15. Jg. / Nr. 3 ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT September 2008 MITTEILUNGEN Preis: 1,10 Euro

Die österreichische Revolution1 HANS HAUTMANN

er Begriff der „österreichischen Frucht von offensiven Massenbewegun- chie und denen der jungen Republik Revolution“, den Otto Bauer als gen der Arbeiterschaft als vielmehr ein wirklich ein so großer Unterschied DTitel einer seiner besten, noch Resultat der militärischen Niederlage der klaffte, dass der Terminus „Revoluti- heute mit Gewinn zu lesenden Schriften Mittelmächte und des Zerfalls der Habs- on“ dafür angemessen ist. Zu diesem eingeführt hat2, muss in einem engen und burgermonarchie in die Nationalstaaten, Zweck muss man die verschiedenen in einem weiten Sinn verstanden werden. welche die Ausrufung der Republik auch Elemente der Kontinuität auf der einen Der enge Begriff ist jener, der die Zeit in Deutschösterreich notwendigerweise und die der Diskontinuität auf der ande- vom 21. Oktober 1918 (dem Tag der zur Folge haben mussten. Der desolate ren Seite herausarbeiten. Konstituierung einer provisorischen Na- Zustand des obrigkeitsstaatlichen Re- Elemente der Kontinuität in der öster- tionalversammlung für Deutschöster- pressionsapparats, vor allem seines reichischen Revolution waren: reich) bis zum 12. November 1918 (dem wichtigsten Machtmittels, der kaiserli- 1.) Die ökonomische Grundlage, das Tag, als mit der Ausrufung der Republik chen Armee, machte einen ernsthaften Wirtschaftssystem auf privatkapitalisti- der Bruch mit dem alten Regime vollzo- Widerstand gegen diese Entwicklung un- scher Basis blieb gleich. gen wurde) umfasst. Macht man bei die- möglich und zwang die Träger der alten 2.) Die Hauptbestandteile des Rechts- sem engen Begriff der österreichischen Herrschaft, den neuen Elementen, an de- systems (Zivilrecht, Zivilprozessord- Revolution Halt, wie es seitens der bür- ren Spitze die Sozialdemokratie stand, nung, Strafrecht, Strafprozessordnung gerlichen Geschichtsschreibung üblich friedlich die Macht zu übergeben. Das, usw.) sowie die staatliche Verwaltungs- ist, so hat man damit aber für das Ver- was man gemeinhin mit dem Begriff organisation mit ihren Instanzenzügen ständnis der Gesamtentwicklung nicht „Revolution“ assoziiert – Aufstand, wurden übernommen. sehr viel gewonnen, denn die Gescheh- Straßenkampf, Barrikaden – fehlte im 3.) Das nach Zehntausenden zählende nisse jener wenigen Tage fielen ja nicht November 1918, vereinzelte Gewaltak- alte Beamtentum, das Ämterwesen, die plötzlich wie Manna vom Himmel. Sie tionen ausgenommen, gänzlich. Polizei, der Behördenapparat von der wurzelten tief im Ersten Weltkrieg und Aufgrund dieser Tatsache ist bis heute Ministerialbürokratie bis hinunter zu sie fanden auch mit dem 12. November die Mehrheit der bürgerlichen wie sozial- den Bezirkshauptmannschaften blieb so 1918 noch keineswegs ihren Abschluss. demokratischen Historiker der Ansicht, gut wie unverändert aufrecht und funk- Man muss daher den zweiten, den dass die Ereignisse um die Entstehung der tionierte weiter. weiten Begriff der österreichischen Re- Republik es nicht verdienen, als Revoluti- Elemente der Diskontinuität in der volution zur Analyse heranziehen. Die- on bezeichnet zu werden, dass es sich le- österreichischen Revolution waren: ser weite Begriff deckt sich mit dem diglich um einen durch äußere Faktoren 1.) Der Wechsel der Staatsform als solcher, Zeitraum des Andauerns einer revolu- verursachten „Zusammenbruch“, nur um die Abdankung und schließlich Landesver- tionären Krise in Österreich, die um ein „Segeln im Wind der großen histori- weisung des letzten Habsburgerkaisers. die Jahreswende 1916/17 begann und schen Stürme“4 gehandelt habe. 2.) Die gesetzliche Aufhebung der Vor- im Herbst 1920 endete. Innerhalb die- Eine andere Meinung vertraten aber rechte des Adels. ses Abschnitts zeichnen sich deutlich schon damals zwei führende österreichi- 3.) Die Umwandlung des einstigen vier Höhepunkte ab: das Frühjahr 1917, sche Rechtsgelehrte, Hans Kelsen und Mehrheitswahlrechts für den Reichsrat der Jänner 1918, der November 1918 Adolf Merkl. Sie stellten bereits 1919 in ein Verhältniswahlrecht einschließlich und das Frühjahr 1919. fest, dass das Gesetz über die Staats- und des Wahlrechts für Frauen. Die beiden ersten Knotenpunkte, noch Regierungsform von Deutschösterreich 4.) Die Abschaffung des Klassen- und in die Zeit der Monarchie fallend, wur- vom 12. November 1918 als Bruch der Zensuswahlrechts für die Länder und den in früheren Ausgaben der „Mittei- Kontinuität zu verstehen ist, die Grund- Gemeinden – auch hier Einführung des lungen“ bereits behandelt.3 Im Folgen- legung der Republik daher ein revolu- Proportionalsystems – sowie die Auflö- den wollen wir uns mit den revolu- tionärer Staatsgründungsakt gewesen sung der auf politischen Privilegien ge- tionären Ereignissen der Anfangsperiode sei, weil er nicht aus einer gegebenen der Republik beschäftigen. Verfassung abzuleiten war5 und eine Symposium der Neuschöpfung von Recht vorlag.6 ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT und des November 1918 Bildungsvereins der KPÖ Steiermark Der November 1918 war in Österreich Kontinuität und Diskontinuität „90 Jahre Republik – eine Umwälzung eigener Prägung. Sie Wir können uns der Definition der 90 Jahre KPÖ“ entstand zwar auf der Grundlage der all- österreichischen Revolution nähern, 8. November 2008, Graz gemeinen revolutionären Krise in unse- wenn wir untersuchen, ob zwischen den 15. November 2008, Wien rem Land, war aber doch weniger eine politischen Strukturen der alten Monar- Programmablauf: Seite 28 2 Beiträge gründeten Körperschaften wie z.B. des on hatten sie aber nur geringen Einfluss. Nimmt man die österreichische Revo- Herrenhauses. Deren Festlegung ging primär „von oben“, lution als Einheit des skizzierten Drei- 5.) Das völlige Verschwinden der alten von den neuen Trägern der Staatsmacht phasenprozesses, so kann sie als bürger- kaiserlichen Armee, an deren Stelle die aus. Die Sozialdemokratie als führende lich-demokratische Revolution definiert Volkswehr trat, wo Anhänger der Sozial- Kraft der Koalitionsregierung konnte in werden, die in bedeutendem Maße mit demokratischen Partei die entscheiden- diesen Wochen, faktisch unbehelligt von proletarischen Mitteln und Methoden den Machtpositionen besetzten. Widerständen innerhalb und außerhalb ih- durchgeführt wurde und deshalb eine mit 6.) Und zuletzt die Tatsache, dass a) zahl- rer Reihen, das Programm der Durchset- erheblichen sozialen und politischen Er- reiche sehr radikale Sozialgesetze die Frei- zung bürgerlich-demokratischer Verhält- rungenschaften der Massen ausgestattete heit der Unternehmer nun in mancher Hin- nisse in raschem Tempo durchziehen. parlamentarische Republik schuf. sicht beschränkten, und b) die Arbeiter- Die zweite Etappe, die von Februar und Soldatenräte die Tätigkeit der alten 1919 bis Ende Juli 1919 dauert, war die Die Rolle der KPÖ Ministerialbürokratie kontrollierten und in sozialrevolutionäre Periode der öster- Am 3. November 1918 wurde in Wien der Volkswehr einen entscheidenden Ein- reichischen Revolution. In ihr kam es zu die Kommunistische Partei Deutsch- fluss bei der Ernennung und Beförderung einer starken Mobilisierung der Arbeiter- österreichs (so lautete bis 1920 ihr offizi- von Kommandoinhabern hatten. klasse und zu heftigen Klassenkämpfen, eller Name) gegründet. Der Gründung Diese Veränderungen, die in ihrer Ge- die im April 1919 in den Industriezentren vorausgegangen war ein Angebot an den samtheit als Beseitigung des autoritären in einer akuten revolutionären Krise gip- eben erst aus der Haft entlassenen Frie- Obrigkeitsstaates umschrieben werden felten. Die Stoßrichtung dieser Etappe drich Adler, an die Spitze der Partei zu können, waren dergestalt, dass sie in der war eindeutig sozialistisch, auf die Über- treten. Adler, der nach dem Attentat und Monarchie auf normalem, evolutionärem windung der sozialökonomischen Herr- seiner Verteidigungsrede vor dem Aus- Weg nicht durchsetzbar waren. Im Un- schaftsverhältnisse und politischen nahmegericht unter den Arbeitern höch- terschied zu den Anpassungsschritten an Machtstrukturen abzielend. Dass es den stes Ansehen genoss, lehnte dies mit der das moderne bürgerlich-liberale Zeitalter zu einer grundlegenden Umgestaltung der Begründung ab, dass die 1917/18 von in den letzten Jahrzehnten des Habsbur- gesellschaftlichen Ordnung drängenden der Sozialdemokratie vollzogene Wen- gerreiches, die eine Reihe demokrati- Arbeitermassen nicht gelang, ihre Sache dung „nach links“ (in Wahrheit in Rich- scher Reformen nach sich zogen, blieben zum Sieg zu führen, lag in erster Linie tung Zentrismus) nun auch „unzufriede- sie mit den ureigensten Interessen der daran, dass die Sozialdemokratie den Ba- nen Genossen“ die Möglichkeit biete, herrschenden Schichten unvereinbar. Sie sisdruck durch institutionelle Innovatio- „innerhalb der Partei für das internatio- sprengten den Rahmen der Systemkon- nen (Ausbau der Räteorgane, Bildung der nale revolutionäre Programm der Sozial- formität und stellten eine neue Qualität Sozialisierungskommission) aufzufangen, demokratie“ (!) zu wirken.7 dar: den vollen Durchbruch bürgerlich- die Krise mittels weitreichender sozialpo- Man kann ohne Übertreibung sagen, demokratischer Verhältnisse. litischer Reformen zu überbrücken und dass Friedrich Adlers Haltung ein für den die große Mehrheit der österreichischen Ablauf der österreichischen Revolution Die drei Revolutionsetappen ArbeiterInnen mit der Beschwörung der entscheidendes Faktum war. Hätte er mit Die österreichische Revolution war zu- Übermacht der Feinde eines räterepubli- den rechten sozialdemokratischen Füh- dem auch kein punktueller Vorgang, der kanischen Experiments von der Opportu- rern gebrochen und seine politische Tätig- sich auf die Novemberereignisse redu- nität ihres „vorläufigen“ Verharrens auf keit als Begründer einer neuen Partei fort- zieren lässt, sondern ein Prozess, der im dem Boden der bürgerlichen Demokratie gesetzt (die unter seinem Einfluss gewiss November 1918 einsetzte und im Som- zu überzeugen verstand. nicht bolschewistischen Charakter gehabt mer/Herbst 1920 zum Abschluss kam. Die dritte Etappe, die von August 1919 hätte, sondern vorerst eine Art „linker Innerhalb dieses Prozesses können drei bis Herbst 1920 dauert, war die Konsoli- USPD“ unter Einbeziehung der Linksra- große Etappen unterschieden werden: dierungsperiode der österreichischen dikalen geworden wäre), so wäre eine Die erste Etappe, die von November Revolution. In ihr flauten die Klas- große Zahl, wahrscheinlich sogar die 1918 bis Ende Jänner 1919 dauert, war senkämpfe der Arbeiter, nur im Frühjahr Mehrheit der Arbeiterschaft mit ihm ge- die Periode der Etablierung der bürgerli- 1920 durch einen vorübergehenden Auf- gangen, und die Entwicklung hätte einen chen Demokratie. Sie verlief in verhält- schwung der Masseninitiative unterbro- anderen Verlauf genommen. Mit seinem nismäßig geordneten Bahnen, ohne chen, insgesamt ab. Das bürgerliche La- Schritt trug Friedrich Adler dazu bei, dass größere Gewaltaktionen und scharfe ger erstarkte, und die von ihm ausgehen- die Stellung der Sozialdemokratie als Klassenzusammenstöße. Die Aktivitäten den retardierenden Tendenzen gewannen überragende, beherrschende Partei der der Volksmassen blieben, betrachtet man nach und nach die Oberhand. Am Ende österreichischen Arbeiterklasse unangeta- die österreichische Revolution als der dritten und letzten Etappe, das zwi- stet blieb. Er und kein anderer sozialde- Ganzes, begrenzt und schlugen über den schen den Daten Juni 1920 (Bruch der mokratischer Führer war imstande, auf Rahmen des in dieser Etappe Erreichten Koalition) und Oktober 1920 (Annahme die im Frühjahr 1919 bis aufs Äußerste er- noch nicht hinaus. Sie waren zwar stark der Bundesverfassung, Niederlage der regten und revolutionär gestimmten Mas- genug, um in Verbindung mit dem mi- Sozialdemokratie bei den Nationalrats- sen mäßigenden Einfluss auszuüben und litärischen Zusammenbruch und nationa- wahlen) anzuberaumen ist, saß das Bür- sie im Gleichschritt mit der festgelegten len Zerfall des Reiches in der politischen gertum wieder fest im Sattel; es war je- Strategie der Partei zu halten, in der bür- Herrschaft den Wechsel von der Monar- doch noch weit davon entfernt, jene Er- gerlich-demokratischen Etappe der Revo- chie zur parlamentarischen Republik zu gebnisse der österreichischen Revoluti- lution zu verharren. Friedrich Adler und erzwingen; auf den konkreten Umfang on, die für die besitzenden Klassen auf kein anderer war es daher, der an die Spit- und Inhalt der Errungenschaften der er- Dauer inakzeptabel waren, von sich aus ze jener Massenorganisation gestellt wur- sten Phase der österreichischen Revoluti- rückgängig zu machen. de, in der die eigentlichen Auseinander-

3/08 Beiträge 3 setzungen um die Frage des Weitertrei- xismus und der proletarischen Revoluti- Großbetrieben verankert. In der Hauptsa- bens der Revolution zur Räterepublik und on. Ihre einzige Antwort auf die brennen- che rekrutierten sich ihre Anhänger aus zum Sozialismus ausgetragen wurden und den Fragen des Tages war der Ruf nach Arbeitslosen, Kriegsinvaliden und wo die Macht seines Prestiges am stärk- der sofortigen Errichtung der Diktatur Kriegsheimkehrern, Schichten des Prole- sten wirken konnte: den Arbeiterrat. des Proletariats, die aber nur dann zu er- tariats, die vom sozialen Elend am Wegen persönlicher Dif- schärfsten betroffen waren. ferenzen und politischer Meinungsverschiedenhei- Die Sozialgesetz- ten kam es am 3. Novem- gebung – Phase 1 ber 1918 nicht zum Zu- Gewaltige Bedeutung für sammenschluss aller links- den Ausgang der öster- oppositionellen Gruppen. reichischen Revolution hatte Die Linksradikalen unter die von der Sozialdemokra- Franz Koritschoner, die tischen Partei forcierte Sozi- die Gründung für verfrüht algesetzgebung. Sie näher hielten, blieben der KPDÖ zu betrachten ist in einer ebenso fern wie Leo Roth- Zeit, in der der Sozialabbau ziegel, Johannes Wert- zum dominanten Merkmal heim, Egon Erwin Kisch, des kapitalistischen Systems Michael Kohn-Eber und geworden ist und von den andere, die sich in der Fö- sozialdemokratischen Par- deration revolutionärer teien überall mitgetragen Sozialisten „Internationa- wird, sehr lehrreich. le“ (FRSI) vereinigten.8 Die Spannung zwischen Historisch war die Zeit Sozialdemokratie und Ar- für die organisatorische beitermassen, die seit Jah- Trennung vom Reformis- resbeginn 1917 zutage ge- mus längst gekommen und treten war und im Jänner- die Schaffung einer revolu- streik 1918 ihren Gipfel er- tionären Partei in Öster- reicht hatte, konnte von den reich überfällig. Die Grün- Parteiführern, solange der dung vollzog sich aber oh- Krieg anhielt und sie noch ne umfassende Diskussion nicht an den Hebeln der über die Prinzipien einer Staatsmacht saßen, nur marxistischen Arbeiterpar- durch ideologische Mittel in tei und deren Aufgaben im Grenzen gehalten werden. Kampf um die sozialisti- Die Spannung war im Som- sche Revolution. Eine sol- Ausrufung der Republik „Deutschösterreich“ in der Sitzung der mer 1918 zurückgegangen che Auseinandersetzung Provisorischen Nationalversammlung am 12. November 1918. und im November 1918 und wäre gerade in Österreich Die vor dem Parlamentsgebäude angesammelte Menschenmenge in den ersten Wochen da- wichtig gewesen, stand hier nimmt die Nachricht mit großem Jubel auf. nach kaum mehr, und wenn, doch die Masse der Arbei- nur latent, vorhanden. Ab terschaft unter dem Einfluss der zentristi- reichen war, wenn man die Massen an- Februar 1919 gewann sie jedoch rasch schen Führer Otto Bauer und Friedrich hand ihrer eigenen Erfahrungen, durch wieder an Stärke und erreichte in den er- Adler, die für die Einheit mit den rechten Aufwerfen der akuten, ungelösten politi- sten Wochen der Nachbarschaft Räteun- Reformisten eintraten. schen und wirtschaftlichen Probleme zur garns eine äußerst bedrohliche Dimensi- Diese ungünstigen Bedingungen paar- Einsicht ihrer Notwendigkeit heranzu- on. Die Sozialdemokratie, seit dem No- ten sich mit subjektiven Fehlern und führen verstand. Gerade an dieser Fähig- vember 1918 zur staatstragenden, führen- Schwächen. Die vorerst an der Spitze der keit mangelte es der damaligen KPÖ- den Partei in Österreich geworden und KPÖ stehenden Personen waren den Ar- Führung am krassesten. die wichtigsten Staatsämter in der Koali- beitermassen unbekannt und hatten we- Dennoch erstarkte die Partei im Sog tionsregierung besetzt haltend (Staats- der klare theoretische und politische Vor- des Wiederanstiegs der revolutionären kanzlei, Staatsämter für Äußeres, Inneres, stellungen noch praktische Kampferfah- Welle, der ab Februar 1919 in den Indu- Heerwesen und soziale Fürsorge), konnte rungen. Sie vertraten mehrheitlich ultra- striezentren Österreichs offenkundig aber nun zur Überbrückung der Kluft den linke Auffassungen, die sich im Glauben wurde und in den Monaten der Nachbar- ideologischen Einflussmöglichkeiten ein äußerten, durch spektakuläre Aktionen schaft Räteungarns (21. März bis 1. Au- handfestes materielles Gegenstück beifü- (z.B. die Besetzung der Redaktionsräume gust 1919) den Höhepunkt erreichte. gen: die großzügige Sozialgesetzgebung. der Neuen Freien Presse am 12. Novem- Binnen weniger Wochen stieg die Zahl Dabei fiel auf, dass jene legislativen ber 1918) und durch zündende Losungen ihrer Mitglieder von 3.000 im Februar Maßnahmen des von Ferdinand Hanusch die Massen mit sich reißen zu können. 1919 auf 10.000 im März und 40.000 im verwalteten Staatsamtes für soziale Für- Das Wirken der KPÖ reduzierte sich in Mai/Juni 1919. Allerdings waren die sorge, deren Inhalt am radikalsten war, der ersten Zeit ihres Bestehens auf die Grundorganisationen keineswegs gefe- genau in der Zeit der Existenz Räte- Propagierung von Grundsätzen des Mar- stigt und die Partei nur in sehr wenigen ungarns Wirklichkeit wurden.

