft lediglich zur Sanktionierung als Rechts- subjekt in Anspruch nehmen, so daß von Patronage im strengen Sinne nicht mehr die Rede sein kann. An ihre Stelle tritt die Legitimation der erfahrungswissenschaftlichen Forschung durch den Souverän. Davon bleibt die Universitätsentwicklung bis zur Mitte des 18. Jh. häufig unberührt. Erst um 1800 erfolgt die große Zäsur der Wissen- schaftsentwicklung. In der Humboldt`schen Universität von 1810 wird die erfahrungswissenschaftliche Forschung in der neuen Philosophischen Fakultät als eigenständige wissenschaftliche Praxis eingerichtet unabhän- gig von den nach wie vor bestehenden klassischen Fakultäten für Medi- zin, Jura und Theologie. Sie ist in der Tat das Ergebnis einer Professiona- lisierung „von oben“, wie sie sich immer vollziehen muß in der Instituti- onalisierung des „äußeren Berufs zur Wissenschaft“. Signifikant ist an diesem Prozeß, daß die Einheit dieser Philosophischen Faktultät sich um den inneren Beruf zur Erfahrungswissenschaft und ihrer autonomen For- schung und als dessen Gehäuse konstitutiert und nicht um spezifische Gegenstände der Forschung. Die naturwissenschaftliche Forschung wird nicht der Medizinischen Fakultät zugeordnet, obwohl ihr Gegenstand dort

36 die hochschule 1/2005 schon immer thematisch war und die rechtsgeschichtliche, historische und ästhetische Forschung wird nicht der Juristischen und/oder Theologi- schen Fakultät zugewiesen. Vielmehr ist jegliche erfahrungswissenschaft- liche Forschung als solche in dieser neuen Fakultät beheimatet, die äußer- lich die ehemaligen „artes liberales“ fortsetzt, aber nunmehr im Prestige von der Basis an die Spitze hebt. Erst sehr viel später, wenn diese Fakul- tät durch ihre Habilitationen ständig neue Fächer ausdifferenziert hat und viel zu groß geworden ist, teilt sie sich nach Zweckmäßigkeitsgesichts- punkten der Haushaltsführung und Verwaltung in die naturwissenschaft- liche Fakultät hier und geisteswissenschaftliche Fakultät dort. Später kommt hier und da noch die staatswissenschaftliche und/oder wirt- schaftswissenschaftliche Fakultät hinzu. Entscheidend ist an diesem Pro- zeß zum einen, daß die Einheit der Philosophischen Fakultät sich aus dem inneren Beruf des erfahrungswissenschaftlichen Forschens in seiner Ei- genlogik ergibt, das naturgemäß mit den klassischen naturwissenschaftli- chen Disziplinen beginnt, aber recht schnell um die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sich erweitert, wohingegen die klassischen Profes- sionen, die zum Anlaß für die Gründung von Universitäten wurden, in ih- ren überkommenen Fakultäten beheimatet bleiben. Aber die historische Entwicklung der Professionen ändert sich mit dieser Entwicklung von Grund auf. Auf der Basis der sich im 19. Jh. schnell entwickelnden Erfahrungswissenschaften erhalten sie eine neue Grundlage eines im methodisierten systematischen Forschen sich bewäh- renden Wissens. Es kommt damit zur deutlichen Trennung zwischen ei- ner auf konkrete Klienten bezogenen professionalisierten Praxis in den beiden ersten Foci und einer Professionalisierung wissenschaftlichen For- schens im Focus „Herstellung und Aufrechterhaltung der methodisierten Geltung von Wissen“. Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie sich die Theologie ein- ordnen läßt. Die pastorale Theologie ist solange eine klientenorientierte Profession, so lange die christliche Glaubensgemeinschaft flächende- ckend mit dem gesellschaftlichen Leben als Ganzem deckungsgleich ist. Sobald das mit der Säkularisierung von Herrschaftslegitimation im Nati- onalstaat, der aus der Französischen Revolution hervorgeht, nicht mehr selbstverständlich ist, wird auch die Professionalisierung der Pastoral- theologie brüchig und zwar schlicht deshalb, weil die Bewältigung von Glaubenskrisen nicht mehr eine universalistische Problemstellung in der gesellschaftlichen Ordnung beanspruchen kann. Im Unterschied zur The-

die hochschule 1/2005 37 rapie kann die pastorale Betreuung des Umgangs mit der Sündhaftigkeit des Menschen sich nicht auf eine fallspezifische Autonomiebeeinträchti- gung berufen wie der Therapeut hinsichtlich der Krankheitssymptome. Die Erbsünde als Krankheit zu deuten, wäre in sich blasphemisch, sie ist viel mehr konstitutiv für den Menschen und deshalb auch nicht eine Kri- se. Entsprechend muß man die Pastoraltheologie als ein vormodernes Gehäuse für eine Profession oder für Professionen deuten, an deren Stelle später die Sozialarbeit und die ambulante Pflege treten. 1660 geht mit der Gründung der Royal Society aus einer Gemein- schaft von gleichberechtigten vermögenden „gentlemen“ die Institutiona- lisierung des inneren Berufs der Wissenschaft hervor, dessen innerster Kern im erfahrungswissenschaftlichen Forschen besteht, das sich aus der methodisch expliziten Konfrontation mit Erfahrungsdaten und der Über- prüfung der logischen Konsistenz von theoretischen Argumenten zu- sammensetzt. Mit dieser Institutionalisierung kommt es zur überpersönli- chen, normierten Einheit von Forschungslogik und Forschungshabitus, wie zuvor herausgearbeitet. Die Humboldt-Universität von 1810 über- nimmt diese Einheit als Programm einer Erziehung zu diesem inneren Beruf von Wissenschaft und erweitert sie zur Einheit von Forschung und Lehre. Dem inneren Beruf entspricht nun der äußere Beruf von Wissen- schaft in einem institutionalisierten Karrieremuster und vor allem in ei- nem institutionalisierten Weg der Sozialisation zum Wissenschaftler, der Professionalisierung des zukünftigen wissenschaftlichen Kollegen. Von da an wird der Student vom Schüler zum Kollegen und Novizen dieses Berufs. Der Student ist also in der Einheit von Forschung und Lehre Kol- lege und nicht Klient. Zu letzterem wird er – in dieses Verhältnis einge- bettet – dort, wo notwendigerweise das zugleich professionalisierende Studium mit Examensleistungen stufenweise abgeschlossen werden muß, die gleichzeitig Etappen der Initiierung in die Profession darstellen. Die- ser Klientenbezug erfordert seinerseits die Ausbildung von Arbeitsbünd- nissen stellvertretender Krisenbewältigung, deutlich ausgebildet z.B. in der „Betreuung“ von Doktoranden, deren wesentlicher Bestandteil die Unterstützung in der mit jeder ernsthaften Dissertation unvermeidlich verbundenen Krisenbewältigung ist. Von da an ist die Autonomie wissenschaftlichen Forschens als solche institutionalisiert und mit der Autonomie der sozialisierenden Professio- nalisierung des wissenschaftlichen Nachwuchses zur Einheit gebracht. Während zuvor an den Universitäten die in sich mehr oder weniger stän-

38 die hochschule 1/2005 dische Formation der klientenzentrierten Professionen in den drei über- kommenen Fakultäten den Maßstab setzte, wird nun die in der Philoso- phischen Fakultät zur Einheit gebrachte erfahrungswissenschaftliche Er- forschung welcher Gegenstände der erfahrbaren Welt auch immer zum Zentrum, an dem sich immer auch die Formation jener Professionen aus- richten muß. Damit wird die wissenschaftliche Forschung als solche zu einer professionalisierungsbedürftigen Praxis, durch deren Formations- phase auch jene Professionen hindurchgegangen sein müssen, die später außerhalb der Grundlagen- oder Anwendungsforschung in konkreten Pro- fessionen der stellvertretenden Krisenbewältigung für konkrete Klienten in der Forschung bewährtes Wissen zur Anwendung bringen. Die außer- halb der wissenschaftlichen Forschung tätigen konkret klientenbezogenen Professionen benötigen einen Forschungshabitus grundsätzlich allein deshalb schon, weil sie in der Lage sein müssen, die jederzeit mögliche Krise in der Anwendung standardisierten Wissens und standardisierter Praktiken ihrer Expertise in ihrer in sich routinisierten Praxis der stellver- tretenden Krisenbewältigung selbständig lösen zu können. Genau in die- ser Autonomie der gewissermaßen tertiären Krisenbewältigung unter- scheiden sich die Professionen strukturell von den Absolventen von Fachhochschulen. Die viel beschworene Einheit von Theorie bzw. Wissenschaft und Praxis vollzieht sich in der Praxis dieser klientenbezogenen Professionen, nicht im forschenden Wissenschaftsbetrieb. Dieser erhält seine Autono- mie genau dadurch, daß er zwar Fragen und Probleme der Praxis auf- nimmt, aber sich grundsätzlich die Errichtung von Fraglichkeiten unab- hängig von dieser Praxis vorbehält und genau dafür eine Alimentierung durch jene Praxis wie selbstverständlich erwarten darf. Die Einheit von Theorie und Praxis ist also nicht, wie einige Philosophen uns empfohlen haben, als eine erkenntnislogische zu konzipieren, sondern als eine in sich handlungslogische, die sich in den interventionspraktischen Profes- sionen der Sache nach vollzieht. Diese Professionen durchlaufen seit 1810 – idealtypisch gesehen – einen doppelten Professionalisierungspro- zeß: Zum einen den tradierten alten in der Aneignung einer handlungslo- gischen Kompetenz der Beherrschung der Strukturlogik und –dynamik des Arbeitsbündnisses mit der in der Krise befindlichen Lebenspraxis bzw. des Verfahrens über die Krisenlösung des gestörten Rechtszustan- des. Diese Professionalisierung vollzieht sich endgültig erst in der zwei- ten Ausbildungsphase dieser Studiengänge. Zum anderen geht ihnen –

die hochschule 1/2005 39 wenn auch im Vergleich zu den späteren Forschern abgekürzt – die Pro- fessionalisierung als forschender Wissenschaftler qua Einführung in die Wissenschaft als Beruf voraus, so daß jeder auf der Basis wissenschaftli- cher Erkenntnisse explizit beruflich Handelnde, auch derjenige, der später diese Erkenntnisse nicht interventionspraktisch, sondern ingenieurial an- wendet, durch diesen Prozess der Professionalisierung zur Wissenschaft als Beruf in der Einheit von Forschung und Lehre hindurchgegangen sein muß. Die Erziehung zur Wissenschaft wird damit im Paradigma der Ein- heit von Forschung und Lehre und der Polarität von Einsamkeit und Frei- heit gelehrten Forschens zu einer eigenlogischen, autonomen Veranstal- tung mit eigenen Gesetzen, zur Schaffung eines dem inneren Beruf zur Wissenschaft korrespondierenden äußeren Berufs in Gestalt von Studien- gang und akademischer, inneruniversitärer Karriere. Der Übergang vom Studium zum forschenden Lehren wird als innerer in gewisser Weise fließend, nur als äußerer durch Riten des Übergangs markiert. Am Ende dieses Ganges in der Ausbildung zum äußeren Beruf steht der Status des Professors, dem in der Gemeinschaft mit seinen Kollegen die Aufrechter- haltung der Einheit von Forschung und Lehre und der Autonomie der Grundlagenforschung obliegt. Von da an haben wir auch die institutionelle und vor allem funktionel- le Differenzierung von Universität und Fachhochschule vor uns, die sich historisch zunächst in den unterschiedlichen Wegen zeigt, die nach der Französischen. Revolution das französische und das deutsche Hoch- schulwesen gehen. Der große weltgeschichtliche Beitrag des verarmten Preußens ist so gesehen die Humboldtsche Universität als Heimstätte der Wissenschaft als Beruf.

IX. Kommentare zur gegenwärtigen Universitätsentwicklung

Es geht mir hier nicht darum, die strukturellen Einbußen zu beklagen, die am Bezugsmodell dieser von der Sache her erstaunlich robusten Hum- boldt-Universität zu verzeichnen sind, deren Abschaffung ja nicht nur von einem Bildungsminister der jüngsten Vergangenheit als Leistung der Poli- tik gepriesen worden ist. Worin diese Verluste bestehen, kann ja jeder selber leicht sich vergegenwärtigen. Ich möchte vielmehr einige mir wich- tig erscheinende, zum äußeren Beruf zur Wissenschaft als institutionellem

40 die hochschule 1/2005 Ausdruck des inneren Berufs gehörende Struktureigenschaften herausstel- len. Der Student ist vom ersten Semester an Kollege und nicht Schüler. Die berühmte Frage, wie lang die Hausarbeit oder das Referat sein muß, kann nur die Antwort bekommen: so kurz wie möglich und so lang wie nötig es die jeweilige Sache erfordert. Veranstaltungen des Grundstudi- ums müssen von den erfahrenen Forschern durchgeführt werden, wäh- rend der selbst im vom Professor zu verantwortenden Moratorium der unabhängigen, aber vor Überforderung in der Lehre zu schützenden For- schung befindliche Mittelbau-Angehörige mit Priorität die forschungsna- hen spezialisierten Veranstaltungen im Hauptstudium zu verantworten hätte, also in Umkehrung der Verhältnisse wie sie häufig, in gewisserma- ßen ständischer Abstufung, in den Geisteswissenschaften anzutreffen sind. Spätestens im Hauptstudium ist die Beteiligung an laborartigen For- schungszusammenhängen in der Durchführung realer Projekte und nicht die Ausbildung durch sandkastenartige Lehrprojekte wie selbstverständ- lich zu ermöglichen, denn nur in solchen realen, zukunftsoffenen, d.h. mit offenem Ausgang versehenen Problemlösungsprozessen auf der Grundla- ge einer gemeinsamen Datenbasis kann die Selbstverständlichkeit der Logik des besseren Argumentes unabhängig von den Statusunterschieden und außerhalb der Logik einer marktorientierten Kompetition als Be- standteil einer Hingabe an die Sache selbst erfahren werden, und nur so kann der Habitus des der regulativen Idee der Wahrheit wie selbstver- ständlich verpflichteten Forschens als Basis der Kollegialität angeeignet werden, die sich in bedingungsloser wechselseitiger Kritik in der Sequenz von Proposition und Opposition vollzieht. Sobald das als Praxis gesichert ist, prallen daran die viel berufenen Gefahren der Asymmetrie zwischen Lehrenden und Lernenden in der Lehre ab und müssen nicht künstlich durch die pädagogisierenden Inszenierungen einer Didaktik der Vertei- lung von Rederechten oder der empathischen Ermunterung abgebaut werden, die ohnehin für alle diejenigen unglaubwürdig sein müssen, die wie selbstverständlich die Studentin oder den Studenten vom ersten Se- mester an als ein erwachsenes autonomes Subjekt anerkennen, das sich auf der Basis des der Wissenschaft verpflichteten Eigeninteresses in ein kollegiales Arbeitsbündnis mit der oder dem Lehrenden hineinbegibt. In diesem Zusammenhang ist die in der aktuellen Diskussion seit der Bologna-Deklaration befindliche Empfehlung der Übernahme von BA- und MA-Abschlüssen zu betrachten. Es ist diese Empfehlung ja weniger

die hochschule 1/2005 41 aus sachlichen Reformerwägungen gespeist als aus Zwängen der Anglei- chung internationaler Differenzen. Das Schlimmste was uns passieren könnte, wäre ein Entfernung der Einheit von Forschung und Lehre aus dem Bachelor-Studium zugunsten einer in sich höchst zweifelhaften Kurzstudiums-Qualifikation für irgendwelche ohnehin nicht greifbaren Berufspraxen. Eine modularisiert erst danach erfolgende Einführung in die Wissenschaft als Beruf wäre dann nur noch aufgesetzt und käme zu spät. Die Einführung eines BA-Abschlusses ist für das deutsche Bil- dungssystem mit seinem Abitur ohnehin problematisch, denn sinnvoll ist er nur unter der Voraussetzung, daß eine generalisierte Studierfähigkeit für eine Professionalisierung in den Wissenschaften überhaupt erst er- worben werden soll, was in der deutschen Tradition ja mit dem Abitur geschehen sein sollte, aber tatsächlich immer weniger geschieht. Wenn man also den Bachelor einführt, dann müßte man konsequenterweise auch die vorausgehende Schulbildung nicht nur auf 12, sondern sogar 11 oder gar 10 Jahre beschränken und daran das Bachelor-Studium anhän- gen. Man hätte dann die Logik des angelsächsischen Systems vollständig dem Sinne nach übernommen und die Chance der Aufrechterhaltung der Humboldt-Universität erhalten. Aber bei Aufrechterhaltung des jetzigen Abiturs führt der BA nur zur Verwässerung des Universitätsstudiums und zur Verstärkung der Tendenz der Verfachhochschulung der Universitä- ten. Entweder dient der Bachelor dem Erwerb der Studierfähigkeit im Sinne des Eintritts in den Prozeß der Professionalisierung, dann muß das Abitur zu einer Art High-School-Abschluß degradiert werden, oder man behält das Abitur als Hochschuleingangsprüfung bei, möglichst verstärkt durch eine Art Oberstufenkolleg, und beläßt es bei einer Zwischenprü- fung an der Schwelle zwischen Grund- und Hauptstudium. Den MA ein- zuführen, dürfte unabhängig davon insofern keine Probleme machen, als man dadurch die Diplom- und Magisterabschlüsse vereinheitlichen könn- te. Man sollte aber entgegen einer verselbständigten Modularisierungslo- gik die Verwurzelung in einer Fachtradition und -systematik beibehalten, weil sachhaltige interdisziplinäre Forschung am besten gedeiht, wenn ihr eine exemplarische fachspezifische Konstitution des Forschungsgegens- tandes jeweils aus den beteiligten Disziplinen zugrunde liegt. Wichtig ist natürlich, daß wie auch immer diese Frage in Zukunft be- antwortet wird, die Universitäten spätestens beim Eingang zu einem MA- Studiengang, also spätestens beim Eingang in die Professionalisierungs- phase, sich ihre Studenten nach Eignung selbst auswählen können müs-

42 die hochschule 1/2005 sen. Denn ohne diese Voraussetzung kann es keinen wirksamen Wettbe- werb um gute Studenten zwischen den Universitäten geben, und solange diese Wettbewerbsbedingungen nicht erfüllt sind, wirken sich alle ande- ren Wettbewerbs-Ansinnen: Drittmittel-Einwerbung, zu berufendes Per- sonal, Ausstattungen, als aufgesetzte Maßnahmen aus, die nur als Hebel einer technokratischen Fremdsteuerung mißbraucht werden können. Erst dann auch wird die Einführung von Zulassungsbeschränkungen jenseits einer immer letztlich sachfremden externen NC-Regelung plausibel gera- de im Interesse der Studenten und nicht gegen sie. Denn dann wird evi- dent, daß jeder Studienplatz in der Überlast eine Beeinträchtigung der Einheit von Forschung und Lehre bedeutet und damit eine Einbuße der Professionalisierungsqualität des Universitätsstudiums. In diesem Zusammenhang erweist sich auch die Weigerung der Uni- versität, ihre Funktionen der Bildung und Ausbildung an den Bedürfnis- sen des Arbeitsmarktes ausrichten zu sollen, keineswegs als weltfremd und gesellschaftsfeindlich. Die Aufgabe der Universität besteht primär darin, den Erkenntnisfortschritt durch Forschung zu befördern und gemäß dieser Funktion auszubilden. In dieser Einstellung qualifiziert sie nicht nur ihren eigenen Nachwuchs, sondern den der in der wissenschaftlichen Methodik und einem entsprechenden Forschungshabitus fundierten Pro- fessionen. Alles andere sollte in funktionaler Differenzierung den Fach- hochschulen zugewiesen sein. Die Fortsetzung dieser Professionalisierung im Mittelbau ist meines Erachtens durch die Einführung der Juniorprofessur mehr gefährdet als gefördert. Sie ist begründet worden vor allem mit der Befreiung des Nachwuchses aus seiner Abhängigkeit vom Professorat. Aber dieser Lockruf ist ein vergiftetes Bonbon. Denn in Wirklichkeit wird durch die Juniorprofessur das Moratorium zerstört, das demjenigen, der nach seiner Promotion und schon mit ihr eine Universitätslaufbahn in Forschung und Lehre oder nur in der Forschung anvisiert, erst die Chance zu einer be- dingungslos krisenhaften Forschung eröffnet. Denn schon die Dissertati- on muß nun stromlinienförmig sich in die Berufungsverfahren zur Juni- orprofessur einpassen und darf keine Risiken der Spezialisierung, des Querdenkertums und der allzu kühnen Neulanderoberung eingehen. Die- se erzwungene Anpassungsvorleistung gilt erst recht für die Zeit der Ju- niorprofessur selbst, denn für sie ist die Belastung in eigenverantwortli- cher Lehre, deren Durchführung erfahrungsgemäß am Anfang einer Laufbahn in Forschung und Lehre ein vielfaches Mehr an Arbeitsleistung

die hochschule 1/2005 43 erfordert als nach einer längeren Phase in der Forschungspraxis, viel zu groß und die Ausstattung viel zu gering, als daß wirklich unabhängige und mutige Forschungsvorhaben in Angriff genommen werden könnten, die sich in späteren Berufungsverfahren auszahlen würden. Es kommt der enorme Anpassungsdruck hinzu, der von der Vorschrift der Evaluation nach drei Jahren ausgeht. Es ist ja auch bezeichnend, daß die Juniorpro- fessuren vor allem von den Fächern sofort beantragt wurden, für die die Grundlagenforschung im Vergleich zu politik- und verwaltungsnahen Qualifikationen eine vergleichsweise geringere Rolle spielt. In der Sache nach unabhängige und mutig sich dem möglichen Scheitern im Sinne des Austestens von Möglichkeiten, die sich nachträglich als nicht gangbar erweisen, aussetzende Forschung wird hingegen viel eher dort motiviert, wo sich der Mittelbau in seinem Moratorium der Forschung auf die „Schirmherrschaft“ des fördernden und fordernden Professors verlassen kann, dem er dabei durchaus zugeordnet bleiben muß, statt in der Schein- Unabhängigkeit der Juniorprofessur zu verdorren bzw. präsentationslo- gisch sich zu verengen, die im Grunde in vielen Fällen nur die vor gar nicht langer Zeit ernsthaft in Erwägung gezogene Lehrprofessur durch die Hintertür ist. Im übrigen, man kann sich durchaus gegen die Juniorpro- fessor aussprechen und muß nicht gleichzeitig die Habilitation aufrecht- erhalten wollen. Solange dem Mittelbau nach der Promotion ein Morato- rium für ernsthafte Forschung strukturell als Selbstverständlichkeit einge- räumt wird, ist das zweite Buch auch wie selbstverständlich zu erwarten und steht für eine Evaluation in welcher Form auch immer zur Verfü- gung. Man benötigt dazu nicht unbedingt noch eine eigene Qualifikati- onsprozedur wie das Habilitationsverfahren, das in der Tat nicht selten zwischen den bewertenden Professoren den Anlaß bietet, alte Rechnun- gen auf dem Rücken der Habilitanden zu begleichen und Machtmöglich- keiten des resignierten Alters den mutigen und durch Forschungsleistung avantgardistischen Nachwuchs fühlen zu lassen. Das entscheidende Strukturproblem eröffnet sich seit eh und je, kris- tallisiert im Schicksal des Privatdozenten, in der Phase zwischen dem zweiten Buch und der Berufung auf eine Professur. Hier kommt es in al- len Disziplinen zu beklagenswerten Schicksalen, weil in der Regel viel mehr Wissenschaftler nach einer langen Karriere der Professionalisierung sich durch das zweite Buch in einem kumulativen Prozeß qualifiziert ha- ben als berufen werden können. Sie „zu verschrotten“, wie das in an- schaulicher Sprache der Staatssekretär aus jenem Ministerium, von dem

44 die hochschule 1/2005 die Junior-Professur durchgesetzt wurde, für die Generation ausgedrückt hat, die zwischen die Stühle der vorausgehenden und der neuen Karriere- Logik gesetzt wurden, ist nicht nur ein unerträgliches Schicksal, sondern auch eine unerträgliche Verschwendung von Professionalisierungs- Kapital. Sicherlich müssen die Fächer darüber wachen, ob es von der Sa- che her sinnvoll ist, so viele bis zum zweiten Buch zu qualifizieren, wie das gegenwärtig in vielen Fächern, z.B. dem meinigen, geschieht. Aber diese Zahl ausschließlich an den zur Verfügung stehenden Professuren auszurichten, wäre sicherlich ebenso unsinnig. Ein Ausweg müßte darin gesucht werden, die aufgrund der im zweiten Buch sich niederschlagen- den, evaluierbaren Forschungsleistung feststellbare Eignung für die For- schung auch dann zu sichern, wenn keine Berufung auf eine Professur er- folgt. Das könnte ähnlich wie in der Einrichtung des französischen CNRS so aussehen, daß abgedeckt durch eine Art Nationalfonds, solche Wissen- schaftler in Einzelprojekten oder zu Teams zusammengefaßt und in As- soziation mit Universitätsinstituten oder außeruniversitären Forschungs- einrichtungen von ihnen beantragte Forschungsvorhaben finanziert be- kommen. Man müßte dann allerdings die Kettenvertrags-Verbote aufhe- ben bzw. dieses Problem anders regeln. Es bliebe dann diesen Wissen- schaftlern das Dauerrisiko der Befristung, aber die begründete Hoffnung, in der selbst zu kontrollierenden und einzuschätzenden Leistungsfähigkeit von der „community of scientists“ weiterhin folgenreich anerkannt zu werden. Bei der Berufung von Professoren hat meines Erachtens mit der in den siebziger Jahren einsetzenden Hochschulreform eine Maßnahme Platz gegriffen, deren deprofessionalisierende Wirkung weitgehend un- bemerkt geblieben ist. Es muß nämlich die personale und sachliche Aus- stattung von Professuren zum Zeitpunkt der Ausschreibung von den Fachbereichen verbindlich festgelegt werden. Damit wird die Logik pro- fessionalisierter Praxis der Logik eines Verwaltungshandelns, das vom Prinzip der Standardisierung und Routinisierung geleitet sein muß, unter- geordnet. Die Komponente der Nicht-Standardisierbarkeit wissenschaftli- chen Handelns charakterisiert ja vor allem das Forschen des zu Berufen- den. Hier zeigt sich, daß die konkrete Forschung eine Funktion des Wis- senschaftlers als ganzen Menschen und nicht einer Rolle mit auswechsel- barem Personal ist. Daraus folgt aber, daß nur in Kenntnis des konkret zu Berufenden mit seinem konkreten Forschungsprogramm realistisch aus- gehandelt werden kann, was er für die Zukunft dieses Programms an

die hochschule 1/2005 45 Ausstattung benötigt. Demgegenüber kann eine vorausschauende und planende Kommission sich immer nur am Standard der Fortschreibung vergangener Routinen ausrichten. Entsprechend führt die Maßnahme auch dazu, daß außerhalb der Drittmittel-Acquisition die Eigenmittel der Universität so verwendet werden, daß deren flexible Anpassung an die in der konkreten Person des Forschers verkörperte gewünschte Forschungs- programmatik nur sehr begrenzt möglich ist. Ursprünglich war die Beamtenbesoldung der Universitätsprofessoren nicht vergleichbar mit der Remuneration von Beamten in anderen Berei- chen, für die das Prinzip der Loyalität des weisungsgebundenen Beamten gegen staatliche Fürsorge im Vordergrund steht. Weil, wie gezeigt, die Wissenschaft in der Einheit von Forschung und Lehre keinen konkreten Klienten hat, dessen Krise stellvertretend in einem Arbeitsbündnis oder in einem Verfahren bewältigt wird, sondern als Klienten ganz abstrakt die gesellschaftliche Zukunft in der Logik eines Generationenvertrages „be- dient“, von dem aber ein Honorar als Remuneration nicht eingefordert werden kann, ist das Beamtengehalt des Professors als ein Substitut für ein solches Honorar ursprünglich zu werten, als Ausdruck eben der Ali- mentierung einer Krisensimulation durch Forschung, die der Staat als Verkörperung der Souveränität einer jeweiligen politischen Vergemein- schaftung statt früher eines fürstlichen Mäzens im Rahmen der ihm ob- liegenden Zukunftsvorsorge vorhält. Deshalb konnte früher viel mehr als heute auch über das Gehalt bei Berufungen persönlich verhandelt werden. Inwieweit die von einem neuen Dienstrecht geforderten und auf die Lo- gik der Fremd-Evaluation abgestellten leistungsabhängigen Gehaltskom- ponenten jene Logik der Honorierung fortzuschreiben vermögen, kann zumindest als fraglich gelten, wenn man sich daran erinnert, daß die frü- heren Berufungsverfahren doch durchaus ihre eigene schwer ersetzbare Rationalität hatten: Ein Institut oder Seminar mußte darauf aus sein, ei- nen möglichst reputierten, verhandlungsstarken Wissenschaftler zu beru- fen, weil die Berufung die entscheidende Gelegenheit war, die Ausstat- tungen des Instituts zu verbessern und anzupassen. Der zu Berufende wiederum mußte, um ein günstiges Arbeitsklima für seine Forschungszu- kunft zu schaffen, darauf achten, bei der Einwerbung seiner Berufungs- mittel die Arbeitsfähigkeit des Instituts als Ganzen im Auge zu haben, wovon die Institutsmitarbeiter insgesamt profitieren konnten. Damit berühren wir wiederum den entscheidenden Punkt der wider- sprüchlichen Einheit von standardisierten sowie standardisierbaren Kom-

46 die hochschule 1/2005 ponenten der Expertise und des bewährten Wissens und von nicht- standardisierbaren, im eigentlichen Sinne professionalisierungbedürftigen Komponenten von Wissenschaft als Beruf. Aus der Logik der ersten Komponente z.B. empfiehlt sich das allenthalben gegenwärtig empfohle- ne Prinzip der Fremd-Evaluation. Ihr wird gegenüber dem kollegialen Prinzip der Eigen- und Binnen-Evaluation in Permanenz, wie es für die Strukturlogik professionalisierten Handelns ohnehin konstitutiv ist, der Vorzug vor allem deshalb gegeben, weil sie angeblich den Sumpf des kollegialen Klüngels und des Zurückweichens vor harten Konsequenzen vermeide, insofern also objektiver sei. Aber Fremd-Evaluation bedeutet automatisch die Dominanz von Einschätzungen nach standardisierten, al- so auch routinisierten Kriterien und eine Abkehr von der fallspezifischen Begutachtung. Sie öffnet denn auch immer mehr die Türen für das Ein- dringen von Zügen der Unternehmens- und Organisationsberatung in den äußeren Beruf zur Wissenschaft. Jüngster Fall ist, daß im Zuge vorausei- lenden Gehorsams die Universität Bremen, die im übrigen auch am schnellsten und häufigsten auf den Zug der Einrichtung von Junior- Professuren gesprungen zu sein scheint, für eine Experimental-Phase von drei Jahren den in Berufungsverfahren auf der Liste zu Plazierenden eine individuelle Überprüfung auf Managementfähigkeiten durch die Unter- nehmensberatungsfirma Kienbaum abverlangt. Man kann sich leicht vor- stellen, wo dabei der in seinen Forschungsgegenstand vertiefte Wissen- schaftler bleibt. Die mit Hilfe standardisierter Fragebögen durchgeführte Evaluation von Lehrveranstaltungen durch die Studenten stellt die Oberflächlichkeit der Akzeptanz fest statt auch nur ansatzweise das eigentlich Entscheiden- de erfassen zu können, nämlich: was in der Veranstaltung gelernt worden ist und welche Habitusformation wie intensiv vermittelt wurde. Das kann man natürlich durch Abschlußklausuren viel besser feststellen, aber das ist dann Bestandteil einer Selbst-Evaluation, die angeblich nicht objektiv ist. Insoweit für die professionalisierte Praxis die kollegiale und entspre- chend in der Sache bedingungslose Kritik konstitutiv ist, findet im wis- senschaftlichen Alltag Evaluation permanent wie selbstverständlich statt. Fremd-Evaluation wäre überhaupt kein Problem, solange darunter ver- standen wird, daß Kollegen einer anderen Universität als Gutachter eines Universitätsbetriebs fungieren. Sie wird aber problematisch, sobald damit Beratungs- oder Assessment-Zentren betraut werden, die nach dem Mus-

die hochschule 1/2005 47 ter von Unternehmens- und Organisationsberatung funktionieren, weil dann sofort die Mißachtung der nicht standardisierbaren Komponenten professionalisierten Handelns in Gang gesetzt wird. Es wird dabei auch die Funktionsweise eines professionsinternen Re- putationssystems unterlaufen bzw. außer Kraft gesetzt. Ihm liegt generell die Trennung zwischen Binnen- und Außenkritik, zwischen Binnen- und Außenlegitimation für die professionalisierte Praxis zugrunde. Bedingung für eine wirksame Binnenkritik ist die Kollegialität voraussetzende Bin- dung an eine Professionsethik, mit der zugleich eine Abgrenzung zwi- schen Kollegen und Laien gezogen ist. Wenn diese Abgrenzung unter dem Vorwand, sie sei nichts anderes als Immunisierung gegen Kritik und Kontrolle überhaupt, ersatzlos eingerissen wird, wenn also die Laienkritik in der Einkleidung allgemeiner Ideologiekritik mit standardisierten, sub- sumtionslogischen Verfahren der prinzipiell kaufbaren Fremd-Evaluation sich verbindet, werden die Reste vorhandener Professionalisierung wie selbstverständlich zur Schließung der Kollegial-Gemeinschaft gegen Kri- tik überhaupt führen und damit die Phänomene der Selbst-Immunisierung erst erzeugt, die von vornherein unterstellt wurden, oder es werden diese Reste von Professionalisierung auch noch zerfallen. Die aus der Binnenkritik sich ergebende Reputation setzt sich aus zwei Dimensionen zusammen, deren Unterscheidung sehr wichtig ist: Zum einen geht es grundsätzlich darum, abzugrenzen, wer überhaupt da- zugehört und wer nicht, wer also den Zutritt zur Vergemeinschaftung der Professionalisierten erworben hat. Entsprechend streng muß darüber ge- wacht werden, unter welchen Bedingungen diese Zugehörigkeit verloren geht. Davon ist grundsätzlich zu trennen die Einschätzung der individuel- len wissenschaftlichen Leistung innerhalb der Zugehörigkeit. Damit sie festgestellt werden kann und festgestellt wird, müssen die Grenzen der Zugehörigkeit stabil und sicher sein. Nur dann kann ein bedingungsloses internes kritisches Urteil über eine Leistung geäußert werden, weil nur dann auch gesichert ist, daß damit die Zugehörigkeit zur Profession als solche noch nicht in Frage gestellt ist. Die Reduktion der Steuerungen professionalisierter Praxis auf deren standardisierte und standardisierbare Anteile drückt sich auch im Prozeß einer ständigen Verminderung der Selbstverwaltung wissenschaftlicher Praxis aus. Deutlichster Ausdruck davon ist die Trennung von Operatio- nen der Selbstverwaltung und des Management in der Universitätslei- tung. Die Umwandlung des Rektorenamtes in das Amt des Präsidenten ist

48 die hochschule 1/2005 davon nur äußeres Anzeichen. Besorgnis muß dagegen erregen, daß schon seit etwa 10 Jahren die Konflikte zwischen der Rektorenkonfe- renz und dem Hochschullehrerverband tiefgreifend und geradezu ge- setzmäßig verlaufen. Das verweist darauf, daß die Funktionstrennung zwischen Management und Selbstverwaltung institutionalisiert worden ist und damit die Verbindung von standardisierten und nicht-stan- dardisierbaren Anteilen professionalisierter Expertise zu einer wider- sprüchlichen Einheit sich auf folgenreiche Weise aufzulösen beginnt. Es bleibt abzuwarten, wie wirksam die Selbstheilungskräfte, die ich von meiner Theorie her ja der von der Handlungsproblematik her aufge- zwungenen Professionalisierung „von unten“ zuschreibe, und die ja so- wohl den kollektiven historischen Prozeß der Professionalisierung meint wie den individuell-biographischen der Berufskarriere, immer wieder geweckt werden und die Universität als Institution von Wissen- schaft als Beruf gegen die Zugriffe einer immer gegen deren Autonomie sich richtenden Kontrolle durch die staatliche Verwaltung verteidigen. Das entscheidet sich natürlich zunächst einmal innerhalb der Universi- tät selbst im Verhältnis von deren Verwaltung zum eigentlich wissen- schaftlichen Betrieb. Steht diese Verwaltung im Dienste der Wissen- schaft mit ihrer Professionalisierungsbedürftigkeit oder versucht sie der Wissenschaft als Beruf ihre eigenen Funktionsgesetze aufzuzwingen? Problematische Entwicklungen in diese Richtungen zeichnen sich ab, wenn Hochschulleitungen die ihnen durch die Gesetzesnovellierungen zugewachsene Macht- und Entscheidungsfülle, eine Entwicklung, die in sich die Universitäten als Hochschulen den Schulorganisationen admi- nistrativ angleicht, in dem Bemühen rationaler Steuerung des Betriebes dadurch zu gestalten versuchen, daß sie sich angebliche Innovationsim- pulse und „Visionen“ durch die einschlägigen, immer mehr in die Insti- tutionen der Wissensgesellschaft eindringenden Unternehmens- und Organisationsberatungsfirmen einkaufen und damit die bezogen auf die Dialektik der professionalisierten Praxis sachlich naive, aber diese Nai- vetät hinter ihrer angeblichen managerialen Effizienz verbergende be- triebswirtschaftlich geschulte Handlungslehre mit ihrem Herrschafts- wissen produzierenden Jargon zum dominanten Diskurs erheben, im Kontrast zu dem die Habitusformation von Wissenschaft als Beruf im- mer mehr zur querulatorischen Skurrilität abgewertet werden kann. An dieser Stelle ist ein notorisches Mißverständnis zu beseitigen. Eine dieser Perspektive der Professionalisierungstheorie in der Realität

die hochschule 1/2005 49 entsprechende Habitusformation, die tatsächlich in ganz unterschiedli- chen Einkleidungen in Erscheinung treten kann, aber durchgängig ihr Unbehagen gegen die Logik der Neuen Steuerungsmodelle äußert, wie alle Sitzungen von Universitätsgremien in der jüngeren und vor allem jüngsten Vergangenheit bezeugen, wird, so scheint es mir, zunehmend in die Ecke der unbelehrbaren Weltfremdheit und der bloßen Verweige- rung gegenüber dem Druck der Erneuerung gestellt. Zwar hat es dieses Phänomen bornierter Innovationsverweigerung in der Haltung rein ständischer Privilegiertheit oder ängstlicher Selbstzweifel in der Uni- versität immer gegeben, wie sollte es angesichts der Fragilität von Wis- senschaft als innerem Beruf auch anders sein, aber es gibt zunehmend umgekehrt das weit folgenreichere Phänomen, daß die Kritik an den e- rosiven Folgen der Standardisierung und Routinisierung und das Behar- ren auf der Bedeutsamkeit der Komponente der Nicht-Standardisier- barkeit professionalisierter Leistungen als Indikator für Verweigerung und Weltfremdheit schon ausreicht. Zur authentischen Professiona- lisiertheit hat es schon immer gehört, daß die Standardisierung bewähr- ter Erkenntnisse zu Wissen, Praktiken und Techniken, wo immer sie möglich ist, angestrebt und implementiert wird. Standardisierung ist als solche eine wesentliche Dimension der Bewährung von aus der For- schung stammenden Erkenntnissen, sie gehört geradezu zum Wesen von Wissenschaft als Beruf. Aber es macht den entscheidenden Unter- schied zwischen Technokratisierung und Fortschritt der Wissenschaft und des gesellschaftlichen Lebens durch Wissenschaft aus, ob diese Standardisierung als Entlastung für die um so stärkere Hinwendung zu den nicht-standardisierbaren Anteilen im professionalisierten Handeln, hier also: In der das Ungewisse des Erkenntnisstandes betonenden For- schung genutzt wird oder zur beherrschenden und dominanten, alles Nicht-Standardisierbare dogmatisch erdrückenden Handlungslogik wird. Würde die erste Alternante wirklich obsiegen, dann müßten wir unsere Forschungsanträge nicht mehr in standardisierter Form erzwungen da- mit rechtfertigen, welche Ergebnisse wir von unserer Forschung erwar- ten. Denn wirkliche Forschung ist ein Untersuchungsprozeß nur in dem Maße, in dem seine Ergebnisse eben nicht vorhersehbar sind. Zumin- dest würde dann ein deutlicher Unterschied gemacht werden zwischen der Benennung der erwartbaren konkreten Ergebnisse einerseits und der Explikation des erwartbaren Stellenwertes des Untersuchungsausganges für eine strittige theoretische Interpretation oder Erklärung, in welchen

50 die hochschule 1/2005 konkreten Ergebnissen er auch immer bestehen wird, andererseits. Aber sobald diese Differenz festgehalten wird, braucht man auch nicht mehr einen eigenen Formularabschnitt „Erwartete Ergebnisse“.

Literatur Münte, Peter/Oevermann, Ulrich (2002): Die Institutionalisierung der Erfah- rungswissenschaften und die Professionalisierung der Forschungspraxis im 17. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Gründung der 'Royal Society'. In: Claus Zittel (Hg.): Wissen und soziale Konstruktion. : Akademie-Verlag, S. 165- 230. Weber, Max (1968): Wissenschaft als Beruf. In: Max Weber: Gesammelte Auf- sätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen: Mohr (3. Auflage). S. 582-613.

die hochschule 1/2005 51 Die ‚Ganzheitlichkeit’ professionellen Wissens und seiner Vermittlung Überlegungen am Beispiel des juristischen Wissens

Kai-Olaf Maiwald Die gegenwärtige Umstrukturierung der Frankfurt/Main Hochschulausbildung ist durch ver- schiedene, teils widersprüchliche Ziel- setzungen und Motive gekennzeichnet. Durch die Einführung von BA/MA-Stu- diengängen und die Modularisierung des Studiums sollen nicht nur die durch- schnittlichen Studienzeiten kürzer und die Abschlüsse international ver- gleichbar werden. Das (Bachelor-)Studium soll auch einen stärkeren Pra- xisbezug aufweisen, bei gleichzeitig gewahrten Standards der Wissen- schaftlichkeit. Zudem soll möglichst früh eine Spezialisierung jenseits gegebener Fachgrenzen ermöglicht werden. Diese Ausrichtung auf eine schnelle Vermittlung möglichst anwendungsbezogener Wissensbausteine sowie die Mittel ihrer Realisierung sind bekanntermaßen umstritten, ins- besondere in den Universitäten selbst. Die folgenden Überlegungen ver- stehen sich als professionssoziologischer Beitrag zur Diskussion. Dabei soll und kann es nicht darum gehen, die konkreten hochschulpolitischen Entwicklungen in ihren Auswirkungen auf die universitäre Ausbildung zu analysieren und zu bewerten. Es sollen vielmehr aus professionssoziolo- gischer Perspektive allgemeine Argumente dafür expliziert werden, dass es Grenzen der Zerstückelung professionellen Wissens gibt. Die Grenzen werden, so die Argumentation, markiert durch etwas, das man in Ermangelung eines anderen Begriffs als „Ganzheitlichkeit“ bezeichnen kann. Diese „Ganzheitlichkeit“ ist in verschiedener Hinsicht konstitutiv für professionelles Wissen und muss in der Ausbildung be- rücksichtigt werden. Ihre Vernachlässigung würde demgegenüber nicht nur die Struktur der Ausbildung, sondern auch der Wissensanwendung erheblich verändern, mit weitreichenden Folgen für die entsprechenden Praxisbereiche. Meiner Ansicht nach ist zumindest vom Telos der ge-

52 die hochschule 1/2005 genwärtigen Hochschulreform her eine solche Gefahr gegeben. So scheint die bisher leitende Intuition, dass die Erzeugung von – in der Au- ßenperspektive so wahrgenommenen – „Bildungsüberschüssen“, d.h. von Wissensbeständen, die bezogen auf den je konkreten Berufsalltag der Ab- solventen nicht unmittelbar relevant sind, in der universitären Ausbildung durchaus sinnvoll oder gar funktional notwendig ist, verloren zu gehen. In der Diskussion hat man bisweilen den Eindruck, als sei die bisherige Ausbildungskonzeption frei von sachlichen Gründen, gewissermaßen weltfremd einem umfassenden Bildungserlebnis verpflichtet gewesen. Demgegenüber sollen hier Gründe benannt werden, nach denen das ver- meintlich Überflüssige der universitären Ausbildung in einer bestimmten Hinsicht als für das professionelle Handeln sinnvoll erscheint: als Ant- wort auf die Anforderung der „Ganzheitlichkeit“ der Vermittlung profes- sionellen Wissens. Dies soll in groben Zügen am Beispiel der Vermittlung juristischen Wissens verdeutlicht werden. Die Forderung nach einer Differenzierung der Ausbildung entlang der Linien „Praxisbezogenheit“ und „Segmentie- rung der fachlichen Wissensbestände“ kennzeichnet seit einigen Jahren auch die Diskussion um die Juristenausbildung. Auch hier wird das Stu- dium als zu lang, zu aufwendig und zu praxisfern angesehen. Im Hinblick auf die faktisch nach der Ausbildung erfolgende berufliche Spezialisie- rung (etwa als Fachanwälte) erscheint ein Großteil des bislang vermittel- ten Wissens als überflüssig. Warum soll sich jemand, der Familienrechts- anwalt werden will, ausführlich mit Strafrecht und öffentlichem Recht befassen? Warum soll ein angehender Rechtspraktiker Seminare zu Rechtssoziologie, Rechtstheorie und zum Rechtsvergleich belegen? Wa- rum soll man im Referendariat in Bereichen und Funktionen arbeiten, mit denen man in seinem späteren Berufsleben möglicherweise nichts zu tun haben wird? Auch wenn bislang an einer einheitlichen Ausbildung in Studium und Referendariat festgehalten wird und Spezialisierungen in- nerhalb dieses Rahmens erfolgen sollen: Die Kritik am „Volljuristen“, je- denfalls in Gestalt der „Befähigung zum Richteramt“, ist weit verbreitet.1 Zudem gibt es eine Reihe von Stimmen, die tatsächlich seine Verab-

1 So etwa der Vorsitzende des Deutschen Juristen-Fakultätentages, Peter M. Huber, in einer vom Informationsdienst Wissenschaft am 15.6.2001 verbreiteten Stellungnahme: Da gegenwärtig nur zehn Prozent der Absolventen eine Tätigkeit im Justizdienst anstrebe, sei „die ‚Befähigung zum Richteramt’ als Ausbildungsziel (...) als Generallinie längst obsolet geworden“ (http://idw-online.de/pages/de/news35875; Zugriff am 8.2.2005).

die hochschule 1/2005 53 schiedung etwa im Sinne einer Einführung von Fachdiplomen für speziel- le Rechtsberufe fordern.2 Dabei ist das Phänomen von „Bildungsüberschüssen“ im hier ver- standenen Sinn natürlich nicht neu. Vielmehr hatte schon immer ein Teil des erworbenen Wissens keinen unmittelbaren Bezug zu den konkreten Tätigkeiten der Absolventen, auch in Justiz, Anwaltschaft oder Verwal- tung. Dass es gleichwohl in der gegenwärtigen Diskussion einen großen Stellenwert einnimmt, wird auf verschiedene äußere Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zurückzuführen sein. Zu nennen sind einerseits die zu- nehmende Anforderung der fachlichen Spezialisierung vor allem in der Anwaltschaft, andererseits die Entwicklung der Studierendenzahlen und die damit verbundene Umgewichtung der Berufsbereiche, in die die Ab- solventen gehen. So hat sich allein in den Jahren zwischen 1990 und 2000 die Zahl der Anwälte verdoppelt. Und während in den 1950er und 1960er Jahren ein Fünftel aller Juristen der Richterschaft und etwa ein Viertel der Anwaltschaft angehörte, werden gegenwärtig (2001) vier Fünftel der Volljuristen Anwälte und nur 4% gehen in die Justiz (Gilde- meister/Maiwald/Scheid/Seyfarth-Konau 2003: 31). Die Frage ist nur, wie man auf diese Entwicklungen reagieren soll, und ob dabei eine Ver- abschiedung von der „Befähigung zum Richteramt“ oder gar von der Idee des „Volljuristen“ sinnvoll wäre. Vorab zwei kurze Bemerkungen zur Begriffsverwendung und zum Vorgehen. Wenn im Folgenden von „Professionen“, „professionellem Wissen“ und „professionellem Handeln“ die Rede ist, dann mit Blick auf die soziologische Diskussion, in der die Begriffe abweichend vom alltäg- lichen Sprachgebrauch verwendet werden. Denn mit ihnen ist nicht „Be- ruflichkeit“ generell angesprochen, sondern ein bestimmter Kreis von Be- rufen, deren Handeln und Organisationsform im Vergleich zu Wirtschaft und Verwaltung einer „dritten Logik“ (Freidson 2001) folgen. Merkmale dieser Berufe sind etwa: eine primär freiberufliche Tätigkeit, eine akade- mische Wissensbasis, eine entsprechend lange Ausbildung, ein Bezug zu zentralen gesellschaftlichen Werten, die Selbstkontrolle des Zugangs zur Profession und die Selbstkontrolle der beruflichen Praxis, die Ausbildung einer Professionsethik, schließlich die Ausbildung einer berufsständi- schen Assoziation, die dies alles organisationell repräsentiert. Allerdings gibt es innerhalb der Professionssoziologie erhebliche Meinungsver-

2 In diese Richtung geht z.B. „Das juristische Manifest“ von Michael Martinek (1998).

54 die hochschule 1/2005 schiedenheiten dahingehend, wie man diese Zusammenhänge zu erklären habe. Auf diese Diskussionen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.3 Auch nicht auf die Fragen, welche Berufe denn den Professio- nen zuzurechnen sind und ob etwa schon wissenschaftliches Handeln als professionelles Handeln anzusehen sei (und dementsprechend die akade- mischen Disziplinen als Professionen) oder erst ein Handeln, das einen Klientenbezug – bzw. abstrakter: einen „klinischen Fokus“ (Parsons/Platt 1973) – aufweist. Mit der Konzentration auf die Juristen ist diese Prob- lematik gewissermaßen umgangen, denn sie gelten allen professionsso- ziologischen Ansätzen als „klassische“ Profession.4 Die Frage der Über- tragbarkeit der Überlegungen auf die nicht-klinischen Disziplinen muss offen bleiben. Die im Folgenden leitenden Fragen sind: Auf welchen Wissensbe- ständen beruht das kompetente juristische Handeln5 und in welcher Hin- sicht sind diese Wissensbestände durch eine immanente „Ganzheitlich- keit“ gekennzeichnet? Dabei wird ein Vorgehen gewählt, das sich immer wieder auf ein „informiertes Alltagswissen“ stützt, das auch juristischen Laien zugänglich ist. Sukzessive werden soziologische Annahmen über die Besonderheiten professionellen Wissens eingeführt, ohne eigens auf den jeweiligen „Schulenhintergrund“ dieser Annahmen eingehen zu kön- nen.6 Die Bearbeitung der Fragestellung lässt sich nur in idealtypischer Zuspitzung verfolgen. Das heißt, es wird von vielen Wissenselementen, die in das empirische Handeln der Juristen einfließen, abstrahiert. So zum

3 Einen Überblick über die verschiedenen professionssoziologischen Ansätze geben etwa Maiwald (2004), Pfadenhauer (2003) und Mieg/Pfadenhauer (2003). 4 Dies gilt nicht nur für die freiberufliche Anwaltschaft, sondern auch für die Richterschaft. Vgl. dazu Maiwald (1997) und Wernet (1997). 5 Unter juristischem Handeln soll dabei das berufliche Handeln insbesondere von Anwälten, Staatsanwälten und Richtern verstanden werden. Schon in diesem Ausdruck wird auf etwas die einzelnen beruflichen Funktionen Umfassendes verwiesen. Früher hätte man dafür den Ausdruck „Rechtspflege“ (vgl. z.B. Döhring 1953) verwendet. Spätestens nach der Ein- richtung der spezifischen Rolle des Rechtspflegers ist diese Bezeichnung missverständlich geworden. Andererseits ist die Rede von einem juristischen Handeln und juristischen Wissensformen auch nicht unmissverständlich. Gemeint ist hier: Eine beruflich ausgeübte, praktische und/oder wissenschaftliche Tätigkeit, die sich auf die rechtliche Konflikt- bearbeitung bezieht. 6 Zur „schulenmäßigen“ Verortung: Die Überlegungen stützen sich stark auf die von Ulrich Oevermann (1996) entwickelte Theorie professionellen Handelns, schließen aber auch andere Konzepte ein. Insbesondere wird versucht, diese Theorie mit wissenssoziologischen Annahmen in einen Dialog zu bringen.

die hochschule 1/2005 55 Beispiel von den beruflichen Spezialisierungen, die gerade heutzutage für den beruflichen Erfolg wichtig zu sein scheinen, von dem Weltwissen, das man für die Arbeit in den jeweiligen materialen Rechtsbereichen be- nötigt, wie auch von den extrafunktionalen Kompetenzen, die man braucht, wenn man sich im Bereich der Justiz oder in bestimmten Man- dantenkreisen bewegt. Im Vordergrund soll demgegenüber das spezifi- sche berufliche Fachwissen stehen. Die nun folgende Differenzierung seiner zentralen Wissensformen ist zu Zwecken der Pointierung des Ar- guments recht grob. Auf weitergehende Differenzierungen und Erläute- rungen muss aus Platzgründen verzichtet werden.

I. Die ‚Ganzheitlichkeit’ des expliziten juristischen Wissens

Es ist naheliegend, in einem ersten Zugriff diejenige Ebene des zu vermit- telnden juristischen Wissens in den Blick zu nehmen, die besonders ins Auge sticht: die Ebene des expliziten Wissens. Im Folgenden soll es also erst einmal um das je subjektiv verfügbare, benennbare Wissen gehen, das in der universitären und praktischen Ausbildung gelehrt wird und das sich im individuellen Wissensvorrat sedimentieren soll. Gehen wir von den bisher geltenden Vorstellungen aus und fragen uns, welche Wissensbe- stände dieser Art die juristische Ausbildung dem Ideal nach umfassen sollte. Es lassen sich dabei grob drei Bereiche unterscheiden. Zunächst einmal a) gibt es natürlich eine Fülle an Faktenwissen, das man sich ein- verleiben sollte und das teils normativen, teils empirischen Charakter hat. Dabei ist der Unterschied fließend, da auch die empirische Ordnung (z.B. des Aufbaus der Gerichte) häufig normativ begründet ist (z.B. durch das Gerichtsverfassungsgesetz). So muss man wissen, welche materialen Rechtsbereiche unterschieden werden und dass es für jeden dieser Berei- che spezifische verfahrensrechtliche Bestimmungen gibt. Man muss wis- sen, wie die großen und kleineren Gesetzeswerke aufgebaut sind und wel- chen Gehalt die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen haben. Man muss wissen, wie das Gerichtswesen aufgebaut ist und wie das Verhältnis zu politischen Instanzen geregelt ist. Die Liste ließe sich verlängern. Ziel der Ausbildung ist eine Vertrautheit mit dieser Fülle an Wissenselementen, die sich vielleicht so charakterisieren lässt, dass man auch dann, wenn man den Gehalt einer gesetzlichen Bestimmung für ein bestimmtes Rechtsproblem nicht positiv weiß, dennoch eine Vorstellung davon haben

56 die hochschule 1/2005 wird, wie sie aussehen könnte, und selbstverständlich weiß, wo man nachschlagen kann, um es genau zu wissen. Dieser Grad an Vertrautheit mit den Wissenselementen wird sich schwerlich erreichen lassen, wenn man nicht b) über ein im weitesten Sinne theoretisches Wissen verfügt, das Erklärungsmodelle für ihre Zu- sammenhänge bereithält. Es reicht eben nicht aus beispielsweise zu wis- sen, dass in Zivilverfahren bis zu einem gewissen Streitwert das Amtsge- richt erstinstanzlich zuständig ist und dass in diesen Verfahren – außer vor dem Familiengericht – kein Zwang zur anwaltlichen Vertretung be- steht. Sondern es ist auch notwendig oder zumindest sinnvoll, dass man eine Vorstellung von der spezifischen Struktur des Amtsgerichtsverfah- rens hat, die unter anderem erklärt, warum hier kein Anwaltszwang be- steht. Es reicht auch nicht aus zu wissen, dass die Straf- und Zivilge- richtsbarkeit eine verwaltungsmäßige Einheit bilden, die „ordentliche Ge- richtsbarkeit“ genannt wird, sondern man sollte auch wissen, worin die Grundstrukturen dieser materialen Rechtsbereiche bestehen und warum die mit ihnen betrauten Gerichtszweige mit dieser Benennung von ande- ren unterschieden werden. Dieses theoretische, d.h. die Zusammenhänge erklärende Wissen spielt in der gesamten Ausbildung eine Rolle. Relativ vereinseitigt und auf höheren Abstraktionsniveaus findet es sich in den Bereichen der Rechtstheorie, der juristischen Methodenlehre, der Rechts- philosophie, -geschichte und -soziologie. Es reicht von der Erklärung einzelner Zusammenhänge bis zur Einübung in die spezifisch rechtswis- senschaftlichen Standards der Geltungsbegründung. Kommen wir schließlich zu einer weiteren Art von expliziten Wis- sensbeständen, die für ein kompetentes juristisches Handeln erforderlich sind: c) dem praktischen Wissen. Auch die universitäre juristische Aus- bildung zielt nicht allein auf den Erwerb theoretischen Wissens. Da die Disziplin der Rechtswissenschaft eng mit der Profession der Rechtsberufe verwoben ist, spielt auch hier der Praxisbezug eine große Rolle7, schon

7 Schon von hier aus ist im übrigen – ähnlich wie in der Medizinerausbildung – eine gleichzeitige relative Distanz zu den theoretischen Wissensbeständen begründet. Der „kli- nische Fokus“ fordert gewissermaßen sein Recht gegenüber der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Rechtsmaterie. Ein Aspekt davon ist, dass die theoretische Reflexion teilweise in Abkürzungen aufgefangen ist, auf die man sich im praxisproblembezogenen Diskussionen beziehen kann. In dieser Hinsicht lassen sich die gängigen Rechtsmaximen, wie z.B. die seit Beginn des 19. Jahrhunderts gängige Unterscheidung von Untersuchungs- und Verhandlungsmaxime, verstehen: Ein komplexer sachlicher Zusammenhang (die

die hochschule 1/2005 57 über die Fallübungen oder die mancherorts in der Ausbildung verankerte Beteiligung von Rechtspraktikern im Studium. Aber der vorrangige Ort der Vermittlung expliziten praktischen Wissens ist natürlich das Referen- dariat. Ich möchte unter einem praktischen Wissen zunächst ein Wissen verstehen, das gewissermaßen instrumentellen Charakter hat, das auf Zweckmäßigkeitserwägungen ausgerichtet ist. Denn auch das Handeln von Anwälten und Richtern steht als praktisches Berufshandeln unter den Restriktionen von Zeitökonomie und Effizienz. Man darf nicht zu lange überlegen, um z.B. einen Standardschriftsatz zu verfassen. Ziel der Aus- bildung in dieser Hinsicht ist allgemein der Erwerb eines „Rezeptwis- sen“, der Erwerb von entsprechenden Handlungsroutinen in einem tech- nisch-handwerklichen Sinn. Diese Routinen spielen im Arbeitsalltag eine große Rolle. Sie ermöglichen eine möglichst reibungslose, zeitsparende Problembewältigung. Die so skizzierte umfassende Vertrautheit mit dem Rechtssystem auf der Ebene des expliziten Wissens ist nicht allein ein wünschenswertes, aber möglicherweise unter heutigen Bedingungen zu verabschiedendes Ideal, sondern sie ist vielmehr eng verbunden mit dem Status des juristi- schen Wissens als „Expertenwissen“. Um dies zu verdeutlichen muss man etwas weiter ausholen und die Entwicklung des Wissens in der Mak- roperspektive gesellschaftlicher Differenzierung in den Blick nehmen. Dabei kann man an die Überlegungen von Alfred Schütz und Thomas Luckmann anschließen (Schütz 1971: 11ff., Schütz 1972: 85ff., Schütz/ Luckmann 1979: 269ff.), die in Anlehnung an eine von Emile Durkheim (1992) geprägte differenzierungstheoretische Denkfigur von dem Kon- strukt eines „gesellschaftlichen Wissensvorrats“ ausgehen, der sich im Gefolge gesellschaftlicher Differenzierungsprozesse zunehmend in Be- reiche des „Sonderwissens“ aufspaltet. Gemeint ist damit, dass im Ver- lauf der gesellschaftlichen Entwicklung die Diskrepanz zwischen dem gesellschaftlich verfügbaren Wissen und dem je individuellen Wissens- vorrat sukzessive zunimmt. Die Bereiche des Sonderwissens werden von „Spezialisten“ verwaltet und sind damit nicht mehr allen Gesellschafts- mitgliedern zugänglich. Die für die Moderne typische Form des Sonder- wissens ist das angesprochene Expertenwissen, das sich zunächst als ein akademisches Wissen kennzeichnen lässt, welches in einer langwierigen

unterschiedliche Struktur von Straf- und Zivilprozess) wird abkürzend in einer geltenden Maxime aufgefangen.

58 die hochschule 1/2005 Ausbildung erworben werden muss. Die Anbindung an die Wissenschaft hat dabei nun zur Folge, dass das Wissen aus den unmittelbaren Hand- lungszusammenhängen konkreter Problemlösungen herausgelöst und damit Gegenstand der Reflexion in theoretischer Einstellung wird. Diese „Entpragmatisierung“, diese Herauslösung aus lebensweltlichen Zusam- menhängen führt historisch zu einer sukzessiven Trennung von Wissen und Handeln, von Theorie und Praxis. Entsprechend dieser zumindest relativ eigenlogischen Struktur des Expertenwissens erfolgt seine Vermittlung nicht einfach routinemäßig, sondern in Form einer systematischen Vermittlung expliziten Wissens. Es geht um eine theoretische Ausbildung im Sinne einer systematischen Vermittlung der Sinnstrukturen eines sachlichen Gebiets. Das so erwor- bene Wissen unterscheidet sich in verschiedenen Hinsichten von einem Laienwissen: So erfolgt der Wissenserwerb unabhängig von spezifischen alltäglichen und praktischen Relevanzstrukturen. Ich erwerbe das Wissen nicht, weil ich mich z.B. gerade in einem langwierigen Rechtsstreit mit meinem Nachbarn, Arzt oder Arbeitgeber befinde, sondern unabhängig von solchen Motivierungen. Das erworbene Expertenwissen kennzeichnet zudem ein hoher Grad der Vertrautheit und Bestimmtheit der Wissens- elemente. Aber nicht nur einzelner Wissenselemente, denn hier kann bei einem interessierten Laien in speziellen Fällen durchaus ein höherer Grad an Vertrautheit und Bestimmtheit als bei einem durchschnittlichen Juris- ten gegeben sein, sondern – und das ist im vorliegenden Kontext ent- scheidend – vor allem ihrer Zusammenhänge. Gerade darin, in der Ver- trautheit und Bestimmtheit der Zusammenhänge der Wissenselemente, ist der besondere Abstand des Expertenwissens zum Laienwissen begründet. Gerade in dieser Hinsicht kommt im übrigen der Rechtsgeschichte und der Rechtssoziologie besondere Bedeutung zu: Denn zu einer Erfassung der Systematik der Sinnstrukturen des Rechtsbereichs gehört auch, die gegebene Rechtsordnung als etwas historisch Gewordenes, als mögliches Arrangement unter anderen zu verstehen. Erst mit einem Sinn für diese Zusammenhänge wird auch eine spezifisch juristische Kritik je geltender rechtlicher Institutionen möglich. So betrachtet lässt sich die „Ganzheitlichkeit“ des expliziten juristi- schen Wissens als Ausdruck seines Status als Expertenwissen verstehen. Das, was in der Außenperspektive als Bildungsüberschuss erscheint, verweist sachlich auf die umfassende Aneignung der Sinnstrukturen des

die hochschule 1/2005 59 Rechts, die aus den Juristen erst Experten im hier gemeinten Sinn macht.8 Dieser Zusammenhang hat auch eine professionsstrategische Seite. Mit Andrew Abbott (Abbott 1988) kann man sagen, dass allgemein eine sta- bile Position im kompetitiven System der Expertenberufe von der staatli- chen und öffentlichen Anerkennung der Expertise des Berufs abhängig ist: Die Berufsgruppe selbst sowie der einzelne Praktiker müssen als Ex- perten für die reklamierte Problembearbeitung gelten können. Um einen solchen Status zu erreichen, ist es sinnvoll, eine möglichst abstrakte und generalisierte Expertise auszubilden, die der einzelne Praktiker in perso- nam repräsentieren können muss. Man könnte es auch so ausdrücken: Der Experte steht den Laien gegenüber nicht nur für eine Summe spezifischer Problemlösungen, sondern er repräsentiert die abstrakte Definition des Problems und seiner Lösungen, die seine Berufsgruppe als geltend bean- sprucht. Der einzelne Anwalt und die einzelne Richterin repräsentieren in diesem Sinne „das Recht“ als allgemeine Form der Konfliktbearbeitung.

II. Die ‚Ganzheitlichkeit’ des impliziten juristischen Wissens

Ich glaube, es ist intuitiv klar, dass diese drei expliziten Wissensbestände – Faktenwissen, theoretisches Wissen und instrumentell-praktisches Wis- sen – zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für ein kompetentes juristisches Handeln darstellen. Damit allein kann man we- der ein Mandantengespräch führen noch ein Verfahren leiten. Es muss vielmehr ein Wissen hinzutreten, das auf einer impliziten Ebene den sach- lichen Anforderungen der jeweiligen Situation gerecht wird. Dieses Wis- sen – ich schlage vor, es „handlungslogisches“ Wissen zu nennen9 – ist für das professionelle Handeln von zentraler Bedeutung. Und auch diese Ebene des Wissens ist durch so etwas wie eine „Ganzheitlichkeit“ ge- kennzeichnet. Um dies plausibel zu machen, reicht die Begrifflichkeit der klassischen Wissenssoziologie nicht aus, man muss sie professionalisie- rungstheoretisch ergänzen. Die Begrenztheit der Wissenssoziologie im

8 Zum Zusammenhang von Bildungsüberschüssen und Professionalisierung bzw. Exper- tisierung vgl. Mieg (2001: 184). 9 Damit soll das Wissen um die Sachangemessenheit juristischen Handelns bezeichnet sein, das entsprechend Urteile darüber erzeugt, was im konkreten Fall in einem basalen Sinne als „richtiges“ juristisches Handeln gelten kann.

60 die hochschule 1/2005 vorliegenden Zusammenhang liegt in ihrer Fokussierung der Routinebil- dung begründet. Eine Auseinandersetzung mit diesem Thema bietet des- halb eine gute Annäherung an die Spezifik dieser Wissensform. Die Wissenssoziologie betont zu Recht, dass soziales Handeln durch eine allgemeine Tendenz zur Routinisierung gekennzeichnet ist (Ber- ger/Luckmann 1969: 26f.). Neue Problemstellungen sind für das Alltags- handeln etwas Störendes. Es wird versucht, die gegebenen Problemlö- sungsschemata möglichst schnell so umzubauen, dass die neue Problem- stellung darin integriert ist. Das Alltagshandeln hat in hohem Maße den Charakter eines Routinehandelns, das ohne Problematisierung und Expli- zitheit auskommt. Es gilt hier eine Ökonomie der reibungslosen Hand- lungsvollzüge, denen man sich nicht eigens zuwenden muss. Auch in den meisten Berufen steht das routinehafte Handeln im Vordergrund. Die Ausbildung zielt in hohem Maße auf die Ausbildung von Routinen; Prob- lemlösungsschemata werden erworben und angewendet. Diese allgemei- ne Tendenz zur Routinisierung lässt sich gerade an denjenigen Berufsfel- dern ablesen, die vielfältige institutionelle Vorkehrungen gegen die Aus- bildung von Handlungsroutinen getroffen haben. Ein herausgehobenes Beispiel dafür findet sich im Bereich der Luftfahrt: Die detaillierten An- forderungen an die Überprüfung des Flugzeugs seitens der Piloten, aber auch durch der systematische Wechsel der Zusammensetzung des flugbe- gleitenden Personals lassen sich als Vorkehrungen der Verhinderung von gewohnheitsmäßigem und damit nicht explizit kontrolliertem Handeln verstehen, mit dem man eben grundsätzlich zu rechnen hat. Wie schon angedeutet ist auch das juristische Handeln durch die Bil- dung von Routinen gekennzeichnet. Seine Routinisierbarkeit ist jedoch in zwei Hinsichten begrenzt. Zum einen findet sie ihre Grenze in den hohen Explizitheitsanforderungen, vor die es gestellt ist, insbesondere in den Explizitheitsanforderungen des Gerichtsverfahrens und des richterlichen Urteils (Protokollierung, Aktenführung, expliziter Rekurs auf geltendes Recht). Eine ähnliche Explizitheitsanforderung gilt auch für diejenigen Expertenberufe, die dem wissenschaftlich-technischen bzw. „ingenieura- len“ Modus der Wissensanwendung (Oevermann 1996: 137f.) folgen. Sie geht auf die wissenschaftliche Begründungsbasis des Handelns zurück. Das ingenieurale Handeln folgt nicht einfach subjektiven Erfahrungswer- ten und eingespielten Gewohnheiten, sondern steht vielmehr vor der An- forderung, in expliziter Übereinstimmung mit den geltenden theoreti- schen Modellen und technischen Verfahren zu stehen. In dieser Hinsicht

die hochschule 1/2005 61 muss das Handeln überprüfbar sein.10 Die zweite, im vorliegenden Zu- sammenhang interessantere Grenze der Routinisierbarkeit teilen die Rechtsberufe nur mit denjenigen Expertenberufen, die dem „professionel- len“ Modus der Wissensanwendung folgen. Es handelt sich hier um eine strukturelle Grenze der Subsumierbarkeit der jeweiligen Problemstellung unter gegebene Lösungsschemata. Die Problemstellung lässt sich nicht bruchlos in Begriffen der allgemeinen Wissensbasis fassen. Anders als beim ingenieuralen Modus geht sie darin nicht auf. Und das hängt mit dem Bezug auf „Fälle“ zusammen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: die anwaltliche Erstberatung bei Scheidungsverfahren. Auch hier gibt es die Tendenz, soviel wie möglich zu routinisieren. Manche Anwältinnen und Anwälte haben etwa eine Art Fragebogen ausgearbeitet, an dem sie sich wie an einem Interviewleitfa- den abarbeiten, um die Fakten zu bekommen, die im Lichte der relevan- ten Tatbestandsmerkmale zentral sind. Es werden also eine Reihe von Fragen mehr oder weniger abgehakt, wie z.B.: Leben die Gatten schon getrennt oder nicht? Wie lange leben sie getrennt? Liegt eine geteilte Scheidungsabsicht vor oder nicht? Gibt es Kinder? Sind beide Gatten be- rufstätig? Wie sehen die Einkommensverhältnisse aus, wie die Wohnsitu- ation? Andere wiederum gestalten das Gespräch offener, auch wenn die Gesprächsführung immer auch typische und damit routinehafte Elemente enthalten wird (z.B. typische Phrasen und Formulierungen oder Standard- informationen, die von den Anwälten immer gegeben werden). Wichtig ist jedoch, dass unabhängig von den zur Anwendung kommenden Routi- neelementen in jedem Fall eine strukturelle Offenheit der Gesprächsfüh- rung notwendig ist, die die lebendige Artikulation des lebenspraktischen Konfliktzusammenhangs berücksichtigt. Dies nicht allein wegen der he- rausgehobenen Krisensituation, in der sich die Mandanten typischerweise befinden, sondern generell, um die Übersetzung der für die Anwälte im- mer wieder neuen lebenspraktischen Konfliktsituation in eine Rechtsposi- tion zu leisten. Es muss gleichzeitig auf der Sachverhaltsebene geklärt werden, worin in der Sicht des Mandanten (und seines Kontrahenten) das

10 Oevermann (1996) sieht jedoch nicht, dass diese Explizitheitsanforderung schon eine erste Grenze der Routinisierbarkeit im wissenssoziologischen Sinne markiert. Der Routine- begriff wird in der Wissenssoziologie in zwei unterschiedlichen Hinsichten definiert: zum einen im Sinne der Abwesenheit von Krisenhaftigkeit – darauf hebt die Professiona- lisierungstheorie ab zum anderen im Sinne einer fehlenden expliziten Zuwendung auf die Handlungsvollzüge.

62 die hochschule 1/2005 Problem besteht und was der Mandant eigentlich will, und auf der Tatbe- standsebene bestimmt werden, was im Sinne einer begründeten und ver- fahrensangemessenen Rechtsposition formuliert werden kann. Wird die lebendige Artikulation des lebenspraktischen Konfliktzusammenhangs nicht ausreichend gewürdigt, kann dies unter anderem dazu führen, dass die Prozessstrategie an den Mandanteninteressen vorbei entworfen wird. Und das wiederum kann z.B. bedeuten, dass immer neue Forderungen er- hoben werden und und dass sich das Verfahren im Hinblick auf die Ges- taltung der Nachscheidungsbeziehungen für alle Beteiligten ausgespro- chen ungünstig auswirkt. Sicherlich stellt das Scheidungsverfahren auf- grund der besonderen Krisenhaftigkeit des lebenspraktischen Ausgangs- problems einen herausgehobenen Fall dar; jedoch ist die Leistung der Übersetzung einer fallspezifischen Konfliktlage in eine Rechtsposition, die sich dabei verdeutlichen lässt, immer von Bedeutung. Dies gilt auch dort, wo etwa „normale“ schuldrechtliche Tatbestände tangiert sind, denn auch hier sind die Rechtskonflikte in eine je konkrete krisenhafte soziale Praxis eingewoben. Man kann den eben geschilderten Zusammenhang professionalisie- rungstheoretisch abstrakter formulieren: Die besondere Grenze der Rou- tinisierbarkeit des professionellen Handelns ist darin begründet, dass in der professionellen Praxis trotz aller Routinebildung das Krisenförmige des Handelns nicht getilgt werden kann. Es ist immer zumindest mitthe- matisch. Dies nicht allein deshalb, weil es die Juristen und Ärzte mit he- rausgehobenen lebenspraktischen Problemen von Individuen und Kollek- tiven zu tun haben. Sondern die professionelle Bearbeitung dieser Krisen hat selbst etwas Krisenförmiges an sich. Der Grund dafür ist, dass die Anforderungen des professionellen Handelns konstitutive Spannungen und Widersprüchlichkeiten aufweisen, die handlungspraktisch vereinbart werden müssen, ohne im Sinne einer eindeutigen Handlungsanweisung nach der einen oder anderen Richtung auflösbar sein zu können. Das über- greifende Spannungsmoment ist dabei das zwischen der Besonderheit des Einzelfalls und der allgemeinen Wissensbasis, die aus ihm erst einen „Fall von etwas“ macht. Aber mit dem je eigenen Fallbezug professionel- ler Berufe sind eine Fülle weiterer Spannungen und Widersprüchlichkei- ten in den Handlungsanforderungen verbunden. So etwa die Spannung zwischen stellvertretender Interessenmaximierung und Rechtsbindung im anwaltlichen Handeln und beim richterlichen Handeln die Spannung in der Anforderung an das richterliche Urteil, eine Entscheidung darzustel-

die hochschule 1/2005 63 len, die gleichzeitig keine Entscheidung sein soll, sondern das Auffinden einer vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung. Die besondere Bedeu- tung des handlungslogischen Wissens besteht in der praktischen Vermitt- lung zwischen diesen Anforderungen. Es lässt sich verstehen als „prakti- scher Sinn“ für ihre Widersprüche oder Spannungen, der es ermöglicht, ihnen gleichzeitig im praktischen Handeln gerecht zu werden. Um den Charakter dieses Wissens im Hinblick auf den vorliegenden Zusammen- hang der „Ganzheitlichkeit“ und ihrer Bedeutung für die Wissensvermitt- lung weiter zu verdeutlichen, soll kurz auf drei zentrale Begriffe der Pro- fessionalisierungstheorie rekurriert werden: die Begriffe „Kunstlehre“, „Professionshabitus“ und „Professionsethik“. Mit dem Begriff der Kunstlehre wird der primäre Vermittlungsmodus des handlungslogischen Wissens bezeichnet. Dieser Vermittlungsmodus antwortet auf den Umstand, dass es sich hier um ein implizites Wissen, ein „tacit knowledge“ handelt, das – um mit Michael Polanyi zu sprechen – dadurch gekennzeichnet ist, dass man es faktisch in Anspruch nimmt, dass man es „hat“, aber nicht oder nur begrenzt in Worte fassen kann (Po- lanyi 1985). Das handlungslogische Wissen hat damit die unangenehme Eigenschaft, dass es durch Anstrengungen expliziter Wissensvermittlung nur bedingt hergestellt werden kann. Dies reduziert die ohnehin schon ge- ringen Einflusschancen einer Pädagogik in diesem Sinne (Bora 2001: 271). Zwar sind die Handlungsanforderungen in ihrer Spannungshaftig- keit grundsätzlich explizierbar und werden auch in Teilen, insbesondere in der juristischen Methodenlehre, expliziert. Aber selbst mit einer theo- retisch adäquaten Explikation der Spannungsmomente lassen sich die praktischen, je fallspezifischen Lösungen nicht programmieren. Sie sind nicht formalisierbar. Die Vermittlung eines angemessenen Umgangs mit den widersprüchlichen Handlungsanforderungen erfolgt deshalb wesent- lich über angeleitete berufspraktische Einübung, d.h. sie erfolgt im Rah- men einer Kunstlehre (Morlok/Kölbel 2001: 301f.). Von einer „Ganzheitlichkeit“ kann man damit zunächst dahingehend sprechen, als sich von hier aus eine notwendige Verbindung, eine Einheit von universitärer und praktischer Ausbildung ergibt, die etwas anderes ist als ein bloßes Nacheinander von abstraktem Wissen und seiner techni- schen Anwendung. Paradoxerweise verweist der typische „Theorie/ Pra- xis-Bruch“ (Morlok/Kölbel 2001) und die darin zum Ausdruck kommen- de Eigenwertigkeit der kunstlehrehaften Einübung in den Beruf darauf, dass universitäre und berufspraktische Ausbildung wechselseitig aufein-

64 die hochschule 1/2005 ander verwiesen sind: Das professionelle Handeln ist ohne eine Inkorpo- rierung der expliziten Wissensbestände nicht vorstellbar und das explizite Wissen des Rechts ist ohne die Erfahrung seiner professionalisierten Pra- xis unvollständig. Desweiteren kann man von „Ganzheitlichkeit“ im Hin- blick auf die Einheit der funktional ausdifferenzierten professionellen Rollen im Gerichtsverfahren sprechen. Anders als in der Medizin, die mit der Rolle des Arztes über eine – wenn auch in sich über Fachspezialisie- rungen differenzierte – Kernrolle verfügt, findet sich im Kern des Rechtsbereichs ein Zusammenspiel verschiedener professioneller Rol- len.11 Es liegt nahe, dass sich die praktische Ausbildung auf diese Rollen konzentriert, weil das gerichtliche Verfahren den entscheidenden Ort des Praktisch-werdens, der „Herstellung“ von Recht darstellt (Maiwald 1997). Die Richterrolle ist als Entscheidungsspitze des Verfahrens dabei natürlich von besonderer Bedeutung – darin liegt der sachlogische Grund für die Orientierung an der Befähigung zum Richteramt. So muss man, um kompetent als Anwalt denken und handeln zu können, im Prinzip auch wie ein Richter denken und handeln können. Aber es spricht einiges dafür, dass es sinnvoll ist, durch die praktische Einübung auch in die an- deren Verfahrensrollen einen praktischen Sinn für ihr Zusammenspiel zu erlangen. Ziel der kunstlehrehaften Wissensvermittlung ist die Ausbildung eines Professionshabitus. Dieser Begriff macht deutlich, dass das handlungslo- gische Wissen etwas Inkorporiertes, etwas notwendig Leibgebundenes ist. Der Professionshabitus des Praktikers ist gewissermaßen der Ort der professionellen Kompetenz und das, was sie praktisch werden lässt. Hier ist die generative Struktur (Bourdieu) aufgehoben, die es ermöglicht, in immer neuen Situationen mit spannungshaften Handlungsanforderungen sachadäquat zu agieren. Dieser Zusammenhang verweist auf ein drittes

11 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es im Bereich des Rechts schließlich auch eine „institutionelle Ganzheitlichkeit“ gibt, eine Klammer, die die professionellen Verfahrensrollen bzw. die entsprechenden Berufe einerseits sowie Rechtspraktiker und Rechtswissenschaftler andererseits umgibt. Zwar findet sie sich nicht auf der Ebene beruflicher Assoziationen, aber doch im Sinne eines kollegialen Bandes und in ver- schiedener Hinsicht auch institutionell. Für ersteres steht das im §5 DRiG festgelegte Ausbildungsziel der „Befähigung zum Richteramt“, für zweiteres die ebenfalls dort (§7 DRiG) zu findende Bestimmung: „Jeder ordentliche Professor der Rechte an einer Universität im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist zum Richteramt befähigt.“ Dass bekannterweise in den angelsächsischen Rechtskulturen eher der Anwalt als der Richter als Leitrolle angesehen wird, ändert nichts daran, dass sich hier wie in den kontinen- taleuropäischen Rechtskulturen eine institutionelle Ganzheitlichkeit findet.

die hochschule 1/2005 65 Moment der „Ganzheitlichkeit“ des handlungslogischen Wissens. Geht man nämlich davon aus, dass ein wesentliches Ziel der professionellen Wissensvermittlung in der Ausbildung eines Professionshabitus besteht, dann hat diese Ausbildung nicht allein den Status der Vermittlung von Fertigkeiten, die der Person letztlich äußerlich sind, sondern es handelt sich um eine berufliche Sozialisation im eigentlichen Wortsinn. Es han- delt sich um eine Ausbildung, die die Persönlichkeitsstruktur des Auszu- bildenden nicht unangetastet lässt, sondern vielmehr eine Transformation dieser Struktur erforderlich macht: Der Professionshabitus muss in die Persönlichkeitsstruktur integriert werden. Was das bedeutet kann man sich etwa am Beispiel des häufig zu beobachtenden Wandels der berufs- bezogenen Einstellungen im Verlauf der Ausbildung klar machen. So ist etwa in den Fällen, in denen der Beruf ursprünglich zur Verfolgung poli- tischer oder humanitärer Interessen gewählt wurde, als Ergebnis der pro- fessionellen Sozialisation eine Integration dieser Wertorientierungen in das professionelle Handeln mit entsprechenden fachlichen Schwerpunkt- setzungen zu beobachten.12 Als ein anderes Beispiel kann die Anforde- rung des Aushaltens von Spannungen zwischen den (Wert-)Urteilen, die man als Alltagsmensch hat, und denen, die man als Professionsangehöri- ger trifft, gelten. Im Bereich des juristischen Handelns betrifft dies vor al- lem die Spannung zwischen alltagsweltlichen materialen Gerechtigkeits- vorstellungen und den Anforderungen des formalen Rechtsverfahrens.13 Der Begriff Professionsethik schließlich weist darauf hin, dass es im professionellen Handeln widersprüchliche Handlungsmotivierungen ge- ben kann, zwischen denen eine Disposition mit ethisch verpflichtendem Charakter entscheidet. Dabei mag man zunächst an solch herausgehobene Handlungsprobleme denken wie beispielsweise, ob ein Richter in einer prekären finanziellen Situation einem Bestechungsansinnen nachgibt oder ob er erkennt, dass er in einem bestimmten Fall befangen ist. Es sind vor allem diese herausgehobenen Probleme, auf die die Eide der professionel- len Berufe verweisen und die sie mit der Festschreibung einer universa- listischen Orientierung zu regeln suchen. Die Eide machen deutlich, dass in das Verhältnis von Professionen und Gesellschaft ein durchaus öffent-

12 Vgl. dazu Granfield/Koenig (1990), sowie meine Diskussion der Befunde in Maiwald (1997: 1ff.). 13 Andreas Wernet hat diese Spannung prägnant für das Problem der Verteidigung des Schuldigen dargestellt (1997: 144ff.).

66 die hochschule 1/2005 licher Verpflichtungscharakter eingeschrieben ist. Der Begriff der Profes- sionsethik schließt aber auch alltäglichere und unscheinbarere Hand- lungsprobleme ein sowie solche, die eher auf eine Verpflichtung dem Klienten gegenüber verweisen. Grundlage dieser Verpflichtung ist die Anforderung der Wahrung und Restitution der Autonomie des Klienten, der den Professionsangehörigen in einer Situation lebenspraktischer Not konsultiert, die er nicht selbst bewältigen kann. Als ein Beispiel dafür kann im rechtlichen Kontext die Frage gelten, ob eine bestimmte anwalt- liche Handlung dem Werbeverbot unterliegt oder nicht. Obwohl das pro- fessionelle Werbeverbot dem Effekt nach eine Reduktion von Konkur- renz bedeutet, lässt es sich nicht auf berufsständische Motive reduzieren. Sein sachlogischer Hintergrund ist vielmehr darin zu sehen, dass eine Aufforderung zur Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen, die eine Werbung bedeutet, einen Übergriff auf die Autonomie alltagsprakti- scher Konfliktbearbeitung darstellen würde. Es bestünde die Gefahr, dass die rechtlichen Probleme, die bearbeitet werden sollen, erst erzeugt wür- den. Demgegenüber sollte das professionelle anwaltliche Handeln im Sinne der Wahrung der Autonomie lebenspraktischer Konfliktbearbei- tung von einem gewissermaßen „naturwüchsig“, d.h. ohne sein Dazutun entstehendem Leidensdruck ausgehen. Dieser Punkt der professionsethischen Verpflichtung der Gesellschaft und dem Klienten gegenüber, die in das handlungslogische professionelle Wissen eingelagert ist, impliziert eine weitere „Ganzheitlichkeit“, die es so bei nicht-professionalisierten Berufen nicht gibt. Denn das professio- nelle Handeln ist nicht nur funktional arbeitsteilig an der gesellschaftli- chen Reproduktion beteiligt, sondern mit der treuhänderischen Verwal- tung zentraler gesellschaftlicher Werte oder Funktionskomplexe betraut. Und die Professionellen/Klienten-Beziehung ist nicht eine Beziehung zwischen einem Dienstleister und seinem Kunden, dessen Auftrag er als gegeben übernimmt und bearbeitet, sondern sie bildet eine (widersprüch- liche) Einheit, die unter anderem durch eine kooperative Herstellung der Definition des konkreten Ausgangspoblems des Klienten gekennzeichnet ist. Ziel einer Ausbildung sollte es sein, einen – durchaus auch prakti- schen – „Sinn“ für diese Zusammenhänge und die damit verbundenen professionsethischen Verpflichtungen zu vermitteln.

die hochschule 1/2005 67 III. Schlussfolgerungen

Was folgt aus den vorstehenden Überlegungen zu den verschiedenen As- pekten der „Ganzheitlichkeit“ professionellen Wissens für die hochschul- politische Diskussion? Zunächst folgt daraus nicht, dass die gegenwärtige Umstrukturierung der Hochschulausbildung grundsätzlich falsch wäre und man es in jeder Hinsicht bei der bisherigen Ordnung belassen sollte. Darum geht es nicht. Schon einleitend wurde deutlich gemacht, dass es sich um allgemeine Überlegungen handelt, nicht um eine Bewertung kon- kreter Regelungen. Dies ist schon allein deshalb im vorliegenden Rahmen nicht möglich, weil die Neuordnung der Studiengänge in hohem Maße Sache der jeweiligen universitären Fachbereiche und Institute ist. Dabei kann, wie so oft bei der „Umsetzung“ hochschulpolitischer Vorgaben, durchaus unterschiedliches geschehen. So können etwa mit der Integrati- on des geforderten stärkeren Praxisbezugs konkret ganz unterschiedliche Dinge verbunden sein: eine stärkere Einbeziehung der kunstlehrehaften Einübung in das Universitätsstudium oder eine instrumentell-praktische Vermittlung von Fertigkeiten im Hinblick auf neuere, nichtforensische Tätigkeitsfelder für Juristen. Ziel war es vielmehr, aus professionssozio- logischem Blickwinkel strukturelle Eigenschaften professionellen juristi- schen Wissens zu umreißen, die als Teile eines allgemeinen „Standards“ für die Vermittlung dieses Wissens angesehen werden können. Dieser Standard lässt sich vermutlich mit unterschiedlichen, vielleicht sogar „strafferen“ Arrangements der Ausbildungsordnung erreichen. Gleich- wohl spricht einiges dafür, dass mit der Tendenz einer fortschreitenden Differenzierung oder „Zerstückelung“ professioneller Wissensbestände, die die gegenwärtige Hochschulreform und die Diskussion um sie kenn- zeichnet, dieser Standard auf längere Sicht unterlaufen wird. Um diese Tendenz und die an sie anknüpfenden Folgen, nicht um die aktuellen Er- gebnisse der Reform, sollte es gehen. Betrachtet man die möglichen Effekte auf der Ebene institutionell- organisationeller Regelungen, so kann man vor dem Hintergrund der aus- geführten Überlegungen zunächst annehmen, dass eine Verabschiedung von der Ganzheitlichkeit des expliziten Wissens im Dienste einer ver- meintlichen Spezialisierung von Anfang an, einer Engführung der Aus- bildung auf bestimmte Wissensgebiete und juristische Funktionen, gerade nicht zu einer fortschreitenden Expertisierung führen würde, sondern zu einer strukturellen Nivellierung des Wissensabstandes zwischen Experten

68 die hochschule 1/2005 und Laien. Mit diesem eher professionspolitischen Aspekt ist eine Gefahr in sachlicher Hinsicht verbunden. Gefährdet ist nämlich die Vermittlung eines „Sinns“ für die Systematik und die Zusammenhänge des Rechts, d.h. für das, was „das Recht“ als gesellschaftlich institutionalisierte Form der Konfliktbearbeitung ausmacht. Das Risiko der systematischen Erzeu- gung einer juristischen Halbbildung erscheint noch gravierender, wenn man die Ebene des impliziten, handlungslogischen Wissens betrachtet. Denn eine Verabschiedung von der „Ganzheitlichkeit“ des handlungslo- gischen Wissens betrifft in besonderer Weise das berufliche Handeln. Ei- ne Abkehr vom „forensischen Paradigma“ der berufspraktischen Ausbil- dung, d.h. dem Schwergewicht auf dem gerichtlichen Verfahren, eine Abkehr von der Vermittlung der funktionalen Einheit der professionellen Verfahrensrollen sowie allgemein eine Abkehr von der kunstlehrehaften Vermittlung eines Professionshabitus würde die Rechtspraxis entschei- dend verändern. Wie sollte sich dann ein „praktischer Sinn“ für die in sich spannungshaften Handlungsanforderungen professionellen juristi- schen Handelns ausbilden? Wie sollte sich ein handlungslogisches Wis- sen entwickeln, für das beispielsweise selbstverständlich ist, dass der Rechtskonflikt nicht bloß ein Mittel der Interessenmaximierung unter an- deren ist oder dass Zeit nicht bloß eine ökonomische Ressource, sondern vor allem auch eine rechtsimmanente Größe darstellt14, und das wie selbstverständlich eine professionsethische Verantwortung für Klient und Gesellschaft einschließt? Nicht zu unterschätzen sind schließlich die möglichen Effekte des Diskurses um die Reform der Hochschulausbildung. Denn die Argumen- tationsstrukturen, die sich darin ausbilden und festsetzen, sind nicht nur für die aktuell getroffenen Regelungen relevant, sondern auch für die zu- künftige hochschulpolitische Entwicklung. Hierbei kann sich insbesonde- re die Übernahme professionsexterner Kriterien der „Effizienz“, „Kon- kurrenz“ und „Funktionalität“ als problematisch auswirken. Es besteht die Gefahr, dass das geteilte professionelle Selbstverständnis abhanden kommt, auf das man die vermeintlich oder tatsächlich relevanten „Forde- rungen des Tages“ abwägend zu beziehen hätte. Und dies ist sicherlich eine Gefahr, die nicht nur die Juristen betrifft.

14 Ausgedrückt in der Maxime, nach der schnelles Recht gutes Recht sei.

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die hochschule 1/2005 71 Hochschule, Professionen und Modernisierung Zu den professionssoziologischen Analysen Talcott Parsons’

Manfred Stock 1971 hat Parsons in einer autobiogra- Wittenberg phischen Rückschau einen leitenden Gesichtspunkt seines wissenschaftlichen Werkes in der Überschrift „Higher Edu- cation as a Theoretical Focus“ zusam- mengefasst (Parsons 1971a). Sie steht insbesondere für die späte Phase seines Schaffens. Repräsentativ hierfür sind seine Untersuchungen zur Struktur und Funktion des akademischen Systems (Parsons 1968a; Parsons/Platt 1968b), zur Organisation von Forschung und Lehre (Parsons 1971b), zur Sozialisation der Studenten in Hochschulen (Parsons/Platt 1970), seine Analysen zu den Effekten der Bildungsrevolution und Hochschulexpansi- on nach dem zweiten Weltkrieg (Parsons 1971c) und schließlich das zu- sammenfassende, gemeinsam mit Gerald M. Platt verfasste Buch „The American University“ (Parsons/Platt 1973). Die Ergebnisse dieser Unter- suchungen bringt Parsons mit der folgenden Aussage auf den ge- meinsamen Nenner: „the university has already become the most impor- tant distinctive structural focus of modern society, and is likely to become still more important in the future, superseding even the business firm and the governmental structure” (Parsons 1971a: 244). Der soziale Wandel, so Parsons weiter, gehe in der zeitgenössischen Phase der Moderne haupt- sächlich vom Hochschulsystem aus. Getragen werde er in erster Linie von den Professionen. Mit der Expansion der Hochschulbildung und der Pro- fessionalisierung verknüpft Parsons die Erwartung eines grundlegenden Modernisierungsschubes. Hochschulen und Professionen erhebt er gleich- sam zu „Leiteinrichtungen“ bzw. zu „Leitrollen“ in der Gegenwart. Auch in den früheren Etappen seines Schaffens, als der Hochschulbe- reich noch nicht im Zentrum seiner theoretischen Bemühungen stand, ging Parsons bereits von einer herausgehobenen Bedeutung der Professi-

72 die hochschule 1/2005 onen in der modernen Gesellschaft aus. In dem erwähnten autobiographi- schen Rückblick beschreibt Parsons die Problemlage, die sehr früh für ihn den Anstoß für diese Bedeutungszuschreibung gegeben hatte. Die Rolle des Professionellen schien sich der Semantik, die mit dem großen ideologischen Konflikt seiner Zeit, dem zwischen Kapitalismus und So- zialismus, verbunden war, nicht fügen zu wollen. In den herrschenden Theorien und ideologischen Vorurteilen wurde, so Parsons Beobachtung, der Kapitalismus und die ihn tragende Figur des Unternehmers als bloßer Ausdruck der rationalen Verfolgung eines egoistischen Eigeninteresses verstanden. Der Sozialismus schien das Gegenteil zu verkörpern. Er nahm für sich in Anspruch, nicht die egoistische Verfolgung eigener Inte- ressen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern ein kollektives Interesse der gesamten Gesellschaft. Der Professionelle stellte sich für Parsons als Repräsentant eines Normensyndroms dar, das jenseits dieser ideologi- schen Unterscheidungen lag. Und entsprechend brachte Parsons mit den Professionen die Erwartung einer entscheidenden strukturellen Transfor- mation in der Moderne in Zusammenhang: „The massive emergence of the professional complex, not the special status of capitalist or socialistic modes of organization, is the crucial structural development in twen- tiethcentury society“ (Parsons 1968b: 545). In gewisser Weise setzte Par- sons an die Stelle der Marxschen Antizipation einer „Befreiung der Ar- beit“, die dieser mit der kommunistischen Revolution verband, eine E- manzipationserwartung, die sich aus der Diagnose einer zunehmenden Autorität der Normen des Professionalismus in der Gesellschaft und de- ren Arbeitsorganisationen speiste. Ich möchte mich im Folgenden mit Parsons Interpretation des Zusam- menhangs von Hochschulexpansion, Professionsentwicklung und Mo- dernisierung beschäftigen. Ich gehe in drei Schritten vor. Zunächst be- handle ich (1.) Parsons gesellschaftstheoretisch ausgerichtete Untersu- chungen zum Zusammenhang von Hochschule und Professionen, die er insbesondere in den erwähnten späten Aufsätzen zum akademischen Sys- tem sowie in der umfänglichen Untersuchung der amerikanischen Uni- versität unternimmt. Dann setze ich mich (2.) mit seinen modernisie- rungstheoretischen Analysen auseinander, die Hochschulen und Professi- onen gleichsam zu „Leiteinrichtungen“ bzw. zu „Leitrollen“ in der zeit- genössischen Phase der Moderne erheben. Zum Schluss wende ich mich (3.) empirischen Studien zu, die die faktische Autorität jener Normen in

die hochschule 1/2005 73 den Blick nehmen, die Parsons mit dem Prozess der Professionalisierung von Beschäftigungsrollen in Zusammenhang bringt.

1. Professionen und Hochschule

Zunächst setzt Parsons als theoretischen Ausgangspunkt seiner professi- onssoziologischen Analysen die Unterscheidung von Professionen und individueller Nutzensmaximierung (Parsons 1939). Er versucht diese Dif- ferenz durch die Zurechnung auf normative Orientierungsmuster zu mar- kieren. Dazu benutzt er bekanntlich das Schema der „pattern variabels“, wobei er in zwei Schritten vorgeht. Allgemein zeichnen sich demnach Beschäftigungsrollen – im Unterschied zu Verwandtschaftsbeziehungen – durch universalistische, funktional spezifische, affektiv neutrale sowie auf „achievement“ gerichtete Orientierungen aus. Professionelle Rollen wer- den von Parsons in einem nächsten Schritt anhand des Variablenpaares „self-orientation vs. collectivity-orientation“ abzugrenzen versucht. In Bezug auf die Kollektivorientierung stellt er fest: „It is this which is dis- tinctive of professional roles (...) especially in contrast with business“ (Parsons 1951: 463). Aber schon bald sah sich Parsons aus unterschiedlichen Gründen ver- anlasst, das Variablenpaar „self-orientation vs. collectivity-orientation“ fallen zu lassen.1 Der Versuch, die Spezifik professioneller Rollen anhand der „pattern variables“ systematisch herauszuarbeiten, war insofern an grundbegriffliche Grenzen gestoßen.2

1 Vgl. dazu Parsons/Smelser (1956: 36f.), die dieses Variablenpaar folglich bei der Übersetzung der pattern variables in das AGIL-Schema auch aussortieren. 2 In „The Social System“ geht Parsons über die Zuordnung der Professionen auf den einen Pol der pattern variables hinaus. Für Professionen, die es mit der Identität von Personen zu tun haben, also für Ärzte und Therapeuten, stellt er fest, dass sich diese in einem Feld widersprüchlicher Handlungsanforderungen bewegen, das sich aufspannt zwischen dem Universalismus-Spezifizität-achievement-Neutralität-Pol und dem Partikularismus-Diffu- sität-ascription-Affektivität-Pol. Ärzte und Therapeuten müssen sich danach mit Blick auf den Klienten zugleich permissiv gegenüber den zuletzt genannten Erwartungen verhalten, ohne dabei weder in Ablehnung noch in Verführbarkeit („seducibility“) abzugleiten (Parsons 1951: 314 ff.). An diese Diagnose einer widersprüchlichen Konstellation knüpft die Professionalisierungstheorie von Ulrich Oevermann an (vgl. in diesem Band). Parsons selbst nimmt diesen Gedanken erst wieder in „The American University“ unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen „Intelligenz“ und „Affekt“ auf, die dann aber als generalisierte Austauschmedien konzipiert werden. Darauf komme ich zurück.

74 die hochschule 1/2005 Auch vor dem Hintergrund dieser Probleme ist die grundbegriffliche Umstellung auf das AGIL-Schema der funktionalen Imperative („adapta- tion“, „goal-attainment“, „integration“, „latent pattern-maintenance“) und entsprechender Teilsysteme sowie auf die Theorietechnik deren Kreuzta- bellierung zu verstehen.3 Parsons richtet dabei seinen Blick nicht nur auf die Differenzierung von Teilsystemen, sondern auch auf jene Beziehun- gen, die zwischen diesen bestehen. Für seine späten professionssoziologi- schen Analysen sind diese Beziehungen von entscheidender Bedeutung. Denn nun fungieren die Professionen für ihn in unterschiedlichen Hin- sichten gleichsam als Einrichtungen der Transmission normativer Stan- dards von den Hochschulen zu den anderen Bereichen des sozialen Sys- tems bzw. des Handlungssystems. Bei diesen Analysen stützt sich Par- sons auf allgemeine theoretische Konzepte, die er für die Analyse inter- systemischer Beziehungen bereithält. Zum einen arbeitet er mit dem Konzept der symbolisch generalisierten Tauschmedien. Zwischen den Systemen gibt es demnach doppelte „interchange“-Beziehungen, die von spezifischen Austauschmedien vermittelt werden. Zum anderen bezieht er sich auf das Konzept der Kontrollhierarchien, das die Systeme nach ihrer Funktion in eine hierarchische Ordnung bringt. Mit diesen grundbegrifflichen Umstellungen verschiebt Parsons auch seine Unterscheidung von Beschäftigungsrollen professionellen und nicht-professionellen Charakters. Professionelle Rollen sind für Parsons nun grundsätzlich solche, die in den Universitäten ihren Entstehungsort haben. Sie operieren erstens auf der Grundlage von normativen Stan- dards, die in der Universität erzeugt und in den anderen Subsystemen der Gesellschaft verankert werden. Zweitens sind ihre Operationen an spezi- fische Austauschmedien gebunden, die die Beziehungen zwischen der Universität und anderen Teilsystemen vermitteln: auf der Ebene des sozi- alen Systems an die Medien „Einfluss“ und „Wertbindungen“ („value commitments“), auf der Ebene des allgemeinen Handlungssystems an die Medien „Affekt“ und „Intelligenz“.4 Im Folgenden orientiere ich mich nur am Rande an diesen theoriesystematischen Unterscheidungen. Die Zuordnung der Medien auf das Handlungs- bzw. Sozialsystem lasse ich weitestgehend unberücksichtigt.

3 Eine sehr gute und bündige Einführung dazu findet sich in Luhmann (2002: 22 ff.). 4 Es ist hier nicht der Platz, um Parsons Theorie der symbolisch generalisierten Austausch- medien näher zu erörtern. Vgl. dazu zusammenfassend Parsons (1980).

die hochschule 1/2005 75 Die normativen Grundlagen professionellen Handelns werden von Parsons als Outputs der Universität als Teil des Treuhandsystems mit L- Funktion („latent pattern-maintenance“) beschrieben, die im Hinblick auf die anderen sozialen Teilsysteme mit A-, G- und I-Funktionen („adaptati- on“, „goal-attainment“ und „integration“) erzeugt werden.5 Demnach kommt es im Hinblick auf das Beschäftigungssystem (ge- hört zum A-System) zu einem „output of labor capacity as governed by value-commitments“ (Parsons/Platt 1973: 260). Die commitments, also die Wertbindungen, die den Professionellen auszeichnen, entstehen dabei in der Universität auf zwei Stufen. Parsons bringt an dieser Stelle die Spezifika professionellen Handelns mit der Struktur der amerikanischen Universität in einen Zusammenhang. Voraussetzung für den Besuch einer professional school ist demnach der Abschluss eines undergraduate- colleges. Die undergraduate-Bildung hat den Charakter von „general edu- cation“. Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Debatte in Deutschland um die Einführung von BA/MA-Studiengängen, die sich ja auf das amerikanische Modell beruft, ist an diese Analyse zu erinnern. In Deutschland verbindet sich mit dem BA-Studiengang die Vorstellung ei- ner beruflichen Qualifikation. Diese Vorstellung missversteht aber genau die strukturelle Logik der amerikanischen Universität, auf die Parsons hinweist. Nach Parsons geht es im undergraduate-Studiengang der ameri- kanischen Universität, der zum BA führt, zuvörderst um die Sozialisation einer „educated citizenry“ (Parsons/Platt 1973: 53). Damit ist nicht etwa der Erwerb eines festgelegten Bestandes staatsbürgerlichen Grundwissens gemeint. Es geht hingegen um die Sozialisation der Studenten durch die Teilnahme am akademischen Leben, wobei die Einübung in „procedural norms for the conduct of intellectual discourse“ (Parsons/Platt 1973: 155)

5 Ich beschränke mich folgend auf die „factor“-Dimension der „applied interchanges at the social system level.“ Der Stellenwert, der von Parsons der Universität in der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Professionen beigemessen wird, erschließt sich wesentlich auf dieser Ebene. Für den Leser, der sich darauf einlassen möchte, den Verzweigungen des Parsons’schen Gedankengebäudes zu folgen: Die folgenden Outputs der Universität finden sich im zusammengefassten Schema der „categories of societal interchange“ (Parsons/Platt 1973: 256 ff. und 432). Sie werden dort auf der Faktor-Dimension jeweils dem L- Subsystem (also dem Treuhandsystem) insgesamt zugeordnet. Damit ist zugleich gesagt, dass ich hier die „applied professions“ in den Mittelpunkt stelle. Jene Professionen, die Parsons dem L-System selbst zuordnet, also die Professionen der „reinen Wissenschaft“ und jene, die mit der Ausbildung der Professionellen befasst sind, bleiben unter dem Gesichtspunkt der hier interessierenden Frage nach dem Zusammenhang von Hochschul- expansion, Professionsentwicklung und Modernisierung weitgehend unberücksichtigt.

76 die hochschule 1/2005 im Vordergrund steht. Die habitualisierte Orientierung an Verfahrens- normen des Diskurses versteht Parsons als Ressource für den Aufbau ei- ner spezifisch modernen Form der Solidarität, die er an das generalisierte Austauschmedium Affekt bindet. In der Auseinandersetzung mit unter- schiedlichen Gegenständen internalisieren die Studenten das Wertmuster kognitiver Rationalität und lernen dieses auf die unterschiedlichsten Zu- sammenhänge in einer funktional differenzierten Gesellschaft zu übertra- gen. Dabei bilden das Moment der individuellen „self-realization“ und der Erwerb von „rational social responsibility“ eine Einheit (Parsons/Platt 1973: 95 ff., 163 ff.). Commitments gegenüber dem Wert kognitiver Ra- tionalität und gegenüber sozialer Verantwortlichkeit werden so gleicher- maßen im allgemeinbildenden undergraduate-Studium aufgebaut. Die spezialisierte Ausbildung in den professional schools schließt daran an. Die beiden genannten value-commitments werden hier im Hinblick auf ein ausgezeichnetes Feld der Lösung praktischer Probleme spezifiziert. Dies geschieht sowohl im Zuge der Aneignung kognitiver Ressourcen der entsprechenden Einzelwissenschaften als auch durch die Habitualisierung von sozial verantwortlichem Handeln in den entsprechenden klinischen Zweigen der professional schools. „Indeed“, so fasst Parsons zusammen, „our analysis implies that the socialization function of general education needs to be combined with that of professional training in the cognitive and affective operation of the professional schools to produce optimum labor-capacity for performing applied professional function“ (Par- sons/Platt 1973: 261). Parsons verdeutlicht dieses am Beispiel des Arztes. Dieser habe die Standards kognitiver Rationalität zu vertreten und zwar „in a framework of affective solidarity, in this case with the patient, so as not to dehumanize the relationship“. In dieser Dimension gehe es eben- falls um die Mobilisierung von Wissen, allerdings „not so much in its in- strumental significance for diagnosis or therapy as in its existential mean- ings with respect to patient’s situations and their human significance“ (Parsons/Platt 1973: 259). Die Interaktionen des Professionellen mit dem Klienten beruhen für Parsons sowohl auf Intelligenz – dem generalisier- ten Medium, das als Ressource für die Lösung kognitiver Probleme zu mobilisieren ist – als auch auf Affekt – dem Medium, welches die Solida- rität des sozialen Systems vermittelt. In theoretischer Hinsicht ist bemer- kenswert, dass an dieser Stelle professionelles Handeln von Parsons nicht allein unter dem Gesichtspunkt normativer Orientierungen analysiert wird. Professionelles Handeln, soll es erfolgreich sein, nimmt hingegen

die hochschule 1/2005 77 bestimmte Medien in Anspruch (oder nicht in Anspruch – wie etwa Macht), die die Annahmewahrscheinlichkeit einer Kommunikationsoffer- te in der Interaktion zwischen Professionellem und Klienten erhöhen.6 Im Hinblick auf die „societal community“ (I-Funktion) erzeugt die Universität einen Output, den Parsons als „commitment to valued associ- ation“ (Parsons/Platt 1973: 261) bezeichnet. Parsons geht es dabei um die Form der sozialen Beziehungen, die mit der „academic community“ in der amerikanischen Universität institutionalisiert ist, und die er als „asso- ciational“ charakterisiert. In der sozialen Systemdimension findet für ihn in dieser Form das allgemeine amerikanische Wertmuster des institutio- nalisierten Individualismus seine angemessenste Entsprechung. Die Indi- viduen sind hier als autonome und formal gleiche in ein Verhältnis wech- selseitiger Anerkennung gesetzt. Dieses symmetrische Verhältnis wird durch Verfahrensregeln der akademischen Freiheit reguliert. Allein der sanfte Zwang des besseren Arguments beanspruche Autorität: „The aca- demic world is one of several areas in modern society where procedural rules have been institutionalized and in which one is offered conditions for learning them. Procedural rules take many forms, but common one is embodied in the principle of academic freedom. This principle offers spe- cial protection for expressing opinions, and this protection is universal- ized for all participants. At the same time it is necessary to observe cogni- tive standards. The right to criticize claims to cognitive validity of a point of view is balanced by an obligation to cite evidence to substantiate the challenge“ (Parsons/Platt 1973: 199). Diese assoziationale Form der aka- demischen Beziehungen in der Universität gilt Parsons als „symbolic pro- totype of good solidarity“ (Parsons/Platt 1973: 261). Die normative Vor- stellung von der Assoziation als angemessener Form sozialer Beziehun- gen werde von der Universität in die societal community transportiert und trage entscheidend dazu bei, einen entsprechenden Typ an Solidarität zu verallgemeinern. In Hinsicht auf die Interaktion zwischen Professionel- lem und Klienten ist dies, so Parsons, die Voraussetzung dafür, dass sich zwischen ihnen eine Beziehung aufbaut, die von Vertrauen getragen ist. Ebenso bringt Parsons die Form der professionellen Verbandsorganisati-

6 Vgl. dazu die Theorie der symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien bei Luh- mann (u.a. 1997). Bei Parsons deutet sich dies allerdings nur an, insgesamt bleiben bei ihm auch die Austauschmedien in den normativistischen Begriffsapparat von AGIL eingespannt, der Kultur, Werte und Normen an der Spitze der kybernetischen Steuerungshierarchie platziert.

78 die hochschule 1/2005 on mit dem genannten commitment in Zusammenhang. Sowohl die Be- ziehungen zwischen Klienten und Professionellen als auch die Beziehun- gen in den Professionsverbänden zeichnen sich demnach durch den nor- mativen Bezug auf ein „associational pattern“ aus. Mit der Expansion der akademischen Bildung gewinnt für Parsons das normative Konzept der Assoziation gegenüber dem bürokratischen Kon- zept der Hierarchie mehr und mehr an Autorität. Die Universität gilt ihm daher als ein säkularer Nachfolger der Glaubensgemeinschaften des aske- tischen Protestantismus. Sie ist der Ort, von dem die Institutionalisierung eines neuen normativen Konzeptes angemessener Organisation ausgeht, das das bürokratische ablöst. Universalistische Normen, die auch schon mit dem bürokratischen Konzept institutionalisiert waren, werden nun mit der normativen Vorstellung einer „company of equals“ in Zusam- menhang gebracht: „Academic pressure tends to favor the combination of universalistic norms with the egalitarian component of the collectivity de- fined as a company of equals“ (Parsons/Platt 1973: 261). Als Output im Austausch mit dem G-System wird schließlich ein commitment erzeugt, das Autorität legitimiert. In dieser Hinsicht gene- riert die Universität commitments im Hinblick darauf, dass bestimmte professionelle Berufsgruppen als legitimiert erscheinen, eine treuhänderi- sche Verantwortung für besondere Funktionen zu übernehmen und zwar unter Bezug auf die normativen Standards kognitiver Rationalität. Ein Mediziner ist legitimiert, für die Gesundheit der Menschen Sorge zu tra- gen und er darf dies nicht etwa unter Anwendung von Magie tun, sondern ist an entsprechende wissenschaftliche Standards gebunden. Diese spezi- fische Autorität macht sich für Parsons nicht über das Medium „Macht“ geltend, sondern über das generalisierte Medium „Einfluss“ („influen- ce“). Während die Ausübung von Macht den Normen bürokratischer Or- ganisation entspricht, ist dem Konzept der Assoziation allein das Medium „Einfluss“ angemessen. Es zeichnet sich dadurch aus, dass das Gegen- über in der Interaktion über den Austausch von Argumenten zu überzeu- gen ist. Es ist ein „symbolic medium of persuasion“ (Parsons 1971a: 246). Im Gegensatz etwa zur Interaktion zwischen Wissenschaftlern ist allerdings im Falle der Beziehung zwischen Professionellem und Klien- ten die Überzeugungsarbeit unter den Bedingungen einer „Kompetenzlü- cke“ zu leisten. Diese Lücke kann nur durch Vertrauen überbrückt wer- den. Dies setzt wiederum normative Bedingungen voraus, die bei Parsons

die hochschule 1/2005 79 letztlich immer mit dem Begriff der Solidarität, von dem schon die Rede war, umschrieben werden: „If influence is a symbolic medium, however, it is not intrinsically persuasive any more than money has ‘value in use’ or, in my conception, power has in- trinsic ‘capacity to coerce’. It must rest on other bases for its efficacy, our view being that, from the point of view of the actor, it involves some kind of trust in the persuader resting on belief or ‘confidence’ in his competence and integrity. Another way of formulating this is to say that one’s influence de- pends on one’s ‘prestige’. From the point of view of the collective system, however, this is a function of ‘solidarity’ in the Durkheimian sense. Solidarity is essentially the institutionalized form of mutual trust which creates a pre- sumption that Ego, in seeking to persuade Alter to do something, is not trying to ‘exploit’ him, but is acting in Alter’s interest and/or in the interest of a col- lectivity to which both belong“ (Parsons 1971a: 247). Der Klient vertraut dabei angesichts der Kompetenzlücke auf die mora- lisch-treuhänderische Verantwortung („fiduciary responsibility“) des Pro- fessionellen. Für Parsons, und das ist der Kern seiner Argumentation, gewinnen mit der Expansion der Universitäten und der Professionen commitments mehr und mehr an Gewicht in der Gesellschaft, die ein „associational pat- tern“ abstützen und stabilisieren. Damit wird auf breiter Front ein norma- tives Syndrom institutionalisiert, das der Bürokratie widerspricht. Für Parsons konstituiert dies eine neue Etappe der Modernisierung.

2. Professionen und Modernisierung

Den Prozess der westlichen Modernisierung analysiert Parsons anhand der Unterscheidung von drei Revolutionen (Parsons 1971c, Parsons/Platt 1973). Zunächst bildeten die industrielle und demokratische Revolution den Inhalt des Modernisierungsprozesses. Beide hatten ihren Ausgangs- punkt in den universalistischen Kulturmustern des asketischen Protestan- tismus. Dieses Wertsystem rekonstruiert Parsons in Anlehnung an Weber und beschreibt es als Kombination der allgemeinen Wertmuster des „in- stitutionalized individualism“ und des „instrumental activism“. Der hier- von ausgehende normative Druck („value pressure“) orientiere auf die In- stitutionalisierung von citizenship und der damit verbundenen politischen, zivilen und sozialen Rechte, auf die Institutionalisierung eines Marktes, einschließlich eines Arbeitsmarktes, sowie auf die betriebsförmige Orga- nisation der Produktion. Das „associational pattern“ verschaffe sich dabei, so Parsons, im Ergebnis der demokratischen Revolution zunächst in der

80 die hochschule 1/2005 Form von citizenship Geltung. Der industriellen Revolution entspreche die Ausdifferenzierung von Beschäftigungsrollen und deren Verselbstän- digung gegenüber den familialen Beziehungen. Parsons bezeichnet dies als „occupationalizing“. Als erste moderne Rolle wird dabei die des Ar- beiters konstituiert. Die Rolle des Familienunternehmers enthält hingegen noch eine vormoderne, nämlich askriptive Komponente. Die Organisati- onsformen der Produktion folgen in dieser Modernisierungsphase dem Leitbild der Bürokratie. Sie gilt im Zusammenhang der genannten kultu- rellen Standards als rationale und legitime Form der Arbeitsorganisation. Mit der Trennung von „ownership and control“ kommt es zu einer weiteren Rollendifferenzierung, die den „occupational manager“ als eine vollständig ‘durchmodernisierte’ Rolle konstituiert. Zugleich werden die mit „Eigentum“ verbundenen Funktionen nun von einem „fiduciary board“ wahrgenommen. Diese treuhänderischen Vorstände operieren nicht in der Form von Bürokratie, sondern bereits in der Form des „asso- ciational pattern“ (Parsons 1971c: 25). Die demokratische Revolution, so hatte ich schon erwähnt, beinhaltet im Kern die Institutionalisierung von politischen, zivilen und sozialen Bürgerrechten. Die Bildungsrevolution, die nach Parsons für die zeitge- nössische Modernisierungsphase bestimmend ist, verdankt sich der Wirk- samkeit der im „citizenship-complex“ institutionalisierten sozialen Teil- haberechte des Bürgers. Parsons betrachtet die Bildungsrevolution kei- nesfalls als Reflex auf Leistungsansprüche, die sich mit der technologi- schen Entwicklung im Rahmen der Industrialisierung ergäben. Die kulturellen Wertmuster, die sich in dieser Revolution Ausdruck verleihen, seien primär nicht mehr religiöser Art: „The educational revo- lution has introduced mechanisms by which the new cultural standards, especially those embodied in the intellectual disciplines, are institutional- ized in ways that partly replace traditional religion“ (Parsons 1971c: 99). Das moderne universalistische Wertmuster wird in säkularisierter Form im kognitiven Komplex, insbesondere in der Universität stabilisiert. Für Parsons verbindet sich damit, wie gezeigt, ein Autoritätsgewinn des „as- sociational pattern“ als integrierender Kollektivstruktur. Die Bildungsrevolution erfasst nach dem primären und sekundären Bereich auch den tertiären. Damit entwickelt sich die Hochschulbildung von einer Elitenbildung zur „mass education“, also zur Bildung aller. Par- sons sieht zwei Effekte dieser Entwicklung. Zum einen werde die Struk- tur der Beschäftigungsrollen einem „general upgrading“ unterworfen.

die hochschule 1/2005 81 Dies greife in die Struktur der Arbeitsorganisationen hinein. Parsons wendet sich ausdrücklich gegen die Annahme, dass dieses „upgrading“ zu einer hohen Arbeitslosigkeit der Hochqualifizierten führe. Im Gegen- teil: Man könne sich diesem upgrading nicht entziehen, ohne seine beruf- lichen Chancen aufs Spiel zu setzen. Dieser Zwang bringe einen allge- meinen Kompetenzzuwachs auf Seiten der Arbeitskräfte hervor, dem sich auch die Betriebe nicht entzögen. Dabei wird eine Entwicklung unter- stellt, in deren Resultat sich nicht die Webersche Figur des Fachmen- schen durchsetzt. „More general levels of competence“, so die Interpreta- tion von Parsons, „rather than particular skills“ (Parsons 1971c: 110), be- anspruchten Autorität in der Arbeitswelt. Diese letzte Feststellung steht mit einem zweiten Effekt der Bildungs- und Hochschulexpansion im en- gen Zusammenhang, der die bereits genannte Verallgemeinerung des „as- sociational pattern“ betrifft. Die Bildungsexpansion ist nicht nur der zu- nehmenden Autorität sozialer Bürgerrechte geschuldet, sondern sie trägt selbst, wie Parsons anhand der universitären Outputs zu zeigen versucht, zur Verbreitung des „associational pattern“ bei: „The emphasis in the United States on an associational pattern of social de- velopment favoured early initiation of the educational revolution and its ex- tension farther than has occurred in any other society. This revolution in turn strengthened the associational trend, primarily through its effects upon the stratification and occupational systems“ (Parsons 1971c: 96). Mit der Bildungsrevolution dringe das „associational pattern“, welches sich bislang in erster Linie auf die Rollenkonstruktion des Bürgers (citi- zenship) beschränkte, nun auch in die Arbeitsorganisationen vor. Dieser Prozess wird für Parsons von den Professionellen getragen. Dem Prozess des „occupationalizing” folge nun die „professionalization”. In prägnanter Formulierung heißt es zu dieser Phase der westlichen Moderne: „The professions have also been increasingly involved in business, other ar- eas of the ‘private sector’, and government. (...) The organizations have be- come more associational, for it is essential to secure cooperation of specialists without asserting sheer authority. Much of modern ‘bureaucracy’ thus verges on the ‘collegial’ pattern“. … „This ‘collegial’ pattern, modifying bureauc- racy in an associational direction, involves membership roles that are occupa- tional“ (Parsons 1971c: 105). Mit dieser Diagnose kommt Parsons, und das mag Erstaunen hervorrufen, der Marx’schen Idee einer befreiten Arbeit nahe, die der sozialen Form

82 die hochschule 1/2005 einer „freien Assoziation“ folge.7 Konzipierte Marx dies als revolutionäre Aufhebung der Rollenbestimmung des Arbeiters, so Parsons als breite Diffusion und Generalisierung der professionellen Berufskultur, die im Gefolge der Hochschulexpansion mehr und mehr Beschäftigungsrollen durchdringe. Die Universität avanciert so zur Leiteinrichtung der zeitge- nössische Moderne. Diese herausgehobene Stellung der Universität ergibt sich bei Parsons als logische Folge des grundbegrifflichen Aufbaus seiner Systemtheorie. Parsons platziert die Universität in einer Interpenetrationszone zwischen dem kulturellen System (also dem Teilsystem des allgemeinen Hand- lungssystems mit L-Funktion) und dem Treuhandsystem (also dem Teil- system mit L-Funktion auf der Ebene des sozialen Systems). Als die zent- rale Einrichtung der L-Funktion, der „latent pattern maintenance“, kommt ihr nach dem Konzept der kybernetischen Kontrollhierarchie per se eine herausgehobene Stellung zu.8 Sie steht an der Spitze der Steuerungshie- rarchie und ist daher auch die entscheidende Ressource einer als „creative pattern change“ (1971c: 5) gedachten gesellschaftlichen Innovation. Es stellt sich die Frage, ob diese Sonderstellung, die Parsons der Uni- versität zuschreibt, zu rechtfertigen ist. Bei der Einführung des Schemas der funktionalen Imperative war er zunächst nur davon ausgegangen, dass Handlungssysteme sich allein dann konstituieren, wenn alle vier Funktio- nen gleichermaßen erfüllt sind. Zugleich hält Parsons aber an seiner Be- stimmung des Verhältnisses von sozialem System und kulturellen Mus-

7 Zur Konzeption einer Professionalisierung der Arbeit bei Marx vgl. ausführlich Stock (2003). 8 Dieses Konzept bringt die Systeme hinsichtlich ihres Informationsgehaltes und ihres Energiegehaltes in eine Rangfolge. Auf den verschiedenen Ebenen der Systembildung sind demnach die den allgemeinen Funktionen zugeordneten Subsysteme in Hinsicht auf den Informationsgehalt nach dem Schema A (niedrigster Informationsgehalt des zugeordneten Systems)  G  I  L (höchster Informationsgehalt des zugeordneten Systems) geordnet. In Hinsicht auf den Energiegehalt ergibt sich eine entgegengesetzte Rangfolge (L  I  G  A). Diese Reihenfolge muss sich schon allein gewissermaßen ‘immanent kybernetisch’ aus den abstrakten Systemfunktionen selbst ergeben. Denn nur unter dieser Voraussetzung macht es überhaupt Sinn, auf allen nur denkbaren Dimensionen der Subsystembildung die entsprechenden Teilsysteme – unabhängig von ihrer materialen Bestimmung – in diese Ordnung zu bringen. Theoretisch folgenreich wird die Unterscheidung von Subsystemen nach Informations- und Energiegehalt, wenn Parsons sie mit den entsprechenden steuerungstheoretischen Überlegungen der Kybernetik zusammenbringt. Demnach regu- lieren Systeme mit höherem Informationsgehalt und niedrigerem Energiegehalt Systeme mit niedrigerem Informationsgehalt und höherem Energiegehalt. Parsons bezeichnet diese „cybernetic relations“ in ihrer Gesamtheit auch als Kontrollhierarchie.

die hochschule 1/2005 83 tern fest, die er bereits in den grundlagentheoretischen Untersuchungen zu Beginn der 50er Jahre ausgearbeitet hatte. Strukturbildungen des Sozi- alen werden für Parsons nur über „Kultur“ vermittelt. In „The Social Sys- tem” hieß es: „We cannot speak of the structure of the social system in theoretical terms at all without speaking of the institutionalization of cul- tural pattern“ (Parsons 1951: 538). Unter „Kultur“ versteht Parsons dabei ganz wesentlich normative Orientierungsmuster. Mit dem Übergang zu AGIL verdichtet sich dies zu einer Sonderung der Kultur als Teilsystem des allgemeinen Handlungssystems gegenüber dem sozialen System. Die kulturellen Muster werden in „Economy and Society“ nun als „Pro- gramm“ in Analogie zum Computerprogramm konzipiert (Par- sons/Smelser 1956). Sie bilden ein in sich differenziertes, aber sogleich kohärentes Ganzes, das gegenüber dem sozialen System in gewisser Wei- se, als eigenes kulturelles System, externalisiert ist. Dadurch ist „Kultur“ sogleich in der Lage, Strukturzusammenhänge des sozialen Systems normativ zu garantieren. Im Hinblick auf das soziale System wird „Kul- tur“ als vorausgesetzt betrachtet. Sie wird nicht in den Strukturen des so- zialen Systems produziert und reproduziert, sondern die normativen Mus- ter steuern das soziale System, das damit nur noch nach dem Schema von Konformität/Abweichung operiert. Das kulturelle System bzw. (auf der Ebene des sozialen Systems) das Treuhandsystem stehen insofern ganz zwangsläufig schließlich an der Spitze der Kontrollhierarchie.

3. Empirische Befunde zur faktischen Autorität professioneller Normen in Arbeitsorganisationen

Parsons nimmt mit seiner modernisierungstheoretischen Argumentation zur Professionalisierung jene Diagnosen und Empfehlungen zum ‘post- modernen’ oder ‘postindustriellen’ Management vorweg, die gegenwärtig eine Umstellung von bürokratischen zu enthierarchisierten und entbüro- kratisierten Unternehmensformen sowie eine breite Professionalisierungs- tendenz sehen, die mehr und mehr Beschäftigte erfasst.9 Die Manage- mentliteratur deutet diese Umstellung jedoch in erster Linie als Reaktion

9 In der Soziologie der Professionen wird die Parsons’sche Argumentation heute von Freidson unter dem Stichwort der „knowledge-based work“ aufgenommen (Freidson 1994: 100 ff.). In der Managementliteratur findet sie sich unter dem Stichwort der „pro- fessionalization of the workers“ (so der renommierte MIT-Autor Michael Hammer, 1996) wieder.

84 die hochschule 1/2005 auf eine neue, differenzierte und individualisierte Struktur der Marktnach- frage oder als Reaktion auf Ansprüche, die aus dem Einsatz der neuen In- formations- und Kommunikationstechnologien erwüchsen. Die Unter- nehmen steigerten demnach auf dem Wege der Enthierarchisierung, De- zentralisierung und Entdifferenzierung ihre eigene Komplexität und Fle- xibilität, um diesen Anforderungen gewachsen zu sein. Bei Parsons stehen die Annahmen zum Wandel von Organisations- strukturen und zur Professionalisierung der Rollenkonstrukte von Be- schäftigung hingegen in einem übergreifenden, die Transformation der Struktur der modernen Gesellschaft insgesamt betreffenden Zusammen- hang. Diese Transformation nimmt für ihn, wie ich zeigen konnte, in der Universität ihren Ausgangspunkt und verdankt sich der normativen Durchsetzungskraft des „associational pattern“. Stellt man in Rechnung, dass die Trendsetter der Managementliteratur entweder an den amerikani- schen business schools geschrieben werden oder von Autoren, die an je- nen Einrichtungen ihre Ausbildung erfahren haben, so könnte man mit Parsons die neuen Managementempfehlungen als Momente jenes von der Universität ausgehenden normativen Druckes deuten, der schließlich zu einer Implementierung des „associational pattern“ in den Arbeitsorga- nisationen führe. So weisen empirische Longitudinalstudien anhand von Literaturauswertungen nach, dass sich in Amerika mehr und mehr als lei- tende Vorstellung von Organisation ein „participatory citizenship model“ (Luo 1999, 2003) durchsetzt. Die Programme für betriebliche Weiterbil- dungen orientierten sich entsprechend zunehmend an einem solchen Mo- dell.10 Dies mag als Indiz für die Diffusion eines normativen Musters ge-

10 Es gibt natürlich auch Studien, die zu anderen Ergebnissen kommen. Ein interessantes Beispiel ist die ebenfalls als Longitudinalstudie angelegte Untersuchung von Barley/Kunda (1992) zu Managementideologien in Amerika. Allerdings arbeiten die Autoren mit der Unterscheidung von „rationalen“ und „normativen“ Ansätzen. Diese Unterscheidung korrespondiert in etwa mit der Unterscheidung von bürokratischen Modellen der Unternehmensorganisation und solchen, die explizit normativ argumentieren und eher am Modell einer „company of equals“ orientiert sind. Barley/Kunda sehen nicht eine einfache Ablösung von bürokratischen Modellen durch nicht-hierarchisch orientierte Modelle, sondern eine Wellenbewegung – in ihrer Terminologie – von „rationalen“ und „normativen“ Modellen. Diese Bewegung verläuft über die Ideologie des „industrial betterment“ (normativ konnotiert) der Jahre zwischen 1870 und 1900, des „scientific management“ (rational konnotiert) im Zeitraum von etwa 1900 bis 1923, der „human relations“ (normativ konnotiert) in den Jahren von 1925 bis 1955, des „system rationalism“ (rational konnotiert) in der Spanne zwischen 1955 und 1980 bis hin zur Ideologie der „organizational culture“ der 80er und 90er Jahre (normativ konnotiert). Die Autoren setzen diese Wellenbewegung in Beziehung zu den Kondratieffschen „Langen Wellen“ der wirtschaftlichen Entwicklung

die hochschule 1/2005 85 wertet werden, das sich mit Parsons „associational pattern“ weitgehend deckt. Zugleich lassen aber auch diese Studien offen, inwieweit es zu ei- ner entsprechenden Transformation der Organisationsstrukturen kommt. Parsons setzt diese strukturelle Transformation als Korrelat eines normativen Wandels schlicht voraus, der mit der Zunahme des professio- nellen Personals in Arbeitsorganisationen einhergehe. Einerseits hat sich Parsons’ Diagnose der Bildungsrevolution bestätigt. Das zeigen empiri- sche Untersuchungen zur Bildungs- und Hochschulexpansion im Welt- maßstab (Ramirez/Boli 1987, Ramirez/Riddle 1991). Ebenso kann davon ausgegangen werden, dass Professionelle (im Parsons’schen Sinne, also einschließlich der an business schools ausgebildeten Manager) als Mit- glieder von Arbeitsorganisationen im Bereich von Industrie und Dienst- leistung im Vergleich zu anderen Personalgruppen auf dem Vormarsch sind.11 All das muss aber andererseits im Hinblick auf die faktischen Strukturen von Arbeitsorganisationen noch nichts bedeuten. Sie können ganz anderen Prämissen folgen. Ihr Aufbau wird keinesfalls zwangsläufig durch jene normativen Vorgaben kontrolliert, die Parsons mit den Profes- sionellen verknüpft. Empirische Untersuchungen zu den Voraussetzun- gen der Kommunikation in Arbeitsorganisationen, die im großen Maße auf die Kompetenz professionellen Personals angewiesen sind, liegen kaum vor. Eine Ausnahme bildet die umfassende betriebsethnologische Studie von Gideon Kunda (1992). Sie gibt einen hervorragenden Ein- druck von den vielschichtigen Prämissen, die der Kommunikation zwi- schen Managern und Ingenieuren in einem High-Tech-Unternehmen zugrunde liegen. Demnach orientiert sich zum einen das Management tat- sächlich an normativen Vorgaben, welche mit jenen übereinstimmen, die Parsons unter dem „associational pattern“ zusammenfasst: In den offiziel- len Selbstbeschreibungen der „Company Philosophy“, die vom Manage- ment beständig erarbeitet werden und im Unternehmen in den unter-

und kommen zu dem Ergebnis, dass die wirtschaftliche Aufschwungphasen, die mit der Einführung neuer Technologien einhergehen, mit rationalen Modellen korrelieren, während in Abschwungphasen eher die Ausnutzung des Faktors „Arbeit“ in den Mittelpunkt der Managementrhetorik rückt und daher eine Korrelation mit normativen Modellen fest- zustellen ist. 11 Vgl. dazu Barley (1996: 10 ff.) anhand von Daten über die Entwicklung in den USA, Kanada und Großbritannien. Vgl. auch Teichler (1991) sowie die international ver- gleichenden Zeitreihen von Castells/Aoyama (1994). Diese Entwicklung läuft aber im Ländervergleich auf eine sehr differenzierte Art und Weise ab. Vgl. dazu: Teichler (1996) und die Länderstudien in: Paul/Teichler/van der Velden (2000).

86 die hochschule 1/2005 schiedlichsten Formen zirkulieren, finden sich zuhauf Formulierungen wie die Folgenden: „The matrix organization is goal-oriented and depends on trust, communica- tion and team work. As a result, most employees function as independent consultants on every level, interacting across many areas necessary to accom- plish the task. (...) We encourage a spirit of cooperation among all employees. (...) High Technologies (Dies ist das Pseudonym, das der Autor der Studie dem untersuchten Unternehmen verliehen hat – M.S.) places a high value on individual responsibility. While valuing of individual employee initiative of- fers us varying degrees of freedom in terms of decision-making, open com- munication and bottom-up problem solving, there can be no freedom without responsibility; and one of the most employee responsibilities is self- management“ (Kunda 1992: 56 f.). Die Topmanager berufen sich zudem, so zeigen die von Kunda geführten Interviews, auf den Geist der Wissenschaft, wenn sie die Leitbilder beschreiben, nach denen das Unternehmen operieren soll: „One of the concepts that hasn’t changed from the beginning of the company is that people are responsible for the success of the projects they propose. ‘He who proposes does’, and is judged on the results. That fundamental phi- losophy hasn’t changed. I hope it never does. We have to keep working to make sure that engineers feel they can propose things and go out and do them – that they aren’t powerless, that they can get decisions made. (...) We also need the introspection, the humility to learn, to learn from each other, to study, to go to school, to learn from our customers. There is a good tradition for this in science. (...) – there’s that humility to build a science“ (Kunda 1992: 62 f.). Der Gründer des Unternehmens, so Kunda im Ergebnis seiner Analysen, „often uses academic environments as a model for Tech’s combination of openness, trust, and peer pressure. In an videotape speech, he says: (...) ‘In fact, when we started the company there were a number of ideas we took from some of the top engineering schools. One was the atmosphere’” (Kunda 1992: 61). Die Beispiele aus Kundas Befunden ließen sich fortsetzen. Die genannten normativen Vor- gaben12 werden im Unternehmen beständig aktualisiert, in Unternehmens-

12 Zudem wird davon ausgegangen, so zeigen die von Kunda durchgeführten Interviews, dass diese Vorgaben zu internalisieren seien. Internalisierte Wertestandards werden in der Unternehmensphilosophie als funktionale Äquivalente betrachtet für bürokratische, „äußere“ Zwänge. Zugleich gerät damit die ganze Person in den Blick. Die Firmenwerte erscheinen zudem als Werte, die die allgemeinen Standards der protestantischen Ethik verkörpern: „A personnel manager, just promoted and viewing his success as related to his ‘understanding of Tech’, explains: ‘Look at the ‘Engineering Guide’, look at the values in it. It is a uniquely American value system, grounded in, almost straight out of, the Puritan

die hochschule 1/2005 87 reporten, Handbüchern, Vorträgen, Newsletters, Weiterbildungsveranstal- tungen, Workshops etc. Den Vorgaben entsprechend nimmt das Management in Anspruch, ei- ne nicht-hierarchische Form der Unternehmensorganisation zu pflegen, die Form der Matrix. Es wird auf Netzwerke informaler Beziehungen ge- setzt. Formale Erwartungen und informale Erwartungen sind unter diesen Bedingungen nur schwer zu trennen: „Informal organizing is formally prescribed, and ‘culture’ replaces ‘structure’ as an organizing principle to explain reality and guide action“ (Kunda 1992: 30). Dies führt zu einer dramatischen Politisierung des Unternehmens. Projektgruppen kommen zusammen und lösen sich auf, konkurrieren mit anderen Projekten um fi- nanzielle und personale Ressourcen. Sie erzeugen einerseits intern be- ständige Auseinandersetzungen über Entscheidungsvollmachten. Ande- rerseits haben sie ebenso beständig die eigenen Projekte gegenüber den Ansprüchen anderer Gruppen zu schützen. Zugleich sind die Gruppen ei- nem sehr strikten Reportsystem unterworfen. Ferner sehen sich die scheinbar frei flottierenden informalen Netzwerke mit einem ausgefeilten System hierarchisch geordneter Zuschreibungen konfrontiert, die unter- nehmensintern vergeben werden. So werden die Ingenieure im untersuch- ten Unternehmen nach Leistungskriterien in sieben Stufen eingeteilt und mit entsprechenden Titeln versehen. Daneben gibt es Abstufungen etwa in der Größe und Lage der Büros, Unterschiede in den unternehmensin- ternen Karrieren der Zusammenarbeit etwa mit herausragenden Könnern etc. Dieses System von formalen und weniger formalen hierarchischen Kategorisierungen kristallisiert Erwartungen aus, die die einzelnen Mit- arbeiter mit unterschiedlichen Durchsetzungschancen in den mikropoliti- schen Auseinandersetzungen versehen;13 von den sehr viel weitergehen- den Differenzen zwischen den angestellten Mitgliedern des Unterneh-

tradition, out of Emerson Thoreau. You know, The Protestant Ethic, Weber, and all that. Now this will really interest you: Sam (der „President“ und Gründer des Unternehmens – M.S.) really wants a ‘Christian company’ with ‘Christian values’! When I heard him say that at the forum, I turned around to look at some of the Jewish managers. Wondering what they were thinking. You’ll find this an interesting place, but you really need a few years to begin to understand it all. I’ve been here seven years now“ (Kunda 1991: 179). 13 Eine Passage aus den Interviews mit Ingenieuren, die Kunda geführt hat, mag dies verdeutlichen: „The company may appear informal, loose. Open offices, first names. But there is a very distinct status system here. People always ask who you work with. The won’t ask you your title or your rank, or look at the size of your office. Once they have you placed, they will treat you accordingly“ (Kunda 1992: 179).

88 die hochschule 1/2005 mens einerseits und zeitlich befristeten Projektmitarbeitern und anderen „temporary workers“ andererseits ganz zu schweigen. Gleichwohl sieht sich jedes Mitglied in den unterschiedlichsten Situationen mit der Erwar- tung konfrontiert, die der Unternehmensideologie entsprechenden Nor- men zu bedienen. Dies führt zu einem allgegenwärtigen Ritualismus. Die Unternehmenskultur durchlöchert sich, wie es Kunda zusammenfassend ausdrückt, auf eine subtile Art und Weise selbst: „(...) it is a culture rid- dled with contradictions between ideological depictions and alternative realities: where democratization is claimed, there are also subtle forms of domination; where clarity of meaning and purpose is attempted, there is intentional and deeply ingrained ambiguity; were an overarching morality is preached, there is opportunistic cynicism; and where fervent commit- ment is demanded, there is pervasive irony“ (Kunda 1992: 222). Kundas Untersuchung zeigt die Grenzen einer Dehierarchisierung und Professionalisierung von Unternehmen auf. Sie weist auf jene Paradoxien hin, die sich mit den normativen Ansprüchen eines „associational pat- tern“ im Unternehmen ergeben, die aber zugleich bei Parsons einer Ana- lyse nicht zugänglich gemacht werden können, da sie außerhalb des theo- retischen Zugriffsbereiches des AGIL-Schemas und des Schemas der Kontrollhierarchie liegen. Der Professionelle mag die zentrale Beschäftigungskategorie einer zweiten Phase der Moderne sein. Welche Folgen dies im Hinblick auf die Entwicklung der Strukturen von Arbeitsorganisationen hat, ist aber weit- gehend offen. Zwar scheint das „associational pattern“ als Leitvorstellung ‘angemessener’ Organisation in den aktuellen Debatten um eine ‘Dehie- rarchisierung’ der Unternehmen normative Autorität zu gewinnen. Diese Debatte entspringt in gewisser Weise jenem Prozess der Verbreitung normativer Standards, den Parsons beschreibt. Wenn Unternehmen sich dieser Standards annehmen, werden allerdings paradoxe Effekte provo- ziert, die der Wissenschaft insofern als Folge einer durch sie selbst indu- zierten Professionalisierung entgegentreten. Parsons Theorie legt diese Schlussfolgerung nahe; sie kann sich aber zugleich diesem rekursiven Zusammenhang nicht öffnen, da sie auf die kulturdeterministische Form der Kontrollhierarchie festgelegt ist.

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die hochschule 1/2005 91 Hochschule, Fachmenschentum und Professionalisierung

Gero Lenhardt Hochschule und Arbeitswelt werden in Berlin Deutschland seit je durch drei Wertmus- ter konstituiert: durch ständische, die auf die Tradition des Feudalismus zu- rückgehen, durch bürokratisch obrig- keitsstaatliche, deren Ursprung im Ab- solutismus liegt, und schließlich durch die bürgerlich individualistischen der demokratischen Gesellschaft. Die drei Wertmuster schließen logisch einander aus, aber das hindert nicht, dass sie gleichzeitig wirksam werden. In der Entwicklung von Hochschu- le und Gesellschaft hat sich ihr Gewicht verschoben. Das feudal ständi- sche Wertmuster wich dem obrigkeitsstaatlich bürokratischen und beide dem bürgerlich individualistischen. Dem entspricht, dass die Kultur des Fachmenschentums (Weber), die im aufgeklärten Absolutismus wurzelt, der Professionalisierung weicht, die durch bürgerlich individualistische Wertnormen konstituiert wird. Diese Entwicklung soll zunächst skizziert werden, danach Webers Theorie des Fachmenschentums und moderne Professionstheorien.

I. Feudale, absolutistische und individualistische Elemente in der Hochschule

1. Die Universitäten der konfessionellen Staaten

In Deutschland entstanden Universitäten erst im ausgehenden Mittelalter. Sie waren feudale Korporationen mit einer eigenen Ordnung, partieller Satzungsautonomie und Gerichtsbarkeit. Zugleich waren sie aber auch Einrichtungen der absolutistischen Landesherren. Die akademische Frei- heit als obrigkeitsstaatlich garantiertes feudales Privileg entlastete die Professoren von den Erwartungen und Zwängen der außeruniversitären

92 die hochschule 1/2005 Alltagspraxis und ließ damit die Möglichkeit und das Interesse entstehen, die geltenden religiösen und weltlichen Ordnungsvorstellungen nach in- nerwissenschaftlichen Kriterien zu entwickeln. Die Absolventen der Uni- versität sollten das Gelernte gegenüber allen anderen Ständen mit dem Anspruch auf Konformität vertreten. Darauf hatten sie als Theologen, Ju- risten und später auch Lehrer ein Monopol, das ebenfalls auf feudaler Tradition und auf obrigkeitsstaatlichen Garantien beruhte (Ellwein 1997; Weber 1972). In der theologische Fakultät wurden die religiösen Überzeugungen zum theologischen Dogma rationalisiert. Hier wurden theologische Ex- perten geschult, die als Geistliche den einzig wahren Glauben der Volks- frömmigkeit entgegenstellten. Hier wurzelten Amtscharisma und Kir- chenanstalt, die den Gläubigen als Herrschaftsapparat entgegentraten. Das galt in abgeschwächter Form auch nach der Reformation für die pro- testantischen Staaten und ihre Universitäten. Hatte der Protestantismus gegen den Katholizismus ursprünglich postuliert, der Einzelne sei frei und stünde in einem direkten Verhältnis zu Gott, so schalteten sich in dieses Verhältnis dann doch Universität, Staat und Amtskirche ein. Als Dekan der theologischen Fakultät an der Wittenberger Universität ent- schied Luther Glaubensfragen ex cathedra gleichsam wie der Papst. Mit den Gläubigen hatten die Lehrstuhlinhaber nicht zu diskutieren, sondern verfügten über sie gestützt auf die Theologie und auf die Macht des Lan- desherren, der auch Kirchenoberhaupt war. Wer sich nicht fügen wollte, hatte das Land zu verlassen nach der Regel „cuius regio, eius religio“. Das bürgerlich individualistische der eingangs unterschiedenen Wertmus- ter war in der Reformation vorangekommen, hatte aber auch eine Nieder- lage erlitten (Paulsen 1919). Was für die theologische Fakultät gilt, gilt ähnlich für die juristische Fakultät. Die bis dahin übliche Ausbildung auf der Grundlage praktischer Erfahrung trat zugunsten des Hochschulstudiums zurück. In Unabhängig- keit von der Alltagspraxis und den hier herrschenden Interessen wurde die Rechtskunde zu einem logisch konsistenten Rechtssystem rationali- siert, und dieses wurde zur Sache förmlich ausgebildeter Juristen und der Rechtsberufe. Und ebenso wie die theologische Fakultät konnte auch die juristische Streitfragen entscheiden (Weber 1972: 692 ff.). Die konfessionellen Universitäten waren mit den konfessionellen Staaten entstanden und gingen mit ihnen um 1800 auch unter. Viele wa- ren ohnehin klein und anspruchslos gewesen, manche waren kaum von

die hochschule 1/2005 93 Lateinschulen zu unterscheiden. Wegen ihrer konservativen Neigungen waren sie auch politisch in Misskredit geraten. Ungefähr jede zweite von ihnen wurde geschlossen, während die übrigen modernisiert und zu Hochschulen des aufgeklärten Absolutismus wurden (Riddle 1993).

2. Die Hochschulen des aufgeklärten Absolutismus

Die weltweit erste Universität, die die Grenzen des religiösen Denkens hinter sich ließ, war 1694 in Halle entstanden, das soeben an das protes- tantische Preußen gefallen war (Weigl 1997, Paulsen 1919). Sie entwi- ckelte sich in einem spannungsreichen Zusammenhang von Feudalismus, pietistischem Individualismus und aufgeklärtem Absolutismus. Pietismus und aufgeklärter Absolutismus waren vereint in der Gegnerschaft gegen den Feudalismus und das konservative Luthertum, das ihn religiös sankti- onierte. Sie folgten jedoch gegensätzlichen Modernisierungsvorstellun- gen. Der Pietismus zielte auf individuelle Bewährung durch rational ori- entiertes, eigenverantwortliches Handeln, der aufgeklärte Absolutismus dagegen auf die Instrumentalisierung der Individuen durch die Obrigkeit. Im Hallenser Pietismus galt der Einzelne als Werkzeug Gottes, dem aufgegeben ist, die Welt praktisch zu verändern. Das individuelle Gewis- sen galt dabei als höchste Autorität, denn Gott offenbare sich jedem Gläubigen individuell. Deswegen sollte auch die Verbesserung der Welt vom Individuum ausgehen, seine moralische Stärkung galt als das Wich- tigste. Die Rationalisierung der Lebensführung ist hier „Systematisierung von Innen und aus einem Zentrum heraus, das der einzelne selbst errun- gen“ hat. Sie steht im Widerspruch zum katholischen Gedanken der An- staltsgnade mit seiner „Tendenz, als Kardinaltugend und entscheidende Heilsbedingung den Gehorsam, die Unterwerfung unter die Autorität (...) zu entwickeln“ (Weber 1972: 340). Das Luthertum lag dazwischen. Der Bildung maß der Pietismus große Bedeutung zu. Sie galt als Mittel zur Disziplinierung des Denkens, das im Dienst an Gottes Ruhm die Welt verstehen und rational beherrschen soll. Ihre Kennzeichen sind naturwis- senschaftliches Experiment und ein auf mathematischer Grundlage beru- hender Empirismus (Weber 1972: 720). Der aufgeklärte Absolutismus zielte ebenfalls auf Modernisierung und stand der Tradition und der feudalen Ordnung mit ihren festliegenden Privilegien entgegen. Er wollte aber nicht gleiche und freie Bürger, son- dern gleiche und instrumentalisierbare Untertanen. Ein Wille sollte allein

94 die hochschule 1/2005 dem Regenten zukommen. Ihm sollten die Staatsdiener in unpersönlicher Sachlichkeit folgen und gleichsam mechanisch funktionieren. Die Staats- lehre des aufgeklärten Absolutismus hat das im Bild der Maschine zum Ausdruck gebracht. Justi (1720-1771), Inhaber des Lehrstuhls für Kame- ralistik an der Universität Göttingen, schrieb in seiner „Staatswirthschaft oder systematische Abhandlungen aller ökonomischen und Cameralwis- senschaften“ (1755): „Ein wohl eingerichteter Staat muß vollkommen einer Maschine ähn- lich sein, wo alle Räder und Triebwerke aufs Genaueste ineinander pas- sen; und der Regent muß der Werkmeister, die erste Triebfeder oder die Seele seyn, wenn man so sagen kann, die alles in Bewegung setzt“. Im gleichen Sinn schreibt Schlözer, ein Zeitgenosse Justis: „Die instructivste Art die Staatslehre abzuhandeln, ist, wenn man den Staat als eine künstli- che, überaus zusammengesetzte Maschine, die zu einem bestimmten Zweck gehen soll, behandelt.“ (Justi 1755 und Schlözer 1793, zitiert nach Timm 1962: 485). Das Bild der Maschine wurde gebraucht, als es kaum mehr an Ma- schinen gab als Mühlen und Kirchturmuhren. Es diente nicht der Be- schreibung der gegebenen Verhältnisse, sondern sollte die normative Forderung zum Ausdruck bringen, dass die Gesellschaft wie eine Ma- schine funktionieren soll. Daraus entwickelte sich später die Vorstellung, dass sie aus naturnotwendigen Gründen tatsächlich wie eine Maschine funktioniere, und dass sich die Einzelnen und auch ihre Bildung dem zu fügen hätten. Mit der Auflösung religiöser Weltbilder und der Sicherheit, die sie gewährt hatten, war auch die Selbstvergewisserung des Denkens zu ei- nem Problem der Wissenschaft geworden. Die Philosophie sollte jetzt als Fundamentalwissenschaft gelehrt werden und allen Wissenschaften zu Klarheit der Begriffe, zu Sicherheit der Prinzipien und zu methodischer Strenge verhelfen. Zugleich entstand das Seminar als Ort diskursiver Auseinandersetzung. Die Diskussion, die hier möglich wurde, verdrängte die Verkündigung, Deklamation und Disputation kanonisierter Wissens- bestände. Auch in der theologischen Fakultät traten die Anfänge der Wissen- schaftsfreiheit hervor. In Preußen gab es unterschiedliche Konfessionen, deren Anhänger einander in fundamentalistischem Geist bekämpften. Um Staat und Universität davor zu schützen, schrieb der Hof den Studenten als polizeiliche Ordnungsmaßnahme religiöse Toleranz vor. Er selbst

die hochschule 1/2005 95 scheute nicht vor Versuchen zurück, seine weltanschaulichen Belange mit Machtmitteln durchzusetzen. Die Freiheit der Universität von den Fesseln der Tradition wurde also weniger zur Freiheit des Einzelnen als zur Frei- heit der Obrigkeit, über die Universität zu verfügen. Da es ein Bürgertum kaum gab, das dem Pietismus und einer bürgerlich individualistischen Wertordnung gesellschaftlichen Rückhalt hätte verleihen können, gewann der aufgeklärte Absolutismus in der Hochschulentwicklung schon bald die Oberhand. Den Landesherrn kam es auf die persönlichen Überzeugungen seiner Staatsdiener in der Berufspraxis nicht an und folglich auch nicht in ihrer Berufsvorbereitung. Die akademische Freiheit und die Einheit von Lehre und Forschung schienen ihnen entbehrlich, ja gefährlich. Der aufgeklärte Absolutismus ließ deswegen das Fachschulwesen entstehen, das staatli- cher Kontrolle unterlag und akademische Freiheit nicht kannte. Anders als im fortschrittlichen Frankreich war der aufgeklärte Absolutismus in Deutschland aber schwach, so dass sich die Universitäten behaupten konnten und die Fachschulen an Produktivität, Ansehen und Einfluss übertrafen.

3. Humboldts gescheiterte Universität

Eine Fachschule hätte auch 1810 in Berlin gegründet werden sollen. Als 1807 ältere Gründungspläne wieder aufgenommen wurden, kommentierte der König: „Das ist brav! Der Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat“ (Paulsen, Bd. II, 1921: 250). An Na- poleon verloren hatte Preußen im Tilsiter Frieden die westelbische Hälfte seines Staatsgebietes. Mit seinem bildungsökonomischen Cameralismus nahm der preußische König die heute verbreitete Vorstellung der „Bil- dung in einem rohstoffarmen Land“ vorweg. Der Hof war aber ge- schwächt, so dass Humboldt und den anderen Reformern um Stein und Hardenberg die Gründung einer Universität gelang. Sie sollte Teil der Demokratie sein, die sie in Preußen errichten wollten. Die neue Universität sollte den Studenten ermöglichen, sich zu sach- lich kompetenten und ihrer selbst bewussten Bürgern zu bilden. Sie sollte ein Studium ermöglichen, das „innerlich die objective Wissenschaft mit der subjectiven Bildung“ verknüpft (Humboldt 1964: 255). Die Studenten sollten lernen können, sich sachlich angemessen auf ihren Beobachtungs- gegenstand einzulassen. Das schließt ein, dass sie auch mit sich selbst als

96 die hochschule 1/2005 Subjekten der Erkenntnis angemessen umzugehen verstehen. Denn die Begriffe, mit denen wir die Welt begreifen, bringen nicht nur den Unter- suchungsgegenstand zum Ausdruck, sondern, da es subjektiv vorausset- zungslose Erkenntnis nicht gibt, immer auch die Subjektivität des Bet- rachters. Man kann sich ihrer in der wissenschaftlichen Auseinanderset- zung mit einem Gegenstand also ebenfalls vergewissern, und darauf ist die angemessene Auseinandersetzung mit der Sache auch angewiesen. Nach der sachlichen wie nach der persönlichen Seite hin, sollten die Stu- denten an der neuen Universität also die Fähigkeiten entwickeln können, die Voraussetzung individueller Unabhängigkeit sind. Die Demokratisierung Preußens scheiterte aber und damit auch die „subjektive Bildung durch objektive Wissenschaft“. Humboldt war nicht einmal ein Jahr im Amt gewesen, als er resignierte und um Entlassung er- suchte, „tief gekränkt“, wie er dem König schrieb. Man hatte ihm die po- litischen Kompetenzen vorenthalten, die er für die Realisierung seiner Bildungsreformen benötigte. Sein im November 1810 ernannter Nachfol- ger Friedrich von Schuckmann war ein Mann der alten Ordnung. Das preußische ancien régime siegte in den sogenannten Befreiungskriegen über das fortschrittliche Frankreich mit der Folge, dass Hochschulauto- nomie und akademische Freiheit durch den Staatsterror der Karlsbader Beschlüsse beschränkt wurden. Die Berliner Universität, die nach dem Willen ihrer Gründer die erste freie hätte sein sollen, geriet zu einer der letzten feudal-absolutistischen. Humboldt stellte im Jahr 1819 fest, “dass die Berlinische Universität mehr noch als untergeht. (...) Der Geist ist aus allem gewichen“ (zitiert nach Weischedel 1960: XXVIII). Sein Organisa- tionsplan geriet schon bald in Vergessenheit. Man fand ihn erst wieder um 1900 in einem Archiv und publizierte ihn zum ersten Mal vollständig. Der bürgerliche Individualismus, den er und seine Mitstreiter voranbrin- gen wollten, hatte abermals eine Niederlage erlitten. Der aufgeklärte Absolutismus gewann innerhalb und außerhalb der Universität die Oberhand auf Kosten der bürgerlich individualistischen und der feudal ständischen Wertordnung. Der Obrigkeitsstaat wirkte im- mer nachdrücklicher in die Universitäten hinein mit seiner sich entwi- ckelnden bürokratischen Verwaltung und mit Studien- und Prüfungsord- nungen, die er mit den Laufbahnordnungen des öffentlichen Dienstes verband. Den Geist, in dem das geschah, lässt ein Kommentar zur aka- demischen Freiheit in dem Staatsrechtslehrbuch von Zachariä erkennen, das um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu den bekanntesten zählte.

die hochschule 1/2005 97 „Daß auch die Lehrfreiheit ihre moralischen und rechtlichen Schranken habe und insbesondere nicht dazu mißbraucht werden dürfe, um die bestehenden Grundlagen von Staat und Kirche zu zerstören, kann kein Vernünftiger ver- kennen“ (Zachariä 1854: 371). Dem entsprach die Rekrutierung der Professoren. Im protestantischen Preußen waren Katholiken, Juden, und später auch Sozialdemokraten von der Übernahme eines Lehrstuhls ausgeschlossen, von Frauen zu schwei- gen. Dieser Ausschluss war förmlich festgelegt. Faktisch ausgegrenzt wa- ren darüber hinaus auch Liberale sowie die Nachkommen aus den moder- nen Schichten der Unternehmer, Angestellten und Arbeiter (Baumgart 1980: 84f.). Willkür war das nicht, denn die Professoren hatten Lehren mit präskriptivem Inhalten zu vertreten. Ebenso zielte die Forschung zu- meist noch auf dogmatisch korrekte und nicht auf kritische Textinterpre- tation. Die dafür notwendige Gesinnung schien bei Katholiken, Juden, Frauen und bei den anderen Genannten nicht verbürgt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kritisierte Max Weber diese Verhältnisse: „In Deutschland besteht die ‚Freiheit der Wissenschaft‘ nur innerhalb der Grenzen der po- litischen und kirchlichen Hoffähigkeit“ (Weber 1908). Der Obrigkeitsstaat stellte der Tradition den Geist instrumentellen Verfügens entgegen und drängte sie zurück. Beide stimmten jedoch in ih- rer Gegnerschaft gegen die freie Selbstreflektion des Denkens überein. Die subjektiven Voraussetzungen des Denkens rückhaltlos in Frage zu stellen, hätte bedeutet, die Autorität der Tradition zu untergraben, denn die gilt fraglos. Der obrigkeitsstaatlichen Ordnung lag weder an Traditi- on, noch an subjektiver Bildung durch objektive Wissenschaft, sondern an Fachschulung und generalisierter Folgebereitschaft. Die Tradition, die er untergrub, verkam zu Gesinnung, die in der Universität in der Form der Kathederprophetie weitergegeben wurde. Daneben entstanden Theo- rien, die sich als objektive Wiederspiegelung gesellschaftlicher Notwen- digkeiten verstanden und davon Handlungsanweisungen abzuleiten ver- suchten. Das Fachwissen ist objektiv, aber seine Objektivität bedeutet nicht, seine Begriffe brächten die Strukturen des angeschauten Gegenstandes unverfälscht, weil frei von subjektiven Elementen der Wahrnehmung zum Ausdruck. Objektiv ist es nur in dem Sinn, dass es von der Individualität des Betrachters nichts sichtbar werden lässt. Selbstvergessen verlieren seine Vertreter die subjektiven Voraussetzungen der Erkenntnis aus dem Blick. Ihnen hielt Weber vor: „Alle Erkenntnis der Kulturwirklichkeit ist

98 die hochschule 1/2005 (...) stets eine Erkenntnis unter spezifisch besonderten Gesichtspunkten. (...) Wenn immer wieder die Meinung auftritt, jene Gesichtspunkte könn- ten dem ‚Stoff selbst entnommen werden’, so entspricht das der naiven Selbsttäuschung des Fachgelehrten.“ (Weber 1983: 181). Die naive Selbsttäuschung war nicht zufälligen Charakters, sondern wurzelte in der widersprüchlichen Einheit traditionaler und obrigkeitsstaatlicher Wertori- entierungen. Der Universität war es im 19. Jahrhundert gelungen, sich von der au- ßeruniversitären Praxis unabhängiger zu machen. Das galt besonders für die philosophische Fakultät. Sie war einmal die niedere gewesen und hat- te der Vorbereitung auf das Studium in den drei höheren Fakultäten ge- diente. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde sie überall aufgewertet und entwickelte sich zur Berufsfakultät der Gymnasiallehrer. Die in den Gymnasien verabfolgte Bildung zeichnete sich bekanntlich durch Distanz zu den Ansprüchen des Alltags aus, und deswegen auch die Ausbildung der Studienräte. Mithin war auch die philosophische Fakultät unabhängi- ger von wissenschafts- und bildungsfremden Ansprüchen als die juristi- sche und theologische, die die Belange des Staates und der Amtskirchen zu berücksichtigen hatten. Ihre Unabhängigkeit begünstigte ihre Entwick- lung und ließ sie zum Ort werden, an dem sich die modernen wissen- schaftlichen Fachdisziplinen aus dem überkommenen Bildungskanon ent- wickelten. Das schloss auch die Naturwissenschaften ein. Sie zielten nicht auf wirtschaftliche Rationalisierung, sondern auf die Entwicklung eines modernen rationalen Weltbildes. Es begünstigte die Modernisierung der Gesellschaft zwar, technischen Charakters war es jedoch nicht. Zugleich setzte die Universität Theoretiker, die sie in Eigenregie her- vorgebracht hatte, an die Stelle der Praktiker, die in ihrem Lehrkörper im späten 19. Jahrhundert noch zahlreich vertreten waren. Dazu gehörten Geistliche, Juristen aus den verschiedensten Sektoren des Staatsdienstes und praktische Mediziner. Mit wachsendem Nachdruck und Erfolg sorg- ten die Universitäten mit staatlicher Unterstützung dafür, dass auf einen Lehrstuhl nur berufen wurde, wer promoviert und habilitiert ist, sich also Prozeduren unterzogen hat, die in der Autonomie der Universität liegen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Einheit von Leh- re und Forschung und die akademische Freiheit ausgedehnt. Viele der Einrichtungen des Fachschulwesens erhielten Lehr- und Lernfreiheit, konnten ihre Lehre auf die Grundlage eigener Forschung stellen und ihr Personal durch Promotion und Habilitation in Eigenregie reproduzieren.

die hochschule 1/2005 99 Ihre Abschlüsse und akademische Grade wurden staatlich sanktioniert und mit der Berufsbezeichnung des Ingenieurs verbunden, die als Sam- melbezeichnung den wissenschaftlich ausgebildeten Techniker abhob von den Praktikern. Kurz, diese Bildungseinrichtungen wurden zu Universitä- ten.