3/08 4 Beiträge mentlich aus Ungarn), in die Arbeiter- schaft getragen wurden, gewann sehr rasch eine derartige Bedeutung, dass es unvermeidlich zu sein schien, ihnen durch Versuche einer Reform der Wirt- schaftsordnung Rechnung zu tragen.“25 Hanusch selbst sagte am 17. Dezember 1919 in der Nationalversammlung: „Hät- te das Ministerium für soziale Verwal- tung seine Arbeit nicht so vorausblicken- derweise organisiert, ich wüsste nicht, wie wir durch die Klippen hätten steuern können, als es in Budapest und München eine Diktatur gab. / Nur unsere soziale Gesetzgebung war es, die den Arbeitern Vertrauen in diesen Staat und seine Re- gierung gab; ihr ist der Widerstand ge- gen die Versuchung zu danken, diesel- ben Wege wie in Bayern und Budapest Die sozialpolitischen Vollzugsanwei- Lebensjahr); die Beseitigung des „Ar- auch hier einzuschlagen.“26 sungen begannen zwar schon im Novem- beitsbuches“19 und die Verbesserung der Die „radikale Periode“ begann am ber 1918 in reichlichem Maß zu fließen, Krankenversicherung für Arbeiter.20 Da- 14. März 1919 mit dem Gesetz über die sie waren aber noch nicht so geartet, dass zu kamen Maßnahmen zur Eindämmung Vorbereitung der Sozialisierung27, in sie die Lage der Arbeitermassen effektiv der Wohnungsnot: der sehr weitereichen- dem der Grundsatz der Enteignung von zu verbessern vermochten. Die am de Mieterschutz mit Kündigungsverbot Wirtschaftsbetrieben „zugunsten des 6. November 1918 beschlossene staatli- und Mietzinsstopp, der die Hausherren- Staates, der Länder und der Gemeinden che Arbeitslosenunterstützung9, gewiss rente faktisch nullifizierte21; die Voll- aus Gründen des öffentlichen Wohles“ eine bedeutsame Errungenschaft im zugsanweisung über die Wohnungsanfor- verkündet wurde. Am 25. April 1919 er- Grundsätzlichen, konnte bei einer Höhe derung, wonach die Gemeinden das schien ein Gesetz über die staatliche von täglich 6 Kronen (plus einer Krone Recht bekamen, leerstehende Wohnun- Entschädigung der Kriegsinvaliden, Familienzulage) angesichts der teuren gen, Zweitwohnungen und Zimmer in Kriegerwitwen und -waisen28, das mo- und oft ganz fehlenden Lebensmittel die Groß- und Luxuswohnungen, die nicht natliche Renten in der Höhe von 110 bis Not einer österreichischen Arbeiterfami- benützt wurden, Obdachlosen zuzutei- 350 Kronen, unentgeltliche Heilbehand- lie bestenfalls geringfügig lindern, aber len22; und die Anforderung privater Lie- lung und Beteilung mit orthopädischen weder die Unzufriedenheit beseitigen genschaften für öffentliche Zwecke, nach Behelfen, Krankengelder und unentgelt- noch die rasch anschwellende Zahl der der der Staat, das Land oder die Gemein- liche berufliche Ausbildung zur Wie- Arbeitslosen senken. Die Einführung des de Objekte, die während des Krieges z.B. dergewinnung der Erwerbstätigkeit vor- Achtstundentages10, zunächst beschränkt der Unterbringung von Kriegsflüchtlin- sah.29 Dieses Gesetz führte fast augen- auf die fabriksmäßig betriebenen Unter- gen gedient hatten, nun öffentlichen Für- blicklich zu einer Befriedung der nehmungen, wäre unter anderen Umstän- sorgezwecken zuführen durfte.23 großen Zahl der Invaliden, die nun den den eine gewaltige, sofort wirksame Ver- Protestkundgebungen und Demonstra- besserung der Lage der ArbeiterInnen Die Sozialgesetzgebung – Phase 2 tionen weitgehend fernblieben. Am gewesen, konnte aber in einer Zeit, da Dann kam der revolutionäre Auf- 14. Mai wurde das Verbot der Nachtar- der Mangel an Kohle und Rohstoffen schwung des Frühjahrs 1919, der sich beit für Frauen und Jugendliche in ge- vielen österreichischen Fabriken nicht auf dem Gebiet der Sozialpolitik als werblichen Betrieben verankert.30 mehr als drei Arbeitstage in der Woche „Periode der Radikalität“ widerspiegel- Ebenfalls am 14. Mai erließ Hanusch gestattete, vorerst nur wenig spürbar te. Der unmittelbare Zusammenhang eine Vollzugsanweisung, die hart an die sein.11 Eine Dämpfung der Krise gelang zwischen der Nachbarschaft der Rätere- Grenzen des „freien Unternehmertums“ durch diese beiden Vollzugsanweisun- publiken in Ungarn und München und vorstieß. Es war die Anweisung über die gen, die wichtigsten der „frühen Periode der raschen Verabschiedung wirklich zwangsweise „Einstellung von Arbeitslo- der Notmaßnahmen“12, jedenfalls nicht. einschneidender Sozialgesetze war für sen in gewerbliche Betriebe“.31 Danach Weitere Sozialmaßnahmen der Monate jedermann sichtbar. Max Lederer, ein war jeder Gewerbeinhaber, der minde- November 1918 bis März 1919 waren: hoher Beamter des Hanusch-Staatsam- stens 15 Arbeiter oder Angestellte be- Die Einführung der Arbeits- tes, schrieb später: „Wollte man Ruhe schäftigte, verpflichtet, ab 19. Mai 1919 vermittlung13; die Wiederherstellung der und Ordnung bewahren und Verzweif- Arbeitslose einzustellen und seine Beleg- Sonn- und Feiertagsruhe in Gewerbebe- lungsausbrüche hintanhalten, so musste schaft um 20 Prozent aufzustocken. Ohne trieben14; die Ausdehnung der Arbeitslo- man wenigstens auf sozialpolitischem Erlaubnis der industriellen Bezirkskom- senunterstützung auf Angestellte15 und Gebiet das Möglichste vorkehren. Von mission durfte er diesen Stand nicht wie- auf Arbeiter in der Land- und Forstwirt- diesem Gebot der Stunde machte Ha- der verkleinern. Mit der Verordnung schaft16; die Regelung der Arbeits- und nusch reichlichsten Gebrauch.“24 wurde versucht, einen allmählichen Ab- Lohnverhältnisse in der Heimarbeit17 Pribram schrieb: „Der Druck der sozi- bau der Arbeitslosigkeit zu erreichen und und bei der Kinderarbeit18 (gänzliches alrevolutionären Forderungen, die, viel- einen Teil der Lasten für die Arbeitslo- Verbot vor dem vollendeten zwölften fach von außen her (aus Bayern und na- sigkeit auf die Unternehmer zu überwäl-

3/08 Beiträge 5 zen, da nun die Entlassung der Arbeiter ligte. Nach fünf Jahren ununterbrochener zugsanweisungen, die über die Arbeits- der Willkür der Fabrikherren entzogen Beschäftigungsdauer stieg der Urlaub- losenunterstützung und den Achtstun- war.32 In der Tat begann ab Mitte Mai sanspruch auf zwei Wochen. Jugendliche dentag, verloren ihren provisorischen 1919 die Arbeitslosigkeit in Österreich unter 16 Jahren genossen schon nach dem Charakter und wurden gesetzlich veran- wieder zu sinken, vorerst leicht (vom ersten Arbeitsjahr zwei Wochen Urlaub. kert, wobei das Arbeitszeitgesetz nun- 1. Mai = 186.030 bis 1. Juni = 170.682), Die Sozialgesetze ergänzten politische mehr auch kleingewerbliche Betriebe, dann schneller (1. August = 133.362, Akte, die den in den Arbeitermassen tief Eisenbahn, Post, Banken, Rechtsan- 1. Oktober = 112.347, 22. November = verwurzelten antimonarchistischen und waltskanzleien usw. erfasste.43 Nach 87.266).33 Obwohl dafür in erster Linie antifeudalen Stimmungen Rechnung tru- dem am 18. Dezember 1919 erlassenen die allgemeine Wirtschaftsentwicklung gen. Nachdem Exkaiser Karl am Gesetz über die Errichtung von Eini- verantwortlich war und die Anweisung 24. März Österreich fluchtartig verlassen gungsämtern und über kollektive Ar- über die zwangsweise Einstellung nur zu hatte, erließ die Regierung nach Be- beitsverträge44 folgte am 26. Februar einem kleinen Teil beitrug, hatte sie auf schluss des Parlaments am 3. April 1919 1920 nur noch ein wichtiges Gesetz, die die erregte Stimmung der Arbeitslosen das Gesetz über die Landesverweisung Errichtung der Kammern für Arbeiter eine dämpfende Wirkung. des Hauses Habsburg-Lothringen, das al- und Angestellte.45 Dann war die Periode Tags darauf, am 15. Mai 1919, kam le Herrscherrechte der Dynastie für im- sozialpolitischer Konzessionen der öster- das Betriebsrätegesetz34, die wohl bedeu- merwährende Zeiten aufhob und den reichischen Bourgeoisie an die Arbeiter- tendste legislative Maßnahme der Ha- hofärarischen Besitz in das Eigentum der klasse zu Ende, und was mit den groß an- nusch-Ära und das einzige Gesetz, dass Republik überführte.39 Am gleichen gekündigten Sozialisierungsplänen ge- im Rahmen der groß angelegten Soziali- 3. April wurden die Vorrechte des Adels schah, ist zur Genüge bekannt.46 sierungsvorbereitungen und -verspre- abgeschafft, die weltlichen Ritter- und Es steht aber fest, dass Österreich in den chungen reale Bedeutung erlangte. Die Damenorden aufgehoben und die Jahren 1918 bis 1920, was Modernität im Vergleich zu analogen Gesetzen an- Führung von Adelsbezeichnungen, Ti- und Dichte des Netzes der Sozialpolitik derer Länder verhältnismäßig großen teln und Würden untersagt.40 Am betraf, zu einem der führenden Länder un- Rechte, die der Betriebsrat in Österreich 25. April 1919 wurden der 12. Novem- ter den kapitalistischen Industriestaaten erhielt, waren eine Frucht der revolu- ber „zum immerwährenden Gedenken an der Welt wurde, und die Sozialgesetzge- tionären Krise und des Drängens der So- die Ausrufung des Freistaates Deutschö- bung das bei weitem positivste Ergebnis zialdemokratischen Partei, die über das sterreich“ sowie der 1. Mai zu allgemei- der österreichischen Revolution war. Sprachrohr des Arbeiterrats in drohen- nen Ruhe- und Feiertagen erklärt.41 dem Ton die Demokratisierung der Be- Bedenkt man, dass das alles in einer Das Verhältnis zwischen triebsverfassung forderte. Die Kompe- Zeit geschah, in der man von der „unwi- Sozialdemokratie und KPÖ tenzen des Betriebsrats überschritten je- derstehlich vormarschierenden Soziali- im Arbeiterrat doch nicht die Schwelle des mit der Frei- sierung“ sprach, in der sogar der christ- Politisch verfolgte die österreichische heit des privatkapitalistischen Unterneh- lichsoziale Vizekanzler Jodok Fink am Sozialdemokratie gegenüber den Kom- mertums Vereinbaren, und Hanuschs 21. Mai 1919 in einer Regierungser- munisten eine Linie, die sich von der in Prophezeiung, wonach das Betriebsräte- klärung ankündigte, dass man Privatun- Deutschland eines Ebert, Scheidemann, gesetz den „Übergang zum Sozialismus“ ternehmen des Kohlenbergbaus, des Noske usw. deutlich abhob: die Strate- bedeute35, bewahrheiteten sich nicht. Kohlengroßhandels, der Eisenerzgewin- gie der möglichst gewaltlosen Bändi- Am 30. Mai 1919 folgte das Gesetz nung und Rohstahlerzeugung, der Elek- gung der „Gefahr von links“. über die „Errichtung und Unterbringung trizitätswirtschaft, der Holzindustrie und Anfang März 1919 entschloss sich die von Volkspflegestätten“36, besser bekannt des Holzgroßhandels enteignen und in Sozialdemokratische Partei unter dem unter der Bezeichnung „Schlössergesetz“. den Besitz gemeinwirtschaftlicher An- wachsenden Druck der radikalisierten Der Staat konnte Schlösser, Paläste und stalten überführen werde42, so wird klar, Arbeitermassen, das Organisationsstatut Luxuswohngebäude in Anspruch neh- dass die Sozialgesetzgebung jenen Erfolg des Arbeiterrats zu ändern, ihn für die men, um in ihnen Sanatorien für Kriegs- brachte, den die Sozialdemokratie erhoff- Kommunisten zu öffnen und allgemeine beschädigte, Tuberkuloseheilstätten und te. Sie zeigte den Arbeitermassen, dass Wahlen in die Orts-, Bezirks- und Lan- Heime für Waisen und hungernde Kinder gewaltige, in Umfang, Intensität und Ra- desarbeiterräte auszuschreiben. Dabei einzurichten. Die Enteignung der bisheri- dikalität bisher nicht da gewesene Errun- ging sie von sehr konkreten politischen gen Eigentümer erfolgte entschädigungs- genschaften auf friedlichem Weg, durch Erwägungen aus, von denen gleich die los, wenn die Gebäude Kriegsgewinnlern Reformen, möglich waren. Die Alternati- Rede sein wird. Die sich über den April, gehörten oder der Besitzer nach der Revo- ve der Kommunisten, die ganze Macht zu Mai und teilweise noch Juni 1919 hin- lution ins Ausland geflohen war.37 Das erobern und sie in die Hände der Arbei- ziehenden Wahlen in die Arbeiterräte, Gesetz traf vor allem die Habsburgerdy- ter- und Soldatenräte zu legen, schien die in ganz Österreich an die 870.000 nastie und den Hochadel und bedeutete, demgegenüber nichts als härtesten Werktätige, davon in Wien 480.000, vom sozialen Zweck abgesehen, für die Kampf, Bürgerkrieg und blutige Ausein- mobilisierten, erbrachten für die KPÖ vom Krieg am härtesten Betroffenen eine andersetzung mit dem Klassengegner und einen Stimmenanteil von fünf bis maxi- moralische Genugtuung. der waffenstarrenden Entente anzubieten. mal zehn Prozent.47 Dieses Ergebnis war Am 30. Juli 1919 verabschiedete in erster Linie den Erfolgen in der Wähl- schließlich die Nationalversammlung das Die Sozialgesetzgebung – Phase 3 ergruppe der Arbeitslosen und Invaliden Arbeiterurlaubsgesetz38, das jedem Ar- Nach der Niederwerfung Räteungarns geschuldet; bei den Beschäftigten der beiter und jeder Arbeiterin nach einem Anfang August 1919 gingen die Initiati- Groß-, Mittel- und Kleinbetriebe lag der Jahr ununterbrochenen Dienstverhältnis- ven für weitere Sozialgesetze bezeich- Anteil der Kommunisten nur an der ses eine Woche bezahlten Urlaubs zubil- nenderweise rasch zurück. Zwei Voll- Vier- bis Fünf-Prozentmarke.