4. Hochschulentwicklung in der Demokratie

Die Verallgemeinerung der wissenschaftlichen Bildung zur Volksbildung und der akademischen Freiheit zu einem Bürgerrecht vollzog sich gegen den Widerstand des Bildungsbürgertums. Dessen Angehörige bestanden noch in der Weimarer Republik auf der antiindividualistischen Verbin- dung traditionaler und obrigkeitsstaatlicher Ordnungsvorstellungen, allen voran die Professoren. Sie beanspruchten im Namen objektiver Notwen- digkeiten oder unangreifbarer Werte eine nationalpädagogische Elitefunk- tion und strebten nach der autoritativen Absicherung eines Fundamental- konsensus über die inneren und äußeren Grundlagen der gesellschaftli- chen Ordnung (vom Bruch 1986, Burchardt 1977 und 1988; vom Brocke 1980). Da ihr Anspruch auf ständische Überlegenheit mit der demokrati- schen Ordnung unvereinbar war, sahen sie sich durch deren Ausbreitung ganz zu Recht bedroht. Folgerichtig stellten sie sich der Weimarer Repu- blik entgegen und trugen so zur nationalsozialistischen Katastrophe bei. Gestützt auf die westlichen Alliierten wollten die demokratischen Kräfte in der BRD mit dieser Tradition brechen und brachten das im Grundgesetz nachdrücklich zum Ausdruck. Der Garantie der Wissen- schaftsfreiheit (Art. 5), die sie der Weimarer Verfassung entnahmen, füg- ten sie eine Ermahnung an die Professoren hinzu: „Kunst und Wissen- schaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“. Die akademische Freiheit soll in Zukunft nicht mehr als ein Privileg mit Herrschaftscharakter verstanden werden, sondern als Teil der Bürgerrechte. Die Demokratisierung der Hochschulen gelang nicht gleich, und sie ist auch heute noch nicht abge- schlossen. Sie ist aber in vielen einzelnen Reformschritten vorangekom- men (Lenhardt 2005). Mit der Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse verall- gemeinerte sich das Interesse an einem Hochschulstudium und führte zur Hochschulexpansion. Zugleich veränderte sich auch die Binnenstruktur der Universität. Die Kooperationsverhältnisse der am Hochschulleben

100 die hochschule 1/2005 Beteiligten, die noch in hohem Maße auf Tradition und akademischem Brauchtum beruhten, wurden verrechtlicht und zur Sache parlamentari- scher Entscheidung. Die Lehrstühle, die einmal im Zusammenspiel von ständischer Tradition und Absolutismus entstanden waren und beidem in- stitutionellen Ausdruck verliehen, wichen egalitäreren Verhältnissen im Lehrkörper und einer rationaleren Hochschulverwaltung. Die akademi- sche Freiheit wurde auch auf das wissenschaftliche Personal ohne Lehr- stuhl ausgedehnt, Lehr- und forschungsfremde Funktionen der Hoch- schulleitung und Verwaltung wurden allmählich von den Lehrstühlen ab- gekoppelt. Die Hochschulen gewannen an Haushaltsautonomie und Un- abhängigkeit gegenüber der staatlichen Bürokratie. Die Universitäten machten mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung ihren Frieden. Stu- dierten dort im Kaiserreich so gut wie ausschließlich zukünftige Staats- diener, so bilden diese unter den Absolventen heute nur noch eine Min- derheit. Jetzt will sich der Staat um ein Weiteres aus den Hochschulen zu- rückziehen. Das geschieht mit einer hochschulpolitischen Begriffsfolklo- re, die eher an einen neoliberalen Absolutismus denken lässt als an aka- demische Freiheit und Demokratie. Man darf aber nicht übersehen, dass sich die rechte Mitte schon seit der Nachkriegszeit gegen die Demokrati- sierung der Hochschulen wendet, sie aber nicht verhindern konnte. Diese Erfahrung spricht dafür, dass die akademische Freiheit auch diesmal ge- stärkt aus den in Gang befindlichen Reformen hervorgehen wird. Warum ist die akademische Freiheit so bedeutsam? Die Hochschulab- solventen bewegen sich typischerweise in Normenkonflikten. Geistliche haben es mit Sündern und Ketzern zu tun, Richter mit Rechtsbrechern und streitenden Parteien, Lehrer mit dem abweichenden Verhalten des Jugendalters, Psychologen mit Patienten, die an ihren neurotischen Infan- tilismen hängen, Verwaltungsbeamte mit Bürgern und Politikern, die sich dem bürokratisch Notwendigen nicht fügen wollen, Architekten mit Bau- herrn und deren Idiosynkrasien, Ingenieure mit Betriebswirten, die ihren kreativen Entwürfen mit Kostenargumenten entgegentreten usw. Die Hochschulabsolventen müssen sich auf all das einlassen können, ohne die im Studium angeeigneten Orientierungen aufzugeben, aber auch ohne sie ihrem Gegenüber in technokratischem Dogmatismus überzustülpen. Mit Beidem würde ihre Praxis an den Widerständen der Betroffenen schei- tern.

die hochschule 1/2005 101 Die Auseinandersetzungen, die sie zu bestehen haben, verlangen den reflektierten Umgang mit dem im Studium Gelernten. Den kultivieren die Studenten in der praktischen Teilnahme an der Forschung, denn hier können sie sich den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess bewusst ma- chen. Deswegen ist die Einheit von Lehre, Lernen und Forschung für ihre Vorbereitung auf die Praxis unerlässlich. Das war schon immer so. Aber mit der Demokratisierung haben sich Lehre und Berufspraxis verändert. Die Wissenschaft versteht sich nicht mehr als objektive Abbildung der Realität, und sie zielt auch nicht mehr auf die Definition von Regeln, die dem Einzelnen im Namen objektiver Notwendigkeiten oder der Tradition oder Beidem bestimmte Handlungsweisen vorschreiben. Sie ist vielmehr subjektive Disziplin, die eine Voraussetzung autonomen Verhaltens ist. Oder um Humboldts Begriff zu benutzen: Sie ist subjektive Bildung durch objektive Wissenschaft. Diese Disziplin ist Teil der bürgerlichen Kultur und hat universellen Charakter. Sie kann alle Lebensbereiche un- ter jeglicher Fragestellung zum Thema machen und deswegen auch sozial expandieren. Bereiteten die Hochschulen früher nur auf den Staatsdienst vor, so machen ihre Absolventen heute in allen Bereichen der Gesell- schaft Karriere.

II. Fachmenschentum und Professionalisierung

1. Fachmenschentum

Die Hochschullehre gewann in der außeruniversitären Berufspraxis an Gewicht. Ihr Inhalt drang dort nicht nur mit der Ausbildung ein, sondern auch auf dem Wege beruflicher Regelungen. Sie wurde hier zuerst als re- ligiöses Dogma und als geltendes Recht, später auch als Kunstlehre, als Stand der Wissenschaft und als Berufsethik verbindlich vorgeschrieben. Das trug zusammen mit den Regelungen der Berufsvorbereitung und Zu- lassung dazu bei, dass die Hochschulehre im außeruniversitären Alltag auch tatsächlich wirksam wurde. Ihre Entwicklung folgte der Praxis also nicht, sondern trat ihr entgegen. Dieser Prozess dauert bis heute an. Das übersehen die Anwälte der politischen Forderung, die Hochschulbildung hätte dem sogenannten gesellschaftlichen Qualifikationsbedarf zu folgen. Dass das Gewicht der Bildung zunimmt, ist eine Beobachtung, die im Mittelpunkt der bürokratietheoretischen Analysen Max Webers steht. Danach sind Fachwissen und Bürokratie zwei Seiten derselben Sache.

102 die hochschule 1/2005 Bürokratische Herrschaft bedeutet Herrschaft kraft Wissens, so betont er immer wieder. Für ihre Existenz ist sie auf „Fachschulung“ angewiesen. Die Beamten werden nach Fachqualifikation, Prüfung, Diplom ausgele- sen. „Das Ausmaß der Fachqualifikation ist in der Bürokratie in stetem Wachsen.“ „Das große Mittel der Überlegenheit der bürokratischen Ver- waltung ist: Fachwissen“. Die „gewaltige Machtstellung der Bürokratie ist durch das „Fachwissen bedingt“. „Geschultheit und Disziplin“ sind ihr unentbehrlich (Weber 1972: 126-129). Unter den ständisch – obrigkeitsstaatlichen Verhältnissen wurde Bil- dung zur Fachschulung und ließ zusammen mit der Bürokratisierung der Verwaltung die Kultur des Fachmenschentums entstehen. „Hinter allen Erörterungen der Gegenwart um die Grundlagen des Bildungs- wesens steckt an irgend einer entscheidenden Stelle der durch das unaufhalt- same Um-sich-Greifen der Bürokratisierung aller öffentlichen und privaten Herrschaftsbeziehungen und durch die stets zunehmende Bedeutung des Fachwissens bedingte, in alle intimsten Kulturfragen eingehende Kampf des ,Fachmenschen‘-Typus gegen das alte ,Kulturmenschentum’” (Weber 1972, S. 578). Der bürokratische Rationalisierungsprozess zersetzt „den Glauben an die Heiligkeit des immer Gewesenen, die Normen der Tradition durch die Fügsamkeit in zweckvoll gesatzte Regeln und das Wissen (...), dass sie, wenn man die Macht dazu hat, durch andere zweckvolle Regeln vertret- bar, also nichts ‚Heiliges‘ sind“ (Weber 1972: 658). Der bürokratische Rationalisierungsprozess zersetzt nicht nur bei den Beamten den Glauben an Tradition, sondern auch bei denen, die der bürokratischen Herrschaft unterworfen sind. Denn zur Herrschaft gehört immer auch das Moment des Gehorchenwollens. Mit dem Fachwissen stimmt die Bürokratie in Sachlichkeit oder Ob- jektivität überein. Der Beamte hat sein Gegenüber als unpersönlichen Fall zu behandeln, und unpersönlich ist auch der dienstliche Verkehr mit den Kollegen. Gehorsam schuldet er nicht der Person des Vorgesetzten oder des Herren der Bürokratie, sondern der unpersönlichen Ordnung der Dienstpflichten. Worin diese bestehen und was er davon denkt, ist dabei prinzipiell ohne Belang. Was zählt ist allein deren Legalität, also dass sie formal korrekt und in der üblichen Form zustande gekommen sind. In- dem die Beamten diese Ordnung exekutieren, machen sie sich auch selbst zu einer Sache. Der Beamtenstatus bringt seinen Inhaber in einen eigentümlichen Wi- derspruch. Er soll sich rückhaltlos in den Dienst der Sache stellen, aber die hochschule 1/2005 103 worin die besteht, darf ihn nur unter dem Gesichtspunkt interessieren, ob sie legal ist. „Ohne diese im höchsten Sinne sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiel der ganze Apparat“ (Weber 1958: 524). Auf diese sittliche Disziplin und Selbstverleugnung geht die Sachlichkeit bü- rokratischen Handelns zurück. Ausdruck von Naturnotwendigkeiten ist sie nicht. Der vordemokratische Charakter dieser Orientierungen lässt sich an einigen zentralen Bestimmungen des Beamtengesetzes verdeutlichen, die bis heute gelten. Beamte treten zwar auf Grund eines freien Arbeitsver- trags in ihr Arbeitsverhältnis ein. Aber während die Beschäftigten in der Privatwirtschaft ihrem Arbeitgeber nur ihre Arbeitskraft überlassen und außerhalb der Arbeit frei sind, hat sich der Beamte „mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen“. So muss er auch außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit „der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert“ (BBG §54). Er unterliegt dem Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung (BBG §53). Sein Gehalt ist kein Tauschäquivalent für geleistete Arbeit oder Arbeitszeit, sondern soll eine standesgemäße Lebensführung (Alimentationsprinzip) gestatten ähnlich wie die leistungsunabhängigen Vergünstigungen, also die besondere Kranken- und Alterssicherung und Unterhaltsleistungen für den Beamten und seine Familie, die auch nach dessen Ausscheiden aus dem Dienst gewährt wurden. Anders als Arbeiter und Angestellte dürfen Beamte auch nicht bei Bedarf gekündigt werden. Sie dürfen sich mit persönlichen Interessen nicht gegen ihren Dienstherren stellen und deswegen nicht streiken. Kurz, die Existenz des Beamten entspricht ständischen obrigkeits- staatlichen Verhältnissen. Er soll sich so wie unter der Standesordnung mit seiner Stellung rückhaltlos identifizieren, aber andererseits soll er ganz antitraditionalistisch zu allem bereit sein, sofern es nur legal ist. Ein eigenes Urteil steht ihm darüber hinaus nicht zu. Weber hat dem Unterschied zwischen staatlichen und privatwirt- schaftlichen Bürokratien kaum Aufmerksamkeit gewidmet, er hat dem darin liegenden Fortschritt nicht getraut. Er wusste aber, was er bedeutet. Auf seiner Amerikareise beobachtete er am Verhalten der bürgerlichen Amerikaner „dass außerhalb der rein sachlich bedingten Unterordnung im ‚Betrieb’ es (...) für streng verpönt gelten würde, wenn auch der reichste ‚Chef’ seinen ‚Kommis’ etwa abends im Club, am Billard, am Karten- tisch, in irgend einem Sinn nicht als voll ebenbürtig behandeln und ihm

104 die hochschule 1/2005 etwa jenes, den Unterschied der ‚Stellung’ markierende herablassende ‚Wohlwollen’ angedeihen lassen wollte, welches der deutsche Chef nie- mals aus seinem Empfinden verbannen kann“ (Weber 1972: 535). Anders als die damaligen Deutschen, die sich als ungleiche Standesangehörige verhielten, bezogen sich Amerikaner als gleiche Bürger aufeinander und interpretierten die Ungleichheit ihrer betrieblichen Stellung als lediglich sachlich bedingt. Das bedeutet, dass sie gegen die bürgerliche Gleichheit nichts besagen soll. Die Sachlichkeit der Bürokratie findet in dieser Orientierung eine Stütze, sie wird aber zum Mittel, den Widerspruch zwischen der normati- ven Vorstellung bürgerlicher Autonomie und der bürokratischen Fremd- bestimmung innerhalb des Betriebs zu bewältigen. Das ist möglich, weil die bürgerliche Ordnung zwischen der Arbeitskraft und ihrem Besitzer unterscheidet. Jahrzehnte nach Weber bemerkte Luhmann: „Für den einzelnen ist Unpersönlichkeit die persönlichste Strategie, die er wählen kann, weil er damit seine Persönlichkeit von jeder Verflechtung mit organisiertem Handeln frei zeichnen, sie gleichsam darauf beschränken kann, den Eintritt in die Organisation zu verantworten“ (Luhmann 1964: 390). In der bürokratischen Sachlichkeit verschwindet das Individuum also nicht notwendigerweise, es kann sich ihrer vielmehr auch als Mittel der Selbstbehauptung bedienen. Das setzt aber voraus, dass sich die Betref- fenden behaupten wollen.

2. Professionalisierungstendenzen

Wie es scheint, nehmen Chancen bürgerlicher Autonomie im Arbeitspro- zess zu. An die Stelle der Fachmenschen, die ihr Verhalten an versachli- chenden Begriffen orientieren, treten Professionelle, die mit ihrem Ge- genüber im Geist intersubjektiver Anerkennung kooperieren. Für diese These spricht zunächst, dass sich die Strukturen, die die Kultur des Fach- menschentums konstituierten, mit der Demokratisierung der gesellschaft- lichen Verhältnisse auflösen. Dabei gehen Veränderung der Hochschul- entwicklung und der Arbeitsverhältnisse Hand in Hand. Diese Tendenz soll im Folgenden als Professionalisierung bezeichnet werden. Die Orientierung an der alten vordemokratischen Lehre, ermöglichte es den Hochschulabsolventen einmal, das vorliegende persönliche Prob- lem als einen unpersönlich zu behandelnden Fall zu konstruieren. Ein verbreitetes Beispiel dafür findet sich im Bildungswesen bis heute. Leh-

die hochschule 1/2005 105 rer definieren ungenügende Leistungen ihrer Schüler im versachlichenden Begriff fehlender natürlicher Begabung und reagieren folgerichtig mit Se- lektion (Lenhardt 2002). Dagegen will die professionelle Tätigkeit unter demokratischen Verhältnissen den Einzelnen darin unterstützen, Hand- lungsautonomie zu gewinnen. An der kann es ihm fehlen, weil er mit den inneren Bedingungen seines Handelns nicht autonom umgehen kann, oder weil ihm die Kompetenz zum Umgang mit den äußeren Handlungs- bedingungen fehlt. Schülern, um bei dem gewählten Beispiel zu bleiben, fehlt diese Kompetenz auf Grund ihres jugendlichen Alters. Lehrer können ihnen bei deren Erwerb aber nur dadurch helfen, dass sie ihnen so entgegentreten, als wären sie bereits autonome Subjekte. Das bedeutet, dass sie ihnen die allgemeinen Wertnormen der demokratischen Gesellschaft in der Unter- richtskooperation praktisch ansinnen. Das tun sie nicht nur im wohlver- standenen Interesse der Schüler an bürgerlicher Autonomie, sondern auch in ihrem Interesse an der Aufrechterhaltung ihrer Identität als Bürger. Die Normen erwachsenen Verhaltens im Schulalltag zu vertreten, ist nicht einfach, denn die Unterrichtssituation ist eine Wertkrise in Permanenz. Schüler neigen auf Grund ihres Alters zu abweichendem Verhalten und bringen damit ihre Lehrer in die Gefahr, die allgemeinen Wertnormen erwachsenen Verhaltens ebenfalls aufzugeben. Sie flüchten sich in Fron- talunterricht und wissenschaftliche Bildungstechniken oder kommen den jungen Leuten zu nahe. Sie vertreten Leistungsansprüche despotisch oder geben sie auf und lassen die Zügel schleifen etc. Kurz, ihre Berufskompe- tenz besteht in dem persönlichen Vermögen, die allgemeinen Wertnor- men der Gesellschaft, die auch ihre eigenen sind, in der Auseinanderset- zung mit ihren Schülern über den Unterrichtsgegenstand festzuhalten. In den modernen Betrieben scheint sich Entsprechendes zu vollzie- hen. Das Management befiehlt den Hochschulabsolventen nicht, wie es bürokratischem Geist entspräche, und es nimmt andererseits von ihnen auch nicht technische Handlungsanweisungen entgegen. Es kann nur in Ansehung der Möglichkeiten herausfinden, worin sein Anliegen im wört- lichsten Sinne bestehen könnte. Dazu bedarf es der Professionellen. De- ren Kompetenz besteht darin, sich auf diese Anliegen einlassen zu kön- nen und entsprechende Möglichkeiten zu entwickeln. Worin das Problem und seine Lösung bestehen könnte, können beide nur ermitteln durch Verständigung über die Ziele, Möglichkeiten und Kontextbedingungen, sachlicher, sozialer und kultureller. „A decision is arrived at not by the

106 die hochschule 1/2005 executive’s deciding in the light of the expert’s advice but by a process of weighing the considerations for which each is responsible and then reach- ing some kind of a balance of agreement“ (Parsons 1964: 67). Dabei müssen sie die zentralen Werte der Gesellschaft berücksichtigen, wollen sie nicht Konflikte erzeugen. Das aber sind mit zunehmender Demokrati- sierung die Werte des Individualismus. Als die Hochschulabsolventen in immer größeren Zahlen in die Be- triebe einrückten, wurden aus der alten bürokratischen Linienorganisation mit Hierarchie und Befehlskette die Stäbe ausgegliedert, in denen egalitä- re Kooperationsformen gelten. Die Stäbe wuchsen, während das mittlere Management in der bürokratischen Linienorganisation immer mehr seiner überkommenen Funktionen verlor und eine Krise geriet. Sie fand in den 1950er und 60er Jahren in der Industriesoziologie große Aufmerksamkeit (von Friedburg 1963; Kornhauser 1962; Popitz et al. 1957). Diese Tendenz setzt sich fort. In der Managementliteratur der 90er Jahre dominiert die Vorstellung, dass Arbeiter, Manager und Professio- nelle mehr und mehr in Gleichberechtigung und Autonomie entsprechend der normativen Figur von „citizenship“ miteinander kooperieren oder doch kooperieren sollten. Sie agierten in einer „democratic corporation“, so eine zugespitzte Formulierung von Ackerhof (1994) in einer der aufla- genstärksten Publikationen der Managementliteratur. Verwandte Thesen werden auch in der neuen Organisationssoziologie untersucht (Russel 1993; Barley 1996 sowie Barley/Orr 1997 und die hier erörterte Litera- tur). An derartige Befunde schließen Theorien gesamtgesellschaftlicher Entwicklung an (Block 1990, Appelbaum 1994; Bellah/Madsen/Sulli- vean/Swidler/Tipton 1992). In Deutschland werden ähnliche Befunde un- ter den Begriffen der subjektiven Modernisierung (Heidenreich 1996) und der „Systemischen Rationalisierung“ (Baethge/Oberbeck 1986) zum Thema. Danach weicht das tayloristische Rationalisierungsparadigma dem Normensyndrom des „subjektivierenden Arbeitshandelns“ (Böhle/ Rose 1992). So ergibt sich: Die Bürgerrechte gewinnen an Wirksamkeit, Demo- kratisierung und Expansion der Hochschulbildung verallgemeinern die Erfahrung der Geistesfreiheit, und die Professionalisierung ersetzt büro- kratische Versachlichung durch intersubjektive Anerkennung. Dass dieser Fortschritt noch begrenzt ist, ist unübersehbar.

die hochschule 1/2005 107 Literatur Ackhoff, R. L. (1994): The Democratic Corporation. New York: Oxford Univer- sity Press. Appelbaum, E./Batt, R. (1994): The New American Workplace. Ithaca: Cornell University Press. Baethge, M./Oberbeck, H., (1986): Zukunft der Angestellten. Frankfurt am Main. Barley, R./Orr, J E. (1997): Between Craft and Science: Technical Work in the U.S. Settings. Ithaca: Cornell University Press. Barley, S. R. (1996): The New World of Work. London: Needhams. Bellah, R./Madson, R/Sullivan, R./Swidler, A./Tipton, St. M. (1992): The Good Society. New York: Knopf. Block, F. (1990): Post-Industrial Possibilities. Berkeley and Los Angeles: Univer- sity of California Press. Böhle, F./Rose, H. (1992): Technik und Erfahrung – Arbeit in hochautomatisier- ten Systemen. Frankfurt/New York: Campus. Bruch, R. v. (1989): „Die Professionalisierung der akademisch gebildeten Volks- wirte in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts“. In: Jeismann, Karl- Ernst (Hg.), Bildung, Staat, Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag, 361-386. Bruch, R. v. (2001): „Die Gründung der Berliner Universität“. In: Schwinges, Rainer C. (Hg.), Humboldt International. Basel: Schwabe und Co ASG, 53-74. Burchardt, Lothar (1979): Die Zusammenarbeit zwischen chemischer Industrie, Hochschulchemie und chemischen Verbänden im Wilhelminischen Deutsch- land. Technikgeschichte, 46: 192-211. Burchardt, Lothar (1988): "Naturwissenschaftliche Universitätslehrer im Kaiser- reich". In: Schwabe, Klaus, Hg., Deutsche Hochschullehrer als Elite. 1815- 1945. Boppard am Rhein: Boldt, 151-214. Ellwein, T. (1997): Die Deutsche Universität. Wiesbaden: Fourier Verlag Ferber, Christian von (1956): Die Entwicklung des Lehrkörpers der deutschen Universitäten und Hochschulen 1864-1954. Bd. II der Untersuchungen zur Lage der deutschen Hochschullehrer. Herausgegeben von Helmut Plessner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Heidenreich, M. (1996): Die subjektive Modernisierung fortgeschrittener Ar- beitsgesellschaften. In: Soziale Welt Heft 1: 24-43. Humboldt, W. v. (1964): „Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin“. In: Schriften zur Politik und zum Bil- dungswesen. Werke in fünf Bänden, Bd. IV, herausgegeben von Flitner, A., und Giel, K.. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 255-266 (Erst- erscheinung 1810). Kornhauser, W. (1963): Scientists in industry: Conflict and Accomodation. 2. Aufl. Berkeley [u.a.]: Univerity of California Press. Lenhardt, G. (2002): Die verspätete Entwicklung der deutschen Schule. In: Päda- gogische Korrespondenz 2002, 29: 5-22. Lenhardt, G. (2004): Hochschulen in Deutschland und in den USA. Manuskript. Max Plank Institut für Bildungsforschung. Berlin. McClelland, C. E. (1980): State, Society, and University in Germany, 1700-1914. Cambridge: Cambridge University Press.

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die hochschule 1/2005 109 Der Austausch einer regulativen Leitidee Bachelor- und Masterstudiengänge als Momente einer europäischen Homogenisierung und Beschränkung

Erhard Stölting Das deutsche Hochschulsystem befindet Potsdam sich im wahrscheinlich tiefgreifendsten Veränderungprozeß seit der Entstehung der modernen deutschen Universitäten Ende des 18. Jahrhunderts.1 Die Durch- setzung von Bachelor- und Masterstu- diengängen und die Beseitigung der bis- herigen Studiengänge ist wesentlicher Teil dieser Veränderung. Die Re- formen sind von den europäischen Kultusministern gemeinsam beschlos- sen und in Folgekonferenzen präzisiert und bekräftigt worden. Das Rad der Geschichte läßt sich nicht mehr umsteuern. Bemerkenswert an diesen Veränderungen ist unter anderem die Tat- sache, daß sich die aktiv Beteiligten des Ausmaßes dieser Veränderun- gen, die sie selbst initiieren oder mittragen, kaum bewußt zu sein schei- nen. Zumeist verweisen sie auf Sachzwänge; jede grundsätzliche Reflexi- on der Reformen scheint damit überflüssig zu sein. Kaum noch in Details lassen die Sachzwänge, die von der sich globalisierenden Konkurrenz der Bildungseinrichtungen, dem europäischen Homogenisierungsprozeß und den sich dramatisch verringernden Steuereinnahmen ausgehen, Alternati- ven zu. Diskussionen dienen dazu, bei den noch zögernden oder zwei- felnden Zuschauern die Einsicht in das Notwendige durchzusetzen. Dem entspricht die Rhetorik der Reformen. Die immer etwas lächerli- chen „Bedenkenträger“ klammern sich ihr zufolge entweder an überholte Pfründe und Gewohnheiten, die einer Effizienzsteigerung und Internatio- nalisierung im Wege stehen, oder sie sind Konservative, die sich alters- starr gegen jede notwendige Reform sperren. Wie auch sonst im instituti- onellen Gefüge helfen gegen sie „frischer Wind“ oder ein „Ruck“ bzw.

1 Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, Reinbek (Rowohlt) 1963, 31-47.

110 die hochschule 1/2005 Flexibilität und Innovationsbereitschaft. Ohne sie sind – wie im Wirt- schaftsleben – auch Strukturen, die sich einst bewährt haben mögen, Ur- sache des Niedergangs. Die dynamische Entwicklung ist – rhetorisch – wichtiger als ihr Ziel. Allerdings blieben die „Bedenkenträger“ an den Universitäten selbst überwiegend stumm. Die deutschen Professoren tun das, was sie in kriti- schen Situationen fast immer getan haben. Die einen arbeiten engagiert und geschäftig mit; jene, die das Neue nicht begrüßen, fügen sich in das was, ihnen unvermeidlich scheint – solange ihre jeweils persönlichen Rechte nicht berührt sind. Widerspruch erklären sie dann in privaten Kontexten, und dieser Widerspruch äußert sich meist als hoffnungsloses Ressentiment der Verlierer. Eine Fülle von Institutionen, die zur technischen Planung und Imple- mentierung der Hochschulreform geschaffen wurden, setzen eine Fülle von jungen und energischen Fachleuten in Lohn und Brot. Es hat wohl keine Hochschulreform gegeben, die so viele technische Texte kompeten- ter Autoren in Umlauf gebracht hat. Auch diese Texte machen prinzipiel- le Überlegungen obsolet. Entsprechend wurden die zentralen Orientierungen in extrem kurzer Zeit beschlossen und mit einem organisatorischen und textlichen Auf- wand durchgesetzt, gegen den jeder Widerstand aussichtslos war. Es ge- nügte, daß sich die Leiter der großen Wissenschaftsagenturen und die verantwortlichen Politiker und Staatssekretäre einschließlich der von ih- nen berufenen Beratungsgremien einig waren. Überhaupt kennzeichnet eine technisch-pragmatische Orientierung den gesamten sogenannten Bo- logna-Prozeß. Die neuen Leitideen erscheinen den Reformern als selbst- verständlich, also keiner weiteren Begründung bedürftig. Unbemerkt dabei bleibt, daß die Veränderungen nicht einfach die Universitäten organisatorisch umstrukturieren. Versteht man Leitideen als kontrafaktisch idealisierende Deskriptions- und Rechtfertigungsfor- men von Institutionen, dann lösen diese Reformen die bisherige Leididee der deutschsprachigen Universität auf und ersetzen sie durch eine neue.2

2 Erhard Stölting, Informelle Machtbildung und Leitideen im institutionellen Wandel, in: Thomas Edeling, Werner Jann, Dieter Wagner (Hg.), Institutionenökonomie und Neuer Institutionalismus. Überlegungen zur Organisationstheorie, Interdisziplinäre Organisations- und Verwaltungsforschung 2, Opladen (Leske & Budrich) 1999, 111-131.

die hochschule 1/2005 111 Prinzipiell ist zwar Optimismus für die weitere Universitätsentwick- lung begründbar. Denn fast alles geht ja fast immer irgendwie weiter, und nach einigen Jahren haben sich die Beteiligten eingewöhnt. Aber der Austausch der Leitidee einer großen Institution ist doch so gravierend, daß er eine besondere Aufmerksamkeit verdient. Besonders deutlich zeigt sich das an den neuen Ba/Ma-Studiengängen.

Die Modularisierung und was sie ablöst

Ein erstes Strukturmoment der neuen Studiengänge ist die Modularisie- rung. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine einfache Reorganisation des Lehrstoffs und seiner Vermittlungsformen. Sie löst zwei unterschiedliche Studienmodelle ab, die bislang die uni- versitäre Ausbildung bestimmten. Beide unterstellten einen schrittweisen Fortschritt im Erlernen der fachlichen Kenntnisse und Denkformen. An Ende des als Einheit vorgesehenen Studiums stand der kompetente Ab- solvent einer akademischen Wissenschaft – der Mediziner, der Jurist, der Volkswirt, der Germanist. Er hatte nun noch die praktischen Fertigkeiten seines künftigen Berufs, als Facharzt, als Anwalt, als Analyst oder als Gymnasiallehrer zu erlernen. Von den pädagogischen Idealentwürfen – etwa der Heranbildung gereifter Persönlichkeiten – soll an dieser Stelle abgesehen werden. Im praktischen Studium spielten derartige Idealent- würfe kaum eine Rolle. Die Inhalte des Studiums waren im deutschen Sprachgebiet weitge- hend kanonisiert. Ohne daß es dafür komplexer staatlicher Einrichtungen und kostspieliger Evaluationsverfahren bedurft hätte, waren die Studien- abschlüsse über die einzelnen Disziplinen normiert und fast äquivalent. Ein Volkswirt aus Kiel oder aus Tübingen, ein Mediziner aus Heidelberg oder aus Hamburg, ein Kunsthistoriker aus München oder aus Köln gal- ten zunächst als kompetente Vertreter ihres Fachs. Das schloß Differen- zierungen nicht aus: unterschiedliche Schwerpunkte und Schulen an un- terschiedlichen Universitätsstandorten machten durchaus einen Unter- schied. Zu bestimmten Spezialqualifikationen konnte man sich an unter- schiedlichen Orten unterschiedlich qualifizieren. Wichtig waren schließ- lich die „Lehrer“, die entsprechend ihrem fachlichen Prestige und ihrer fachlichen Ausprägung die Qualifikation des Absolventen einfärbten. Die beiden Studientypen unterschieden sich in der Art des zeitlichen Aufbaus ihres Lehrstoffs. Juristen und Mediziner, aber auch Volkswirte

112 die hochschule 1/2005 und Naturwissenschaftler hatten einen relativ festen und normierten Stu- dienablauf. Die Lernschritte wurden schrittweise – vor allem in Klausu- ren oder mündlichen Examina – abgeprüft. Im Abschlußexamen sollte der künftige Jurist oder Mediziner über den gesamten gelehrten Stoff sei- nes Faches verfügen. Über die Fachverbände war der jeweilige fachliche Kanon weitgehend festgelegt, über sie wurde er immer wieder angepaßt. Das garantierte innerhalb des deutschen Sprachgebietes eine potentiell hohe Mobilität. Ein Medizinstudent konnte sein Vorphysikum in Tübin- gen ablegen, sein Physikum in Freiburg und sein Abschlußexamen in Er- langen, ohne daß er Wesentliches einbüßte. Für das deutschsprachige Eu- ropa gab es tatsächlich einen einheitlichen Hochschulraum. Nicht einmal die deutschen Reformorganisationen haben bislang behauptet, daß sie Absolventen dieses Systems zu schlecht gewesen seien. Das zweite Modell, das vor allem an den Philosophischen Fakultäten und ihren Nachfolgefakultäten vertreten wurde, war offener. Hier wurden für die einzelnen Fächer Kenntnisminima formalisiert und als Pflichtver- anstaltungen gelehrt. Darüber hinaus wurde von den Studierenden erwar- tet, daß sie entsprechend eigenen, sich entwickelnden Interessenschwer- punkten studieren, irgendwann eine Abschlußarbeit verfassen und sich zu Prüfungen anmelden sollten. Der disziplinäre Kanon des zweiten Studientypus war formell nicht festgelegt. Er bestand in einem geteilten impliziten Wissen, das sich all- mählich kasuistisch anzueignen, Teil der Studienleistung war. Auch in diesem Modell unterstellten die Abschlußprüfungen die Fähigkeit des Studierenden, am Ende des Studiums über den gesamten Wissenskanon mit mindestens einer Spezialisierung zu verfügen. Bei durchschnittlichen Studenten war diese Erwartung allerdings eine Überforderung. Daher wurden die Examensthemen zunehmend eingegrenzter abgesprochen; auf sie stellten sich die Prüflinge ein. Dieses zweite Modell bot hochmotivierten Studenten, die die notwen- dige Selbstdisziplin, die notwendige psychische Stabilität und die erfor- derlichen Vorkenntnisse mitbrachten, optimale Bedingungen dafür, sich selbst zu kreativen Wissenschaftlern oder Intellektuellen auszubilden. Aber das Modell verleitete die weniger motivierte Mehrheit dazu, sich auf die Minimalbedingungen zu konzentrieren und die Institution fachlich unterqualifiziert zu verlassen. Um diesem Mangel abzuhelfen waren im Laufe der letzten Jahrzehnte, die entsprechenden Studiengänge immer mehr formalisiert („verschult“) worden. Auf diesem Wege konnten die die hochschule 1/2005 113 Durchschnitte angehoben werden, auch wenn das freie, selbstbestimmte Studium für die Hochmotivierten langweiliger wurde. Es ist auch nicht zu übersehen, daß Studiengänge dieses Typus oft- mals Personen anzogen, die sich ein Studium im ersten Typus nicht zu- trauten. Die intellektuellen Anforderungen, die von den Hochmotivierten mit getragen wurden, waren auf der einen Seite besonders hoch. Aber sie konnten von eher durchschnittlichen oder schlechten Studenten umgan- gen werden. Die entsprechenden Studiengänge galten daher als besonders „leicht“. Diesem Urteil leisteten vielfach die Lehrenden Vorschub, indem sie die eigentlich hohen Ansprüche pragmatisch absenkten. Die Selektivi- tät der Studiengänge verschob sich entsprechend. Vor allem in diesem zweiten Typus war eine Reform notwendig, auch wenn sie sich schrittweise bereits seit den frühen achtziger Jahren entwi- ckelte. Die Modularisierung schafft demgegenüber eine ganz neue Struk- tur. Gerade im Bereich des zweiten Studientypus muß sie keine Absen- kung des Durchschnittsniveaus bedeuten, sieht man von den Studiermög- lichkeiten der bisher hochmotivierten Studenten ab. In jedem Falle wurde ein Studienfach bis dahin jedoch als wissen- schaftliches Fach gedacht. Ihrer Leitidee entsprechend sollten die Studen- ten das in der forschenden Wissenschaft notwendige Wissen und reflek- tierende Fertigkeiten erlernen. Der universitäre Unterricht orientierte sich an der Vermittlung von akademischer Kompetenz, als ob die Studenten nach dem Studium den Berufsweg eines forschenden Wissenschaftlers einschlagen würden. In seiner idealen Gestalt wurde der Student zugleich als ganzheitliche, wissenschaftlich durchgeformte Persönlichkeit gedacht. In diesem Sinne sollte die Wissenschaft zugleich Persönlichkeitsbildung sein.3 Ausgehend von der Überlegung, daß nur eine Minderheit der Studie- renden in Forschung und akademischer Lehre tätig sein wird, bricht die Ba/Ma-Studienreform grundsätzlich mit diesem Modell. Die Studieren- den sollen während ihres Studiums unterschiedliche Fertigkeiten erwer- ben, die jeweils in sinnvollen „Modulen“ zusammengefaßt werden. Diese Module bestehen aus präzise definierten Wissenseinheiten, die auch dis- kret erworben werden können. Sind ihre Inhalte erst einmal erlernt wor- den, gelten sie als Teil des festen Wissensbestandes, der später erweitert werden kann; ein Schlußexamen ist nicht mehr erforderlich.

3 Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit, S. 79-130.

114 die hochschule 1/2005 Die entsprechenden Modulbeschreibungen sind detailliert. Über sie kann das Wissen und die zur seinem Erwerb erforderliche Zeit präzise de- finiert werden. Es wird also genau festgelegt, welches Wissen den Stu- dienplanern als notwendig und welches als überflüssig erscheint. Sich überflüssiges Wissen anzueignen, ist nicht verboten aber Privatsache der Studierenden; es gehört nicht zum rationellen Studium und muß seitens der Hochschule nicht bereit gestellt werden. Auf der Basis der Modulari- sierung werden damit große personelle und sachliche Rationalisierungs- potentiale erkennbar. Überdies haben unterschiedliche Fächer gemeinsame Wissenselemen- te, die in gemeinsamen Modulen unterrichtet werden können. Damit er- geben sich weitere Rationalisierungs- und Synergiemöglichkeiten – vor allem im kostspieligen Personalbereich. Insgesamt werden die angebote- nen Studieninhalte planbarer. Sie lassen sich neuen Anforderungen der Praxis und neuen Entwicklungen in der Forschung immer wieder anpas- sen. Insgesamt aber wird die Ausbildung nicht mehr als Einheit gedacht, sondern als eine Sammlung unterschiedlicher Kenntnisse und Fertigkei- ten, die dann eine sinnvolle Gestalt ergeben. Das Studium ähnelt einer Konstruktion aus Lego-Bausteinen. Das muß nicht bedeuten, daß die außerfachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse aus dem Studium vollständig verschwinden. Sie erhalten aber einen neuen Kontext. Soweit sie für das Berufsleben funktional sind wer- den sie nun in eigenen Modulen als „Schlüsselqualifikationen“ planbar ausgegliedert. Zu ihnen gehören wesentliche Teile der berufsrelevanten modernen Allgemeinbildung, wie etwa Techniken der öffentlichen Selbst- und Stoffpräsentation und betriebswirtschaftliches Grundwissen. Die genaue Formulierung der Module und des zu vermittelnden Wis- sens ermöglicht auch eine genauere finanzielle Kalkulation. Selbst in je- nen Studiengängen, für die keine Studiengebühren erhoben werden sol- len, lassen sich die notwendigen Aufwendungen – und gegebenenfalls die der Universität entgehenden Einkünfte – besser kalkulieren. Auf jeden Fall liegt die Idee nahe, die Module einzeln abzurechnen und den Absol- venten zu ermöglichen, später zusätzliche oder modernisierte Module nachzukaufen („lebenslanges Lernen“). Die Ausdifferenzierung von Bachelor- und Masterstudiengängen, die die bislang einheitlichen Studiengänge ersetzen, wird von den Modul- baukästen her gedacht. Wofür immer die Bachelors ausgebildet werden mögen, der Degree eines Master ist als Zuerwerb zusätzlicher Module

die hochschule 1/2005 115 und damit zusätzlicher Kenntnisse zu werten. Das intendierte Graduier- tenstudium, das zu einem Ph.D führen soll, packt noch einige weitere abrechenbare Module dazu. Das gleiche gilt für die Fortbildungsstudien im marktlich heftig umkämpften Master-Angebot für kaufkräftige Prakti- ker, über die die Universitäten einen wesentlichen Teil ihrer laufenden Unkosten abdecken wollen. Noch bevor er im Universitätssystem voll- ständig durchgesetzt wurde, ist so der „Master“ zur Bezeichnung eines beliebigen aber nicht immer leicht zu durchschauenden Abschlusses mit einem gewissen Hochschulanspruch oder vergleichbaren Prätentionen geworden.

Fächergrenzen und Modularisierung

Die Modularisierung verändert nicht nur den idealen Studienablauf son- dern auch die Fächerdefinitionen. Eine zunehmende Spezialisierung cha- rakterisierte die Entwicklung der akademischen Disziplinen seit dem frü- hen 19. Jahrhundert.4 Innovative wissenschaftliche Leistungen waren oh- ne fortschreitende Spezialisierung nicht möglich. Die Zunahme von Spe- zialisierungen führte zum Auseinanderbrechen von Fächern oder zu star- ken Ausdifferenzierungen innerhalb der Fächer. Der Gesamtbereich der Wissenschaften war bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr überschaubar, und auch innerhalb der Fächer war eine Gesamtübersicht kaum noch möglich. Das gefährdete den wissenschaftlichen Austausch nicht nur zwischen den Disziplinen sondern auch in ihrem Inneren. So wurden immer mehr wichtige Zusammenhänge unterbrochen, die eigentlich für die Weiter- entwicklung der wissenschaftlichen Forschung produktiv gewesen wären. Es kam zu Doppelentwicklungen, die als solche nicht einmal wahrge- nommen wurden. Schon im 19. Jahrhundert wuchsen entsprechend die Klagen über das Sinken des intellektuellen Niveaus an den Universitäten, weil zwischen den Disziplinen die Kommunikation versiegte und der wissenschaftliche Gesamtzusammenhang aus der Wahrnehmung verschwand. Die Versu- che, Querschnittsdiskurse zu institutionalisieren, brachten zwar hervorra- gende Leistungen zustande, die aber von den Fachvertretern nur teilweise

4 Rudolf Stichweh, Wissenschaft, Universität, Professionen, Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1994.

116 die hochschule 1/2005 rezipiert wurden – ein Beispiel dafür waren die Bemühungen um ein Stu- dium generale in der Nachkriegszeit.5 Heute findet sich die alte Idee der Universität vielfach als „revival“ in einem „interdisziplinären Qualifika- tionsmodul“, das die Schlüsselqualifikation „vernetztes Denken“ vermit- teln soll. Das Unglück der wechselseitigen disziplinären Abschottung und die innerakademischen wechselseitigen Stereotypisierungen wurden bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts durch eine noch existierende ge- bildete Öffentlichkeit, die selbst die NS-Zeit überlebt hatte, partiell relati- viert. Auch die disziplinären Debatten und Entwicklungen hatten bis da- hin auf ein gewisses Maß allgemeiner Bildung immer wieder zurückgrei- fen können. Für die Generation der europäischen und nordamerikani- schen Studentenbewegung der 1968er Jahre brachten die damals zirkulie- renden Varianten des Marxismus und der Psychoanalyse nochmals Quer- schnittsdiskurse zustande – wie immer man deren Qualität auch einschät- zen mag. Paradoxerweise entpuppt sich aus der Rückschau der damalige „Kampf gegen die bürgerliche Wissenschaft“ als letztes Aufflackern ei- nes bildungsbürgerlichen Diskurses und eines transdisziplinären intellek- tuellen Zusammenhanges. Die Modularisierung des BA/MA-Modells hat mit diesem dis- ziplinären Problem nur noch wenig zu tun; es stellt sich nicht mehr, bzw. es stellt sich anders. Die Vertreter der neuen Modelle greifen auf der ei- nen Seite auf historische Beschreibungen der Wissenschaftsentwicklung zurück, denen zufolge die wichtigsten Innovationen nicht in den Kernbe- reichen der wissenschaftlichen Disziplinen stattfanden und stattfinden, sondern an deren Rändern oder in ihren Überschneidungsbereichen. Die disziplinären Grenzen stehen aus dieser Perspektive zur Disposition – zuweilen erscheinen sie geradezu als Hemmnisse des Fortschritts. Inno- vativ ist es demgegenüber aus der Sicht des Ba/Ma-Modells, bestimmte Wissenserfordernisse präzise zu definieren und dafür die erforderlichen Module transdisziplinär bereitzustellen. Im Idealfall wird dann nicht mehr ein Fach studiert, sondern nur die für ein bestimmtes Wissensziel festge- legten modularen Wissenseinheiten.

5 F. W. J. Schelling, Studium generale: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, Stuttgart (Kröner) 1954; Walter Rüegg, Humanismus, Studium generale und Studia humanitatis in Deutschland, Genf (Holle) 1954; Ulrich Papenkort, Studium generale: Geschichte und Gegenwart eines hochschul-pädagogischen Schlagwortes, Weinheim (Dt. Studien-Verl.) 1993.

die hochschule 1/2005 117 Entsprechend den praktischen Erfordernissen des Arbeitsmarktes und der Entwicklung der Forschung lassen sich die Module immer wieder neu kombinieren; es lassen sich neue Module entwickeln und veraltete aufge- ben. Die Dynamik der Fächerentwicklung und des Arbeitsmarktes spie- gelt sich dann in der Dynamik der Modulentwicklungen und – Kombina- tionen. Die Differenz in den ideellen Beschreibungen der alten und der neuen Struktur ist wichtig: Während sich das veraltete Universitätsmodell in seiner Lehre an einer dynamischen Spezialisierung durch Forschung ori- entierte, in der auch Irrtümer und Umwege Wissenszuwachs bringen konnten, geht das Modulmodell von einer Kombinatorik gesicherter In- halte aus. In diesem Sinne entsprechen die Module strukturell den Schul- fächern. Die Differenz ist damit eine ums Ganze. Der Wissenschaftsbegriff der Module zielt nicht mehr – wie im veralteten Modell – auf riskante Prakti- ken, für die Wissen benötigt wird und in denen das forschende Suchen und Problemlösen erlernt wird, sondern auf das Aneignen sicherer Resul- tate, die ihren Preis haben. Die Sollbruchstelle zwischen wissenschaftlicher Forschung und aka- demischem Unterricht wird an dieser Stelle deutlich: Denn die Wissen- schaften entwickeln sich ja – möglicherweise – jenseits des modularisier- ten Unterrichts weiter. Sie sollen unter anderem für die Fortentwicklung alter und den Aufbau neuer Module neues gesichertes Wissen bereitstel- len. Wer dabei für die weitere Planung und Entwicklung der Module ver- antwortlich sein wird, kann noch offen bleiben – seien es Hochschulleh- rer, die weiterhin in gewissem Umfang für Forschung freigestellt sind, seien es spezialisierte Einrichtungen, in denen dafür eigens ausgebildete Fachleute neue Module bis hin zu den entsprechenden Power-Point- Präsentationen entwerfen. Auch hier lassen sich große personelle Ratio- nalisierungsmöglichkeiten absehen. Die Hochschullehrer wären von der Forschung und von der Planung ihrer Lehrveranstaltungen entlastet. Sie könnten sich stärker auf die Lehre im Bachelor- und Masterbereich kon- zentrieren und damit wesentlich höhere Stundendeputate übernehmen. Allerdings bräuchten die weiterhin forschenden Wissenschaften ihrer- seits Institutionen, die weiterhin den Nachwuchs ausbilden. Für sie müß- ten jenseits der neuen Universitäten Spezialschulen mit eigenen Lehrfor- men entwickelt werden, in denen forschende Wissenschaftler mit be-

118 die hochschule 1/2005 grenztem Lehrdeputat den wissenschaftlichen Nachwuchs heranbilden könnten. Für diese Einrichtungen den Terminus „Eliteuniversitäten“ zu wählen, wäre ungünstig. Dieser Begriff ist bereits anders festgelegt wor- den: einerseits für großstädtische Mammutuniversitäten, wie die „Univer- sity of Munich“ oder die Humboldt-Universität zu Berlin, andererseits für Business-Schools mit hohen Studiengebühren und englischer Unterrichts- sprache.

Praxisbezüge und Entrümpelung

Zur anfänglichen Rhetorik der deutschen Bologna-Vertreter gehörte die „Entrümpelung“ der Studiengänge. Diese Forderung basierte auf der Auf- fassung, daß die akademischen Wissenschaften in Deutschland und vor allem ihre Lehrinhalte, einen zu großen Anteil überflüssigen Wissensbal- lasts enthielten. Indem die akademische Lehre veraltetes und überflüssi- ges Wissen vermittele, verfehle sie ihre eigentliche Aufgabe. Das konnte zweierlei bedeuten: Erstens, daß die akademischen Wis- senschaften es unterließen, den Kanon ihres Wissens regelmäßig zu revi- dieren und dem zeitgenössischen wissenschaftlichen Erkenntnisstand an- zupassen. Zweitens, daß an den Universitäten vieles gelehrt werde, was im künftigen Berufsleben der Absolventen überflüssig sei. Beide Vorwurfsvarianten zielten nicht auf die Naturwissenschaften. Nur Naturwissenschaftler können beurteilen, was die Studierenden wis- sen müssen und was nicht, um fachlich kompetent zu sein. Das gilt so- wohl für die angewandten wie für die Grundlagenrichtungen. Der erste Vorwurf konnte sich also gegen die Disziplinen der philosophischen Fa- kultäten und deren Nachfolgefakultäten richten –vor allem gegen jene Disziplinen, deren Inhalte in einem engen Austauschverhältnis mit All- gemeinbildung gedacht wurden und über die jeder Wissenschaftsplaner und Politiker zu kompetenten Urteilen befähigt war. Es waren typischer- weise jene Disziplinen, die dem zweiten hier dargestellten Lehrtyp na- hestanden. Ihnen wurde öffentlich immer wieder die Herausbildung von Fachterminologien angekreidet, welche Laien den Zugang erschwerten. Einige dieser Disziplinen suchten sich zu immunisieren, indem sie komplexe Fachterminologien und Formalisierungen vorantrieben, andere bemühten sich durch Verständlichkeit öffentlichkeitswirksam zu bleiben. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth hat sie, eine verbreitete Stimmung geistvoll wiedergebend, in einem die hochschule 1/2005 119 Bonmot als „Diskussionswissenschaften“ bezeichnet.6 Die Geringschät- zung der entsprechenden Disziplinen schlägt sich in Plänen nieder, die ih- re substantielle Verkleinerung vorsehen. Sie sollen mit einer Ergänzung für den wissenschaftlichen Nachwuchs und einige Berufe, für ein geis- teswissenschaftliches Studium vorteilhaft sein könnte, auf den Umfang beschränkt werden, der dem Bedarf von Lehrern an weiterbildenden Schulen entspricht.7 Schon diese Pläne zur Abspeckung der Fächervielfalt und einer finan- ziellen Umschichtung innerhalb der Universitäten machen deutlich, daß die Forderung nach einer „Entrümpelung“ sich weniger auf obsolet ge- wordene fachimmanente Traditionsbestände bezog, als auf den Arbeits- markt. Der Vorwurf bestand dann vor allem darin, daß die Universitäten mit vielem, das sie vermittelten, die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts ver- fehlten. Positiv gewendet bedeutete dies Argument, daß sich die Univer- sitäten als Ausbildungsinstitutionen stärker und detaillierter auf die marktliche Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften ausrichten sol- len. In der Forschungspolitik entsprach dem eine Orientierung auf ver- wertbare Erkenntnisse – in den Naturwissenschaften möglichst rasch in Patente einmündende Forschungsergebnisse. Forschung und Lehre stan- den mithin unter der betriebswirtschaftlichen Maxime, mit möglichst niedrigen Investitionen und Unkosten in möglichst kurzer Zeit einen möglichst hohen Nutzen zu erzielen. Hier liegt der deutlichste Bruch mit den akademischen Traditionen und eine konsistente Begründung für die Einführung der BA/MA- Studiengänge. Die Reform richtete sich ausdrücklich gegen die Tradition der Universitätsreformen Wilhelm von Humboldts, die ohnehin weitge- hend mißverstanden worden waren.8 Es ist müßig, an dieser Stelle das Humboldtsche Ideal zu rekonstruieren.9 Die universitäre Leitidee hatte

6 Jürgen Mittelstraß, Glanz und Elend der Geisteswissenschaften, Oldenburger Uni- versitätsreden Nr. 27, Oldenburg (bis) 1989. 7 Richard Rorty, Wissen deutsche Politiker, wozu Universitäten da sind? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. August 2004, S. 35 8 Karl Jaspers, Die Idee der Universität, Berlin 1945, Helmut Schelsky, Einsamkeit und Freiheit. Idee und Gestalt der deutschen Universität und ihrer Reformen, Reinbek (Rowohlt) 1963. 9 Jürgen Mittelstraß, „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut“ – die europäische Universität und der Geist der Wissenschaft, in: Alexander Patschovsky, Horst Rabe (Hg.), Die Universität in Alteuropa, Konstanz (UVK) 1994, 205-223.

120 die hochschule 1/2005 sich längst dahingehend gewandelt, daß das wissenschaftliche Forschen – auch in seiner spezialistischen Form – erstens Fähigkeiten heranbilde, die auch außerhalb der studierten Disziplin einsetzbar seien und daß zweitens das Universitätsstudium nicht unmittelbar bestimmte Berufsfertigkeiten vermitteln solle. Tatsächlich hatten die Universitäten schon immer und auch nach den Reformen des beginnenden 19. Jahrhunderts für Praxisbereiche außerhalb der Universitäten ausgebildet. Die Rechtswissenschaft bildete für das Jus- tizwesen aus, aber auch für eine große Zahl höherer Tätigkeiten in der privaten und staatlichen Verwaltung. Die Medizin bildete primär Ärzte aus. Die philosophischen Fakultäten waren zuständig zunächst für die Ausbildung von Lehrern in Sekundarschulbereich. Schon die Reform der Universität Göttingen, die dortige Installierung der Staatswissenschaften, intendierte ausdrücklich die Heranbildung höherer Staatsbeamter.10 Das Motiv der Landesherren, Universitäten einzurichten und zu finanzieren, war ausdrücklich der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften gewesen.11 Gleichwohl hatte sich innerhalb der Universitäten ein teilweise ab- weichender institutioneller Konsens herausgebildet: Die universitären Lehrinhalte, aber auch die Forschung, sollten natürlich der Gesellschaft zugute kommen – aber nicht unmittelbar. Sie wurden daher vor den von unmittelbaren Erfordernissen der Praxis soweit wie möglich abgeschirmt. Damit ergab sich in der Regel ein zweistufiges Modell. Der inneruniver- sitären fachwissenschaftlichen Ausbildung schloß sich eine oder zwei Ausbildungsphasen an, die berufspraktische Kenntnisse vermitteln und zu weiteren Spezialisierungen führen sollte. Erst in der nachakademischen Phase wurden die Qualifikationen der Absolventen unmittelbar ihren spä- teren Berufstätigkeiten angepaßt. In der Jurisprudenz lernten die angehenden Juristen zunächst das Rechtssystem als ganzes kennen und wurden in der Fähigkeit zu juristi- schem Argumentieren geschult. Auch wenn nur ein besonders interessier- ter Teil der Studenten die Angebote wahrnahm – die juristischen Fakultä- ten boten auch Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie an, um das Ver-

10 Notker Hammerstein, Göttingen: Eine deutsche Universität im Zeitalter der Aufklärung, in: Alexander Patschovsky, Horst Rabe (Hg.), Die Universität in Alteuropa, Konstanz (UVK) 1994, 169-182, Notker Hammerstein, Die deutschen Universitäten im Zeitalter der Aufklärung, in: Zeitschrift für historische Forschung 10, 1983, 73-93. 11 Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin 1902 (Nachdruck Olms 1966), 40-59.

die hochschule 1/2005 121 ständnis des Rechtssystems insgesamt zu vertiefen und die Verankerung der Jurisprudenz in der gesellschaftlichen und kulturellen Tradition be- wußt zu machen. Bereits hier zeigte sich ein elitärer Anspruch der Uni- versität. Die Elite wurde nicht von Personen gebildet, die nur über Fer- tigkeiten in der Rechtsanwendung verfügten, sondern die in der Lage wa- ren, ihre eigene Tätigkeit in gesellschaftlichen Kontexten zu reflektieren. Das im engeren Sinne akademische Studium schuf mithin die Voraus- setzung einer sich anschließenden Lehrzeit und einer Orientierung an konkreten Berufen bzw. Berufsbereichen. Sein Vorteil war, daß der Stu- dent sich nicht schon zu Beginn des Studiums auf eine Spezialisierung festlegen mußte und daß er die Möglichkeit hatte bzw. gezwungen war, sich ein umfassendes Verständnis des Rechtssystems anzueignen, obwohl er in seiner späteren Berufstätigkeit nur einen Teil der erworbenen Kenntnisse für die Erfüllung seiner Aufgaben benötigte. Der Zusammenhang zur juristischen Praxis war an den juristischen Fakultäten allerdings immer sehr eng gewesen. Richter waren auch als Hochschullehrer tätig und Hochschullehrer als Gutachter. Und dennoch blieb die akademische Phase der Ausbildung institutionell von der Praxis getrennt. Zwar nutzten nicht alle Jurastudenten das intellektuelle Angebot der juristischen Fakultäten; für viele war das Studium nur eine etwas merkwürdig konstruierte Berufsausbildung. Aber aus den anderen be- stand die hochgebildete juristische Elite, welche sich nicht nach externen Rankings bestimmte, sondern über die kulturelle und politische Qualität der juristischen Argumentationen. In vergleichbarer Weise war das medizinische Studium zweistufig. Auch die medizinischen Fakultäten bildeten letztlich für praktische Beru- fe aus. Aber die erste Phase des Studiums bis zum ersten Staatsexamen vermittelte primär eine theoretisch-wissenschaftliche Ausbildung. Der angehende Arzt und der medizinische Forscher sollten über jenes Wissen und jene Fertigkeiten erlangen, über die vor aller Spezialisierung jeder Mediziner verfügen sollte. Zugleich war die Nähe zu den Naturwissen- schaften, vor allem zur Chemie und zur Biologie, an den medizinischen Fakultäten besonders eng. Aber auch hier war die erste Phase von der folgenden Phase praktischen Lernens am Arbeitsplatz und von einer wei- tergehenden Spezialisierung deutlich unterschieden. Jenseits des erhabenen Geistes Wilhelm von Humboldts und Schel- lings galt das zweistufige Muster sogar für die philosophischen Fakultä- ten, insofern sie halfen, Gymnasiallehrer auszubilden. Die Differenz zur

122 die hochschule 1/2005 schulischen Praxis war eindeutig markiert: Die Studenten studierten eines oder mehrere akademische Fächer. Die Ausbildung war zunächst schul- fern. Die angehenden Lehrer wurden in die akademischen Wissenschaf- ten eingeführt und zu selbständiger intellektueller und tendenziell gelehr- ter Arbeit aufgefordert. In der akademischen Ausbildung schien es mithin zunächst nur um die Wissenschaft und ihre Inhalte selbst zu gehen. Auch hier wurde im Idealfall eine Person herangebildet, die in den jeweils studierten Fächern der philosophischen oder der mathematisch- naturwissenschaftlichen Fakultät kompetent war. An die wissenschaft- lich-akademische Phase schloß sich auch hier eine Lehrzeit an, in der die ehemaligen Studenten nach ihrem ersten Staatsexamen, den Lehrerberuf in einer angeleiteten Praxis erlernen sollten. Sicherlich unterschieden sich die verschiedenen Fakultäten und die verschiedenen Fächer grundlegend voneinander. Selbst die Abpufferung der praxisferneren wissenschaftlichen Ausbildung gestaltete sich sehr un- terschiedlich. Bei den Naturwissenschaften etwa gab es mit Ausnahme der Lehramtsstudiengänge keine praktische Lehrzeit, die sich ans Studi- um anschloß – sieht man von der notwendigen Einarbeitung ab, die jede neue Berufsposition verlangt. Die Naturwissenschaften bildeten überwie- gend Wissenschaftler aus, die später zumeist – wenn auch nicht immer – in der Forschung oder Entwicklung tätig wurden. Die anwendungsnähe- ren Forschungs- und Entwicklungsbereiche verlangten neue Spezialisie- rungen aber nicht prinzipiell andere Kenntnisse und Fähigkeiten. Problematisch war die Situation vor allem unter den Studenten der Philosophischen Fakultäten, soweit sie nicht künftige Lehrer heranbilde- ten. Die Universität bildete auch schulferne Literaturwissenschaftler, His- toriker, Philosophen, Kunsthistoriker heran, von denen danach nur ein Teil eine fachspezifische Betätigung fand. Viele suchten nach dem Studi- um auf einem unspezifizierten Arbeitsmarkt Stellen und fanden sie oft nur in großer Distanz zu den Inhalten ihres Studiums. Andererseits waren die akademischen Fächer für ihre Existenz gerade auf diese Studenten angewiesen. Die Einführung der Diplome seit der Einführung des „Diplomvolks- wirts“ von 1923 stand immer vor dem Problem, daß sich eine zweite, praktische Ausbildungsphase in der Privatwirtschaft nicht institutionali-

die hochschule 1/2005 123 sieren ließ.12 Die Magisterabschlüsse sollten seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts für Fächer, die für jene, die nicht Lehrer werden wollten, bis dahin nur die Promotion als Abschluß gekannt hatten, analog dem Staatsexamen und dem Diplom einen intermediären Abschluß ermögli- chen und die Zahl der Studienabbrecher reduzieren. Aber auch ihnen fehlte die Möglichkeit einer sich anschließenden praktischen Berufsaus- bildung. Die Akademikerarbeitslosigkeit bzw. das „akademische Proleta- riat“ war bereits in den zwanziger Jahren ein großes Thema.13 Die Lösung des Problems soll nun in einer radikalen Reduzierung nicht nur der ballastartigen Lehrinhalte, sondern auch des Fächerballasts gesucht werden. Das Berufspathos des Ba/Ma-Studiengänge schneidet die akademische Welt auf seine administrativ und technisch brauchbaren Teile zurück. Daß viele Bachelor- und Masterstudiengänge heute einen Praxisbezug eher vortäuschen als überzeugend organisieren, ist nicht ü- berraschend. Ein Praxisfake könnte einer bedrohten Disziplin vor dem Exitus einen Aufschub gewähren. Andererseits kann ein nur praktisch scheinendes Etikett berufsorientierte Schulabsolventen in kostenspielige Umwege oder Sackgassen führen.

Fachhochschulbildung und Praxispathos

Die von der gesellschaftlichen Praxis und Lehre getrennte universitäre Lehre und Forschung ist nicht erst in jüngster Zeit als finanzielles und wirtschaftliches Problem wahrgenommen worden. Bereits im Kaiserreich wurde ein System von Schulen für hochqualifizierte technische und kaufmännische Arbeitskräfte geschaffen. Wichtig war etwa die Heranbildung von Ingenieuren für den zivilen und den militärischen Bereich. Für sie sollten die technischen Hochschu- len Fachkräfte heranbilden.14 Im Zusammenhang mit ihrem praktisch ori-

12 Erhard Stölting, Akademische Soziologie in der Weimarer Republik, Berlin (Duncker & Humblot) 1986, S. 47. 13 Ulrich Lohmar, Gerhard E. Ortner (Hg.), Die Deutsche Hochschule zwischen Numerus clausus und Akademikerarbeitslosigkeit: Der doppelte Flaschenhals, Hannover (Schroedel) 1975. 14 Karl-Heinz Manegold, Die Emanzipation der Technik und die deutschen Hochschulen im 19. Jahrhundert, in: Wilhelm Treue (Hg.), Deutsche Technikgeschichte, Göttingen (Vanden- hoeck & Ruprecht 1977, 29-51; Peter Lundgreen, Bildung und Wirtschaftswachstum im Industrialisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts, Berlin (Colloquium) 1973.

124 die hochschule 1/2005 entierten Profil sollten sie auch Forschung betreiben. Der Unterschied zu den Universitäten bestand darin, daß sich die Technischen Hochschulen vor allem der angewandten Forschung widmen sollten und die Universi- täten der Grundlagenforschung. Die Grundlagenforschung sollte Resultate erarbeiten, die noch nicht patentierbar waren und nicht aus militärischen Gründen unter Geheimhal- tung gestellt werden konnten. Ihre Kosten übernahm daher die Allge- meinheit. Die angewandte Forschung war hingegen an Erkenntnissen und Verfahren orientiert, die möglichst rasch in militärischen oder zivilwirt- schaftlichen Objekten genutzt werden könnten, also letztlich patentierbar waren. In der Praxis ließen sich beide Typen von Forschung aber meist nur schwer trennen. Daher wurde seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts auch an den Technischen Hochschulen Grundlagenforschung auf hohem Niveau betrieben. Umgekehrt zeitigte die an den Universitäten be- triebene Forschung Resultate – nicht zuletzt in Form von Geräten – die unmittelbar praktisch nutzbar und patentierbar waren. Die Grenze zwi- schen Lehre und Forschung an den Technischen Hochschulen einerseits und an den universitären Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultä- ten andererseits, die sich von den Philosophischen Fakultäten abgespalten hatten, war nicht streng zu ziehen. Deutlicher schienen zunächst die Unterschiede bei anderen Hoch- schultypen. Die pädagogischen Hochschulen etwa bildeten Lehrer im Primarschulbereich aus. Die Fachinhalte, die die Lehrer dann den Schü- lern weitergeben sollten, waren nicht sehr weit entfernt von ihren eigenen Schulkenntnissen. Der Akzent der Ausbildung lag daher eher auf päda- gogischen und psychologischen Fertigkeiten für die Schulpraxis. Auch an den Pädagogischen Hochschulen fand allerdings Forschung statt, die in letzter Hinsicht an der pädagogischen Praxis orientiert sein sollte. Aber auch diese Forschung entwickelte eine eigene akademische Dynamik. Die Handelshochschulen, die um 1900 entstanden und später vielfach den Universitäten als Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultä- ten zugeschlagen wurden, entsprachen ebenfalls einer eher praktischen Ausrichtung des akademischen Studiums.15 Schließlich entstanden – in

15 Heike Franz, Zwischen Markt und Profession. Betriebswirte in Deutschland im Spannungsfeld von Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum (1900-1945), Göttingen (Vanden- hoeck & Ruprecht) 1998; O. Hommer, Kaufmännisches Unterrichtswesen, in: Lexikon der Pädagogik, hg. M. Rohloff, Bd. 2, Freiburg i.Br. (Herder) 1913, Sp. 1144-1156.

die hochschule 1/2005 125 den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts entsprechend wahrgenommen praktischen Bedürfnissen – immer wieder neue Typen von Fachhoch- schulen.16 Sie alle sollten eine berufspraktische Ausbildung vermitteln. Wer an diesen Fachhochschulen studierte, wollte genau eine solche Aus- bildung haben. Dem diente in Deutschland auch eine Regel, nach der nicht nur die akademische Bildung Einstellungsvoraussetzung für eine Lehrkraft war, sondern auch die praktische Berufserfahrung. Der be- rufsausbildende Charakter der Fachhochschulen kam auch darin zum Ausdruck, daß die Höhe des Lehrdeputats der Lehrkräfte eher den Anfor- derungen an Lehrer allgemeinbildender Schulen entsprachen. Selbständi- ge Forschung und eine sich entlang ihrer fortentwickelnde Lehre wurde von den Fachhochschullehrern in geringerem Maße erwartet. Wie im Falle der Technischen und der Pädagogischen Hochschulen gab es aber auch bei den sonstigen Fachhochulen breite Überschnei- dungsbereiche. Ihre Lehrkräfte betrieben eigene Forschungen, die sich mit denen an den Universitäten qualitativ messen konnten. Umgekehrt wurde an den Universitäten vielfach praxisorientierte Forschung betrie- ben, die jener an den Fachhochschulen entsprach.17 Hinzu kam, daß viele Fachhochschullehrer sich mit der abgepufferten Form der akademischen Wissenschaft identifizierten und wissenschaftlich keineswegs schlechter waren als ihre universitären Kollegen. Sie rekrutierten sich aus der glei- chen Menge qualifizierter Universitätsabsolventen – auch wenn manche den Unterricht an den Fachhochschulen als anspruchslos empfanden. Auch als Fachhochschullehrer waren die Dozenten in ihren wissenschaft- lichen Vereinigungen aktiv, publizierten und forschten in kaum geringe- rem Maße als die Universitätslehrer. Trotz all dieser Überschneidungen blieben die Leitideen der Be- rufsausbildung betreibenden Fachhochschulen und die der Universitäten unterschiedlich. Die Überschneidungen konnten dabei als institutionelle Widersprüche wahrgenommen werden, die selbst wieder Reformanstren- gungen auslösten. Die Idee konnte darin bestehen, die Differenz zwischen den Universitäten und den Fachhochschulen aufzulösen – sei es, indem

16 Gustav Grüner, Die Entwicklung der höheren technischen Fachschulen im deutschen Sprachgebiet, Braunschweig (Westermann) 1967; Günter Lachmann, Die Konzeption der Fachhochschulen, in: Deutsche Universitätszeitung 22, 1969, 1-5. 17 Jürgen Mittelstraß, Die unzeitgemäße Universität, Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1994, S. 16-25.

126 die hochschule 1/2005 die Universitäten dem Ideal der Fachhochschulen, sei es indem die Fach- hochschulen dem Ideal der Universitäten angeglichen wurden. Die Angleichung an universitäre Strukturen war der historisch erste Schritt. Die Technischen Hochschulen wurden nach dem zweiten Welt- krieg zu Technischen Universitäten. Da in der Nachkriegszeit noch die Vorstellung vorherrschte, daß eine Universität einen Fächerkosmos insti- tutionell vereinen sollte, erhielten die Technischen Universitäten auch geistes-, wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultäten oder Fachbe- reiche. Der heutige Wandel der universitären Leitidee zeigt sich nicht zu- letzt daran, daß die Technischen Universitäten, die sich heute ihrer nicht- technischen Teile wieder entledigen, keineswegs zu Technischen Hoch- schulen rückbenannt werden. In die gleiche Richtung ging die Integration der Pädagogischen Hoch- schulen in die Universitäten.18 Die dieser Integration zugrunde liegende Idee war zunächst, daß Primarschullehrer eine genau so wichtige gesell- schaftliche Aufgabe hätten wie Lehrer an Sekundarschulen und daß sie deshalb ein Recht auf eine wissenschaftliche Ausbildung hätten. Die Akademisierung der Lehrerausbildung sollte eine gestiegene Wertschät- zung des Erziehungsprozesses selbst ausdrücken und eine inhaltliche Verwissenschaftlichung der Unterrichtspraxis einleiten. Auf jeden Fall verstärkte sie die akademische Forschung. Die Idee einer Verwissenschaftlichung vieler Praxisbereiche enthielt allerdings eine Zweideutigkeit. Auf der einen Seite zehrte der Begriff der Verwissenschaftlichung, der dem institutionellen Zusammenschluß zu- grunde lag, von der Vorstellung und dem Prestige einer reflektierenden Durchdringung der Praxis, wie sie dem traditionellen Wissenschaftsbeg- riff zugrunde gelegen hatte. Auf der anderen Seite konnte die Lehreraus- bildung, wie sie bislang an den Pädagogischen Hochschulen betrieben worden war, zum praxisorientierten Modell der Lehrerbildung überhaupt werden. Wie die Grundschullehrer sollten die künftigen Sekundarschul- lehrer keinen wissenschaftlichen Ballast mehr studieren müssen, der in der Schule nicht gelehrt wird.

18 Fritz Oser, Jürgen Oelker (Hg.), Die Wirksamkeit der Lehrerbildungssysteme. Von der Allroundausbildung zur Ausbildung professioneller Standards, Chur/Zürich (Rüegger) 2001; Hans Jürgen Apel u.a. (Hg.), Professionalisierung pädagogischer Berufe im historischen Prozeß, Bad Heilbrunn (Klinckhardt) 1999.

die hochschule 1/2005 127 In den siebziger Jahren lagen die Akzente anders. Die geforderte Ori- entierung an einer „Berufspraxis“ meinte damals nicht nur eine Konzent- ration und Ausdünnung der Lehrinhalte auf die spätere Berufstätigkeit, sondern im Gegenteil: eine grundsätzliche Reflexion dieser Praxis sollte Teil der Ausbildung werden.19 Die Frühzeit der Hochschulreformen der sechziger und siebziger Jahre kann so als eine letzte Renaissance des Humboldtschen Bildungsideals verstanden werden.20 Die problematische Seite jener Reformbemühungen bestand zuweilen in einer oberflächlichen Politisierung des akademischen Unterrichts in ei- nem „kritischen“ Sinne. Die „Demokratisierung“ und die Durchsetzung der Gruppenuniversität, die später abgemildert wurde, traf auf wenig Wi- derstand. Konservative Versuche, einer solchen Politisierung Einhalt zu gebieten, setzten sich dem politischen Verdacht aus, reaktionär zu sein. So ähnelten die Durchsetzungsstrategien den heutigen insofern, als schon damals die Reformgegner rhetorisch überwältigt wurden und machtlos waren. Aus heutiger Perspektive fällt nicht nur die Umdefinition von „Pra- xis“ auf. Überraschend ist an den Reformen der siebziger Jahre, das uner- schütterte Vertrauen in die institutionelle Legitimität der Universität und der in ihr versammelten Fächer. Selbst in die radikalen Reformforderun- gen, dem Aufruf zum „Kampf gegen die bürgerliche Wissenschaft“ etwa, rechnete nie mit der Liquidierung der eigenen Fächer. Auch die Studienreformen waren entgegen ihren expliziten Intentio- nen an einem konservativen Modell orientiert. Das Idealbild, das den Re- formen zugrunde lag, war der wissensdurstige, intrinsisch motivierte Stu- dent, der Anregungen aufnimmt und sich entsprechend seinen Interessen und unter Nutzung der Angebote und Anregungen der Lehrkräfte in den Stoff seines Faches einarbeitet. Pflichtveranstaltungen sollten nur er- zwingen, daß wesentliche inhaltliche Elemente des Studiums gesichert wurden.

19 Jürgen Habermas, Vom sozialen Wandel akademischer Bildung, in: Stephan Leibfried (Hg.), Wider die Untertanenfabrik. Handbuch zur Demokratisierung der Hochschule, Köln (Pahl-Rugenstein) 1967, 10-24; Stephan Leibfried, Ulrich K. Preuß, Wissenschaft als gesellschaftliche Praxis – Thesen zum politischen Mandat der Studentenschaft, ebd. S. 340- 352. 20 Wolfgang Nitsch, Uta Gerhard, Claus Offe, Ulrich K. Preuß, Hochschule in der Demokratie, Neuwied und Berlin (Luchterhand) 1965.

128 die hochschule 1/2005 Tatsächlich förderte die Studienorganisation die intrinsisch motivier- ten Studierenden, die wußten was sie wollten. Ihnen stand aber die größe- re Zahl jener gegenüber, die sich in der Vielzahl der inhaltlichen Angebo- te verloren, keine Orientierung gewannen – auch weil die orientierenden Veranstaltungen fehlten. Wer dennoch den ganzen Weg zurücklegte, nahm die Pflichtveranstaltungen, die als Minima des Studiums gedacht waren, als das Maxima der Anforderungen. Resultat waren vielfach Ab- solventen, die sich in dem Fach, das sie studiert hatten nur bruchstückhaft auskannten. Die heutigen Reformen, die äußerlich zum Teil die gleiche Rhetorik verwenden, gehen in eine grundsätzlich andere Richtung. Es soll nun die universitäre Ausbildung auf das bisherige Modell der Fachhochschulen hin zu orientiert werden. Die berufliche Praxis sollte unmittelbar Eingang in die Lehre finden, sie praktisch reorganisieren helfen und so die Wis- senschaft aus ihrem Elfenbeinturm hinausführen. Aufhebung der Zwei- stufigkeit steht unter dem deutlichen Postulat, die akademische Lehre den berufspraktischen Erfordernissen des Arbeitsmarktes anzupassen.21

Baccalaurei und Magistri im neuen Europa

Das Ba/Ma-Modell lehnt sich an die Strukturen im angelsächsischen Be- reich an, die durch ihre Verbreitung in den Gebieten des ehemaligen briti- schen Empire und in den amerikanischen Einflußzonen ohnehin maßge- bend sind.22 Es sind keine Alternativen mehr denkbar und gerade darin zeigt sich die wachsende kulturelle und wissenschaftliche Unterlegenheit des alten Europas. Zum Baccalaureus wurde man in den mittelalterlichen Universitäten mit dem erfolgreichen Absolvieren der „Artistenfakultät“, die die „artes liberales“ lehrte, welche ihrerseits Voraussetzung für ein Studium an den drei oberen Fakultäten waren, der theologischen, der juristischen und der medizinischen.23

21 Robert Francke (Hg.), Einstufige Juristenausbildung in Bremen. Evaluation eines Reformmodells, Alsbach (Leuchtturm) 1986. 22 Andreas Stucke, Mythos USA – Die Bedeutung des Arguments „Amerika“ im hoch- schulpolitischen Diskurs der Bundesrepublik, in: Erhard Stölting, Uwe Schimank (Hg.), Die Krise der Universitäten, Wiesbaden (Westdeutscher Verlag) 2001, 118-136. 23 Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1, München (Beck) 1993.

die hochschule 1/2005 129 Im deutschen und im französischen Sprachgebiet wurde die Artisten- fakultät im Zuge der Reformen der Aufklärung zur eigenständigen Philo- sophischen Fakultät. Die Aufgabe der Heranbildung von Studierfähigkeit wurde aus den Universitäten ausgelagert und Aufgabe der Sekundarschu- len, der Gymnasien. Das Abitur (Matura) war Nachweis der Studierfä- higkeit. Die französische Bezeichnung „Baccalauréat“ verweist darauf, daß es sich beim Abitur tatsächlich um eine ursprünglich universitäre Ausgabe handelte, die an das „Lycée“ delegiert wurde. In der angelsächsischen Welt hat der Bachelor den Charakter einer Vorbereitung auf das eigentliche akademische Studiums nie ganz verlo- ren. Eine vollgültige akademische Bildung vermittelt er nicht; aber er zeigt Studierfähigkeit an und die Fähigkeit, sich in komplexere Sachver- halte einzuarbeiten. Die Mehrheit der Bachelors geht unmittelbar ins Be- rufsleben über. Da die Colleges, in denen der Grad eines Bachelors er- worben wird, dem Universitätssystem zugerechnet werden, haben jene, die diesen Titel errungen haben, ein Universitätsstudium absolviert – aber sie sind eben nicht Ärzte, Juristen, Ingenieure oder Naturwissenschaftler. In den Bologna-Richtlinien erscheint der Bachelor einerseits als Vor- aussetzung für die kürzeren Master-Studien andererseits als berufsorien- tierter Abschluß. Ein kürzeres Studium bedeutet eine Einsparung von Kosten im Ausbildungssystem. Wer ohnehin in die Praxis geht, braucht jeweils umschreibbare Kenntnisse und Fertigkeiten. Allerdings sind die deutschen/europäischen Vorstellungen zum Ba- chelor noch nicht eindeutig. Er soll berufsqualifizierend sein, aber was das bedeutet, ist noch nicht klar. Zuweilen wird er einer halbspezialisier- ten Berufsausbildung gleichgesetzt, zuweilen erscheint er als eine Art zweites, fachlich akzentuiertes Abitur, das an den Universitäten erworben wird und auf dessen wissenschaftlichen Aspekten dann ein fachlicher o- der sonstwie spezialisierter Masterstudiengang aufbauen kann. Ein sol- cher Studiengang soll in der Regel zwei Jahre dauern und entweder eher fachwissenschaftlich oder eher berufsspezifisch ausgerichtet sein. Kinderkrankheiten zeigen die Master-Studiengänge noch. So gibt es einen Wildwuchs, der die Situation für fast alle – also auch die künftigen Arbeitgeber – undurchschaubar macht. Private Akkreditierungsagenturen setzen einerseits sehr strenge Maßstäbe und hohe Gebühren durch – aber auch sie kennen die Arbeitsmärkte nicht und lassen Studiengänge zu, de- ren Absolventen keine wirklichen Berufschancen haben. Viele akademi- sche Fächer versuchen sich vor der nun drohenden Abwicklung dadurch

130 die hochschule 1/2005 zu retten, daß sie phantasievolle Berufsbereiche erfinden, für die sie aus- bilden wollen, wie „interdisziplinäre Mediävistik“ oder „angewandte Li- teraturwissenschaft“.24 Die Tatsache, daß die akademischen Wissenschaf- ten von der beruflichen Praxis abgepuffert waren, schlägt nun in Ratlo- sigkeit und in zuweilen kuriose Lösungen um. Gut positioniert sind hin- gegen solche Wissenschaften, die – wie die Betriebswirtschaftslehre – schon immer wohldefinierte Praktiker ausbildeten. Schließlich ist die Bezeichnung „Master“ so inflationiert worden, daß ohne detailliertes „Diploma Supplement“ unerkennbar ist, was der Ab- solvent kann. Der Master, der an einer University erworben wurde, muß mit einem Master konkurrieren, der an einer „University for Applied Sciences“ erworben wurde. Und beide konkurrieren mit den Masters von Berufsfachschulen, von Industrie und Handelskammern und von interna- tionalen Business Schools. Die weitgehende Spezialisierung in den neuen Ba/Ma-Strukturen er- schwert es damit, ein wesentliches Ziel der Reformen zu erreichen: die Herstellung eines europäischen Hochschulraumes. Schon im ersten Schritt erleichtern die neuen Strukturen die internationale Mobilität nicht, sondern erschweren sie. Vor den Reformen war es Studierenden möglich, ein oder zwei Semester im Ausland zu studieren, Sprachkenntnisse zu perfektionieren, die fremde Lebensweise kennenzulernen und sich fach- lich anderen Erwartungen auszusetzen. Daß die Studierenden dabei Se- mester „verloren“, daß sie nicht alles, was sie im Ausland studiert hatten, in ihrem Studien zuhause verwenden konnten, wurde durch den persönli- chen Erfahrungsgewinn kompensiert. Ein oder zwei beim Auslandstudi- um verlorene Semester, ließen sich vor jedem künftigen Arbeitgeber rechtfertigen. Durch die vielfältig und unübersichtlich diversifizierten Ba/Ma- Studiengänge wird diese Form des Auslandsstudiums erschwert. An die Stelle einer freien Zirkulation von Personen und Ideen treten Planungen und Module, die jede Bewegung regulieren. Der europäische Bildungs- raum zeigt sich immer weniger als offene Landschaft, denn als geplantes Wegenetz, das das Betreten von Grünflächen verbietet. Das gilt im übri-

24 Jürgen Kaube, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. September 2004, S. 35. Die Universität Zürich bildet inzwischen 25 Studenten zu „Executive Masters in Arts Administration“ (Intendanten) aus, an vielen Universitäten wird der Studiengang des MBA/Tourismus und Freizeitmanagement eingeführt.

die hochschule 1/2005 131 gen auch für den innerdeutschen Bildungsraum. Der früher positiv gewer- tete Hochschulwechsel wird bei den sehr spezifisch definierten Ba/Ma- Studiengängen erschwert. Die Anpassung der Studiengänge an einen vermuteten Arbeitsmarkt schränkt schließlich selbst jene Flexibilität ein, die sie herstellen möchte. Je enger auf ein bestimmtes Segment des Arbeitsmarktes hin ausgebildet wird, desto enger werden die Arbeitsmärkte für die Absolventen- sofern es diese Segmente überhaupt gibt. Ein „Bachelor of“ oder ein „Master of“ ist gerade weil seine Kenntnisse und Fertigkeiten modular zugespitzt wurden, außerhalb seiner Spezialisierung kaum brauchbar. Die Gefahr ist nicht auszuschließen, daß einerseits das neue System eher mehr fehlgelei- tete Qualifikationen produziert, und daß andererseits für andere offene Positionen keine Kandidaten zur Verfügung stehen, weil die generalisie- renden Qualifikationen des alten Systems fehlen. Aber in diesen Unstimmigkeiten könnten behebbare Anpassungs- schwierigkeiten stecken. Sie ließen sich durch eine große Planungs- institution beheben, die die Entwicklungen des Arbeitmarkts kontinuier- lich beobachtet und entsprechende Veränderungen im europäischen Stu- diensystem immer wieder durchsetzen könnte. In der Reform und Angleichung der europäischen Studiengänge wird schließlich ein letzter überwölbender Aspekt der europäischen Homoge- nisierung erkennbar. Die gemeinsame Sprache Europas ist das Englische. Die meisten bisherigen Bachelor- und Masterordnungen enthalten Schrit- te in Richtung einer Umstellung des Studiums auf die englische Sprache, wenn sie nicht ohnehin schon Englisch als einzige Unterrichtssprache vorsehen. Auch wenn diese sprachliche Umstellung zuweilen dazu führt, daß Lehrkräfte, die des Englischen nicht mächtig sind, Studierende auf Englisch unterrichten, die es auch nicht können – mittelfristig werden die übrigen europäischen Sprachen ihre akademische Funktion einbüßen. Die Betonung, man müsse als Europäer noch eine zweite Fremdsprache be- herrschen, ist eher als kurzfristiges Palliativ anzusehen, das nationale Sensibilitäten beruhigen soll. In der gegenwärtigen Übergangsphase ist das Englische aber nicht nur die Sprache der internationalen wissenschaftlichen und kulturellen Kom- munikation. Es indiziert zudem noch Modernität und Dynamik. Die Su- che nach englisch klingenden Bezeichnungen, die korrekte oder inkorrek- te Verwendung englischer Termini in der akademischen Welt zeigt einen deutlichen Anspruch auf Modernität. Die englischsprachigen Länder

132 die hochschule 1/2005 müssen allerdings auf die Funktion ihrer Sprache als Modernitätsindika- tor verzichten. Daß die neuen Studienabschlüsse mit den englischen Derivaten latei- nischer Ausdrücke bezeichnet wurden, ist ein ungewollter aber eindeuti- ger Indikator für diese neue Position und für die Ablösung der alten Leit- idee. Englische Bezeichnungen ersetzen in ihrer Funktion die früheren la- teinischen die die Welt der Universitäten markierten. Aber dieser Aus- tausch erfolgt schrittweise.25 Hinter dem allmählichen Wandel der sprachlichen Selbstpräsentation läßt sich eine Verminderung der Statusspannungen zwischen Universitä- ten und Fachhochschulen erkennen. Noch gilt allerdings die „Universität“ als etwas besonderes. Paradoxerweise zeigt gerade die Inflationierung des Etiketts „Universität“, daß ihr Anspruch auf einen gehobenen Status noch fortwirkt. Auch den Wissenschaftlern bzw. den Professoren wird noch immer öffentlich eine besondere Form von Würde und Weisheit zuge- schrieben. Abgesichert war und ist teilweise diese Zuschreibung durch akademische Rituale, die die ehrwürdige Tradition der verlöschenden Ge- lehrtenrepublik indizieren. Noch immer zehren die Professoren von der traditionellen Aura der lateinischen Eruditi. Ihre Ratschläge und Kritiken können mit öffentlicher Aufmerksamkeit rechnen, auch wenn mancher Economic Advisor oder Analyst fachlich kompetenter sein mag. Aber der prächtige Mantel ist dünner geworden. Die Einführung der Ba/Ma-Studiengänge, die neuen Gehaltsklassen, die Entmachtung der aka- demischen Selbstverwaltung zugunsten einer durchgreifenden Unterneh- menshierarchie, die Einführung von Kennziffern zur Messung akademi- scher Leistung, die in ihren Verfahren eher der Leistungsmessung von Facharbeitern als der von leitenden Angestellten entspricht – all dies be- zeugt den rasanten sozialen Abstieg der Professoren und der Universitä- ten generell.26 Mehr und mehr erscheint der Hochschullehrer als jemand, dem es mißlang, in lukrativere oder intellektuell anspruchvollere Berufs- positionen aufzurücken. In allem aber wird ein homogenerer, praxisorientierter europäischer Hochschulraum erkennbar, von dem zwar große wissenschaftliche und

25 Dabei kann es auch zu spaßigen Effekten kommen. Das lateinische Wort „Alumni“ (Schüler) kehrt als amerikanisches Wort an die europäischen Universitäten zurück. 26 Heike Schmoll, Kommentar: Professor Knecht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Januar 2005, S. 1

die hochschule 1/2005 133 intellektuelle Innovationen nicht mehr zu erwarten sind, der aber für die wirtschaftliche und technische Entwicklung des Kontinents ein Fachwis- sen mobilisieren wird, das in der globalisierten Wissensgesellschaft ir- gendwie konkurrenzfähig ist.

134 die hochschule 1/2005 Evaluationen – ein Modus der Bearbeitung von Unsicherheit in Hochschulen

Michael Bommes Keine Unternehmung, sei sie ökonomi- Osnabrück scher, politischer oder erzieherischer Art, wird heute noch auf den Weg ge- bracht, ohne bereits mit ihrem Anfang den Zeitpunkt vorzusehen, zu dem ihre Evaluation anzusetzen ist. Evaluation scheint eine Bedrohung und ein Ver- sprechen zugleich zu bezeichnen: eine Bedrohung, sofern sich die Evalu- ierten immer auch unter verschiedenen Gesichtspunkten, betreffend ins- besondere Mittelverwendung und Zielerreichung im Rahmen ihrer Tätig- keit, kontrolliert sehen; ein Versprechen, sofern ihnen zugleich in Aus- sicht gestellt wird, dass diese Kontrolle, durchgeführt im methodischen Soft-Pack von Interaktion und Partizipation, zu ihrem eigenen Besten sei, da sie ihnen Potentiale der permanenten Selbstverbesserung zur Verfü- gung stelle. Zugleich lassen sich mit Evaluationen, so scheint es, die Dau- erprobleme moderner Organisationen in den Griff bekommen: Organisa- tionen sollen und müssen in einer turbulenten und unvorhersehbaren Umwelt lernen und sich permanent entwickeln und Evaluation scheint ih- nen den reflexiven Mechanismus zur Verfügung zu stellen, der genau dies erlaubt. Für das Übergreifen dieser Formen der Reflexion, die zunächst in marktorientierten Unternehmen ausprobiert worden sind, auch auf den Bereich der Bildung gibt es viele Gründe. Organisationen des Bildungs- systems stützen sich nicht nur in Deutschland auf die Beschaffung des er- forderlichen Gelds durch die Politik. Angesichts der alle Staaten betref- fenden Dauerproblematik knapper Staatshaushalte haben Evaluationen daher immer auch das Ziel der Kontrolle der Mittelverwendung zum Zwecke der Begrenzung oder Einschränkung der zur Verfügung gestell- ten Ressourcen. Andererseits gilt die Ausgestaltung des Bildungssystems und sein Erfolg bzw. Misserfolg als ein wesentlicher Indikator für er-

die hochschule 1/2005 135 reichte Modernität und internationale Konkurrenzfähigkeit, was in den insbesondere von der OECD angeschobenen vergleichenden Evaluatio- nen, sog. Large Scale Assessments (TIMS, PISA, IGLU etc.) in der inter- nationalen Öffentlichkeit wirksam kommuniziert wird. Damit verbunden ist der weitere Gesichtspunkt, dass Bildung nicht nur als Modernitätsin- dikator gilt, sondern hier wie in kaum einem anderen Funktionssystem die Gleichheitsproblematik Thema ist. Verfehlte Chancengleichheit wird dem Staat als versagendem Wohlfahrtsstaat zugerechnet. Ein wesentli- cher Grund dafür ist nicht zuletzt, dass unter Bedingungen eingeschränk- ter Leistungsfähigkeit von Wohlfahrtsstaaten Chancengleichheit im Bil- dungssystem als Grundbedingung dafür gilt, dass Individuen sich mittels erfolgreicher (Aus-)Bildung instand setzen, um soziale Mobilitäts- und Konkurrenzanforderungen bestehen zu können und damit perspektivisch mit geringerer Wahrscheinlichkeit in die nachsorgende Zuständigkeit des Wohlfahrtsstaates fallen. Solchermaßen verschiedene, je unterschiedlich akzentuierbare Leitge- sichtspunkte von Evaluationen verleihen diesen von vorneherein einen mehrdeutigen Charakter. An sie können – wie die Diskussionen und viel- fältigen unübersichtlichen Maßnahmen im Gefolge von PISA deutlich gemacht haben – vielfältige Interpretationen und Schlussfolgerungen, ausgerichtet an je unterschiedlichen Kontexten und Problemstellungen (Haushaltskonsolidierung, symbolische Kommunikation von Modernität, Ausrichtung an Gleichheit) angeschlossen werden. Um vor diesem Hintergrund den sozialen Sinn von Evaluationen et- was genauer aufzuschlüsseln, betrachten wir dem einfachsten Grund da- für, dass Evaluationen auch und in immer stärkerem Ausmaß die Organi- sationen des Bildungssystems betroffen haben: Organisationen sind Geld verbrauchende Einrichtungen. „Der Prozess des Organisierens“ (Weick 1985) ist dabei mit Problemstellungen verbunden, die gleichermaßen ver- schiedene Organisationen betreffen, wenn sie auch mit je anderer Spezi- fizierung zur Geltung kommen, abhängig von der Funktionsausrichtung jeweiliger ökonomischer, politischer, rechtlicher, gesundheitlicher oder auch erzieherischer Organisationen.1 Evaluationen haben mit der Einfüh- rung der sog. neuen Steuerungsmodelle für die Handhabung solcher Problemstellungen an Bedeutung gewonnen, denn mit ihnen war die Um-

1 Zur Ausrichtung von Organisationen an Funktionssystemen und Problemen ihrer typologischen Beschreibung vgl. Tacke 2001.

136 die hochschule 1/2005 stellung von einer sog. Input- auf eine sog. Output-Orientierung verbun- den, betreffend die Leistungserwartungen an Organisationen. Input- Orientierung meint die Erwartung, dass mit der Steigerung der Ressour- cenausstattung von Organisationen eine Steigerung ihrer Leistungsfähig- keit erreicht werden kann. Daran glaubt heute niemand mehr so recht und entsprechend erwartet man zum Beispiel (spätestens seit PISA) nicht mehr, dass der Geldbetrag, den ein Bildungssystem verbraucht, unmittel- bar etwas über seine Leistungsfähigkeit aussagt. Die Leistungsfähigkeit und der Ertrag von Organisationen sind unsicher geworden, ihre Resulta- te scheinen erheblich von ihrer inneren, keineswegs transparenten Verfas- sung abzuhängen und nur in loser Relation zum Input zu stehen. Man kann das auch so formulieren: Organisationen, die zentrale Er- findung der modernen Gesellschaft zur Absorption von Unsicherheit (Luhmann 2000), erzeugen mit ihrer gesellschaftsweiten Expansion und dem damit verbundenen Mittelverbrauch selbst Unsicherheit, betreffend ihre intransparente Struktur sowie ihre Kosten und ihren unsicheren (kei- neswegs nur ökonomischen) Ertrag. Es handelt sich offensichtlich nicht um intern rational strukturierte Einrichtungen, orientiert an der Errei- chung deklarierter Ziele, als die sich Organisationen unvermeidlich prä- sentieren müssen. Output-Orientierung bedeutet vor diesem Hintergrund vereinfacht ge- sprochen die Orientierung am faktischen Output von Organisationen und seinem Vergleich mit extern oder intern formulierten Output-Erwar- tungen. Dabei wird das, was als „faktischer Output von Organisationen“ gilt, selbst in Kommunikationen in und über Organisationen erst festge- legt. Die Einführung einer ökonomisch konnotierten Semantik, die diesen Output als Produkte, Kunden u.ä. fasst, in die Beschreibung des Outputs auch nicht primär ökonomisch ausgerichteter Organisationen wie Schu- len, Soziale Dienste oder Krankenhäuser verspricht Eindeutigkeit und Neutralität und damit Kontingenzbewältigung. Dies trifft auf Irritation ebenso wie auf die Lernfähigkeit von Organisationen, die Kontingenz von Output-Kommunikationen im Design einer solchen Semantik zu re- produzieren. Evaluationen untersuchen den erreichten Output (z.B. Gewinne, be- handelte Patienten, Bildungsabschlüsse, Wissen, etc.) in einem definier- ten Zeitraum, fragen nach dem internen und externen Bedingungsgefüge für je erzielten Output (die bereit gestellten Leistungen) und beanspru- chen, orientiert an je mehr oder weniger klar festgelegten Kriterien und die hochschule 1/2005 137 Zielsetzungen Möglichkeiten der Verbesserung zu identifizieren. Aus- gangspunkt für diese Entwicklung war die genannte Erfahrung von Unsi- cherheit. Vor diesem Hintergrund ist es verblüffend, wenn mit dem Versuch, diese Unsicherheit dadurch wieder abzubauen, dass Organisationen mit Erwartungsenttäuschung und dem Zwang zur Reflexion durch Evaluation konfrontiert werden, mittlerweile oftmals die Annahme verknüpft zu sein scheint, dadurch ließe sich die Transparenz und Rationalität von Organi- sationen, ausgerichtet an Zielerreichung sowie Organisationslernen und Reflexivität auf Dauer gewährleisten. Man trifft hier auf einen gewisser- maßen von hinten durch die Ausgangstür wiedereingeführten Organisati- onsoptimismus: Den mittlerweile allfälligen „best practice“-Analysen und dem „benchmarking” liegt die Idee zugrunde, Organisationen gewis- sermaßen von hinten auf- bzw. umzubauen: Man versucht, Teile aus Or- ganisationen, die im Sinne des Erreichens gesetzter Zielgrößen für funk- tional ausschlaggebend gehalten werden, in andere Organisationskontexte zu implementieren – ohne damit aber die Ungewissheit aufheben zu kön- nen, welche Folgen damit in anderen Systemkontexten verbunden sind. Dagegen sprechen aber vielfältige Einsichten der Organisationssoziolo- gie, insbesondere für solche Organisationen (wie im Erziehungs- und Bildungsbereich), die durch sog. Zweckprogramme2 und „weiche Tech- nologien“ in dem Sinne gekennzeichnet sind, dass die Zusammenhänge zwischen Mittel und Zielerreichung unsicher sind. Nüchtern betrachtet sind Evaluationen zunächst nicht mehr als For- men der Fremd- oder der Selbstbeobachtung von Organisationen, mit de- nen sie intern oder extern kommunizierte Irritationen abarbeiten und sich ggf. Möglichkeiten und Gründe dafür verschaffen können, wie sie – bis zu den nächsten Irritationen – in anderer (oder auch gleicher) Weise wei- termachen wollen. Damit sollten aber keine überzogenen Hoffnungen auf Rationalität oder Transparenz verbunden werden, sondern eher die Chan- ce zur Eröffnung je anderer Möglichkeiten, den Stein den Berg hoch zu rollen – er wird nicht oben liegen bleiben.3

2 Im Unterschied zu Konditionalprogrammen; vgl. Luhmann 1971. 3 Das realistische Versprechen von Evaluationen besteht allenfalls in einer aktivistischen Lesart von Camus: Sie stellen sich Sisyphos nicht als glücklichen Menschen/Organisation vor, wollen ihn/sie aber zu einem solchen machen.

138 die hochschule 1/2005 Mit Blick auf durchgeführte Evaluationen an Hochschulen, deren Er- gebnisse dann in entsprechenden Berichten präsentiert werden, bedeutet dies, dass es sich im Wesentlichen um Formen der Fremdbeobachtung der Art und Weise handelt, in der die Resultate von Bildungseinrichtun- gen in mehr oder weniger formalisierten Berichtsformen durch ihre Mit- glieder präsentiert werden – also eine Fremdbeobachtung der Selbstbeo- bachtung in vorgegebenen Formen. Auf dieser Grundlage können seriöse Evaluationen nicht mehr als den Versuch unternehmen, Strukturkontexte zu identifizieren, aus denen heraus die beobachteten Resultate einer Ein- richtung sowie damit verbundene Probleme erklärbar werden. Vor diesem Hintergrund formulieren sie dann Empfehlungen, wie manche solcher Probleme möglicherweise behoben werden können. Sofern damit mehr Sicherheit gewonnen werden kann für das, was zukünftig getan und was nicht mehr getan werden soll, ist damit immer zugleich der Weg zu künf- tigen, sich dann neu stellenden Problemen und damit verbundenen Unsi- cherheiten gebahnt. Evaluation kann also wohl verstanden einen Beitrag zum reflexiven Umgang damit leisten, dass Unsicherheit nicht vermie- den, sondern nur prozessiert werden kann. Eigentlich wäre zu erwarten, dass man mit solchen Einsichten in Or- ganisationen des Erziehungssystems offene Türen einläuft. Denn diese sind typischerweise bei der Verfolgung ihrer Zweckprogramme, in ihrer Ausrichtung zusammenfassend indiziert in den Kontingenzformeln des Systems (wie „Bildung“ oder „Lernen des Lernens“), mit schwachen Technologien ausgestattet, entsprechend immer schon gekennzeichnet durch die Handhabung der mit Erziehung und Ausbildung unvermeidlich verbundenen Unsicherheit und Kontingenz, d.h. der Paradoxie der Nicht- Prognostizierbarkeit von intendierten Wirkungen, die in der unaufhebba- ren Kontingenz erzieherischen Handelns begründet liegen, und mit von außen herangetragenen Erwartungen gewissermaßen technologisch er- zeugbarer Effektivität beschäftigt. Das Kernpersonal dieser Organisatio- nen besteht wesentlich aus Professionen (Lehrer in Schulen und Professo- ren in Hochschulen), denen die Abarbeitung dieser Unsicherheit auferlegt ist. Das Problem von Kontingenz und Kausalität wiederholt sich im Ver- hältnis von Steuerungsansprüchen der Bildungspolitik gegenüber der Er- ziehung und Ausbildung in Schulen und Hochschulen. Die Politik rea- giert auf diese Konstellation, indem sie im permanenten Umbau im Mo- dus der ›Reform‹ zwischen Programmen der Zentralisierung und Dezent- ralisierung, der Autonomie und Steuerung changiert, mittlerweile beglei-

die hochschule 1/2005 139 tet von allfälligen Evaluationen. Diese werden dann jeweils in den Schu- len und Hochschulen in die Strukturen dieser Organisationen auf dem Hintergrund ihrer Organisationsgeschichte eingearbeitet. Organisationen und Professionen praktizieren dann Erziehung und Ausbildung, indem sie Kontingenz und Unsicherheit durch Entscheidungen über Leistungen und Karrieren nach eigenen Gesichtspunkten absorbieren und ihre Beschrei- bungsformen dieser Entscheidungen an den geänderten Programmstruk- turen (wie Lehrplänen, Studiengängen etc.) ebenso wie den evaluativen Beobachtungsformen ausrichten. Vermutlich liegt aber in dem Sachverhalt, dass Schulen und Hoch- schulen Organisationen mit schwachen Technologien sind, die sich we- sentlich auf Professionen stützen, dann auch einer der wesentlichen Gründe dafür, dass dieses Personal zumindest in den Hochschulen mit Evaluationen so schwer zurecht zu kommen scheint und diese wesentlich als Zumutung empfindet. Entsprechende Erfahrungen lehren, dass mit der Ankündigung von Evaluationen sich ganze Institute, Fakultäten oder Hochschulen in erhebliche Unruhe versetzen lassen. Das kann man nur eingeschränkt damit erklären, dass Fragen danach zu beantworten sind, in welchen organisatorischen Formen welche Inhalte mit welchen Zielset- zungen gelehrt worden sind, wie viele Mittel dabei verbraucht worden sind und zu welchen Ergebnissen dies geführt hat. Denn solche Fragen besitzen üblicherweise keinen sonderlichen Überraschungscharakter und sind meist einfach zu beantworten. Sie stellen keine ernstliche sachliche Herausforderung dar. Eines der größten Probleme angesichts der Evalua- tionsinflation besteht wohl vor allem im Zeit- und Mittelverbrauch durch Evaluationen selbst – und lässt daher erwarten, dass der Ruf nach Selbst- anwendung, also der Evaluation der Evaluationen nicht allzu lange auf sich warten lassen wird. Die benannte Beunruhigung resultiert zum einen sicher daraus, dass die Rechenschaft über das Geleistete unter dem Gesichtspunkt der relativ dazu verbrauchten Mittel des öfteren Unverhältnismäßigkeiten vor Augen führt. Zum anderen aber ist zu vermuten, dass die Institutionalisierung von Evaluationen (nicht nur) den Mitgliedern in den Hochschulen des Bildungssystems einen Sachverhalt vor Augen führt, den sie lange Zeit erfolgreich für sich und andere abgedunkelt haben: Professionelle sind sie auf der Basis von Mitgliedschaft in Organisationen. Demgegenüber prä- ferieren sie bislang vielfach aber das Agieren im Modus des Status. Die Berufung und Ernennung gilt ihnen gewissermaßen als unwiderrufliche

140 die hochschule 1/2005 Anerkennung einer lebenslangen Kompetenz der Verwendung und spezi- fischen Applikation von generalisiertem Wissen und ihre Selbstinszenie- rung lehnt sich an das Modell der klassischen Professionen und die damit verbundenen ständischen Elemente an. Evaluationen und ihre bislang vor allem betriebswirtschaftlich inspi- rierten, mehr oder weniger unverblümten Fragen danach, was mit den zur Verfügung gestellten Mitteln erreicht worden ist, profanisieren gewis- sermaßen praktisch den professionellen Status sowie die damit bean- spruchte Autonomie der Festlegung von Aufgabenstellungen und Zielen und führen die Implikationen der Mitgliedschaft in Organisationen, nicht zuletzt den Sachverhalt des Geldverbrauchs vor Augen. Damit kommt aber nur eine Entwicklung zum Abschluss, die mit der Generalisierung des Erziehungssystems und dem damit verbundenen Ausbau der Hoch- schulen zu Massenerziehungseinrichtungen nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt hatte. Ein Teil der Generation der Hochschullehrer, die in die- sem Kontext berufen wurden, haben diesen Prozess eine Zeitlang als „Demokratisierung“ emphatisch überhöht. Sie tendieren mittlerweile an- gesichts der desillusionierenden Konfrontation mit dem Sachverhalt, dass Hochschulen vor allem auch Organisationen sind, zu Statusmelancholie. Dabei ändert dieser Prozess der Profanisierung des Hochschullehrer- status gar nichts daran, dass Schulen und Hochschulen auf Professionen aufgrund des benannten Technologiedefizits nicht verzichten können. Diese könnten daher in einem Kontext, in dem Evaluationen zweifelsoh- ne eine mehr oder weniger große Bedeutung für die künftige Hochschul- entwicklung behalten werden, Terrain zurückgewinnen, wenn sie die Trauer über den mit Evaluationen verbundenen Statusverlust beenden würden und sich stärker um Definitionsmacht und -kompetenz zur Fest- legung ebenso der Kriterien von Evaluationen, also dafür bemühen wür- den, was Evaluationen leisten können bzw. sollen und was nicht, wie der Formen ihrer Durchführung. Andernfalls dürfen sie sich nicht darüber wundern, dass Gesichtspunkte, die vor allem von ihnen selbst zu vertre- ten sind, zu wenig Berücksichtigung finden. Denn Betriebswirtschaftler und Politiker interessieren sich gegenwärtig, wenn auch aus unterschied- lichen, so doch nicht allzu schwer nachvollziehbaren Gründen, primär vor allem für Geldverbrauch – ein wichtiger, aber in Hochschulen und im Er- ziehungssystem eben nicht der einzige Gesichtspunkt.

die hochschule 1/2005 141 Literatur Luhmann, Niklas (1971): Lob der Routine, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung. Opladen, S. 113–142 Luhmann, Niklas (2000): Organisation und Entscheidung. Wiesbaden Weick, Karl E. (1985): Der Prozeß des Organisierens. Frankfurt am Main Tacke, Veronika (2001): Funktionale Differenzierung als Schema der Beobach- tung von Organisationen. Zum theoretischen Problem und empirischen Wert von Organisationstypologien, in: Veronika Tacke (Hg.): Organisation und ge- sellschaftliche Differenzierung. Wiesbaden 2001, S. 141-169.

142 die hochschule 1/2005 Bachelor- und Master-Studiengänge für die Lehrerbildung Neue Studienstrukturen als Professionalisierungschance?

Eva Arnold Gegenwärtig erleben wir einschneiden- Sabine Reh de Änderungen der Studien- und Aus- Hamburg/Berlin bildungsorganisation der Lehramtsstu- diengänge in Deutschland. In der über- wiegenden Zahl der deutschen Bundes- länder ist die Umstrukturierung der Leh- rerbildung nach dem Bachelor/Master- Vorbild inzwischen beschlossene Sache. Die formale Studien- und Prü- fungsstruktur der Bachelor-/Master-Studiengänge ist allerdings nicht kompatibel mit der bisherigen Organisation von Lehramtsstudiengängen und Lehramtsprüfungen. Welche Probleme bestehen, wie hier mögli- cherweise Passungen erzeugt werden bzw. was die geforderte Neustruktu- rierung für die Lehrerausbildung und in der Folge dann für den Lehrerbe- ruf und den Status der Lehrer haben könnte, soll im Folgenden diskutiert werden. Dazu werden wir zunächst kurz skizzieren, wie sich die Ausbil- dung für den Lehrerberuf entwickelt hat und inwiefern dieser Prozess his- torisch betrachtet als ein Prozess der „Professionalisierung“ bezeichnet werden kann. Vor diesem Hintergrund können wir die spezifische Struk- tur des Lehramtsstudiums heute charakterisieren und mögliche Struktur- änderungen dieser Ausbildung durch die Einführung der Bachelor- /Master-Studiengänge analysieren und in ihren Auswirkungen für die Or- ganisation, die curriculare und didaktische Gestaltung des Studiums selbst betrachten. Abschließend wird es um die Frage gehen, welche Chancen bestehen, auf diesem Wege eine vielfach gewünschte verbesserte Berufs- vorbereitung zukünftiger Lehrkräfte zu erreichen.

die hochschule 1/2005 143 1. Zur Geschichte der Lehrerausbildung an den Universitäten

Historisch ist folgender Befund zu erheben: Die für das deutsche Schul- wesen charakteristische Trennung in ein niederes und höheres Schulwe- sens im 19. Jahrhundert mit einer grundsätzlich unterschiedlichen Ausbil- dungsstruktur für die hier jeweils tätigen Lehrer und Lehrerinnen hat Be- sonderheiten nach sich gezogen. Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts ist ei- ner seminaristischen Ausbildung der Lehrpersonen im niederen Schulwe- sen die akademisierte Ausbildung der Oberlehrer, der Lehrer im Höheren Schulwesen, gegenüber gestellt. Die Akademisierung der Grundschulleh- rerinnenausbildung ist schließlich ein noch das gesamte 20. Jahrhundert dauernder Entwicklungsprozess mit unterschiedlichen Stationen, pädago- gischen Akademien etwa, Pädagogischen Hochschulen und deren weitge- hende Integration in die Universitäten, der allerdings bis heute nicht zu einer vollkommenen Angleichung aller akademischen Ausbildungen für die unterschiedlichen Lehrämter an unterschiedlichen Schulformen ge- führt hat. Referenzrahmen der durch staatliche Abschlussprüfungen – 1809 zuerst in Bayern, dann 1810 in Preußen – kodifizierten akademi- schen Ausbildung ist, Traditionen aufgreifend und dem neuhumanisti- schen Bildungsgedanken verpflichtet, die Altphilologie. Erst mit der seit Mitte des Jahrhunderts in den Prüfungsordnungen sich durchsetzenden fachlichen Spezialisierung studierten die Lehrer des höheren Schulwe- sens, diejenigen, die noch einmal etwa 50 Jahre später „Studienräte“ ge- nannt wurden, in der Regel zwei Unterrichtsfächer und absolvieren all- gemeine Studien, etwa ein „Philosophicum“ (vgl. Müller-Rolli 1992, auch Führ 1985, Jeismann 1999). Zu Recht weist Tenorth darauf hin, dass Er- ziehungswissenschaft als akademische Disziplin keinesfalls die Rolle ei- nes berufswissenschaftlichen Zentrums im Rahmen dieser akademischen Lehrerausbildung spielte: „Bleibt man zunächst nur im Lehrerberuf, dann ist die Zuschreibung des Status als ‚Fachmann’ oder als ‚Pädagoge vom Fach’ von Prüfungen abhängig, in denen wirklich das ‚Fach’ dominiert. Entsprechend werden im 19. Jahrhundert auch die wissenschaftlichen Fä- cher, nicht die Erziehungswissenschaft zu den ‚Schulwissenschaften’ ge- rechnet, während die Pädagogik als Wissenschaft gar nicht oder, selbst in manchen Lehrerprüfungen, nur randständig vorkommt“ (Tenorth 1999, S. 430).

144 die hochschule 1/2005 Die Geschichte des Lehrerberufs kann so als ein Prozess der „Profes- sionalisierung“, der Akademisierung und einer zunehmenden statusbezo- genen Angleichung der spezialisierten Leistungsrollen im Bildungswesen interpretieren werden (vgl. Stichweh 1994, Müller/Tenorth 1984, Tenorth 1987, Lundgren 1999). Sie ist in Deutschland geprägt durch eine be- stimmte Form der staatlichen Einflussnahme und Beaufsichtigung, der Bürokratisierung in einem staatlichen Schulwesen – erkennbar etwa an der Bedeutung, die der Einführung staatlicher Prüfungen als Vorausset- zung für die Ausübung des Lehrerberufs im Höheren Schulwesen, einer „hoheitlichen Aufgabe“, zukommt. Die anstehenden Veränderungen in der Studienorganisation durch die Einführung von Bachelor-/Master- Studiengängen werden voraussichtlich eine Reduzierung des staatlichen Einflusses auf die Ausbildung sowie eine Reduzierung staatlicher Garan- tien für die Statuserhaltung mit sich bringen, möglicherweise auch einen Schritt in Richtung einer neuerlich verstärkten Hierarchisierung der Aus- bildung für unterschiedliche Lehrämter. Haben wir es also mit einer „Deprofessionalisierung“ zu tun?

2. Gegenwärtige Struktur der Lehrerausbildung

Vor diesem Hintergrund ist die Situation der Lehrerausbildung an den Universitäten heute zu charakterisieren. Fast überall sind Ausbildungs- gänge unterschieden nach Lehrämtern an – so zumeist – unterschiedlichen Schulformen oder – seltener – in verschiedenen Schulstufen. Bis heute finden sich nicht nur deutliche geschlechtstypische Unterschiede in der Wahl der Lehrämter und der Fächer. Auch im Hinblick auf die Motivati- onslage lassen sich – statistisch betrachtet – Differenzen bei den Studie- renden verschiedener Lehrämter beobachten (vgl. z.B. Terhart u.a. 1993, S. 71/72). Im Mittelpunkt der Ausbildung derjenigen Lehrer und Lehrerinnen, die die Berechtigung erhalten, bis zum Abitur zu unterrichten, stehen zwei Fächer, in unterschiedlichem Umfang ergänzt durch fachdidaktische Seminare und – in ebenfalls deutlich unterschiedlichem Umfang – durch ein Studium der Erziehungswissenschaft. Für die Lehrämter an Grund- schulen, an Haupt- und Realschulen, Sonderschulen und Berufsschulen ist diese Struktur unter gewissen Einschränkungen und Veränderungen reproduziert – auch sie studieren ein oder zwei Fächer und dazu spezielle pädagogische bzw. sonderpädagogische oder berufspädagogische Fach-

die hochschule 1/2005 145 richtungen, die aber an den Universitäten ebenfalls nur in Ausnahmefäl- len das organisierende Zentrum ihres Studiums ausmachen. Die universi- tären Disziplinen, die Unterrichtsfächern korrespondieren, haben ein star- kes Interesse an der Erhaltung dieses Zustandes, denn sie konnten ihre Kapazitäten bisher zu einem oft nicht unerheblichen Anteil aufgrund der hohen Zahlen von Lehramtsstudierenden erhalten. Sie stellen sich den- noch eher wenig auf Lehramtsstudierende ein – das gilt sowohl für das Curriculum, also die fachlich-inhaltliche Konstruktion des Studiums, wie auch für die fehlende Bereitschaft, in organisatorischen Absprachen Stu- dierbarkeit mehrerer Fächer im Rahmen eines Lehramtsstudiums zu ge- währleisten. Für die Studierenden entsteht aus dieser Situation oft eine Art Di- lemma: Als angehende Lehrer und Lehrerinnen sind sie oft einerseits in den Fächern nicht als gleichwertig Studierende der Disziplin akzeptiert, denn sie studieren das Fach regelhaft in einem geringeren Umfang. Aus den genannten Gründen können sie andererseits aber an der Universität nur begrenzt Identität durch einen disziplinären Bezug auf die Profession, die berufliche Tätigkeit als Lehrer oder Lehrerin gewinnen. Lehramtsstu- dierende erleben zumeist das Studium der Erziehungswissenschaft nicht als eine wissenschaftlich-empirische Grundlegung und theoretische Re- flexion der möglicherweise angestrebten späteren beruflichen Tätigkeit, d.h. sie erleben es nicht als ausreichende Vorbereitung auf den Beruf (vgl. z.B. Arnold 2000). Verstehen sie sich, wie häufiger bei den Studie- renden für das Lehramt an Gymnasium oder der Oberstufe allgemein bil- dender Schulen feststellbar, als Studierende eines Faches bzw. einer Dis- ziplin und gewinnen hieraus ihre Identität, tun sie dieses unter (vielleicht auch gern vorgenommenem) Verzicht auf einen Identitätsgewinn durch ein angestrebtes Berufsziel. Die hier aufscheinenden Schwierigkeiten in der (universitären) Identi- tätsfindung von Lehramtsstudierenden einerseits und dem fehlenden selbstbewussten Bezug einer universitären Disziplin auf die Profession andererseits resultieren möglicherweise – so ist begründet zu vermuten – in der Funktion moderner Schule bzw. der Tätigkeit der Lehrer und Leh- rerinnen hier, also in ihrer Rolle, Agenten einer notwendig außerfamiliär und systematisch erfolgenden Vermittlung (grundlegender) Qualifikatio- nen in einer gesellschaftlichen Institution zu sein, die strukturell durch Selektivität gekennzeichnet ist .

146 die hochschule 1/2005 3. Bachelor-/Master-Studiensystem und die Struktur der Lehramtsstudiengänge

Vor allem drei Merkmale der historisch gewachsenen Struktur der Leh- rerausbildung in Deutschland stehen im Widerspruch zu Merkmalen der Bachelor-/Master-Studiengangs-Organisation, die deshalb als Herausfor- derung und Bedrohung von der Profession und der Disziplin erlebt wird (vgl. z.B. Helsper/Kolbe 2002). Dazu gehört einmal das Studium mehre- rer bzw. zweier (Unterrichts-)Fächer und zusätzlicher erziehungswissen- schaftlicher Anteile an Universitäten; diese Struktur lässt sich nur schwer in die „Haupt-“ oder „Kernfach“-Struktur der BA-Studiengänge überfüh- ren. Zum zweiten ist die entwickelte Struktur einer zweiphasigen Ausbil- dung, also eines universitären Studiums und einer sich anschließenden, seminaristisch begleiteten Phase der Praxis-Einübung, wie wir sie in Vor- läufern schon seit Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts in einzelnen Gymnasien finden (vgl. Schäffner 1988), nicht einfach übertragbar in die Konstruktion universitär gestufter, berufsqualifizierender Abschlüsse. Zum letzten ist die Durchführung staatlich beaufsichtigter Abschlussprü- fungen, wie sie bisher die Lehrerausbildung prägen, nicht kompatibel mit der Durchführung von Prüfungen im Bachelor-/Master-Studiensystem als akademischer Prüfungen, die in den Studienverlauf integriert werden. Wie hier Passungen erzeugt werden, ist praktisch noch weitgehend offen (vgl. Winter 2004, Thierack 2004). Die einzelnen Punkte sollen im Folgenden näher ausgeführt werden.

3.1 „ Hauptfach “-Struktur und Lehramtsstudiengänge

Der Grundgedanke in der Konzeption der Bachelor-/Master-Studiengänge verträgt sich schwerlich mit der Vorgabe, bereits im Bachelorstudium pa- rallel und gleichwertig zwei, möglicherweise drei Fächer (zwei Unter- richtsfächer und Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft) zu studieren. Die derzeit in unterschiedlichen Varianten an den Universitäten kon- struierten Bachelorstudiengänge sehen vielmehr in der Regel vor, ein „Hauptfach“ und „affine“ Bereiche oder „Nebenfächer“ zu studieren. Da- zu kommen, begründet durch die Vorgabe, den Bachelor-Abschluss als ersten berufsqualifizierenden Abschluss kompetenzorientiert zu gestalten, Studienanteile, in denen „allgemeine berufsqualifizierende Kompetenzen“ erworben werden sollen. Dieser Bereich, z.B. unter der Bezeichnung die hochschule 1/2005 147 „General Studies“, umfasst ein breites Angebot, das von Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten über Sprachkurse bis zur Gesprächsfüh- rung reicht. In diese Struktur müssen die Lösungen für die Lehrerbildung einge- passt werden. Aus der Sicht von Schulpolitik und Schuladminstration ist es wünschenswert, dass Lehramtskandidaten weiterhin eine wissenschaft- liche Ausbildung in zwei Unterrichtsfächern mitbringen, da dies ihre Ein- setzbarkeit gegenüber so genannten „Ein-Fach-Lehrern“ erhöht. Im Ba- chelorstudium auf erziehungswissenschaftliche und fachdidaktische An- teile zu verzichten, ist zugleich aus der Sicht von Schulforschern keine sinnvolle Alternative, die der Ansicht sind, dass angehende Lehrkräfte „ihre“ Fächer von Beginn an auch aus der Perspektive ihrer Vermittlung betrachten müssen (FR, 20.06.2001). Unter diesen Vorzeichen findet im Zuge der Einrichtung von Bache- lor-/Master-Studiengängen im Bereich der Lehrerbildung aktuell eine Art Verteilungskampf zwischen den Fächern über die ihnen zustehenden Stu- dienanteile statt, der als Bestätigung universitärer Marginalisierung der Lehrerausbildung – möglicherweise auch der Erziehungswissenschaft – enden könnte. Fächer, die als Unterrichtsfächer in Frage kommen, plädie- ren überwiegend für das „Y-Modell“ mit dem sogenannten „polyvalen- ten“ Bachelorabschluss zumeist in einem Hauptfach, wobei erziehungs- wissenschaftliche und fachdidaktische Studienanteile dann, obwohl fach- lich durchaus spezifisch, allenfalls unter dem Studienbereich „General Studies“, oder „berufswissenschaftliche Studienanteile“ auftauchen und hier ganz „allgemeine berufsqualifizierende Kompetenzen“ vermittelt werden sollen. Aktuell vorgeschlagene Lösungen enthalten zahlreiche In- konsequenzen oder gar Absurditäten, z.B. die, dass Studierende mit dem Ziel eines Lehramtes im „Wahlbereich“ eben nicht wählen können, son- dern erziehungswissenschaftliche Veranstaltungen besuchen müssen oder die, dass an einer Universität ein BA-Studiengang für das Fach Anglistik angeboten wird und zugleich ein „polyvalenter“ Studiengang „Englisch“ (für Studierende mit dem Ziel Lehramt!), in dem die universitären Fächer Anglistik und Amerikanistik vertreten sein müssen, weil das Fach „Eng- lisch“ in der Schule eben nicht identisch ist mit der universitären Diszip- lin Anglistik und also – nach dem Verständnis der Schul- und Fachvertre- ter – anders studiert werden muss, als im anderen Bachelor Anglistik vorgesehen. Dass dies allenfalls Kompromisse sind, die die universitäre Lehrerbildung nicht verbessern, ist leicht zu erkennen.

148 die hochschule 1/2005 Vor dem skizzierten Hintergrund der „Kernfach-Struktur“ kann aller- dings auch die Frage entstehen, welches das „Kernfach“ oder das „Haupt- fach“ derjenigen zu sein habe, die das Berufsziel verfolgen, Lehrer oder Lehrerin zu werden bzw. die dieses irgendwann einmal werden. Hier gibt es unterschiedliche Lösungen: Im so genannten Y-Modell ist das Hauptfach eines der zukünftigen Unterrichtsfächer, das, unter den oben skizzierten strukturellen Schwie- rigkeiten, „polyvalent“ und mit „berufswissenschaftlichen“ Anteilen im Bachelorstudium studiert wird. Eine Alternative besteht nun darin, einen Bachelorstudiengang mit dem Hauptfach Erziehungs- oder Bildungswis- senschaft zu entwerfen – eine Möglichkeit, die, entsprechend den Traditi- onen der deutschen Lehrerausbildung, für die Grund- und Mittelstufen- lehrämter bzw. Grund-, Haupt- und Realschullehrämter sowie Sonder- schullehrämter in Frage kommt. Diese Lösung folgt dem Gedanken, dass die Berufstätigkeit als eine spezifisch institutionelle Vermittlungstätigkeit zumindest für diese Lehrämter im Mittelpunkt stehen und sie Gegenstand der wissenschaftlichen Ausbildung sein sollte. Die skizzierte Lösung vermeidet es, die fachwissenschaftlichen Studienanteile in diesen Ausbil- dungsgängen zu Ungunsten der erziehungs- oder berufswissenschaftli- chen auszuweiten, was, folgt man dem jüngsten OECD-Gutachten (Halász/Santiago/Ekholm/Matthews/McKenzie 2004), weder notwendig noch wünschenswert wäre. Selbstverständlich kann nichts dagegen ein- gewandt werden, sowohl ein profundes Fach- wie ein hoch qualifiziertes erziehungs- oder berufswissenschaftliches Studium vorzusehen. Unter der Bedingung, dass die Studiendauer nicht verlängert, sondern verkürzt werden soll, werden die Universitäten jedoch unterschiedlich Prioritäten setzen. Unter Umständen könnte dabei die Konzentration auf ein Unter- richtsfach als Hauptfach im Bachelor, unabhängig davon, in welcher Schule der oder die Studierende einmal unterrichten wird, dazu beitragen, dass es noch weniger Grund-, Haupt- oder Realschullehrkräfte geben wird, die ein mathematisches oder naturwissenschaftliches Studium ab- solviert haben. Allerdings ist mit der zuerst angeführten Lösung eines Hauptfaches Erziehungswissenschaft die Gefahr einer erneuten Festigung der hierarchischen und fragmentierten Lehrerausbildung verbunden, die nicht nur im Sinne des bereits zitierten OECD-Gutachtens vermieden werden sollte.

die hochschule 1/2005 149 3.2 Gestufte berufsqualifizierende Abschlüsse und zweiphasige Lehrerausbildung

Entsprechend der Vorgaben stellt der Bachelor nach einem vergleichswei- se verschulten Studium einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss dar, dem sich unter Umständen ein weiteres Studium bis zum Master an- schließen kann. Diese Form der Stufung stellt im System akademischer Berufe in Deutschland eine offensichtlich befremdlich anmutende Neue- rung dar. So sind sich etwa die Präsidenten vieler TUs in Deutschland ei- nig darin, dass aus verschiedenen Gründen für den Ingenieurberuf keines- falls an eine Berufsqualifizierung durch den BA gedacht werden kann – und auch im Bereich der Lehrerausbildung ist von Seiten der Schulver- waltungen zunächst nicht daran gedacht, Bachelorabsolventen zum Refe- rendariat zuzulassen. Und nachdem auch der „Schulassistent“, der mit ei- nem Bachelor-Abschluss in die Schule gehen und dort – billiger – arbei- ten kann, selbstverständlich weder unter Vertretern der Disziplin noch der Profession Freunde fand, ist in den Universitäten die Lösung zumeist in „polyvalenten“ Studiengängen gesucht worden, in denen allgemeine be- rufliche Kompetenzen in einem bestimmten Umfang vermittelt werden sollen – wobei sich heute kaum vorhersagen lässt, welche konkreten Be- schäftigungsmöglichkeiten für Bachelorabsolventen bestehen werden. Diese Schwierigkeiten (die im Übrigen also nicht nur für die Lehrer- bildung bestehen), haben dazu geführt, dass unterdessen mancherorts der Begriff „Berufsqualifizierung“ durch „Berufsbefähigung“ ersetzt wird (z.B. auf einer HRK-Tagung, die am 10.09.2004 in Hannover stattfand); damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass der Abschluss für be- stimmte Tätigkeitsbereiche befähigt, aber nicht für ein bestimmtes Be- rufsbild qualifiziert. Diese Auffassung entspricht, einem Arbeitspapier des Centrums für Hochschulentwicklung folgend (CHE 2004), auch eher der angelsächsischen Bedeutung von allgemeiner Berufsbefähigung, als „Bildung durch Wissenschaft“. Die im Zuge der Umstrukturierung der Studiengänge geforderte Kompetenzorientierung anstelle der Festlegung von Inhaltskatalogen, wie wir sie bisher in den Studien- und Prüfungsordnungen vorfinden, wird von einem Teil der Disziplin Erziehungswissenschaft und der Hoch- schulverwaltung als eine Chance zur „Professionalisierung“ begrüßt – nachzulesen etwa in der Broschüre des Niedersächsischen Ministeriums „Zum Lehramt über Bachelor- und Masterstudiengänge“. „Professionali-

150 die hochschule 1/2005 sierung“ wird hier verstanden als eine stärkere Ausrichtung der universi- tären Ausbildung an den Erfordernissen bzw. der Besonderheit pädagogi- schen Handelns, als Qualitätsverbesserung der Lehrerausbildung im Sin- ne einer besseren Vorbereitung für die spätere Berufstätigkeit . Es wirft noch einmal ein Licht auf die Funktion der Institution Schule und auf die spezifischen pädagogischen Reflexionsformen, d.h. auch auf die Struktur einer universitären Disziplin „Erziehungswissenschaft“ und auf die Profession in Deutschland, dass weitgehende Einigkeit zwar darin besteht, dass es kurzschlüssig und auch unsinnig wäre, die Lehramtsstu- diengänge in Ausbildungsgänge zur Einübung unterrichtlichen Handelns umzuwandeln. Die Notwendigkeit der Ausbildung von Routinen im Be- ruf – die auch nur dort stattfinden kann – kann nicht über die prinzipielle Unplanbarkeit pädagogischer Prozesse hinweg täuschen, die hohe Deu- tungskompetenz in je spezifischen Situationen erforderlich macht. Aber was dieses für die „berufswissenschaftlichen“ bzw. erziehungs- oder bil- dungswissenschaftlichen Anteile eines Lehramtsstudiums bedeutet, ist durchaus umstritten. Entweder wird die Funktion des Studiums darin ge- sehen, durch die Auseinandersetzung mit erziehungswissenschaftlichen Theorien, Befunden und Forschungsmethoden die Reflexions- und Kri- tikfähigkeit der angehenden Lehrkräfte zu schulen. Behauptet wird, so beispielsweise Vogel (2002), eine Verbesserung der Lehrerbildung sei er- reicht, wenn zwischen Leistungen der strukturell differenten Wissens- formen – wissenschaftliches Wissen versus Handlungswissen usw. – un- terschieden wird und jede dieser Wissensformen in der Ausbildung an ih- rem Ort, in den unterschiedlichen Phasen, „zu ihrem Recht“ komme. Oder es werden, um einen Bezug herzustellen, die Ausbildungsstruktur an den Anforderungen der Lehrertätigkeit in Unterricht und Schule zu o- rientieren, schulpraktischen Studien, d.h. vor- und nachbereitenden Schulpraktika, fachdidaktischen und diagnostischen Veranstaltungen und der Pädagogischen Psychologie ein hoher Stellenwert in der Ausbildung eingeräumt. Hier ist auch der Versuch zu verorten, durch eine bestimmte Organisation von Seminaren und Ausbildungssituationen – etwa durch das Prinzip der „Fallarbeit“ (vgl. Olhaver/Wernet 1999, Beck et al. 2000, Kolbe/Petillon 2003) – eine oft so genannte „hermeneutische Kompe- tenz“ (Helsper 2001) zu fördern und die Fähigkeit zur schnellen, mehr- fach kontextualisierten „Situationsdeutung“ vorzubereiten (vgl. auch Combe/Kolbe 2004).

die hochschule 1/2005 151 Die derzeitige Ausbildungsstruktur – erste, zweite und dritte Phase – ist auf Trennung unterschiedlicher Ausbildungsaufgaben angelegt, wobei die mangelhafte Verknüpfung dieser Phasen seit langem in der Kritik steht und es auch empirische Hinweise auf ein hier vorliegendes Problem gibt. Berufsbiographisch betrachtet scheint die Integration des jeweils Gelernten schwierig zu sein und Untersuchungen, etwa die von Nölle, bieten Hinweise, dass es Studierenden besser gelingen kann, theoretische Konzepte und praktische Anforderungen miteinander in Verbindung zu bringen, wenn sie Ausbildungen mit einer hohen „Praxisintegration“ durchlaufen (Nölle 2002). So wurde in Hamburg im Jahr 2001 eines der wenigen, umfassenden Projekte zur Reform der Lehrerbildung gestartet, das die Verzahnung der Phasen – unter anderem durch aufeinander abge- stimmte Curricula – zum Ziel hat (Keuffer/Oelkers 2001). Eine solche Reform könnte in Gefahr geraten, wenn sich Bachelor-/Master-Stu- diengänge in der Lehrerbildung durchsetzen, die zu einer neuerlich ver- stärkten Trennung und Stufung führen, ohne dass eine mögliche An- schlussfähigkeit zwischen den Stufen gesichert wäre.

3.3 Studienbegleitende akademische Prüfungen und staatliche Abschlussprüfungen

Ob die studienbegleitenden Prüfungen des Bachelor-Master-Studien- systems mit dem System der Berechtigungen für den Eintritt in den Staatsdienst vergebenden bisherigen Staatsprüfungen in Einklang ge- bracht werden kann oder überhaupt soll, ist derzeit noch offen. Während die universitäre Seite das Argument stark macht, dass punktuelle Ab- schlussprüfungen dem neuen Studiensystem fremd seien, beharrt zumin- dest in einigen Bundesländern die staatliche Seite darauf, auch über die Beteiligung an Akkreditierungsverfahren hinaus Eingriffsmöglichkeiten zu behalten. Die Palette der Lösungsvorschläge reicht zur Zeit von der Gleichsetzung des Masterabschlusses mit der ersten Staatsprüfung bis zur Etablierung eines doppelten Prüfungswesens, dass für Lehramtsanwärter nach dem Masterabschluss eine zweite Prüfung, das Staatsexamen, vor- sieht. Der Zugang zum Lehrerberuf bzw. zu einer Ausübung dieses Berufes in einem staatlichen Schulwesen ist bisher in Deutschland vom Ablegen staatlicher Prüfungen abhängig; es gibt keine autonome Kontrolle der Lehrerschaft – im Sinne einer Profession – über die Vergabe von Berech-

152 die hochschule 1/2005 tigungen zur Ausübung des Berufes. Vor dem Hintergrund der zyklisch wiederkehrenden Krisen auf dem Lehrerarbeitsmarkt könnte die Abschaf- fung staatlicher Prüfungen in Verbindung mit den neuen Organisations- formen im Bachelor-Master-Studiensystem die Bedeutung eines geregel- ten, spezifisch akademischen Ausbildungsganges für Lehrer prinzipiell geringer werden lassen. Immer wieder hat es zwar zu Zeiten eines (teil- weise auch fachspezifischen) Lehrermangels Ausnahmeregelungen zu den Voraussetzungen für die Einstellung von Lehrern bzw. Lehramtskan- didaten gegeben. Nun allerdings – so manche Befürchtungen – werde entweder im Zuge eines nicht geregelten Zugangs zum Masterstudium oder durch Zurückgreifen auf die Absolventen eines Bachelor-Studiums mit geringen „berufswissenschaftlichen Anteilen“ die Idee der Notwen- digkeit einer umfangreichen, besonderen und grundständigen Ausbildung für Lehrer nachhaltig untergraben, weil dafür nun institutionalisierte Formate bereit stehen. Unabhängig von dieser Entscheidung hat die Integration justitiabler akademischen Prüfungen in den Studienablauf einschneidende Konse- quenzen für die (didaktische) Organisation des Studiums. Neben dem ho- hen administrativen Aufwand an den Universitäten scheint von besonde- rer Bedeutung die gleichzeitige Ausweitung von Anforderungen im Hin- blick etwa und vor allem auf den Besuch von Veranstaltungen. Es zeigt sich, dass dort, wo im Vorgriff auf die neuen Studiengänge schon Module entwickelt wurden, eine Steigerung etwa der „berufswissenschaftlichen“ Studienanteile erkauft ist durch überfüllte Veranstaltungen bzw. Vorle- sungen, für die es auf Grund fehlender Kapazitäten keine Alternative gibt, in denen der Besuch – justitiabel – kontrolliert werden muss, die mit einer Klausur abgeschlossen werden und auf Grund dieser Situation Dis- ziplinprobleme produzieren, wie sie die meisten Lehrenden zumindest in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern bisher nicht gewohnt waren. Es scheint fraglich, ob die Qualität der Ausbildung verbessert wird, wenn die Studierenden, die nebenbei zumeist arbeiten und Geld verdie- nen, tatsächlich, selbst wenn sie wollen, keine Zeit mehr haben, die vielen Veranstaltungen, die sie besuchen müssen, z.B. durch Lesen vorzuberei- ten. Zugleich wächst allerdings durch die Vorgabe dieser Prüfungen die Notwendigkeit in den universitären Instituten, sich über das, was eigent- lich und wie es geprüft werden soll, was vergleichbar ist und was nicht, die hochschule 1/2005 153 in anderer Weise zu verständigen, als es bisher an Universitäten der Fall war – und das könnte durchaus als eine neue Form disziplinärer und pro- fessioneller Selbstvergewisserung über Inhalte und Ziele der erziehungs- wissenschaftlichen Ausbildung verstanden werden. Darin läge dann – im Gegensatz zu der oben skizzierten Gefahr stehend – die eigentliche Chance der aktuellen Studienreform: Dass sie die Vertreter der Disziplin (und der Profession?) dazu zwingt, sich darüber zu verständigen, welchen Beitrag die Universitäten zur Lehrerbildung leisten wollen und können – und dies in neuen Prüfungsordnungen und Studiengangsbeschreibung transparent zu machen.

4. Fazit

Die Lehrerbildung befindet sich in einer Umbruchsituation, die in weni- gen Jahren vermutlich einschneidende Veränderungen mit sich bringen wird. Beobachtbar ist einerseits der Versuch, in die neuen Strukturen ein- fach nur das einzupassen, was bisher gemacht wurde, unter neuen Titeln also alles beim Alten zu belassen; andererseits erkennen wir schon jetzt eine wesentlich stärkere Diversifizierung der Lehrerausbildung, als wir sie bisher in Deutschland hatten, nicht nur jedes Bundesland hat seine ei- genen Strukturen, sondern jede Uni macht es besonders. Gegenüber der Anforderung, neue Strukturen zu denken und zu entwerfen, den Kopf in den Sand zu stecken, scheint ebenso wenig angebracht wie naive Verän- derungseuphorie – beides verkennt die dargestellten Ambivalenzen, die in dem neuen Bachelor-Master-Studiensystem für die Entwicklung des Be- rufs stecken. So wie auf der einen Seite die Veränderung von Prüfungsan- forderungen und Prüfungsstrukturen sicher Rückwirkungen auf vorberei- tende Ausbildungsgänge haben wird, so wird auf der anderen Seite durch die Erhöhung „berufswissenschaftlicher“ Anteile im Studium allein oder durch eine (vorgebliche) Orientierung an „Kompetenzen“, durch die Fest- legung von „Standards“ nicht in jedem Falle eine Verbesserung der Leh- rerausbildung im Sinne einer besseren Vorbereitung auf den Lehrerberuf (vgl. Reh 2005), im Sinne einer Steigerung der „Professionalität“ der zu- künftigen Lehrkräfte erreicht. Notwendig ist und bleibt neben der Refle- xion über die Auswirkungen institutionalisierter Ausbildungsstrukturen die Erarbeitung von speziellen Kompetenz- und Entwicklungsmodellen für den Lehrerberuf, die die Spezifik der pädagogischen Tätigkeit ebenso berücksichtigen wie diejenige einer universitären Ausbildung.

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156 die hochschule 1/2005 FORUM

Der gesellschaftliche Innovationsdiskurs und die Rolle von Universitäten Eine Analyse gegenwärtiger Mythen1

Georg Krücken Mehr und mehr avanciert „Innovation“ Frank Meier zum zentralen Schlüsselthema gesell- Bielefeld schaftlicher Diskurse. Jüngstes Beispiel ist die Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, Innovation zum alles überra- genden Politik-Thema der nächsten Jah- re zu machen. Rasch wurde die „Part- nerschaft für Innovation“ ins Leben gerufen und die Gründung eines „In- novationsbüros Deutschland“ in die Wege geleitet. Im Rahmen dieser „Innovationsinitiative“ wurde zudem beschlossen, eine kleine Auswahl von Universitäten gezielt zu fördern, um so Elite-Universitäten nach ame- rikanischen Vorbild zu kreieren. Diese sollen als "Leuchttürme der Wis- senschaft" auch im internationalen Vergleich eine führende Position ein- nehmen.2

1 Die Aufarbeitung des bis in die 1970er Jahren zurückreichenden Innovationsdiskurses wurde im Rahmen des DFG-Projektes „Abschied vom Elfenbeinturm? Eine organisations- und wissenschaftssoziologische Untersuchung zum universitären Wissens- und Techno- logietransfer in Deutschland und den USA“ geleistet, das gegenwärtig am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) der Universität Bielefeld durchgeführt wird. Weitere Informationen unter: http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/kruecken/projekt_ elfenbeinturm/Abschied_Elfenturm.html 2 Der geplante Wettbewerb firmiert bekanntlich unter dem Namen "Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten". Beide Namensbestandteile haben dem BMBF einigen Spott eingebracht.

die hochschule 1/2005 157 Die enge Kopplung von Innovationsdiskurs und Hochschulpolitik macht durchaus Sinn, stehen Universitäten doch im Schnittfeld von Pro- zessen organisatorischer und technologischer Innovation. In organisatorischer Hinsicht wird von Universitäten gegenwärtig vor allem die Abkehr von den hergebrachten Mechanismen der Selbststeue- rung verlangt. Sowohl die ältere Idee von autonom in ihrem Gebiet herr- schenden Professoren, als auch die in den 1970er Jahren unter Demokra- tisierungsvorzeichen entstandene Gremienherrschaft in der so genannten "Gruppenuniversität" gelten als passé. Trotz aller Differenzen ist die Universität in beiden Modellen nur ein sehr schwacher Akteur, und Be- schreibungen von Seiten der Organisationsforschung, die Bildungsorga- nisationen generell als „lose gekoppelte Systeme“ (Weick 1976) und Universitäten gar als „organisierte Anarchien“ (Cohen/March 1974) cha- rakterisieren, treffen diesen Sachverhalt sehr gut. Im Gegensatz hierzu sollen Universitäten nun handlungsstarke Einrichtungen werden. Häufig wird in diesem Zusammenhang die Übernahme von Strukturformen ge- fordert, wie sie in Wirtschaftsunternehmen anzutreffen sind, sei es über die Etablierung von Hochschulräten, also einer neuen externen Steue- rungsinstanz, sei es über die Straffung des internen Organisationsablaufes durch starke Leitungsebenen. Der Aufbau und die Durchsetzung derarti- ger Strukturen bedeuten ein erhebliches Maß an organisatorischer Inno- vation. Doch Universitäten stehen nicht nur wie Schulen, öffentliche Verwal- tungen und andere Organisationen unter dem Druck, ihre tradierten orga- nisatorischen Strukturen zur Disposition zu stellen. Sie sind auch im Hin- blick auf die Erzeugung technologischer Innovationen von stetig steigen- dem Interesse. Bereits im so genannten linearen Innovationsmodell, das von einer geradlinigen Abfolge zwischen einzelnen klar unterscheidbaren Phasen (Grundlagenforschung – angewandte Forschung – Entwicklung – Prototypen – marktfähige Produkte und Verfahren) ausging, bildeten Universitäten den Dreh- und Angelpunkt technologischer Innovations- prozesse. In ihnen, so die Annahme, wird die für Innovationen maßgebli- che Basis geschaffen, da nur Universitäten zugleich den Aufgaben der langfristigen Forschung und der Ausbildung wissenschaftlich- technischen Personals nachkommen können. Seitdem das lineare Modell mit der Entdeckung von Gleichzeitigkeiten und Rückkopplungen zwi- schen den unterschiedlichen Prozessphasen immer mehr an Überzeu- gungskraft verloren hat, wird von Universitäten zudem erwartet, selbst

158 die hochschule 1/2005 technologische Innovationen hervorzubringen und diese möglichst effek- tiv zu vermarkten. Dies kommt in politischen Programmen und strategi- schen Konzepten zur Re-Positionierung der Hochschulen ebenso zum Ausdruck wie in der Vielzahl neu geschaffener universitärer Transferstel- len, An-Institute, Gründer-, Technologie- und Innovationszentren. Die mittlerweile weit verzweigte Literatur zum „akademischen Kapitalismus“ (Slaughter/Leslie 1997; Slaughter/Rhoades 2004) reflektiert diesen Trend. Im Folgenden möchten wir zeigen, dass der gegenwärtige Innovati- onsdiskurs in starkem Maße durch Mythen geprägt wird. Dabei soll der Mythenbegriff gar nicht polemisch gemeint sein oder der Diffamierung des Innovationsdiskurses dienen. Vielmehr soll hier an ein Verständnis von Mythen angeschlossen werden, wie es in der Kulturanthropologie ur- sprünglich zur Bezeichnung von unreflektierten Deutungssystemen in so genannten "primitiven" Kulturen verwendet wurde. Mythen sind dem- nach nicht-hinterfragbare Kausalerklärungen, die häufig auf affektiv be- setzte Themen bezogen sind. Sie erfüllen eine wichtige Funktion, indem sie Sicherheit in unübersichtlichen und affektiv aufgeladenen Situationen geben.3 Ganz in diesem Sinne vermuten wir, dass das Thema "Innovati- on" überaus anfällig für Mythenbildung ist, da wir es wir es hier mit dem Zusammentreffen von hoher Wünschbarkeit einerseits und hoher Kom- plexität andererseits zu tun haben. Auf drei grundlegende Mythen zum Thema „Innovation“ möchten wir dabei etwas genauer eingehen.

1. Innovation und Gesellschaftsplanung

Der gegenwärtige Innovationsdiskurs findet vor dem Hintergrund einer als bedrohlich wahrgenommenen makro-ökonomischen Entwicklung statt, die unter dem Stichwort Globalisierung als generalisierte Gefähr- dung von Wohlstand und sozialer Sicherheit erscheint. Zunehmende weltweite Konkurrenz und turbulente, unübersichtliche Umwelten werden als Herausforderungen für einzelne Unternehmen – neuerdings auch Uni- versitäten – und ganze "Volkswirtschaften" gesehen. Die Globalisierung

3 Das Themenfeld „Innovation“ eignet sich nur auf den ersten Blick wenig für affekt- bezogene und emotionalisierte Diskurse. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Äußerungen, die auf das Gegenteil hindeuten – nicht nur in Deutschland. So fand im Frühjahr 2004 ein Wettbewerb an der mitten im Silicon Valley gelegenen Stanford University, USA, statt, der ganz unironisch unter dem Titel „Do you love innovation?“ stand.

die hochschule 1/2005 159 erscheint in diesem Zusammenhang als eine gleichermaßen diffuse wie entfesselte Kraft, die zwar einerseits dem Flexiblen Chancen bietet, ande- rerseits aber denen, die in überkommenen Denkschemata verharren, Bö- ses verheißt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Innovation wird im Angesicht der Globalisierung zum Schlüsselthema, nicht nur weil be- stimmte technische oder organisatorische Innovationen Wettbewerbsvor- teile versprechen, sondern auch, weil der Gebrauch der Innovationsse- mantik ganz allgemein die Bereitschaft zu Flexibilität und Lernen symbo- lisiert und damit markiert, wer die Zeichen der Zeit erkannt hat. Im politischen Kontext steht der Innovationsbegriff für die Überzeu- gung, man könne die unsichere Zukunft durch ein geordnetes Zusam- menwirken von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft planvoll gestalten. "Deutschland. Das von morgen." (BMBF 2004a) steht daher auf der Agenda des Bundesforschungsministeriums, das "der Zukunft Gestalt ge- ben" (BMBF 2002) und "[h]eute schon das Morgen denken" (BMBF 2004b) will. Denn: "Wir investieren heute in unsere Zukunft, entscheiden heute über unser Leben von morgen" (BMBF 2004a: 4). Gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit legte das BMBF sogar einen "High-Tech Masterplan"(!) für "Innovationen und Zukunftstechno- logien im Mittelstand" vor (BMWA/BMBF 2004). Insgesamt ist bemerkenswert, welcher Glaube an Planung sich in Zei- ten offenbart, in denen vermeintlich der Neo-Liberalismus regiert. Trotz aller Deregulierungs- und Autonomierhetorik lässt sich entsprechendes auch leicht am Beispiel der Hochschulreformdebatte beobachten. So er- scheint es z.B. einer hochkarätig besetzten Reformkommission machbar, qua planmäßiger Ausrichtung der universitären Lehrangebote die künfti- gen Absolventenbedarfe der regionalen Wirtschaft zu decken (siehe Kommission zur Strukturreform der Hamburger Hochschulen 2003). Der Bundesregierung erscheint es – wie bereits erwähnt – machbar, Spitzen- universitäten durch politische Programme zu erzeugen. Der aktuelle Diskurs weist damit trotz der neuen Rahmung durch die Globalisierungsthematik eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Innova- tionsdiskurs der siebziger Jahre auf. Auch damals wurden makro- ökonomische "Verwerfungen" diagnostiziert – seinerzeit als "Struktur- wandel" apostrophiert – die die "Modernisierung der Volkswirtschaft" (Hauff/Scharpf 1975) angezeigt sein ließen und in allen gesellschaftli- chen Bereichen aktive Neuerungstätigkeit (sprich: Innovation) zwingend machte. Der in der heutigen Diskussion herausgestellte enge Zusammen-

160 die hochschule 1/2005 hang von organisatorischen und technologischen Innovationen findet sich bereits hier – etwa in der Forderung nach "Vermittlungs-Institutionen" (Hauff/Scharpf 1975: 65). Und ebenso wie heute galt Innovation nicht le- diglich als eine notwendige Anpassungsreaktion auf die externen Kräfte des Strukturwandels; vielmehr sollte der wirtschaftliche und soziale Wandel qua Innovation aktiv gestaltet und vorangetrieben werden (Kommission für wirtschaftlichen und sozialen Wandel 1977), wobei damals wie heute das vertrauensvolle Zusammenwirken von Staat, Wis- senschaft und Wirtschaft – am Besten in einem "Konsensus der Ver- nunft" (Hauff/Scharpf 1975: 66) – betont wurde. Die Planbarkeitsannahmen der siebziger Jahre wie auch die des aktu- ellen Innovationsdiskurses mögen inhaltlich unzutreffend sein. Sie erfül- len nichts desto weniger eine wichtige Funktion. Angesichts unübersicht- licher Entwicklungen und unklarer Handlungsfolgen erzeugt gerade der Mythos "Planbarkeit" Handlungsfähigkeit, indem er die Riskanz des wirt- schaftlichen und politischen Handelns verdeckt. Wie aber wird gehandelt? Die gesellschaftliche Gestaltung mit Hilfe der Forcierung von Innovationsprozessen orientierte sich oftmals an den Beispielen anderer Staaten und ihren vermeintlich überlegenen nationalen Innovationssystemen. Damit gelangen wir zum zweiten großen Mythos des Innovationsdiskurses: der eindeutigen Einschätz- und Bewertbarkeit nationaler Innovationssysteme.

2. Innovation und der Glaube an nationale Modelle

Der systematische Vergleich nationaler Innovationssysteme setzte in den 1980er Jahren ein. Ausgangspunkt dieses Vergleichs ist die Unzufrieden- heit mit der engen Fokussierung auf Unternehmen, die in der ökonomi- schen Innovationsforschung als zentraler Ort der Innovation gelten. Es zeigte sich, dass Unternehmen nicht als isolierte Einheiten zu betrachten sind, sondern vielmehr in ihrem Zusammenspiel mit anderen Elementen eines nationalen Innovationssystems. Dazu gehören Branchenstrukturen, das System industrieller Beziehungen, die wissenschaftliche Infrastruktur, Schulen, Hochschulen, politische und rechtliche Rahmenbedingungen sowie allgemein-kulturelle Überzeugungen eines Landes, kurzum: natio- nale Gesellschaft. Das Erkenntnisinteresse des interdisziplinären For- schungsfeldes „nationale Innovationssysteme“ ist jedoch nicht nur wis- senschaftlich-analytischer, sondern auch praktisch-politischer Art. Die die hochschule 1/2005 161 einzelnen Elemente und ihr Zusammenspiel sollen Aufschlüsse über die jeweiligen Schwächen und Stärken geben und gezielte Verbesserungen ermöglichen. Das in Politik und Öffentlichkeit vertretene Ideal der ein- deutigen Einschätzung und Bewertung von Innovationssystemen lässt sich durch mehr Forschung allerdings kaum erreichen. Im Gegenteil: Zu vielschichtig und unsicher ist der gesamtgesellschaftliche Rahmen von Innovationsprozessen, und vermeintliche Gesetzmäßigkeiten stellen sich als hochgradig kontextabhängig dar. Mit der Öffnung der „black box“ der Innovation wurden immer weitere „black boxes“ entdeckt. Von einer ein- heitlichen Theorie mit prädiktiver Kraft ist man heute weiter denn je ent- fernt, da die unbestreitbare Zunahme an Wissen um Innovationssysteme auch immer neue Dimensionen des Nicht-Wissens eröffnet. Im Ergebnis verflüchtigt sich das Konstrukt eines nationalen Innovationssystems. An seine Stelle tritt eine Vielzahl von Variablen und Unterscheidungen, die eine eindeutige Einschätzung und Bewertung des Gesamtsystems unmög- lich machen (vgl. Edquist 2003). Doch nicht nur die Vielzahl kontextueller Faktoren widerspricht dem Mythos klar identifizierbarer Stärken und Schwächen und hieraus abzu- leitender Handlungsempfehlungen. Die Einschätzung nationaler Innova- tionssysteme ist im Zeitverlauf variabel. Was gestern als Stärke galt, kann heute eine Schwäche sein – und umgekehrt. Man denke hier an Japan und die USA. Mitte der 1980er Jahre schaute alle Welt nach Japan, um vom japanischen Innovationsmodell zu lernen. "Japan wandelt sich zum Labor der Welt" (Seitz 1994: 118), stellte etwa Konrad Seitz ehrfürchtig fest. Das primär auf die auf die Förderung von angewandter Forschung und Entwicklung in Unternehmen abzielende japanische System galt als Vor- bild für andere Innovationssysteme. Vor allem die Rolle des MITI, des japanischen Außenhandelsministeriums, das eine sehr aktive Industriepo- litik betrieb, wurde seinerzeit geradezu mythisch überhöht.4 Man sah in ihm den Eckpfeiler des rationalen staatlichen und wirtschaftlichen Inno- vationsmanagements. Diese Einschätzung hat sich seit der anhaltenden Strukturkrise der japanischen Volkswirtschaft drastisch geändert. Nun steht das einst gefeierte „Modell Japan“ und die damit verbundene In-

4 Im wissenschaftlichen Diskurs wurde die Rolle des MITI besonders von Chalmers Johnsson (1982) als wichtigster Faktor des japanischen Erfolges interpretiert. Johnsson bezweifelte allerdings explizit, dass es sinnvoll sei, das japanische Vorbild in den USA zu kopieren.

162 die hochschule 1/2005 dustriepolitik im Verdacht, notwendige Strukturreformen durch staatlich- dirigistische Maßnahmen verzögert zu haben. Zudem wird die Gleichset- zung von Innovationspolitik mit Industriepolitik kritisiert, da die Grund- lagenforschung und die Universitäten in diesem Modell nur von unterge- ordnetem Interesse waren.5 Parallel zur Ernüchterung über das „japanische Modell“ steigt die Wertschätzung des nationalen Innovationssystems der USA. In den 1980er Jahren galten die Vielschichtigkeit der amerikanischen For- schungslandschaft, in der nationale Institute und Universitäten eine zent- rale Rolle spielen, und die traditionell starke Rolle der Grundlagenfor- schung als großes Problem, für welches das vermeintlich geradlinigere und unmittelbar auf die industrielle Umsetzung konzentrierte japanische Modell die Lösung zu verheißen schien. Mit der Entdeckung von For- schungsuniversitäten durch Politik und Innovationsforschung veränderten sich die Vorzeichen. Mehr denn je gelten Universitäten als Innovations- und Wachstumsmotor für nationale Volkswirtschaften, und der direkte Transfer von Wissen und Technologien von Universitäten in die Wirt- schaft stellt inzwischen einen zentralen Fokus gegenwärtiger Innovati- onspolitik dar. Lizenzvereinbarungen zwischen Universitäten und Unter- nehmen, Patentanmeldungen und Firmengründungen durch Universitäts- angehörige sowie die Gründung industrienaher An-Institute liegen nicht nur bei Hochschulpolitikerinnen und -politikern hoch im Kurs. Auch für die Hochschulen selbst sind sie gern gesehene Beweise ihrer Bedeutung in post-humboldtschen Zeiten. Diese Einschätzung wird zudem von der Innovationsforschung geteilt. Dennoch ist Skepsis angebracht, was die mythische Überhöhung von Forschungsuniversitäten im gegenwärtigen Diskurs betrifft. Dass derartige Überhöhungen fehl am Platze sind, zeigt die wechselvolle jüngere Geschichte der Einschätzung und Bewertung nationaler Innovationssysteme, die kein zeitlich stabiles Urteil erlaubt. Doch mit der im Zeitverlauf variablen Bewertung noch nicht genug. Die im Diskurs generell positive Bewertung von Innovationen, die in der Gleichsetzung von Innovation und Verbesserung zum Ausdruck kommt, stellt gerade im Hinblick auf Universitäten einen kritisch zu hinterfragen- den Mythos dar.