3/08 6 Beiträge Die erdrückende Majorität der öster- des Forum war, das konnten auch die als mit dem der Kommunisten deckungs- reichischen Arbeiterschaft bekannte sich Kommunisten nicht bestreiten. Um also gleich hinstellten, weil auch sie den radi- also auch am Höhepunkt der revolu- ihr Ziel, alle Macht im Staat in die Hän- kalisierten Arbeitermassen 1918/19 ver- tionären Krise im Frühjahr 1919 zu ihrer de der Räteorgane zu legen, zu errei- sprachen, sie zum Sozialismus zu führen. angestammten Partei, zur Sozialdemo- chen, musste die KPÖ nach der inneren kratie. Sie tat das allerdings nicht des- Logik dieser neuen proletarischen Insti- Sozialdemokratie und Sozialismus halb, weil sie deren Vorgangsweise un- tution danach trachten, durch hartnäcki- Bei aller Vielfalt reformistischer Kon- terstützte, mit den Christlichsozialen in gen politischen Kampf, tägliche Propa- zeptionen und Lehren kann ihr eigentli- der Regierung zu koalieren und auf dem ganda und ideologische Aufklärungsar- ches Wesen in der Hauptsache auf zwei Boden der bürgerlichen Ordnung zu beit die sozialdemokratischen Arbeiter Schattierungen zurückgeführt werden: verharren, sondern weil sie erwartete, und Arbeiterinnen für sich zu gewinnen 1. Reformisten, die Reformen als allein davon überzeugt war und darauf ver- und die Majorität im Arbeiterrat zu er- wirksame Methode zur völligen Umge- traute, nur unter ihrer Führung, und obern. Da dies aus einer Reihe von ob- staltung der Ausbeuterordnung, als Mit- nicht unter der der jungen und unerfah- jektiven und subjektiven Gründen nicht tel, um den Sozialismus zu erreichen, be- renen Kommunistischen Partei, zum gelang, sahen sich die Kommunisten mit trachten, und 2. Reformisten, die sich Sozialismus gelangen zu können. einer Situation konfrontiert, in der jegli- keine sozialistischen Ziele setzen, son- Die politische Quintessenz des Aus- cher Versuch, die Schwelle des sozial- dern einzig die Verbesserung der Lage baus des Arbeiterrats zu einem „Parla- demokratischen Reformismus zu über- der „sozial Benachteiligten“ zum Anlie- ment der gesamten Arbeiterklasse“ war, schreiten, vor den Massen als „Missach- gen erklären und hierbei Reformen als mit den Kommunisten Kontakt zu hal- tung der Beschlüsse des Arbeiterrats“ Allheilmittel gegen sämtliche Gebrechen ten, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, und „Bruch der proletarischen Diszi- des Kapitalismus ansehen. sie, wenn möglich, auf die sozialdemo- plin“ gebrandmarkt werden konnte. Die- Die österreichische Sozialdemokratie kratische Linie des „Abwartens“ und ses Dilemma wurde von den austromar- war seit ihrer Wende zum Zentrismus, „Gewehr-bei-Fuß-Stehens“ zu bringen, xistischen Führern bis zum Letzten aus- der auf dem Kriegsparteitag im Oktober sie von der Perspektivlosigkeit des Ex- genützt. Friedrich Adler sagte auf dem 1917 vollzogen wurde, bis zu ihrem Un- periments einer Räterepublik zu über- Salzburger Parteitag 1924, der den Be- tergang im Februar 1934 entschieden ei- zeugen, und, wenn dies nicht gelang, mit schluss über die Auflösung der Arbei- ne reformistische Partei des ersten Typs. Mehrheitsbeschlüssen niederzustimmen. terräte fasste: „Manche Genossen glau- Das kam in der österreichischen Revo- Gerade in den Monaten der Nachbar- ben (...), es war eine besondere Schlau- lution mit besonderer Durchschlagskraft schaft Räteungarns wurde von den sozi- heit und taktische Geschicklichkeit, mit und enormer Massenwirkung zum Tra- aldemokratischen Führern mit besonde- der wir die Kommunisten dazu gebracht gen. Dazu nur ein Beispiel: rem Nachdruck hervorgehoben, dass für haben, immer wieder eine Niederlage Am 1. März 1919 hielt der Parteivor- alle die österreichische Arbeiterklasse in nach der anderen zu erleiden. Aber das sitzende der österreichischen Sozialde- ihrer Gesamtheit berührenden Fragen ist nicht die Geschicklichkeit einer Per- mokratie, Karl Seitz, auf der 1. Reichs- nicht Parteien oder Gewerkschaften, son, sondern der Erfolg eines Prinzips; konferenz der Arbeiterräte das Eröff- sondern der Arbeiterrat die einzig zu- die Kommunisten waren gezwungen, nungsreferat. Darin stellte er den Ge- ständige und entscheidungsberechtigte sich im Rahmen der proletarischen De- gensatz zwischen Sozialdemokraten Körperschaft sei. Dass der Arbeiterrat mokratie den Beschlüssen der Mehrheit und Kommunisten als bloß taktische nach erfolgter Organisationsreform, der Arbeiterklasse zu unterwerfen.“49 Meinungsverschiedenheit hin, die aus- nach der Öffnung für alle sozialistischen Zum „Erfolg eines Prinzips“ konnte schließlich das Problem der Beurteilung Parteien und Gruppierungen48, nach der die sozialdemokratische Politik im Ar- des Tempos der Entwicklung zum So- Einführung der freien und demokrati- beiterrat – und in der österreichischen zialismus, nicht aber das sozialistische schen Wahl der Mandatare ein solches Revolution überhaupt – allerdings nur Endziel betreffe. Während die Kommu- repräsentatives und Autorität besitzen- werden, weil die Parteiführer ihr Endziel nisten „sofort“, „über Nacht“ und „mit Gewalt“ den Sozialismus zu erringen suchten, sei die Sozialdemokratie der Widerstand der sich Auffassung, dass diese Entwicklung gelohnt hat „einen gewissen Zeitraum in Anspruch Rudolf Haunschmid nehmen wird“. Dann ließ Seitz folgende Worte fallen: „Bei reicher Vorratswirt- R: Simon Loidl und Peter März, schaft, bei gefüllten Speichern, mit Laufzeit ca. 44 min, Ö 2008 Menschen in voller Arbeitskraft wäre Rudolf Haunschmid war Widerstands- der Sozialismus eine Frage der kürze- kämpfer, langjähriger Gewerkschafter sten Zeit (...) Trotzdem und alledem (...) und Gemeinderat der KPÖ in Linz. In – wir müssen heute den Weg beschrei- dieser vom KZ-Verband/VdA Ober- ten, wir müssen anfangen, den Sozialis- österreich produzierten DVD erzählt er mus zu verwirklichen.“50 über sein Leben und seine Tätigkeit im Die Sozialdemokratie hat den Werk- Widerstand und gegen das Vergessen. tätigen in der österreichischen Revoluti- on also nicht gesagt, dass es bei der bür- Die DVD kann zum Preis von 10.– gerlich-kapitalistischen Staatsordnung Euro über den KZ-Verband bezogen bleibt, sondern ihnen versprochen, sie werden (www.kzverband-ooe.at). zum Sozialismus zu führen. Anders hätte

3/08 Beiträge 7 sie damals keinen einzigen Tag ihren schrieb: „Wir konnten 1919 die kapitali- Grundpfeiler von 1918/19 bieten mehr Masseneinfluss behalten können. Zudem stische Produktionsweise, die sich rings als jedes andere Gedenkdatum der versicherte sie, dass ihr Weg zum Sozia- um uns in der Welt behauptete, nicht ge- österreichischen Geschichte für alle in lismus sicherer, bedachter, realistischer rade in Österreich überwinden. So blieb unserem Land, denen wirkliche und sei und viel weniger Opfer abfordern der Bourgeoisie die ökonomische Macht. nicht bloß geheuchelte Demokratie, de- würde als der von den Kommunisten Diese ‚ökonomische Macht‘ wurde in nen gesellschaftlicher Fortschritt auch vorgezeichnete.51 Dass das nicht nur Ge- Gestalt des Einflusses der kapitalisti- und gerade im Gegenwind von Sozi- rede war, dass Austromarxisten wie Otto schen Presse und der von ihr erzeugten alabbau, Neoliberalismus und imperiali- Bauer, Max Adler, Friedrich Adler und ‚öffentlichen Meinung‘ auf die Wähler- stischer Globalisierung am Herzen lie- andere den Sozialismus wollten und fest massen, in Gestalt des Einflusses der gen, Objekte der Identifikation und der von der Richtigkeit ihres Rezepts über- Wahlfondsspenden der kapitalistischen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. zeugt gewesen sind, kann ebenso wenig Organisationen für die bürgerlichen Par- bestritten werden wie die Tatsache, dass teien und der Subsidien der kapitalisti- Anmerkungen: jede soziale Revolution Wagnisse und schen Organisationen für die Heimweh- 1/ Der Autor hat zu dieser Frage bereits mehrere Risken in sich birgt. ren, in der Gestalt des großindustriellen Arbeiten verfasst, von denen die wichtigsten ge- Hier liegt die tiefste massenpsycholo- Betriebsterrors wirksam (...) Auf der nannt seien: Hans Hautmann, Die Anfänge der gische Wurzel für den Erfolg des Refor- Grundlage der bürgerlichen Produkti- linksradikalen Bewegung und der Kommunisti- mismus und für das Scheitern der onsweise musste die bürgerliche Herr- schen Partei Deutschösterreichs 1916–1919 = Bemühungen der KPÖ, zu einer Rätere- schaft wiedererstehen.“52 Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für publik zu gelangen. Denn vor die Wahl Im Jahr 1919 hatte Otto Bauer noch Geschichte der Arbeiterbewegung in Österreich gestellt, ein Ziel friedlich oder durch festgestellt, dass damals die Entwicklung 7, Wien 1970; Die verlorene Räterepublik. Am härtesten Kampf zu erreichen, wird nur in Europa zum Sozialismus hin „überaus Beispiel der Kommunistischen Partei Deutschö- in Ausnahmefällen eine Mehrheit die hoffnungsvoll“ gewesen sei, in Deutsch- sterreichs (= Europäische Perspektiven), Wi- vermeintlich mühelosere Alternative land die „Arbeitermassen stürmisch en–Frankfurt–Zürich 1971; Zum Stellenwert der verwerfen. Die überwältigende Majo- nach der Sozialisierung drängten“, in Massenbewegungen und Klassenkämpfe in der rität der österreichischen ArbeiterInnen Ungarn eine Räterepublik entstand, in revolutionären Epoche 1917–1920, in: Ge- folgte daher 1918/19 dem von der Sozi- der Tschechoslowakei und in Polen schichte als demokratischer Auftrag. Karl R. St- aldemokratie angebotenen Weg und „große Agrarreformen, die Enteignung adler zum 70. Geburtstag, Wien–München– lehnte den der Kommunisten, der ein des großen Grundbesitzes angekündigt“ Zürich 1983; Der November 1918 – eine Revo- blutiges, gewaltige Opfer kostendes Rin- worden sei und auch im Lager der En- lution?, in: Österreich November 1918. Die Ent- gen mit den in- und ausländischen Klas- tente Bewegungen bemerkbar wurden, stehung der Ersten Republik. Protokoll des sengegnern verhieß, ab. Erfahrungen mit „die den Ausbruch einer sozialen Revo- Symposiums in Wien am 24. und 25. Oktober den „dritten Wegen“ hatte man 1918/19 lution in den Bereich des Möglichen zu 1978 (= Veröffentlichungen der Wissenschaftli- noch keine, und die bis dahin sichtbaren rücken schien.“53 Der Kapitalismus be- chen Kommission zur Erforschung der Ge- Resultate sozialdemokratischer Strategie hauptete sich 1919 weder in noch rings schichte der Republik Österreich, Band 9), hrsg. (demokratische Rechte, soziale Gesetz- um Österreich ohne Erschütterung, son- von Isabella Ackerl und Rudolf Neck, Wien gebung, „rote“ Volkswehr, starke Stel- dern befand sich in einer tiefen Existenz- 1986; Geschichte der Rätebewegung in Öster- lung des Arbeiterrats, Ankündigung der krise und war in Sowjetrussland und Un- reich 1918–1924 (= Veröffentlichungen des Sozialisierung der Großindustrie usw.) garn bereits durchbrochen. Ludwig-Boltzmann-Instituts für Geschichte der übertrafen die negativen Begleiterschei- Das politische Handeln der großen So- Arbeiterbewegung), Wien–Zürich 1987; Die An- nungen der österreichischen Revolution, zialdemokratie in der österreichischen fänge der Partei bis 1920, in: Die Kommunisti- die von den Arbeitern mit Unbehagen Revolution hatte daher ein ganz anderes sche Partei Österreichs. Beiträge zu ihrer Ge- registriert wurden, noch bei weitem. Die Gewicht als das der kleinen Kommuni- schichte und Politik, Wien 1987, 2. Aufl. 1989; Arbeitermassen konnten damals nicht stischen Partei und muss daher auch an- Was hat uns der November 1918 heute zu sa- wissen, dass die Wahlmöglichkeit in ders bewertet werden. Wenn die Sozial- gen? Betrachtungen zum 70. Jahrestag der Wirklichkeit nicht die zwischen zwei demokratie die Durchsetzung der bedeu- Gründung der Republik, Wien 1988. Wegen zum Sozialismus war, sondern tenden demokratischen und sozialen Er- 2/ Otto Bauer, Die österreichische Revolution, die zwischen Sozialismus und Erhaltung rungenschaften in der österreichischen Wien 1923; Neuauflage mit einem Geleitwort der bürgerlichen Ordnung. Revolution als Verdienst für sich bean- von Ernst Winkler, Wien 1965. Wissen hätten es allerdings die sozial- spruchen durfte, so trug sie auf der ande- 3/ Hans Hautmann, Die Arbeiterklasse: Das Er- demokratischen Führer müssen, die die ren Seite aber auch die Hauptverantwor- wachen des schlafenden Riesen (Österreich im Schriften von Karl Marx (auf die sie sich tung für das, was 1918/19 unterlassen Epochenjahr 1917, Teil 1), in: Alfred Klahr Ge- als Richtschnur ihrer Politik ja immerhin wurde und bekanntlich schwerwiegende sellschaft. Mitteilungen, 14. Jg., Nr. 1, März beriefen) in- und auswendig kannten und negative Folgen zeitigte. 2007; Hans Hautmann, Die Herrschenden: Auf denen dessen Lehren, wie in revolu- Dennoch: Wir haben mit der öster- der Suche nach Auswegen aus der Systemkrise tionären Zeiten vorzugehen ist und was reichischen Revolution von 1918/19 ei- (Österreich im Epochenjahr 1917, Teil 2), in: man auf keinen Fall verabsäumen darf, ne historische Tradition vor uns, die Ebenda, Nr. 2, Juni 2007; Hans Hautmann, Die nicht unbekannt waren, vor allem nicht wahrlich der Erinnerung wert ist. Sie Sozialdemokratie: Der Übergang auf zentristi- die von Marx als Schlüsselfrage jeder zeigt uns, wie viel unter bestimmten sche Positionen (Österreich im Epochenjahr Revolution bezeichnete Frage der Macht. Voraussetzungen möglich und erreich- 1917, Teil 3), in: Ebenda, Nr. 3, September Otto Bauer bestätigte die Folgen der bar ist, wenn sich die arbeitenden Men- 2007; Hans Hautmann, Die Revolutionäre: Der Missachtung dieses Prinzips, als er im schen der Tugenden des Kampfes besin- Formierungsprozess der Linksradikalen (Öster- Jahr 1930 in resignierendem Ton nen, ihrer Kraft innewerden. Die reich im Epochenjahr 1917, Teil 4), in: Ebenda,