5 Gerade an diesem Aspekt entzündete sich in der deutschen wissenschaftspolitischen Diskussion Anfang der neunziger Jahre die Kritik am japanischen Modell (z.B. Frühwald 1993: 3).

die hochschule 1/2005 163 3. Innovation und Organisationsreform

Ein ebenso hartnäckiger wie unhinterfragter Mythos der gegenwärtigen Diskussion besteht darin, dass Innovationen gegenüber dem Herkömmli- chen besser sind. Die gesellschaftshistorisch erst mit der neuzeitlichen Wissenschaft entstehende Präferenz des Neuen gegenüber dem Alten gilt mittlerweile für sämtliche Bereiche der Gesellschaft, von der Wirtschaft über die Massenmedien bis hin zur Politik. Die diskursive Gleichsetzung von Innovation und Verbesserung ist im Hinblick auf unser Thema jedoch alles andere als unproblematisch. Oftmals erweist sich erst viele Jahre nach der Einführung einer Neuerung, dass deren Vorteile gar nicht so selbstverständlich sind und sich mitunter kaum nachweisen lassen. Ein Beispiel hierfür ist die in den 1970er Jahren begonnene Errichtung von Technologietransferstellen an deutschen Universitäten, die als notwendige organisatorische Innovation zur Forcierung technologischer Innovationen galten. So erwartete die schon zitierte Kommission für den wirtschaftli- chen und sozialen Wandel von einer weiterentwickelten Förderung der seinerzeit schon in Ansätzen existierenden Transfereinrichtungen einen entscheidenden "Beitrag zur Modernisierung der Volkswirtschaft und zur Bewältigung künftiger struktureller Anpassungsprozesse" (Kommission 1977: 287). Lange galten Transferstellen als organisatorischer Ausweis einer ver- stärkten Zusammenarbeit von Universitäten und Wirtschaftsunternehmen. Erst im Laufe der Zeit sind die optimistischen Einschätzungen der siebzi- ger und frühen achtziger Jahre nüchterneren Beurteilungen gewichen. Der Wissenschaftsrat z.B. will Transferstellen "vor dem Hintergrund des er- heblichen Aufwandes für solche Transferinstrumente kritisch überprüft" wissen (Wissenschaftsrat 1996: 72). Einer (versuchten) Evaluation der nordrhein-westfälischen Transferstellen durch die Unternehmensberatung Elle + Partner (1998) gelang es nicht, valide Indikatoren für die Effekte von Transferstellen zu entwickeln. Zudem ergaben eigene Untersuchun- gen, dass Transferstellen keine Anstrengungen unternahmen und auch überhaupt kein Interesse daran fanden, über das Anekdotische hinaus die konkreten Konsequenzen ihres Tuns nachzuhalten (Meier 2001). Allerdings ist es offensichtlich so, dass über Transferstellen vermittel- te Kontakte gegenüber den traditionellen Mustern des Transfers zwischen Universitäten und Wirtschaftsunternehmen stets marginal geblieben sind (Krücken 2003; Reinhard/Schmalholz 1996; Kluge/Oehler 1986). Diese

164 die hochschule 1/2005 Muster, die zum Teil bis in das 19. Jahrhundert zurückreichen, sind trotz der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts von einer hohen Kon- tinuität gekennzeichnet. Transferbeziehungen sind traditionell stark in- formell und personalisiert. Hierüber lassen sich Unsicherheiten reduzie- ren und das notwendige Maß an Vertrauen zwischen Partnern aus unter- schiedlichen Sektoren aufbauen. Vor allem im Bereich der Ingenieurwis- senschaften zeigt sich die Stärke der traditionellen Organisation des Transfers, der gerade nicht in den Bahnen organisatorischer Innovationen verläuft. Indem Universitäten Studierende ausbilden, die nach dem Studi- um in Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen ar- beiten und von dort aus den Kontakt zum ehemaligen Lehrstuhl aufrecht erhalten, findet ein effektiver Transfer „über Köpfe“ statt. Gegenüber die- ser historisch gewachsenen Struktur kann die Organisation des Transfers über Transferstellen nur eine randständige Rolle spielen. Dass das Neue es gegenüber dem Herkömmlichen schwer hat, ist in der Organisationsforschung schon seit längerem bekannt und kein Aus- druck einer spezifischen Unvernunft und Lethargie von Hochschullehrern und anderen Universitätsmitgliedern. So spricht der Organisationssozio- loge Arthur L. Stinchcombe bereits 1965 von der „Hypothek des Neuen“, die darin besteht, dass neue Organisationen sich gegenüber alten bewäh- ren müssen und hieran zumeist scheitern. Die weit überproportional hohe "Sterberate" von Organisationen in den ersten Jahren nach ihrer Grün- dung belegt diese These. An diese empirisch mittlerweile umfangreich bestätigte Annahme schließt der amerikanische Organisationsforscher James G. March an, der nach über 40 Jahren intensiver Beschäftigung mit organisatorischem Lernen zu dem Ergebnis kommt, dass der „sprichwört- liche Widerstand gegenüber Wandel in Organisationen (...) nicht das Er- gebnis irrationaler menschlicher Starrheiten oder organisatorischer Wi- derstände ist, sondern dadurch zustande kommt, dass neue Ideen und Praktiken im Vergleich mit den herkömmlichen zumeist unterlegen sind, vor allem kurzfristig“ (March 1999: 9). Die organisationssoziologische Populationsökologie, die ohnehin Zweifel an der Neuerungsfähigkeit ein- zelner Organisationen hegt, betont die evolutionären Vorteile von Orga- nisationen, die für ihre Umwelt berechenbar, also einmal mit bestimmten Merkmalen gegründet und im Weiteren gerade nicht innovativ sind (Hannan/Freeman 1984). Auch die oben skizzierten Erfahrungen mit dem Technologietransfer, in dem die traditionellen, gewachsenen Beziehun- gen dominieren, sprechen eher dafür, dass gerade in diesem auf Vertrau- die hochschule 1/2005 165 en angewiesenen Kontext die Berechenbarkeit vermeintlich träger Struk- turen eher Vorteile verspricht als organisatorische Innovativität. Allgemein gesprochen bedeutet die Gleichsetzung von Trägheit und Irrationalität jedenfalls eine perspektivische Verengung, die, so unsere Vermutung, nicht nur beim Technologietransfer zu falschen Einschätzun- gen führt. So kann man sich etwa fragen, ob es der langfristigen Wissen- schaftsentwicklung dienlich ist, wenn das Bundesforschungsministerium seine Forschungsförderung tatsächlich ständigen Innovationen aussetzt, wie es neuerdings behauptet, und damit auf Berechenbarkeit verzichtet: "Die Fachprogramme des BMBF haben sich in den letzten Jahren immer mehr zu dynamischen, zu 'lernenden' Programmen entwickelt, um schnel- ler auf immer kürzer werdende Innovationszyklen reagieren zu können" (BMBF 2004c: VIII). An das zuvor behandelte Beispiel der flächendeckenden Einführung von Transferstellen lassen sich weitere Überlegungen zum Thema „Uni- versitäten und Innovation“ anschließen. Zum Beispiel hatten wir ein- gangs gezeigt, dass die enge Verbindung, die im Diskurs zwischen Uni- versitäten und Innovation hergestellt wird, in bestimmten Hinsichten na- he liegend ist. In anderen Hinsichten jedoch ist sie einigermaßen verblüf- fend. Sind es nicht gerade die Hochschulen, denen regelmäßig strukturel- les Beharrungsvermögen sowie Lern- und Reformunfähigkeit vorgewor- fen wird? Können ausgerechnet diese – vermeintlichen – Horte organisa- torischer Trägheit als zentrale Orte gesellschaftlicher Innovationserzeu- gung dienen? Neben der externen Detailregulierung durch den Staat sind es insbe- sondere die internen Entscheidungsstrukturen, die als Ursache für die Selbstblockade der Universitäten gelten (Schimank 2001). Auch deshalb setzt der gegenwärtige Reformdiskurs an diesen Strukturen an, mit dem Ziel, die "blockierte Hochschule" (Daxner 1999) in eine "entfesselte Hochschule" (Müller-Böling 2000) zu transformieren, oder anders gesagt: um durch eine grundlegende Innovation die generelle organisatorische Innovativität der Universität zu erhöhen. Allerdings sollte die Innovativität der traditionellen Universität nicht unterschätzt werden: Auch sie hat kontinuierliche Neuerungen hervorge- bracht. So sind etwa fortlaufend durch einfache Differenzierung oder durch Rekombination neuartige Lehrstühle, Fachbereiche und Studien- gänge geschaffen worden. Das sind im Übrigen gute Beispiele dafür, dass Innovationen auch kontinuierlich und kaum bemerkt ohne radikale Neu-

166 die hochschule 1/2005 gestaltung der fundamentalen Strukturen entstehen können. Auch die hier schon zu Illustrationszwecken herangezogenen Transferstellen belegen, dass es Universitäten immer wieder gelingt, mit organisatorischen Neue- rungen auf gesellschaftliche Anforderungen zu reagieren. Dabei sollte jedoch der „Eigensinn“ von Universitäten nicht unter- schätzt werden. Als komplexe und sich selbst steuernde Systeme passen sie externe Erwartungen an interne Strukturen an, nicht umgekehrt. Dies geschieht, indem sie nach außen hin sichtbare Formalstrukturen etablie- ren, um sich zugleich der Legitimität und Ressourcen ihrer Umwelt zu versichern und organisatorische Innovations- und Wandlungserwartungen abzuwehren. Formalstrukturen sind nur lose mit dem tatsächlichen Orga- nisationshandeln verknüpft. So sind Transferstellen als Formalstrukturen zwar das sichtbare Symbol der neuen, transfer- und innovationsorientier- ten Universität. Bei näherer Betrachtung können sie aber – wie bereits erwähnt – weder die traditionellen Transfermuster verdrängen, noch den Universitäten als Gesamtorganisationen ein transferorientierteres Profil geben. Die Entkopplung von Formalstrukturen und tatsächlichem Organi- sationshandeln scheint unseres Erachtens ein grundlegendes Reaktions- muster auf von außen kommende Veränderungserwartungen zu sein. Dies schwächt Versuche von Seiten der Hochschulpolitik, die entscheidenden „Stellschrauben“, wie es im Ministerialjargon gerne heißt, mit Hilfe rechtlicher Vorgaben und finanzieller Anreize neu zu justieren. Unsere hierauf aufbauende Vermutung lautet, dass gerade die gegenwärtige hochschulpolitische Phase, in der Innovationserwartungen in bislang kaum gekannten Ausmaß von außen an Universitäten adressiert werden, derartige Entkopplungen hervorruft. Entstehen Innovationen hingegen kontinuierlich und in einem universitätsinternen „bottom up“-Prozess, so werden sie eher die Chance haben, die „Hypothek des Neuen“ sukzessiv zu tilgen und nachhaltig wirksam zu werden.

4. Fazit

Wie wir zu zeigen versucht haben, produziert der gesellschaftliche Inno- vationsdiskurs Mythen, denen als unhinterfragbaren Erzählungen konsen- suell Sinn zugeschrieben wird. Die drei von uns unterschiedenen Mythen sind auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen angesiedelt. Sie reichen von der allgemeinen Vorstellung, mit Innovationen die gesellschaftliche Entwicklung planend gestalten zu können, über die Identifizierung nach- die hochschule 1/2005 167 ahmenswerter nationaler Innovationssysteme bis hin zur konkreten Uni- versitätsorganisation, für die neue Lösungen als bessere Lösungen ver- standen werden. Indem man den gegenwärtigen Innovationsdiskurs nicht als Episode, sondern als Teil eines bereits in den 1970er Jahren einsetzen- den Diskurses betrachtet, wird augenfällig, dass zahlreiche der vermeint- lichen Neuerungen ihre diskursiven Vorläufer haben und dass die Orien- tierung an Vorbildern und die Präferenz für neue Lösungen retrospektiv sehr kritisch zu bewerten sind. Im Unterschied zum „Mythos Humboldt“ (Ash 1999), der an die Ge- schichte einer großen Institution erinnert, ist die Rolle von Universitäten im Innovationsdiskurs auf die Zukunft gerichtet. Diese Ausrichtung si- chert Universitäten den Erhalt von Legitimation und Ressourcen aus einer gesellschaftlichen Umwelt, in denen Appelle an humboldtsche Bildungs- und Forschungsideale allein keine ausreichende Überzeugungskraft mehr haben. Dennoch sollte der wissenschaftliche Diskurs zum Thema „Inno- vation“ stärker als bislang Distanz zu massenmedialen und politischen Diskursen wahren. Ungewissheit und das Eingeständnis von Nicht- Wissen sind ein wesentlicher Bestandteil der wissenschaftlichen Kom- munikation. Gerade bei einem so normativ aufgeladenen und komplexen Thema sollte dies nicht vergessen werden, auch wenn man sich in einem übergreifenden gesellschaftlichen Diskursfeld bewegt, in dem vor allem eindeutige Lösungen und Patentrezepte gefragt sind.

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170 die hochschule 1/2005 Von der Gremienuniversität zum Hochschulunternehmen Die Organisationsreformen an der Universität Amsterdam

Ruud H.T. Bleijerveld1 Wie in anderen europäischen Ländern Amsterdam auch veranlassten die Studentenproteste Ende der sechziger Jahre in den Nieder- landen ein neues Hochschulgesetz, in dem die Rätestruktur zum Grundmodell für die Organisationsstruktur der Univer- sitäten wurde. Am traditionell starken Einfluss des Staates änderte sich dabei zunächst nichts. Auch die „Unan- tastbarkeit“ der Professoren blieb bis zum jüngsten Hochschulgesetz von 1997 nahezu ohne Einschränkungen erhalten. Andererseits entwickelten sich die niederländischen Universitäten, ähnlich wie die bundesdeutschen, zu „Gremienuniversitäten“, deren interne Entscheidungsprozesse von ge- wählten Räten (Universitätsrat, Fakultäts- und Fachgruppenräte) geprägt wurden. Mit Inkrafttreten des Gesetzes über die Modernisierung der Uni- versitätsorganisation (MUB, niederländisch: Modernisering Universitair Bestuur) von 1997 wandelte sich nicht nur das Verhältnis zwischen Staat und Universität, auch die internen Gestaltungsfreiräume für die Organisati- ons- und Verwaltungsstruktur wurden wesentlich größer. In diesem Beitrag soll nun dargelegt werden, inwieweit es auf dieser neuen gesetzlichen Grundlage gelungen ist, bestimmte Lenkungsmecha- nismen insbesondere auf Fakultätsebene einzusetzen, um das erwünschte Ergebnis zu erzielen. Ich konzentriere mich dabei auf das Beispiel der Universität Amsterdam und stütze mich dabei auf Erfahrungen, die ich als langjähriger Generalsekretär dieser Universität (1982-2003) gewon- nen habe.

1 An dieser Stelle möchte ich Frau drs. E. Langen und Frau drs. G.M.E. Keteleer meinen Dank für die bei der Vorbereitung dieser Publikation geleistete Quellenforschung aus- sprechen. Ebenfalls danken möchte ich Frau B. Heckel vom Übersetzungsbüro UvA Vertalers.

die hochschule 1/2005 171 Die achtziger Jahre

Nach der Einführung der Rätestruktur sah die Organisationsstruktur der Universitäten in den Niederlanden im Großen und Ganzen wie in der Ab- bildung 1 dargestellt aus. Das Ministerium für Bildung, Kultur und Wis- senschaft erließ die Richtlinien, die der Universitätsvorstand daraufhin in interne Regelungen umsetzte. Darüber hinaus finanzierte der Staat die U- niversität anhand der vorgelegten Haushaltspläne. Über die Aufwendung der Mittel musste im Nachhinein Rechenschaft abgelegt werden.

Abbildung 1: Hochschulorganisationsstruktur in den achtziger Jahren

Die oberste Leitungsebene der Universität umfasste zwei Organe: den gewählten Universitätsrat und den teils vom Minister und teils vom Uni- versitätsrat ernannten Vorstand. Jedem dieser Organe oblag innerhalb des dualen Systems ein Teil der Zuständigkeiten. Der Vorstand war für die Zuteilung der Mittel in der Universität und für die korrekte Ausführung der vom Minister erteilten Richtlinien verantwort- lich. Der Universitätsrat stellte neben dem Haushalt einen strategischen Plan auf und legte eine Reihe interner Regelungen fest, unter anderem auch diejenigen, die sich mit der Einrichtung der Lehre befassten. Der Vorstand bereitete die Beschlussfassung des Universitätsrats vor und konnte sich bei Missbilligung von Ratsbeschlüssen mit dem Antrag, die entsprechenden Beschlüsse für nichtig zu erklären, an den Minister wenden.

172 die hochschule 1/2005 Sämtliche Fakultäten wurden nach etwa demselben System geleitet, wobei die gesamte Fakultätsleitung vom Fakultätsrat gewählt wurde. Auf der unteren Ebene waren die einzelnen Fachbereiche für die Zusammen- setzung der Fachgruppen verantwortlich. Professoren, wissenschaftliche, Verwaltungs- und technische Mitarbeiter sowie bestimmte Studenten- gruppen waren Teil der Fachgruppen. Die Professoren waren grundsätz- lich in der Leitung vertreten. Auf dieser Ebene war der Einfluss der Stu- dierenden und der Mitarbeiter jedoch so groß, dass es regelmäßig zu Konflikten um die Qualität von Forschung und Lehre innerhalb der Fach- gruppe kam. Solche Konflikte musste dann die Fakultätsleitung lösen. Kam es zu keiner Lösung, musste der Vorstand und mitunter auch der Universitätsrat entscheiden, wer das Recht auf seiner Seite hatte. Nach anfänglicher Begeisterung und großem Einsatz der demokra- tisch gewählten Mitglieder in den Räten wuchs Mitte der achtziger Jahre die Spannung zwischen Vorstand und Universitätsrat derart, dass die Qualität der Willensbildung auf Fakultätsebene bisweilen ernsthaft ge- fährdet war. Zudem verringerten sich Qualität und Einsatzbereitschaft der gewählten Mitglieder. Das galt insbesondere für die Personalvertretung. Die anfänglich auch erfolgte gesellschaftliche Partizipation, in der so genannte außeruniversi- täre Mitglieder im Universitätsrat vertreten waren, wurde Mitte der acht- ziger Jahre abgeschafft. Das oben erwähnte mäßige Niveau der Personal- vertretung darf jedoch nicht auf die gewählten Studentenvertreter über- tragen werden. Die Studenten bestimmten oft den Inhalt der Diskussionen im Rat. Der repräsentative Charakter der Studentenvertretung wurde durch das wachsende Desinteresse an Studentenwahlen aber de facto im- mer mehr in Frage gestellt. Mit der schwindenden Qualität in der Willensbildung ging eine zu- nehmende Politisierung der wechselseitigen Beziehungen einher. Weni- ger der Inhalt der Beschlüsse, sondern die Machtfrage dominierte die Be- schlussfassung. Die sich daraus ergebende Blockbildung innerhalb des Universitätsrates erschwerte dem Vorstand eine zu allen Seiten vertretba- re Leitung der Universität. Der Mangel an Verantwortungsbewusstwein der einzelnen gewählten Ratsmitglieder und das Fehlen klar umrissener Zuständigkeiten für Räte und Vorstände behinderten die Funktionsfähig- keit der Universität als Ganzes erheblich. Die Rätestruktur wurde immer mehr als Hindernis für die Weiterent- wicklung der Universität gesehen. Die im Rat gefassten Beschlüsse wur-

die hochschule 1/2005 173 den durch die zunehmende Politikmüdigkeit von Mitarbeitern und Studie- renden im Rat immer weniger getragen. So entstand eine Situation, in der die Legitimität der gefassten Beschlüsse in Frage gestellt wurde. Verfah- ren erschienen wichtiger als Inhalte; eine auf der einen Ebene getroffene Entscheidung konnte auf einer anderen Ebene wieder rückgängig ge- macht werden. Der Widerstand gegen die Rätestruktur nahm stetig zu, doch die Veränderung von gewachsenen Machtstrukturen braucht ihre Zeit. Die starke Position der Fachgruppen innerhalb der Organisation stell- te eine weitere Bedrohung für die Weiterentwicklung der Universität dar. Die Konzentration von Forschung und Lehre auf einen einzigen Fachbe- reich innerhalb der Fachgruppen erschwerte – von positiven Ausnahmen einmal abgesehen – multi- und interdisziplinäre Entwicklungen. Jahre- lange Sparmaßnahmen hatten die Anwerbung neuer Akademiker nahezu unmöglich gemacht, wodurch es den einzelnen Fachgebieten an Innovati- on und Initiative fehlte. Die interdisziplinäre Entwicklungen, die tatsäch- lich zustande gekommen waren, wurden in der nächsten Sparrunde sofort wieder gekappt. Die vom Ministerium vertretene Lenkungsphilosophie lässt sich als „zwiespältig“ bezeichnen. Einerseits bekamen die Universitäten im Zuge immer einschneidenderer Sparmaßnahmen mehr Freiheit, andererseits gab es aber auch immer mehr Regeln. Zum einen setzte eine Kommerzia- lisierung des Universitätsbetriebs ein und es wurde von den Universitäten erwartet, einen Teil ihrer Einkünfte durch Auftragsforschung und Ver- tragsunterricht selbst zu erwirtschaften. Zum anderen durften öffentliche Mittel nicht dafür aufgewandt werden, in der freien Wirtschaft Geld zu verdienen. Auch der starke gesetzlich verankerte Personalschutz blieb aufrechterhalten. Die Gehälter wurden noch viele Jahre ohne Mitsprache- recht der Universitäten auf Landesebene festgesetzt. Infolgedessen stie- gen die Personalkosten trotz Sparmaßnahmen weiter und es mussten im- mer mehr Aufgaben von immer weniger Personal durchgeführt werden. Bereits Mitte der achtziger Jahre stellte ich in der Verwaltungsnote „Dekonzentration der Verwaltung“2 fest, dass es unmöglich war, die Or- ganisation der Universität bis ins letzte Glied der Fakultäten und Fach- gruppen von einer zentralen Stelle aus zu leiten. Neben dem Management von Forschung und Lehre müsste auch das Management der Fakultäts-

2 R.H.T. Bleijerveld (1985), "Deconcentratie Beheer", interne Verwaltungsnote.

174 die hochschule 1/2005 mittel deutlich verstärkt werden. Die Profession des Verwaltungsdirek- tors der Fakultät wurde eingerichtet. Dieser vom Vorstand ernannte Amtsträger war der „verlängerte Arm“ des Generalsekretärs der Universi- tät in der Fakultät. Seine Tätigkeiten führte er im Rahmen allgemein gül- tiger Richtlinien im Einverständnis mit dem Dekan der Fakultät aus und erstattete dem Generalsekretär der Universität Bericht. In jeder Fakultät wurde unter der Leitung eines Verwaltungsdirektors eine professionelle Verwaltungsstruktur aufgebaut. Gleichzeitig stieß die zentrale Geschäftsstelle der Universität einen wesentlichen Teil seiner Aufgaben ab. Was die Fakultätsdirektoren zu tun hatten, leitete sich vom Aufgabenbereich des Generalsekretärs ab. Der Vorschlag, das Fakultätsmanagement zu professionalisieren, wurde sowohl von den Fakultäten als auch vom Universitätsrat positiv aufgenommen. Die daraufhin eingeführte Dekonzentration der Verwal- tung bewirkte, wie sich herausstellen sollte, jedoch keine deutlichen Ein- sparungen bei den Gemeinkosten der Universität. Im Gegenteil, die De- zentralisierung erwies sich als kostspielig. Ein wichtiger Vorteil war je- doch nach Ansicht vieler die Tatsache, dass Verwaltungsentscheidungen über die Fakultät nun auch von der Fakultät selbst getroffen wurden. Schon recht bald wurde die neue Verwaltungsstruktur allerdings auf die Probe gestellt. Es stellte sich heraus, dass die Ausgaben der Universi- tät aufgrund der vom Universitätsrat3 in den Vorjahren getroffenen Ent- scheidungen deutlich – und bei näherer Betrachtung strukturell – über den Einkünften lagen. Sofortige Maßnahmen waren erforderlich. Mit Hilfe der neu angetretenen Fakultätsdirektoren gelang es inner- halb weniger Jahre tatsächlich, Einsparungen zu erzielen, die das Gleich- gewicht zwischen Einkünften und Ausgaben wiederherstellten. Die Umsetzung solch einschneidender Prozesse erfordert zentrale Lenkung. Die fortschreitenden staatlichen Sparmaßnahmen machten ei- nen Kulturwandel innerhalb der Universität unumgänglich. Das wissen- schaftliche Personal konnte sich die ausschließliche Beschäftigung mit Lehre und Forschung nicht länger erlauben, es wurde zunehmend mit Ef- fizienzproblemen, Expansion und externen Beurteilungen konfrontiert. Infolgedessen fand eine Verschiebung statt: aus der kollegialen Leitung wurde ein Management, das sich klare Ziele setzte. Die Einrichtung des

3 Der Universitätsrat übte kraft Gesetz die Haushaltshoheit aus.

die hochschule 1/2005 175 Fakultätsdirektors mit Vollmachtsbefugnissen hat diese Entwicklung in hohem Maße gefördert. Es ist für die von alters zentral geleitete Universität von Amsterdam ein schwieriges Unterfangen, den Fakultäten einerseits mehr Freiheiten zu gewähren und andererseits aus dem Hintergrund die Aufsicht über de- ren Funktionieren zu führen. Mit der Dezentralisierung der Verwaltung wollte man den „Professionals“, den Wissenschaftlern, die Beschlussfas- sungsprozesse hinsichtlich der Zuweisung und dem Gebrauch von Mit- teln näher bringen. Es galt die „Black Box“ auf zentraler Ebene, in der die Entscheidungen getroffen werden, „aufzubrechen“ und die Organisa- tion durchsichtiger zu machen. Das jedoch war schwieriger als gedacht. Die Funktion des Fakultätsdirektors als „verlängerter Arm“ des Vor- stands und des Generalsekretärs der Universität brachte in einigen Fällen eine neue „Black Box“ hervor, da der Verwaltungsdirektor – nur um alles unter Kontrolle zu halten – eine Kopie der ursprünglichen Zentralverwal- tung auf Fakultätsebene schuf. Bei der Vorbereitung der neuen Verwal- tungsstruktur wurde die Notwendigkeit berücksichtigt, um sowohl auf zentraler wie dezentraler Ebene über adäquate Managementinformationen verfügen zu können4. Diese Daten, die aus den einzelnen Universitäts- verwaltungen stammten, sollten dem Verwaltungsdirektor der Fakultät bezüglich der Mittelzuweisung vertretbare und nachvollziehbare Ent- scheidungen ermöglichen. Dadurch, dass die administrativen Systeme weiterhin zentral geführt wurden, hatte der Vorstand Zugriff auf Informa- tionen über das Ausgabenmuster der einzelnen Fakultäten. So konnte der Generalsekretär der Universität das Fakultätsmanagement weiterhin im Auge behalten. Obwohl das Urteil über die neu geschaffene Verwaltungsstruktur im allgemeinen positiv ausfiel, hatte man den Faktor „persönliche Macht“ des Direktors unterschätzt. Fakultätsrat und Dekan räumten dem Direktor mehr Macht ein als er in Wirklichkeit hatte. Um die Gewaltenteilung zu gewährleisten, musste der Direktor laut Bestimmungen im Einverständnis mit dem Dekan handeln. Da sich viele Dekane weder ausreichend kompe- tent noch motiviert fühlten, sich in Managementfragen einzuarbeiten, wuchs der Einfluss des Direktors zusehends. Die gewählten Dekane wechselten zumeist nach zwei Jahren. So hatte der Direktor vor dem fol-

4 Zugegebenermaßen war es mitunter schwierig, die benötigten Daten bezüglich der Ausschöpfung der Mittel rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.

176 die hochschule 1/2005 genden Dekan einen erheblichen Wissensvorsprung. Im Endeffekt über- ließen viele Dekane Entscheidungen mit Blick auf die Aufwendung der Finanzmittel gänzlich dem Direktor. In einigen Fällen führte der Wechsel eines Dekans zu ernsthaften Konflikten mit dem Direktor. Der Universi- tätsvorstand kam auch anlässlich mehrerer heftiger Konflikte über Kom- petenzfragen zu dem Schluss, dass sich zu sehr ein Machtgefälle in der Fakultät in Richtung Mittelverwaltung (Finanzen, Personal und Unter- kunft) verschoben hatte; der wissenschaftliche Diskurs drohte bei der Diskussion um die Mittelverteilung in den Hintergrund zu geraten: eine unerwünschte Situation.

Die medizinische Fakultät und die Universitätsklinik

Einen besonderen Konflikt zwischen dem gewählten Dekan und dem er- nannten Direktor der Fakultät aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre möchte ich explizit erwähnen, weil er eine Entwicklung in Gang setzte, die weit reichende Folgen hatte. Die medizinische Fakultät hatte genau wie alle anderen Fakultäten einen vom Fakultätsrat gewählten Dekan und einen vom Vorstand ernannten Verwaltungsdirektor. Die Universitätskli- nik war und ist eine eigene juristische Person. Das klinisch wissenschaft- liche Personal hatte sowohl eine Anstellung bei der Universität (Fakultät) als auch bei der Klinik. Die Klinikleitung war im personellen Sinn nicht mit der Fakultätsleitung identisch. Die Fakultät hatte eine gewählte Lei- tung, deren Zusammensetzung sich regelmäßig änderte. Die Klinik ver- fügte über eine Geschäftsleitung aus Vollzeitmanagern, die sich durch ei- ne beträchtliche Stabilität kennzeichnete. Aufgrund der Finanzierungsmodalitäten der Universitätsklinik kam es immer wieder zu Kontroversen zwischen beiden Leitungen. Sie wurden unter anderem durch die Art der Verwendung zusätzlicher Mittel verur- sacht, die der Klinik über die Universität für die so genannte patientenge- bundene Forschung zuerkannt wurden. In der Fakultät herrschte ein hart- näckiges Misstrauen hinsichtlich der Verwendung dieser Mittel. Bei eini- gen hatte sich der Gedanke festgesetzt, das Universitätsgeld würde im Wesentlichen dazu genutzt, die Betriebskostendefizite des „regulären“ Klinikbetriebs auszugleichen und käme der akademischen Produktion der Fakultät nur unzureichend zugute. Der Konflikt eskalierte, als der Fakultätsdirektor gegen den Wunsch des Dekans beschloss, von der Klinikleitung einen umfassenden Rechen- die hochschule 1/2005 177 schaftsbericht über die von der Universität zuerkannten Mittel zu verlan- gen. Als er obendrein einige für die Klinik wichtige Ernennungen auf- schieben wollte, solange seine Fragen noch nicht beantwortet waren, platzte die Bombe. Die Folge war schließlich der Rücktritt eines Dekans und die Kündigung des betreffenden Direktors. Der Vorstand kam zu dem Schluss, dass die Spannungen zwischen Dekan und Direktor aus der bereits oben von mir angesprochenen Un- gleichgewicht der beiden Positionen resultierten. Der Dekan wurde vom Fakultätsrat gewählt, und zwar meist nicht aufgrund professioneller Ma- nagementerfahrung. Seine Anstellung war zudem zeitlich begrenzt. So- bald er oder sie gut eingearbeitet war, war die Amtszeit seines Dekanats wieder abgelaufen. Der Direktor (ein „Profimanager“) dagegen wurde für unbefristete Zeit angestellt. Er erwarb sich in der Betriebsführung der Fa- kultät einen Wissensvorsprung, der es dem Dekan außerordentlich schwierig machte, anderweitig zu entscheiden als vom Direktor vorgege- ben. Dies führte in der medizinischen Fakultät zu dem oben skizzierten Zusammenprall mit dem Berufsmanagement, das es in der Universitäts- klinik ebenfalls gab. Die daraus entstandene Führungskrise war Anlass für die Einberufung einer Kommission mit einem externen Vorsitzenden, deren Aufgabe darin lag, einen Vorschlag zu erarbeiten, die Fakultäts- und Klinikleitung wieder stärker zusammenzufügen. Ziel war es, dass sowohl der Zusammenhang zwischen Lehre und Forschung an der Uni- versität als auch die Patientenbetreuung an der Klinik gewährleistet wer- den konnte. Der Vorschlag der Kommission bewegte sich am Rande der gesetzli- chen Möglichkeiten. Nach Abstimmung mit dem Minister wurde be- schlossen, eine gemeinsame Leitung von Fakultät und Klinik zu berufen, wobei der Dekan der Fakultät gleichzeitig den Vorsitz über die Kliniklei- tung erhielt. Diese neue Organisation erhielt den Namen „Academisch Medisch Centrum bij de Universiteit van Amsterdam“. In ihm wurden klinische und vorklinische Lehre und Forschung vereint. Das gesamte Personal – auch das nicht wissenschaftliche, unterstützende Personal von Fakultät und Klinik – wurde rechtlich Teil der Klinik. Die Gewährung der Finanzmittel erfolgte unter der Bedingung, dass der Gesamtorganisa- tion nachträglich über die Aufwendung dieser Mittel in Lehre, Forschung und Patientenbetreuung adäquat Rechenschaft abgelegt würde. Diese auf Optimierung der Zusammenarbeit zwischen Fakultät und Klinik gerichte- te Integration wurde in den darauf folgenden Jahren für die Entwicklung

178 die hochschule 1/2005 der Kooperation nahezu sämtlicher anderen medizinischen Fakultäten und Universitätskliniken in den Niederlanden richtungweisend.

Die Modernisierung der Universitätsorganisation

Bereits 1995 entschloss sich die Leitung der Universität Amsterdam im Einvernehmen mit dem Universitätsrat die Frage zu prüfen, ob die Uni- versität durch Dezentralisierung der Organisation zu einem Konzern um- geformt werden könne, in dem die Dekane an Stelle der Wahlgremien das Primat der Beschlussfassung erhalten sollten. Der Grundgedanke dabei war die Verstärkung der Position der Fakultäten durch Einführung eines integralen Managements, wobei die Leitung in akademischer Hand sein sollte. Die zu diesem Zweck einberufene Kommission erarbeitete tief greifende Empfehlungen. Es wurde vorgeschlagen, das Prinzip der kollek- tiven Führung durch die Rätestruktur aufzugeben und zur persönlichen Führerschaft überzugehen. Dazu müsste die Universität hierarchisiert werden. Ebenfalls wurde vorgeschlagen, die Trennung zwischen Organi- sation und Verwaltung aufzuheben, wodurch sowohl auf zentraler als auch auf dezentraler Ebene die Endverantwortung für Organisation und Verwaltung beim Leitenden liegen würde. Zum Schluss wurde vorge- schlagen, die Zahl der Fakultäten deutlich zu verringern, um die Belas- tung durch Organisation und Verwaltung innerhalb der Universität insge- samt zu dezimieren. Die Resonanz auf die Vorschläge war im Allgemeinen positiv, aber erst nach der Einführung des Gesetzes über die Modernisierung der Uni- versitätsorganisation (MUB) im Jahr 1997 erhielt die Umsetzung der Plä- ne eine gesetzliche Grundlage. Der vom Fakultätsrat gewählte Dekan wurde nun durch einen vom Vorstand ernannten „Berufsdekan“ ersetzt. Der Verwaltungsdirektor der Fakultät bekam die Bezeichnung leitender Direktor. In einigen Fakultäten wurde, um die Stellung des Dekans noch weiter zu stärken, nicht die Funktion eines Direktors, sondern die eines Fakultätscontrollers eingeführt. Wichtiger als der neue Name war die Veränderung der Position des Direktors. Der leitende Direktor war nicht mehr dem Generalsekretär der Universität rechenschaftspflichtig, sondern dem Dekan der Fakultät. Dadurch wurde die Einheit von Organisation und Verwaltung auf Fakultätsebene hergestellt. Ziel des MUB war es u.a., Universitäten und Hochschulen eine stär- ker an die Wirtschaft angelehnte Organisationsstruktur zu geben. Die U- die hochschule 1/2005 179 niversitäten hatten entweder die Möglichkeit, das Rätesystem mit seinen Mitbestimmungsrechten von Mitarbeitern und Studierenden fortzusetzen, oder aber eine hierarchische Vorstandsstruktur nach dem Vorbild der Pri- vatwirtschaft zu wählen. Die Universität von Amsterdam hat sich be- wusst für das letztgenannte Modell entschieden, dem die in der Wirt- schaft gebräuchlichen Strukturen zugrunde liegen. Die Leitphilosophie war die der Unterstützung: Die höhere Organisa- tionsebene unterstützt die darunter liegenden Ebenen, indem sie die für die Erfüllung der Aufgaben erforderlichen Mittel und Einrichtungen zur Verfügung stellt. Direktive Lenkung erfolgt im Prinzip nur bei konzern- strategischen Punkten. Dadurch wächst der Bedarf an Managementinfor- mation, Kontrolle und Qualitätsbeurteilung. Durch gezielte Dezentralisie- rung und die deutliche Abgrenzung der Zuständigkeiten werden die Risi- ken adäquaten Ebenen und Personen zugewiesen. Aufgabenumfang und zu erzielende Ergebnisse – in messbarer Form – sowie Gehälter sollten möglichst im Vorfeld vertraglich festgelegt wer- den. In den Niederlanden war dies bereits zwischen dem Ministerium und den Universitäten gängige Praxis. An der Universität von Amsterdam wurde sie auch für die Beziehung zwischen Universitätsvorstand (College van Bestuur) und Dekanen sowie zwischen Dekanen und Institutsdirekto- ren eingeführt. Die vertragliche Festlegung von Zielvereinbarungen in ei- nem Flechtwerk von anderen miteinander im Zusammenhang stehenden Verträgen sorgt für mehr Transparenz, nicht nur im Hinblick auf die für Forschung und Lehre bereitstehenden Mittel, sondern auch hinsichtlich der Auswirkungen der Handlungen des einen auf das Tun der anderen. Die Quintessenz der Veränderungen war die Umformung in ein Sys- tem individueller Verantwortlichkeit. Auf allen Ebenen, sowohl wissen- schaftlich als auch administrativ, wurde die Managementverantwortung integriert und an einer einzigen Stelle gebündelt (integrales Manage- ment). Man verabschiedete sich nachdrücklich von der kollektiven Ver- antwortlichkeit, wie sie für die Rätestruktur kennzeichnend sind. Dem Mitspracherecht von Personal und Studentenschaft wird nach dem Vor- bild des gesetzlich festgelegten Mitspracherechts in der freien Wirtschaft über gewählte Betriebsräte (für das Personal) und Studentenräte auf zent- raler wie auch auf Fakultätsebene gestaltet. Diese Räte haben eine bera- tende, keine mitbestimmende Funktion. An der Basis wurde das Mitspra- cherecht von Studenten bei der Festlegung von Unterrichts- und Exa-

180 die hochschule 1/2005 mensbestimmungen stark berücksichtigt. Darauf werde ich jedoch im Rahmen dieses Beitrags nicht weiter eingehen. Die oben dargestellten Veränderungen hatten großen Einfluss auf die Beziehungen innerhalb der Fakultäten. Die Fakultätsleitung ging auf den vom Vorstand ernannten professionellen Dekan über. Dieser Dekan war fortan sowohl für das wissenschaftliche als auch für das Mittelmanage- ment der Fakultät zuständig. Beim Mittelmanagement wird der Dekan von einem Manager, dem sogenannten leitenden Direktor unterstützt. Die um den Fachbereich gebildeten Fachgruppen wurden aufgehoben. An ih- re Stelle wurden Lehrinstitute, Forschungsinstitute sowie Abteilungen gebildet, in denen das wissenschaftliche Personal zugeordnet wurde. Das nicht wissenschaftliche Personal wurde der Geschäftsstelle der Fakultät unterstellt, für die der leitende Direktor verantwortlich war. Bei jedem der neuen Fakultätsorgane wurden die für den reibungslosen Ablauf not- wendigen Zuständigkeiten klar umrissen. Bei den Instituten war dies ein vom Universitätsvorstand auf Vorschlag des Dekans ernannter Direktor, bei der Abteilung ein auf Vorschlag des Dekans ernannter Vorsitzender, der die Verantwortung für die ständige Überwachung von Quantität und Qualität des in seiner Abteilung arbeitenden Personals hatte. Davon wa- ren auch die Professoren betroffen, mit denen der Abteilungsvorsitzende seit der Einführung der neuen Struktur ebenfalls jährlich Mitarbeiterge- spräche führt. Das 1997 angenommene Gesetz hat dazu geführt, dass die Universitä- ten sowohl in ihrem Verhältnis zum Bildungsminister als auch durch die Möglichkeit, selbst die interne Organisationsstruktur festzulegen, mehr Freiheiten haben. Das Verhältnis zum Minister veränderte sich dadurch, dass ein wesentlicher Teil seiner Aufsichtsaufgaben an einen Aufsichtsrat (Raad von Toezicht) übertragen wurde. Dieser Rat besteht aus fünf vom Minister ernannten Mitgliedern mit einer Amtszeit von vier Jahren. Die Aufsichtsratsmitglieder dürfen nicht an der betreffenden Universität an- gestellt sein; auch politische Amtsinhaber sind ausgeschlossen. Die Auf- sichtspersonen sind in der Regel einflussreiche Mitglieder der Gesell- schaft. Der Aufsichtsrat muss die Planungsunterlagen der Universität, den Haushalt und den Jahresabschlussbericht genehmigen. Eine weitere wich- tige Befugnis des Aufsichtsrats ist die Ernennung der Vorstandsmitglie- der. Der Aufsichtsrat legt dem Minister einmal jährlich einen Rechen- schaftsbericht vor. Abbildung 2 zeigt die Organisationsstruktur, die 1998 an der Universität Amsterdam eingeführt wurde. Bei den durchgezogenen die hochschule 1/2005 181 Linien handelt es sich um eine hierarchische Beziehung, bei den gestri- chelten Linien um eine beratende Funktion, insbesondere bei den gewähl- ten Mitspracheorganen.

Abbildung 2: Organisationsstruktur der Universität von Amsterdam seit 1998

Die neue Struktur ist auf die Stärkung der Fakultäten und ihrer Institute ausgerichtet. Die Fakultät ist der eigentliche Ort des Geschehens, hier er- hält der primäre Prozess von Lehre und Forschung seine Form. Im Fol- genden werde ich vor allem auf unsere Erfahrungen bei der Umstruktu- rierung der Fakultäten eingehen. Die zentrale Ebene werde ich lediglich am Rande einbeziehen.

182 die hochschule 1/2005 Gewählter versus ernannter Dekan

Zunächst will ich den wichtigen Wandel erläutern, den wir vollzogen ha- ben, als der Dekan oder die Dekanin einer Fakultät nicht mehr aus dem Kreis der an der Fakultät beschäftigten Professoren gewählt wurde. Ob- wohl der neue, ernannte Dekan immer noch aus dem Kreis der Professo- ren stammen kann, ist dies längst nicht mehr selbstverständlich. Der er- nannte Dekan muss zwar große Autorität auf wissenschaftlichem Gebiet haben, seine Zugehörigkeit zur Fakultät ist jedoch nicht mehr obligato- risch. Es ist auch nicht mehr zwingend erforderlich, dass er oder sie be- reits Professor ist; allerdings muss die Berufung zum Professor möglich sein. Bis zur Einführung des MUB 1998 war an der Universität von Ams- terdam der Leiter einer Fakultät der gewählte Dekan. Die Position dieser Dekane, die für maximal vier Jahre vom Fakultätsrat gewählt wurden, war schwach. Nachstehend finden Sie eine Rede des Dekans der geistes- wissenschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. H. Pleij, der seinem Herzen bei seinem Rücktritt als Dekan 1992 Luft machte. Nicht zuletzt die hierin ge- äußerte Kritik hat dazu beigetragen, dass der Vorstand bereit war, das herrschende System aufzugeben. „Der Dekan einer Fakultät muss ein Vollzeitmanager in den so unterschiedli- chen Bereichen Personalpolitik, Haushaltsplanung, Führungsstrukturen, Leh- re, Wissenschaftsausübung und Streitigkeiten sein. Aber warum sollte ein sich gesund fühlender Professor seine Laufbahn unterbrechen, um etwas zu tun, das er so offensichtlich nicht gelernt hat? Und warum sollte er sich noch einer Ausbildung für solche ihm fremde Tätigkeiten unterziehen, wenn er nach ein paar Jahren doch wieder zu seiner eigentlichen Profession zurück- kehrt? Sofern man ihn dort noch haben will und er den Anschluss nicht verlo- ren hat. Ein Amateur, möglicherweise per Zufall mit einem natürlicher Führungs- gabe gesegnet, wird zeitlich begrenzt in die Welt von Berufsmanagern losge- lassen. Dort wird er vom einen auf den anderen Tag mit Verantwortlichkeiten konfrontiert, die für die anderen zum täglich Brot gehören. Von so manchem wird er darüber hinaus auch noch der Vorgesetzte. Gleichzeitig wird von ihm erwartet, dass er immense Probleme löst, von denen die Topmanager selbst ohne Umschweife erklären, nicht zu wissen, wie man sie lösen kann. Und diese Manager wollen obendrein nicht mehr als Topmanager auftreten, son- dern als „Partner“. Die Universität hat mit den Fakultätsdekanen einen sonderbaren Ama- teurclub zusammengestellt, der in gewisser Weise die fundamentalen Be- schlüsse des gesamten Unternehmens trägt. Darum ist es höchste Zeit für das die hochschule 1/2005 183 Modell des Berufsdekans. Jemand, der sich bewusst für eine neue Laufbahn entscheidet und sich dahingehend weiterbildet, aus der attraktiven Sicherheit heraus, dass er den Betrieb wie seine Westentasche kennt. Einer, der sich kei- ne Sorgen um die Verfremdung von seinem Fach und seinen Fachkollegen zu machen braucht. Er kann sich mit Haut und Haaren seinem neuen Metier ver- schreiben, das er gewählt hat und für das er ernannt wurde. Dann ist auch Schluss mit den nicht selten geschmacklosen Überredungspraktiken, in denen ein Professor vorübergehend vergisst, was er wirklich will und was er kann. Oder mit denen er erpresst und gezwungen wird, Verantwortungen zu über- nehmen, die er in keinster Weise überblicken kann.“5

Die Tatsache, dass jemand seinem Unmut derart offenherzig Luft macht, in Verbindung mit weiteren nicht gerade positiv stimmenden Erfahrungen mit der gewählten Fakultätsleitung, führte letztlich dazu, vom Vorstand ernannte Berufsdekane anzustellen. Die Ernennungsfrist betrug vier Jahre. Die Arbeit des Dekans wird jährlich in einem Gespräch mit dem Vorstand ausgewertet. Sollte die Beurteilung negativ ausfallen, erfolgt die Beendi- gung des Dekanats. Bereits bei der Erstanstellung wird schriftlich festge- legt, welche Schritte bei negativer Beurteilung folgen. Gleichzeitig wird bestimmt, welche Regelungen zum Ende der Ernennungsfrist getroffen werden. Der Auftrag des Dekans oder der Dekanin scheint auf den ersten Blick einfach: Er oder sie trägt die Gesamtverantwortung für alles, was sich in der Fakultät abspielt und erfüllt eine koordinierende Funktion in- nerhalb der Fakultät, um den möglichst optimalen Ablauf des primären Prozesses zu gewährleisten. Er sorgt also dafür, dass alles gut funktio- niert. Bei der Mittelverwaltung wird der Dekan vom leitenden Direktor unterstützt. Die früher vorhandene Spannung zwischen Dekan und leiten- dem Direktor wurde minimiert, indem der Direktor die deutlich abge- grenzte Verantwortung für die Betriebsführung übernimmt, die er unter Aufsicht des Dekans ausübt. Beschwerden über den Direktor können beim Dekan vorgelegt werden. Die Arbeit des Direktors wird jährlich mit dem Dekan besprochen. Der Dekan fungiert zudem als Mittler zwischen den Lehr- und Forschungsinstituten einerseits und dem Universitätsvor- stand andererseits. Er trifft die notwendigen Entscheidungen.

5 Prof. Dr. Herman Pleij war von 1990 bis 1992 Dekan der Fakultät der Geisteswissen- schaften. Die Zitate stammen aus seiner Abschiedsrede als Dekan: Zachtjes rammelen aan de ketting: herinneringen van een amateur-dekaan (Leise mit der Kette rasseln, Erinnerungen eines Amateurdekans), Amsterdam University Press (2003).

184 die hochschule 1/2005 Bei der Formulierung der Fakultätsstrategie hat der Dekan fünf wichtige Aspekte zu beachten:6 1. Chancen und Bedrohungen in der externen Umgebung sowie zu- nehmende Konkurrenz, 2. Image der Fakultät bei relevanten externen Organen und Instanzen, 3. Mission, Kultur, Identität und Positionierung der Fakultät, 4. Kraft, Relevanz und Eignung der internen Prozesse und Infrastruk- tur, 5. starke interne Fakultätsführung. Die Verwirklichung der Ziele, die sich bei Amtsantritt ein Dekan vor- nimmt, für die Fakultät erfordert – unter Berücksichtigung der zuvor ge- nannten strategischen Aspekte – eine starke Führerschaft. Da die Dekane gleichzeitig auch im Universitätsvorstand eingebunden und dem Gesamt- interesse der Universität verpflichtet sind, ist auch die Fähigkeit und Be- reitschaft zum Interessenausgleich unerlässlich. Obwohl sie keine End- verantwortung tragen, hat jede einzelne Fakultät eine solche Bedeutung, dass der Vorstand nur nach intensiver Beratung mit den Dekanen handeln kann. Fakultäten sind ständig internen und externen Veränderungen ausge- setzt. Diese Veränderungen finden im Bereich der Zuweisung finanzieller Mittel, der Studenteninteressen und – am wichtigsten – innerhalb der Fachbereiche selbst statt. Der Dekan einer Fakultät muss die Fähigkeit besitzen, innerhalb dieser sich schnell wandelnden Parameter schnell und flexibel zu handeln. In der sich schnell ändernden Welt kann der Dekan nicht allwissend sein. Er ist auch auf Kompetenz und Erfahrungen seiner Mitarbeiter an- gewiesen. Für die effektive Führung einer Fakultät ist entscheidend, dass der Dekan sich nicht als Alleinherrscher verhält, sondern als Mitglied ei- nes gut zusammenarbeitenden Teams, das die Fakultät leitet. Dabei muss er oder sie aus einer natürlichen Autorität heraus anderen Teamkollegen den Freiraum gewähren, eigene Funktionen und Aufgaben zu überneh- men. Wenn ein Dekan einem Mitarbeiter eine gewisse Verfügungsgewalt überträgt, sollte das nicht als Gefälligkeit missverstanden werden, denn die Verteilung der Macht sorgt dafür, dass sich die Mitarbeiter für das

6 ESMU, Proceedings of the first conference of the Deans’ European Academic Network, Barcelona 4-6 Oktober 1999.

die hochschule 1/2005 185 Ganze mitverantwortlich fühlen. Ein guter Leiter sucht eine ausgewogene Machtverteilung. Ein Zuviel kann zu Anarchie führen. Genauso schädlich ist es jedoch, zu wenig Macht zu delegieren.

Die interne Struktur der Fakultät

Der Übergang vom gewählten zum ernannten Dekan Ende der neunziger Jahre vollzog sich zeitgleich mit einer einschneidenden Reform der Fa- kultätsstruktur. Das hatte insbesondere Folgen für die unabhängige Posi- tion der einzelnen Professoren. Der Sicherung der Qualität von Forschung und Lehre wurde bei der Umstrukturierung der Fakultät besonderes Au- genmerk gewidmet. Um die Qualität zu garantieren, war nicht mehr der autonome „Profi“ der Ansatzpunkt, sondern es entstand ein allgemeineres Interesse an Wissen und Können, Erfahrung und Talent, Motivation und Kreativität.7 Die zur Formulierung der gewünschten Struktur eingerichtete Kom- mission schlug Folgendes vor: Alle in Lehre und Forschung (primärer Prozess) tätigen Wissenschaftler werden in einer Abteilung zusammenge- fasst. Die Einteilung der Abteilungen beruht auf denselben Kriterien, wie bei der Definition der Fachbereiche: Tradition, Methodologie, Paradig- men und Einfluss der Empirie. Es wurden Abteilungen von 40 bis 80 Per- sonen empfohlen. Das erschien unter den Gesichtspunkten Leitung und Aufsicht die angemessene Größe. Im Nachhinein entstanden einige zum Teil erheblich größere Abteilungen mit mehr als 100 Wissenschaftlern. Ein einschränkender Faktor war, das es unter den Professoren nur wenige gab, die für die Leitung der Abteilungen in Frage kamen. In den Abteilungen steht die kontinuierliche Entwicklung des Fachbe- reichs im Mittelpunkt. Eine damit im Zusammenhang stehende Zielset- zung ist eine aktive Personalpolitik. Sie muss neben der Schaffung einer ausgewogenen Zusammensetzung des Personals auch darauf ausgerichtet sein, dem internen Bedarf an Lehre und Forschung in personeller Hin- sicht gerecht zu werden. Das bedeutet, dass eine Abteilung jederzeit in der Lage sein muss, den Bedarf an Fachwissen seitens der Institute, die den primären Prozess leiten, zu erfüllen. Jede Abteilung stellt den Lehr- und Forschungsinstituten sowie den organisatorischen Einheiten der mitt- leren Ebene, etwa den Instituten für Vertragsunterricht und „Professional

7 Bericht der UvA-Kommission „Stärkung der Fakultätsleitung“ von 1996.

186 die hochschule 1/2005 Schools“, auf Vertragsbasis das inhaltliche Know-How zur Verfügung. Um diese Aufgabe erfüllen zu können und gleichzeitig die Abwanderung wissenschaftlicher Mitarbeiter zu vermeiden, trifft eine Abteilung lang- fristige Vereinbarungen mit den Mitarbeitern. Von zentraler Stelle wer- den den Instituten ein Budget und den Abteilungen ein bestimmtes Quan- tum an Personal zugewiesen. Dadurch soll eine Verhandlungsbereitschaft zwischen den Instituten und der Abteilung gefördert werden. Ein Institut muss qualifiziertes Personal bei einer Abteilung „mieten“. Dies wird aus den Mitteln finanziert, die das Institut für den geleisteten Unterricht oder die Forschungsleistung erhält. Die Leitung einer Abteilung obliegt dem Vorsitzenden, einem Profes- sor, der für die Personalpolitik, die Betriebsführung und die interne Or- ganisation des Fachbereichs letztendlich verantwortlich ist. Institute werden vom Universitätsvorstand eingerichtet und aufgelöst. Sie erhalten ihren Haushalt unmittelbar von der zentralen Leitung. Von den Instituten wird erwartet, dass sie den gesamten primären Prozess mit dem zugewiesenen Geld finanzieren. Das heißt, dass sie auch alle ausfüh- renden und koordinierenden Aufgaben, die damit einher gehen, finanzie- ren müssen. Von einem kleinen Stab abgesehen, hat ein Institut kein ei- genes Personal. Die Direktoren legen dem Dekan gegenüber Rechen- schaft ab. Die Beziehungen zwischen den Instituten und den Abteilungen lassen sich wie folgt darstellen:

Abbildung 3: Beziehungen zwischen den Lehrinstituten, Forschungsinstituten und den Abteilungen8

8 Jedes Mitglied des wissenschaftlichen Personals ist verpflichtet, sowohl Forschung zu betreiben als auch Lehraufgaben zu übernehmen.

die hochschule 1/2005 187 Das Modell bezweckt, die Verantwortung für die Aufgabenerfüllung auf eine möglichst niedrige Organisationsstufe zu stellen. Es geht davon aus, dass die Institute und Abteilungen von professionellen Direktoren bzw. Vorsitzenden geleitet werden. Es geht zudem davon aus, dass die Institute danach streben werden, einen maximalen Lehr- und Forschungsertrag zu erzielen, um optimal qualifiziertes Personal bei den Abteilungen „mieten“ zu können. Eine andere Annahme ist, dass es dem Vorsitzenden einer Ab- teilung gelingt, das ihm zugewiesene wissenschaftliche Personal in Rich- tung einer möglichst hohen Qualifikation zu fördern und dafür zu sorgen, dass sich die verschiedenen Aspekte des Fachbereichs auf längere Sicht in der ganzen Bandbreite der Personalbesetzung widerspiegelt. Kein einfa- cher Auftrag. Die Aufgabe des Human Resource Management (HRM) ist außerordentlich komplex und verlangt ein gutes Gespür für anstehende Entwicklungen im Fachbereich. Darüber hinaus hat der Abteilungsvorsit- zende die Aufgabe, das Personal, das nicht in einem Institut eingesetzt werden kann, gegebenenfalls an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen zu lassen, oder aber gegen Bezahlung auf anderen Gebieten einzusetzen, für die es ebenfalls qualifiziert ist. Für Fortbildungsmaßnahmen steht dem Vorsitzenden ein Sonderhaushalt bereit. In Bezug auf den Dekan sieht das Modell vor, dass er sich in groben Zügen mit der Entwicklung der Fakultät auseinandersetzt, die Institutsdi- rektoren und die Abteilungsvorsitzenden leitet sowie die Verhandlungen mit dem Vorstand der Universität und mit externen Organisationen führt. Ferner wird erwartet, dass er die Unternehmensleitung der Fakultät als Ganzes überwacht und sich, wie bereits erwähnt, zusammen mit seinen Kollegen an der Leitung der Universität beteiligt. Nach einigen Jahren Erfahrung mit dem Leitungsmodell lassen sich inzwischen gewisse Rückschlüsse ziehen. Die Erfahrung lehrt, dass das Modell theoretisch gut ausgearbeitet ist, den einzelnen Akteuren in der Praxis jedoch viel abverlangt wird.

Erfahrungen mit der neuen Struktur

Beginnen wir mit einigen Beobachtungen zum Dekan. Der Dekan sollte seine Führungsaufgabe aus einer gewissen Distanz heraus erfüllen und sich in erster Linie mit den wichtigsten Entwicklungen innerhalb des pri- mären Prozesses und der Betriebsführung befassen. Die Praxis zeigt, dass der Dekan sich vor allem mit der Funktion der Abteilungsvorsitzenden

188 die hochschule 1/2005 schwer tut, die als „Chef“ des wissenschaftlichen Personals auftreten. Des Weiteren ist die Zuweisung des wissenschaftlichen Personals an die un- terschiedlichen Fachbereiche, die der Vorsitzende der Abteilung durch- führt, eine Aufgabe, die eine hohe Interaktion mit dem Dekan erforderlich macht, der darauf zu achten hat, dass sich die Fakultät in wissenschafts- programmatischem Sinn gut entwickelt. Auch die direkte Zuweisung des Haushalts an die Institutsdirektoren ist eine Quelle des Unfriedens für den Dekan. Er fühlt sich in seinen Befugnissen behindert, weil einem seiner Auffassung nach untergeordneten Mitarbeiter – dem Direktor eines Insti- tuts – Geld zuerkannt wird, ohne dass er Einspruchsmöglichkeiten hätte. Dadurch hat der Dekan nicht genügend Entscheidungsfreiheit, auch dort nicht, wo seiner Meinung nach Ausbau oder Abbau von Aspekten des primären Prozesses angezeigt wären. Beim Entwurf des Modells ging man davon aus, dass der Dekan für die Prozesse innerhalb der Fakultät richtungweisend sein solle und in Ausnahmefällen, falls Abteilungsvorsitzende und Institutsdirektoren nicht zu einem gemeinsamen Standpunkt kommen können, auch als Entschei- dungsträger auftritt. Ferner muss er die Ausführung der vom Vorstand aufgestellten Regeln beaufsichtigen. Am einfachsten verlief die Einführung des Modells für die Durchfüh- rung der primären Prozesse Forschung und Lehre. Die Forschung war (vor allem in der naturwissenschaftlichen Fakultät) häufig bereits pro- grammatisch gruppiert, die Gruppen bildeten die einzelnen Forschungsin- stitute. Die Aufgabe eines Forschungsdirektors wurde meist aufgrund er- worbener Autorität von einem der Programmleiter übernommen. Dabei ist anzumerken, dass diese programmatische Gruppierung in den Geis- teswissenschaften durch die seit alters stark individuell ausgerichtete For- schung wesentlich schwieriger zustande kam. Die Bildung von Lehrinsti- tuten orientierte sich an den Fachbereichen. In manchen Fakultäten wur- den breit ausgerichtete Lehrinstitute gebildet, um dem Volumenaspekt genügend Rechnung zu tragen. Die Finanzierung der Institute wird näm- lich anhand der erbrachten Lehrleistung ermittelt, die sich über die von den Studenten erworbenen Studienpunkte errechnet. Ein Lehrinstitut, das der Lehrverpflichtung überdurchschnittlich gut nachkommt, erhält somit mehr Geld als ein Institut, an dem viele Studenten dem Unterricht aus un- terschiedlichsten Gründen fernbleiben. Für die Stelle des Lehrinstitutsdi- rektors gab es in der Dozentenschaft erhebliches Interesse. Die besondere Anziehungskraft ergab sich daraus, dass der Vorstand dem Institut das die hochschule 1/2005 189 Geld direkt bewilligt, wodurch sozusagen ein eigener Betrieb gegründet werden kann. Viel schwieriger war es, gute Abteilungsvorsitzende zu finden. Ange- sichts der Aufgabenstellung müssen die Abteilungsvorsitzenden hoch qualifizierte Professoren sein. Man verfügte zwar über Personal, die Tat- sache jedoch, dass man das Geld für die Bezahlung dieses Personals von den Institutsdirektoren erhält – die Abteilung ist nach diesem Modell eine Art internes Zeitarbeitsbüro für wissenschaftliches Personal – stellt eine ernst zu nehmende Behinderung dar. Außerdem wurde die Rolle der Ab- teilungsvorsitzenden von einigen Dekanen als Bedrohung für die eigene Position angesehen. Schließlich ist der Abteilungsvorsitzende in erster Instanz für das Personal verantwortlich und nicht der Dekan. Dies und die Tatsache, dass der Abteilungsvorsitzende für die fachliche Entwicklung in seiner Abteilung verantwortlich ist, kann zu einer komplizierten Be- ziehung zwischen ihm und dem Dekan führen. Die schwierige Erfüllung der Position des Abteilungsvorsitzenden führte vielfach dazu, dass entweder der Dekan selbst die Funktion des Abteilungsvorsitzenden übernahm oder dass ein weniger qualifizierter Akademiker zum Abteilungsvorsitzenden ernannt wurde. Dieser Funkti- onsträger erwarb sich jedoch in der Regel zu wenig Autorität, sodass er sich auf die Macht des Dekans berufen musste, um seine Aufgabe ord- nungsgemäß erfüllen zu können.

Unterschiede zwischen den Fakultäten

Weitere Beobachtungen über die Funktionsfähigkeit des Modells bezie- hen sich auf die jeweiligen Fachbereiche: Geisteswissenschaften, Natur- wissenschaften, Sozialwissenschaften und Medizin. In geisteswissenschaftlichen Fakultäten gibt es traditionell ein um- fangreiches und starkes Lehrangebot. Die Forschung ist in der Regel in- dividuell ausgerichtet und, im Vergleich zu den Naturwissenschaften, vom Volumen her begrenzt. Die Anforderungen, die der Direktor eines Lehrinstituts hinsichtlich der Bereitstellung von Personal an die Abtei- lung hat, sind deutlich höher als die des Forschungsdirektors. Das hatte zur Folge, dass der Einfluss des Lehrdirektors auf die Abteilung so groß wurde, sodass die Position des Abteilungsvorsitzenden in Bedrängnis ge- riet. Der Lehrdirektor bestimmte eigentlich, wer in welchem Umfang am Institut arbeitete. Das Forschungsinteresse und die Auffassungen des Ab-

190 die hochschule 1/2005 teilungsvorsitzenden zum Human Resource Management wurden dabei untergeordnete Aspekte. Um dieses Problem zu vermeiden, wurden im Laufe der Zeit größere Abteilungen mit über 100 Mitarbeitern gebildet, in denen de facto der Dekan den steuernden Einfluss ausübte. Der Dekan wurde gleichsam der Abteilungsvorsitzende. Durch das zunächst zersplit- terte Forschungsprofil stellte sich die Bildung eines Forschungsinstituts mit einem einheitlichen Programm als mühevolles Unterfangen heraus. Schließlich wurde für die gesamte Fakultät ein einziges Forschungsinsti- tut gebildet, in dem im Laufe der Jahre die Kohärenz des Forschungspro- gramms stark zugenommen hat. In den naturwissenschaftlichen Fakultäten ist das Verhältnis zwischen Lehre und Forschung genau umgekehrt wie in den geisteswissenschaftli- chen Fakultäten. Dort genießt die Forschung deutlichen Vorrang. Für den Ruf der Fakultät (das internationale „Ranking“) spielt die Anstellung von Spitzenforschern eine so große Rolle, dass die Auswahl der Mitarbeiter eher auf der Forschungsleistung als auf deren didaktischen Fähigkeiten beruht. Die Forschungsinstitute haben durch ihren großen Umfang und ihr Ansehen in der Praxis die Funktion einer Abteilung übernommen. Formal gibt es eine Trennung zwischen Institut und Abteilung, in der Praxis jedoch fungiert der Direktor des Forschungsinstituts als Abtei- lungsvorsitzender. Um dem HRM gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, wurde einer der anderen mit dem Forschungsinstitut verbunde- nen Professoren mit der Personalverwaltung betraut. Dadurch wurde die Position der Lehrinstitute verletzbar. Überspitzt formuliert: Der For- schungsdirektor bestimmt, wer unterrichtet. Die Folge des stark in Rich- tung Forschung verschobenen Gleichgewichts ist, dass die Position des Dekans, die von Haus aus sehr einflussreich ist, nochmals gestärkt wurde. Da der Dekan nicht direkt mit den Lehr- und Forschungsinstituten ver- bunden ist, kann er das Verhältnis von Lehre und Forschung aus einer gewissen Distanz überwachen. Sollte der Einfluss der Forschung zu groß zu werden, steuert er in Richtung Lehre gegen. Bei den Sozialwissenschaften wird das Gleichgewicht von Forschung und Lehre als recht ausgewogen angesehen. Auch wenn es von Fach zu Fach sicherlich Unterschiede gibt. Dadurch hat sich die Organisation in diesem Bereich am deutlichsten gemäß den Vorgaben entwickelt hat. Lehr- und Forschungsinstitute sind gleichermaßen ausgeprägt. Daneben gibt es gut funktionierende Abteilungen.

die hochschule 1/2005 191 Allerdings zeigt sich, dass das Interesse an der Position des Abtei- lungsvorsitzenden bei den Professoren allmählich abnimmt. Dies hat zwei Gründe. Einerseits kommt die eigene Wissenschaftsausübung durch die zeitliche Belastung, die mit dem Abteilungsvorsitz einher geht, in Be- drängnis, andererseits macht man die Erfahrung, nicht selbst über den Personalhaushalt verfügen zu können, was wiederum daran hindert, aktiv Beschlüsse zu fassen. Aus Mangel an motivierten Professoren wurde in einigen Fällen ein älteres Mitglied aus dem wissenschaftlichen Mittelbau in die Position des Vorsitzenden erhoben. Das Ergebnis dieser Entwick- lung ist, dass sich der Dekan mehr um alltägliche personelle Angelegen- heiten kümmern muss als bei der Einführung des Lenkungsmodells ge- plant. Zum Abschluss die medizinische Fakultät. Bei der Einführung des neuen Lenkungsmodells 1997 entstand bei der medizinischen Fakultät ein ganz eigenes Problem. Wie bereits beschrieben, wurden in dieser Fakultät bereits 1995, also schon vor der Gesetzesänderung von 1997, organisato- rische Änderungen umgesetzt, die jedoch weniger tiefgreifend waren, als es die Gesetze von 1997 ermöglichten. Nachdem 1995 die Ernennung einer professionellen Leitung für Fa- kultät und Klinik beschlossen worden war, bei der also der Dekan der Fakultät gleichzeitig Vorsitzender der Klinik wurde, hat man sich nach einer einschneidenden Reorganisation für ein Lenkungsmodell entschie- den, das sich nicht nahtlos in die Pläne fügte, die 1997 für die Universität als Ganzes beschlossen wurden. Das es nicht wünschenswert war, diese für die medizinische Fakultät und die Universitätsklinik geschaffene ge- meinsame Organisationsstruktur nach kurzer Zeit schon wieder zu verän- dern, entschloss man sich, die leicht abweichende Struktur zu akzeptie- ren. In der Medizin sind Lehre und Forschung so organisiert, als handele es sich ausschließlich um klinische Lehre und Forschung. An Stelle eines komplexen Systems wurden sechs Divisionen gebildet, die Forschung, Patientenbetreuung und – sofern zutreffend – Lehrpersonal zur Verfü- gung stellen. Für die nicht-klinische Forschung wurde analog der klini- schen Struktur ebenfalls eine Division eingerichtet. Von den Divisionen aus werden je nach Bedarf Dozenten für den Unterricht rekrutiert. Diese Dozenten sind im Lehrinstitut Medizin zusammengefasst. Die vom De- kan berufene Leitung dieses Instituts ist für die Qualität des angebotenen Unterrichts verantwortlich.

192 die hochschule 1/2005 Jede Division steht unter der Leitung eines Professors, der für sämtli- ches Handeln in der Division die Verantwortung trägt. Bei der Verwal- tung der zugewiesen Mittel unterstützt ihn ein leitender Direktor. Abwei- chend vom Lenkungsmodell wurden keine Abteilungen für die Personal- verwaltung und die Entwicklung der Fachbereiche gebildet. HRM und die Entwicklung der Fachbereiche erhalten innerhalb der verschiedenen Fachbereiche Gestalt. Der Dekan der Fakultät, gleichzeitig Vorstandsvor- sitzender der Klinik, überwacht die Qualität von Forschung und Lehre innerhalb einer Fakultät aus der Ferne. Die im Modell von 1997 skizzier- te Rolle des Dekans kommt in dieser Fakultät gut zu ihrem Recht. Angesichts der positiven Erfahrungen mit der medizinischen Fakultät und der Klinik gibt es vorerst keine Pläne, etwas an der Struktur zu än- dern. Ein Punkt, dem im Hinblick auf die künftige Entwicklung beachtet werden sollte, ist die Gefahr einer zu geringen Interaktion mit den ande- ren Fakultäten der Universität. Vor allem bei der Entwicklung der For- schung droht mitunter eine zu starke Fokussierung auf medizinische Fa- kultät und Universitätsklinik. Dadurch könnten Entwicklungen an ande- ren Fakultäten (vor allem Naturwissenschaften, aber auch den Sozialwis- senschaften), die für die Weiterentwicklung der medizinischen Forschung wichtig wären, nicht rechtzeitig signalisiert werden. Die Zusammenarbeit von medizinischer Fakultät und Universitätsklinik wie bei der Universität von Amsterdam könnte bei unzureichender Beachtung des Austauschs mit anderen Fakultäten dazu führen, dass medizinische Fakultät und Uni- versität auseinander driften.

Schlussfolgerung und mögliche künftige Entwicklung

Im Vorangegangenen habe ich die Erfahrungen mit der Implementierung wichtiger organisatorischer Veränderungen innerhalb der Universität von Amsterdam dargelegt, die ich während meiner Arbeit als Generalsekretär der Universität wahrgenommen habe. Eine klare Zäsur war der Abschied vom Rätesystem im Jahre 1997. Damit wurde dem Wunsch vieler ent- sprochen, ein System hinter sich zu lassen, in dem man unendlich viel Zeit in Sitzungen und etlichen Kommissionen und Räten verbrachte, ohne zu wissen, wer für das, was passieren sollte, verantwortlich war. Die dar- auf folgende starke Hierarchisierung der Universität hat ohne Zweifel we- sentlich deutlicher gemacht, wer für welchen Teilaspekt des Universitäts- betriebs zuständig ist. Die Zeit, die man in Sitzungen und Besprechungen

die hochschule 1/2005 193 zubringt, hat sich wesentlich verringert. Infolgedessen wurde die Effi- zienz erhöht und die Qualität von Lehre und Forschung kann stärker be- rücksichtigt werden. Ein Nachteil der heutigen, straffer organisierten Uni- versität ist, dass die Kommunikation zwischen den verschiedenen Organi- sationsebene bedeutend schwieriger verläuft als zur Zeit der Rätestruktur. Die Mischung aus Studenten, wissenschaftlichen und nicht wissenschaft- lichem Mitarbeitern in jedem der Räte sorgte durch die gemeinsamen Diskussionen für einen Wissensaustausch, den es heute nicht mehr gibt. Ich muss feststellen, dass vor allem das Engagement der Studenten bei der Leitung von Universität und Fakultät stark abgenommen hat. Falls kein Weg gefunden wird, hier etwas zu ändern, kann das auf lange Sicht zu ei- ne unerwünschten Radikalisierung führen, wie wir sie in den sechziger Jahren erlebt haben. Eine weitere Folge der mitunter mangelhaften Kom- munikation mit den Studierenden ist, dass die Universitätsleitung (sowohl der Vorstand als auch die Dekane) unzureichend darüber informiert ist, was in Studentenkreisen aktuell ist. Es würde mich nicht wundern, wenn in einigen Jahren Vorschläge gemacht werden, Studenten wieder intensi- ver am Beschlussfassungsprozess der Universität teilhaben zu lassen. Die Einrichtung des Berufsdekans wird im Allgemeinen positiv gese- hen. Die Anwesenheit einer Person, die eine klare und umfassende End- verantwortung für das hat, was in der Fakultät geschehen muss, verbes- sert die Nachvollziehbarkeit der letztendlich zu Beschlüssen führenden Beurteilungsprozesse. Die Tatsache, dass der Dekan nicht mehr von der Fakultätsgemeinschaft, sondern vom Vorstand ernannt wird, verursachte anfangs Unruhe und Widerstand. Dieser verebbte jedoch schnell, als sich zeigte, dass der Vorstand für eine Ernennung auch hinsichtlich des wis- senschaftlichen Hintergrundes hohe Anforderungen an den Bewerber stellte. Zugegebenermaßen verläuft die Anstellung von Bewerbern, die nicht aus den eigenen Reihen stammen weniger selbstverständlich als bei Bewerbern, die einen internen Hintergrund haben. Auch wenn es im Moment noch zu früh für fundierte Prognosen ist, stelle ich fest, dass Neuernennungen im Gegensatz zu früher ausnahmslos Bewerber mit ei- nem Hintergrund an der Universität von Amsterdam betreffen. Immerhin sind diese neu ernannten Dekane dadurch schneller mit der Fakultät ver- traut als es bei ihren Vorgängern der Fall war. Die Änderung der Position des einzelnen Professors ist möglicherwei- se eine der einschneidendsten Veränderungen gewesen, die stattgefunden haben. Dass ihr Tun und Lassen auf einmal beurteilt wurde, dass sie nicht

194 die hochschule 1/2005 mehr die Freiheit hatten, ihre Arbeit völlig selbstständig einzuteilen, wurde anfänglich mit Unglauben und Widerstand quittiert. Die Ge- schwindigkeit, mit der sich dieser Widerstand legte, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die Professoren als Mitarbeiter der Universität schnell eingesehen haben, dass ein normales Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber Universität angemessen und gerechtfertigt ist. Sicherlich spielt dabei auch eine Rolle, dass jeder Mitarbeiter der Universität – auch der Dekan – jährlich eine Beurteilung seiner Arbeit erhält und festgesetz- te Arbeitszeiten respektieren muss. Es gab keinen überzeugenden Grund dafür, den Professor als „Untergebenen“ des Dekans nicht in diese Ver- fahrensweise einzubeziehen. Das neue System hat meines Erachtens zur Gesundung der Universität als Betrieb beigetragen, für den auch öffent- lich Verantwortung abgelegt werden muss. Die Lehr- und Forschungsinstitute erfreuen sich mittlerweile inner- halb der Universität im Allgemeinen breiter Zustimmung. Die Direktoren dieser Institute, denen die interne Qualitätssicherung obliegt, inspirieren, wenn sie ihre Aufgabe gut erfüllen, auch ihre Mitarbeiter. Besonders bei den Studenten galt die Einrichtung der Lehrinstitute als Beweis dafür, dass die Lehre innerhalb der Universität als ein gleichwertiger Faktor ne- ben der Forschung angesehen wird. Die Lehrinstitute haben in der Praxis bewiesen, dass in ihnen die Diskussion über mit dem Unterricht zusam- menhängende Probleme auf einem hohen Niveau stattfinden kann. Not- wendige Veränderungen wurden mit Tatkraft und, wenn nötig, schnell durchgeführt. Die Sensibilität für die Dinge, die in der Lehre modifiziert werden müssen, ist in der heutigen Struktur besser entwickelt, als in der vor 1997, wo man Lehre und Forschung innerhalb einer einzigen Einheit, der Fachgruppe, bewältigte. Bezüglich der Forschungsinstitute ist anzumerken, dass sie mittler- weile eine wichtige Funktion bei der deutlichen Formulierung von For- schungsprogrammen der Fakultäten spielen. Das war bereits bei der na- turwissenschaftlichen und der medizinischen Fakultät der Fall, wo die Forschungstradition viel stärker als in anderen Fakultäten ausgeprägt ist. Zugleich stelle ich fest, dass die von den staatlichen Forschungsorganisa- tionen definierten Forschungsschwerpunkte auch einen wichtigen Faktor bei der Formulierung kohärenter Forschungsprogramme der Fakultäten darstellen. Das Vorhandensein einer gut funktionierenden fakultären For- schungsorganisation innerhalb des Forschungsinstituts macht es viel ein- fachrer, adäquat auf staatliche wie europäische Forschungsimpulse zu re- die hochschule 1/2005 195 agieren. Die Klarheit der Organisationsstruktur von Lehre und Forschung innerhalb der Fakultäten als Folge der Schaffung der Lehr- und For- schungsinstitute ist meines Erachtens ein deutlicher Gewinn gegenüber der Struktur von vor 1997. Abschließend noch eine Bemerkung zu den Abteilungen, in denen das gesamte wissenschaftliche Personal der Fakultät zusammengefasst ist und wo die fachliche Entwicklung der Fakultät stattfindet. Ich habe erläutert, dass es im Laufe der Jahre immer schwieriger wurde, hochqualifizierte Abteilungsvorsitzende anzuwerben. Auch die manchmal auftretenden Spannungen mit der Rolle des Dekans habe ich dargestellt. Ferner kons- tatiere ich, dass in einigen Fakultäten die Ausstrahlung der Abteilung in der Empfindung der Mitarbeiter viel weniger vital ist, als dies bei den In- stituten der Fall ist. Meiner Auffassung nach tritt bei einer Fakultät mit einem Berufsdekan und mit einflussreichen Abteilungsvorsitzenden auf Dauer das Phänomen der „Überorganisation“ auf. Längerfristig erwarte ich, – dass man sich entweder für eine Fakultätsstruktur entscheiden wird, in der der Berufsdekan auch als Abteilungsvorsitzender auftritt. Selbst- verständlich muss er (oder sie) dabei hinsichtlich der HRM-Aspekte von einer kompetenten Personalabteilung unterstützt werden. Die Entwicklung der Fachbereiche wird mit inhaltlicher Ausfüllung aus den Instituten heraus ebenfalls auf der Ebene des Dekans zu formulie- ren sein. – Oder dass beschlossen wird, die Fakultätsstruktur aufzulösen und die Abteilungen als Lenkungseinheiten für Forschung und Lehre fungie- ren zu lassen. In diesem Fall wird eine Lenkungsebene, nämlich die des Dekans, aus der Universität verschwinden und die Kontakte fin- den direkt zwischen Vorstand und Abteilungen statt. Die Zahl der Ab- teilungen wird in einem ausgewogenen Verhältnis zu einem akzeptab- len Span of Control für den Vorstand stehen müssen.

196 die hochschule 1/2005 „Hauptsache irgendetwas mit Medien“ Eine Analyse des Informationsverhaltens von Studieninteressierten

Tilo Hartmann Studieninteressierte stehen einer verwir- Jan Blume renden Vielfalt an Studienangeboten Björn Sjut gegenüber. Dieser Umstand gilt insbe- Hannover sondere für den Medienbereich, da hier die Zahl der angebotenen Studiengänge

(im Folgenden kurz als „Medienstu-

diengänge“ bezeichnet) während der letzten zwanzig Jahre sprunghaft angestiegen ist. Eine Analyse des Me- dienbereichs kann daher einen exemplarischen Ausblick auf andere, ins- besondere neue und dynamische Studienfelder eröffnen. Die Studieninte- ressierten stehen vor der schwierigen Aufgabe, einen systematischen Ü- berblick über die Studienlandschaft zu erlangen, bevor Sie sich für einen Studiengang bewerben. Daher sind sie im hohen Maße auf Informations- quellen angewiesen, um sich Einblicke in die Studienlandschaft zu ver- schaffen. Ob dies gelingt und die potenziellen Bewerber die erhofften Informa- tionen in ihrem Suchprozess erhalten, ist nicht nur für die Studieninteres- sierten, sondern auch für die Hochschulen eine relevante Frage (Niedtidt & Meißner 1995). Denn diese besitzen in der Regel ein Eigeninteresse, dass ein ‚geeigneter‘ Ausbildungsweg beschritten wird. Schließlich ist nicht nur davon auszugehen, dass sich die Abbrecherquote unter den Stu- denten verringert, wenn bereits im Vorfeld zutreffende Vorstellungen vom zukünftigen Studiengang bestehen (Bergmann 1992). Vielmehr dürften die Motivation und Zufriedenheit der Studierenden generell grö- ßer sein, wenn der Studiengang den Erwartungen entspricht. Da die Hochschulinformationspolitik und die eigenständige Rekrutierung von Studenten im Licht der aktuellen Debatte um eine Ausweitung der Hoch- schulautonomie an Relevanz gewinnt (vgl. Kreckel 2002; Richtig unter Dampf 2004), dürfte in der Folge die Frage noch wichtiger werden, wie Studienanfänger zu ihrem Medienstudiengang gefunden haben und wel-

die hochschule 1/2005 197 che Kommunikationskanäle von den Studieninteressierten auf ihrer Su- che nach einem geeigneten Medienstudiengang genutzt werden. Bislang ist jedoch über das Informationsverhalten von potenziellen Medienstu- denten kaum etwas bekannt. Das Folgende lässt sich, stark zusammenge- fasst, aus Theorie und Empirie ableiten: 1. Die Ausgangslage der meisten Studienberechtigten ist durch ein diffu- ses Interesse und einen geringen Informationsstand bei gleichzeitigem hohem und persönlich bedeutsamen Entscheidungsrisiko und daraus resultierenden Unsicherheitsgefühlen gekennzeichnet (vgl. Atkin 1973; Kulthau 1993). Die Motivation, aktiv Informationen zu dem persönlich relevanten Gegenstand zu beziehen, um den eigenen Kenntnisstand zu verbessern, ist daher bei den Studienberechtigten besonders ausgeprägt (vgl. Atkin 1973). Das diffuse Ausgangsinteres- se schlägt sich auch in der Präferenzbildung nieder, welche den Aus- wahlprozess begleitet. So ist es den Studieninteressierten bei der Stu- dienwahl zum Beispiel wichtiger, dass ein Studiengang eine Vielfalt beruflicher Möglichkeiten eröffnet, als dass er einen spezifischen Be- rufswunsch erfüllt (Bargel, Ramm & Multrus 2001). 2. Zwischen der durch Unsicherheit geprägten Ausgangssituation und der endgültigen Studienentscheidung durchläuft der Informationspro- zess verschiedene Phasen, in denen sich die aufgesuchten Informatio- nen und Quellen ändern können (vgl. Raffeé 1969; Atkin 1973; Kulthau 1993; Tutt 1997). Zu Beginn dient die Informationssuche z.B. zunächst einer groben Sichtung an Studienbereichen. Diese Phase ist nach Kulthau (1993) als zu bezeichnen. Die in dieser „Exploring“- Phase (Kulthau 1993, S. 343) aufgesuchten Informationen dienen da- bei vornehmlich strukturierenden Zwecken. Sie lassen sich mit Atkin (1973) als „guidance information“ (S. 214) bezeichnen, die bezogen werden, um grob die ‚Spreu vom Weizen zu trennen’. Mit fortschrei- tendem Suchprozess werden die aufgesuchten Informationen spezifi- scher und konkreter. In dieser „Bestätigungsphase“ (Tutt 1997, S. 7) nehmen sie den Charakter von Entscheidungsinformationen an (vgl. Raffeé 1969). 3. Der Suchprozess wird auch von Motivationen beeinflusst, aufgrund derer sich Studieninteressierte bestimmten Studiengängen zuwenden (vgl. Heublein & Sommer 2002; Sandberger 1992). Bei der Studien- wahl erweisen sich dabei ideelle Motive wie das subjektive Interesse am Fach oder die eigene Begabung als wichtigste Zuwendungsmotive,

198 die hochschule 1/2005 während materielle Motive wie Arbeitsplatzsicherheit und Einkom- menschancen nachgeordnet sind. Ausnahmen finden sich bei einigen Studienrichtungen, z.B. bei Interessenten der Betriebswirtschaftslehre (Bargel, Ramm & Multrus 2001).

1. Methode

Um den Studienwahlprozess potenzieller Medienstudenten zu beleuchten, wurde im Sommer 2003 eine standardisierte Onlinebefragung auf http://www.medienstudienfuehrer.de durchgeführt. Um den Informations- prozesses zu analysieren, erschien dabei in Anknüpfung an vorherige For- schungen die Messung einer Reihe an Merkmalen von Interesse. Abge- fragt wurde das Interesse an Studienrichtungen (unter 11 vorgegeben Medienstudienrichtungen und 15 vorgegebenen anderen Studienrichtun- gen; 5er Skala, 5 = hohes Interesse) und die Wichtigkeit einzelner Ent- scheidungskriterien für die Studienwahl wie die „Qualität der Lehre“ oder das „Hochschulpersonal“ (17 Kriterien) sowie der Kenntnisstand der Be- fragten hierüber. Zudem wurde die Nutzung verschiedener Informations- quellen erfragt (13 vorgegebene Quellen; z.B. in Anlehnung an Tutt 1997; 5er Skala, 5 = häufige Nutzung) sowie nach dem Grad der durch die Nut- zung erhaltenen Hilfe pro Quelle (5er Skala; 5 = sehr geholfen). Ferner wurde die Bestimmtheit der Befragten (d.h. die auf dem subjektiven Kenntnisstand basierende Entschiedenheit bezüglich der Studienwahl) er- hoben (6 intern konsistente Items, z.B. „Ich weiß sehr genau, was mich in den Studiengängen, die mich interessieren erwartet“). An der Befragung nahmen insgesamt 377 Personen teil. Die weibli- chen Befragten überwiegen bei weitem in der Befragung (65% aller Fäl- le). Das Alter der Befragten streut in einem für potenzielle Studienanfän- ger breiten Korridor von 16 bis 46 Jahren (Mittelwert = 21 Jahre; Median = 20 Jahre; Standardabweichung = 3 Jahre). Über die Hälfte der Befrag- ten befindet sich weniger als sechs Monate auf der gezielten Suche nach einem Medienstudiengang. Um „Suchanfänger“ und „erfahrene Sucher“ im Zuge der Datenauswertung miteinander vergleichen zu können, wur- den die Befragten anhand der Dauer ihrer Suche in zwei Gruppen unter- teilt (32,6% = Suchanfänger [Dauer der Suche bis zu 4 Wochen]; 67,4% erfahrene Sucher [Dauer der Suche bis zu 6 Monate und länger]). Um die Gültigkeit dieser Einteilung zu gewährleisten, wurde die Dauer der Suche mit den Antworten der ebenfalls gestellten Frage „Wo würden Sie sich

die hochschule 1/2005 199 persönlich im Suchprozess verorten“ (von 1 = „ganz am Anfang“ bis 5 = „ganz am Ende“) kreuztabelliert. Es zeigt sich, dass sich die Befragten im Durchschnitt bis zu einer Suchdauer von 4 Wochen eher am Anfang der Suche verorten und sich ab einer Suchdauer von bis zu 6 Monaten oder länger eher am Ende des Suchprozesses sehen.

2. Ergebnisse

2.1 Interesse an Studienrichtungen

Die befragten Studieninteressierten zeigen ein sehr breites Interesse an Medienstudiengängen. Sie geben im Durchschnitt mehr als vier Studien- richtungen im Medienbereich an, die für sie interessant sind. Zusätzlich nennt jeder Befragte im Durchschnitt noch fast drei andere Studienrich- tungen, die nicht unmittelbar dem Medienbereich zuzuordnen sind. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Studieninteressierten in ihrer Su- che keine konkrete Studienrichtung präferieren, sondern sich eher von ei- nem unspezifischen Wunsch leiten lassen, „irgendetwas mit Medien“ zu studieren. Sie besitzen ein vergleichsweise breit gestreutes unspezifisches Interesse. Besonders beliebt sind Medienstudiengänge, die einen allgemeinen wirtschaftlichen (Medienwirtschaft/-management, 55%) oder einen ana- lytischen Zugang bieten (Medienwissenschaft, Publizistik/Kommuni- kationswissenschaft, jeweils 51%). Kaum weniger beliebt ist die Studien- richtung Mediengestaltung/Mediendesign (50%), die einen viel stärkeren Praxisbezug besitzt. Die Wenigsten interessieren sich für spezifische Me- dienstudienrichtungen, die an ein medienfremdes ‚Mutterfach’ angedockt sind, wie zum Beispiel Medieninformatik/Multimedia (21%), Medienpä- dagogik (20%) und Medientechnik (18%). Eine Analyse des Interesses an medienfremden Studienrichtungen zeigt, dass als Alternativen zu einem Medienstudiengang eine Vielzahl verschiedener Studiengänge in Betracht gezogen werden, insbesondere in kunst- und kulturwissenschaftlichen Studienrichtungen, sowie in der BWL/VWL und in den Sprachwissen- schaften. Mittels einer Korrespondenzanalyse wurde analysiert, inwiefern sich das Interesse an verschiedenen Medienstudienrichtungen mit dem Inte- resse an anderen, nicht medienbezogenen Studienrichtungen paart und wo sich folglich ‚Interessenbündel‘ bilden. Die Analyse zeigt, dass sich die

200 die hochschule 1/2005 potenziellen Studienanfänger in der Regel für viele unterschiedliche Me- dienstudiengänge gleichermaßen interessieren. Eine Ausnahme bilden je- doch Studieninteressierte, die mit Studienrichtungen wie zum Beispiel Medientechnik oder Medieninformatik liebäugeln und die eine starke Anbindung an ein medienfremdes „Mutterfach“ besitzen. Wer sich für diese Studiengänge interessiert, der besitzt auch eine hohe Affinität zu den „Mutterfächern“ Elektrotechnik und Informatik. Gleichzeitig ist das Interesse an anderen Medienstudienrichtungen recht gering. Ähnliches gilt für Studienbewerber, die an Medienpädagogik interessiert sind und gleichzeitig eine starke Affinität zum Studienfeld Pädagogik/Lehramt aufweisen, sowie für an Medienwirtschaft/Medienmanagement Interes- sierte, die lediglich BWL und VWL als interessante Studiengänge in Er- wägung ziehen. Am ehesten weisen demnach diejenigen Studieninteres- sierten eine spezifische Präferenz auf, die mit den Studienrichtungen Me- dienwirtschaft, Medienpädagogik oder Informatik liebäugeln. Wer mit anderen Medienstudienrichtungen sympathisiert, besitzt in der Regel ein weitaus unspezifischeres Interessenprofil. Potenzielle Studienbewerber, die sich zum Beispiel für Medienstudienrichtungen wie Journalistik, Film oder Publizistik/Kommunikationswissenschaft interessieren, neigen gleichzeitig einem vergleichsweise großen Bündel alternativer Studien- richtungen zu. Ein ähnlich unspezifisches Interessenprofil findet sich bei der Mehrheit der Befragten.

2.2 Entscheidungskriterien für die Studienwahl

Für die Interessenten sind bei der Medienstudienwahl eine Vielzahl von Aspekten relevant, mittels derer sich Studiengänge entlang der eigenen Präferenzen sortieren lassen (Abbildung 1). Als wichtigste Kriterien werden inhaltliche, qualitative Aspekte des Studiums genannt, insbesondere die Qualität der Lehre (93%), der Inhalt der Lehrveranstaltungen (91%), die Praxisnähe des Studienfachs (89%), spätere Berufschancen (86%) sowie das Fächerangebot und die Wahl- möglichkeiten (81%). Für diese als wichtig erachteten Aspekte ist jedoch insgesamt ein vergleichsweise niedriger Informationsstand zu konstatie- ren. Auf der fünfstufigen Skala liegen die Mittelwerte hier zwischen 2,5 und 3,0.

die hochschule 1/2005 201

Abbildung 1: Wichtigkeit der Aspekte in der Medienstudienwahl (Prozentwerte; Basis N=377) und Informationsstand, sofern Aspekt für Befragten wichtig (Mittelwerte)

Gut informiert fühlen sich die Befragten lediglich über die eher formalen Kriterien von Medienstudiengängen, dazu gehören: die Art der Hoch- schule, der Abschluss, der Studienort oder die Zulassungskriterien. Hier liegen die Mittelwerte zwischen 3,3 und 3,8. Jedoch haben diese formalen Aspekte in der Studienwahl längst nicht so eine große Relevanz wie die inhaltlichen Kriterien.

202 die hochschule 1/2005 Diese Hinweise auf Informationsdefizite bei den Befragten verdichten sich durch eine Analyse des Kenntnisstandes im Zeitverlauf. Es zeigt sich zunächst, dass die „erfahrenen Sucher“ plausibler Weise signifikant höhe- re Informationsstände als die „Suchanfänger“ aufweisen, vor allem hin- sichtlich der formalen Aspekte wie Zulassungskriterien oder Art des Ab- schlusses. Hier führt die Informationssuche offenbar zu einer Verbesse- rung des Kenntnisstands. Jedoch: Bei den als besonders wichtig einge- schätzten inhaltlichen Kriterien wie etwa dem Inhalt der Lehre oder die Praxisnähe des Fachs ist der Informationsstand bei den „erfahrenen Su- chern“ kaum höher als bei den „Suchanfängern“ (mit Ausnahme der Qua- lität der Lehre). Bei diesen wichtigen Entscheidungskriterien verbessert sich somit der Informationsstand im Zeitverlauf nur wenig. Dabei dürften gerade diese inhaltlichen Kriterien mit entscheiden, ob aus den Studienin- teressierten nach Wahl eines konkreten Medienstudiengangs auch zufrie- dene und motivierte Studenten werden, die ihren optimalen Ausbil- dungsweg gefunden haben.

2.3 Nutzung, Bewertung und Funktionen von Informationsquellen

In ihrem Such- und Entscheidungsprozess nutzen die Studieninteressier- ten zahlreiche Informationsquellen (vgl. Abb. 2). Eine besondere Bedeu- tung kommt dabei der interpersonalen Kommunikation im persönlichen Umfeld zu (Gespräche mit Freunden, Bekannten, Eltern, Schule etc.). Diese wird zwar von den meisten Personen in Anspruch genommen. Im Vergleich zu einer Reihe anderer Informationsquellen ist die Hilfe, die von Gesprächen mit Freunden oder Bekannten erhalten wird, offenbar aber nur durchschnittlich. Die besten Beurteilungen erhalten Internetan- gebote, wie die Homepages von Hochschulen und Instituten sowie die Online-Datenbank http://www.medienstudienfuehrer.de. Beide werden von den Befragten als Orientierungshilfe und vertiefende Informationsan- gebote zudem häufiger in Anspruch genommen als andere Informations- möglichkeiten von Hochschulen: Gedruckte Materialien, Gespräche mit Mitarbeitern oder Besichtigungen von Hochschulen gelten zwar ebenfalls als hilfreich, werden jedoch nur von vergleichsweise wenigen Studienin- teressierten zur ihrer Information genutzt.

die hochschule 1/2005 203 Abbildung 2: Nutzung (Prozentwerte; Basis N=377) und Bewertung der Informationsquellen, sofern vom Befragten genutzt (Mittelwerte)

Informationsquelle genutzt (in %)

Gespräche mit Freunden, Bekannten B 3,3 87%

Homepages von Hochschulen/Instituten 84% B 4,0

Berichte in den Medien 73%B 3,3

Andere Internet-Seiten 65% B 3,5

Gespräche mit Eltern 64% B 3,0

Allgemeine gedruckte Studienführer 63% B 3,3

medienstudienfuehrer.de 58% B 4,0

Gespräche im schulischen Umfeld 46% B 3,0

Informationen des Arbeitsamtes 46%B 2,7

Gedruckte Informationen von Hochschulen 37% B 3,5

Besuche an Hochschulen 30% B 3,8

Bücher über Medienstudiengänge und -berufe 25% B 3,7

Gespräche mit Hochschul-Mitarbeitern 15% B 3,6

12345 Hat mir gar Bewertung der Hat mir sehr nichtgeholfen Informationsquelle geholfen

In einer weiteren Analyse wurde ermittelt, inwieweit sich die Erwartun- gen der Studieninteressierten an bestimmte Informationsquellen erfüllen können. Hierzu wurde wieder die Gruppe der „Suchanfänger“ von der Gruppe der „erfahrenen Sucher“ unterschieden. Bei den „Suchanfängern“ wurden die Erwartungen an die Informationsquellen ausgewertet. Diese wurden den Bewertungen der „erfahrenen Suchern“ gegenüber gestellt. Insgesamt zeigt sich, dass die Muster der Erwartungen der „Suchan- fänger“ und der Bewertungen der „erfahrenen Sucher“ recht ähnlich sind. Die „Suchanfänger“ können also recht gut einschätzen, welche Gratifika- tionen sie von einer Quelle zu erwarten haben. Es ergeben sich aber auch Unterschiede. So zeigt sich, dass von interpersonaler Kommunikation mit Personen aus dem persönlichen Umfeld (z.B. Freunden, Eltern oder schu-

204 die hochschule 1/2005 lisches Umfeld) kaum eine Hilfe erhofft wird, jedoch die Bewertung nach einer Nutzung im Vergleich zu jenen geringen Erwartungen positiver aus- fällt – allerdings immer noch auf einem deutlich unterdurchschnittlichen Niveau. Ein negatives Bild zeichnet sich für die Informationen der Bun- desagentur für Arbeit ab. Die geringen Erwartungen werden von der sehr schlechten Bewertung noch unterschritten. Für die Angebote der Hoch- schulen ist eine Tendenz erkennbar, nach der die Internet- und Ge- sprächsangebote hinter den Erwartungen zurückbleiben. Ein zielgerichteter Such- und Auswahlprozess umfasst sowohl Kennt- nisse über die Studienlandschaft, als auch die Festlegung auf eine Stu- dienrichtung. Eine notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen In- formations- und Auswahlprozess ist, dass die Bestimmtheit der Studien- interessierten (d.h. die auf dem subjektiven Kenntnisstand basierende Entschiedenheit bezüglich der Studienwahl) im Verlauf der Suche gestei- gert werden kann. In einer Regressionsanalyse zeigt sich, dass sich mit zunehmender Dauer des Suchprozesses die Bestimmtheit der Studieninte- ressierten deutlich erhöht. Neben der Suchdauer sind vier Informations- quellen zu nennen, die einen bedeutsamen Einfluss auf die Bestimmtheit besitzen. Demnach erweist sich für die Studieninteressierten die Nutzung von Internet-Angeboten bzw. Homepages der Hochschulen und Institute als effizient, um die eigene Bestimmtheit zu erhöhen. Darüber hinaus bie- ten sich als weitere relevante Einflussfaktoren die Lektüre von Büchern über Medienstudiengänge sowie Besuche an Hochschulen an. Anschei- nend helfen diese Informationsquellen den Studieninteressierten beson- ders gut bei der Aufgabe, die Studienlandschaft für sich zu strukturieren bzw. konkrete Informationen über Studiengänge zu erhalten und so die eigene Unsicherheit in der Studienwahl zu reduzieren.

3. Fazit

Fasst man die Ergebnisse zur Medienstudienwahl zusammen, dann ist zu- nächst das unspezifische Interesse an Studienrichtungen hervorzuheben. Die weite Streuung der Studieninteressen weist darauf hin, dass die po- tenziellen Studenten insgesamt über zu wenige Detailinformationen ver- fügen, um die existierenden Studienbereiche voneinander abzugrenzen. Die diffuse Interessenslage und die daraus unterstellte wenig zielgerichte- te Suche könnte am Ende zu einer suboptimalen Studiengangswahl und

die hochschule 1/2005 205 zum erhöhten Abbruchrisiko führen. Wer sein Studium nicht beendet, mag von seinem Fach enttäuscht gewesen sein. Und diese Enttäuschung kann bereits in einer schlechten Vorinformation begründet liegen. Hierzu passt, dass gerade diejenigen Quellen nur selten genutzt werden, die den Studieninteressierten durch Detailinformationen eine Präzisierung ihrer Interessen vermutlich ermöglichen könnten – zum Beispiel das Gespräch mit Hochschulmitarbeitern oder ein Besuch der Hochschule. Sofern diese Quellen genutzt wurden, haben sie den Studieninteressierten sehr weiter- geholfen. Die geringe Anzahl an Personen, die von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, deutet aber darauf hin, dass hier Nutzungsbarrie- ren bestehen könnten, seien diese den Studieninteressierten (z.B. einem mangelnden Engagement) oder der Hochschulinformationspolitik (z.B. fehlende Angebote) geschuldet. Weitaus häufiger werden daher leichter zugängliche Quellen genutzt, insbesondere Internetangebote. Sowohl Homepages der Institute als auch umfassende Websites werden von der Mehrzahl der Studieninteressierten nicht nur konsultiert, sondern auch als sehr hilfreich eingeschätzt. Tat- sächlich können sie dazu beitragen, die Bestimmtheit, also den Kenntnis- stand und die Entschlusssicherheit der potenziellen Bewerber, zu erhö- hen. Eine sicherlich bedeutende Informationsquelle wurde dabei in dieser Studie nicht erhoben: Die regelmäßig veröffentlichten Rankings, die über die Güte der angebotenen Studiengänge möglichst objektiv Auskunft ge- ben sollen. Der Einbezug bot sich nicht an, da in den veröffentlichten Rankings bislang ein Großteil der Medienstudiengänge noch nicht be- rücksichtigt wird. In naher Zukunft wird sich dieser Umstand jedoch än- dern (so werden z.B. sozialwissenschaftliche Medienstudiengänge ver- stärkt im CHE-Hochschulranking aufgeführt; siehe http://www.che.de). Es ist anzunehmen, dass sich in der Folge auch im Medienbereich Ran- kings als eine wichtige Informationsquelle für Studieninteressierte etab- lieren. Ob der Informationsprozess der potenziellen Medienstudenten – und sieht man diese einmal exemplarisch für alle Studieninteressierten an – jedoch insgesamt als erfolgreich gelten kann, ist fraglich. Es zeigt sich, dass der Kenntnisstand der Studieninteressierten über die als wirklich wichtig angesehenen Aspekte der Studiengangswahl, namentlich die in- haltlichen Kriterien wie etwa der Inhalt der Lehrveranstaltungen oder die späteren Berufsaussichten, die an einen Studiengang geknüpft sind, im Informationsprozess kaum verbessert werden kann. Auch zu der Qualität

206 die hochschule 1/2005 der Lehre, die die Studieninteressierten als besonders wichtiges Entschei- dungskriterium erachten, sind kaum hinreichende Informationen verfüg- bar. Hier könnte ein Schwerpunkt liegen, an den die zukünftige externe Kommunikation der Hochschulen anknüpfen kann, z.B. durch eine ver- besserte Bereitstellung der gewünschten Inhalte auf entsprechenden In- ternet-Angeboten.

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die hochschule 1/2005 207 MITTEL-OST-EUROPA

Wissenschaft und Technik in Mittel- und Osteuropa Ergebnisse der Transformation und neue Fragen

Werner Meske Wissenschaft und Technik in den mittel- Berlin und osteuropäischen Ländern (MOEL) durchliefen in der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts eine Periode grundle- gender Transformation. Bezogen auf die Vergangenheit war dies die Beseitigung bzw. Umstrukturierung der alten, sozia- listischen Wissenschafts- und Technik(WuT)-Systeme; mit Blick auf das 21. Jahrhundert handelte es sich dabei jedoch um die (oft turbulente) Startphase beim Aufbau neuer nationaler Innovationssysteme. Diese Prozesse sind Gegenstand des kürzlich abgeschlossenen Publi- kationsprojekts „From System Transformation to European Integration. Science and technology in Central and Eastern Europe at the beginning of the 21st century” (Meske 2004). Das Projektergebnis beruht auf langjäh- rigen, teilweise gemeinsamen Forschungen der 17 Autoren aus 16 Län- dern zu dieser Thematik und – analysiert detailliert die WuT-Transformation in 14 Ländern1 bis hin zu den Jahren 2000/2001,

1 Es handelt sich dabei um Russland (Autor: N. Gaponenko), die (L. Kavunenko), Belorussland (G. Nesvetailov/A. Slonimski), Estland (H. Martinson), Lettland (J. Kristapsons), Litauen (I. Dagyte), Polen (J. Kozlowski), die Tschechische Republik (K. Müller), die Slowakei (S. Zajac), Ungarn (J. Mosoni-Fried), Rumänien (S. Sandu),

208 die hochschule 1/2005 – deckt Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede in den Transforma- tionsverläufen auf und – zieht Schlussfolgerungen für die künftige Entwicklung von Wissen- schaft und Technik in den MOEL unter Bedingungen von Globali- sierung und (Ost-)Erweiterung der EU. Einige der zentralen Ergebnisse können hier vor dem Hintergrund refe- riert werden, dass der EU-Beitritt von acht der analysierten 14 Länder im Jahr 2004 ein qualitativ neuer Schritt in der europäischen Entwicklung war. Diese Beitritte eröffnen neue Aussichten für eine erfolgreiche und friedliche Entwicklung in ganz Europa, stellen aber gleichzeitig eine gro- ße Herausforderung dar, insbesondere bezüglich der tatsächlichen und gleichberechtigten Integration aller mittel- und osteuropäischen Länder, ob EU-Mitglied oder nicht, in die diversen europäischen Netzwerke, dar- unter auch in den ‚Europäischen Forschungsraum’.

1. Veränderungen von WuT in den 90er Jahren: ein 3-Phasen-Modell

1.1 Ausgangsbedingungen

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind in der Sowjetunion und spä- ter, nach dem 2. Weltkrieg, auch in anderen sozialistischen MOEL leis- tungsfähige nationale Bildungs- und Wissenschaftssysteme auf- bzw. ausgebaut worden. Diese sehr erfolgreichen Aufholprozesse gegenüber den führenden westlichen Industrieländern, von denen etwa die Erfolge der Sowjetunion insbesondere in der Weltraum- und Raketentechnik zeu- gen (erinnert sei an den ‚Sputnik-Schock’ sowie daran, dass die neue Weltraumstation ISS z.Zt. nur durch russische Raketen versorgt werden kann), kamen jedoch in den 70er Jahren zum Erliegen. Die auf der Grund- lage zentralistischer Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik in allen MOEL entstandenen nationalen Innovationssysteme sowjetischer Prägung erwiesen sich immer weniger in der Lage, den sich technologisch bedingt rasch wandelnden internationalen Herausforderungen am Ende des 20. Jahrhunderts zu entsprechen.

Bulgarien (K. Simeonova), die Bundesrepublik Jugoslawien (D. Kutlaca) und Slowenien (P. Stanovnik). Vergleichende Auswertungen erfolgten durch S. Radosevic und W. Meske. die hochschule 1/2005 209 Das gilt grundsätzlich für alle MOEL, obwohl es in den meisten von ihnen vielfältige Ansätze zur Modernisierung der Wirtschafts- und Wis- senschaftssysteme gab. Im Ergebnis gab es in den einzelnen MOEL am Ende der 80er Jahre, d.h. zu Beginn der Transformation, neben einem auf dem sowjetischen Modell von WuT beruhenden gemeinsamen strukturel- len Erbe auch mehr oder minder starke Abweichungen von diesem Mo- dell und demzufolge landesspezifische Ausprägungen der WuT-Systeme (vgl. Meske 1990). Gerade „vorsozialistische“ Traditionen in WuT und deren Bewahrung, unterstützt durch intensive internationale Kontakte, boten insbesondere in Ungarn und Polen, aber auch in den baltischen Ländern wichtige Ansatzpunkte für frühzeitige Initiativen von Wissen- schaftlern, größere Autonomie zu erringen und wissenschaftliche Gre- mien zu demokratisieren. Dies hat den Verlauf der Transformation in den einzelnen Ländern stark beeinflusst.

1.2 Institutionelle Veränderungen

Das grundlegende Ziel der Systemtransformation in den MOEL war der Übergang zur Marktwirtschaft und zu einer Mehrparteiendemokratie, wo- bei oft führende OECD-Länder als Vorbild dienten. Dieser Übergang er- folgte meist mehr oder minder rasch und konsequent; er wirkte sich er- heblich auf die WuT-Systeme in den einzelnen Ländern aus. Die von Er- fahrungen in Ostdeutschland ausgehende und Länderanalysen der Auto- ren aus den MOEL einbeziehende vergleichende Auswertung institutio- neller Veränderungen von WuT führte Mitte der 90er Jahre zur Entwick- lung eines ‚3-Phasen-Modells’ der WuT-Transformation (vgl. Meske 1998). Die erste Phase umfasste danach die Auflösung und Fragmentie- rung des früheren sozialistischen Systems. Die zweite Phase ist durch die Umstrukturierung und Konsolidierung der verbliebenen oder neu gegrün- deten WuT-Einrichtungen charakterisiert, während in der dritten, ab- schließenden Phase diese einzelnen Teile sich zu einem neuen, besser funktionierendem WuT-System innerhalb eines jeden Landes verflechten und gleichzeitig in internationale wissenschaftliche und technologische Netze eintakten sollten. Die erste Phase der Auflösung und Fragmentierung des früheren WuT-Systems haben alle MOEL in der ersten Hälfte der 90er Jahre durchlaufen. Die Auflösung erfolgte sowohl von oben durch Aufhebung internationaler Verträge (Warschauer Pakt, Rat für Gegenseitige Wirt-

210 die hochschule 1/2005 schaftshilfe, Interkosmos usw.), durch den Zerfall von Staaten (UdSSR, SFR Jugoslawien, ČSSR) und durch die Beseitigung hierarchisch gestal- teter Leitungssysteme in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Aber auch von unten angestoßene Prozesse spielten eine wesentliche Rolle, darunter der teilweise Austausch des Leitungspersonals aus politischen Gründen und vor allem die Emigration von international ausgewiesenen Wissen- schaftlern und der Wechsel von (vorzugsweise) jüngeren Menschen aus der Wissenschaft in lukrativere nichtwissenschaftliche Tätigkeiten im In- und Ausland. Eine Folge und ein typisches quantitatives Merkmal der Auflösung des sozialistischen Systems war die wesentliche Reduzierung der für FuE eingesetzten finanziellen und anderen Ressourcen. Die zweite Phase, die Um- bzw. Neuprofilierung einzelner Einrich- tungen und die Konsolidierung ihrer Arbeit, begann in der ersten Hälfte der 90er Jahre und erstreckte sich in den meisten MOEL bis weit in deren zweite Hälfte. Sie dauerte in Rumänien, Bulgarien und der Ukraine min- destens bis zum Jahr 2000 an und ist in der Bundesrepublik Jugoslawien noch nicht abgeschlossen. Die Länderanalysen haben eine weitgehende Abhängigkeit der Konsolidierung wissenschaftlicher Einrichtungen und ihrer Aktivitäten von Veränderungen in Politik und Wirtschaft aufgezeigt. Nach diesen Befunden waren für die seit Mitte der 90er Jahre wachsen- den Unterschiede zwischen den MOEL weniger wissenschaftsinterne Faktoren, sondern vielmehr die gesellschaftlichen Bedingungen von ent- scheidender Bedeutung. Danach können grundlegende institutionelle Veränderungen in WuT nur dann erfolgreich durchgesetzt werden, wenn neben gesetzlichen und anderen politischen Regelungen auch regelmäßig in einem Mindestumfang finanzielle Mittel für WuT aus dem Staatshaus- halt und von Wirtschaftsunternehmen eingesetzt werden. Letzteres ist wiederum nur dann möglich, wenn dafür neben dem politischen Willen auch die erforderlichen Mittel durch eine Erholung der Wirtschaft und ein zumindest wieder steigendes Bruttoinlandsprodukt (BIP) vorhanden sind. So zeigen die Länderanalysen, dass während der 90er Jahre die vor- handenen Wissenschaftspotentiale relativ wenig Einfluss auf die ökono- mische Entwicklung hatten. Umgekehrt war vielmehr die politische und wirtschaftliche Stabilisierung, die in vielen MOEL erst gegen Ende der 90er Jahre erreicht worden ist, notwendige Voraussetzungen dafür, dass sich Universitäten, Akademien der Wissenschaften und andere öffentli- che Forschungs- und Entwicklungs(FuE)-Institute als autonome Akteure

die hochschule 1/2005 211 mit eindeutig definierten Kompetenzen und Tätigkeitsprofilen behaupten konnten. Der Hochschulbereich, in dem auch private und regionale Einrichtun- gen entstanden, hat dabei in allen MOEL den geringsten personellen Ab- bau erfahren. Wegen steigender Studentenzahlen ist in einigen Ländern das Lehrpersonal angewachsen, während gleichzeitig die Hochschulfor- schung abgebaut bzw. nur durch Übernahme von Akademie-Instituten gestärkt wurde. Im Staats- bzw. öffentlichen FuE-Sektor kam es über- wiegend zum Personalabbau, jedoch zu unterschiedlichen strukturellen Veränderungen. Die Akademien wurden z.B. in Estland als Forschungs- einrichtungen beseitigt, dagegen in der Ukraine als Teil des „nationalen Erbes“ gestärkt. Die früher sehr starken „Wirtschaftszweig-Forschungs- institute“ wurden überwiegend aufgelöst, teilweise in öffentliche For- schungsinstitute bzw. private Unternehmen (in Ostdeutschland als ‚For- schungs-GmbH’ bekannt) und nur selten in betriebliche FuE-Abteilungen umgewandelt. Selbst in Ländern mit leistungsfähigen betrieblichen FuE- Einrichtungen, wie Polen, CSSR und Ungarn, ist die industrielle FuE mit der Privatisierung, Schließung oder Verkleinerung von Betrieben am stärksten abgebaut worden. Die überdurchschnittliche Reduzierung der Industrieforschung war eine weitere wesentliche Gemeinsamkeit bei der Umgestaltung der drei großen FuE-Sektoren während der 90er Jahre. Die dritte Phase kann zur Zeit noch nicht näher beschrieben werden, da sie in den meisten Ländern erst noch bevorsteht und selbst in den diesbezüglich fortgeschrittensten Ländern Ungarn und Slowenien gerade erst begonnen hat. Obwohl fundierte Ergebnisse noch ausstehen, lässt sich bereits jetzt einschätzen, dass der Aufbau neuer, effektiv funktionie- render Systeme in allen MOEL (wie auch in Ostdeutschland) ein schwie- riger und längerfristiger Prozess sein wird, der vor allem durch große Un- terschiede zwischen den einzelnen Sektoren des WuT-Systems und zwi- schen Ländern und Regionen, aber auch durch unterschiedliche internati- onale Einbindungen stark beeinflusst wird (vgl. hierzu Abschn. 2 und 3).

1.3 Strukturelle und quantitative Veränderungen – Unterschiede nach Ländern

Die in den 90er Jahren realisierten ersten beiden Phasen der Transforma- tion sind qualitativ durch institutionelle Veränderungen gekennzeichnet, aber auch quantitativ anhand der Veränderungen im Ressourceneinsatz

212 die hochschule 1/2005 für WuT nachweisbar. Ungeachtet der allgemeinen Trends zum starken Abbau von FuE-Personal in der ersten Hälfte der 90er Jahre (Phase 1) und einer Stabilisierung in der zweiten Hälfte (Phase 2), gab es dabei aber auch beträchtliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern (vgl. Abb. 1). So hatten Ungarn und Polen bereits 1980 ihren Höchststand beim FuE-Personal erreicht und diesen im Gegensatz zu den anderen MOEL schon in sozialistischer Zeit durch Krisen und Reformen bis 1990 etwa halbiert. Hier führten die nachfolgenden Reduzierungen „nur“ zu einem weiteren Abbau um 50%, während in den anderen Ländern diese Quote deutlich höher lag. Ungeachtet dessen liegt der FuE-Personalbestand in- zwischen in allen aufgeführten Ländern nur bei 40-20% des früheren Höchststandes. Das gilt auch für andere, in Abb. 1 nicht enthaltene MOEL und ebenso für Ostdeutschland, jedoch nicht für die Nachfolge- staaten der SFR Jugoslawien, da diese nicht dem sowjetischen Wissen- schaftsmodell gefolgt war.

Abbildung 1: FuE-Personal in 6 MOEL

100%

80%

60%

40%

20%

0% 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 Poland CSSR Czech Republic Slovakia Hungary Romania Bulgaria

die hochschule 1/2005 213 Trotz dieser scheinbaren „Niveauangleichung“ zwischen den Ländern und wesentlicher Gemeinsamkeiten in ihrer institutionellen Transformation, insbesondere bei den Sektoren des Wissenschaftssystems, sind die ver- schiedenen Kurvenverläufe beim FuE-Personal ein weit besserer Indika- tor für die tatsächlichen Veränderungen. So konnte der Personalabbau z.B. in Bulgarien und Rumänien noch nicht gestoppt werden. In Polen und in den meisten anderen Ländern kam er dagegen zum Stillstand, was aber auch nur zur Stagnation beim Personalbestand führte. Lediglich in Ungarn (vor allem durch ausländische Firmen) und in Slowenien (hier vor allem in einheimischen Firmen) gab es neues Wachstum beim (industriel- len) FuE-Personal und -aufwand. Die Abbildungen 2-4 zeigen insofern typische divergierende Entwicklungsmuster; demnach haben sich die Un- terschiede zwischen den MOEL in der zweiten Hälfte der 90er Jahre eher verstärkt, was wiederum Fragen nach der künftigen Entwicklung von WuT in den einzelnen Ländern aufwirft.

2. Wissenschaft und Technik in den MOEL zu Beginn des 21. Jahrhundert

2.1 Konsolidierung der ‘akademischen Wissenschaft’ – anhaltende Schwäche der industriellen FuE

Die Etablierung und Konsolidierung der wichtigsten Akteure in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ist inzwischen in allen MOEL weit fortge- schritten (vgl. EBRD 2000 und 2001). Trotzdem leiden alle Transforma- tionsländer, unabhängig vom Stand ihrer institutionellen Neuordnung, un- ter einer zu geringen Nachfrage der Wirtschaft nach (interner wie exter- ner) FuE. So liegen auch die acht neuen EU-Mitglieder bei den FuE- Ausgaben im Wirtschaftssektor noch weit stärker unter dem EU- Durchschnitt als bei der öffentlichen FuE – hinzu kommt, dass sich diese Tendenz in den letzten Jahren eher verstärkt hat (EC 2002). Die Erfahrungen in Ostdeutschland stimmen diesbezüglich auch nicht optimistisch. Hier ist der Aufholprozess seit 1997 zum Erliegen gekom- men (AG Perspektiven 2001), was auch für das FuE-Personal und die in- ternen FuE-Ausgaben der Unternehmen in Ostdeutschland gilt, bei denen bis 2003 die beträchtlichen Unterschiede zu Westdeutschland nicht ver- mindert werden konnten (vgl. Grenzmann 2004). Der Regierungsberater von Dohnany hat kürzlich nicht nur ein Versagen beim „Aufbau Ost“

214 die hochschule 1/2005 eingeräumt, sondern ihn sogar für die Wachstumsschwäche in Gesamt- deutschland verantwortlich gemacht (vgl. Vestring/Waldermann 2004). Die wieder belebte Strategie der Förderung von „industriellen Leucht- türmen“ (früher hieß es „Kathedralen in der Wüste“) bedeutet de facto ein weiteres Auseinanderdriften von Regionen innerhalb Deutschlands – eine Tendenz, die auch in Mittel- und Osteuropa vorherrscht.

2.2 Widersprüchliche Rolle ausländischer Investitionen für FuE

Diese Tendenz könnte sich noch weiter verstärken, da alle MOEL wie auch Ostdeutschland (vgl. Spielkamp et al. 1998; Herrmann-Koitz et al. 2002) eine sehr spezifische Unternehmensstruktur haben, die starken Ein- fluss auf die industrielle FuE nimmt: Hohe Anteile haben ausländische Tochtergesellschaften, die zwar über moderne Produkte und Technolo- gien verfügen, die sie aber bisher (und wohl auch künftig) nahezu aus- schließlich von ihren Muttergesellschaften beziehen. Die noch erhaltenen, oft schon rekonstruierten und privatisierten (früher volkseigenen) Großbe- triebe bilden eine andere Firmengruppe. Aus Kostengründen haben diese nur selten eigene FuE-Kapazitäten behalten, und sie können aus den glei- chen Gründen auch kaum Aufträge an externe FuE-Einrichtungen verge- ben; wegen fehlender Investitionsmittel sind ihre Innovationsaktivitäten meist begrenzt und selten auf die strategische Nutzung einheimischer FuE orientiert. Die zahlreichen neu gebildeten, nur teilweise innovativen Un- ternehmen, sind meist zu klein und finanziell zu schwach, um FuE in er- heblichem Umfang intern oder extern betreiben zu können. Deshalb kann man selbst in jenen MOEL, in denen inzwischen marktwirtschaftliche Strukturen und neue Betriebe eindeutig dominieren, noch nicht von einer dauerhaften Konsolidierung industrieller FuE- und Innovationsaktivitäten ausgehen. Positive Ausnahmen sind Ungarn, durch den hohen Anteil ausländischer Tochterunternehmen, und Slowenien, mit seinen florierenden einheimischen Betrieben, nicht zuletzt infolge einer klugen Politik der ‚Sanierung vor Privatisierung’. Die Situation in Län- dern wie Rumänien, Bulgarien und der Bundesrepublik Jugoslawien ist weitaus schwieriger, da hier noch keine wirtschaftliche Erholung, besten- falls eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau erreicht wurde. Die Veränderungen im FuE-Personal in Rumänien und Ungarn (vgl. Abb. 2 und 3) veranschaulichen die verschiedenen Tendenzen der bishe- rigen Transformation in den analysierten 14 Ländern. Während in Rumä- die hochschule 1/2005 215 nien infolge einer zögerlichen Reorganisation der Abbau von FuE- Personal nur langsam erfolgte und noch nicht abgeschlossen sein dürfte, hat Ungarn offensichtlich die Talsohle durchschritten. Bemerkenswert ist vor allem das Wachstum der industriellen FuE, deren Anteil allerdings auch hier nur weniger als 40% an der gesamten FuE beträgt. Ungarn ist somit das Parade-Beispiel dafür, dass der anhaltend hohe Umfang aus- ländischer Direktinvestitionen (FDI) in den MOEL einerseits zu einer ra- schen Modernisierung der Betriebe und zur Einbindung dieser Länder in internationale Produktionsnetzwerke geführt hat, dass aber andererseits dieser Einsatz sehr selektiv erfolgte und wenig zur Einbindung ausländi- scher Tochtergesellschaften in nationale Produktions- und Technologie- systeme beigetragen hat. Viele mit ausländischem Kapital gegründete bzw. modernisierte Betriebe bleiben isoliert von ihrer lokalen und regio- nalen Umgebung; die wissenschaftlich-technische Kooperation zwischen ausländischen und einheimischen Firmen ist wenig entwickelt (vgl. auch Günther 2003). Das Risiko der Verfestigung einer „geteilten Wirtschaft“ mit modernen ‚ausländischen’ Betrieben einerseits und rückständiger lo- kaler Industrie und Landwirtschaft andererseits ist in den meisten MOEL demzufolge weiterhin sehr groß.

216 die hochschule 1/2005 Abbildung 2: FuE-Personal in Rumänien nach Sektoren (%) (nach Sandu, 2004)

die hochschule 1/2005 217 Abbildung 3: Polen: FuE-Personal nach Sektoren (%) (nach Kozlowski, 2004)

218 die hochschule 1/2005 Abbildung 4: Wissenschaftler und Ingenieure in FuE-Einrichtungen in Ungarn (nach Mosoni-Fried, 2004)

die hochschule 1/2005 219 2.3 Vor- und Nachteile internationaler Forschungszusammenarbeit

Die internationale Entspannung und die Kooperationsbereitschaft der EU- und OECD-Länder haben dazu geführt, dass Wissenschaftler aus den MOEL schnell Zugang zu internationalen Scientific Communities fanden und starke Impulse für die Transformation ihrer Einrichtungen erhielten. Die Analyse des Publikationsgeschehens verschafft hier Aufschlüsse. Da ein überdurchschnittlicher Anteil höchstqualifizierter Wissenschaftler in der Forschung verblieb und in einigen Ländern ihre Anzahl sogar absolut stieg,1 außerdem frühere politische und andere Hindernisse für die inter- nationale Zusammenarbeit beseitigt wurden, nahm die Anzahl der in in- ternationalen Zeitschriften veröffentlichten Artikel aus den MOEL stark zu. Der Anteil von 30% und teilweise über 50% in internationaler Koau- torschaft veröffentlichten Arbeiten an den Gesamtpublikationen (insbe- sondere der neuen EU-Länder) weist darauf hin, dass zu dieser Entwick- lung „West-“Kollegen als ‚boundary spanners’ erheblich beigetragen ha- ben. Das war auch bei ostdeutschen Wissenschaftlern und Forschungsin- stituten der Fall (vgl. Meske et al. 1997). Die positiven Veränderungen während der 90er Jahre sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass dabei auch spezifische Faktoren, wie die Veröffentlichung von bereits in den 80er Jahren erarbeiteten Ergeb- nissen, wirkten, so dass dieser Trend nicht anhalten muss. Die durch Ab- wanderung international bekannter Wissenschaftler und die Verschlechte- rung der Forschungsbedingungen eingetretenen Rückschläge haben z.B. in den vier europäischen GUS-Ländern, in Bulgarien und der Bundesre- publik Jugoslawien bereits in der zweiten Hälfte der 90er Jahre wieder zu Stagnation und Rückgang bei der Anzahl der vom Science Citation Index (SCI) erfassten Publikationen geführt. In den sechs mittelosteuropäischen Ländern wurde die Anzahl an SCI-Publikationen zwar von 1992 bis 1999 um 4.181 (von 13.561 auf 17.742) erhöht – aber allein durch zusätzliche 4.441 Publikationen in internationaler Koautorschaft (vgl. Czerwon

1 Tatsächlich war in allen Ländern der Abbau von Forschern (scientists and engineers) geringer als der des gesamten FuE-Personals. Insbesondere verringerte sich die Anzahl des höchstqualifizierten Personals (mit wissenschaftlichen Graden ab Dr. aufwärts) nur wenig und in einigen Ländern gar nicht, wenn Abwanderungsverluste durch Neuqualifizierungen ausgeglichen wurden. Insgesamt hat sich dadurch aber die Altersstruktur ungünstig entwickelt und Überalterung ist zu einem ernsten Problem geworden.

220 die hochschule 1/2005 2000). Ähnliches gilt für die baltischen Länder, während Slowenien das einzige Land ist, in dem das Anwachsen der Publikationen nicht allein auf gemeinsame Arbeiten mit ausländischen Wissenschaftlern zurückzu- führen ist. Die internationalen Kontakte waren außerdem personell wie inhaltlich oft einseitig durch Interessen der ausländischen Partner be- stimmt (vgl. Rudolph 1994) und haben wenig zur nationalen Profilierung und zur Vernetzung innerhalb der MOEL beigetragen (Mirskaja 1997 und 1998). Hier zeigt sich eine gewisse Parallele zur zwiespältigen wirtschaft- lichen Entwicklung durch FDI. Die Art der bisherigen internationalen Aktivitäten lässt somit Zweifel aufkommen, ob bereits eine dauerhafte Basis für die gleichberechtigte wissenschaftlich-technische Kooperation innerhalb Europas geschaffen worden ist. Die Ende der 90er Jahre wieder nachlassende Anzahl interna- tionaler Publikationen aus den MOEL lässt vermuten, dass die Phase der Aufnahme in die internationalen Communities erfolgreich durchlaufen wurde. Die künftige Entwicklung wird davon abhängen, wie es Wissen- schaftlern in den MOEL gelingt, leistungsfördernde Forschungsbedin- gungen zu schaffen und sich dabei weniger an internationalen Trends und mehr auf eigene Stärken sowie nationale Bedürfnisse und Prioritäten zu orientieren.2 Gegenwärtig besteht die Gefahr, dass Wissenschaft in den MOEL zu einem reinen Anhängsel der international führenden Forschungszentren wird, wenn sie nicht ihre eigenen Stärken, nationalen Bedürfnisse und Prioritäten in den Vordergrund stellt. Als einen wichtigen Schritt in diese Richtung muss man die erneute Zunahme von Koautorschaften zwischen Wissenschaftlern der MOEL werten. Mit einem Anteil von etwa 5% an allen Publikationen ist ihr Umfang aber eher bescheiden, wenn allein deutsche und US-amerikanische Wissenschaftler einen jeweils mindes- tens 10prozentigen Koautorenanteil in fast allen MOEL haben.

2 “Die Erhaltung und produktive Transformation der russischen Wissenschaft erfordert in erster Linie zweckmäßige staatliche Unterstützung und eine effiziente, auf die rationale Reorganisation des Wissenschaftssystems gerichtete nationale Wissenschaftspolitik. Nur dann können die gegenwärtigen internationalen Kontakte zu einer echten Zusammenarbeit entwickelt werden, die auf Gleichberechtigung beruht und die interessant und von gegen- seitigem Vorteil für alle Beteiligten ist” (Mirskaya, 1998, S. 44).

die hochschule 1/2005 221 3. Ausblick: Welche Zukunft(en) für die Wissenschaft in den MOEL?

Obwohl sich die Situation in den meisten MOEL stabilisiert hat und die Wirtschaft spätestens seit 2000 wieder in allen Ländern wächst (im Jahr 2000 haben erstmals alle diese Länder wieder ein Wachstum des BIP und der Industrieproduktion erreicht; vgl. EBRD 2001), ist nicht klar, ob die Erholung weiter rasch voranschreiten wird und ob alle MOEL für die neuen Herausforderungen beim Übergang Europas zur Wissensgesell- schaft gerüstet sind. Trotz aller Fortschritte ist der Aufbau neuer, moder- ner Innovationssysteme (Phase 3) nicht weit vorangekommen und bleibt eine wichtige Aufgabe in allen Ländern (vgl. EC 1999; Dyker/Radosevic 1999; Meske/Weber 2001). Die EU-Erweiterung verleiht Innovationen und Wissenschaft in den neuen Mitgliedsländern zweifellos neue positive Impulse. Sie stellt nach bisherigen Erfahrungen aber auch eine erhebliche Herausforderung für deren Wirtschaftsentwicklung dar und wird nicht ohne Einfluss auf die neuen direkten Nachbarn der EU bleiben. Die be- reits jetzt erheblichen Unterschiede zwischen den MOEL könnten sich – innerhalb oder außerhalb der EU – weiter verstärken, da selbst innerhalb Deutschlands die FuE-Intensität in der zweiten Hälfte der 90er Jahre nur in den alten Bundesländern, jedoch nicht in den neuen zugenommen hat (Legler et al. 2002, 51). Die WuT-Transformation in den MOEL ist stark durch eine „nachho- lende Modernisierung“ geprägt worden, z.B. bei der Neuordnung der in- dustriellen FuE oder bei der Einführung einer wettbewerblichen Projekt- finanzierung in der öffentlichen Forschung. Damit wurden Mängel des früheren Systems beseitigt, vorhandene Potentiale auf ihre Leistungsfä- higkeit geprüft und an neue Bedingungen angepasst. Diese Prozesse spielten zweifellos eine wichtige und sehr positive Rolle bei der Umges- taltung einzelner Einrichtungen und beim Aufbau neuer Institutionen in allen MOEL in den 90er Jahren. Jetzt kommt es aber darauf an, dass die MOEL den Übergang von ihren früheren, durch ein starkes FuE-Potential und ein lineares „science-push“-Modell geprägten WuT-Systemen zu modernen Innovationssystemen, die das gesamte Spektrum der Innovati- onen beeinflussenden Institutionen und Aktivitäten umfassen, bewälti-

222 die hochschule 1/2005 gen.3 Wachstum in Wissensgesellschaften hängt vor allem davon ab, dass ein leistungsfähiges Wissenschaftssystem eng mit der Wirtschaftsent- wicklung in Wechselwirkung steht. Die generelle Schwäche von FuE im Wirtschaftssektor zeigt, dass diese Verbindung in allen MOEL zu schwach entwickelt ist und somit die Herausbildung neuer regionaler und nationaler Innovationssysteme dort bestenfalls am Anfang steht. Die Suche nach den Ursachen dieser Situation und nach Möglichkei- ten zu ihrer Überwindung tritt damit in den Vordergrund der Transforma- tionsforschung. Dabei wird die Entwicklung neuer und sogar internatio- nal neuartiger Profile von Industrie und Forschung an Bedeutung gewin- nen und oft unerlässlich sein. Der entscheidender qualitative Unterschied beim Übergang von der zweiten zur noch bevorstehenden dritten Phase der Transformation besteht demzufolge darin, angesichts von Globalisie- rung, EU-Erweiterung und einer zunehmenden europäischen Integration neue Perspektiven für Wissenschaft und Technik in den einzelnen MOEL zu finden und solche Strukturen und Profile in Wirtschaft und Wissen- schaft zu entwickeln, bei denen die jeweils vorhandenen Stärken einander ergänzen.

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3 Slavo Radosevic weist in seinem Buchkapitel darauf hin, dass es einen Unterschied gibt zwischen dem Verständnis von Veränderungen des früheren sozialistischen WuT-Systems und dessen verbliebenem Potential für Aufholprozesse einerseits und einem Verständnis von den künftig möglichen Mustern der WuT-Entwicklung in den MOEL andererseits (Radosevic, 2004: 445). Radosevic argumentiert, dass in einer Wissensgesellschaft das Wirtschaftswachstum entscheidend von einem starken WuT-System (oder dem ’engen’ na- tionalen Innovationssystem) und davon abhängt, wie dieses System in die Gesamtwirtschaft eingebettet ist. Unter diesem Blickwinkel wird sich die künftige Rolle von WuT in den einzelnen MOEL wesentlich unterscheiden.

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die hochschule 1/2005 225 Bibliografie: Wissenschaft & Hochschule in Osteuropa von 1945 bis zur Gegenwart1

1. Nachträge: Erscheinungszeitraum 1990 – 19982

Adam, Jan: Planning and Market in Soviet and Eastern European Thought, 1960s – 1992. Palgrave Macmillan Press, Houndmills/Basingstoke/Hampshire/ London 1993. 344 S. ₤ 70,-. ISBN 033 349 0959. Im internationalen Buchhandel. Die Publikation diskutiert die Entwicklungen und Transformation der Ideen und Vorstel- lungen zur Kombination von Plan und Markt in der früheren Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei sowie Ungarn seit dem Beginn der ökonomischen Reformen in diesen Ländern in der sechziger Jahren bis zur beginnenden Transformation dieser Länder in Marktökonomien 1991. Die einzelstaatlichen Entwicklungen werden abschließend einer komperativen Analyse unterworfen.

Wagener, Hans-Jürgen (ed.): Economic Thought in Communist and Post-Commu- nist Europe. Routledge 1998. 400 S. $ 115,-. ISBN 0415179424. Im internationa- len Buchhandel. Die Publikation gibt einen Überblick über die Entwicklung des ökonomischen Denkens in den vormals kommunistischen Ländern Zentral- und Osteuropas während der zurück- liegenden 50 Jahre und bietet eine Analyse des Einflusses der Wirtschaftswissenschaften auf den Reform- und Transitionsprozeß. Aus diesem Grunde wird in sechs Einzelstudien die ökonomische Literatur und ihr Einfluß auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik in Rußland, Polen, Ungarn, der früheren Tschechoslowakei, Ostdeutschland und dem früheren Jugo- slawien zwischen 1945 und 1996 untersucht. So kann gezeigt werden, daß die Entwicklung des ökonomischen Denkens trotz geteiltem marxistischen Paradigma und der Dominanz der Sowjetunion keinesfalls einheitlich war und sich aus diesen nationalen Differenzen Ansatz- punkte ergeben, welche nicht nur die nationalen Unterschiede der Reformdiskurse und Sys-

1 ”Osteuropa” steht an dieser Stelle vereinfachend für die früher sozialistischen Staaten Ost- mittel-, Ost- und Südosteuropas sowie die außereuropäischen Staaten, die vormals als Sowjetrepubliken zur UdSSR gehörten. Formal werden hier selbstständige Publikationen erfasst, d.h. unselbstständig erschienene Zeitschriften- und Sammelbandartikel finden sich nicht berücksichtigt. Thematisch sind Publikationen einbezogen, die sich (a) mit der Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte osteuropäischer Staaten ab 1917 (Sowjetunion) bzw. ab 1945 (alle anderen Länder), (b) mit der Hochschul- und Wissenschaftsentwicklung in Osteuropa seit 1990 sowie (c) mit den west-ost-europäischen Hochschul- und Wissen- schaftsbeziehungen beschäftigen. Berücksichtigung finden Publikationen in deutscher und englischer Sprache. 2 „Nachträge“ bezieht sich auf folgende Veröffentlichung, die an dieser Stelle fortlaufend ergänzt wird: Peer Pasternack: Hochschule & Wissenschaft in Osteuropa. Annotierte Biblio- graphie der deutsch- und englischsprachigen selbständigen Veröffentlichungen 1990-1998, HoF Wittenberg, Wittenberg 1999, 81 S., ISBN 3-9806701-0-4, € 12.50, Bezug bei: HoF Wittenberg, Collegienstr. 62, 06886 Wittenberg.

226 die hochschule 1/2005 temkritiken in diesem Ländern erklären helfen können, sondern auch die Spezifika der na- tionalen ökonomischen Transformationen.

Keen, Mike Forrest/Janusz L. Mucha (Eds.): Eastern Europe in Transformation. The Impact on Sociology (Contributions in Sociology 109). Greenwood Press, Westport, CT/London 1994. 224 S. $ 95,00. ISBN 0-313-28375-3. Im internatio- nalen Buchhandel bzw. über http://www.greenwood.com/books/BookDetail.asp? dept_id=1&sku=KEO/&imprintID=I1 Der Sammelband untersucht die Geschichte der Soziologie in den kommunistischen Ländern Osteuropas bis zum Begin der Perestroika. Die Beiträge im einzelnen: “Eastern Europe and Its Sociology” (Mike Forrest Keen and Janusz Mucha), “The Metamorphoses of Russian Sociology” (Gennady S. Batygin/Inna F. Deviatko), “Dialectics of Systemic Con- straint and Academic Freedom: Polish Sociology Under Socialist Regime” (Wladyslaw Kwasniewicz), “The Sociology of Reformist Socialism: The Hungarian Model” (Attila Bec- skehazi/Tibor Kuczi), “Sociology as Promise and Reality: The Bulgarian Experience” (Ni- kolai Genov), “Continuity and Discontinuity in Romanian Sociology” (Stefan Costea), “Ups and Downs in Czech Sociology” (Eduard Urbanek), “Sociology in Slovakia: Fiction or Re- ality” (Jan Pasiak/Ladislav Machacek), “East German Sociology: Between the Production of Weltanschauung, Ideological Adaptation, and Empirical Social Research” (Dagmar Simon/Vera Sparschuh), “The Development of Sociology as a Contested Science in Post- World War II Yugoslavia” (Sergej Flere), “Modern Slovenian Sociology” (Maca Jogan), “Sociology as a Mirror of Croatian Society” (Josip Obradovic), “Sociology of Science as the Science of Sociology in Ukraine” (Viacheslav Kudin), “Three Decades of Sociology in Latvia” (Ilze Trapenciere/Maija Ashmane/Janina Krutskih), “Major Features in the Devel- opment of Lithuanian Sociology” (Vladas Gaidys/Anele Vosyliute), “Estonian Sociology: The Emergence of an Empirical Tradition” (Ellu Saar/Mikk Titma/Paul Kenkmann), “So- ciological Theories of Socialist Society” (Bronislaw Misztal).

Graham, Loren R.: Science in Russia and the . A short history (Cambridge history of science). Cambridge University Press, Cambridge 1993. 321 S. $ 59,95. ISBN 0-521-24566-4. Im internationalen Buchhandel. In den achtziger Jahren hatte sich die sowjetische Wissenschaftsgemeinschaft zu der größten weltweit entwickelt, doch die Geschichte der sowjetischen Wissenschaft war weitestgehend unbekannt. Der Band versucht daher, diese Geschichte vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetunion überblicksartig zu rekonstruieren. Dabei steht die Frage, welchen Einfluß die sozialen, ökonomischen und politischen Faktoren auf die Ausbildung wissenschaftlicher Theorien und der russischen und sowjetischen Wissen- schaftsinstitutionen ausübten, im Mittelpunkt des Interesses. Einzelne Kapitel widmen sich der Darstellung der zaristischen Epoche, dem Einfluß der Oktoberrevolution auf die Wis- senschaften, dem Verhältnis der sowjetischen Gesellschaft zur Wissenschaft sowie einer Evaluation der Stärken und Schwächen einzelner wissenschaftlicher Disziplinen (Physik, Mathematik, Biologie, Medizin und Technologie). Abschließend diskutiert der Autor die Veränderungen der Wissenschaften in Rußland und den anderen ehemaligen Sowjetrepub- liken, welche durch den Zusammenbruch des Kommunismus ausgelöst wurden.

Morrissey, Susan K.: Heralds of Revolution. Russian Students and the My- thologies of Radicalism. Oxford University Press, New York 1998. 304 S. $ 45,-. ISBN 019 511 5449. Im internationalen Buchhandel. Unter Verwendung der Methoden der Diskursanalyse untersucht die Autorin die Geschichte des Bewußtseins innerhalb der russischen Studentenschaft sowie die Substanz, Form und die hochschule 1/2005 227 Implikationen des studentischen Radikalismus in den letzten Jahrzehnten des russischen Za- renreichs. Eine zentrale Rolle innerhalb dieser Untersuchung nimmt dabei das Konzept der „vorgestellten Gemeinschaft“ von Benedict Anderson ein, welche die Autorin zu dem Schluß führt, daß sich die studentische Identität dieser Zeit nicht auf geteilte Erfahrungen stützte, sondern sich wesentlich aufgrund des gemeinsamen Ziels einer freieren und gerechteren Gesellschaftsordnung herausbildete. So wurde von vielen Studenten dieser Zeit das Ziel der Ausbildung weniger durch den Erwerb spezifischer Fähigkeit für eine spätere berufliche Karriere definiert, sondern vielmehr als eine Möglichkeit gesehen, eine selbstbe- wußte Identität herauszubilden, welche sich an dem Ziel, die zaristische Ordnung ab- zuschaffen, orientierte.

Tolz, Vera: Russian Academics and the Revolution. Combining Professionalism and Politics (Studies in Russian and East European History and Society). In asso- ciation with Centre for Russian and East European Studies, University of Bir- mingham, Palgrave Macmillan Press, Houndmills/Basingstoke/Hampshire/Lon- don 1997. 236 S. $185,71. ISBN 0-333-71239-8. Im internationalen Buchhandel. Die Publikation setzt sich mit der frühen sowjetischen Periode der russischen bzw. sow- jetischen Akademie der Wissenschaften auseinander und legt dabei den Schwerpunkt der Analyse auf diejenigen Akademiemitglieder, welche bereits vor der Oktoberrevolution der Akademie angehörten und zudem lang genug lebten, um von der Politik der Bolschewiki gegenüber der Akademie betroffen zu werden. Ziel ist es dabei, den Übergang einer Berufs- gruppe von einer politischen Ordnung in die nächste nachzuzeichnen und ihre spezifischen Reaktionen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen deutlich zu machen. Die Arbeit gliedert sich in zwei Abschnitte: Während sich das erste Kapitel ausführlich mit der Geschichte der Akademie der Wissenschaften und ihren Wissenschaftlern vom Vorabend der Revolution bis in die dreißiger Jahre auseinandersetzt und eine Gruppenbiographie der Wissenschaftler sowie eine Beschreibung des Arbeitsumfeldes entwirft, widmet sich der zweite Abschnitt der Ausarbeitung biographischer Profile der fünf sowjetischen Wissenschaftler Nikolai Yakovlevich Marr, Sergei Fedorovich Ol’denbrug, Ivan Petrovich Pavlov, Aleksei Ni- kolaevich Krylov und Vladimir Ivanovich Vernadsky.

Bailes, Kendall E.: Science and Russian culture in an age of revolutions. V.I. Vernadsky and his scientific school, 1863–1945 (Indiana-Michigan series in Russian and East European studies). Indiana University Press, Bloomington/In- dianapolis 1990. 238 S. $ 24,95. ISBN 0-253-31123-3. Im internationalen Buch- handel. Die Biographie zeichnet minutiös das Leben und Wirken des Geologen Vladimir Vernadsky nach. Vernadsky, im zaristischen Rußland bereits angesehener Forscher und Mitglied der Akademie der Wissenschaften, war zum Zeitpunkt der Oktoberrevolution 54 Jahre alt. Als aktiver Sozialist geriet er immer wieder in Konflikt mit der neuen kommunistischen Führung, welche ihn jedoch trotz seiner Renitenz – er gilt als einer der Hauptgegner der kommunistischen Gleichschaltung der Akademie der Wissenschaften am Ende der 20er Jahre – duldete, nicht zuletzt wegen seiner hervorragenden Dienste während der Industrial- isierung. Vernadsky starb 1945. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Konzepte zur Bio- sphäre und Noosphäre, aber auch wegen seines Einsatzes für politische Toleranz gilt er heute als einer der größten intellektuellen Vertreter Rußlands im 20. Jahrhundert.

Read, Christopher: Culture and Power in Revolutionary Russia. The Intelligent- sia and Bolshevism Before Stalinism. Palgrave Macmillan, Houndmills 1990. 264 S. $59,95. ISBN 0333497929. Im internationalen Buchhandel.

228 die hochschule 1/2005 Die Monographie zeigt, daß sich der Aufstieg der Intelligenz und die Prinzipien der sow- jetischen Kulturpolitik früher als bisher vermutet herauskristallisiert hätten und man daher das Aufkommen eines „Proto-Stalinismus“ bereits für das Jahr 1922 ansetzen könne.

Krementsov, Nikolai: Stalinist Science. Princeton University Press, Princeton 1997. 371 S. $14,95. ISBN 0-691-02877-X. Im internationalen Buchhandel. Die Publikation fokussiert in ihrer Rekonstruktion des stalinistischen Wissenschaftssystems auf die Funktionsweise, die leitenden Prinzipien und die standardisierten Rollen und Ver- haltensmuster, welches dieses System seinen Akteuren aufzwang. Dabei werden die über- kommenen Deutungsmuster weitgehenden Revisionen unterzogen: Interpretierten die meis- ten Wissenschaftshistoriker das stalinistische Wissenschaftssystem als eine Auseinander- setzung zweier monolithischer Blöcke – der Partei auf der einen Seite und der Wissen- schaftsgemeinschaft auf der anderen, wobei die Partei einseitig in die Autonomie der Wis- senschaften eingriff –, so versucht der Autor hier einen Ansatz in Anschlag zu bringen, der die Interaktion und wechselseitige Instrumentalisierung zweier heterogener Bereiche in den Vordergrund stellt. Eine solche Konstellation, die der Autor eher als symbiotisch denn als konfrontativ charakterisiert, brachte nicht nur ein System der Kontrolle hervor, welches weit über die Vorstellungen der Vertreter des Totalitarismusansatzes hinausging, sondern er- zeugte im Gegenzug auch einen erheblichen Spielraum und weitgehende Möglichkeiten der Instrumentalisierung der Parteibürokratie durch die Wissenschaftler (auch und gerade in wissenschaftsinternen Auseinandersetzungen), welche ihnen die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen oft in einem größeren Maße erlaubte, als es die Verfechter der Freiheit der Wis- senschaft für möglich halten. Eine solche Symbiose zwischen Wissenschaft und Politik verwischte nicht nur die Grenzen dieser beiden Systeme, sondern erzeugte auch eine ge- meinsame soziale Praxis, welche sich aus einem geteilten Set an Bildern, Ritualen und einer bestimmten Rhetorik zusammensetzte und in spezifischen Formen der Sprache, öf- fentlichem Auftreten und Kritizismus äußerte. Die Gliederung der Monographie folgt der Entstehung, Entwicklung und schließlich der Konsolidierung des stalinistischen Wissen- schaftssystems, wobei der Schwerpunkt auf der Dekade von 1939 bis 1949 liegt, da in die- ser Zeit nicht nur der zweite Weltkrieg und der heraufziehende kalte Krieg die Wissen- schaften massiv beeinflußte, sondern im Jahre 1948 auch die wissenschaftlichen Strukturen geprägt wurden, welche bis hin zum Untergang der UdSSR Bestand haben sollten. In diesen Kontext fällt auch die Ausgrenzung der Genetik aus dem sowjetischen Wissenschaftssystem 1948 – ein Ereignis, welches der Autor nicht als die große Ausnahme, sondern als durchaus paradigmatisches Beispiel der Funktionsweise des stalinistischen Wissenschaftsbetriebs in- terpretiert. Der dritte und letzte Abschnitt skizziert die Konsolidierung des Wissen- schaftssystems in den letzten Jahren der Stalin-Ära und rückt dabei seine internen Mecha- nismen und Dynamiken in den Vordergrund. Abgerundet wird die Monographie durch Chronologien, Kurzbiographien der zentralen Akteure sowie ein Glossar zu spezifischen Ausdrücken der stalinistischen Wissenschaftssprache.

Frenkel, Viktor Iakovlevich: Yakov Ilich Frenkel. His Work, Life and Letters. Birkhäuser, Basel 1994. 332 S. € 110,-. ISBN 3764327423. Im Buchhandel. Mit dieser Publikation legte der Physikhistoriker Viktor Frenkel erstmals außerhalb Rußlands eine umfassende Biographie seines Vaters, des russischen theoretischen Physikers Yakov Frenkel (1894–1952), vor. Sie stützt sich neben zahlreichen Briefen auch auf persönliche Erinnerungen, welche Y. Frenkel nicht nur als Physiker, sondern auch als Mensch, dessen Leben im sowjetischen Staat stets gefährdet war, näherbringt. Yakov Fren- kel schloß seine akademische Ausbildung im Revolutionsjahr 1917 ab, arbeitete dann an verschiedenen Universitäten hatte Dozenturen und Gastprofessuren inne, u.a. in Göttingen und Minneapolis. In die späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, die Jahre der begin- nenden Quantenrevolution und des Aufschwungs der sowjetischen Physik, fallen die die hochschule 1/2005 229 bleibenden Beiträge Frenkel zur Entwicklung der Physik, etwa die Entwicklung des Pho- non-Begriff und das Abfassen verschiedener physikalischer Lehrbücher.

Spurny, Kvetoslav R./Jan C. M. Marijnissen (Eds.): Nicolai Albertowich Fuchs. The Pioneer of Aerosol Science. Biography. Delft, Delft University Press 1998. 82 S. € 22,69. ISBN 90-407-1618-8. Im internationalen Buchhandel bzw. bei Delft University Press, Mekelweg 4, 2628 CD Delft, The Netherlands. Der Band zeichnet Leben und Wirken des „Vaters der Aerosolmechanik“ Nicolai A. Fuchs nach, welche eng mit dem berühmte Karpov-Institut der physikalischen Chemie in Moskau verbunden waren. Neben den wissenschaftlichen und wissenschaftshistorischen Aspekten seines Lebens wird in einem ausführlichen Kapitel „My Husbands Life Story“ von Fuchs’ Frau Marina Guseva-Fuchs ein umfassender Einblick in das private Lebens des Wissen- schaftlers gewährt. Abgerundet werden die Darstellungen durch eine ausführliche Biblio- graphie der Werke Fuchs’.

National Committee for Technological Development Hungary (ed.): Innovation Policy of the Hungarian Government, o.O. [Budapest], o.J. [1993?]. 85 S. Bezug bei: National Committee for Technological Development Budapest, P.O.B. 565, H-374, Hungary. Die Studie dokumentiert verschiedene Aspekte der F&E-Politik in Ungarn und richtet dabei den Fokus vor allem auf den Aspekt der Erneuerung der Organisationsstruktur des Innova- tionssystems im Zuge des Transformationsprozesses, seine Finanzierung und die Integration in internationale wissenschaftliche und technologischen Netzwerke.

2. Publikationen ab 1999

Connelly, John/Michael Grüttner (Hg.): Zwischen Autonomie und Anpassung. Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2003. 285 S. € 40,00. Im Buchhandel. Der Band ist aus einer internationalen Konferenz hervorgegangen, die von den beiden Herausgebern im Mai 2000 an der University of California veranstaltet wurde. In neun Fallstudien untersuchen die Autoren das Spannungsverhältnis von Diktatur und Wissen- schaft bzw. Universität in verschiedenen Ländern. Um die Vergleichbarkeit der einzelnen Studien zu erhöhen, waren die Autoren dazu angehalten worden, eine Reihe gemeinsamer Fragestellungen in ihren Studien zu berücksichtigen. Untersucht wird das Spannungs- verhältnis von Wissenschaft und Diktatur an den Beispielen Italiens, Deutschlands, Spaniens, der Sowjetunion, Chinas, Polens, Ungarns, der Tschechoslowakei und der SBZ/DDR. Die im osteuropäischen Kontext interessierenden Beiträge im einzelnen: „Einführung“ (John Con- nelly), „Das seltsame Schicksal der russischen Universitäten vor und nach der Revolution von 1917“ (Michael David-Fox), „Die kommunistische Idee der Universität – ein von den Erfahrungen in Ungarn inspirierter Essay“ (György Peteri), „Die tschechischen Univer- sitäten unter der kommunistischen Diktatur“ (Jan Havranek), „Die polnischen Universitäten und der Staatssozialismus (1944-1968)“ (John Connelly), „Der Widerstand gegen die Sow- jetisierung der Universitäten und die Umstrukturierung der Hochschulen in China (1949- 1952)“ (Douglas Stiffler), „Zwischen diktatorischer Kontrolle und Kollaboration: Die Uni- versitäten in der SBZ/DDR“ (Ralph Jessen) und „Schlußüberlegungen: Universität und Dik- tatur“ (Michael Grüttner).

230 die hochschule 1/2005 Hochschulrektorenkonferenz (Hg.): International University Cooperation in Border Regions. Presentations in the framework of the International German- Russian Conference Khabarovsk, 9 to 10 September 2002 (Beiträge zur Hoch- schulpolitik 6/2003). Bonn 2003. 70 S. Kostenlos bei: Hochschulrektorenkonfe- renz, Ahrstraße 39, 53175 Bonn; auch unter www.hrk.de In den zurückliegenden zehn Jahren organisierte die Hochschulrektorenkonferenz zusam- men mit ihren Partnern in den Bereichen der Hochschulen und der Hochschulpolitik eine Reihe russisch-deutscher Treffen zur Höheren Bildung in Deutschland und der Russischen Förderation. Mit der Konferenz in Khabarovsk wurde diese Serie auf Fernost ausgedehnt. Auf dieser Konferenz berichteten Repräsentanten von höheren Bildungseinrichtungen aus Polen, Deutschland, der Fernost-Region der Russischen Förderation und Japan über ihre Er- fahrungen mit der internationalen Kooperation von höheren Bildungseinrichtungen in Grenzregionen. Im hiesigen Kontext interessieren vor allem folgende Beiträge: „On the Partnership of Khabarovsk University with Heilongjiang Province Universities“ (Anatoly V. Levchenko), „Academic Cooperation between the University of Augsburg and Kha- barovsk Institutions of Higher Education“ (Hans Wellmann), „About the Conditions and the Perspectives of the Development of International Activities of Khabarovsk State Technical University“ (Alexander V. Gubenko), “International Activities of Khabarovsk State Peda- gogical University in the Field of Education and Science” (Lyudmila I. Nikitina), “Col- legium Polonicum – an Example of European Cooperation” (Krzysztof Wojciechowski), “The International Graduate School Zittau (IHI): Education across the Borders of Czech Republic, Poland and Germany” (Bernd Markert/Rosemarie Konschak/Rebecca N. Smith), “Joint Russian-American Academic Programme: Brief History of the Successes” (Serguei A. Ivanilov/Serguei N. Tretiak), “Khabarovsk State Academy of Economics and Law. In- ternational Cooperation: Main Trends” (Tatyana V. Malovichko).

Meske, Werner (Hg.): From System Transformation to European Integration. Science and technology in Central and Eastern Europe at the beginning of the 21st century, LIT Verlag, Münster 2004. XIV+478 S. Im Buchhandel. Die Transformation der 1990er Jahre lasse sich aus dem Blickwinkel des 20. Jahrhunderts als Restrukturierung der bestehenden Wissenschaftssysteme beschreiben, doch mit Bezug auf das 21. Jahrhundert könne sie als Ausgangspunkt für die Herausbildung neuer nationaler Innovationssysteme angesehen werden. Welche unterschiedlichen Prozesse dabei abliefen, welche Einflussfaktoren zum Tragen kamen und wie sich das Verhältnis von Kontinuität und Strukturwandel darstellt, wird in dem Band am Beispiel von 14 Ländern detailliert ana- lysiert. Den Länderstudien vorangestellt ist ein Abriss über die generellen Entwick- lungslinien von Wissenschaft und Technologie in den mittel- und osteuropäischen Staaten während der sozialistischen Ära. Im dritten Teil werden in vergleichender Perspektive Ge- meinsamkeiten und länderspezifische Unterschiede im Transformationsverlauf herausgear- beitet. Der vierte Teil gibt schließlich einen Ausblick auf die Zukunft und diskutiert die weitere Entwicklung von Wissenschaft und Technologie in Mittel- und Osteuropa vor dem Hintergrund der EU-Erweiterung. Die Beiträge im einzelnen: “Science and technology in CEECs in the socialist era“ (Werner Meske); “Analyzing the transformation of S&T in CEECs – the theoretical and methodological approach” (ders.); “Russia: towards a national innovation system – institutional changes and funding mechanisms” (Nadezhda Gapo- nenko); “Ukraine: institutional changes in S&T in a period of economic decline” (Lidiya Kavunenko); “Belarus: transformation of the S&T system” (Gennady A. Nesvetailov/Anton A.Slonimski); “Estonia: transformation of the R&D system” (Helle Martinson); “Latvia: transformation of the S&T system” ((Janis Kristapsons); “Lithuania: the science system from 1989-2001” (Ina Dagyte); “Poland: restructuring S&T without radical transformation” (Jan Kozlowski); “Czech Republic: transformation of R&D – from research policy to a na- tional S&T policy” (Karel Müller); “Slovakia: S&T transformation without a strategy” die hochschule 1/2005 231 (Stefan Zajac); “Hungary: from transformation to European integration” (Judith Mosoni- Fried); “Romania: transformation of the S&T system” (Stelina Sandu); “Bulgaria: the long road to a new innovation system” (Kostadinka Simeonova); “Federal Republic of Yugosla- via: restructuring the S&T system – indicators of transformation” (Duro Kutlaca); “Slove- nia: transformation of the S&T system” (Peter Stanovnik); “The reorganization of S&T sys- tems in CEECs during the 1990s” (Werner Meske); “The reduction on scientific resources during the 1990s (ders.); “Publication activity in CEECs during the 1990s” (ders.); “A pro- visional appraisal: the transformation of S&T during the 1990s and the challenges of the 21. century” (ders.); “What future for S&T in the CEECs in the 21. century?” (Slavo Ra- dosevic).