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Nr. 4, Dezember 2007; Hans Hautmann, Doku- 35/ Zitiert bei: Fritz Klenner, Die österreichi- kampf das Mittel der Emanzipation des arbei- mente zum Jännerstreik 1918, in: Ebenda, schen Gewerkschaften. Vergangenheit und Ge- tenden Volkes erkennen“. Siehe: Die Arbei- Nr. 4, Dezember 2007; Hans Hautmann, Jänner genwartsprobleme, 1. Band, Wien 1951, S. 562. terräte Deutschösterreichs. Organisationssta- 1918 – Österreichs Arbeiterschaft in Aufruhr. 36/ StGBl. 1919, Nr. 309. tut, Geschäftsordnung, Geschäftsbehandlung Vortrag in der Veranstaltung der Alfred Klahr 37/ Otto Bauer, Die Sozialisierungsaktion im er- und Adressen der deutschösterreichischen Ar- Gesellschaft zum Jännerstreik 1918 in Wien am sten Jahre der Republik (= Schriftenreihe beiterräte, Wien o.J. (1921). 18. Jänner 2008: www.klahrgesellschaft.at/Re- „12. November“, Nr. 5), Wien 1919, S. 15. 49/ Protokoll des sozialdemokratischen Partei- ferate/Hautmann_Jaennerstreik.html [3.3.2008]. 38/ StGBl. 1919, Nr. 395. tags 1924. Abgehalten in Salzburg vom 31. Ok- 4/ Norbert Leser, Zwischen Reformismus und 39/ Ebenda, Nr. 209. tober bis 3. November 1924, Wien 1924, S. 212. Bolschewismus. Der Austromarxismus als 40/ Ebenda, Nr. 211. Hervorhebungen im Original. Theorie und Praxis, Wien–Frankfurt–Zürich 41/ Ebenda, Nr. 246. 50/ Arbeiter-Zeitung, Wien, 2. März 1919, S. 3 1968, S. 293. 42/ Arbeiter-Zeitung, 22. Mai 1919, S. 3. (Hervorhebungen H.H.). 5/ Adolf Merkl, Die Verfassung der Republik 43/ StGBl. 1919, Nr. 581. 51/ Wie die österreichische Sozialdemokratie Deutsch-Österreich. Ein kritisch-systematischer 44/ StGBl. 1920, Nr. 16. „opferlos“ zum Sozialismus zu gelangen ge- Grundriss, Wien 1919, S. 2. 45/ Ebenda, Nr. 100. dachte, wurde von Otto Bauer in einer Arti- 6/ Hans Kelsen, Die Verfassungsgesetze der 46/ Siehe dazu: Erwin Weissel, Die Ohnmacht kelserie in der Arbeiter-Zeitung im Frühjahr Republik Deutsch-Österreich. Erster Teil, Wien des Sieges. Arbeiterschaft und Sozialisierung 1919 detailliert geschildert. Die Artikel wurden 1919, S. 28. nach dem Ersten Weltkrieg in Österreich (= Veröf- sogleich auch als Broschüre in Massenauflage 7/ Friedrich Adler, Nach zwei Jahren. Reden, fentlichungen des Ludwig Boltzmann Instituts für verbreitet: Otto Bauer, Der Weg zum Sozialis- gehalten im November 1918, S. 14. Geschichte der Arbeiterbewegung), Wien 1976. mus, Wien 1919. 8/ H. Hautmann, Die Anfänge der linksradikalen 47/ H. Hautmann, Geschichte der Rätebewe- 52/ Otto Bauer, Die Bourgeois-Republik in Bewegung, a.a.O., S. 50. gung, a.a.O., S. 341ff. Österreich, in: Der Kampf, 23. Jg., Wien 1930, 9/ Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschöster- 48/ Laut dem neuen Organisationsstatut der S. 199 (Hervorhebungen H.H.). reich (StGBl.), Jg. 1918, Nr. 20. Arbeiterräte vom März 1919 waren alle wähl- 53/ Otto Bauer, Die Sozialisierungsaktion im er- 10/ Ebenda, Nr. 138. bar, die „in der Beseitigung der kapitalistischen sten Jahre der Republik (= Schriftenreihe 11/ Fritz Rager, Das sozialpolitische Werk Fer- Produktionsweise das Ziel und im Klassen- „12. November“, Nr. 5), Wien 1919, S. 3. dinand Hanusch’, in: Arbeit und Wirtschaft, 1. Jg., Heft 20, Wien, Oktober 1923, S. 770f. 12/ Karl Pribram, Die Sozialpolitik im neuen Österreich, in: Archiv für Sozialwissenschaften Neuerscheinungen und Sozialpolitik, Band 48, Jg. 1920/21, Tübin- Peter Goller: Otto Bauer – Max Adler. Beiträge zur gen, S. 615ff. Geschichte des Austromarxismus (1904–1938) 13/ StGBl. 1918, Nr. 18. Wien: Verlag der Alfred Klahr Gesellschaft 2008 14/ Ebenda, Nr. 21. (Quellen & Studien, Sonderband 9) 15/ Ebenda, Nr. 32. 164 S., 10.– Euro, ISBN 978–3–9501986–4–5 16/ Ebenda, Nr. 73. 17/ Ebenda, Nr. 140. Der Band 9 der von der ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT herausge- 18/ Ebenda, Nr. 141. gebenen Reihe „Quellen & Studien“ erinnert mit Otto Bauer 19/ StGBl. 1919, Nr. 42. (1881–1938) und Max Adler (1873–1937) an zwei vor 70 Jahren 20/ Ebenda, Nr. 86. verstorbene Exponenten des „Austromarxismus“, an deren Rolle 21/ Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate ver- im reformistischen Hauptstrom der österreichischen Sozialdemokratie, an deren „dritte tretenen Königreiche und Länder (RGBl.), Wege“ („integraler Sozialismus“ bzw. „Linkssozialismus“) und an deren widersprüchli- Jg. 1918, Nr. 381 vom 26. Oktober 1918. che Funktion in marxistischen Theoriedebatten nach der Befreiung vom Faschismus. 22/ StGBL. 1918, Nr. 22. 23/ Ebenda, Nr. 31. Österreich auf dem Weg 24/ Max Lederer, Grundriss des österreichi- in Militärbündnisse schen Sozialrechts, 2. Aufl., Wien 1932, S. 29. Die Militarisierung der Europäischen 25/ K. Pribram, a.a.O., S. 645. Union und die österreichische 26/ Protokolle der konstituierenden Nationalver- Neutralität sammlung, 17. Dezember 1919, S. 1332ff. (Her- vorhebungen H.H.). Wien: Verlag der Alfred Klahr 27/ StGBl. 1919, Nr. 181. Gesellschaft 2008, 88 S., 5.– Euro 28/ Ebenda, Nr. 245. Mit Beiträgen von Heinz Gärtner, Erwin Lanc, Boris Lechthaler, Franz Lei- 29/ Julius Braunthal, Die Sozialpolitik der Repu- denmühler, Ulrike Koushan/Elke Renner, Gerald Oberansmayr, Andreas blik (= Schriftenreihe „12. November“, Nr. 3), Pecha und Manfred Sauer. Wien 1919, S. 36f. 30/ StGBl. 1919, Nr. 281. Der vorliegende Sammelband umfasst die Referate einer von der ALFRED KLAHR 31/ Ebenda, Nr. 268. GESELLSCHAFT gemeinsam mit dem Bildungsverein der KPÖ Steiermark im 32/ O. Bauer, Die österreichische Revolution, Herbst 2007 in Graz und Wien durchgeführten Konferenz, die die Entwicklung der a.a.O., S. 177. Europäischen Union zu einem Militärpakt und deren Vereinbarkeit mit der öster- 33/ Statistisches Handbuch für die Republik reichischen Neutralität analysierte. Österreich, 1. Jg., Wien 1920, S. 63. Bezugsmöglichkeit: [email protected] 34/ StGBl. 1919, Nr. 283.

3/08 Beiträge 9 Marginalien zum 11. März 1938 im Burgenland Die burgenländische Arbeiterbewegung am Vorabend des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich MARTIN KRENN ie politischen Entwicklungen des burgenländische Landesregierung Lan- das eigentliche Ziel. Pfriemer hat im Bur- Jahres 1933 mit der per Staats- deshauptmann Hans Sylvester und die genland genauso antisemitisch gespro- Dstreich durchgeführten Macht- Landesräte Franz Strobl und Karl Posch chen, wie Dr. Goebbels in , wenn übernahme durch Dollfuß und dem kon- teilnahmen, für die burgenländischen man aus Feigheit dies hier auch nicht of- tinuierlichen Abdrängen der Institutio- Sozialdemokraten bzw. Revolutionären fiziell deklariert […]. Seit der Gründung nen der Arbeiterbewegung in die Illega- Sozialisten7 Ignaz Till, der Eisenstädter dieser Republik hat das deutsch-öster- lität, beginnend mit dem Verbot der KPÖ Funktionär Lorenz Schöfbeck und die reichische Volk seine politische Selbst- und des Republikanischen Schutzbundes, Brüder Oskar und Walter Sagl8 sowie ständigkeit, die ihm durch die Friedens- setzten die ersten, unzweideutigen Weg- für die Kommunistische Partei Ludwig verträge auferlegt wurde, immer als Fes- marken des innenpolitischen Kurses des Horvath,9 bis 1933 Mitglied der Sozial- sel empfunden – mit wenigen monarchi- Austrofaschismus, dessen Ziel die völli- demokratischen Partei und noch Anfang stischen Ausnahmen – und sich dagegen ge Zerschlagung der organisierten Arbei- 1933 als Vertreter der Sozialdemokrati- gewehrt, ein eigenes österreichisches Na- terbewegung war – bei dem gleichzeiti- schen Arbeiterjugend (SAJ) in den Lan- tionalgefühl aufkommen zu lassen.“15 gen Versuch, zu einem staatspolitisch ar- desparteivorstand der burgenländischen Leser endet schließlich mit jenen rangierten Übereinkommen mit den Na- Partei kooptiert.10 Worten, die noch 1938 handlungslei- tionalsozialisten zu finden.1 Spätestens Diese Besprechung schließt an die tend und dafür verantwortlich sein soll- in Berchtesgaden am 12. Februar 1938 Kontaktaufnahmen der Spitzen der bur- ten, dass sich die burgenländische Sozi- zeigte sich das völlige Versagen dieser – genländischen Vaterländischen Front aldemokratie zu keinem Bekenntnis für von Seiten des Ständestaates nicht allein nach der Berchtesgadener Besprechung ein unabhängiges Österreich durchrin- taktisch, sondern strategisch motivierten vom 12. Februar an, in der Absicht, die gen konnte: „Wir wollen den ‚öster- – Orientierung und bewog Schuschnigg burgenländische Arbeiterbewegung reichischen Menschen‘ nicht.“16 zu ihrer Revision, indem er mit der Paro- dafür zu gewinnen, „an der Abwehr der Dass die Orientierung Sylvesters zur le „Bis in den Tod Rot-Weiß-Rot“ auf Hitlergefahr mitzuwirken“.11 Sondierung der politischen Landschaft direkte Konfrontation mit Hitler- Dem vorangegangen waren einzelne jedoch keineswegs auf die Arbeiterbe- Deutschland ging.2 Damit wurden auch Versuche der burgenländischen Landesre- wegung beschränkt blieb, zeigt die Un- seitens der österreichischen Bundesre- gierung, führende Persönlichkeiten der terredung, die er mit Portschy führte. gierung endlich die Grundlagen für eine burgenländischen Arbeiterbewegung ins Keineswegs stellte sich die Situation breite Abwehrfront gegen den deutschen neue System einzubinden,12 was mit Aus- nach Berchtesgaden so dar, wie Richard Faschismus geschaffen, wobei Schusch- nahme des ehemaligen Schutzbundführers Berczeller sie beschreibt: Sylvester hätte nigg trotz des Hervordrängens der Ar- und Eisenstädter Vizebürgermeisters Paul demnach gewusst, „dass nur noch eine beiterbewegung aus der Illegalität3 bis Koller (nach 1945 wieder Vizebürgermei- Zusammenarbeit mit den illegalen So- zuletzt die gröbsten Vorbehalte gegen ster von Eisenstadt, diesmal jedoch für die zialisten eine geringe Chance bot“,17 um ihre „offizielle“ Einbeziehung an den KPÖ) in die Soziale Arbeitsgemeinschaft die Unabhängigkeit Österreichs zu wah- Tag legte.4 Parallel zu Wien war auch (SAG) jedoch nicht gelang.13 Auch mit ren. Dies ist schon allein darum frag- im Burgenland die Situation durch Un- dem sich im Pressburger Exil befindenden würdig, da Sylvester, der in seiner Stu- entschlossenheit und eine allgemeine ehemaligen Landeshauptmann-Stellvertre- dentenzeit derselben Verbindung wie Verunsicherung charakterisiert, was zu- ter Ludwig Leser wurden diesbezüglich der spätere nationalsozialistische Lan- sehends zur politischen Lähmung der Gespräche geführt, die jedoch – in der deshauptmann Portschy angehörte,18 Landesregierung führte5 und als der Überlieferung Strobls – aufgrund der Auf- nach 1933 eindeutig dem radikalen Flü- Hauptgrund anzusehen ist, dass diese fassung Lesers, dieser Kampf wäre völlig gel der christlichsozialen Partei zuzu- sich erst buchstäblich fünf Minuten vor aussichtslos, ergebnislos verliefen.14 zählen ist, der nach der Dollfußschen zwölf zur Zusammenarbeit mit der Ar- Bereits im Juni des Jahres 1933, als der Machtergreifung in Wien auch im Bur- beiterbewegung entschied. burgenländische Landtag zum ersten Mal genland die Weichen für das diktatori- nach mehr als halbjähriger Unterbre- sche Regime stellte.19 Sylvester, der den Die Situation im Burgenland chung wieder zusammentrat, hatte die Ernst der Lage im Gegensatz zu vielen am Vorabend des 11. März unbestrittene Führungspersönlichkeit der seiner politischen Mitstreiter sehr wohl Nach der am 9. März erfolgten Ver- burgenländischen Sozialdemokratie den erkannte, nahm gleichzeitig zu ersten kündung Schuschniggs, am 13. März ei- Austrofaschismus bzw. Mussolini-Fa- Gesprächen mit der Arbeiterbewegung ne Volksbefragung über die Unabhän- schismus als das eigentliche Übel und in Parallelverhandlungen mit Portschy auf, gigkeit Österreichs durchzuführen, fand Folge kausal verantwortlich für das Er- um mit ihm Modalitäten einer Einbezie- über Vermittlung des ehemaligen Lan- starken des Nationalsozialismus in Öster- hung der burgenländischen Nationalso- desrates Ignaz Till, der mit Sylvester reich betrachtet: „Reichlich spät stellt zialisten in die Vaterländische Front zu schon vor dem 9. März in Verbindung sich die Regierung Dollfuß gegen den diskutieren. Nach übereinstimmenden stand,6 noch in der Nacht vom 9. zum Nationalsozialismus. Mit mehr Elan hat Angaben von August Ernst und Ursula 10. März eine Besprechung im Land- man dagegen die Sozialdemokraten Mindler, wobei letztere sich auf das Ta- haus von Eisenstadt statt, an der für die bekämpft und ihre Unterdrückung war gebuch von Portschy beziehen kann,

3/08 10 Beiträge fand die besagte Unterredung in der Zeit sei“.23 Im Gegensatz zur Gruppe um Till wieder in die Privatsphäre.28 Als zwischen dem 20. und dem 24. Februar und der in Wien mit Schuschnigg ver- Schuschnigg am Mittwoch, den 9. März 1938 in den Amtsräumen des Oberwar- handelnden Delegation um Friedrich 1938, die Volksbefragung ankündigte, ter Bezirkshauptmannes Dr. Kleinert Hillegeist waren die Teilnehmer der Be- stand es um die Mobilisierungsfähigkeit statt.20 Portschy wurde da- der SDAP bei Weitem bei von Sylvester ein Sitz in nicht zum Besten. Zwar der burgenländischen Lan- sagte Till in der Bespre- desregierung angeboten, chung vom 9./10. März was dieser jedoch unter Be- Sylvester zu, dass die So- rufung darauf ablehnte, dass zialdemokratie mit „Ja“ die NSDAP die Existenz stimmen würde29 – ob mit des Ständestaates insgesamt oder ohne die erfolgte Zu- als illegal ablehnte.21 sicherung der Legalisie- rung der verbotenen Insti- Unterschiedliche tutionen der Arbeiterbewe- Positionen in der gung, lässt sich nicht ein- burgenländischen deutig klären. Die Aus- Sozialdemokratie führungen Bögls legen die Unabhängig von den Ak- Vermutung nahe, eine sol- tivitäten auf Regierungsebe- che Zusicherung sei nicht ne zeichnete sich die Situati- erfolgt, während Vinzenz on innerhalb der burgenlän- Böröcz in seinen Erinne- dischen Sozialdemokratie rungen festhält, man habe im ersten Jahresdrittel 1938 „sich darauf geeinigt, daß, durch ein heterogenes Bild wenn die Auseinanderset- aus. Hier standen sich unter- zung mit den Nationalso- schiedliche Positionen ge- zialisten gut ausgehen soll- genüber, wobei sich die Dis- te, die demokratischen kussionen um zwei Fragen Rechte, wie sie vor 1934 drehten: ob und wie der Ein- bestanden hatten, wieder- marsch Hitlers zu verhin- hergestellt werden müß- dern sei beziehungsweise ten“.30 Berczeller jedenfalls unter welchen Bedingungen schildert die Zusammen- die Sozialdemokratie für ein kunft auf der Grundlage ei- Ja zur geplanten Volksab- nes Briefes, den Till ihm stimmung mobilisieren sol- nach dem Krieg schrieb, le. Um diese Positionen zu wie folgt – auch ohne et- klären, wurde Ende Februar waige Zugeständnisse Syl- am Waldrand zwischen Ankündigung von Schuschniggs Volksabstimmung vesters an die Arbeiterbe- Pöttsching und Sauerbrunn wegung zu erwähnen: im Bezirk Mattersburg ein Funktionärs- sprechung der Überzeugung, dass „die „Sylvester richtete das Wort an Till. treffen abgehalten, an dem, wie Robak Mitarbeit und Mitverantwortung breite- ‚Gibt es noch Schutzbündler im Bur- sich erinnert, neben „Genossen aus rer Kreise der Sozialdemokraten nur genland?‘ – ‚Natürlich‘, sagte Till. – Hornstein, Parndorf, Wulkaprodersdorf, dann zu erreichen war, wenn die Arbeiter ‚Wir werden sie bewaffnen‘, sagte Syl- Neufeld“, Eisenbahnern „aus der Gegend auch zur Mitentscheidung herangezogen vester. – ‚Nicht nötig, Herr Landes- von Nickelsdorf und Zurndorf“ und süd- wurden“,24 da aufgrund des generellen hauptmann‘, antwortete Till. ‚Sie ha- burgenländischen Funktionären aus dem Misstrauens gegen Schuschnigg und die ben Waffen.“ – ‚Und wo sind sie?“ – Raum Tauchen (wo bis kurz nach dem nach 1934 „zu Renegaten“ gewordenen ‚Das werde ich Ihnen sagen, wenn wir Zweiten Weltkrieg eine der größten In- ehemaligen Funktionäre der Sozialde- wissen, daß sie gebraucht werden.‘ – dustrieansiedlungen des Burgenlandes mokratie diese „auf keinen Fall als die ‚Gemeinsam mit den Landesschützen?‘ bestand, die Tauchener Werke) noch legalen Vertreter der burgenländischen – ‚Mit jedem, der sie gegen die Nazis Hans Bögl, Lorenz Schöfbeck, Josef Arbeiterschaft“ zu akzeptieren seien.25 gebrauchen will‘, sagte Till.“31 Schwendenwein, Karl Schrödl und Ste- Die Zeit verging in Folge „mit Diskus- In jedem Fall operierte Till mit Posten, fan Billes aus Eisenstadt, Alexander sionen und Kontaktaufnahmen mit ver- die es in dieser Form nicht gab bzw. Stangl und Heinrich Knotzer aus Pött- schiedenen Funktionären“;26 mit der Zu- nicht zu aktivieren waren. sching, Josef Csech aus Neufeld und eine nahme der nationalsozialistischen Propa- größere Steinbrunner Gruppe um Robak ganda erlahmte der schwache Wider- Letzte Versuche zur selbst teilnahmen.22 Bereits hier gingen standswille, der ohnehin nur prekär aus- Mobilisierung der burgenländi- die Ansichten weit auseinander, war „ein geprägt war aufgrund des Eindrucks der schen Arbeiterbewegung Teil […] der Meinung, daß es einen Wi- Ereignisse von 1934 und dem Verlust Die Vaterländische Front stellte Geld derstand geben werde“ und wiederum der politischen Führer der Partei,27 bei- und Fahrzeuge zur Mobilisierung der andere davon „überzeugt, daß die Beset- nahe vollständig und flüchteten viele Mitglieder und Mitarbeiter von SDAP zung Österreichs nicht aufzuhalten Mitglieder und Funktionäre endgültig und KPÖ am Land zur Verfügung.32