European Commission (Ed.): Waste of talents: turning private struggles into public issue. Woman and Science in the Enwise countries. Office for Official Publications of the European Communities, Luxembourg, 2003. 174 S. Bezug bei: Brigitte Degen, European Commission, Office: SDME 06/48, 1049 Brüssel, Belgien. Auch unter URL http://europa.eu.int/comm/research/science-society/pdf/ enwise_report.pdf Der Bericht zur Lage der Wissenschaftlerinnen in den Ländern Mittel- und Osteuropas und den baltischen Staaten kommt zu dem Schluß, daß Frauen zwar 38% der Wissenschaft- ler/innen in den mittel- und osteuropäischen und den baltischen Staaten ausmachen, doch verberge diese Statistik einige bittere Wahrheiten: Ein Großteil der Wissenschaftlerinnen sei in Bereichen beschäftigt, in denen die FuE-Ausgaben am niedrigsten sind. Unzureichende finanzielle Mittel und schlechte Infrastruktur behinderten den Fortschritt einer ganzen Gen- eration von Wissenschaftler/innen. So sei bei den Männern die Wahrscheinlichkeit, daß sie führende akademische Positionen erreichen, drei Mal höher als bei Frauen. Allerdings gebe es auch positive Zeichen in diesem eher düsteren Bild, denn die Wissenschaftlerinnen aus den Enwise-Ländern beteiligen sich in signifikantem Ausmaß am Rahmenprogramm der Europäischen Union, welches als ein strategisches Instrument zur Stärkung der Forschung- skapazitäten und der Beteiligung von Frauen an der Forschung gilt.

Piscova, Magdalena: Woman and Science: Review of the situation in Slovakia. URL http://egee-intranet.web.cern.ch/egee-intranet/NA1/GAP/Helsinki-Report/ women_national_report_slovakia.pdf; Hrubos, Ildiko: Woman and Science: Review of the situation in Hungary. URL http://egee-intranet.web.cern.ch/egee-intranet/NA1/GAP/Helsinki-Report/ women_national_report_hungary.pdf; Pininska, Joanna: Woman and Science: Review of the situation in Poland. URL http://egee-intranet.web.cern.ch/egee-intranet/NA1/GAP/Helsinki-Report/ women_national_report_poland.pdf; Cimdina, Ausma/Dace Gertnere: Woman and Science: Review of the situation in Latvia. URL http://egee- intranet.web.cern.ch/egee-intranet/NA1/GAP/Helsinki-Report/women_national_ report_ latvia.pdf; Simeonova, Kostadinka: Woman and Science: Review of the situation in Bul- garia. URL http://egee-intranet.web.cern.ch/egee-intranet/NA1/GAP/Helsinki- Report/women_national_report_ bulgaria.pdf; Raudma, Tiia: Woman and Science: Review of the situation in Estonia. http://egee-intranet.web.cern.ch/egee-intranet/NA1/GAP/Helsinki-Report/ women_national_report_estonia.pdf

232 die hochschule 1/2005 Die Texte wurden im Rahmen der „Helsinki Group on Woman and Science“ 2001 erstellt und referieren – untermauert mit relevanten statistischen Daten – auf jeweils ca. 15 Seiten die Lage der Frauen im Wissenschaftsbereich des jeweiligen Landes. Auf weitere aktuelle Forschungsergebnisse der „Helsinki Group on Woman and Science“ kann im Internet zuge- griffen werden unter: http://europa.eu.int/comm/research/science-society/women/wssi/ publications_en.html.

Schwarz, Stefanie/Don F. Westerheijden (eds.): Accreditation in the Framework of Evaluation Activities (Materialien und Dokumente Hochschule und Forschung Bd. 105). Herausgegeben von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Frankfurt a.M. 2004, 430 S. Bezug bei: GEW-Hauptvorstand, Vorstandsbereich Hochschule und Forschung, Reifenberger Str. 21, 60489 Frankfurt a.M.; [email protected] Der Band enthält u.a. eine Reihe von themenspezifischen Länderberichten aus mittelosteu- ropäischen Staaten: Tschechische Republik (Helena Šebkovà), Ungarn (Christina Rozsnyai), Lettland (Birute Victoria Mockiene) und Polen (Ewa Chmielecka/Marcin Dab- rowski).

Vlăsceanu, Lazăr/Lewis Purser: From Words to Action: Approaches to A Pro- gramme (Papers on Higher Education). UNSECO–CEPES, Bukarest 2002. 237 S. $ 15,-. Bezug: über http://www.cepes.ro/publications/Orderonline.htm. Inhalts- verzeichnis und Vorwort unter http://www.cepes.ro/publications/pdf/words.pdf Die Publikation dokumentiert die Ergebnisse einer Untersuchung im Rahmen des Pro- gramms “Regional University Network on Governance and Management of Higher Educa- tion in Albania, Bosnia and Herzegovina, Croatia, the Former Yugoslav Republic of Mace- donia (FYROM), and the Federal Republic of Yugoslavia". Die Untersuchung wurde in der Anlaufphase (Januar-März 2002) erstellt, welche Aufschluß über Management- und Führungsstrukturen und ihre Funktionsweise in der höheren Bildung in den beteiligten Ländern gibt und Empfehlungen zur weiteren Durchführung des Programms gab. Der Bericht unterteilt sich in zwei Abschnitte, eine ausführliche Zusammenfassung und den Bericht als solchen. Dabei stellt die Zusammenfassung nicht einfach ein Resümee der In- formationen über Regierungs- und Managementstrukturen und deren Entwicklungen dar, sondern enthält vornehmlich Empfehlungen zur weiteren Gestaltung des Programms. Der Report selbst enthält die Daten, welche die Grundlage dieser Empfehlungen abgaben.

OECD, Centre for Co-operation with Non-members (Ed.): Reviews of National Policies for Education: South Eastern Europe. Volume 1: Albania, Bosnia-Her- zegovina, Bulgaria, Croatia, Kosovo. o.O. 2003. 378 S. € 67,-. ISBN 92641 00717. Bezug: http://www.oecd.de; dort auch für € 46,- als E-Book (ISBN 9264100725). OECD, Centre for Co-operation with Non-members (Ed.): Reviews of National Policies for Education: South Eastern Europe. Volume 2: FYROM, Moldova, Montenegro, Romania, Serbia. o.O. 2003. 418 S. € 72,-. ISBN 92641 04828. Bezug über http://www.oecd.de; dort auch für € 50,- als E-Book (ISBN 9264030875). Die Berichte, durch die OECD in ihrer Rolle als Koordinator des “General Education Policy and System Change” innerhalb der „Education and Youth Task Force“ erstellt, bieten eine Analyse der nationalen Bildungssysteme und sprechen Empfehlungen zur Optimierung der Reformbemühungen im Bildungswesen aus, um die im Stabilitätspakt anvisierte Integration die hochschule 1/2005 233 Südosteuropas voranzutreiben. Es werden Daten und rechtliche Rahmenbedingungen zum Bildungssystem vorgestellt.

Stiftungsinitiative „Johann Gottfried Herder“ (Hg.): Begegnungen im Osten Eu- ropas. Idealisten mit Erfahrung. o.O. [Essen] 2004. 120 S. Bezug über: Stifter- verband für die Deutsche Wissenschaft, PF 164460, 45224 Essen; [email protected] Sechs deutsche Stiftungen haben im Herbst 1998 die „Stiftungsinitiative Johann Gottfried Herder“ zur Reform von Studium und Lehre in Mittel- und Osteuropa sowie in den Ländern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ins Leben gerufen. Diese Gemeinschaftsak- tion richtet sich an emeritierte und pensionierte deutsche Professoren und Dozenten, die mit ihren Erfahrungen durch einen Gastaufenthalt zur Verbesserung der Hochschulbildung in der Region beitragen wollen. Der Sammelband dokumentiert neben dem Programm der Stiftungsinitiative verschiedene Stellungnahmen beteiligter Gasthochschulen und stellt die beteiligten Stiftungen und Träger vor. Im Mittelpunkt jedoch stehen verschiedene Berichte und Interviews zu den Erfahrungen der Gastdozenten in den einzelnen osteuropäischen Ländern. Die Beiträge im einzelnen: „Russische Föderation: Gastfreundschaft und Auf- bruchstimmung“ (Burkhard Bretschneider), „Rumänien: zurück an die alte Wirkungsstätte“ (Rudolf Dootz), „Estland: Lehren ohne Zeitdruck“ (Verena Fesel), „Litauen: Keine Entwicklungshilfe“ (Diedrich Graf von Keyserlingk), „Slowakei: Aufblühendes Land zwischen Nostalgie und Konsum“ (Ferdinand Klein), „ Lettland: Neues Recht an der Ost- see“ (Udo Kollatz), „Polen: Przepraszam! Leider kann ich nicht Polnisch…“ (Hans-Ludwig Krauss), „Russische Förderation: Wo die Uhren anders gehen“ (Rolf Löns), „Estland: Mit der Praxis die Studierenden überzeugt“ (Hans-Otto Peters), „ Georgien: ’Äußerlich bin ich ein Georgier’“ (Robert Schmitt-Brandt), „Bulgarien: Ohne die Hilfe der Kollegen geht es nicht“ (Manfred Schneider), „Armenien: ‚Ich war blind und taub’“ (Peter Stosiek) und „Al- banien: Die EU ist Thema Nummer eins“ (Elke Thiel). Im Anhang befinden sich neben dem Beitrag „Paßgenaue Vermittlung“ von Heinz-Rudi Spiegel die Vermittlungsstatistik von 5/1999 bis 4/2004 sowie die Aufstellung der beteiligten Dozenten von WiSe 1999/2000 bis SoSe 2004.

Keen, Mike Forrest/Janusz L. Mucha (Eds.): Sociology in Central and Eastern Europe. Transformation at the Dawn of a New Millennium (Contributions in Sociology 139). Praeger Publishers/Greenwood Press, Westport, CT/London 2003. 272 S. $ 67,95. ISBN 0-313-31802-6. Im internationalen Buchhandel bzw. über http://www.greenwood.com/books/bookdetail.asp?sku=GM1802. Der Sammelband untersucht die Auswirkungen der politischen Transformation in der letz- ten Dekade des 20. Jahrhunderts auf die Soziologie in Zentral- und Osteuropa sowie die Rolle, welche die Soziologie bei der Bearbeitung und Bewältigung der Folgeprobleme der politischen Umwälzungen einnahm. Eine umfassende Bibliographie von in diesem Zeitraum in Zentral- und Osteuropa durchgeführten soziologischen Untersuchungen runden den Band ab. Die Beiträge im einzelnen: “Preface”, “Central and Eastern Europe and Its Sociology at the Beginning of the Post-Communist Era” (Mike Forrest Keen/Janusz Mucha), “Unhandy Sociology: The Case of Belarus” (Wanda Rusetskaya/Olga Tereschenko), “Bulgarian Soci- ology: Lights and Shadows at the Dawn of the 21st Century” (Vyara Gantcheva), “Croatian Sociology after 1990: Towards New Institutionalization?” (Ognjen Caldarovic), “Sociology in the Czech Republic after 1989” (Milan Petrusek), “Estonian Sociology of the 1990s: In Search of an Identity” (Mikko Lagerspetz/Iris Pettai), “More Evolution the Revolution: So- ciology in Hungary” (Denes Nemedi/Peter Robert), “Sociology in Latvia after 1990” (Aivars Tabuns), “Lithuanian Sociology: 1990-2000” (Anele Vosyliute), “Macedonian So- ciology in the 1990s: Between the Old Conception and the New Challenges” (Petre Geor-

234 die hochschule 1/2005 gievski/Mileva Gurovska), “Polish Sociology in Romania Since 1989” (Ilie Badescu/Radu Baltasiu), “The Rise of Russian Sociology” (Valery Mansurov/Michael Chernysh), “In Search of Its Own Identity: A Decade of Slovak Sociology” (Bohumil Buzik/Eva Laiferova), “Sociology in Slovenia: The Challenge of Transition” (Franc Mali), “Sociology in the Ukraine 1990-2000: A Decade of Firsts” (Natalia Pohorila), “Sociology Without So- ciety?: Yugoslav Sociology After 1990” (Karel Turza).

Dyker, D./S. Radosevic (Eds.): Innovation and Structural Change in Post-So- cialist Countries. A Quantitative Approach. Proceedings of the NATO Ad- vanced Research Workshop held in Moscow, Russia 23-25 October 1997 (Nato Science Partnership Sub-Series: 4, Vol. 20). Kluwer Academic Publishers, Dordrecht 1999. 464 S. € 226,50. ISBN 0-7923-5976-3. Im internationalen Buch- handel oder über http://www.springeronline.com Der Sammelband untersucht anhand einer Auswahl von S&T- sowie strukturellen Indika- toren den Transformationsprozeß in den früheren kommunistischen Staaten unter beson- derer Berücksichtigung der Transformation von Wissenschaft, Technologie und Industrie. Dabei zeigen detaillierte Untersuchungen des Transformationsprozesses vor allem den en- gen Zusammenhang von S&T-Umgestaltung und den allgemeinen Transformation in Indus- trie, der gesamten ökonomischen Situation und den sozialen Veränderungen auf. Der Sam- melband unterteilt sich in sechs Kapitel, in denen der Schwerpunkt der Untersuchung der S&T-Transformation auf die Auswertung von Daten aus je einem der folgenden Bereiche gelegt wird: Strukturelle Analysen, Bibliometrik, FuE, Innovationsforschung, Handel, IT und Humankapital. Die Beiträge im einzelnen: “A Global Perspective on Technology and Economic Performance, and the Implications for the Post-Socialist Countries” (B. Ver- spagen), “Patterns of Structural Change in Manufacturing Industry in Central and Eastern Europe” (W. Urban), “Technology and Industrial Restructuring in Central Europe” (M. Knell/D. Hanzl), “Advances Bibliometric Methods in the Analysis of Research Performance and Scientific Developments: A Contribution to Science Policy in Transition Countries” (A.F.J. van Raan), “The Structure of Disciplinary Comparative Advantage in Post- Communist Countries” (J. Kozlowski/D. Ircha), “Bibliometric Analysis of S&T Policy in Bulgaria in the New Economic Conditions” (S.A. Rozhkov), “Transformation of R&D in the Post-Socialist Countries: Asset or Liability?” (W. Meske), “Transformation of R&D in the Post-Socialist Countries: Patterns and Trends” (L. Gokhberg), “R&D Behaviour of Firms in Transition Economies: An Analysis of the Key Determinants” (B. Urem), “The Transformation Role of FDI in R&D: Analysis Based on Material from a Databank” (A. Inzelt), “Transformation of R&D in Russia: the Role of Government Priorities” (N. Gorod- nikova), “R&D in East and West Germany since Reunification” (C. Grenzmann), “Measur- ing Technological Innovation in Industry in European Union and Post-Socialist Countries” (G. Sirilli), “Polish Innovation Surveys: Current Status and Analysis of Results” (G. Nied- balska), “Specificities of Innovation Activity in Russian Industry” (L. Gokhberg/I. Kuznetsova), “Innovation Activities in Open and Closed Economic Environments: The Case of the Yugoslav Metal-Processing, Chemicals and Textile Industries in 1987-91 and 1992-96” (D.G. Kutlaca), “Trade, Technology and Structural Change in Post-Socialist Countries: an Introduction” (S. Radosevic/K. Pavitt), “Technology and Structural Change in the Trade Patterns of the Former Centrally Planned Economies” (P. Guerrieri), “Transfor- mation of Technology Patterns of Trade in the Post-Socialist Economies” (S. Kubielas), “Knowledge Flows in the S&T System” (F.D. Gault/W. Hansen), “Statistics on Information Technology in Russia” (A. Sokolov), “Higher Education and the Labour Market in Russia: Trends in the Transition Period” (N. Kovaleva).

die hochschule 1/2005 235 Keiler, Peter: Lew Wygotski und der Kampf um die marxistische Psychologie in der Sowjetunion (Philosophische Gespräche 5). Helle Panke e.V., Berlin 2003. 72 S. € 3,-. Bezug bei: Helle Panke e.V., Kopenhagener Straße 76, 10437 Berlin; [email protected] Die Broschüre enthält neben dem erweiterten Redemanuskript eines Vortrags zur Rekon- struktion des Lebens und des wissenschaftlichen Wirkens des Psychologen Lew Wygotski einen Aufsatz von Werner Röhl, der – basierend auf den Forschungen von Peter Keiler – besonders über die späten Auseinandersetzungen mit und über Wygotski Auskunft gibt. Lew Wygotski wurde am 5.11.1896 in Orsha geboren und starb am 11.6.1934 in Moskau. In den 37 Jahren seines Lebens hinterließ er 270 wissenschaftliche Arbeiten, die zum Teil erst Jahrzehnte später oder gar nicht veröffentlicht wurden, da die stalinistische Herrschaft die Verbreitung seiner Werke verhinderte. Er war einer der einflußreichsten Psychologen seiner Zeit, der sich intensiv mit pädagogischen Fragestellungen Themen beschäftigte. Wygotski war nicht nur einer der Mitbegründer der marxistischen Psychologie, sondern auch der "Vater der Psychopathologie und Sonderpädagogik" in der Sowjetunion. Zusammen mit Leontiev und Luria entwickelte er die "Soziokulturelle Theorie", laut der bei psycholo- gischen, pädagogischen und anderen Betrachtungen immer der soziale und kulturelle Kon- text mitberücksichtigt werden müsse. Nach Wygotski gehen nahezu alle psychischen Struk- turen auf soziale Phänomene zurück.

Keiler, Peter: Lev Vygotskij – ein Leben für die Psychologie. Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2002. 484 S. € 19,-. Im Buchhandel. Die Publikation unternimmt den Versuch, einen differenzierten Leitfaden zur tieferge- henden Beschäftigung mit Vygotskijs Leben und Werk sowie dem politischen Umfeld seines Schaffens vorzulegen. Der 1896 geborene Lev Vygotskij war Psychologe, Kunsthis- toriker, Behindertenpädagoge, Linguist, Wissenschaftstheoretiker und Begründer der kul- turhistorischen Richtung in der Psychologie. Er verstarb 1934 in Moskau. Zu Beginn der 30er Jahre wurde er das Ziel einer politisch-ideologischen Kampagne, die in ein zwanzig- jähriges Verbot seiner Schriften in der UdSSR mündete.

Vygotsky, Lev Semënovič: The Collected Works of L. S. Vygotsky. Volume 1: Problems of General Psychology, Including the Volume Thinking and Speech; Volume 2: Fundamentals of Defectology (Abnormal Psychology and Learning Disabilities); Volume 3: Problems of the Theory and History of Psychology; Vol- ume 4: The History of the Development of Higher Mental Functions; Volume 5: Child Psychology; Volume 6: Scientific Legacy (Cognition and Language: A Se- ries in Psycholinguistics). Springer Science+Business Media, Berlin 1988, 1993, 1997, 1997, 1998, 1999. 406, 362, 438, 312, 380, 340 S. ISBN: 0-306-42441- X/0-306-42442-8/0-306-45488-2/0-306-45609-5/0-306-45707-5/0-306-45913-2. € 90,95/109/90,95/90,95/69,55/72,76. Im Buchhandel. Hatte der sowjetische Psychologe Vygotskij bereits mit seinen zwei Werken „Denken und Sprechen“ und Psychologie in der Kunst“ auch im Westen große Resonanz gefunden, so setzte mit dem Erscheinen dieser sechsbändigen Vygotskij-Gesamtausgabe in englischer Übersetzung in den anglophonen Ländern ein regelrechter Vygotskij-Boom ein. Das In- haltsverzeichnis zu jedem einzelnen Band kann auf der Verlagshomepage eingesehen wer- den.

236 die hochschule 1/2005 Andrews, James T.: Sciences for the Masses. The Bolshevik State, Public Sci- ence and the Popular Imagination in Soviet Russia, 1917–1934 (Eastern Euro- pean Studies vol. 22). Texas A&M University Press, 2003. $ 45,-. ISBN 158 544 8826. Im internationalen Buchhandel. Im Anschluß an die Oktoberrevolution erkannte die neuen Machthaber schnell den hohen Stellenwert der wissenschaftlichen Bildung der Massen, nicht nur im Sinne der Verbreitung der Aufklärung durch Wissenschaft, sondern auch um die grundlegenden marxistischen Theorieelemente in das öffentliche Bewußtsein zu transportieren. Es sollte jedoch bis zum ersten Fünf-Jahr-Plan 1928–1932 dauern, bis der radikale Bruch mit der zaristischen Volks- bildung einsetzte. Die Publikation bietet hier nicht nur eine zusammenfassende und verglei- chende Analyse der Methoden der Wissenschaftspopularisierung durch die frühen Bolsche- wisten und die stalinistischen Politik, sondern gibt auch einen Einblick in die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse in zaristischen Ruland, deren Trägerorganisationen noch bis 1928 aktiv waren. Diese Organisationen wurden durch die Politik Stalins schließlich ab- gedrängt, und die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse reduzierte sich – im Zuge der Limitierung der Wissenschaften auf die Rolle als Zuarbeiterin der Industrie – auf poli- tische Propaganda.

Konecny, Peter: Builders and Deserters. Students, State and Community in Len- ingrad, 1917-1941. McGill-Queen’s University Press, Montreal & Kingston/Lon- don/Ithaca 1999. 358 S. € 67,02. ISBN 0-7735-1881-9. Im internationalen Buch- handel. Einer der signifikantesten Einschnitte in Folge der Oktoberrevolution war die Formierung einer neuen gesellschaftlichen Elite, die sich mit der neuen sozialistischen Ordnung identi- fizierte. Ein großer Teil dieser Elite entstand aus den Studenten des neuen, schnell wachsenden Hochschulsystems. In der Publikation werden anhand zahlreicher bisher un- veröffentlichter Quellen die kulturellen, akademischen und politischen Aspekte des studen- tischen Lebens in Leningrad aufgezeigt. Es wird untersucht, inwieweit die Studenten in das außerakademische Leben – vom Engagement in den lokalen Parteiorganisation bis zum Ernteeinsatz – eingebunden waren und wie sie ihre persönliche Ambitionen und kulturellen Traditionen mit den neuen Anforderungen in Einklang zu bringen suchten. Ein großer Teil der Studie widmet sich zudem den Transformationen, welchen das Hochschulsystem und das tägliche Leben seiner Angehörigen seit dem Zusammenbruch des zaristischen Rußlands bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs unterworfen waren.

Schattenberg, Susanne: Stalins Ingenieure. Lebenswelten zwischen Technik und Terror in den 1930er Jahren (Ordnungssysteme, Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 11). R. Oldenbourg Verlag, München 2002. 457 S. € 49,80. Im Buchhandel. Im Idealbild der Bolschewiki sollte der sowjetische Ingenieur die Rolle des Schöpfers eines neuen Landes übernehmen, sollte zugleich neben dem Gestalter von Technik und Gesell- schaft auch den Vollstrecker und das Endprodukt der sozialistischen Utopie verkörpern. Die Studie zeigt anhand der Untersuchung von Memoiren, inwieweit das Selbstverständnis der ersten Generation sowjetischer Ingenieure mit dem offiziellen Bild der Propaganda zur Deckung kam.

Bain, Olga: University Autonomy in the Russian Federation since Perestroika (Routledge-Falmer Dissertation Series in Higher Education). Routledge-Falmer Publishers, New York 2003. 247 S. $ 75,00. ISBN 0-415-93296-3. Im internatio- nalen Buchhandel. die hochschule 1/2005 237 Die Untersuchung analysiert, auf welche Weise die akademischen Institutionen nach dem Zusammenbruch des durch Zentralismus und Kontrolle bestimmten sowjetischen Bildungs- systems ihren Autonomiebereich vergrößern konnten. Anhand von Fallstudien der Univer- sitäten in St. Petersburg und Nowosibirsk werden u.a. die Quellen der gesteigerten Autono- mie aufgezeigt und mögliche zukünftige Entwicklungslinien skizziert.

Schindhelm, Michael: Roberts Reise. Roman, Deutsche Verlags-Anstalt, Stutt- gart/München 2000, 314 S. Im Buchhandel. Der „Roman“ ist tatsächlich ein autobiografischer Erinnerungsbericht, als solcher indes gut zu lesen. Der größte Teil der Erinnerungen gilt dem Studium des Autors – später freier Ü- bersetzer, Theaterintendant in Gera und Basel, dann Opern-Stiftungsvorsitzender in Berlin – in Woronesh. Dorthin war Schindhelm in den 1980er Jahren durch die mitunter uner- gründlichen Mechanismen der DDR-Studiendelegierung gelangt, um Quantenchemie zu studieren. Dies tat er auch fünf Jahre, beobachtete dabei die Agonie des Sowjetreiches aus der Perspektive des Auslandsstudenten und wird darüber (biografisch vglw. frühzeitig) me- lancholisch – es sei denn, die Melancholie ist nur das Stilmittel, das den Erinnerungsbericht zum Roman macht.

Organisation for Economic Co-operation and Development / Centre for Coopera- tion with Non-Members(ed.): Reviews of national policies for education. Lithuania (Education and Skills), Paris 2002, 276 S. Reform of education, training and human resource development is an integral part of the transition to a democratic society and market economy. Lithuania has made progress in all these areas since reform began in 1990. The challenge for the Ministry of Education and Science has been to promote and support changes that meet the needs of the new economy and society as well as the interests of all young people and adults, in the face of a shortage of financial and human resources. This book first gives a brief overview of regional issues and a history of education in Lithuania and describes the development of education in the country since the political changes. It then presents an analysis of the entire education sys- tem and identifies key directions for the reinforcement of the reforms in light of the chal- lenges encountered by officials, communities, enterprises, educators, parents and students under very dynamic conditions. It concludes with a set of key recommendations of goals of education, learning effectiveness, outcomes and the curriculum, management and govern- ance for flexibility, responsiveness and change and, resources and financing. This review will be very useful to both Lithuanian professionals and their international counterparts.

Ruchniewicz, Krysztof/Jakub Tyszkiewicz/Ulrich Mählert/Christian Lotz (Hg.): Vademekum Zeitgeschichte Polen. Ein Leitfaden durch Archive, Forschungs- institutionen, Bibliotheken, Gesellschaften, Museen und Gedenkstätten. He- rausgegeben im Auftrag des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland und Euro- pastudien an der Universität Breslau und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED- Diktatur, Breslau/Berlin/Leipzig 2004. 103 S. € 6,-. Bezug bei: Willy-Brandt- Zentrum für Deutschland und Europastudien, ul. Straznicza 1-3, 50-206 Wroclaw, Polen, bzw. Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Otto-Braun-Str. 70-72, 10178 Berlin. Das zweisprachige Vademekum verzeichnet Archive, Forschungsinstitutionen, Biblio- theken, Gesellschaften, Museen und Gedenkstätten, die sich mit der Geschichte der kom- munistischen Diktatur in Polen auf vielfältige Weise auseinandersetzen. Ein Geleitwort ver- faßten Franciszek Polomski und Markus Meckel.

238 die hochschule 1/2005 Papanek, Gabor/Pal Tamas/Adam Török/Judit Vanyai/Erzsebet Viszt: National Innovation System in Hungary. National Committee for Technological Devel- opment Hungary, o.O. [Budapest?] 1999. 75 S. Bezug bei: National Office of Re- search and Technology, 1052 Budapest, Szervita ter 8, Hungary. Die Überblicksdarstellung zum ungarischen Innovationssystem beleuchtet u.a. die ver- schiedenen beteiligten Firmen und ihre Rolle in der ungarischen Wirtschaft, die Probleme des Wissenstransfers sowie seine institutionelle Stützung und untersucht die Bildung von Clustern.

Olaru, Stejarel/Georg Herbstritt (eds.): Vademekum Contemporary History Ro- mania. A Guide through Archives, Research Institutions, Libraries, Societies, Museums and Memorial Places. Herausgegeben im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin/Bukarest 2004, 108 S. € 6,-. Bezug bei: Institutul Roman de Istorie Recenta, Str. Matei Voievod 18, Sector 2, cod 021455, Bucaresti, Romania, bzw. Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Otto- Braun-Str. 70-72, 10178 Berlin. Das englischsprachige Vademekum verzeichnet Archive, Forschungsinstitutionen, Biblio- theken, Gesellschaften, Museen und Gedenkstätten, die sich mit der Geschichte der kom- munistischen Diktatur in Rumänien auf vielfältige Weise auseinandersetzen. Das Vorwort stammt von Rainer Eppelmann.

Organisation for Economic Co-operation and Development (ed.): Reviews of na- tional policies for education. Bulgaria, Paris 2004. 178 S. Reform of education, training and human resource management is an integral part of the transition to a democratic society and to economic prosperity. Efforts undertaken in educa- tional work are an undeniable contribution towards fostering peace, human rights and a sus- tainable, secure environment, which are fundamental to achieving stability in a country. Bulgaria has made progress in all these areas since reform began in 1990. Today, reforms and democratisation are aimed not only towards an eventual EU integration, but to consoli- date stability and growth by human development. The challenge for the Ministry of Educa- tion and Science will be to promote and support changes in education that meet the needs of the economy, the labour market and society in general as well as the interests of young peo- ple and adults, in the face of limited financial and human resources. This book gives an overview of the Bulgarian education system and describes its development since the politi- cal changes. It provides an analysis of the entire education system, and identifies key direc- tions for the reinforcement of the reform process in light of the challenges encountered by officials, communities, enterprises, educators, parents and students under rather difficult conditions. It concludes with a set of key recommendations to support education reform in areas such as finance and governance, equity and access to education, early childhood de- velopment, special needs and social exclusions, vocational and higher education.

Daxner, Michael: Ohne Alternative? Mein Bericht vom Planeten Kosovo. Bibli- otheks- und Informationssystem der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (BIS) Verlag, Oldenburg 2004. 305 S. € 10,-. Im Buchhandel bzw. bei: BIS Ver- lag, Carl von Ossietzky Universität, 26111 Oldenburg. Von Februar 2000 bis zum September 2002 war Michael Daxner in Pristina und zuletzt in Belgrad für die UNMIK tätig und zuständig für das gesamte Bildungswesen, vom Kinder- garten bis zur Akademie der Wissenschaften. Er hat während dieser Zeit mehrere Tage- bücher und Aufzeichnungen zu seinen Tätigkeiten angelegt, die auf unterschiedlichen Ebenen darstellen, was sich weder anekdotisch noch rein wissenschaftlich vermitteln läßt. die hochschule 1/2005 239 Krieg und Nachkrieg haben ein Land verwüstet, eine Gesellschaft beschädigt und eine Zu- kunft kaum erwartbar gemacht. Dennoch stellt er gerade die Bildung als einen Hoffnungs- bereich dar, der sich als tragfähig erweist, wenn Militär und Diplomatie zu versagen scheinen.

Daxner , Michael: Academic Freedom and University Institutional Responsibili- ties in South East Europe (1989–2003) (Case Studies). Herausgegeben vom Ob- servatory for Fundamental University Values and Rights, Bononia University Press, Bologna 2004. 69 S. Bezug: Observatory of the Magna Charta, Via Zam- boni 25, 40126 Bologna, Italien. Auch unter http://www.magna-charta.org/ pdf/papers_easteurope.pdf Der Essay formuliert eine persönlichen Perspektive auf die akademische Situation in Südosteuropa mit dem Schwerpunkt Kosovo, wo der Autor von Februar 2000 bis September 2002 in Pristina bzw. zuletzt in Belgrad für die UNMIK tätig und für das Hochschul- und Bildungswesen zuständig war. Ein Vorwort wurde von Andris Barblan verfaßt.

Hagelund, Bente: Higher Education in Albania. Universität Kopenhagen, Ko- penhagen 2001. 26 S. Bezug: Københavns Universitet, Faculty of Social Sci- ences, St. Kannikestraede 13, 1169 Copenhagen, Dänemark. Der Autor, welcher im Jahre 2000 für sieben Monate an der Rechtsfakultät der Universität Tirana tätig war, beschreibt ausgehend von seinen persönlichen Erfahrungen die aktuelle Situation und die möglichen Entwicklungsperspektiven des höheren Bildungswesens in Al- banien. Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte der albanischen Gesellschaft in den ersten 10 Jahren nach der Systemtransformation stehen die rechtlichen, finanziellen und administrativen Probleme des Bildungssystems ebenso wie die Studienbedingungen im Vordergrund der Untersuchung. Abschließend werden bestehende und geplante Koopera- tionen albanischer und westlicher Universitäten evaluiert.

Peer Pasternack / Daniel Hechler (Wittenberg/Leipzig)

240 die hochschule 1/2005 PUBLIKATIONEN

Niklas Luhmann: Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Suhrkamp: Frankfurt am Main. 2002. 236 Seiten, ISBN 3-518- 29193-9, € 11,-

Das Grundproblem des Erziehungssystems ist ein Technologiedefizit. Es tritt auf, wenn Menschen erzogen, d.h. trivialisiert werden sollen – ohne Zweifel klingt es schrecklich, wenn Niklas Luhmann pädagogische Be- mühungen auf diese Weise beschreibt. Denn Kinder sind keine Maschi- nen, wer würde dieser Aussage nicht zustimmen? Jedoch impliziere eine solche Zustimmung, jede Form von Erziehung überhaupt abzulehnen, schreibt Luhmann in seinem umfangreichen Fragment zum Erziehungs- system der Gesellschaft (S. 77). Erziehung müsse Kinder nämlich wie Maschinen behandeln. Das Ziel aller Anstrengungen liege darin, unbere- chenbare Menschen zu berechenbaren Personen zu machen, kurz: sie als „Trivialmaschinen“ (Heinz v. Foerster) zu behandeln. Anders als es hu- manistische Ideale wollen, dient Erziehung aus Luhmanns Perspektive der Vereinfachung und Berechenbarkeit der Menschen, die geboren werden und zu Personen sozialisiert und erzogen werden. Der Weg dahin ist aber weit. Man könne nicht sicher sein, ob man mit einem bestimmten pädagogischen Instrument denn auch tatsächlich ein bestimmtes Bildungsziel erreichen könne. Kinder mit ihren individuell unberechenbare Reaktionen, Talenten und Widerständen könne man nicht steuern, höchstens gelegentlich irritieren, bzw. – wenn es gut laufe – dar- an gewöhnen, dass ihre eigensinnigen Handlungen im Guten wie im Schlechten für ihre Umwelt nicht folgenlos sind: „Wenn man umformu- liert und sagt: Erziehung diene der Erzeugung personaler Verhaltensprä- missen, wird zugleich deutlich, was der individualistische Begriff der Bildung unterschlägt: dass Bildung oder Ausbildung eine wichtige Ver- haltensgrundlage für andere ist.“ (S. 38f.) Luhmann sieht hier folgendes Problem: Auf welche Tasten wäre zu drücken, um wohlgeformte, vielseitig verwendungsfähige, vor allem: friedliche Erwachsene, also das gewünschte Erziehungsergebnis zu erhal- ten? Es gebe sie nicht, diese Tasten. Zuverlässiger wäre eine Maschine, denn die Eingabe ‚zwei mal zwei’ würde sie mit ‚vier’ und nicht mit ‚ist

die hochschule 1/2005 241 mir egal’ beantworten. Bei Kindern könne man sich da nicht so sicher sein. Indes, Luhmann betont auch, dass keine Gesellschaft auf Erziehung verzichten kann: „Auch in einfachsten Gesellschaften wird man finden, dass die Kinder darauf hingewiesen werden, dass sie zum Pinkeln die Hütte verlassen müssen. Es wäre unangebracht, darauf zu warten, dass die Sozialisation das ihre tut.“ Das würde erstens viel zu lange dauern und zweitens wäre man permanent mit Effekten konfrontiert, die „schwer wieder auszubügeln sind“ (S. 60). An diesem Beispiel lässt sich seine Unterscheidung von Sozialisation und Erziehung nachvollziehen: Erstere geschehe sowieso, die andere sei der Versuch, zu überformen, was sowieso geschehe, und dann mit den Folgen leben zu können. Im Gegensatz zur Erziehung ist Sozialisation somit durch ihre Absichtslosigkeit gekennzeichnet. Anders ausgedrückt: Erziehung ist planmäßige Sozialisation. Im Hintergrund lauert hier die Luhmannsche Differenzierungtheorie, die den Umbau der Gesellschaft von einem Primat stratifikatorischer Differenzierung zu einem Primat funktionaler Differenzierung beschreibt. Nach diesem historischen Mo- dell, das bei Luhmann die Grundlage für die Ausbildung aller Systeme darstellt, verlor mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung von Bildung und Ausbildung die auf Herkunft beruhende Sozialisation in Familien immer mehr an Bedeutung und wurde zurückgedrängt durch intentional gesteuerte Erziehung. Zusammengenommen lässt sich dies als Thema des Bandes beschrei- ben: eine historisch-semantische Analyse der „Trivialisierung nicht- trivialer Systeme“ (S. 79). Diese kann man nutzen, um Luhmann am Bei- spiel der Erziehung in Aktion zu sehen, denn hier geht es weniger um die abstrakt konstruktivistisch-autopoietische Systemtheorie insgesamt. Zu- dem haben Krankheit und Tod Luhmanns verhindert, dass er seine sys- temtheoretischen Reflexionen zum Erziehungssystem abschließen konn- te. Um eine Summe seiner Bemühungen zu ziehen, muss weiterhin eine 1 frühere Veröffentlichung aus dem Jahr 1979 hinzugezogen werden.

1 Dort ist die Soziologie der Schule das Thema, also eine Soziologie ihrer humanistischen Ideale, des Lehrplans, der Didaktik und ihrer Mechanismen zur Erzeugung von Ungleich- heit wie Zensuren und Prüfungen. Vgl. Niklas Luhmann/Karl-Eberhard Schorr, Reflexions- probleme im Erziehungssystem, Stuttgart 1979.

242 die hochschule 1/2005 Was Luhmann in dem vorliegenden Band etwa nicht mehr geschafft hat, ist die Beantwortung der Frage, was denn eigentlich der Code des Erziehungssystems sei. Die Codierung ist so etwas wie die Praxis des je- weiligen Systems. Klar ist für ihn, dass die Frage, worin diese bestehe, nicht etwa so einfach zu beantworten sei wie etwa für die Politik, in der es um Macht oder Nicht-Macht geht, oder in der Wirtschaft, wo nur Zah- lungen weitere Zahlungen auslösen. In einem Band, der vor kurzem in Anschluss an ‚Das Erziehungssystem der Gesellschaft’ erschienen ist, wurde vorgeschlagen, den Doppel-Code von besser/schlechter einerseits, vermittelbar/nicht-vermittelbar andererseits zu Grunde zu legen.2 Im Zentrum von Luhmanns Interesse aber steht hier – eher als solche theoretischen Exkurse – die Unterrichtssituation selbst: das Gegenüber von Schüler und Lehrer, die „Klasse“ oder die „Interaktion unter Anwe- senden“ (S. 102ff.). Er stützt sich dabei auf internationale, aus den USA kommende, empirische Untersuchungen, vor allem aus den 60er, 70er und 80er Jahren. In dem vierten Kapitel, ‚Interaktionssystem Unterricht’, geht es um folgendes: Jeder Unterricht müsse Einwirkungsmöglichkeiten auf Schüler unterstellen, von denen offen bleibe, wie und ob man sie überhaupt kontrollieren kann. Paradoxien seien dabei systemimmanent: Die Erziehung in der Schule wolle erreichen, dass die Schüler richtige Antworten auf Fragen geben, die der Erzieher stellt und dessen die Ant- worten er schon kennt. Jede Erziehung müsse also Maßstäbe richtigen Wissens und Verhaltens behaupten: Wenn Schülern keine Fragen gestellt würden, auf die es richtige und falsche Antworten gäbe, wenn Kinder keine Standards nahe gelegt bekommen würden, deren Erfüllung als ernsthaft erwünscht gelten – dann würde es sich auch nicht um Erziehung handeln. Ferner sei Unterricht der Ort, an dem die gut gemeinten Ideale und Absichten erprobt werden. ‚Emanzipation“ oder „Chancengleichheit“? Dies sind für Luhmann allein Selbstbeschreibungen des Erziehungssys- tems (S. 168ff.). Dabei betont er, „daß Selbstbeschreibungen nur Selbst- beschreibungen sind, nur ‚talk’, und daß die Wirklichkeit der Unter- richtsinteraktionen durch andere Kräfte bestimmt wird“ (S. 170).

2 Vgl. Jochen Kade, Erziehung als pädagogische Kommunikation. In: Dieter Lenzen (Hg.), Irritationen des Erziehungssystems. Pädagogische Resonanzen auf Niklas Luhmann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004, S. 199-232.

die hochschule 1/2005 243 In der Unterrichtspraxis werde beispielsweise deutlich, was an einem Lehrplan bloßer Plan bzw. Idee ist, und was sich tatsächlich davon um- setzen lässt. Auch die Frage, welche didaktische Mischung gerade die richtige ist, werde erst in der Schulstunde beantwortet. „Sitzordnungen“, „Methoden“ oder gar „allgemeine Pädagogiken“ hin oder her – worauf es ankommt, sei, dass im Kern von all dem das Chaos regiert. Fabriken mö- gen sich zu einem bestimmten Grad steuern lassen, nicht so die Schule: „Der Lehrer hat es mit einer Vielzahl von Schülern zu tun, die als empiri- sche, für sich und für andere intransparente, eigendynamische, nicht line- ar-operierende Individuen vor ihm sitzen.“ (S. 43) Gefordert wird somit vor allem der Lehrer selbst, denn er müsse ei- nerseits taktvoll mit seinen Schülern umgehen, sie andererseits taktlos benoten. Hinzu komme, dass, was im Ministerium für den Kanon gehal- ten wird, im Unterricht für größte Langeweile sorgen kann. Bewältigen müssten diese Situation die Lehrer, die in den Augen der Schüler auf eine Weise den Unterricht gestalten, die ihnen nicht gefällt. Generell könnten sich Lehrer nie gegen die Wahrnehmungen ihrer Schüler wehren. Was Lehrer etwa für Toleranz oder Strenge halten, könne in den Augen der Schüler jeweils als Stärke oder Schwäche beurteilt werden. Unterrichten erscheint somit als ein opportunistischer Prozess, und „je mehr er sich nach den Gelegenheiten richtet, desto besser ist er“ (S. 104f.). Programme, Didaktiken und Methoden sollten demnach vom Per- sonal zwar nicht vergessen werden, aber Reflexion und Fachkenntnis be- deuten aus Luhmanns Sicht vor allem Ressourcen für Umgangsgeschick, Lenkung und Nutzung von Aufmerksamkeit, sowie angemessene Ein- schätzungen darüber, was jeweils sinnvoll ist. Was aber passiert, wenn Schüler auf die Fragen nicht die richtigen Antworten geben oder – schlimmer noch – sich dem Frage-Antwort-Spiel keineswegs fügen wollen oder sogar weitergehendes abweichendes Ver- halten zeigen? Woran hat es gelegen? Am Lehrer, am Schüler, am Lehr- plan, an den Eltern, den Computerspielen, der Bildungspolitik oder doch wieder nur an Frau Bulmahn? Um ein besonders eindeutiges Beispiel zu geben: Die Antworten auf diese Fragen sind nach dem Amoklauf eines Schülers an einer Erfurter Schule recht unterschiedlich ausgefallen – je nachdem, ob Lehrer, Schüler, Eltern, Politiker oder die Verkäufer von Computerspielen befragt wurden. Es ist, so müsste man mit Luhmann antworten, schlechterdings nicht zu entscheiden, wer hier Recht hat, denn im Klassenzimmer scheitern alle Kausalurteile.

244 die hochschule 1/2005 Fazit: Wenn früher jedes Kind zum ‚kritischen Denken’ erzogen wer- den sollte, ist heutzutage der leistungsbereite und flexible Optimist ge- fragt, so ließe sich Luhmanns Überlegungen für eine Gegenwartsdiagnose heranziehen. ‚Fördern durch fordern’ – so können sich die Inhalte einer Idee von Erziehung verändern. Wenn Luhmann mit seinem Erziehungs- pessimismus Recht hat, sind Enttäuschungen auch hier vorprogrammiert. Dies jedoch kann, so ließe sich im Anschluss an jene Überlegungen for- mulieren, auch als zartes Pflänzchen der Hoffnung interpretiert werden: Es ist immer noch die „Nicht-Trivialmaschine“ Mensch, die über den Er- folg oder Misserfolg aller erzieherischen Bemühungen entscheidet.

Jens Hüttmann (Wittenberg)

Susanne von Below: Bildungssysteme und soziale Un- gleichheit. Das Beispiel der neuen Bundesländer. Leske & Budrich, Opladen 2002. 236 Seiten, ISBN 3-8100-3531-9, € 24,90

Bildungssysteme und soziale Ungleichheit – ist da nicht schon genug ge- schrieben worden? Was soll da noch Neues kommen, zumal nun auch in- ternationale Vergleichsstudien bestätigen, was wir doch schon lange wis- sen – nämlich die hohe Persistenz sozial ungleicher Bildungschancen mit besonderer Ausprägung in Deutschland? Und fast 15 Jahre nach Wende und Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland überrascht auch kaum noch, dass es da sowohl vor der Wende als auch aktuell ähnliche soziale Ungleichheiten wie in den alten Bundesländern gibt. Also nur ein neuer Mix von Bekanntem? – Nein durchaus nicht! Solche Fragen können aber aufkommen, wenn man nur Titel und Un- tertitel liest – schade! Denn die wirklich spannende Frage, wie denn bei einer relativ gleichen Ausgangssituation unterschiedliche (neue) Bil- dungssysteme zu einer Reduktion oder Verstärkung von sozialer Un- gleichheit beitragen, wird erst beim Lesen des Buches deutlich. Und dann wird auch die Einmaligkeit des hier zugrunde liegenden Untersuchungs- gegenstandes verständlich. Sie besteht in der zeitgleichen Entwicklung partiell unterschiedlicher Bildungssysteme in den einzelnen neuen Bun- desländern bei annähernd gleichen Ausgangsbedingungen bezüglich des

die hochschule 1/2005 245 vorherigen (einheitlichen) Bildungssystems. Der Verweis auf die quasi ohne „Zutun von Wissenschaftlern“ entstandenen Experimentalbedin- gungen ist berechtigt. Susanne von Below prüft den Einfluss der Bildungssysteme auf die Bildungsbeteiligung. Dazu erfolgt im ersten Teil zunächst deren Be- schreibung, Charakterisierung und Typologisierung. Dafür wird auf älte- ren Arbeiten zur Charakterisierung von Bildungssystemen aufgebaut, insbesondere auf denen von Barton (1955) und Lazarsfeld (1937). Man ist zunächst skeptisch, ob ein Rückgriff auf diese in einem ganz anderen gesellschaftlichen Kontext entwickelten Ansätze tatsächlich tragfähig ist – das erhöht durchaus die Spannung beim Lesen des Buches! Im Ergeb- nis kommt man zu dem Schluss, dass es gleichwohl gelungen ist, diese Ansätze zu nutzen, weiter zu entwickeln und auf aktuelle Erfordernisse zu übertragen. Anhand einer dichotomen Bewertung ausgewählter Struk- turelemente, Inhalte und Kontrollelemente werden Unterschiede zwi- schen einzelnen Systemen verdeutlicht, um anschließend durch eine Bün- delung auf Wesentliches reduziert zu werden. Die Tatsache, dass anhand quantitativer und qualitativer Dimensionen von Autonomie eine Typolo- gie von Bildungssystemen entwickelt wird, zeigt einen interessanten Fall der Anwendung und Fortschreibung von Theorien. Die schrittweise Ent- wicklung dieser Typologie stellt einen wesentlichen Gewinn dieser Stu- die dar. Es wird unterschieden zwischen traditionell-konservativen, re- formiert-konservativen, traditionell-liberalen und reformiert-liberalen Bildungssystemen. Gleichwohl ist anzumerken, dass auch eine kritische Sicht sowohl auf die genutzten Ansätze von Barton und Lazarsfeld als auch auf die eigene Arbeit der Projektion auf aktuelle Bedingungen wünschenswert gewesen wäre. So bleiben angesichts der starken Vereinfachung – die natürlich immer mit der Entwicklung von Typologien einhergeht – auch Verunsi- cherungen und offene Fragen bestehen. Das gilt nicht nur für diesen Teil, insgesamt würde eine kritische Sicht die Ergebnisse der Arbeit nicht mindern, ganz im Gegenteil. In einem zweiten Teil wird die für das Thema relevante Ausgangssi- tuation dargestellt, also der Erkenntnisstand zu Fragen von Bildung und sozialer Ungleichheit – allgemein und bezogen auf die DDR – sowie die Entwicklung der Strukturen des Bildungswesens in den neuen Bundes- ländern seit 1990. Das ist logisch und systematisch erforderlich zur Bear- beitung der aufgeworfenen Frage. Die Beschreibung und Charakterisie-

246 die hochschule 1/2005 rung dieser Ausgangssituation ist stark verknappt. Das aber ist nicht als Kritik anzumerken, denn hier werden drei so breite Themenfelder aufge- macht, dass es unmöglich ist, diese in begrenzter Zeit auch nur annähernd erschöpfend darzustellen. Wer das sucht, muss sich anderer Literatur be- dienen. Respekt aber der Autorin, die aus dieser Fülle zumindest das für die aktuelle Betrachtung der Bildungssysteme Wesentliche herausgear- beitet hat und dem Leser damit überhaupt erst den Zugang zu den spezifi- schen Fragenstellungen öffnet. Allerdings gehen bei dieser Verknappung dann doch auch einzelne solcher Details unter, die für die nachfolgende Analyse von Daten und ihre Bewertung vermutlich von Relevanz gewe- sen sein dürften – dazu später. Schwerpunkt des Buches ist eine statistische Sekundärauswertung von Daten des Mikrozensus zur Bildungsbeteiligung bis 1997. Das wird lo- gisch und nachvollziehbar erklärt. Zweifelsohne stellt die Bildungsbetei- ligung einzelner Altersjahrgänge international eine Vergleichskennziffer dar, um auf grundlegende Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten zu verweisen. Und je höher die Bildungsbeteiligung gerade auch bei den Jugendlichen über 18 ist, desto positiver wird in der Regel dieser Befund gewertet. Danach drückt sich ein spätes Abitur (z.B. nach 13 Schuljahren) und ein anschließendes Studium mit einer sehr langen Studiendauer in ei- ner hohen Bildungsbeteiligung einzelner Altersgruppen aus, wird auf den ersten Blick positiv gewertet. An dieser Stelle kommen aber auch zwei- felnde Fragen an der Tragfähigkeit des Indikators Bildungsbeteiligung auf: Würde damit ein Bildungssystem, dass die Bedingungen für einen schnellen Schul- und Studienabschluss und eine breite qualifizierte Be- rufsausbildung schafft weniger positiv gewertet? Für die Studie wird die- ses Problem durch die ausgewählte Altersgruppe (bis zu 19 Jahren) wei- testgehend umgangen, grundsätzlich aber bedürfte es dazu einer kritische- ren Diskussion. Im Ergebnis der Analyse werden für die neuen Bundesländer 1997 drei der insgesamt vier Typen von Bildungssystemen konstatiert: das tra- ditionell-konservative (Mecklenburg-Vorpommern), die reformiert-kon- servativen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und das refor- miert-liberale System (Brandenburg). Die bekannten Ungleichheiten nach sozialer Herkunft und Gemeindegrößen werden in allen Systemen festge- stellt, am stärksten im traditionell-konservativen und am schwächsten im reformiert-liberalen System. Das entspricht einerseits den Erwartungen.

die hochschule 1/2005 247 Andererseits stellt sich die Frage, inwieweit nicht andere Besonderheiten der Länder diesen Zusammenhang zu den Systemen überlagern. Auf zwei solcher Besonderheiten sei hier exemplarisch verwiesen. Die festgestellte nur relativ geringe Ungleichheit der Bildungschancen und -beteiligung in der DDR gegenüber der wesentlich höheren Un- gleichheit in den alten Bundesrepublik wäre noch vertiefter zu betrachten gewesen. Diese höhere Gleichheit wurde staatlich gesteuert, teilweise auch mit Druck und Zwang. Beispielsweise war es nur mit großen Schwierigkeiten möglich, sich einer beruflichen Ausbildung oder dem Besuch der 10. Klasse zu verweigern – selbst dann, wenn Schüler das wollten bzw. dies stärker ihrer Persönlichkeitsentwicklung gedient hätte (Erfolgserlebnisse durch praktische Arbeit). Bekannt dürfte sein, dass der Zugang zu den zum Abitur führenden ersten Bildungswegen regional und nach Schulen streng limitiert und insbesondere in den Großstädten heiß umkämpft war. Und trotzdem gab es auch einzelne Regionen, meist länd- liche, in denen die Nachfrage nach dem Abitur geringer war als die An- zahl der zugewiesenen Plätze und Schüler/innen dafür umworben wurden (schließlich mussten Planzahlen erfüllt werden!). Eine Ursache dafür ist in unterschiedlichen regionalen Bildungstraditionen zu sehen. Und aktu- ell wäre die Frage aufzuwerfen, inwieweit diese unterschiedlichen Bil- dungstraditionen unter den Bedingungen höherer Autonomie wieder an Bedeutung gewinnen und den Einfluss der Bildungssysteme auf die Bil- dungsbeteiligung (z.B. in Mecklenburg-Vorpommern) zumindest überla- gern. Aber auch für Brandenburg stellt sich die Frage nach der Bedeutung von Traditionen, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. Die dort der- zeit besonders hohe Bildungsbeteiligung stellt sich als Erfolg des refor- miert-liberalen Bildungssystems dar. Aber wird dieser Erfolg davon über- lagert, dass sich im Brandenburger „Speckgürtel“ um Berlin nur sozial starke Familien (Eigenheimbauer) mit hohen Bildungstraditionen ange- siedelt haben? Und wie wird die hohe Bildungsbeteiligung davon überla- gert, dass nur das Land Brandenburg schon 1991 zur 13-jährigen Schul- dauer bis zum Abitur überging, die anderen erst später (um sich nun zu revidieren) oder aber bei der 12-jährigen Schulbildung blieben? Diese Fragen werden marginalisiert, teilweise in die Fußnoten verwiesen. Das Thema soziale Gleichheit versus Ungleichheit ist natürlich immer auch mit dem Blick auf das Geschlecht verbunden. In dem Buch hat auch diese Perspektive den gebührenden Platz. Und die Befunde sind interes- sant – wenn auch anders als vielleicht erwartetet. Erstens ist die Bil-

248 die hochschule 1/2005 dungsbeteiligung der Frauen höher, zweitens besonders in den traditio- nell-konservativen Systemen und drittens wird daraus eine Benachteili- gung der Jungen im Bildungssystem (bezogen auf die Altersgruppen bis 19) abgeleitet. Ist also in Sachen gender-mainstreaming hier Umdenken angesagt? Hervorzuheben ist, dass die Autorin das Thema sachlich und distan- ziert behandelt, sich an keiner Stelle dieser nicht nur soziologisch sondern auch politisch interessanten Arbeit zu plakativen Zuschreibungen hinrei- ßen lässt. Auch die logisch stringente Linienführung und die klare Spra- che tragen ergänzend zu dem spannenden Inhalt dazu bei, dass sich das Buch gut und zügig liest. Irene Lischka (Wittenberg)

Thomas Schröder: Leistungsorientierte Ressourcensteuerung und Anreizstrukturen im deutschen Hochschulsystem. Ein nationaler Vergleich. Duncker & Humblot, Berlin 2003. 308 Seiten, ISBN 3-428-11121-4, € 74,80

Die tatsächlichen Folgen der gegenwärtigen Hochschulreformen in Deutschland sind in der Tat zu wenig empirisch erforscht – hier ist Tho- mas Schröder (S. 19) zuzustimmen. In seiner Studie widmet er sich einem Kernstück der Reformen, der Neustrukturierung der Finanzierung der Hochschulen. Er untersucht sowohl auf Landesebene als auch auf Hoch- schulebene, welche Verfahren der leistungsorientierten Mittelverteilung in Deutschland angewendet werden, welche Wechselwirkungen die staat- lichen und hochschulinternen Verfahren haben und wie Wissenschaftler diese neuen Steuerungsinstrumente einschätzen (S. 20). Als theoretischen Rahmen für diese Analyse wählt Schröder die Pri- zipal-Agent-Theorie. Die Theorie beschreibt Steuerungsprozesse als die Beziehung zwischen einem Auftraggeber (Prinzipal) und einem Auftrag- nehmer (Agent). Der Prinzipal strebt danach, seinen eigenen Nutzen zu erhöhen, indem er Aufgaben gegen eine Gegenleistung an einen Auftrag- nehmer (Agent) vergibt. Letzterer beeinflusst dann durch seine Handlun- gen seinen eigenen Nutzen ebenso wie den des Auftraggebers. Diese Be- ziehung wird durch Informationsasymmetrien erschwert, da dem Prinzi- pal Expertenwissen des Agenten fehlt und er daher annehmen muss, dass die hochschule 1/2005 249 der Agent seinen Wissensvorsprung nutzt, um seinen eigenen Nutzen auf Kosten des Auftraggebers zu erhöhen (S. 56ff.). Der Prinzipal versucht, diese unterstellte Strategie des Auftragnehmers durch die Vorgabe von Verhaltensnormen und Anreizen und den Aufbau von Informationssys- temen zu verhindern (S. 68f.). Hochschulsteuerung kann nun sowohl als Prinzipal-Agent-Beziehung zwischen Staat (Prinzipal) und Agent (Hochschulleitung) als auch hoch- schulintern als Beziehung zwischen Hochschulleitung (Prinzipal) und Fakultäten (Agent) beziehungsweise auch zwischen Dekanen und Institu- ten und bis zu den einzelnen Mitarbeitern untersucht werden (S. 74f.). Weil Staat und Hochschulleitung die Leistung eines spezialisierten Wis- senschaftlers kaum noch beurteilen könnten, so Schröder, bestehe eine große Informationsasymmetrie; der Prinzipal müsse folglich Verhaltens- normen vorgeben, Anreizsysteme schaffen und Informationssysteme entwickeln (S. 76f.). Die Übertragung des theoretischen Modells auf die Praxis an deut- schen Hochschulen führt jedoch zu einigen Schwierigkeiten: Zwar kön- nen die leistungsorientierte Mittelverteilung, Controlling und Evaluation als Anreiz- und Kontrollinstrumente interpretiert werden, es bleibt jedoch unklar, welche Normen in der Hochschulsteuerung dem theoretischen Modell entsprechen könnten. Schröder untersucht auch nicht, ob es vor der Einführung neuer Steuerungsinstrumente bereits Verhaltensnormen, Anreize und Kontrollverfahren gegeben hat, und wie diese durch die neue Hochschulsteuerung verändert werden. Und schließlich wird das komple- xe Geflecht von Interessen und Motiven der beteiligten Akteuere sowie der Einfluss von Netzwerken an einer Hochschule mit Hilfe dieses theo- retischen Ansatzes nur unzureichend dargestellt. Den größten Teil der Arbeit bilden fünf Fallstudien zur Einführung neuer Steuerungsinstrumente, die im Rahmen eines DFG-Projektes zur „Leistungsorientierten Ressourcensteuerung“ an der Universität Hanno- ver entstanden sind (S. 84ff.). An den Technischen Universitäten Aachen, Berlin, Dresden und München und der Universität Hannover wurden Ver- treter der Hochschulleitung zu den Grundlagen der hochschulinternen Steuerungsverfahren und jeweils rund zehn Vertreter von Fachbereichen mit teilstandardisierten Fragebögen befragt (S. 94f.). Schröder gelingt es, die einzelnen Universitäten umfassend zu beschreiben und die Steue- rungsverfahren anschaulich darzustellen. Ausgehend von der jeweiligen Hochschulpolitik des Landes, über strategischen Ausrichtung der Univer-

250 die hochschule 1/2005 sitäten, deren organisatorische und finanzielle Strukturen wird beschrie- ben, wie die neuen Steuerungsinstrumente in der jeweiligen Praxis umge- setzt werden. Die Mittelverteilungsmodelle werden detailliert erläutert und so weit möglich tabellarisch dargestellt. In einer Gegenüberstellung der fünf Universitäten werden die jeweiligen Rahmenbedingungen und die gewählten Steuerungsverfahren verglichen. So ist zum Beispiel gut ersichtlich, welche Parameter in die leistungsorientierten Mittelverteilun- gen einbezogen sind und wie diese gewichtet werden. Insofern gibt die Arbeit einen fundierten Einblick in die unterschiedlichen Modelle der Mittelverteilung (S. 227ff.). Zum Abschluss des empirischen Teils stellt Schröder die Einschät- zung von Universitätsleitungen und Vertretern der Fakultäten und Fach- bereiche zu den neuen Steuerungsinstrumenten dar. Während die Hoch- schulleitungen den neuen Instrumenten eine hohe Bedeutung beimessen (S. 239), werden sie von rund einem Fünftel der Vertreter aus den Fach- bereichen als wenig oder schlecht geeignet eingestuft (S. 243). Insbeson- dere die Fragen, ob leistungsorientierte Mittelverteilungssysteme die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter und Professoren steigern könne und ob sie deren wissenschaftliche Tätigkeit beeinflussen, werden von den befragten Personen eher kritisch beurteilt. Als Fazit entwickelt Schröder einige Handlungsempfehlungen: So lasse die leistungsorientierte Mittelverteilung erst dann größere Hand- lungsanreize erwarten, wenn tatsächlich größere Summen nach den Leis- tungsindikatoren verteilt würden (S. 259), andererseits könne von Anrei- zen nur gesprochen werden, wenn tatsächlich zusätzliche Mittel verteilt würden und nicht immer weiter gespart werde (S. 267). Außerdem sei mehr Wettbewerb etwa bei der Auswahl der Studierenden und weniger direkte Steuerung durch den Staat etwa bei der Kontrolle staatlichen Prü- fungen für Rechtsreferendare und Lehramtsstudierender erforderlich. Hierbei wird leider nicht klar belegt, ob diese Empfehlungen aus den Ur- teilen der befragten Hochschulangehörigen, aus dem theoretischen Mo- dell oder aus aus der Einschätzung der Fallstudien resultieren. Insgesamt gelingt es Schröder nicht, die theoretischen Überlegungen und die Fallstudien aufeinander zu beziehen: Die Fallstudien sind eher deskriptiv als analytisch-komparativ angelegt. Die untersuchten Steue- rungsmodelle werden zwar ausführlich geschildert, es fehlt aber ein sys- tematisch-ordnender Überblick: Sind einzelne Länder stärker als andere an einem idealtypischen Modell der Prinzipal-Agent-Theorie orientiert? die hochschule 1/2005 251 Können typische Strukturen herausgearbeitet werden? Der Leser wird mit der Interpretation des umfangreichen Datenmaterials doch recht allein ge- lassen. Dazu kommt, dass das sog. neuen Steuerungsinstrumentarium aus der Prizipal-Agent-Theorie entwickelt wurde, so dass die Analyse fast zwangsläufig zu dem Schluss führt, dass die Instrumente noch nicht kon- sequent genug umgesetzt werden. Die beiden grundsätzlichen Fragen, a) ob dieser theoretische Ansatz überhaupt geeignet ist, die Steuerungsprobleme an den Hochschulen adä- quat zu erfassen, und b) ob die leistungsorientierte Ressourcensteuerung den tatsächlichen Anforderungen des Hochschulwesens Rechung trägt, kann Thomas Schröder damit leider nicht beantworten.

Karsten König (Wittenberg)

252 die hochschule 1/2005 Bibliografie: Wissenschaft & Hochschulen in Ostdeutschland seit 19451

Peer Pasternack Daniel Hechler Wittenberg/Leipzig

1. Nachträge: Erscheinungszeitraum 1990 – 19982

Grimm, Thomas (Hg.): Der Stuhl des Vizekönigs. Fünfzehn Deutsche und ein Österreicher zum Jahrhundert (Sammlung Zeitzeugen 3). Frankfurter Oder Edi- tionen, Frankfurt (Oder) 1996. 280 S. € 9,90. Der Band vereinigt 12 (ursprünglich TV-)Gespräche, die einen Einblick in 16 Lebensläufe gewähren. Gesprächspartner sind u.a. eine Reihe von DDR-Wissenschaftlern: „Schlafen mit offenen Augen“ (Rudolf Bahro), „Wenn die Leiche nicht mehr frisch ist ...“ (Otto Prokop), „Warum ich Deutschland verriet“ (Heinrich Scheel), „Identitäten – Jüdische Rückkehrer der zweiten Generation“ (Wolfgang Herzberg/Thomas Kuczynski/Vincent von Wroblewsky), „Lenin, die Macht und das Schweigen“ (Jürgen Kuczynski/Gregor Gysi).

Philosophische Fakultät der TU Chemnitz-Zwickau (Hg.): Die Philosophische Fakultät stellt sich vor. Zur Gründung der Philosophischen Fakultät der Tech- nischen Universität Chemnitz-Zwickau am 24. Januar 1994. Chemnitz o.J. [1994?]. 109 S. Bezug bei: TU Chemnitz, Pressestelle, 09107 Chemnitz; marke- [email protected] Die Publikation dokumentiert neben der personellen Besetzung der Gründungs- und der Berufungskommission der Philosophischen Fakultät sowie des Fachbereichs Erzie- hungswissenschaften/Geisteswissenschaften die Forschungsprojekte an der Philosophischen Fakultät. Zudem bietet sie ein Personalverzeichnis der Hochschullehrer und wissenschaftli- chen Mitarbeiter und gibt Auskunft zu den verschiedenen Studiengängen, Fachbereichen und zu zentralen Einrichtungen der Fakultät. Ein Vorwort unter dem Titel „Die Philoso- phische Fakultät an der Technischen Universität Chemnitz-Zwickau“ verfaßte der Vor- sitzende der Gründungskommission Helmut Ruppert.

Philosophische Fakultät der TU Chemnitz-Zwickau (Hg.): Philosophische Fa- kultät. Akademischer Festakt anläßlich der Gründung der Philosophischen

1 Die Bibliografie erfasst ausschließlich selbstständige Publikationen: Monografien, Sam- melbände, Broschüren, ggf. auch komplette Zeitschriften-Nummern, sofern diese einen an dieser Stelle interessierenden thematischen Schwerpunkt haben. 2 „Nachträge“ bezieht sich auf folgende Veröffentlichung, die an dieser Stelle fortlaufend ergänzt wird: Peer Pasternack: Hochschule & Wissenschaft in SBZ/DDR/Ostdeutschland 1945-1995. Annotierte Bibliographie für den Erscheinungszeitraum 1990 – 1998, Deutscher Studien Verlag, Weinheim 1999, 566 S., ISBN 3-89271-878-4, € 49,-. die hochschule 1/2005 253 Fakultät am 24. Januar 1994. Chemnitz 1994. 42 S. Bezug bei: TU Chemnitz, Pressestelle, 09107 Chemnitz; [email protected] Die Broschüre dokumentiert die Redebeiträge, welche während des Festaktes gehalten wur- den. Das sind neben einer Begrüßung des Rektors Günther Hecht ein Bericht des Vorsitzen- den der Gründungskommission Helmut Ruppert, einer Ansprache des sächsischen Wissen- schaftsministers Hans Joachim Meyer, ein Festvortrag „’Verantwortete Technik’ – zur Be- deutung der Geisteswissenschaften an einer Technischen Universität“ (Maximilian Kerner), ein Beitrag „Die Philosophische Fakultät aus studentischer Sicht“ (Hendrik Bückelmann) und ein Schlußwort von Bernhard Nauck.

Städtke, Klaus/Wolfgang Emmerich: DDR-Literatur und Literaturwissenschaft in der DDR. Zwei kritische Bilanzen (Materialien und Ergebnisse aus For- schungsprojekten der Instituts, Heft 2), Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien an der Universität Bremen, Bremen 1992. 31 S. € 2,50. Be- zug bei: Institut für kulturwissenschaftliche Deutschlandstudien, Universität Bremen, Fachbereich 10, 28359 Bremen. Die Broschüre umfaßt den zuvor in der Zeitschrift „Leviathan“ publizierten Artikel Klaus Städtkes „Beispiele der Deformation wissenschaftlichen Denkens in den Geisteswissen- schaften der frühen DDR“ sowie einen von Wolfgang Emmerich an der University of Bath (GB) gehaltenen Vortag mit dem Titel „Für eine andere Wahrnehmung der DDR-Literatur. Neue Kontexte, neue Paradigmen, ein neuer Kanon“.

Mohnhaupt, Heinz/Hans-Andreas Schönfeldt (Hg.): Normdurchsetzung in osteu- ropäischen Nachkriegsgesellschaften (1944 – 1989). Einführung in die Rechts- entwicklung mit Quellendokumentation. Band 1: Sowjetische Besatzungszone in Deutschland – Deutsche Demokratische Republik (1945 – 1960) (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 94). Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1997. 562 S. € 91,50. Im Buchhandel. Die Publikation gibt einen umfassenden Einblick in die Entwicklung von Recht und Rechts- wissenschaft in der DDR und enthält zudem Bibliographien zur Beschlußchronik der KPD/SED-Führungszentrale und zu Gesetzessammlungen. Im Anhang befinden sich je ein themenbezogener Archivbericht zur SBZ/DDR sowie zur UdSSR/Russischen Förderation. Rechtswissenschaftsgeschichtlich interessiert vor allem eine hundertseitige Studie von Hans-Andreas Schönfeldt unter dem Titel „Zur Geschichte der Rechtswissenschaft in der SBZ/DDR von 1945 – 1960. Eine Skizze“.

Woit, Ernst: Friedensforschung in Dresden. Der Interdisziplinäre Arbeitskreis Friedensforschung Dresden (IAFD) 1989 – 1990 (DSS-Arbeitspapiere H. 42 – 1998/Rückblicke H. 9), herausgegeben von der Dresdener Studiengemeinschaft Sicherheitspolitik (DSS). Dresden 1998. 24 S. € 1,-. Bezug bei: Lothar Glaß, Feu- erbachstraße 1, 01219 Dresden. Am 21. Februar 1989 konstituierte sich der Interdisziplinäre Arbeitskreis Friedensforschung in Dresden mit dem Ziel, in Dresden wirkende Wissenschaftler zu spezifischen Leistungen auf dem Gebiet der Friedenforschung anzuregen, Projekte und Ergebnisse durch eine kom- petente interdisziplinäre Diskussion zu sichern und auch auf dem Gebiet der Friedensfor- schung weiterhin Leistungen anzustreben, welche den Möglichkeiten des in Dresden kon- zentrierten Ensembles von Wissenschaftsdisziplinen entsprechen. Die letzte eigenständige Veranstaltung des IAFD fand bereits am 8. Mai 1990 statt. In der Broschüre werden die Hintergründe und Voraussetzungen der Gründung des IAFD und seine Aktivitäten kurz

254 die hochschule 1/2005 skizziert und ein Resümee gezogen. Die zweite Hälfte der Broschüre nimmt der Wiederab- druck des Vortrags von Ernst Woit „Friedenskampf heute und das Problem der Ideologie“ ein, der zum 5. Dresdner Kolloquium zu philosophisch-weltanschaulichen Fragen des Frie- denskampfes am 30. Juli 1988 gehalten worden war.

Schilfert, Sabine (Bearb.): Findbuch zum wissenschaftlichen Nachlaß des Pä- dagogen Prof. Karl Trinks (1891 – 1981). Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung/Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Ber- lin 1993. 24 S. Bezug bei: BBF, Warschauer Str. 34-38, 10243 Berlin. Der wissenschaftliche Nachlaß des Pädagogen Karl Trinks gehört zu den archivalischen Sammlungen der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung und wird hier in einzel- nen verzeichnet. Es umfaßt unterschiedlichste Dokumente aus Trinks’ Tätigkeit als Lehrer an der Dresdner Versuchsschule (1922 – 1933), als Vorsitzender des Dresdner und des Sächsischen Lehrervereins in der Weimarer Republik (1920 – 1933) sowie als Ordinarius für Theoretische Pädagogik und Geschichte der Pädagogik der TH Dresden (1946 – 1957). Vorangestellt ist eine Zeittafel zu Leben und Werk.

Schilfert, Sabine (Bearb.): Findbuch zum wissenschaftlichen Nachlaß des Pä- dagogen Prof. Dr. h.c. mult. Hans Siebert (1910 – 1979). Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung/Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Berlin 1993. 57 S. Bezug bei: BBF, Warschauer Str. 34-38, 10243 Berlin. Der 1910 geborene Hans Siebert wurde nach einer kurzen Anstellung als Junglehrer 1933 aus dem Schuldienst entlassen und war bis 1936 wegen illegaler Aktivitäten als führendes Mitglied der KPD Hessen-Nassau im Zuchthaus Kassel-Wehlheiden bzw. im Konzentra- tionslager Lichtenburg inhaftiert. Nach seiner Entlassung floh er nach England und siedelte 1947 in die sowjetische Besatzungszone über. Er engagierte sich als Schulpolitiker, wurde jedoch bereits 1950 „aus Sicherheitsgründen“ von allen gesellschaftlichen Funktionen ent- bunden. In den Jahren 1953–1959 wirkte er als Direktor des Pädagogischen Instituts Dres- den. Von 1960 bis zu seiner Emeritierung 1970 arbeitete er als ordentlicher Professor für Geschichte und Theorie der sozialistischen Pädagogik an der TH/TU Dresden. Die Publika- tion verzeichnet seinen wissenschaftlichen Nachlaß, welcher zum Bestand der archival- ischen Sammlungen der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung gehört. Vorang- estellt ist eine Zeittafel zu Leben und Werk.

Schilfert, Sabine (Bearb.): Findbuch zum wissenschaftlichen Nachlaß der Pä- dagogin Prof. Dr. Gertrud Rosenow (1889 – 1976). Deutsches Institut für Inter- nationale Pädagogische Forschung/Bibliothek für Bildungsgeschichtliche For- schung, Berlin 1994. 27 S. Bezug bei: BBF, Warschauer Str. 34-38, 10243 Berlin. Gertrud Rosenow arbeitete zwischen 1909 bis 1929 als Mittelschullehrerin bzw. -rektorin, ab 1929 als Landschulrätin im Landkreis Halle und wurde 1931 als Regierungs- und Schul- rätin der Abteilung Volks- und Mittelschulen am Provinzialschulkollegium nach Berlin delegiert. 1933 erfolgte ihre Amtsenthebung. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erhielt sie einen Lehrauftrag an der neu gegründeten Pädagogischen Fakultät der Humboldt- Universität zu Berlin für das Fach Deutsch und wurde 1948 zur ordentlichen Professorin berufen. Von 1951 bis 1955 arbeitete sie als Direktorin und Professorin des Instituts für Unterrichtsmethodik. Ihr Nachlaß gehört zu dem archivalischen Bestand der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung und wird in dem Findbuch verzeichnet. Vorangestellt ist eine Zeittafel zu Leben und Werk.

die hochschule 1/2005 255 Schilfert, Sabine (Bearb.): Findbuch zum wissenschaftlichen Nachlaß des Pä- dagogen Prof. Hans Löffler (1899 – 1988). Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung/Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Ber- lin 1997. 9 S. Bezug bei: BBF, Warschauer Str. 34–38, 10243 Berlin. Hans Löffler war ab 1924 im Berliner Schuldienst als Studienrat tätig und wurde 1941 als Mitglied einer Widerstandsgruppe verhaftet. Nach 1945 leitete er in Berlin die Lehreraus- bildung, ab 1945 war er als Dozent, später als Professor für Mathematik-Methodik an der Pädagogischen Hochschule Berlin-Köpenick und von 1946 bis 1974 an der Pädagogischen Hochschule in Halle/Saale tätig. Der wissenschaftliche Nachlaß Löfflers gehört zu den ar- chivalischen Sammlungen der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung und wird hier im einzelnen verzeichnet. Vorangestellt ist eine Zeittafel zu Leben und Werk.

Gruner, Petra (Bearb.): Findbuch zum Nachlaß des Pädagogen und Bildungspo- litikers Prof. Leo Regener (1900 – 1975). Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung/Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Ber- lin 1998. 88 S. Bezug bei: BBF, Warschauer Str. 34-38, 10243 Berlin. Leo Regener war Volksschullehrer in Braunschweig, mußte jedoch 1933 aus politischen Gründen den Schuldienst verlassen. 1946 wurde er Dezernent für Lehrerbildung im Haup- tschulamt des Magistrats von Groß-Berlin. Von 1952 bis zu seiner Pensionierung 1965 wirkte er als Direktor der Pädagogischen Zentralbibliothek Berlin. Der Nachlaß des Päda- gogen Leo Regener gehört zum archivalischen Bestand der Bibliothek für Bildungs- geschichtliche Forschung und umfaßt 336 Aktenmappen. Das Findbuch verzeichnet diesen Bestand. Vorangestellt ist eine Zeittafel zu Leben und Werk.

Basikow, Ursula (Bearb.): Findbuch zum wissenschaftlichen Nachlaß des Pä- dagogen Prof. Dr. Karl Hoffmann (geb. am 17.2.1915). Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung/Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Berlin 1998. 54 S. Bezug bei: BBF, Warschauer Str. 34–38, 10243 Berlin. Der wissenschaftliche Nachlaß des Musikpädagogen Karl Hoffmann gehört zu den archival- ischen Sammlungen der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung und wird hier in einzelnen verzeichnet. Vorangestellt ist eine Zeittafel zu Leben und Werk.

Mannschatz, Eberhard: Jugendhilfe und Heimerziehung in der DDR und über ihre Rolle im heutigen sozialpädagogischen Diskurs. AG Bildungspolitik beim Parteivorstand der PDS, Berlin 1998. 78 S. Bezug bei: AG Bildungspolitik beim Parteivorstand der PDS, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin; parteivor- [email protected] Die Broschüre gibt einen Überblick zur DDR-Jugendhilfe und erläutert ihr Aufgaben- und Arbeitsprofil, ihre wissenschaftlichen Konzepte und Leitbilder sowie ihre Entwicklungen und Transformationen in den 40 Jahren. Abschließend bemüht sich der Autor um eine kri- tische Wertung der Jugendhilfe und versucht, die Rolle des DDR-Nachlasses im heutigen sozialpädagogischen Diskurses zu situieren.

Van Buer, Jürgen/Steffi Badel/Renate Borrmann-Müller/Peter Kudella/Sabine Matthäus/Dagmar Schneider/Dieter Squarra: Tradition und Innovation. Zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Wirtschaftspädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin (Studien zur Wirtschafs- und Erwachsenenpäda-

256 die hochschule 1/2005 gogik aus der Humboldt-Universität zu Berlin Band 1.1). Berlin o.J. [1994]. 96 S. Bezug: Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Wirtschafs- und Erwachse- nenpädagogik, Unter den Linden 6, 10099 Berlin. Der vorliegende Band ist der erste von 7 Teilbänden, in welchen die Wirtschaftspädagogik der Humboldt-Universität zu Berlin versucht, ein komplexes Bild des Konzepts für die For- schung und Lehre innerhalb dieses Teilbereichs für die nächsten Jahre einer breiteren Öf- fentlichkeit vorzustellen. Der vorliegende Teilband rekonstruiert in diesem Kontext einle- itend die fast 90-jährige Geschichte der Wirtschaftpädagogik in Berlin. Zentral sind dabei die Umbruchsprozesse in der Wirtschaftspädagogik nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 und ihre Plazierung in die Tradition wirtschaftspäda- gogischer Forschung und Lehre, die in Berlin bis 1906 zurückreicht. Weitere Kapitel setzen sich mit dem Struktur, der Organisation und dem Studiumsverlauf der Wirtschaftspädagogik in Berlin auseinander.

Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der TU Chemnitz-Zwickau (Hg.): Re- miniszenzen und Reflexionen zum Aufbau der Fakultät der Wirtschaftswissen- schaften. Zur Gründung der Fakultät der Wirtschaftswissenschaften an der TU Chemnitz-Zwickau am 15. November 1993. Chemnitz 1993. 114 S. Bezug bei: TU Chemnitz, Pressestelle, 09107 Chemnitz; marketingsekretariat@tu- chemnitz.de Am 15.11.1993 wurde nach einem fast dreijährigen Prozeß der Abwicklung und des Wied- eraufbaus die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften mit einem Festakt in der Chemnitzer Oper neu gegründet. Der Band versammelt kleine Essays von Personen, die an dem Prozeß dieser Neugründung in unterschiedlicher Weise teilgenommen haben, und versucht so einen Einblick aus unterschiedlichsten persönlichen Perspektiven zu vermitteln. Die Beiträge im einzelnen: „Vorwort des Gründungsdekans“ (Rütger Wossidlo), „Das AIESEC- Lokalkomitee Chemnitz“ (Christian Auer/Dagmar Beyer/Anja Geißler/Veit Gröger/Andreas Klinke/Thomas Land/Dirk Staake/Martina Zille), „Welch ein Chaos, alles geht!“ (Albrecht Dürnhöfer), „Positive und negative Eindrücke während der Gründungsphase“ (Dieter Dziadkowski), „Impressionen eines ‚alten’ Hochschullehrers“ (Siegfried Fischer), „Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät aufbauen oder lieber Hockey spielen?“ (Günther Hecht), „Impressions of Chemnitz“ (Gordon V. Karels), „Rückblick auf die Gründung der Wirtschaftswissenschaften“ (Bernd Klaußner), „Ein Jahr lang in Chemnitz“ (Rainhart Lang), „Gedankensplitter zur Wende“ (Rudolf Ludloff), „Wie grau ist der Himmel über Chemnitz?“ (Rainer Marr), „Die Rechtsausbildung der Wirtschaftswissenschaftler an der Tu Chemnitz-Zwickau“ (Lutz Michalski), „Zur Förderung interkultureller Kompetenzen durch Fremdsprachenunterricht“ (Bernd Müller-Jacquier), „’Meine ersten Tage’“ (Christof Nawratil), „Begegnungen in Chemnitz“ (Hans-Jürgen Niehaus), „Ein RRef und Ass in Chemnitz“ (Andreas Schiller), „Der Weg einer ostdeutschen Forschungsstudentin zur Pro- motion“ (Susann Schmidt), „Studentische Gedanken zum Gründungsprozeß“ (Kerstin Aßmann/Evelyn Dietrich/Jana Mast/Heike Schmidt/Anja Tränker/Michael Triebert), „’Wer immer strebend sich bemüht, den werden wir erhören...’“ (Karl-Heinz Tempel), „Ha- bilitieren im ‚Tal zwischen Theorie und Praxis’“ (Angela Walter).

Ruder, Rudolf: Instituts-Chronik der Polygraphischen Technik an der TU Chemnitz 1956 – 1997. O.O. [Chemnitz], o.J. [1992]. 175 S. Bezug bei: TU Chemnitz, Pressestelle, 09107 Chemnitz; [email protected] Die Chronik zeichnet die Entwicklung der Polygraphischen Technik zwischen 1956 und 1997 an der heutigen TU Chemnitz-Zwickau nach und legt dabei den Schwerpunkt vor al- lem auf die Leistungen ihrer Mitarbeiter in Ausbildung und Forschung, in ihren Beziehun- gen zur Industrie und zu ausländischen Institutionen. Da der Autor selbst Student der ersten die hochschule 1/2005 257 Matrikel und langjähriger Mitarbeiter sowie Hochschullehrer und Leiter des Wissenschafts- bereichs Polygraphische Technik war, basiert die Darstellung neben der Auswertung fa- kultätsinterner Quellen zum großen Teil auf persönlichem Erleben.

Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der TU Chemnitz-Zwickau (Hg.): Chronik der Fakultät. O.O. [Chemnitz], o.J. [1995?]. 28 S. Bezug bei: TU Chemnitz, Pressestelle, 09107 Chemnitz; [email protected] Die Broschüre gibt einen kurzen illustrierten Abriß der (Vor-)Geschichte der Elektro- und Informationstechnik in Chemnitz seit der Gründung der „Königlichen Gewerbeschule“ 1836 und entstand aus Anlaß des 30-jährigen Bestehens der Fakultät.

Richter, Horst-G.: 100 Jahre Ingenieurausbildung 1891 – 1991. Festschrift. Technische Hochschule Köthen, Köthen 1991. 50 S. Die Publikation zeichnet die wichtigsten Entwicklungslinien der am 4. Mai 1891 als Akade- mie für Handel, Landwirtschaft und Industrie gegründeten Technischen Hochschule in Köthen nach und stellt die wichtigsten Persönlichkeiten, die auf diese Geschichte maßge- blich Einfluß genommen haben, vor.

Schäfer, Carmen: Hochschulreform 1968 an der Technischen Hochschule Otto von Guericke Magdeburg. Fachhochschule Potsdam, Potsdam 1995. 113 S. In Einzelkapiteln unter URL: http://www.uni-magdeburg.de/uniarchiv/beitraege /reform/reform68.htm. Die Diplomarbeit untersucht im Hinblick auf die 3. Hochschulreform 1968, wie die Bildungs- und Wissenschaftspolitik der DDR die Entwicklung der Hochschule Magdeburg beeinflußte, welche strukturellen Veränderungen sich vollzogen und welche bedeutenden Ereignisse im Hochschulleben zu verzeichnen waren.

2. Publikationen ab 1999

Köhler, Helmut/Thomas Rochow/Edeltraud Schulze: Bildungsstatistische Er- gebnisse der Volkszählungen der DDR 1950 bis 1981. Dokumentation der Aus- wertungstabellen und Analysen zur Bildungsentwicklung (Studien und Berichte Bd. 69). Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin 2001. 373 S. € 18,40. Bezug bei: MPI für Bildungsforschung, Lentzallee 94, 14195 Berlin. In dem Band werden aus weitgehend unveröffentlichten Unterlagen der Volks- und Beruf- szählungen der DDR bildungsstatistische Daten dokumentiert und analysiert. Die Verteilung der allgemeinen und beruflichen Bildungsabschlüsse für die einzelnen Geburts- jahrkohorten zum Datum der Zählungen liefert ein Spiegelbild der Bildungsentwicklung im Zeitverlauf. Der Vergleich der Daten für 1981 und 1971 zeigt eindrucksvoll die Auswirkun- gen der Bildungsexpansion und der Veränderung der Qualifikationsstruktur durch Weiter- bildungsmaßnahmen. Umfangreiche Tabellen informieren über die berufliche Ausbildung und ausgeübte Tätigkeit sowie über die Zusammenhänge zwischen Berufstätigkeit, Bildungsstand der Frauen und Kinderzahl. Ausgewählte Vergleiche mit entsprechenden Volkszählungsdaten für die Bundesrepublik Deutschland weisen auf gleichgerichtete Ten- denzen bzw. unterschiedliche bildungspolitische Entwicklungen hin.

258 die hochschule 1/2005 Budde, Gunilla-Friederike: Frauen der Intelligenz. Akademikerinnen in der DDR 1945 bis 1975 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Bd. 162). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003. 446 S. € 49,90. Im Buchhandel. Die Studie beleuchtet Ausbildungs-, Berufs- und Karrierewege von Akademikerinnen in der DDR zwischen 1945 und 1975. Es werden die Ausbildungswege und Berufserfahrungen von Akademikerinnen sowie ihre Karriereoptionen zwischen Familie und Karriere rekon- struiert. Eines der vier Kapitel befasst sich dabei mit „Studium und neue Aus- bildungswege“. In einem anderen Kapitel werden Frauen in akademischen Berufen unter- sucht, wobei Wissenschaftlerinnen, Richterinnen, Ärztinnen und Lehrerinnen exemplarisch ausgewählt wurden. Schließlich geht es um „Akademikerinnen zwischen Familie und Karri- ere“. Die Studie stützt sich auf eine breite Quellenbasis: Offiziellen Stimmen aus Partei, Massenorganisationen und Presse werden Eingaben und Interviews, Romane und DEFA- Filme gegenübergestellt.

Prokop, Siegfried: Intellektuelle im Krisenjahr 1953. Enquête über die Lage der Intelligenz der DDR. Analyse und Dokumentation. Schkeuditzer Buchverlag, Schkeuditz 2003. 348 S. € 18,50. Im Buchhandel. Der DDR-Intelligenz wurde im Anschluß an die Ereignisse des 17. Juni 1953 häufig nach- gesagt, sich hätten sich voll und ganz auf die Seite der Regierung geschlagen. Diese Per- spektive verdanke sich, so der Autor, einer starken Fokussierung der bisherigen Forschung auf den Tag des Volksaufstandes, ohne die Gesamtsituation einer länger andauernden Ge- sellschafts- und Systemkrise zu berücksichtigen. Demgegenüber rückt der Autor hier bisher häufig vernachlässigte Quellen, wie die Enquête des Kulturbundes zur Lage der Intelligenz vom März 1953, die Analysen des Förderungsausschusses für die deutsche Intelligenz und die Zentrale Intelligenzkonferenz im Mai 1953 in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und sucht damit eine Reihe bisher vernachlässigte Fragen zu beantworten, etwa welche Rolle materielle Sorgen, die Rechtsunsicherheit und der Bürokratismus als Ursache für die Unzu- friedenheit der Intelligenz spielten, ob ihre Forderungen auf eine Reform der DDR- Gesellschaft abzielten und ob dabei Politikvorstellungen über den demokratischen Sozial- ismus in Westeuropa oder das Gesellschaftsmodell der Bundesrepublik in die Forderungen eingeflossen seien. Die Quellen werden in einer Auswahl dokumentiert.

Behrend, Hanna: Demokratische Mitbestimmungsrechte unter DDR-Bedingun- gen. Die ambivalenten Strukturen an den Universitäten (Gesellschaft – Ge- schichte – Gegenwart. Schriftenreihe des Vereins „Gesellschaftswissenschaftli- ches Forum e.V.“ Berlin Bd. 23). trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin 2003. 183 S. € 17,80. Im Buchhandel. Die Monographie untersucht die Mitbestimmungs- und Interventionsmöglichkeiten der Angehörigen von Hoch- und Fachschulen der DDR und möchte damit einen Beitrag zur Analyse von Geschichte und Strukturen der höheren Bildungseinrichtungen leisten. Es wer- den vor allem die letzten beiden Jahrzehnte der DDR behandelt, wobei sich die Autorin auf persönlicher Erfahrungen, darunter fast 30 Jahre an der Humboldt-Universität zu Berlin, stützen kann. Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse der Entscheidungsstrukturen und - instrumente, der Mitbestimmungsmöglichkeiten und des Verhältnisses von Akademikern untereinander, sowie der Lehrkräften zu den Studierenden. So wird am Beispiel der Nutzung einer feministischen Position gezeigt, dass engagierte MitarbeiterInnen die wider- sprüchlichen Führungsprinzipien und -strukturen nutzen konnten, um in gewissem Umfang Reformen im Sinne einer qualitätsorientierten und autonomen Hochschulpolitik durchzuset- zen.

die hochschule 1/2005 259 Jens Hüttmann/Peer Pasternack (Hg.): Wissensspuren. Bildung und Wissen- schaft in Wittenberg nach 1945, Drei-Kastanien-Verlag, Lutherstadt Wittenberg 2004, 414 S. € 24,90. Im Buchhandel. 1994 war in Wittenberg die Stiftung Leucorea gegründet worden. Sie hat seither den Auf- trag, in enger Kooperation mit der Martin-Luther-Universität in Halle/S. den historischen Universitätsstandort in Wittenberg akademisch wiederzubeleben. Der Band liefert eine um- fassende zeitgeschichtliche Bestandsaufnahme von Bildung und Wissenschaft in den fünf Jahrzehnten, die dieser Wiederbelebung vorangegangen waren. Unter den 37 Autorinnen und Autoren finden sich sowohl Wissenschaftler wie Zeitzeugen. In sechs Kapiteln wird der Aufriss geliefert: „Reformationsstadt“, „Bildung und Forschung in Medizin, Na- turwissenschaft und Industrie“, „Heimat- und Stadtgeschichtsschreibung“, „Kultur als Bil- dungsträger“, „Schulwesen“ und „Wieder ein universitärer Standort“. Deutlich wird einer- seits, wie die DDR mit der Rolle Wittenbergs als Zentrum der reformationshistorischen To- pografie umging, und andererseits, welche geistigen Räume sich die Bevölkerung einer mit- telgroßen Stadt in der DDR sicherte bzw. erschloss. Die Beiträge im einzelnen: Geleitwort (Wolfgang Böhmer) und Vorwort (Reinhard Kreckel); „Wittenberg nach der Universität“. Zur Geschichte des Projekts (Jens Hüttmann), Wissenschaft und Höhere Bildung in der Pe- ripherie. Zur Einordnung des Falls Wittenberg (Peer Pasternack); Deponieren und Expo- nieren. Einblicke in das Lutherhaus (Stefan Rhein), Der Beitrag von Oskar Thulin (1898– 1971) für Bildung und Wissenschaft in Wittenberg nach 1945 (Christian Mai), Leben und Lernen auf Luthers Grund und Boden. Das Evangelische Predigerseminar Wittenberg (Peter Freybe), Die Ausbildung an der Evangelischen Predigerschule der Kirchenprovinz Sachsen in Wittenberg 1948–1960. Ein Beispiel für den Zugang zum Pfarramt auf dem zweiten Bildungsweg (Hans-Joachim Kittel), Das Wittenberger Stadtkirchenarchiv (Jens Hüttmann), Zur Geschichte des Melanchthonhauses nach 1945 (Edeltraud Wießner); Medizinische Ausbildung und wissenschaftliche Tätigkeit am Krankenhaus der Paul-Gerhardt-Stiftung (Peter Gierra), Industrieforschung in den Stickstoffwerken Piesteritz 1945–1994 (Klaus Jasche, Manfred Oertel), Industrieforschung im Gummiwerk „Elbe“ nach 1945 (Wilfried Kunert), Zur Geschichte der Betriebsakademie des Gummiwerkes Elbe nach 1945. Erin- nerungen (Lotar Pickel), Das Institut für Umweltschutz (Martina Lindemann, Hans Jürgen Discher, Angelika Mleinek), Von der Kirche zur Gesellschaft. Die Bewegung des Witten- berger Forschungsheimes zwischen 1945 und 2000 (Hans-Peter Gensichen), Naturkundliche Fachgruppen im Kulturbund (Dieter Schäfer), Denkmalpflege und Heimatgeschichte im Kulturbund (Dieter Schäfer unter Mitarbeit von Burkhart Richter), Stadtgeschichtliches Museum – Städtische Sammlungen (Peer Pasternack), Das Museum für Natur- und Völk- erkunde „Julius Riemer“ (Renate Gruber-Lieblich), Die Bibliothek als Bildungsstätte, Kul- tur- und Kommunikationszentrum. Zur Wittenberger Bibliotheksgeschichte seit 1945 (Diana Pielorz), Der A. Ziemsen Verlag (Friedrich-Karl Künne), Die Pirckheimer- Gesellschaft in Wittenberg (Elke Stiegler), Theater in Wittenberg (Helmut Bläss), Musik und musikalische Bildung in Wittenberg nach 1945. Versuch einer Bestandsaufnahme (Rolf Udo Kober), „Sozialistisch arbeiten, lernen und leben“. Kulturhäuser in Wittenberg (Renate Gruber-Lieblich), Vom „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ 1945 zum „Kulturbund e.V.“ 1990 (Dieter Schäfer), Schulgeschichte in der Geschwister-Scholl- Straße/Falkstraße seit 1945. Heimkehrerlazarett, Polytechnische Oberschule, Berufsschule, Diesterweg-Grundschule, Kreisvolkshochschule (Gudrun Radke, Rosel Retzlaff), Kreis- volkshochschule Wittenberg (Stephan Köcke), Das Melanchthon-Gymnasium Wittenberg (Barbara Geitner, Heidrun Rößing, Ariane Schröter, Maria Bothe, Susanne Hoffmann, Vic- toria Kamphausen), Die Lucas-Cranach-Schule in Piesteritz (Hildegard Rühmigen), Akademische Wissenschaft in Wittenberg: Zehn Jahre im Aufbruch. Wirkungen des univer- sitären Standortes seit 1994 (Johannes Walther), Wissensnetze. Bildung und Wissenschaft in Wittenberg seit 1990 (Peer Pasternack).

260 die hochschule 1/2005 Münster, Arno: Ernst Bloch. Eine politische Biographie. PHILO & Philo Fine Arts, Berlin/Wien 2004. 442 S. € 29,90. Im Buchhandel. Der deutsch-jüdische Philosoph Ernst Bloch schuf in vielen Stationen des Exils (Schweiz, Frankreich, Tschechoslowakei, USA) auf Tausenden von Seiten ein Werk, dessen größter Teil erst ab den 60er Jahren veröffentlicht wurde. Nicht zuletzt seine auch unter den Emi- granten umstrittenen politischen Positionierungen hatten zur Folge, daß er in zehn Jahren USA keine bezahlte Stellung fand. Seine erste Professur erhielt er mit 63 Jahren 1949 in Leipzig, wo er bald geächtet werden sollte. In seiner letzten Jahren in Tübingen entwickelte sich Bloch zu einem der führenden Denker der 68er Bewegung. In der Biographie wird Blochs Denken nicht nur als eine Herausforderung gegen Resignation und Nihilismus re- konstruiert, sondern auch in die politischen Ereignisse seiner Zeit eingebettet.

Hiller von Gaertringen, Rudolf (Hg.): Denken ist Überschreiten – Ernst Bloch in Leipzig. Begleitband zur Ausstellung. Kustodie der Universität Leipzig, Leipzig 2004. 139 S. € 8,-. Bezug bei: Kustodie – Kunstsammlung der Universität Leip- zig, Goethestr. 2, 04109 Leipzig; [email protected] Obschon den Leipziger Jahren Blochs 1949 bis 1961 innerhalb seiner Biographie zentrale Bedeutung zukommt, sind sie bislang vergleichsweise wenig untersucht worden. Die Erfor- schung dieser Periode stellt nicht zuletzt deshalb eine besondere Schwierigkeit dar, weil der Großteil von Blochs Nachlaß aus der Zeit vor 1961 offenbar von den Organen der SED- Herrschaft zerstört wurde. Die Ausstellung „Denken ist Überschreiten. Ernst Bloch in Leip- zig“ – im Hörsaalbau der Universität Leipzig von Mai bis Juli 2004 zu sehen – sollte diese Lücke schließen. Sie suchte Blochs Leipziger Jahre anhand von Dokumenten, Fotografien und Zeitzeugenberichten zu beleuchten. Ihr komme der Charakter einer Spurensuche zu, die um so wichtiger sei, als die Bloch-Rezeption in der DDR nach seinem Weggang weitgehend abbrach. Blochs Leipziger Jahre sind jedoch auf das Engste mit der Geschichte der DDR verquickt und zeigen, wie anfängliche Hoffnungen auf einen Neuanfang nach dem national- sozialistischen Debakel zusehends enttäuscht und zerschlagen wurden. Der zur Ausstellung erschienene Band dokumentiert neben den Ausstellungstexten die folgenden Beiträge: Vor- wort des Herausgebers, „Ernst Bloch: Die Leipziger Jahre. Rede aus Anlaß der Ausstel- lungeröffnung“ (Jan Robert Bloch), „’Moderner Geistestyp’ statt ‚mit exakten For- schungsmethoden vertrauter Gelehrter’. Leipzig als ein Zentrum der akademischen Remi- gration nach dem Zweiten Weltkrieg“ (Matthias Middell), „Zur Ernennung Ernst Blochs zum Professor der Philosophie an der Universität Leipzig und zu seinem Weggang. Nach der archivalischen Überlieferung“ (Gerald Wiemers), „Ernst Blochs Utopie authentischer Bildung“ (Pirmin Stekeler-Weithofer), „’Fürs Leben lernend, aber auch fürs Lernen lebend’. Erinnerungen an den akademischen Lehrer Ernst Bloch“ (Gert Ueding).

Banse, Gerhard/Siegfried Wollgast (Hg.): Philosophie und Wissenschaft in Ver- gangenheit und Gegenwart. Festschrift zum 70. Geburtstag von Herbert Hörz (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät Bd. 13). Trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin 2003. 504 S. € 42,80. Im Buchhandel. Der Sammelband vereinigt aus Anlaß des 70. Geburtstages des Präsidenten der Leibniz- Sozietät zahlreiche Beiträge von Natur- und Geisteswissenschaftlern, die aus ihren jeweili- gen Fachgebieten heraus die Leistungen des Wissenschaftsphilosophen Hörz zu würdigen suchen. Neben den Beiträgen zur wissenschaftlichen Arbeit des Jubilars werden in einem zweiten Teil ergänzend Erlebnisberichte zum wissenschaftlichen Wirken und zum Men- schen Herbert Hörz dokumentiert. Im Anhang findet sich eine Bibliographie seiner Publika- tionen. DDR-wissenschaftsgeschichtlich sind folgende Beiträge von Interesse: „Vorwort: Zur Person von Herbert Hörz“ (Lothar Kolditz), „Tabula Gratulatoria“, „Vorwort“ (Gerhard Banse/Siegfried Wollgast), „Das Gesetzesverständnis im Spannungsfeld von Philosophie die hochschule 1/2005 261 und Pädagogik in der DDR“ (Dieter Kirchhöfer), „Remembering meeting Professor Hörz“ (Imre Hronszky), „Brücken und Mauern – Ein interdisziplinärer Dank“ (Gerda Jun), „Meine Ankunft bei Herbert Hörz (1972/73)“ (Heinz Liebscher), „An American Physicist, German Philosophers, and U.S. Marxist Studies: A Personal Memoir“ (Erwin Marquit), „Herbert Hörz – Gründer einer wissenschaftsphilosophischen Schule?“ (Siegfried Paul), „Philoso- phieren in der DDR: Modell Kühlungsborn“ (Frank Richter).

Adolphi, Wolfram (Hg.): Michael Schumann. Hoffnung PDS. Reden, Aufsätze, Entwürfe 1989 – 2000 (Rosa-Luxemburg Stiftung Texte Bd. 12). Karl Dietz Ver- lag, Berlin 2004. 283 S. € 14,90. Im Buchhandel. Auch unter: http://www.rosalux. de/cms/fileadmin/rls_uploads/pdfs/texte12_01.pdf Michael Schumann (1946–2000) war bis 1990 Philosophieprofessor an der Akademie für Staat und Recht Potsdam und gehörte ab 1989 als Mitglied des PDS-Parteivorstands, als Abgeordneter der freigewählten Volkskammer und Landtagsabgeordneter in Brandenburg zu den Erneuerern der PDS. Im Unterschied zu anderen waren entsprechende Affinitäten bei ihm bis 1989 nicht oder nur sehr ansatzweise erkennbar. Der Band versammelt verschieden- ste Texte Schumanns aus den 90er Jahren. Er gibt einen Einblick in die Entwicklung eines marxistischen DDR-Gesellschaftswissenschaftlers, den es in die Politik verschlagen hat. Eingeleitet wird die Publikation durch ein Geleitwort von Lothar Bisky und ein ausführ- liches Vorwort des Herausgebers. In letzterem findet sich der Lebens- und akademische Weg Schumanns nachgezeichnet.

Havemann, Katja/Joachim Widmann: Robert Havemann oder Wie die DDR sich erledigte. Ullstein Berlin Verlag, München 2003. 430 S. € 24,-. Im Buchhandel. Katja Havemann, die Witwe Robert Havemanns, und der Journalist Joachim Widmann zeichnen in der vorliegenden Publikation ein Porträt von Robert Havemanns und seiner engsten Freunde bis in die Zeit des Wendeherbstes. Das Buch basiert neben der Auswertung der Stasi-Akten auf zahlreichen Gesprächen mit Katja Havemann sowie mit den Freunden und Unterstützern Robert Havemanns.

Wustmann, Markus: Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig 1947 – 1951. Experimentierfeld kommunistischer Hochschulpolitik in SBZ und früher DDR (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte [BLUWiG] Reihe B, Band 4). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2004. 181 S. € 19,80. Im Buchhandel. In der Leipziger Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät wurden bereits in den Jahren zwi- schen 1947 und 1951 wesentliche Umstrukturierungen, welche später für die gesamte höhere Bildung in der DDR kennzeichnend sein sollten, vorgenommen. So wurden hier bereits frühzeitig die seit 1951 DDR-weit für sämtliche Fächer geltende Studienorganisation nach zentralen Plänen und in Seminargruppen ebenso wie das obligatorische gesell- schaftswissenschaftliche – später marxistisch-leninistische – Grundstudium eingeführt. Während dieser Zeit wurde die personelle Besetzung des Lehrkörpers wie der Studenten- schaft und deren Gremien durch Funktionäre und Anhänger der SED forciert. Die Studie bemüht sich erstmals um eine Gesamtdarstellung auf der Basis der vollständig erhaltenen Fakultätsakten. Dabei will sie nicht nur ein wichtiges Kapitel Leipziger Universitäts- geschichte erhellen, sondern auch Einblicke in die Funktionsweise kommunistischer Hochschulpolitik in der SBZ/DDR bieten.

Mayer, Herbert/Helmut Meier/Detlef Nakath/Peter Welker (Hg.): Goethe in der DDR. Konzepte, Streitpunkte und neue Sichtweisen. Konferenzbeiträge (Hefte

262 die hochschule 1/2005 zur DDR-Geschichte 79). Gesellschaftswissenschaftliches Forum/Helle Panke, Berlin 2003. 68 S. € 3,-. Bezug bei: Helle Panke e.V., Kopenhagener Straße 76, 10437 Berlin; [email protected] Auf Initiative von Thomas Höhle und anderer fand am 30. November 2002 eine Tagung in Berlin statt, auf der sich Literatur- und Kulturwissenschaftler aus West- und Ostdeutschland sowie den USA zum Umgang mit Goethe und der deutschen Klassik in der DDR äußerten. Anlaß waren Publikationen im Rahmen eines entsprechenden Weimarer Projekts, die auf heftigen Widerspruch auf der Berliner Tagung stießen. Die Beiträge im einzelnen: „Goethe in der DDR. Einführung. Standpunkte“ (Thomas Höhle), „Wie ein Projekt die Weimarer Klassik in der DDR wissenschaftlich ‚aufarbeitet’“ (Heinz Hamm), „Die Kontroverse um die Klassik-Legende“ (Jost Hermand), „Wolfgang Heises Konzept der deutschen Klassik“ (Thomas Metscher), „Freiheit, Willensfreiheit, Persönlichkeit. Zu einer philosophischen Grundfrage in der Goethe-Forschung der DDR“ (Wolfgang Beutin), „Faust im Produktion- seinsatz? DDR-Variationen im Umgang mit der Klassik“ (Leonore Krenzlin), „Was heißt Geschichte der Literaturgeschichte und zu welchem Ende betreibt man sie?“ (Günter Har- tung), „Vom Ende der klassischen Kunstperiode. Kulturhistoriker versus aktualisierende Traditionspflege“ (Helmut Bock).

Wissenschaftsrat: Stellungnahme zur Stiftung Weimarer Klassik und Kunst- sammlungen (Drs. 6170/04). Berlin 2004. 64 S. Auch unter URL: http://www. wissenschaftsrat.de/presse/pm_2504.html. Bezug bei: Geschäftsstelle des Wis- senschaftsrates, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Brohler Straße 11, 50968 Köln; [email protected] Die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, die 1991 als Nachfolgeeinrichtung der "Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten" der DDR eingerichtet wurde und als eine der wichtigsten Kulturstiftungen Deutschlands gilt, umfaßt einmalige Sammlungen und kul- turelle Stätten der deutschen Klassik (unter anderem Goethe- und Schiller-Archiv, Herzogin Anna Amalia Bibliothek), die teilweise in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufge- nommen wurden. Die Stellungnahme des Wissenschaftsrates stellt erhebliche Defizite in der inhaltlichen und organisatorischen Neuausrichtung der Stiftung im Zuge ihrer mehrfachen Umgestaltung seit 1991 fest und plädiert daher für die Einrichtung einer Strukturkommis- sion, welche in einem stringenten Konzept die Grundlagen für eine stärkere nationale und internationale Sichtbarkeit der Stiftung ausarbeiten soll.

Hartung, Günter: Geschichtsschreibung zur Literaturwissenschaft im ‚Beitritts- gebiet’. Eine Kritik. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2003. 53 S. € 12,-. Im Buchhandel. Der Text möchte zum einen mit Nachdruck auf die seit kurzem vorliegende Edition der Brief- und Dokumentensammlung des in Leipzig tätigen Hochschullehrers Andre Jolles (1874–1946) hinweisen, welcher nach Ansicht des Autors zu den wegweisenden Forschern in der allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaften (AVL) in der nach- positivistischen Ära zählt. Die Arbeiten Jolles’ hätten in der DDR-Literaturgeschichte einen nicht zu unterschätzenden Einfluß gehabt, wie eine vornehmlich in Jena fortlebende Jolles- „Schule“ deutlich mache. Von hier wird der Bogen geschlagen zu neueren Arbeiten zur DDR-Germanistikgeschichte. Der Autor identifiziert in diesen eine Tendenz, „DDR-Kultur und ‚Weimarer Klassik’ in ein enges und negativ konnotiertes Verhältnis zueinander zu bringen. Die Züge, die man jener generell vorhält – Unfreiheit, Fremdbestimmung, Staats- [bzw. Partei-]hörigkeit, Traditionalismus, Anti-Modernität – meint man auch an jener zu bemerken“. Hierzu nötige Richtigstellungen nehmen den größten Teil der Broschüre ein.

die hochschule 1/2005 263 Pezold, Klaus (Hg.): Günter Grass. Stimmen aus dem Leseland. Militzke Ver- lag, Leipzig 2003. 232 S. € 19,90. Im Buchhandel. Das Werk und Wirken von Günter Grass waren stets heftig umstritten, wie noch 1995 am Verriß des Romans "Ein weites Feld" durch Marcel Reich-Ranicki deutlich wurde. Doch scharfe Kritiker, wenn auch anderer Art, fanden sich bereits 34 Jahre zuvor auf dem V. Schriftstellerkongreß der DDR 1961: Grass hatte sich für die schriftstellerische Freiheit in der DDR eingesetzt, worauf er den Kulturfunktionären als Provokateur erschien. Die Werke von Grass wurden in der DDR nicht verlegt. Erst in den achtziger Jahren, als Grass zusam- men mit Stephan Hermlin die Begegnung deutscher Schriftsteller aus Ost und West zur Friedensförderung initiiert hatte, erschienen zögerlich erste Schriften von ihm auch in der DDR. Der Sammelband skizziert die widersprüchliche Aufnahme des Literaten in der DDR bzw. Ostdeutschland, indem er zeitgenössische Texte zu Grass seit 1957 kompiliert. Neben Texten von den Kulturfunktionären, Literaturkritikern, Verlegern und Schriftstellern sind auch einige Texte von DDR-LiteraturwissenschaftlerInnen dokumentiert, die dem Band auch DDR-germanistikgeschichtliche Relevanz verleihen: „Einleitung: Zur Geschichte des Disputs mit und um Günter Grass im Osten“ (Klaus Pezold), „Einführung zur Lesung von Günter Grass im Hörsaal 40 der Leipziger Karl-Marx-Universität am 21. März 1961“ (Hans Mayer), „Gott, war das schlecht“ (Manfred Nössig), „Günter Grass in der Literatur der BRD 1949 bis Anfang der 60er Jahre“ (Klaus Pezold), „Günter Grass in der Literatur der BRD 60er und 70er Jahre“ (Ursula Reinhold), „Wo die Wörter versagen. Zu Günter Grass: Die Rättin“ (Jürgen Grambow), „Günter Grass’ ‚Blechtrommel’ in der Literaturgeschichte“ (Klaus Pezold), „Ein weites, doch fruchtbares Feld“ (Klaus Pezold), „Parallelbiographie“ (Gotthard Erler), „Störung beim Siegerfrühstück“ (Horst Haase).

Helle Panke e.V. (Hg.): Gerhard Scholz und sein Kreis. Zum 100. Geburtstag des Mitbegründers der Literaturwissenschaft in der DDR. Beiträge eines Kollo- quiums (Pankower Vorträge Heft 63), Berlin 2004, 64 S. € 3,-. Bezug bei: "Helle Panke" e.V., Kopenhagener Straße 76, 10437 Berlin; [email protected] Am 1. Oktober 2003 jährte sich zum hundersten Mal der Geburtstag von Gerhard Scholz, einem der Mitbegründers der Literaturwissenschaften in der DDR. Die vorliegende Bro- schüre enthält die aus diesem Anlaß auf einem Kolloquium gehaltenen Vorträge. Die Bei- träge im einzelnen: „Gerhard Scholz und sein Kreis. Bemerkungen zum einem unkonven- tionellem Entwurf von wirkender Literatur und Literaturwissenschaft“ (Leonore Krenzlin), „Was ein wissenschaftlicher Terminus unerwartet auslöste“ (Eva-Maria Nahke), „’Fasz- inierender als eine geschriebene Literaturgeschichte’. Anmerkungen zu zwei museolo- gischen Manuskripten von Gerhard Scholz“ (Dieter Schiller), „Gerhard Scholz und die deutsche Literatur des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts“ (Horst Haase), „Gerhard Scholz und die Faust-Gespräche – ein wissenschaftliches und politisches Vermächtnis“ (Ursula Püschel) und „Beispiele für Anstöße. Beitrag zur Diskussion über meinen Lehrer“ (Dieter Schlenstedt). Zudem sind in der Broschüre die beiden im Artikel von Dieter Schiller erwähnten Dokumente „Gesellschaft und Kultur der Goethezeit“ und „Funktion einer Zen- tralstelle für den Aufbau eines Museums der Geschichte der deutschen Nationalliteratur“ aus der Hand Gerhard Scholz’ abgedruckt.

Krauss, Werner: Briefe 1922 bis 1976 (Analecta Romanica Heft 65). Hrsg. von Peter Jehle, unt. Mitarb. v. Elisabeth Fillmann und Peter-Volker Springborn. Vit- torio Klostermann, Frankfurt a.M. 2002. 1.053 S. € 74,-. Im Buchhandel. Der als Ergänzung der achtbändigen Krauss-Gesamtausgabe erschienene Briefwechsel des Romanisten Werner Krauss – nach dem Kriege an der Universität Leipzig und der Akademie der Wissenschaften in Berlin tätig – gibt u.a. einen Einblick in die Schwierig- keiten des deutsch-deutschen akademischen Dialogs. Krauss, der von der DDR aus die

264 die hochschule 1/2005 deutsche Aufklärungsforschung neu begründet hatte, bemühte sich durch seine Korrespon- denzen wesentlich darum, den Austausch über die Blockgrenze hinweg aufrechtzuerhalten. Aus einem Gesamtbestand von 4.000 überlieferten Briefen dokumentiert der Band 604.

Ruge, Wolfgang: Berlin – Moskau – Sosswa. Stationen einer Emigration. Pahl- Rugenstein Verlag, Bonn 2003. 452 S. € 29,. Im Buchhandel. Wolfgang Ruge, von 1956 bis zu seiner Emeritierung 1982 Historiker an der Akademie der Wissenschaften, floh 1933 mit seinen Eltern in die Sowjetunion, aus der er erst 1956 wieder zurückkehren sollte. Die vorliegenden Memoiren dieser 24 Jahre schildern die Flucht, den Zerfall seiner Familie, seine Ausweisung 1939 nach Kasachstan, welche in Folge des Über- falls Deutschlands auf die SU gegen ihn auf Grund seiner Deutschstämmigkeit aus- gesprochen wird. 1942 erfolgt der Mobilisierungsbefehl und es beginnt eine Odyssee als Arbeitsarmist durch verschiedene Arbeitslager, an der auch seine zweite Ehe zerbricht. Der Bericht ist vor allem vor dem Hintergrund von Interesse, dass er von einem nachmals ein- flussreichen DDR-Historiker erstattet wird (u.a. Biografien über Stresemann, Hindenburg, Matthias Erzberger und Hitler bis 1933), der zudem in den 80er Jahren begonnen hatte, sich mit dem Stalinismus als historischem Phänomen auseinanderzusetzen („Stalinismus – Sack- gasse im Labyrinth der Geschichte“, 1991).

Balzer, Friedrich-Martin (Hg.): Wolfgang Ruge. Für Einsteiger und Fortge- schrittene. Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 2003. CD-ROM, 700 S., 4 Stunden Audiotracks. € 25,-. Im Buchhandel. Die CD-ROM gibt einen Ein- und Überblick zu den Arbeiten des DDR-Historikers Wolf- gang Ruge. Als pdf- und rtf-Dateien sind folgende Veröffentlichungen Ruges abrufbar: „Gustav Stresemann. Ein Lebensbild“, „Arnold Ruge. Fragmente eines Lebensbildes“ (Erstveröffentlichung), „Stalinismus. Sackgasse im Labyrinth der Geschichte“ sowie 16 weitere Aufsätze, die zwischen 1983 und 1998 entstanden. Abgerundet wird die CD-ROM durch eine Bibliographie Ruges, welche 850 Titel verzeichnet und durch 15 Tondokumente (in mp3-Format) mit Beiträgen für Radio DDR II aus den Jahren 1964–1990.

Hüttmann, Jens: Die „Gelehrte DDR“ und ihre Akteure. Inhalte, Motivationen, Strategien: Die DDR als Gegenstand von Lehre und Forschung an deutschen Universitäten (HoF-Arbeitsbericht 4/2004). Unter Mitarbeit von Peer Pasternack. HoF Wittenberg – Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg, Wittenberg 2004. 100 S. Bezug bei: HoF Witten- berg, Collegienstraße 62, 06886 Wittenberg; auch unter http://www.hof.uni- halle.de/cms/download.php?id=48. Im Anschluß an die Ergebnisse der Studie „Gelehrte DDR“, die 2001 eine quantitative Bestandsaufnahme der DDR als Gegenstand in der akademischen Lehre präsentierte, wer- den in der Nachfolgestudie die Akteure des DDR-bezogenen Lehr- und Forschungsbetriebs in den Blick genommen: die an den Universitäten tätigen und dort lehrenden Wissenschaft- lerInnen. Die Studie identifiziert die wesentlichen Inhalte, Motivationen und Strategien für DDR-geschichtliche Lehr- und Forschungsaktivitäten sowie diesbezügliche Zusammen- hänge von Lehre und Forschung. Ebenso werden Einschätzungen zum Verlauf der The- menkarriere von DDR-Geschichte in der Hochschullehre, die fördernden bzw. hemmenden institutionellen Bedingungen sowie die Interessen und die Vorkenntnisse der Studierenden an den entsprechenden Lehrangeboten dargestellt. Die Studie wird abgerundet durch eine perspektivenbezogene Betrachtung der DDR im wissenschaftlichen Feld und fragt danach, ob die weitere Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte von den Akteuren eher als Sack- gasse oder als Zukunftsthema eingeschätzt wird. die hochschule 1/2005 265 Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung des Deutschen Instituts für In- ternationale Pädagogische Forschung (Hg.): WissensWege. Von der Lehrbüche- rei zur Forschungsbibliothek. 125 Jahre Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (vormals Deutsche Lehrerbücherei und Pädagogische Zentralbib- liothek). Berlin 2001. 32 S. Bezug bei: BBF, Warschauer Str. 34 – 38, 10243 Ber- lin. Der Ausstellungskatalog dokumentiert anläßlich des 125jährigen Bestehens der Bibliothek für bildungsgeschichtliche Forschung nicht nur ihre Geschichte, sondern enthält zudem ein Verzeichnis zu Rechercheangeboten, Online-Katalogen und Aktivitäten zur Öffentlichkeit- sarbeit und den Publikationen der Institution.

Ritzi, Christian/Gert Geißler (Hg.): Wege des Wissens. 125 Jahre Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung. 2. verbesserte und um die Dokumentation eines Zeitzeugen erweiterte Auflage. Weidler Buchverlag, Berlin 2003. 274 S. € 29,-. Im Buchhandel. [1. Auflage Berlin 2001, 248 S.] Am 1. Januar 1876 wurde in der Euphorie der nur wenige Jahre zurückliegenden Reichsgründung das 'Deutsche Schulmuseum' vom Bezirksverband Berlin des Deutschen Lehrervereins gegründet. Nach 125 Jahren, in deren Verlauf mehrere Umbenennungen er- folgten, ist die Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung zur bestandsmäßig größten pädagogischen Spezialbibliothek in Deutschland angewachsen und heute eine der größten ihrer Art weltweit. Der Band legt in neun Beiträgen der Weg einer Lehrerbücherei zu einer bedeutenden Forschungsbibliothek dar. Der behandelte Zeitraum erstreckt sich von der Vorgeschichte der Bibliotheksgründung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu ihrer 1992 erfolgten Integration in das 'Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung'. Neben Themen, die zeitgenössische Probleme der Bibliotheksarbeit beleuchten, werden vor allem die Bezüge zu den vor- und übergeordneten Trägerinstitutionen berücksi- chtigt. Die Beiträge im einzelnen, soweit sie die Jahre nach 1945 betreffen: „Die deutsche Lehrerbücherei und ihre Träger in politischen Umbruchzeiten“ (Christa Uhlig), „Zur Geschichte der Deutschen Lehrerbücherei zwischen Kriegsende und ihrer Integration in die Pädagogische Zentralbibliothek“ (Ursula Basikow), „Zum Umgang mit pädagogischen Lit- eraturbeständen in der frühen DDR. Ein Beitrag zur Geschichte der Deutschen Lehrer- bücherei“ (Gert Geissler), „Kontinuität und Wandel der Erwerbsgrundsätze und -politik der Pädagogischen Zentralbibliothek in der DDR“ (Christiane Griese), „Von der Pädagogischen Zentralbibliothek (PZB) zur Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) 1989 – 1991“ (Ulrich Wiegmann), „Marion Bierwagen“ (Christian Ritzi), „Zeitzeugengespräch zum Prozess der Integration der Pädagogischen Zentralbibliothek in das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung in der Zeit von Anfang 1990 bis zum 31.12.1991“, „Veröffentlichungen zur Geschichte der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung und ihrer Vorgängereinrichtungen“ (Viola Büttner).

Keim, Wolfgang/Dieter Kirchhöfer/Christa Uhlig (Red.): Kritik der Transforma- tion. Erziehungswissenschaft im vereinigten Deutschland (Jahrbuch für Päda- gogik 2002). Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/Brüssel/New York/Oxford/Wien 2003. 436 S. Im Buchhandel. Der Band enthält folgende wissenschaftsbezogenen Beiträge: „’Vom Machbaren zum Wün- schbaren’ – wie die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft die Abwicklung der DDR-Pädagogik mit bewerkstelligte und dann beklagen ließ. Verspäteter Nachruf auf einen Nachruf“ (Wolfgang Nitsch), „Der 9. November 1989 und der Bildungsnotstand oder Über die Erschaffung der Geschichte als Vollendung des Vergessens“ (Karl-Friedrich Wessel), „Transformationsforschung als Fortschritts- oder Verfallsgeschichte“ (Dieter Kirchhöfer), „Transformationsstudien: Ein großes deutsch-deutsches Mißverständnis?“ (Klaus Boehn-

266 die hochschule 1/2005 ke/Ralph Günther), „Diskurs in der Allgemeinen Pädagogik – unter Beteiligung von Ost und West?“ (Wolfgang Eichler), „Vom Umgang mit Indoktrination. Kritische Vergewisse- rung einer bedenklichen Aufarbeitung“ (Thomas Gatzemann), „Zur Entwicklung der Deutschdidaktik nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland – Betrachtun- gen einer Außenseiterin“ (Marina Kreisel), „Die Herausbildung nichtinstitutionalisierter, in- formeller Wissenschaftskulturen in Ostdeutschland am Beispiel der Erziehungswissen- schaften“ (Christa Uhlig), „Aus meiner Zeit als freiberufliche Honorardozentin, wie es dazu kam und einiges von dem, was ich erlebte“ (Rosemarie Boldt).

Thomas, Michael: 40 Jahre Institut für Sportwissenschaft in Magdeburg (1963 – 2003). Jubiläumsschrift anläßlich des 10-jährigen Bestehens der Otto-von- Guericke-Universität Magdeburg, unt. Mitarb. v. Ulrike Heinrichs/Wolfgang Nerwein/Mathias Pettirsch/Eik Ruddat, Institut für Sportwissenschaft der Fakultät für Geistes-, Sozial- und Erziehungswissenschaften der Otto-von-Guericke-Uni- versität Magdeburg, Magdeburg 2003. 50 S. Bezug: Universität Magdeburg, Post- fach 4120, D-39016 Magdeburg; [email protected] Die Otto-von-Guericke-Universität feierte im Jahre 2003 ihr 50-jähriges Jubiläums als eine Technische Hochschule und ihr 10-jähriges Bestehen als Universität, die in ihren neun Fa- kultäten Ingenieur- und Naturwissenschaften, Medizin, Wirtschafts-. Sozial- und Geist- eswissenschaften vereint. Dieses Jubiläum war zugleich Anlaß, mittels der Festschrift an eine 40-jährige Sportlehrerausbildung und wissenschaftliche Forschung am Magdeburger Institut für Sportwissenschaft zu erinnern. Dieses Institut ging 1990/92 aus der Sektion Sportwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Magdeburg hervor. 1993 wurde es zusammen mit der Pädagogischen Hochschule in die Technische Universität „Otto von Guericke“ integriert, die einige Tage später unter Einbeziehung der Medizinischen Akademie Magdeburg zur heutigen Voll-Universität aufstieg. Die Festschrift bietet neben der Rekonstruktion der Institutsgeschichte auch Information zu gegenwärtigen Forschung- sprojekte, zurückliegenden Tagungen sowie zum neuen Studienprofil.

Brandt, Götz: Die Abwicklung der Bauakademie der DDR 1989 – 1991. Doku- mentation aus eigenem Erleben (Abhandlungen der Leibniz-Sozietät Bd. 14). Trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin 2003. 549 S. € 29,80. Im Buchhandel. Bisher lag keine Dokumentation oder eine historische Untersuchung zur Abwicklung der Bauakademie der DDR vor. Der Autor, selbst Mitglied des „Geschäftsführenden Arbeits- ausschusses“, später dessen stellvertretender Vorsitzender und zuletzt kaufmännischer Di- rektor der Bauakademie, versucht, diese Lücke zu schließen, indem er den Versuch unter- nimmt, relevante Dokumente zusammenzustellen und zu ordnen. Dabei handelt sich also nicht um die Arbeit eines Historikers, sondern um die Schilderung eines Zeitzeugen. Die kapitelweise zusammengestellten Dokumente sind kompletten Sammlungen aus dem Bundesarchiv in Berlin entnommen und in Auszügen dokumentiert. Eine 60seitige Einlei- tung schildert den historischen Kontext und erläutert die Abläufe der Jahre 1989-1992.

Westhoff, Karl (Hg.): Entscheidung für die Psychologie an der TU Dresden. Pabst Science Publishers, Lengerich/Berlin/Bremen/Miami/Riga/Wien/Zagreb 2003. 219 S. € 7,50. Im Buchhandel. Aus Anlaß des 175. Gründungsjubiläums der Technischen Universität Dresden liefert die Publikation eine Selbstdarstellung der Fachrichtung Psychologie der Fakultät für Mathe- matik und Naturwissenschaften. Zu diesem Zweck führte der Herausgeber mit emeritierten, amtierenden, kooptierten und außerplanmäßigen Professoren der Fachrichtung Psychologie an der TU Dresden sowie mit drei Studenten, die an diese Fachrichtung gewechselt haben, die hochschule 1/2005 267 längere Interviews, welche hier dokumentiert werden. Im einzelnen sprach der Herausgeber mit Erwin Gniza über die Psychologie der Arbeitssicherheit, mit Wolfgang Skell über Entwicklungspsychologie, mit Winfried Hacker über allgemeine Psychologie und mit Peter Dettmar über Biopsychologie. Weitere Interviews wurden zu folgenden Themengebieten geführt: Medizinische Psychologie (Friedrich Balck), Methoden der Psychologie (Bärbel Bergmann), differentielle und Persönlichkeitspsychologie (Burkhard Brocke), allgemeine Psychologie (Thomas Goschke), klinische Psychologie und Psychotherapie (Jürgen Hoyer), Psychologie des Lehrens und Lernens (Hermann Körndle), Arbeits- und Organisationspsy- chologie (Peter Richter sowie Peter Georg Richter), Verkehrspsychologie (Bernhard Schlag), pädagogische Psychologie (Franz Schott), Sozial- und Finanzpsychologie (Stefan Schulz-Hardt), Ingenieurpsychologie und kognitive Ergonomie (Boris Velichkovsky), Di- agnostik und Intervention (Karl Westhoff), klinische Psychologie und Psychotherapie (Hans-Ulrich Wittchen). Bei den interviewten Studenten handelt es sich um Diana Dingler, Kerstin Dittrich und Hannes Günter. Abgerundet wird das Ganze durch die Dokumentation des Festvortrags von Winfried Hacker beim Kolloquium zum 100. Geburtstag von Werner Straub im Jahre 2002, dem Abdruck eines Beschlusses zur Optimierung des Studiums der Fachrichtung Psychologie sowie einer von Peter Richter erstellte Chronologie zur Geschichte der Psychologie in Dresden.

Hörz, Herbert (Hg.): Ehrenkolloquium zum 90. Geburtstag von Samuel Mitja Rapoport (Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät Band 58, Jahrgang 2003, Heft 2). Trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin 2003. 103 S. € 17,80. Im Buchhandel. Der 1912 in der Ukraine geborene Samuel Mitja Rapoport wirkte vor seiner Übersiedlung in die DDR als Wissenschaftler in Wien und Cincinnati (USA). 1952–1978 lehrte er als Pro- fessor für Biochemie an der Humboldt-Universität und leitete das Institut für Biologische und Physiologische Chemie, Hessische Straße 3/4. Rapoport gehörte von 1956 bis 1990 dem Forschungsrat der DDR und seit 1969 der Akademie der Wissenschaften als or- dentliches Mitglied an. Zudem besitzt er die Mitgliedschaft zahlreicher in- und ausländischer wissenschaftlicher Akademien und Gesellschaften. Rapoport forschte zum Zellstoffwechsel, war an der Herausgabe medizinischer Fachzeitschriften und -bücher be- teiligt und zudem u. a. Vorsitzender der Biochemischen Gesellschaft von 1978 bis 1982 und von 1980 bis 1985 Präsident der Gesellschaft für experimentelle Medizin. Seit 1992 war er Präsident der Leibniz-Sozietät, dann Ehrenpräsident. Aus Anlaß seiner 90. Geburtstages veranstaltete die Leibniz-Sozietät ein Ehrenkolloquium, dessen Redebeiträge in der vor- liegenden Publikation dokumentiert werden. Die unmittelbar auf den Jubilar bezogenen Bei- träge sind: „Kompetent, provokant und immer hellwach – Samuel Mitja Rapoport zum 90. – “ (Herbert Hörz), „Samuel M. Rapoport wird 90“ (Eberhard Hofmann), „Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Samuel M. Rapoport Lebensdaten“, „Rede zum 90. Geburtstag von Samuel Mit ja Rapoport“ (Tom A. Rapoport), „Schlußbemerkungen des Jubilars“ (Samuel Mitja Rapoport).

Wirth, Ingo/Hansjürg Strauch/Klaus Vendura: Das Institut für Rechtsmedizin der Humboldt-Universität zu Berlin 1833-2003 (Deutsche Hochschulschriften Bd. 1238), Verlag der Deutschen Hochschulschriften Dr. Hänsel-Hohenhausen, Frankfurt a.M. 2003. 179 S. € 28,-. Im Buchhandel. Anläßlich des 100. Jubiläums des Gebäudes, in dem sich das Institut für Gerichtliche Medi- zin der Humboldt-Universität befindet, wurde 1986 eine Publikation unter gleichem Titel vorgelegt, die jedoch schon nach kurzer Zeit vergriffen war. Bei der vorliegenden Publika- tion handelt es sich um eine zweite, neubearbeitete Auflage dieser Schrift, welche nicht nur die Chronik des Instituts fortschreibt, sondern auch um wichtige Details ergänzt worden ist. Das gilt insbesondere für die seither erschienene Literatur, zu der auch ausführliche Bi-

268 die hochschule 1/2005 ographien früherer Institutionsdirektoren gehören. Neu hinzugekommen ist eine chronolo- gische Übersicht zu besonderen Todesfällen, die im Institut untersucht worden sind.

Strauch, Hansjürg/Fritz Pragst (Hg.): Beiträge des Wissenschaftlichen Symposi- ums Rechtsmedizin 11. Juli 2003. Festschrift für Gunther Geserick zum 65. Geburtstag. Verlag Dr. Dieter Helm, Heppenheim 2003. 282 S. € 35,-. Im Buch- handel. Der 1938 geborenen Gunther Geserik hatte seit 1984 eine ordentliche Professur für Gericht- liche Medizin inne und arbeitete seit 1987 als Direktor des Instituts für Gerichtliche Medi- zin an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zwischen 1990 und 1994 war er Prodekan für Forschung der Medizinischen Fakultät Charité der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1991 bis 1994 stellvertretender Vorsitzender der Struktur- und Berufungskommission „Klinisch-theoretische Institute“ der Medizinischen Fakultät Charité der Humboldt- Universität zu Berlin. 1993 wurde er auf die C4-Professur Rechtsmedizin der Humboldt- Universität zu Berlin berufen. Im hiesigen Kontext interessieren vor allem folgende Bei- träge: Grußworte des Berliner Wissenschaftssenators, des Präsidenten der Humboldt- Universität, des Dekans und des Ärztlichen Direktors der Charité, der Staatsanwaltschaft Berlin, des Berliner Polizeipräsidenten, des Rektors der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, des Vorsitzenden der Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft, die Artikel „Mehr als vier Jahrzehnte serogenetische Forschung am Institut für Rechtsmedizin der Charité“ (Andreas Correns/Helga Schröder), „Über das Werden und Wachsen des HLA-Labors am Institut für Gerichtliche Medizin der Humboldt-Universität zu Berlin“ (Helmut Waltz/Bärbel Henske) sowie, im Anhang, Lebenslauf und Verzeichnis der gedruckten Veröffentlichungen des Ju- bilars.

Mros, Bodo: Akademie für Ärztliche Fortbildung. Wissenschaftliche Institutio- nen des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR in Berlin Lichtenberg (Medizin und Gesellschaft H. 44/45), herausgegeben unter Mitarbeit von Günter Jäschke und Horst Spaar, Interessengemeinschaft Medizin und Gesellschaft e.V., Berlin 2003. 172 S. € 5,-. Bezug bei: Dr. Lothar Rohland, Rathausstr. 13, 10178 Berlin; [email protected] Die Akademie für Ärztliche Fortbildung der DDR (AfÄF) existierte einschließlich ihrer Vorläufer von 1947 bis Ende 1990. Sie war eine nachgeordnete wissenschaftliche Institu- tion des Ministeriums für Gesundheitswesen mit eigenem Promotionsrecht. Die Aufgaben dieser Institution bestanden in der Aus- und Weiterbildung von Führungspersonal, die im einheitlichen staatlich organisierten Gesundheits- und Sozialwesen der DDR als regionale Leiter, als Kreis- und Bezirksärzte, später auch als Direktoren der „Medizinischen Bereiche des Hochschulwesens“ in der Akademie ihre Leitungsqualifikation erwarben. Desweiteren erarbeitete die Akademie die Bestimmungen zur Weiterbildung und Spezialisierung, sorgte für eine einheitliche Gestaltung der medizinischen Pflichtfortbildung in der DDR, für die Organisation einer postgraduierten Fachweiterbildung für in der Medizin tätige naturwis- senschaftliche und technische Akademikern sowie für die Weiterbildung ausländischer Ärzte. Die Publikation gibt ein differenziertes Bild der Geschichte, Struktur und Wirkung dieser Institution. Zudem bietet sie in einem sechzigseitigen Anlagenteil eine Übersicht über zentrale Entwicklungs- und Personaldaten sowie Annotationen relevanter Gesetze und Verordnungen.

die hochschule 1/2005 269 Baumgarten, Renate: Not macht erfinderisch. Drei Jahrzehnte Chefärztin in Ost und West. mdv Mitteldeutscher Verlag, Halle/Saale 2004. 278 S. € 24,90. Im Buchhandel. Die Autobiographie der ostdeutschen Ärztin Renate Baumgarten ist ein Rückblick auf vierzig Jahre Arbeitsleben in der DDR und später in der neuen Bundesrepublik. Die 1938 geborene Autorin arbeitete ab 1971 als Oberärztin im Krankenhaus Berlin-Mitte und von 1974 bis 2001 als Chefärztin der Infektionsklinik des Krankenhauses Berlin-Prenzlauer- Berg. Parallel war sie als Wissenschaftlerin tätig, legte 385 Fachpublikationen vor und wurde 1986 zur Honorarprofessorin an die Humboldt-Universität zu Berlin berufen.

Arndt, Ernst-Albert: 50 Jahre Biologie an der Universität Rostock (1945 – 1995). Anpassen und Überleben während und nach der 3. Hochschulreform der DDR. Verband ehemaliger Rostocker Studenten (VERS), Dannenberg 2003. 94 S. € 5,-. Bezug bei: Dr. Wolfgang Baudisch, Peter-Lorenz-Weg 3, 18055 Ros- tock; [email protected] Die einschneidenden Eingriffe der 3. Hochschulreform führten an der Universität Rostock zu drastischen Veränderungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, etwa dem Auf- und Ausbau verschiedener Disziplinen beim gleichzeitigen Verschwinden anderer Fächer wie Geologie, Mineralogie und Geographie. Am Beispiel der Biologie zeigt der Autor, selbst über Jahrzehnte hinweg Angehöriger der Universität Rostock, nicht nur die politischen und wissenschaftsorganisatorischen Ziele der Hochschulreform auf, sondern gibt einen Überblick zur Entwicklung der biologischen Disziplinen an der Universität Rostock nach dem 2. Weltkrieg bis 1995 im Zusammenhang mit den wichtigsten politischen Ent- scheidungen in der DDR.

Wockenfuß, Karl: Die Universität Rostock im Visier der Stasi. Einblicke in Ak- ten und Schicksale. Verband ehemaliger Rostocker Studenten (VERS), Dannen- berg 2003. 230 S. € 5,-. Bezug: Dr. Wolfgang Baudisch, Peter-Lurenz-Weg 3, 18055 Rostock; [email protected] Die Publikation beleuchtet die Überwachungsstrukturen und -methoden der Staatssicherheit, soweit sie sich auf Mitglieder der Universität Rostock bezogen. Hierzu wurde Aktenmateri- als aus der MfS-Bezirksverwaltung Rostock ausgewertet. Die hier verwendeten Dokumente – zum großen Teil faksimiliert – umfassen den Zeitraum von 1954 bis 1989 und haben ihren Schwerpunkt in den achtziger Jahren.

Meichsner, Dieter: Die Studenten von Berlin. Schöffling & Co. Verlagsbuch- handlung, Frankfurt a.M. 2003. 488 S. € 26,-. Im Buchhandel. Der Roman, gewidmet der Philosophischen Fakultät der Freien Universität Berlin und erstmals 1954 erschienen, schildert die Verknüpfung sechs unterschiedlicher Lebens- geschichten im Deutschland der Nachkriegszeit durch die Aufnahme des Studiums an der Humboldt-Universität zu Berlin. Diese sechs jungen Studenten wenden sich jedoch bald vom östlichen Lehrbetrieb ab und ziehen mit Kommilitonen und Professoren aus, um beim Aufbau der Freien Universität im westlichen Teil dabei zu sein.

Ausstellungsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin und Zentrum für in- terdisziplinäre Frauenforschung (Hg.): Von der Ausnahme zur Alltäglichkeit. Frauen an der Berlin Universität Unter den Linden. Trafo verlag dr. wolfgang weist, Berlin 2003. 300 S. € 24,80. Im Buchhandel.

270 die hochschule 1/2005 Erst 1896, also 86 Jahre nach der Gründung der Berliner Universität als Reformuniversität, durfte die erste Gasthörerin einen Vorlesungssaal betreten. Der direkte Weg zur Immatriku- lation blieb Frauen jedoch noch weitere 12 Jahre versperrt. Damit war Preußen der vorletzte Bundesstaat des Deutschen Reichs, der den Frauen ein reguläres Studium mit Ab- schlußprüfung zugestand. Somit jährte sich 1998 die Zulassung von Frauen zum Studium an der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, der heutigen Humboldt- Universität zum 90. Mal. Anläßlich dieses Jubiläums wurde die Ausstellung „Von der Aus- nahme zur Alltäglichkeit – Frauen an der Universität Unter den Linden“ von Dezember 1999 bis Januar 2000 im Foyer der Humboldt-Universität präsentiert. Mit der gleichnami- gen Dokumentation werden die in der Ausstellung angesprochenen Themen weitergeführt und um zusätzliche Texte und Quellen ergänzt. In der Dokumentation wird ein Bogen gespannt vom Kampf um die Zulassung von Frauen zum Studium Ende des 19. Jahrhun- derts bis zur Einrichtung des bundesweit ersten Studiengangs der „Gender Studies“ an der Humboldt-Universität 1997. In den einzelnen Beiträgen werden nicht nur bildungspolitische Maßnahmen und biographische Beispiele vorgestellt, sondern auch Entwicklungslinien des Frauenstudiums und Karriereverläufe bekannter und unbekannter Wissenschaftlerinnen nachgezeichnet. Im hiesigen Kontext interessieren die Kapitel „Nachkriegszeit und DDR“ sowie „Nach 1989“ mit folgenden Beiträgen: „Von 1945 bis zur Gründung der Freien Uni- versität Berlin“ (Peter Th. Walther), „Die ersten Jahre nach der Wiedereröffnung der Uni- versität 1946–1951“ (Ulla Ruschhaupt/Heide Reinsch), „Die Universität nach der II. Hochschulreform 1951“ (Ulla Ruschhaupt), „Frau Prof. D. Dr. theol. Dr. phil. habil. Liselotte Richter als Grenzgängerin par excellence“ (Catharina Wenzel), „Die Universität nach der III. Hochschulreform 1968“ (Ulla Ruschhaupt), „Frauenförderung in der Zeit von 1959–1989“ (Ulla Ruschhaupt), „Anfänge der Frauen- und Geschlechterforschung an der Humboldt-Universität seit dem Ende der 70er Jahre“ (Gabriele Jähnert), „Die Wende und die Integration der Humboldt-Universität in bundesdeutsche Hochschulstrukturen“ (Marianne Kriszio), „Das Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung“ (Gabriele Jähnert) und „Der Studiengang Geschlechterstudien/Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin“ (Katrin Schäfgen).

Becker, Egon: Die Enflussnahme der SED auf die Entwicklung der Techni- schen Hochschule Magdeburg. Teil IV (Preprint Rektorat 1/2002), Magdeburg 2002. 174 S. Bezug: Egon Becker, Postfach 4120, 39016 Magdeburg. Der vorliegende IV. Teil der Studien wendet sich zwei verschiedenen Themenkomplexen zu: Während im ersten Teil der staatliche Kampf gegen die Rezeption von Westmedien durch Studenten untersucht wird, widmet sich der zweite Teil den studentischen und staat- lichen Reaktionen an der TH Magdeburg auf einschneidende politische Ereignisse und Entscheidungen der DDR-Jahrzehnte: Prager Frühling, Mauerbau, Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens, Verbot der Zeitschrift „Sputnik“. Die Untersuchung basiert auf der Auswertung der Akten des Landesarchivs Magdeburg, des Universitätsarchivs und des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes.

Gladen, Jutta: „Wir überlassen keinen dem Gegner“. Die evangelische Studen- tengemeinde in Magdeburg im Blick der Staatssicherheit (Sachbeiträge Bd. 32). Die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe- maligen DDR in Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2004. 208 S. Bezug bei: Die Lan- desbeauftragte, Klewitzstraße 4, 39112 Magdeburg, bzw.: info@landesbeauf- tragte.de. Auch unter http://gl.aser.de/lb/sach32_1.zip und http://gl.aser.de/lb/ sach32_2.zip. Die Evangelische Studentengemeinde (ESG) wurde 1954 in Magdeburg auf Initiative von Studenten gegründet. Die Broschüre erschien anläßlich ihres 50jährigen Bestehens. Darin die hochschule 1/2005 271 soll die Sicht der DDR-Sicherheitsorgane auf die Arbeit der ESG und deren Folgen in eini- gen Schlaglichtern deutlich werden: Bespitzelung, Exmatrikulationen und Inhaftierungen von Studenten und Studentenpfarrern. Mit zahlreichen faksimilierten BStU-Unterlagen.

Thulin, Andreas: Durch Verhaftung ... das Handwerk legen. Die evangelische Studentengemeinde Halle (Saale) 1953 und die Inhaftierung von Studenten- pfarrer Johannes Hamel, Evangelische Studentengemeinde, Halle 2004. 129 S. €10,-. Bezug: ESG Halle, Puschkinstr. 27, 06108 Halle; [email protected] Die Publikation zeichnet die schwierige Situation kirchlicher Arbeit in den Jahren 1952/53 in der DDR am Beispiel der fünfmonatigen Inhaftierung Hamels und der staatlichen Re- pressionen gegen die Studentengemeinde Halle nach. Hamel war später 20 Jahre Hochschullehrer am Katechetischen Oberseminar in Naumburg und Autor mehrerer Bücher, die auch das Leben von Christen unter kommunistischer Herrschaft thematisierten und für viele Christen in der DDR ein Leitfaden waren. Parallel zur Publikation gab es eine gleich- namige Ausstellung in der ESG.

Speler, Ralf-Torsten: Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ansich- ten – Einblicke – Rückblicke (Campusbilder). Sutton Verlag, Erfurt 2003. 127 S. € 17,90. Im Buchhandel. Anhand von rund 200 teils historischen, teils aktuellen Abbildungen zeichnet die vor- liegende Publikation die Geschichte der Martin-Luther-Universität von der Gründung der Wittenberger Leucorea bis hin zum 500. Geburtstag der Universität im Jahre 2003 nach. In den acht Kapiteln: „Die Leucorea – Kursächsische Landesuniversität von Weltrang“, „Die Academia Fridericiana – Brandenburgisch-preußische Reformuniversität“, „Vom Hochzeits- haus zum neuen Audimax – Institute, Kliniken und Verwaltungsgebäude“, „Franckesche Stiftungen zu Halle und Leucorea-Stiftung in Wittenberg“, „Professoren, Promovenden und Prominente“, „Studiosi und StudentInnen“, „Gesellschaftlich-universitäres Leben im Sozia- lismus“ und „Solennitäten und akademische Festakte“ zeigt der Bildband das Wachstum der Universität und ihre bauliche Entwicklung, die verschiedenen Aspekte des akademischen Lebens und ihre Akteure sowie die einschneidenden politischen Ereignisse, dargestellt an- hand von Festakten und öffentlichen Geschehnissen. Der Schwerpunkt insbesondere der zahlreichen Fotos liegt auf der Universitätsgeschichte seit 1945.

Büro des Universitätsmusikdirektors der Universität Leipzig/Förderkreis des Leipziger Universitätschores (Hg.): 75 Jahre Leipziger Universitätschor. Fest- schrift, o.O. [Leipzig], o.J. [2001]. 107 S. Bezug bei: Universität Leipzig, Büro des Universitätsmusikdirektors, Goldschmidtstr. 12, 04103 Leipzig. Die aus Anlaß des 75jährigen Bestehens des Leipziger Universitätschors veröffentlichte Festschrift dokumentiert die Geschichte dieser Institution anhand von Chroniken, Presses- timmen sowie persönlichen Erinnerungen und Gedanken ihrer Mitglieder und Leiter (Cor- nelius Weiss, Hans-Joachim Rotzsch, Uta Kösser, Max Pommer, Michael Oehme und Wolfgang Unger). Daneben gibt es jeweils ein Kapitel zu den einzelnen Universitätsmusik- direktoren: Friedrich Rabenschlag (1928-1963), Hans-Joachim Rotzsch (1963-1973), Max Pommer (1973-1987) und Wolfgang Unger (seit 1987).

Beyer, Lothar/Rainer Behrends: De Artes Chemiae. Chemiker und Chemie an der Alma mater Lipsiensis. Kunstschätze, Buchbestände und Archivdokumente der Universität Leipzig und anderer Sammlungen. Passage-Verlag Leipzig, Leipzig 2003. 223 S. € 23,-. Im Buchhandel.

272 die hochschule 1/2005 Die Publikation zeichnet das Wirken bedeutender Naturwissenschaftler an der Universität Leipzig nach und gibt durch eine Auswahl bildkünstlerischer Darstellungen eine Vorstel- lung von ihrer Persönlichkeit aus der Sicht verschiedener Künstler. Diesen Künstlern, ihren Werken und den Umständen ihrer Entstehung gilt daher ebenfalls die Aufmerksamkeit. Fotographische Reproduktionen ergänzen die Chemikergalerie, die den Bogen von der Zeit der Iatrochemie bis in das 20. Jahrhundert spannt und auch Reflexionen über das Verhältnis von Chemie und Kunst enthält.

Hermes, Hans-Joachim/Wolfgang Lambrecht/Stephan Luther: Von der Kgl. Ge- werbschule zur Technischen Universität. Die Entwicklung der höheren techni- schen Bildung in Chemnitz 1836–2003. Hrsg. vom Rektor der Technischen Uni- versität Chemnitz, Chemnitz 2003. 295 S. € 19,80. Bezug: TU Chemnitz; Marke- ting/Öffentlichkeitsarbeit, 09107 Chemnitz; [email protected] Aus Anlaß des 50. Jubiläum Gründung der Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt 2003 rekonstruiert die vorliegende Publikation die Geschichte der höheren technischen Bildung von der Gründung der Königlichen Gewerbschule in Chemnitz im Jahre 1836 bis in die Gegenwart der Technischen Universität Chemnitz. Die chronologische Gliederung der Darstellung wird jeweils durch eine auf vier thematische Komplexe konzentrierte inhalt- liche Schwerpunktsetzung ergänzt. Diese beziehen sich auf die Entwicklung der Strukturen, der hier beheimateten Wissenschaftsdisziplinen, der Baulichkeiten und schließlich auf den Kreis der Akteure, die das Ganze als Lehrende oder Lernende mit Leben erfüllen. Darüber hinaus wurde der allgemeine politische und gesellschaftliche Kontext zu berücksichtigt. Im hiesigen Kontext interessieren die Kapitel IV bis VII: „Vom Ende der Staatlichen Akademie für Technik bis zum Ende der Fachschule für Schwermaschinenbau und Elektrotechnik (1945-1955)“, „Von der Gründung der Hochschule für Maschinenbau bis zur III. Hochschulreform (1953-1968)“, „Von der III. Hochschulreform bis zur Wende (1968- 1989)“, „Von der Wende bis zur Gegenwart (1989-2003)“. Im Anhang befinden sich Über- sichten zu Strukturen, Personal- und Studentenstatistiken, ebenso ein Personenregister, wel- ches nicht nur alle im Text genannten Personen erfaßt, sondern auch die Lebensdaten sowie Angaben zur Tätigkeit dokumentiert.

Rektor der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hg.): Die Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert (Sonder- ausgabe Uni-Journal Jena). Jena 2004. 31 S. Kostenlos bei: Friedrich-Schiller- Universität Jena, Fürstengraben 1, 07743 Jena; [email protected]; auch unter: http://www.uni-jena.de/journal_senatskommission.html Die Senatskommission zur Aufarbeitung der Jenaer Universitätsgeschichte im 20. Jahrhun- dert wurde am 3. November 1998 vom Senat gegründet, um bis 2008 eine umfassende Dar- stellung der dann 450-jährigen Geschichte der Universität Jena durch Historiker und his- torisch arbeitende Wissenschaftler zu ermöglichen. Diese temporäre Kommission, beste- hend aus einigen ehrenamtlichen und wenigen hauptamtlichen Mitarbeitern, soll die Univer- sitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts ohne politische Vorgaben und ohne jegliche Denk- beschränkung aufarbeiten. Als das Kernziel der Kommissionsarbeit steht die Aufgabe, 2008 eine neue Universitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts vorzulegen. Eine Auswahl bisheriger Zwischenergebnisse ihrer Arbeit stellt die Kommission in dieser Sonderausgabe des Uni- Journals vor. Der Kommissionsvorsitzende Hans-Werner Hahn erläutert die Ziele und Ar- beitsweise der Kommission. Zur DDR-Geschichte der Universität gibt es drei Beiträge: „Arbeiter- und Bauernfakultät: Kaderschmiede und Karrieresprungbrett“ (Jana Woywodt), „Karl Griewank: Mittler zwischen Ost und West“ (Tobias Kaiser), „Marxismus- Leninismus: Ein Pflichtfach und seine Geschichte“ (Michael Ploenus), sowie ein Interview mit Altrektor Günther Drehfahl (1962-1967 Rektor der Universität). die hochschule 1/2005 273 3. Unveröffentlichte Graduierungsarbeiten

Sommer, Bernd: Zur inhaltlichen und organisatorischen Neugestaltung des technischen Bildungswesens auf dem Territorium der DDR – untersucht am Beispiel der Technischen Lehranstalten Chemnitz. Dissertation A an der Fakul- tät für Gesellschaftswissenschaften des Wissenschaftlichen Rates der Bergaka- demie Freiberg, Freiberg 1990, nicht durchgehend paginiert. Die 1989 eingereichte und 1990 verteidigte Dissertation zeichnet die Umgestaltung des technischen Bildungswesens in der SBZ/DDR in den 40er und 50er Jahren am Beispiel der Technischen Lehranstalten Chemnitz nach und gliedert sich in folgende 3 Kapitel: „Die an- tifaschistisch-demokratische Neugestaltung des technischen Bildungswesens und die De- mokratisierung der Staatlichen Akademie für Technik in Chemnitz 1945/46“, „Die Verein- heitlichung des Systems der technischen Bildung und die Entwicklung der Technischen Le- hranstalten Chemnitz 1947/51“ und „Die Profilierung der Technischen Lehranstalten Chemnitz zu einer Fachschule für Maschinenbau und Elektrotechnik sowie die Gründung einer Hochschule für Maschinenbau im Ergebnis der Spezialisierung von technischen Bildungseinrichtungen in der DDR 1952/53“.

Hanke, Claudia: Die Entwicklung der enossalen Implantologie an der Leipziger Universität in den Jahren 1975 – 1992. Dissertation an der Medizinischen Fakul- tät der Universität Leipzig, Leipzig o.J. [2004]. 100 S. Die zahnmedizinische Promotionsschrift beschäftigt sich mit der Entwicklung der For- schung auf dem Gebiet der oralchirurgischen enossalen Implantologie an der Leipziger Universität auf der Grundlage der Auswertung verschiedener medizinischer Zeitschriften der DDR und diverser Zeitzeugeninterviews.

Preuße, Friederike: Das Institut für Gerichtliche Medizin und Kriminalistik der Universität Leipzig in den Jahren 1945 bis 1961. Mitarbeiter, Struktur und Tä- tigkeit. Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, Leip- zig 2003, 87 S.+ XLVIII S. (Anhang). Die Dissertation beleuchtet die Strukturen, Tätigkeiten und Mitarbeiter des Instituts für Ge- richtliche Medizin der Universität Leipzig seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Bau der Mauer. Der erste Teil gibt einen Überblick über die personelle, wirtschaftliche und bauliche Situation des Instituts im Jahre 1945 und befaßt sich mit dem Wiederaufbau und der Erweiterung der von Kriegsschäden gezeichneten Bausubstanz. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den Strukturen und Aufgaben, dem täglichen Institutsbetrieb und dem strukturellen Ausbau der Forschungs- und Lehrtätigkeit infolge von steigenden Anforderun- gen und wissenschaftlicher Weiterentwicklung. Der abschließende dritte Teil widmet sich den insgesamt fünf Leitern („Ordinarien“) des Instituts sowie den akademischen und wis- senschaftlich-technischen Mitarbeitern.

274 die hochschule 1/2005 Autorinnen & Autoren

Eva Arnold, PD Dr., Institut für Schulpädagogik und pädagogische Psy- choloie der Universität Hamburg. eMail: [email protected] hamburg.de

Ruud H. T. Bleijerveld, drs., von 1982 bis 2004 Generalsekretär der U- niversität von Amsterdam. eMail: [email protected]

Jan Blume, Diplom-Medienwissenschaftler. Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik und Theater Han- nover. eMail: [email protected]

Michael Bommes, Prof. Dr., Institut für Migrationsforschung und Inter- kulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück. eMail: mbommes@uni- osnabrueck.de

Tilo Hartmann, Diplom-Medienwissenschaftler. Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik und Theater Hannover. eMail: [email protected]

Daniel Hechler, Student der Politikwissenschaft, Philosophie und Ge- schichte an der Universität Leipzig

Karsten König, Diplom-Soziologe, HoF Wittenberg – Institut für Hoch- schulforschung. eMail: [email protected]

Georg Krücken, PD Dr. phil., Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. eMail: [email protected]

Gero Lenhardt, Dr. habil., Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin. eMail: [email protected]

Irene Lischka, Dr. habil. paed., HoF Wittenberg – Institut für Hoch- schulforschung. Email: [email protected]

die hochschule 1/2005 275

Kai-Olaf Maiwald, PD Dr., Institut für Sozialforschung an der Johann- Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main. eMail: kai-olaf.maiwald @t-online.de

Frank Meier, Diplom-Soziologe, Institut für Wissenschafts- und Tech- nikforschung der Universität Bielefeld. eMail: frank.meier1@uni- bielefeld.de

Werner Meske, Prof. Dr. sc. oec., bis 1991 am Institut für Theorie, Ge- schichte und Organisation der Wissenschaften an der Akademie der Wis- senschaften der DDR, 1992-2004 Leiter der Forschungsgruppe Wissen- schaftstransformation am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor- schung (WZB). eMail: [email protected]

Ulrich Oevermann, Prof. Dr., Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main. eMail: oever- [email protected]

Peer Pasternack, Dr. phil., HoF Wittenberg – Institut für Hochschulfor- schung. eMail: [email protected]

Sabine Reh, Prof. Dr., Institut für Erziehungswissenschaft der Techni- schen Universität Berlin. eMail: [email protected]

Björn Sjut, BA Medienmanager, Institut für Journalistik und Kommuni- kationsforschung der Hochschule für Musik und Theater Hannover. e- Mail: [email protected]

Manfred Stock, PD Dr. phil., HoF Wittenberg – Institut für Hochschul- forschung. eMail: [email protected]

Erhard Stölting, Prof. Dr., Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fa- kultät der Universität Potsdam. eMail: [email protected]

Andreas Wernet, PD Dr., Institut für Pädagogik der Universität Pots- dam. eMail: [email protected]

276 die hochschule 1/2005

Lieferbare Themenhefte:

hochschule ost. leipziger beiträge zu hochschule & wissenschaft

Edelbert Richter (Hg.): Ostdeutsche SozialwissenschaftlerInnen melden sich zu Wort. Chancen und Aufgaben der Sozialwissenschaften im Transformationsprozeß (1997, 101 S.; € 12,50) Peer Pasternack (Hg.): Eine nachholende Debatte. Der innerdeutsche Philosophenstreit 1996/97 (1998, 234 S.; € 12,50) Georg Schuppener (Hg.): Jüdische Intellektuelle in der DDR. Politische Strukturen und Bio- graphien (1999, 382 S.; € 17,50) Monika Gibas/Frank Geißler (Hg.): Chancen verpasst – Perspektiven offen? Zur Bilanz der deutschen Transformationsforschung (2000, 352 S.; € 20,-) Thomas Neie (Hg.): Ziemlich prekär. Die Reform der Hochschulpersonalstruktur (2000, 382 S.; € 20,-) Sebastian Gräfe/Peer Pasternack (Hg.): Abweichungen. Nachrichten aus der ostdeutschen Gesellschaft (2001, 340 S.; € 25,-) Bestellungen unter: [email protected] http://www.uni-leipzig.de/~hso

die hochschule. journal für wissenschaft und bildung Peer Pasternack/Martin Winter (Hg.): Szenarien der Hochschulentwicklung (2002, 236 S.; € 17,50) Barbara Kehm (Hg.): Grenzüberschreitungen. Internationalisierung im Hochschulbereich (2003, 268 S.; € 17,50) Anke Burkhardt/Uta Schlegel (Hg.): Warten auf Gender Mainstreaming. Gleichstellungs- politik im Hochschulbereich (2003, 282 S.; € 17,50)

Martin Winter (Hg.): Gestaltung von Hochschulorganisation. Über Möglichkeiten und Un- möglichkeiten, Hochschulen zu steuern (2004, 254 S.; € 17,50)

Peer Pasternack (Hg.): Konditionen des Studierens (2004, 244 S.; € 17,50)

Bestellungen unter: [email protected] http://www.diehochschule.de

die hochschule 1/2005 277

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