3/08 Beiträge 11 Auf dieser Grundlage wurden etwa von vom Café Central in Eisenstadt aus,40 den Sozialdemokraten in aller Eile Pro- nur wenige Schritte vom Gasthaus „Gol- pagandamaterialien gefertigt, die jedoch dener Adler“ entfernt, wo Portschy sein nicht ohne Vorbehalte waren und auf- Hauptquartier aufgeschlagen hatte.41 grund ihrer offen thematisierten Ab- Bögl fuhr „mit dem Motorrad […] kreuz rechnung mit der Politik Dollfuß’ und und quer durch das Burgenland und Schuschniggs kaum zur breiten Gewin- suchte Parteifreunde auf“42 (wenngleich, nung der sozialdemokratischen Partei- wie oben erwähnt, in etwas anderer Ab- gänger Seite an Seite mit der stände- sicht…), Eugen Schneider, neben Vin- staatlichen Regierung taugten: zenz Böröcz, Otto Mödlagl und Ludwig „Der kommende Sonntag“, heißt es in Horvath der zentrale Funktionär der ille- einem Flugblatt der Revolutionären So- galen KPÖ im Burgenland, begab sich zialisten in Übereinstimmung mit den gemeinsam mit Schöfbeck und eben Beschlüssen der illegalen Parteikonfe- Horvath in die Arbeitergemeinden des renz vom 10. März 1938,33 „ist nicht Eisenstädter und Mattersburger Bezir- der Tag, an dem wir mit dem öster- kes, die Brüder Sagl suchten den Ober- reichischen Faschismus abrechnen und warter Bezirk auf.43 Etwas später stießen dem autoritären Regime alle Verbre- Böröcz und Mödlagl hinzu. chen, die seit dem Februar 1934 an der Vinzenz Böröcz, der in Breitenbrunn österreichischen Arbeiterschaft began- beheimatet war, wusste von der Unterre- gen worden sind, heimzahlen […]. Am dung bei Sylvester noch nichts und hatte Otto Mödlagl (1899–1974) kommenden Sonntag manifestieren wir erst am 10. März durch Propaganda- unseren glühenden Haß gegen den Hit- Fahrzeuge der Vaterländischen Front, Ansinnen eines Sozialdemokraten und ler-Faschismus.“34 die durch seinen Ort fuhren, von der ge- eines Kommunisten […] in dieser Im Gegensatz zur KPÖ, die in ihrem planten Volksabstimmung erfahren.44 Er außerordentlichen Situation nichts Un- Aufruf vom 10. März 1938 ihrer Ent- fuhr darum am 11. März in aller Frühe gebührliches darstellte“.51 schlossenheit Ausdruck verlieh, „mit al- mit dem Rad nach Eisenstadt, um sich Ähnlich erging es Ludwig Horvath, len Mitteln für ein freies, unabhängiges, „mit Gleichgesinnten zu treffen und die der in Siegendorf auf Anzeige von Funk- demokratisches Österreich zu kämpfen“35 neueste Lage mit ihnen zu bespre- tionären der Vaterländischen Front von und damit die theoretischen Abhandlun- chen“.45 Dabei lief er Till in die Arme, der örtlichen Gendarmerie als Kommu- gen Alfred Klahrs bzw. die sich daraus der ihn über die jüngsten Entwicklungen nist verhaftet wurde, die landesweit nicht ergebenden politischen Schlussfolgerun- in Kenntnis setzte, mit 500 Schilling aus- darüber informiert war, dass die Kom- gen der KPÖ in Bezug auf eine breite na- stattete und in den Bezirk Neusiedl munisten und Sozialisten mit dem Ein- tionale „Unabhängigkeitsfront“ antizi- schickte, wo er gemeinsam mit dem verständnis des Landeshauptmannes pierte,36 vermied das Flugblatt der Revo- früheren Funktionär der Landarbeiterge- agierten,52 und erst auf persönlichen An- lutionären Sozialisten einen affirmativen werkschaft und ehemaligen Landtagsab- ruf Sylvesters wieder entlassen wurde53 Bezug zu einem eigenständigen Öster- geordneten der SDAP Paul Rosenberger – um schließlich, nach dem erfolgreichen reich und verdeutlicht einmal mehr vor versuchte, ihre Kontakte in den Gemein- nationalsozialistischen Putsch in den allem die Verbitterung über die arbeiter- den und vor allem auf den Meierhöfen frühen Abendstunden des 11. März, feindliche Politik des Ständestaates, die des Bezirks für die geplante Volksbefra- abermals verhaftet zu werden und erst im Burgenland – und daher auch die gung zu aktivieren.46 In Neusiedl trafen gegen die Abgabe einer Loyalitätser- Nachfrage Sylvesters bei Till – im Führer sie auch auf Otto Mödlagl, der, aus Wien klärung sowie der Auflage, „das Geld, der Landesschützen, Franz Strobl, sowie kommend, dort denselben Auftrag erhal- das er für die Werbefahrt für die Abstim- durch die Person Sylvesters selbst will- ten hatte. Sie teilten sich auf, wobei mung am 13. März 1938 bei sich hatte, fährige Exekutoren gefunden hatte.37 Böröcz und Rosenberger in den Seewin- Hans Bögl, der nach der Besprechung kel fuhren, „wo es auf den Gutshöfen ak- vom 9./10. März gebeten wurde, die sozi- tive KPÖ-Gruppen gab“.47 aldemokratischen Mitglieder im Burgen- Die Aktionen verliefen mitunter kon- land abzufahren und für eine positive fus und geben ein Spiegelbild der Ge- Stimmabgabe zu gewinnen, war noch zu samtsituation dieser Tage ab.48 Der In- diesem Zeitpunkt unverändert der Mei- formationsfluss von oben nach unten nung, dass „wir Sozialdemokraten nur fand spärlich bis gar nicht statt, unter- dann bei der Volksabstimmung mit ‚Ja‘ schiedliche Direktiven kursierten. stimmen sollten, wenn durch die Regie- „Dem Landeshauptmann“, stellt Miko- rung die Wiederherstellung der Koaliti- vits fest, „war die politische Führer- onsfreiheit für die Sozialdemokratische schaft bereits entglitten.“49 Böröcz wur- Partei und ihre Organisationen zugesi- de im Neusiedler Bezirk von einem lo- chert würde“38 und vertrat diese Auffas- kalen Kommandanten der Ostmärki- sung auch vehement während seiner schen Sturmscharen50 daran gehindert, Rundreise durchs Land,39 die eigentlich zu Straßenarbeiter zu sprechen; erst den gegenteiligen Zweck erfüllen sollte. nach längerem Hin und Her und nach Till jedenfalls koordinierte die Aktio- Rückfrage bei seinem Vorgesetzen wur- nen und den Einsatz der Funktionäre de „dem Mann endlich klar, daß das Ludwig Horvath (1913–2003)

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spätabends in Illmitz nur knapp dem Ge- terschiedliche Deutungen. Göhring und Macha- lynchtwerden durch SA-Männer, die zu- cek vertreten die Auffassung, die Position vor an der Nazi-Kundgebung in Eisen- Schuschniggs sei bis zuletzt von einer tiefen stadt teilgenommen hatten.61 Bögl Ablehnung der Arbeiterbewegung bei gleichzei- sprach noch am 12. März auf einer Ver- tiger Präferierung eines Ausgleichs mit dem Na- sammlung in Siegendorf, wo man offen- tionalsozialismus geprägt gewesen (vgl. kundig noch nichts vom vorabendlichen Göhring, Walter; Machacek, Robert: Start in den Putsch Portschys im nachbarlichen Ei- Abgrund. Österreichs Weg zum Jahre 1938. senstadt wusste, und erfuhr erst dort Wien 1988, S. 11). durch zwei Gendarmeriebeamte – die je- Holtmann steht auf der Position, Schuschnigg doch keine Anstalten machten, ihn zu sei überhaupt bis fast zuletzt der Meinung ge- verhaften – von den Ereignissen der wesen, eine Gefährdung für das Land bestehe letzten Stunden: „Resignation machte nicht. Entsprechend habe er die Überzeugung sich im Versammlungslokal breit. In vertreten, „daß ein antinationalsozialistisches Gruppen standen die Leute beisammen Bündnis mit der sozialistischen Arbeiterklasse und diskutierten gedämpft über die Zu- weder möglich noch nötig sei“ (Holtmann, Ever- kunft.“62 Diese Schilderung charakteri- hard: Zwischen Unterdrückung und Befriedung. siert treffend das Stimmungsbild inner- Sozialistische Arbeiterbewegung und autoritä- Vinzenz Böröcz (1915–1995) halb der burgenländischen Sozialdemo- res Regime in Österreich 1933–1938. Wien in Raten abzahlen“,54 wieder auf freien kratie, von der auch die SD-Außenstelle 1978, S. 238). Fuß gesetzt wurde. Horvath, der 1934 Eisenstadt an den SD-Unterabschnitt Nach Junker soll Schuschnigg gar durch einen der illegalen Kommunistischen Partei Wien meldete, sie habe sich „bei der Abgesandten Mussolinis überzeugt worden beitrat und in der Zeit des Ständestaates Machtübernahme schweigend und sein, er könne noch 1938 mit Unterstützung Ita- im LIT-Apparat bzw. als Verbindungs- zurückhaltend“ verhalten“.63 liens rechnen (Junker, Helmut: Das publizisti- mann für die KPÖ tätig war,55 wurde Nach dem erfolgreichen nationalsozia- sche Ringen um die Arbeiterschaft um die Ar- nach seiner Verhaftung durch die Gesta- listische Putsch – Portschy hatte sich in beiterschaft im österreichischen Ständestaat po dieses Treffen als besonders „bela- den frühen Abendstunden des 11. März (1933–1938). Eine Geschichte zur Geschichte stend“ vorgehalten,56 was auch die Be- zum Landeshauptmann ausgerufen, die und Technik der politischen Propaganda. Phil. hauptung Berczellers widerlegt, dass Landesregierung für verhaftet erklärt und Diss. Wien 1964, S. 259). „die Nazis von der Verhandlung offen- damit die erste nationalsozialistische 5/ Vgl. Schlag, Gerald: Der 12. März 1938 im bar nichts wußten“.57 Diese waren viel- Machtergreifung in einem österreichi- Burgenland und seine Vorgeschichte. In: Bur- mehr über die Ergebnisse der Verhand- schen Bundesland besiegelt64 – schickte genland 1938. Vorträge des Symposiums „Die lungen vom 9./10. März recht genau in- der wie die gesamte Regierung Portschy Auflösung des Burgenlandes vor 50 Jahren“. struiert. Im Mai 1938 berichtete die SD- noch am 11. März 1938 vereidigte „Lan- Herausgegeben vom Burgenländischen Landes- Außenstelle Eisenstadt zudem an den desstatthalter“ Josef Palham uniformierte archiv. (= Burgenländische Forschungen, Heft SD-UA Wien, dass der ehemalige sozial- und bewaffnete SA-Gruppen aus, um im 73). Eisenstadt 1989, S. 96–111, hier S. 101. demokratische Landesrat Ignaz Till noch ganzen Land „die notwendigen Maßnah- 6/ Vgl. ebd., S. 103. unmittelbar vor der NS-Machtübernah- men durchzuführen“.65 Dazu gehörte vor 7/ Otto Mödlagl erwähnt, es habe sich um eine me versucht hätte, die Sozialdemokraten allem die Besetzung der Gendarmeriepo- Delegation der Sozialdemokraten gehandelt; und Kommunisten vor allem in den sten durch die SA sowie die Übernahme Ludwig Horvath gibt an, es sei eine Abordnung nördlichen Bezirken des Burgenlandes der Polizei durch die SS. Nach bereits der Revolutionären Sozialisten gewesen. Eine zu organisieren und für eine Abstim- vorbereiteten Listen des SD begannen die exakte Trennung ist hier im Nachhinein nicht mung pro Schuschnigg zu gewinnen.58 Verfolgungen und Verhaftungen der poli- möglich. In jedem Fall kam es zu keinem ge- tischen Gegner der Nationalsozialisten.66 schlossenen Übertritt der sozialdemokratischen Der 11. März Landesorganisation zu den Revolutionären So- Die ganze Aktion geriet am 11. März Anmerkungen: zialisten nach 1934, wohl aber war es so, wie in die Aufmärsche der Nazis, die sich be- 1/ Vgl. West, Franz: Die illegale Arbeiterbewe- Richard Berczeller angibt, dass sich ganze Be- reits seit dem Morgengrauen, gestützt gung. In: Widerstand und Verfolgung im Bur- zirksgruppen der SDAP nunmehr als Gruppen auf die Weisungen der Landesleitung der genland. 1934–1945. Eine Dokumentation. Her- der Revolutionären Sozialisten verstanden (vgl. NSDAP, zur Machtergreifung rüsteten.59 ausgegeben vom Dokumentationsarchiv des Berczeller, Richard; Leser, Norbert: …mit Öster- Der burgenländischen Gauleitung jeden- österreichischen Widerstandes. Wien 1983, reich verbunden. Burgenlandschicksal falls dürfte schon länger vor dem S. 19–21, hier S. 19. 1918–1945. Wien–München 1975, S. 272). 11. März die Tragweite dieses Datums 2/ Rede von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg 8/ Otto Mödlagl erwähnt als Teilnehmer der bekannt gewesen sein, wurden doch ei- im Bundestag, 24.2.1938 [Auszug]. In: „An- Besprechung nur Till und einen nicht weiter nerseits verschiedene Gauleitungsmit- schluß“ 1938. Eine Dokumentation. Herausge- definierten „Sagl“. Vgl. Mödlagl, Otto: Burgen- glieder bereits zuvor in die einzelnen Be- geben vom Dokumentationsarchiv des öster- land im Ständestaat. In: 50 Jahre Burgenland. zirke delegiert, andererseits Dr. Groß, reichischen Widerstandes. Wien 1988, Vorträge im Rahmen der Landeskundlichen der Gaugeschäftsführer, nach Wien beor- S. 193–195. Forschungsstelle am Landesarchiv. Herausge- dert, um als Verbindungsmann zur öster- 3/ Vgl. West: Arbeiterbewegung, S. 21. geben vom Burgenländischen Landesarchiv. reichischen Landesleitung der NSDAP 4/ Über die Gründe für diese Vorbehalte sowie (= Burgenländische Forschungen, Sonderband direkt vor Ort über die kommenden Ent- die Nicht-Annahme Schuschniggs auch aller vor III). Eisenstadt 1971, S. 125–133, hier S. 133. scheidungen informiert zu werden.60 Berchtesgaden getätigten Initiativen (siehe hier- Da Mödlagl nicht selbst Teilnehmer an der Sit- Böröcz und Rosenberger entgingen zu etwa: „Anschluß“ 1938, S. 188ff.) gibt es un- zung war, kann hier durchaus der Darstellung

3/08 Beiträge 13 von Schlag Glauben geschenkt werden, der 23/ Ebd. 49/ Mikovits: Volksabstimmung, S. 185. die anderen Namen ins Spiel bringt (vgl. 24/ Ebd., S. 100. 50/ Die Ostmärkischen Sturmscharen wurden Schlag: 12. März, S. 103). Jedoch schmälert 25/ Ebd. am 7.12.1930 in Innsbruck gegründet und re- sich der Aussagewert von Schlags Beitrag be- 26/ Ebd. krutierten sich als in Opposition zur Heimwehr trächtlich, da er gänzlich auf einen Anmer- 27/ Vgl. Mikovits, Martina: Die Volksabstim- stehende Wehrformation zuerst aus der Katholi- kungsapparat [sic] verzichtet. mung vom 10. April 1938 im Burgenland. In: schen Jugend, später aus Gesellen- und Leh- 9/ Vgl. ebd. Burgenländische Heimatblätter, 65. Jg. (2003), rerorganisationen. Vgl. http://aeiou.iicm.tugraz. 10/ Zentrales Parteiarchiv der KPÖ, Ludwig Heft 4, S. 181–216, hier S. 185. at/aeiou.encyclop.o/o849650.htm [4.9.2008]. Horvath: Lebenslauf, 10.7.1951. 28/ Ebd. 51/ Böröcz: Kampf, S. 69f. 11/ Vgl. Robak, Fritz: In den burgenländischen 29/ Vgl. Schlag: 12. März, S. 103. 52/ Vgl. Deltl, Andrea Christine: Die NS-Verfol- Dörfern. In: Danimann, Franz (Hg.): Finis Aus- 30/ Böröcz, Vinzenz: Kampf um Boden und gungen im Burgenland 1938. Diplomarbeit Uni- triae. Österreich, März 1938. Wien 1978, Freiheit. Wo das Land den Esterházys gehör- versität Wien 1998, S. 14. Deltl bezieht sich hier S. 99–100, hier S. 99. Auszugsweise abge- te. (= Biografische Texte zur Geschichte der auf ein von ihr am 7.9.1997 geführtes Gespräch druckt auch in: Widerstand und Verfolgung im österreichischen Arbeiterbewegung, Bd. 6). mit Ludwig Horvath. Burgenland, S. 48–49. Wien 1995, S. 68. 53/ Vgl. Schlag: 12. März, S. 104. 12/ Schlag, Gerald: „Um Freiheit und Brot. Die 31/ Berczeller: Mit Österreich verbunden, 54/ Deltl: NS-Verfolgungen, S. 70. Deltl be- Arbeiterbewegung von ihren Anfängen im S. 277. Abgedruckt auch in Widerstand und zieht sich auf ein mit Horvath am 7.9.1997 ge- westungarischen Raum bis zu ihrer Verban- Verfolgung im Burgenland, S. 48 sowie in Dani- führtes Gespräch. nung in die Illegalität“. In: Aufbruch an der mann: Finis Austriae, S. 96. 55/ Ebd. Grenze. Die Arbeiterbewegung von ihren An- 32/ Vgl. Mödlagl: Burgenland im Ständestaat, 56/ Ebd. fängen im westungarischen Raum bis zum S. 133. 57/ Berczeller: Mit Österreich verbunden, 100-Jahre-Jubiläum der Sozialistischen Partei 33/ Beschluss der illegalen Parteikonferenz S. 127. Österreichs. Herausgegeben von der SPÖ- der RSÖ, 10.3.1938 [Auszug]. In: „Anschluß“ 58/ Vgl. Mikovits, Martina: Plebiszitäre Politik im Landesorganisation Burgenland. Eisenstadt 1938, S. 229. autoritären und im totalitären Staat. Studien zur 1989, S. 9–94, hier S. 83. 34/ Zit. nach Schlag: 12. März, S. 103f. österreichischen Volksbefragung und zur deut- 13/ Strobl, Franz: Im Landhaus von Eisenstadt. 35/ Aufruf der KPÖ, 10.3.1938 [Auszug]. In: schen Volksabstimmung März/April 1938. In: Danimann, Franz (Hg.): Finis Austriae. „Anschluß“ 1938, S. 230. Phil. Diss. Wien 2002, S. 80. Österreich, März 1938. Wien 1978, S. 101–103, 36/ Mugrauer, Manfred: Antifaschistische 59/ Vgl. Mindler: Portschy, S. 60f. hier S. 101. Volksfront und „demokratische Republik“. Die 60/ Vgl. Fritsch: NSDAP, S. 276. 14/ Vgl. ebd., S. 101. Exilkonzeptionen der Kommunistischen Partei 61/ Vgl. Böröcz: Kampf, S. 71 sowie Erlebnisbe- 15/ Stenographische Protokolle des Burgenlän- Österreichs vor dem Hintergrund der sowjeti- richt von Vinzenz Böröcz, „Wie ich im März dischen Landtags. Bd. IV, S. 405ff. schen Österreichpolitik, in: Hilger, Andreas; 1938 die Besetzung Österreichs erlebte“, 1987 16/ Ebd., S. 411. Schmeitzner, Mike; Vollnhals, Clemens (Hg.): [Auszug]. In: „Anschluß“ 1938, S. 282–283. 17/ Berczeller, Richard; Leser, Norbert: …mit Sowjetisierung oder Neutralität? Optionen so- 62/ Bögl: Burgenland, S. 93. Österreich verbunden. Burgenlandschicksal wjetischer Besatzungspolitik in Deutschland 63/ Zit. nach Wilhelm: Plebiszitäre Politik, S. 80. 1918-1945. Wien–München 1975, S. 106. und Österreich 1945–1955. (= Schriften des 64/ Vgl. Mindler: Portschy, S. 60ff.; Schlag: 18/ Vgl. Fritsch, Otto: Die NSDAP im Burgen- Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusfor- 12. März, S. 106ff. land 1933–1938. Phil. Diss. Wien 1993, S. 278. schung, Bd. 32). Göttingen 2006, S. 41–76, 65/ Zit. nach Wilhelm: Plebiszitäre Politik, S. 79. Fritsch beruft sich hier auf eine persönliche Mit- hier S. 52f. 66/ Siehe hierzu die Aktenbestände aus dem teilung Portschys vom 22. Dezember 1988. 37/ Vgl. Unger: Christlichsoziale Partei, S. 249. Burgenländischen Landesarchiv, Landesregie- 19/ Vgl. Unger, Günter Michael: Die Christlich- 38/ Bögl, Hans: Burgenland. Ein Bericht zur rungsarchiv, Polizei I–A, 131/1938 sowie die soziale Partei im Burgenland. Phil. Diss. Wien Zeitgeschichte. Wien 1974, S. 92. DÖW-Akten 1730, 1740, 1746, 12541, 12540. 1964, S. 249ff. 39/ Vgl. ebd. 20/ Vgl. Mindler, Ursula: Tobias Portschy. Bio- 40/ Schlag: 12. März, S. 104. graphie eines Nationalsozialisten. Die Jahre bis 41/ Vgl. ebd. 1945. (= Burgenländische Forschung, Bd. 92. 42/ Bögl: Burgenland, S. 92. Herausgegeben vom Burgenländischen Lan- 43/ Vgl. Schlag: 12. März, S. 104. desarchiv). Eisenstadt 2006, S. 58f. sowie 44/ Vgl. Böröcz: Kampf, S. 68. Ernst, August: Zur Auflösung des Burgenlandes 45/ Ebd. im Jahre 1938. In: Festschrift für Heinrich Kun- 46/ Vgl. ebd., S. 69. nert. Herausgegeben vom Burgenländischen 47/ Ebd., S. 70. Landesarchiv. (= Burgenländische Forschun- 48/ Böröcz (ebd., S. 69) beschreibt dies so: gen, Sonderheft II). Eisenstadt 1969, S. 40–53, „Der Tag versprach nichts Gutes, Gerüchte hier S. 40. Auf Ernst bezieht sich implizit auch schwirrten durch die Luft. Auf unserer Fahrt Schlag: 12. März, S. 101, freilich wiederum oh- durch die Dörfer fanden wir die Menschen in ne eine Quellenangabe zu verwenden, sowie Aufregung. Die Nazis, die aus der Illegalität explizit Schlag, Gerald: Burgenland. In: Wein- hervortraten, […] rüsteten sich zum Marsch zierl, Erika; Skalnik, Kurt (Hg.): Österreich 1918 nach Eisenstadt, wo sie eine Kundgebung vor bis 1938. Geschichte der Ersten Republik. dem Landhaus planten, um die Einsetzung ei- 2. Bd. Graz–Wien–Köln 1983, S. 747–800, hier ner nationalsozialistischen Landesregierung S. 792 und S. 799. zu erreichen. Zwischen Bruck und Neusiedl 21/ Vgl. Mindler: Portschy, S. 59. trafen wir eine Kolonne des Bundesheeres, 22/ Robak: In den Dörfern, S. 99. deren Ziel uns unbekannt blieb.“

3/08 14 Beiträge Über die zweimalige Emigration von Samuel Mitja Rapoport aus Wien (1937 und 1952) Einige Archivnotizen HANS MIKOSCH/GERHARD OBERKOFLER

ans Goldenberg (*1946), Leiter mit seinen Eltern nach Wien, wo er die dern muß Teil einer revolutionären, des Instituts für Medizinische Volksschule und das Bundesrealgymna- selbständigen, spießerfeindlichen inne- HChemie der Wiener Universität, sium Wien V von 1922/23 an besuchte. ren Haltung sein. Nach meiner Meinung bedauert in seinem Nachruf auf Samuel Das tönt etwas idyllisch, war es aber ist gerade diese Dialektik von äußerer Mitja Rapoport (1912–2004)1, dass es nicht. Die Rapoport mussten wegen der Disziplin und geistiger Selbständigkeit nach 1945 nicht gelungen sei, diesen be- prekären finanziellen Situation häufig ih- das häufigste und aktuellste Problem der deutenden Pionier der medizinisch-bio- re Wohnung wechseln, der kleine Rapo- Entwicklung der Studenten.“7 chemischen Forschung in Wien zu halten: port sprach nur Russisch und etwas He- Die 1906 gegründete Biochemische „Die Medizinische Fakultät der Univer- bräisch. Die Schulleistungen im Gymna- Zeitschrift war eines der führenden Jour- sität Wien begab sich damit der Chance, sium waren insgesamt ziemlich flau, was nale des Faches. Friedrich, der die mikro- unmittelbar an die internationale Entwick- über die Begabung von Kindern zunächst chemische Abteilung am Wiener Institut lung der modernen Biochemie anzusch- nicht viel aussagt. Das Reifezeugnis da- für medizinische Chemie leitete, hatte ließen und einem der wenigen heimge- tiert vom 24. Juni 1930 und weist als vom Chemie in Graz studiert, dort die Metho- kehrten Emigranten eine entsprechende Chemieprofessor Dr. Georg Sachs mit den von Friedrich Emich (1860–1940) Arbeitsmöglichkeit zu bieten“. Die Beru- „sehr gut“ benotete Hausarbeit das Fach und Nobelpreisträger Fritz Pregl (1869– fung von Rapoport sei, so Goldenberg, Chemie aus mit dem behandelten Thema: 1930) kennengelernt und war nach einem „auf Grund einer Intervention durch die Die Superoxyde in der anorganischen zweijährigen Aufenthalt am Kaiser Wil- Regierung der USA verwehrt“ worden. Chemie. Das Zeugnis ist mit zwei „sehr helm Institut für Kohlenforschung in Erst Jahre später habe Wien durch Hans gut“-Noten in Chemie und mosaischer Mühlheim an der Ruhr seit 1923 am Wie- Tuppy (*1924) den Anschluss an die mo- Religionslehre, diese unterrichtete Dr. ner Institut für medizinische Chemie derne Biochemie gefunden. Tuppy hatte Oskar Karpelis, eher durchschnittlich.4 tätig. Das Institut für medizinische Che- 1948 in Wien promoviert und konnte Mit dem Wintersemester 1930/31 begann mie führte Arbeiten auf dem Gebiet der dann mit einem Stipendium des British Rapoport an der Wiener philosophischen physiologischen und pathologischen Councils zu dem nur sechs Jahre älteren Fakultät das Chemiestudium, wechselte Chemie aus, war für den Unterricht der Fred Sanger (*1918), Chemie-Nobel- aber nach zwei Semestern an die medizi- Mediziner im I. und II. Semester verant- preisträger der Jahre 1958 und 1980, nach nische Fakultät, wo er an dem von Fürth wortlich sowie für vorgeschrittene Medi- Cambridge gehen, um dort die neuesten geleiteten Institut für medizinische Che- ziner und „wissenschaftliche Arbeiter“, Entwicklungen bei der Analyse von Pept- mie Arbeitsmöglichkeiten für das an der außerdem auch für den Unterricht der iden, mit denen Tuppy sich auf Anregung Universität sonst nicht vertretene, aber Pharmazeuten und Physikatskandidaten. von Friedrich Wessely (1897–1967) be- ihn besonders anziehende Fach Bioche- Es hatte in der Wiener Währingerstraße schäftigt hatte, kennen zu lernen. Tuppy mie sah. Er promovierte am 26. Juni 1936 480 Arbeitsplätze für Anfängermedizi- nahm die in Cambridge erlernten Metho- zum Dr. med. Schon in seinem zweiten ner, 34 für Vorgeschrittene und wissen- den 1951 mit nach Wien zurück und eta- Studienjahr wurde ein selbständiger Bei- schaftliche Arbeiter sowie 132 für Phar- blierte, was im Österreich der Nach- trag von Rapoport durch seine Coautor- mazeuten und Physikatskandidaten.8 kriegszeit mit seinen ziemlich unfairen schaft bei einem Artikel für die Bioche- Obschon Rapoport alle Eigenschaften, Karrierestrukturen ein seltener Glücksfall mische Zeitschrift über die Mikroacetyl- die für die Entwicklung zu einem erfolg- war, die Biochemie auf Weltniveau.2 Ein bestimmung von Alfred Friedrich (1896– reichen Naturwissenschaftler notwendig besonderer Glücksfall war es auch für Ra- 1942), diesem wurde 1938 die Lehrbe- sind, wie Begeisterungsfähigkeit, Lei- poport, auf Vermittlung des Vorstandes fugnis stillgelegt,5 anerkannt (1932).6 Als stungswille und Mut, Probleme aufzugrei- der Medizinischen Chemie in Wien (seit 60-Jähriger hat Rapoport einmal einige fen und mit Konzentration zu verfolgen, 1929) Otto von Fürth (1867–1938)3, der für Studenten zu geltende Normen in der in reichem Maße besaß, nahm er sich als Jude von den Nazis aus der Universität Zeitschrift der FDJ Forum so beschrie- Zeit, sich mit seinem gleichaltrigen vertrieben wurde und bald darnach ver- ben, vielleicht in Erinnerung an seine ei- Freund Jura Soyfer (1912–1939) im poli- starb, 1937 ein Stipendium an das Child- gene Studienzeit: „Sicher darf man diese tischen Kampf für eine sozialistische Zu- ren's Hospital in Cincinatti (Ohio) zu er- Frage nicht vereinfachen, aber im Prin- kunft zu betätigen, zuerst in den Reihen halten. Das ersparte Rapoport nach dem zip kann nur die Moral der Arbeiterklas- der „Akademischen Legion“ der Sozial- Einmarsch der Hitlerwehrmacht in Öster- se, verkörpert in ihren besten Vertretern, demokratie und nach deren im Februar reich die Flucht aus Wien, wenn diese Maßstab für ein Mitglied der sozialisti- 1934 offenkundig gewordenen und von ihm denn überhaupt gelungen wäre. schen Intelligenz sein, mag es selbst aus Soyfer in seinem Romanfragment „So der Arbeiterklasse kommen oder nicht. starb eine Partei“9 beschriebenen Versa- Kindheit und Jugend in Wien Dazu gehört die unbedingte Anerkennung gen in den Reihen der Kommunisten. Es Samuel Rapoport wurde am 17. No- einer äußeren Disziplin, sei es am Ar- kam zu mehreren polizeilichen Anhaltun- vember 1912 in Woczysk (südwestlich beitsplatz oder in der gesellschaftlichen gen und Abstrafungen.10 Im Sommer von Kiev) im zaristischen Russland gebo- Organisation. Diese Einstellung hat 1934 begleitete Rapoport seine Mutter bei ren und kam im Alter von sieben Jahren nichts mit Kadavergehorsam zu tun, son- einem Verwandtenbesuch in den USA,

3/08 Beiträge 15 um dort Möglichkeiten für ein Stipendi- student Engelbert Broda (1910–1983) sich, organisiert in der illegalen kommu- um abzuklären. Das ist nicht ungewöhn- nach Wien zurückgekehrt. Er war im nistische Partei Österreichs, für ein unab- lich, weil osteuropäische Juden immer ir- Frühjahr 1933 an seinem Arbeitsplatz im hängiges, demokratisches Österreich ein- gendeinen Verwandten in den USA hat- Berliner Institut für physikalische Chemie gesetzt haben, gehörte auch der Musik- ten. Joseph Roth (1894–1939) schreibt in verhaftet und „wegen kommunistischer wissenschaftler Georg Knepler (1906– seinem Essay „Ein Jude geht nach Ameri- Betätigung“ am 11. Juli 1933 vom Uni- 2003), der, im Jänner 1934 wegen des Be- ka“, dass es schwer sei, „eine jüdische Fa- versitätsstudium in Deutschland ausge- sitzes von mehreren Exemplaren der Zei- milie im Osten zu finden, die nicht ir- schlossen worden.16 Broda konnte seine tung Die Rote Fahne verhaftet, schon gendeinen Vetter, irgendeinen nach den Februarereignissen Onkel in Amerika besitzen wür- nach London emigrieren mus- de“.11 Die ersten Arbeiten von ste.17 Es ist bemerkenswert, dass Rapoport beziehen sich auf das in den Erinnerungen des Chemi- Gebiet der biochemischen Analy- kers Hans Friedmann (1914– se. Im Juni 1934 war er vom In- 2006), der viel über den Perso- stitutsvorstand Fürth als Coautor nenkreis des illegalen Roten Stu- bei einer in der Biochemischen dentenverbandes (RSV) Zeitschrift publizierten Arbeit schreibt, Rapoport nicht vor- über den Einfluss des Dinitrophe- kommt und auch Soyfer nur nolfiebers auf den Gewebsei- randständig erwähnt wird. Dafür weißzerfall angeführt worden, werden von Friedmann vielleicht um ihm den Weg in die Gschichterln vom Arbeiter und USA zu erleichtern, weil darüber späteren herausragenden Juri- am pharmakologischen Institut sten der österreichischen Arbei- der Stanford University in San terklasse Eduard Rabofsky Francisco geforscht wurde.12 Ra- (1911–1994) erzählt.18 poport stand in einer Publikati- Die Schriften von Karl Marx onsreihe mit den besten Bioche- und wurden mikern dieser Zeit, im selben von Rapoport und Soyfer ein- Jahrgang 1934 veröffentlichte gehend studiert, nicht im Sinne auch der berühmte sowjetische eines studentischen Bildungser- Biochemiker Alexander Iwano- lebnisses, sondern als Methode witsch Oparin (1894–1980).13 zur Analyse der Wirklichkeit In Kontakt mit Rapoport und und Anleitung zum Handeln. Soyfer war Marika Szécsi (1914– Deshalb wird das Kapital weni- 1984), deren Mutter aus der be- ger Einfluss genommen haben kannten Familie Polanyi stamm- Samuel „Mitja“ Rapoport als Referent am Symposium der als vielmehr das Kommunisti- te. Michael Polanyi (1891–1976), Alfred Klahr Gesellschaft zu Ehren von Walter Hollitscher sche Manifest oder Der Acht- Abteilungsleiter am Kaiser-Wil- am 20. Oktober 2001 in Wien. zehnte Brumaire des Louis Bo- helm-Institut für Physikalische naparte. Der Anti-Dühring, wo Chemie und Elektrochemie in Berlin- Dissertation in Wien bei Hermann Mark die Prinzipien der marxistischen Weltan- Dahlem, hat sich, um seiner Kündigung (1895–1992) beenden. Weil er auch vom schauung von Engels, der sich eingehend zuvorzukommen, nach der Machtüber- klerikalen Rechtsregime in Österreich für alle Fortschritte in den Naturwissen- nahme der Nazis in Deutschland zur Emi- verfolgt und verhaftet wurde, emigrierte schaften interessierte, dargestellt wer- gration an die Universität Manchester ent- Broda über die Tschechoslowakei in die den, ist Rapoport früh begegnet. Er lern- schlossen.14 Das wurde wegen der persön- Sowjetunion (1934/35) und kehrte Ende te, wie sich aus der Behandlung konkre- lichen Zusammenhänge im Kreis der Fa- 1936 nach einer vom Regime Kurt ter Fragestellungen die Methode der ma- milie Szécsi in Wien und so auch von Ra- Schuschnigg (1897–1977) eigentlich für terialistischen Dialektik selbst herausbil- poport sicher ausführlich diskutiert. In die Nazis bestimmten Amnestie nach Wi- det. Die enthusiastische Begeisterung für Manchester lehrte der vielseitige Polanyi en zurück. Wir können annehmen, dass die von der Presse und den Kulturinstitu- nicht Chemie, sondern Philosophie und sich Broda und Rapoport schon damals tionen seiner Heimatstadt wenig ge- Soziologie. Er nahm antikommunistische als junge Kommunisten zur Kenntnis ge- schätzten Vorlesungen von Karl Kraus Positionen ein und profilierte sich gesell- nommen haben. Broda musste nach dem (1874–1936) erreichte bei den jungen schafts- und wissenschaftspolitisch als Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im Marxisten Rapoport und Soyfer viel- Gegner des marxistisch orientierten Phy- Frühjahr 1938 Wien fluchtartig verlassen. leicht nicht jenes Ausmaß wie beim sikers, Kristallographen und späteren In England war Broda vom Dezember linksliberalen Chemiker Erwin Chargaff Friedenskämpfers John Desmond Bernal 1941 bis August 1946 im Cavendish-La- (1905–2002), der dazu anmerkt, dass in (1901–1971). Umso verwunderlicher ist, boratory und an der Universität Liverpool dieser Begeisterung „verzweifelter Pro- dass ihm 1952 die Annahme einer Beru- unter der Leitung von Nobelpreisträger test“ steckte.19 Aber natürlich blieben fung nach Chicago nicht möglich wurde, James Chadwick (1891–1974) auf ver- diese Vorlesungen beiden unvergessen. weil ihm die US-Behörden kein Visum schiedenen Gebieten der radioaktiven 1935 ist Rapoport alleiniger Autor ei- erteilt hatten, wie er seiner früheren Mit- Chemie, der Elektrochemie und der Kern- nes Beitrags in der Biochemischen Zeit- arbeiterin Erika Cremer (1900–1996) mit- physik als Forscher tätig. Zu dem Kreis schrift, in der er berichtet, dass ihm eine teilte.15 Aus Berlin ist 1933 der Chemie- junger fortschrittlicher Intellektueller, die neue kolorimetrische Bestimmung der

3/08 16 Beiträge Glycerinsäure gelungen sei, beruhend Rapoport beendete in Cincinnati ein neuen Ausgabe dieses Briefes geschrie- auf deren blauen Farbreaktion mit Zusatzstudium der Chemie mit dem Dok- ben.30 Den revolutionären amerikani- Naphthoresorcin und konzentrierter torat der Philosophie (Chemie) am 9. Juni schen Befreiungskrieg (1775–1783) hat Schwefelsäure auszuarbeiten.20 Ende 1939, wurde dann Associate am Kinder- Lenin als „einen der ersten und größten 1936 (8. Dezember) sandte Rapoport spital in Cincinnati, 1942 provisorischer wirklichen Freiheitskriege in der Ge- vier Studien und eine vorläufige Mittei- Leiter einer eigenen physiologisch-che- schichte der Menschheit, einen der weni- lung derselben Zeitschrift ein.21 So wie mischen Abteilung und 1946 definitiver gen wirklich revolutionären Kriege in der bei dem von ihm als bedeutendsten Na- Chef dieser Abteilung. Im selben Jahr Geschichte der Menschheit“ bezeich- turwissenschaftler auf dem Gebiet der übernahm er auch die Leitung des chemi- net.31 Von Präsident Harry S. Truman experimentellen Biologie des 20. Jahr- schen Laboratoriums des Kinderspitals (1884–1972) wurde Rapoport für seine hunderts eingeschätzten Otto Warburg dieser Universität. Schon 1938 war die wissenschaftlichen Verdienste um die (1883–1970)22 war die exakte Messung erste Veröffentlichung von Rapoport in Rettung von US-Soldatenleben das „Cer- der Schlüssel für alle seine Arbeiten. Es den USA im angesehenen Journal of Bio- tificate of Merit“ verliehen, was die höch- muss Rapoport aufgefallen sein, dass bei logical Chemistry erfolgt, gemeinsam mit ste an Zivilisten verliehene Auszeich- der Biochemischen Zeitschrift ein Wech- George Martin Guest (1898–1966). Wie nung der USA ist. In Cincinnati hatte Ra- sel ab 1934 (Band 280) in der Herausge- die ausgewiesene Referenzliteratur zeigt, poport die gleichaltrige, aus dem Ham- berschaft eingetreten war, indem der knüpfte Rapoport unmittelbar an seine burger Bürgertum stammende Ärztin In- Biochemiker Carl Neuberg (1877–1956), Wiener Forschungen an. Auf dem Kon- geborg Syllm, die 1938 aus der zu den Pionieren der dynamischen gress der amerikanischen Gesellschaft für fliehen hatte müssen, kennen gelernt, bei- Biochemie zählt, im Auftrag der Nazis Biochemie in Baltimore am 2. April 1938 de wurden Lebenspartner und politische von Wolfgang Grassmann (1898–1978) hat er diese vorgestellt.26 Im selben Band Kampfgefährten.32 Seine klinischen Ar- verdrängt worden war.23 Neuberg wurde dieses US-Journals sind die beiden aus beiten führten 1949 zur Aufklärung des 1934 zur Niederlegung aller Ämter ge- Prag stammenden altösterreichischen Wesens der japanischen Kinderkrankheit zwungen und konnte 1939 auf Umwegen Medizin-Nobelpreisträger des Jahres „Ekiri“ als eine durch Kombination von nach den USA emigrieren. 1947 Gerty Therese Radnitz-Cori infektiösen und chemischen Faktoren (1897–1957) und Carl Ferdinand Cori verursachte bakterielle Ruhr, die Emigration und Remigration (1896–1984) sowie Chargaff vertreten. hauptsächlich Kinder von zwei bis sechs 1937 konnte Rapoport als „Scholar“ in Berühmt ist der mit seiner technischen Jahren befiel und eine Mortalität von 30 Cincinnati an der „Children's Hospital Assistentin Janet Luebering entdeckte bis 50% mit sich brachte. Die Familie Research Foundation“, einem Institut, das „Rapoport-Luebering-Zyklus“ (1951).27 Rapoport war in den USA etabliert, hoch zur Universität von Cincinnati gehörte Es waren mehrere Arbeiten über die phy- angesehen und fühlte sich wohl. Da be- und der Lehrkanzel für Kinderheilkunde sikalischen, osmotischen und chemischen gann mit dem Kalten Krieg unter dem angegliedert war, gleich an der Spitzen- Veränderungen der Erythrozyten Kommando des Senators Joseph McCar- forschung teilhaben. Zuerst wollte er nur während der Konservierung von Voll- thy (1908–1957) eine hysterische und ex- ein Jahr bleiben, wegen der Okkupation blut, die im Ergebnis zur Ausarbeitung treme Kampagne gegen tatsächliche und Österreichs durch Hitlerdeutschland wur- einer Lösung geführt hatten, die die Auf- vermeintliche Kommunisten. Mitja und den es Jahre, die für ihn wissenschaftlich, bewahrung von Vollblut für etwa 30 Ta- , die inzwischen drei politisch und privat goldene Jahre waren. ge ermöglichte. Das war eine bahnbre- Kinder hatten, waren unmittelbar gefähr- Mit einem von ihm verschafften Affidavit chende Verlängerung der Haltbarkeit von det. Vielleicht wären die Verfolgungen kam Szécsi im Frühherbst 1937 nach, bei- Blutkonserven, was für die Versorgung zu umgehen gewesen, wenn beide ihren de heirateten, die Ehe wurde 1946 ge- von Kriegsverwundeten eminent wichtig sozialistischen Idealen öffentlich abge- schieden, Szécsi kehrte 1948 nach Wien war. Populärwissenschaftlich hat Rapo- schworen hätten. Das lehnten beide ab. und dort in den Schoß der Sozialdemokra- port diese Prozesse in seinem in mehrere Als sich bei Anhörungen die Inhaftierung tie zurück.24 Am 21. Februar 1938 hat Sprachen übersetzten Büchlein „Was das von Rapoport abzeichnete, entschloss Soyfer aus Wien an Mitja und Marika Ra- Blut vermag“ dargestellt.28 sich das Ehepaar Rapoport mit ihren drei poport nach Cincinnati in einem ausführ- Rapoport ist der sehr kleinen Gruppe Kindern und einem noch ungeborenen licheren Brief geschrieben, er schreibe der Kommunistischen Partei der USA in vierten Kind aus den USA zu fliehen. Ge- über Arbeiterresolutionen für die Unab- Cincinnati beigetreten und blieb politisch legenheit dazu bot der VI. International hängigkeit Österreichs und hoffe, dass die aktiv, was zunächst kein größeres Pro- Congress of Pediatrics in Zürich im Juli Schuschnigg-Regierung auf die Arbeiter blem wurde, weil die USA Verbündeter 1950, der der erste Internationale Pädia- zugehen werde: „Vielleicht wird die Linie der Sowjetunion im Kampf gegen den triekongress nach dem Zweiten Welt- einer Heranziehung der Arbeiterschaft Hitlerfaschismus war. In den klassenbe- krieg war und an dem Rapoport einen (die nun schon völlig frei von Nazieinflüs- wussten Gruppen der amerikanischen Ar- Vortrag halten sollte. sen ist), ihrem Druck entsprechend, fort- beiterklasse war der „Brief an die ameri- gesetzt werden, da sie ja das einzige Ge- kanischen Arbeiter“ von Wladimir Il- Angebot an die Wiener Medizin gengewicht bilden kann. Vielleicht kann jitsch Lenin (1870–1924)29 bekannt: Die- Rapoport konnte annehmen, dass für von hier aus ein Widerstand kommen“. ser war im Dezember 1918 in einer Zeit- ihn als international renommierten Wis- Soyfer dachte in Erinnerung an Heinrich schrift veröffentlicht worden, die von den senschaftler in dem von den Alliierten Heine (1797–1856) an eine Emigration auf internationalistischen Positionen ste- befreiten Wien, in dem er im August nach Paris.25 Das gelang ihm nicht mehr, henden Sozialisten in New York heraus- 1950 ankam, ein angemessener Arbeits- er wurde bei einem versuchten Grenzü- gegeben wurde. Der führende amerikani- platz im Interesse des Wiederaufbaus der bertritt verhaftet. am 16. Februar 1939 sche Kommunist Gus Hall (1910–2000) österreichischen Wissenschaft möglich kam Soyfer im KZ Buchenwald um. hat noch 1971 eine Einleitung zu einer sein werde. Der in Rio de Janeiro leben-

3/08 Beiträge 17 de, weltbekannte Chemiker Fritz Feigl einem 84 Nummern umfassenden Schrif- (1891–1971), in den 1920er Jahren an der tenverzeichnis „mit Zustimmung des In- Wiener Technischen Hochschule als Ha- stitutsvorstandes Professor Dr. Gustav bilitand abgelehnt und 1938 aus Wien Schubert“ beim Professorenkollegium vertrieben, war da skeptischer und mein- der Medizinischen Fakultät der Wiener te, dass die österreichischen Hochschul- Universität um Aufnahme des Verfahrens nazis und die nicht weniger gefährlichen zur Habilitierung für das Fach „Physiolo- Sympathisanten der Nazis sich in ihrer gie mit besonderer Berücksichtigung der Haltung kaum geändert haben werden.33 Biochemie“ ein, änderte das Ansuchen Engelbert Broda, der Ende Mai 1947 als aber noch im Amtszimmer des von Karl österreichischer Patriot nach Wien Fellinger (1904–2000) geleiteten Deka- zurückgekehrt ist, wurde zwar 1948 an nats ohne Bezugnahme auf die Zustim- der Wiener philosophischen Fakultät für mung des Institutsvorstandes Schubert physikalische Chemie habilitiert, musste um auf Habilitierung für das Fach „Medi- sich dann aber an der Universität, die ihm zinische Chemie mit besonderer Berück- den Aufbau und die Leitung der Radio- sichtigung der physiologischen und pa- chemischen Abteilung zu danken hatte, thologischen Chemie“. Beigegeben war sikalische Chemie und Elektrochemie in wegen seiner Haltung als Kommunist neben den üblichen Unterlagen die Er- Berlin Dahlem, seit 1949 Vorstand des In- mühsam als Lehrbeauftragter und „Assis- klärung von Schubert (31. Mai 1951), stituts für Medizinische Chemie war und tent“ durchfretten, ehe er 1964 ad person- dass die von Rapoport in Aussicht ge- ein Pionier der österreichischen Krebsfor- am zum wirklichen außerordentlichen nommenen Vorlesungen im Hörsaal des schung ist, um Erstattung eines Referats Universitätsprofessor ernannt wurde. Physiologischen Instituts abgehalten wer- sowie eines Kurzreferats (28. Juni 1951). Noch vom 30. April 1963 datiert sein Ge- den können und daß dem Bewerber auch Beide bekundeten grossen Respekt vor such um „Anstellung als Assistent“. das vorhandene Material an Tafeln und den biochemischen, physiologischen und Knepler, 1946 aus der Emigration in sei- Diapositiven zur Verfügung stehe. Für experimentellen wie klinischen Untersu- ne Heimatstadt zurückgekehrt, fand, weil seine Lehrtätigkeit wollte Rapoport Vor- chungen Rapoports und formulierten am an der Universität die Altnazis wie Erich lesungen ankündigen zu den Themen 1) 31. Oktober 1951: „Die beiden Referenten Schenk (1902–1974), der mit Hilfe der Wasser- und Salzhaushalt des menschli- sind der Ansicht, daß diese Arbeiten den Gestapo die wertvolle Bibliothek seines chen Körpers, 2) Neue Probleme des Anforderungen für die Verleihung der ve- Vorgängers Guido Adler (1855–1941) Zellstoffwechsels und 3) Physiologisch- nia legendi für das Fach Medizinische beschlagnahmen hatte lassen,34 ihn abzu- chemisches Denken in der Klinik. Als Chemie mit besonderer Berücksichtigung wehren wussten, überhaupt keine ange- Wohnsitzerklärung gab Rapoport Seelos- der physiologischen und pathologischen messene akademische Position und emi- gasse 20 in Wien 13 an; die Magistratsab- Chemie vollauf entsprechen.“ Aus dem grierte 1949 abermals, diesmal nach Ber- teilung 62 der Stadt Wien hatte ihm be- Referat ist herauszulesen, dass die Wiener lin. Dasselbe tat 1949 Walter Hollitscher scheinigt, dass er in der Nazi-Registrie- Medizinische Fakultät mit Rapoport An- (1911–1986), der, aus dem britischen rungsliste nicht verzeichnet sei (23. Mai schluss an die moderne wissenschaftliche Exil nach Wien zurückgekehrt, als Wis- 1951). Das Amt der Wiener Landesregie- Biochemie gewinnen werde. Über diesen senschaftskonsulent der Gemeinde Wien rung stellte Rapoport am 31. März 1951 Stand des Verfahrens wurde Rapoport und Abteilungsleiter am Institut für Wis- eine Bestätigung aus, dass er am 30. De- nicht informiert. senschaft und Kunst von den opportuni- zember 1950 die Erklärung abgegeben Der Habilitationsreferent Seelich bean- stischen sozialdemokratischen Wissen- hat, „der österreichischen Republik als tragte am 22. Oktober 1951 im Dekanat, schaftlern scharf angegriffen worden getreuer Staatsbürger angehören zu wol- „man möge, um die Sache nicht länger zu war.35 Die Wiener SPÖ verhängte ein de len“, wodurch er von diesem Tage an die verzögern, vor der nächsten Prof[esso- facto Berufsverbot über die Widerstands- Österreichische Staatsbürgerschaft erwor- ren]. Kollegiumssitzung am 28.11.1951 in kämpferin und Architektin Margarete ben hat. Auch seine Ehefrau Ingeborg so- Form einer außerordentlichen Sitzung des Schütte-Lihotzky (1897–2000).36 Die Hi- wie ihre gemeinsamen (noch nicht eigen- ständigen Ausschusses über das Habil[ita- storiker Leo Stern (1901–1982), der wie berechtigten) Kinder Tom (17. Juni 1947 tions-]. Ansuchen abstimmen“. Dass die Rapoport aus der stammte, und in Cincinnati), Michael (2. Oktober 1948 Habilitation von Rapoport in der Wiener Eduard Winter (1896–1982) versuchten, in Cincinnati), Susan (15. Oktober 1949 Medizinischen Fakultät dennoch hängig um noch ein Beispiel über den Boykott in Cincinnati) und Lisa Maria (17. No- blieb und dadurch seine Anstellung in von fortschrittlichen Wissenschaftlern im vember 1950 in Wien) erlangten dadurch Wien erfolgreich hintertrieben wurde, ist eben von den deutschen Faschisten be- die österreichische Staatsbürgerschaft. der fehlenden Zivilcourage der Mehrheit freiten Wien zu bringen, nach 1945 ver- Das Habilitationsverfahren für Rapoport der Wiener Medizinischen Fakultät zuzu- geblich irgendwie Fuß zu fassen und begann korrekt. Dekan Fellinger bat Gu- schreiben. Seit Anfang 1951 (5. Jänner) mussten Berufungen in die SBZ anneh- stav Schubert (1897–1976), der als Sude- wurden in Wien Meldungen von Seiten men. Die Sozialisten in Wien distanzier- tendeutscher 1945 von Prag nach Wien des International News Service kolpor- ten sich auch bei inhaltlicher Überein- gekommen ist und, zuerst an der Tierärzt- tiert, wonach Rapoport Kontakte zu Bro- stimmung immer scharf von den Kom- lichen Hochschule tätig, seit 1950 an der da hätte, der als Kommunist den Einsatz munisten, „um nicht“, wie sich Hugo Medizinischen Fakultät Vorstand des Phy- der Atombombe durch die USA als ag- Pepper erinnert, „als Agenten und fellow siologischen Instituts war, und den aus gressiven Akt gebrandmarkt und die travellers zu gelten“.37 Am 31. Mai 1951 Graz stammenden Franz Seelich (1902– friedliche Verwendung der Atomenergie reichte Rapoport, der mit seinen Erspar- 1985), der, von 1940 bis 1945 Abteilungs- durch die Sowjetunion begrüßt habe. Das nissen einige Zeit aushalten konnte, mit leiter am Kaiser Wilhelm Institut für Phy- Chemische Institut, an dem Broda wirke,

3/08 18 Beiträge werde in amtlichen Berichten als „Bruts- Politisches Asyl in Berlin (DDR) und beschloss nach kontroverser Diskus- tätte fanatischer Kommunisten“ beschrie- sion in ihrer Sitzung vom 28. Mai 1952, ben. Ende 1951 berichtet Fellinger auf Die von der KPÖ bei den Hochschul- dem Staatssekretariat mitzuteilen, dass sie Wunsch des als Dekan des Studienjahres behörden der DDR eröffnete Möglichkeit in diesem Vorgang „eine Beeinträchti- 1951/52 amtierenden Vorstandes des pa- an die Berliner Humboldt-Universität zu gung nicht nur ihres verbrieften Vorschla- thologisch-anatomischen Instituts Her- gehen, wurde von Rapoport politisch ger- grechts“ erblicke, sondern sich auch mann Chiari (1897–1969), der sich wegen ne wahrgenommen, auch wenn er persön- außerstande sehe, „die Verantwortung für des ins Stocken geratenen Habilitations- lich viel lieber in Wien geblieben wäre. Berufungen zu tragen, die sie nicht emp- verfahrens bei Fellinger erkundigt hatte, Eine angebotene Stelle am Weizmann-In- fohlen hat“. Es könne „auch nicht im Sin- dass „ungefähr um Weihnachten 1950“ stitut in Rehovot in Israel – Rapoports El- ne der betreffenden Dozenten sein, ohne ein „Prof. Williams von der Jus Fakult. in tern war 1938 die Ausreise nach Palästina Wissen und Willen der Fakultät auf einen USA“ bei ihm gewesen sei und ihm „ern- geglückt, die ältere Schwester lebte seit Lehrstuhl der Humboldt-Universität ge- ste Bedenken gegen eine evtl. Anstel- Jahren in Tel Aviv – hatte er als Interna- setzt zu werden“. Das war üblicher akade- lung“ von Rapoport mitgeteilt habe – „da- tionalist und Gegner des Zionismus abge- mischer Schmus, der aber die wider- mals handelte es sich nicht um die Habili- lehnt. Im Februar 1952 übersiedelte die sprüchliche Situation an der Universität tierung“. In einer späteren Unterredung Familie Rapoport, der sich seine der Wie- deutlich illustriert. Das Staatssekretariat habe derselbe Professor darauf hingewie- ner Fakultät vorgelegten Dokumente wie ging damit nicht ungeschickt um, viel- sen, „dass seiner Information nach Doz. Reifezeugnis und Doktordiplom am leicht hat es aber insgesamt ein bisserl zu Rapoport politisch (kommunistisch) tätig 21. Februar 1952 retournieren hatte las- wenig das Festhalten bürgerlicher Wissen- sei und dass der Fakultät durch eine An- sen, nach Berlin. Die Humboldt-Univer- schaftler am schönen Schein akademi- stellung desselben ernste Schwierigkeiten sität in der 1949 entstandenen Deutschen scher Freiheit unterschätzt. Der von der erwachsen können. Ich [d. i. Fellinger] er- Demokratischen Republik war natur- Berliner Fakultät eingereichte Vorschlag widerte ihm, dass wir als wissenschaftli- gemäß keine sozialistische Gelehrtenin- für Hans Deuticke (1898–1976) in Göttin- ches Institut an politischen Fragen nicht sel, vielmehr waren an ihr viele kleinbür- gen, Horst Hanson (1911–1978) in Halle unmittelbar interessiert seien und ich aus- gerliche Wissenschaftler tätig, die, auch und Erich Strack (1897–1988) in Leipzig serdem um konkretere Unterlagen bitten wenn sie versuchten, die Lehren aus dem sei, so das Staatssekretariat, nicht zu ver- müsste. Weiteres hat sich in der Angele- Nazifaschismus zu ziehen, erhebliche Re- wirklichen. Es habe, so das Staatssekreta- genheit während meiner Dekanszeit nicht serven gegenüber den Intentionen der riat, das Recht, „Männer vorgeschlagen ereignet“ (12. Dezember 1951). Fellinger neuen sozialistischen deutschen Staatsor- zu bekommen, die erstens wirklich die Ab- war ein Star der Wiener Medizin und ori- gane mit sich schleppten. Begrüßt wurde sicht haben, zu kommen, zweitens sich der entierte als solcher auf weltweite Dienst- die Familie Rapoport besonders von Hol- Wertschätzung vor allem ihrer eigenen leistungen gegenüber den Eliten.38 Dekan litscher, der an der Berliner Universität Fachkollegen erfreuen“. Rosenthal holte Chiari notierte sich Stichworte (o.D.) für den Lehrstuhl für Philosophie innehatte, Erkundigungen ein und teilte seiner Fakul- eine Vorsprache beim zuständigen Sekti- diesen aber noch 1952 schlagartig wegen tät in ihrer Sitzung vom 20. Juni 1952 mit, onschef Otto (Baron) Skrbensky, der als des Verdachts, dass er in Beziehungen zu Deuticke denke nicht daran, zu kommen, ehemaliger austrofaschistischer Kommis- Noel Field (1904–1970) gestanden hätte, Hanson werde für Berlin von namhaften sär für die Aufrechterhaltung der Diszi- verlassen und ziemlich abgebrannt nach Vertretern als nicht geeignet erklärt und plin unter den Studierenden an den Hoch- Wien zurückkehren musste. Die Krimi- Strack würde in Leipzig eine erhebliche schulen kommunistische Studenten vom nalaffaire Noel Field war ein Riesenerfolg Lücke aufreißen, was kein Dienst für Leh- Studium an den österreichischen Hoch- des CIA. Ob und in welcher Form der re und Forschung in der DDR sei. Dass schulen ausgeschlossen hatte, dass seine ziemlich eitle Robert Havemann (1910– Deuticke nicht in die DDR übersiedeln Fakultät in einer moralischen Zwangslage 1982), der Dissertations- und Habilitati- wollte, ist verständlich, war er doch Nazi- sei, Rapoport sei fachlich gut (Pluszei- onsreferent des Wunschassistenten Hollit- parteigänger und in Kriegsforschungspro- chen), doch gebe es gegen seine persönli- schers und späteren Wahlösterreichers jekten zu Kampfstoffen der Hitlerwehr- che Eignung Bedenken. Chiari, der seit Werner Haberditzl (1924–1981) war, an macht tätig gewesen.41 Der wissenschaftli- 1936 Wiener Ordinarius war und bei dem diesen Intrigen gegen Hollitscher beteiligt che Leistungsausweis von Rapoport stand Rapoport als Student eine Prüfung abge- gewesen ist, ist aktenmäßig nicht beleg- außer Diskussion, zumal der Bonner Phy- legt haben musste, war über seine weitere bar. Die US-amerikanische Besatzungs- siologische Chemiker Wilhelm Dirscherl amtliche Vorgangsweise unsicher. Als macht, die interessiert war an der Restau- (1899–1982) betont hatte, dass dessen Ar- Wissenschaftler mit internationaler Repu- ration des deutschen Finanzkapitals, das beiten „einen vorzüglichen Eindruck“ ma- tation – er gehörte der American Medical den Hitlerfaschismus an die Macht ge- chen und ihn „als einen produktiven For- Association an – war ihm die innovative bracht hatte, versuchte Positionen an der scher“ ausweisen würden. Rosenthal wies Bedeutung von Rapoports Forschungen Humboldt Universität auszubauen. Dazu noch in Bezug auf die angeblich geringe präsent, er hat selbst an seinem Institut hatte sie als Mosaikstein ihrer generellen Lehrerfahrung von Rapoport darauf hin, neue Forschungsrichtungen wie eine Ab- Spaltungspolitik die „Freie Universität“ dass dieser „sich bei den inzwischen statt- teilung für Blutgruppenserologie und hi- als Gegenuniversität gründen lassen. Ra- gefundenen Verhandlungen über die Stu- stochemische Arbeiten installiert.39 Am poport wurde im Frühjahr 1952 vom dienpläne nach dem Urteil aller Kommis- 29. April 1952 holte Chiari bei der Wie- Staatssekretariat als „kommissarischer sions-Teilnehmer als hervorragend ver- ner Ärztekammer Auskunft ein, ob Rapo- Platzhalter“ für den Lehrstuhl für Physio- siert gezeigt hat“. Die Fakultätsmehrheit port dort als Facharzt oder als praktischer logische Chemie eingesetzt.40 Die Berli- blieb bei ihrer Opposition gegen Rapoport, Arzt bekannt sei, diese teilte am 6. Mai ner Medizinische Fakultät im Dekanat der von Rosenthal in der Sitzung vom 1952 mit, Rapoport sei bei der Ärztekam- von Wolfgang Rosenthal (1884–1971) 29. Oktober 1952 als „Professor mit voll- mer für Wien nicht bekannt. wollte das mehrheitlich nicht akzeptieren em Lehrauftrag für physiologische Che-

3/08 Beiträge 19 mie und kommissarischer Direktor des Die Wiener Fakultät ging auf die Bitte wicklungs- und zellphysiologischen Phä- Physiologisch-Chemischen Instituts“ vor- von Rapoport auf Abschluss der Habilita- nomenen und dem Stoffwechsel“. Und gestellt worden war. Sie schlug in ihrer tion nicht ein, versuchte auch nicht ir- weiter: „Wir glauben, auf Grund dieser Sitzung vom 17. Dezember 1952 den Ro- gendeine Lösung zu suchen, sondern zog Arbeiten sagen zu können, daß Professor stocker Professor für Pharmakologie und sich auf die ihr angenehme formelle Posi- Rapoport für die Zukunft Gutes erwarten physiologische Chemie Peter Holtz tion zurück, es fehle die gesetzliche Vor- lässt, vor allem, wenn er über die organi- (1902–1970), der zu dieser Zeit schon fest aussetzung der Ortsansässigkeit und es sei satorischen Schwierigkeiten, die in der zur Republikflucht entschlossen gewesen eine Habilitation ehrenhalber nicht vorge- Beengtheit seines Institutes liegen, hin- sein dürfte,42 primo loco vor, an zweiter sehen. Immerhin, Chiari beglückwünsch- auskommt“. Dann resümierten beide Stelle Rapoport und Strack. te Rapoport zu seiner Berufung auf den Gutachter ablehnend: „Jedoch darf man Das schlechte Gewissen der Wiener Me- Berliner Lehrstuhl, was ja nichts kostete. unseres Erachtens nicht übersehen, daß dizinischen Fakultät über das quasi einge- Rapoport stieg rasch zu den wissen- Professor Rapoport trotz einer Fülle von stellte Habilitationsverfahren von Rapo- schaftlichen Zierden der DDR-Wissen- Veröffentlichungen im Bereich der phy- port hielt sich in Grenzen, gegen Ende schaft empor. Er bildete zu Beginn seiner siologischen Chemie noch nicht eine sol- 1952 wollte sie aber irgendwie den Akten- Tätigkeit spezielle Zirkel für Studenten che wissenschaftliche Prägung erfahren vorgang abschließen. Dekan Chiari erkun- zum Studium der neuesten Erkenntnisse hat, daß man unwillkürlich mit seinem digte sich deshalb bei Rapoport mit mit Blick auf die Sowjetwissenschaft, um Namen eine ganz bestimmte Vorstellung Schreiben vom 24. November 1952 an sei- seine Studenten als junge Wissenschaft- von einer größeren Leistung auf einem ne frühere Wiener Wohnung in der See- ler mit sozialistischer Verantwortung her- speziellen Gebiet oder gar einer bahn- losgasse, ob er sein Ansuchen um Habili- anzuziehen.43 Das Zentralkomitee der brechenden Leistung verbindet“. Das tierung noch aufrecht halte: „Dies deswe- SED sah in Rapoport „ein Vorbild, in war starker Tobak, auch wenn die Gut- gen, weil Sie seit längerer Zeit nichts mehr dessen Persönlichkeit sich die Einheit achter abschwächten, dieser Mangel hän- von sich haben hören lassen und vor allem von Forschung, Lehre, sozialistischer Er- ge „mit äußeren Hemmungen in seiner mehreren Herren der Fakultät gegenüber ziehung und gesellschaftlicher Aktivität wissenschaftlichen Entwicklung“ zusam- sich bereits vor Monaten mit dem Hinweis beispielhaft verwirklichen“.44 Ingeborg men. Langenbeck und Mothes regten an, verabschiedet haben, dass Sie nach Berlin Rapoport wurde nach ordentlichem Ver- die Abstimmung über Rapoports Wahl zu gehen.“ Dieser Brief wurde von der Post fahren als Kinderärztin (Neonatologie) an verschieben, auf etwa zwei Jahre. Sie sei- retourniert, weshalb Dekan Chiari am die Charité berufen. 1962 erschien von en im übrigen der Meinung, dass vor ei- 18. Dezember 1952 dasselbe Schreiben Rapoport in erster Auflage (Berlin) sein ner Wahl von Rapoport zunächst erwo- eingeschrieben nach Berlin Niederschön- „den Studenten, deren Nichtwissen und gen werden sollte, ob Hanson in Halle hausen (Kuckhofstraße 45) adressierte. Neugierde der ständige Stachel eines und Strack in Leipzig „nicht mindestens Rapoport antwortet am 28. Jänner 1953: Lehrer sind“ gewidmetes berühmte, in ebenbürtig sind“. Das Gutachten von „Spektabilität! mehrere Sprachen übersetzte und im Langenbeck und Mothes verbarg, das In Beantwortung Ihres Schreibens er- Osten wie im Westen genützte Lehrbuch darf unterstellt werden, Vorbehalte ge- laube ich mir, Ihnen mitzuteilen, dass ich für Studierende und Ärzte „Medizinische genüber dem österreichischen Juden Ra- ursprünglich nur auf begrenzte Zeit in Biochemie“ (9. A. 1987). Es gilt als Mu- poport, der sich aus von tiefer wissen- die DDR fuhr, um unter günstigeren Be- sterbeispiel für ein modern aufgebautes schaftlicher Einsicht getragener kommu- dingungen, als ich sie in Wien vorfand, didaktisches Werk. Im letzten Kapitel nistischen Überzeugung für die Entwick- Forschungs- und Lehrtätigkeit auszuü- werden heute hoch aktuelle Probleme der lung des sozialistischen Bildungssystems ben. Mein fester Wunsch blieb es aber, in Ernährung der Menschheit erörtert. Trotz in der DDR einsetzte. Wahrscheinlich ist meinem Heimatlande Österreich und an seiner Bedeutung für die Wissenschaft in das auch der Grund, weshalb Rapoport der Universität, an der ich studierte, der DDR wurde Rapoport erst 1969 (4. nie Mitglied der Deutschen Akademie der tätig sein zu dürfen. Darin schien es mir September) zum ordentlichen Mitglied Naturforscher Leopoldina geworden ist, wohl begründet, mein Habilitations-An- der Deutschen Akademie gewählt.45 Die deren Präsident seit 1954 Mothes durch suchen nicht zurückzuziehen. Inzwischen beiden in Halle wirkenden Akademiemit- zwanzig Jahre über war. hat die medizinische Fakultät der Hum- glieder Wolfgang Langenbeck (1899– 1969 waren Antragsteller in der Berli- boldt-Universität Berlin mich auf den 1967) und Kurt Mothes (1900–1983), ner Akademie für die Zuwahl von Rapo- Lehrstuhl für Physiologische Chemie be- der, ein Pionier der Bearbeitung von port der Pharmakologe Friedrich Jung rufen. Ich stelle es Ihnen anheim, was für pflanzenphysiologischen Problemen mit (1915–1997), der Gynäkologe Helmut Konsequenzen daraus zu ziehen sind; ob chemischen Methoden, mit der sozialisti- Kraatz (1902–1983) und der Biochemiker Sie das nun schon über 1 ½ Jahre schwe- schen Wissenschaftspolitik in der DDR Karl Lohmann (1898–1978), die neben bende Habilitationsverfahren zum Ab- nicht zurande kam, meinten 1956 der herausragenden wissenschaftlichen schluss bringen wollen und mir, wenn (22. November) gutächtlich gegenüber Leistungen von Rapoport auch dessen un- auch sehr verspätet, die Anerkennung der Klasse für Chemie, Geologie und ermüdlichen Einsatz für die Entwicklung meiner fachlichen Qualifikation erteilen Biologie der Berliner Akademie, dass die der sozialistischen Gesellschaft in der wollen – eine Geste, für die ich Ihnen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen DDR würdigten. Viele Jahre später gehör- Spektabilität, und der hohen medizini- von Rapoport „von methodischem Ge- ten Jung und Rapoport zu den Mitinitiato- schen Fakultät sehr dankbar wäre – oder schick und von einem scharfen Verstand ren der Leibnizsozietät (1993).46 Die poli- ob Sie das Verfahren auch weiterhin ru- zeugen, insbesondere bieten die jüngeren tische Würdigung in einem Wahlvor- hen lassen wollen oder gar mit abschlä- Veröffentlichungen mehrere wertvolle schlag einer Akademie mag für öster- gigem Bescheid beenden wollen Ansätze, sowohl für die Beurteilung be- reichische Akademiemitglieder irritierend Ich verbleibe mit dem Ausdruck tiefster stimmter Hemmungsmechanismen wie sein, weil in ihren Wahlvorschlägen das Hochachtung / Ihr / S. Rapoport m. p.“ auch der Zusammenhänge zwischen ent- gesellschaftspolitische Engagement vor-

3/08 20 Beiträge nehm verschwiegen wird. Aber gerade Anmerkungen: Adsorption an Eiweißniederschlägen. Biochemi- dieses ist als informeller Hintergrund bei 1/ www.meduniwien.ac.at/index.php?id=420& sche Zeitschrift 272 (1934), 317–323. Wahlvorschlägen stets präsent. Viele Jah- datum=20040720094051; über Rapoport Eber- 14/ Eckart Henning/Marion Kazemi: Chronik der re nach 1945 hatten im österreichischen hard Hofmann: Samuel Mitja Rapoport wird 90 Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Gelehrtenolymp noch immer die alten Jahre alt. BIOspektrum 6/02, 728f.; Thomas Wissenschaften. Berlin 1988, 69f. Nazikader das Sagen. Der Rektor der Schönfeld: Samuel Mitja Rapoport (1912–2004) 15/ Gerhard Oberkofler: Erika Cremer. Ein Le- Wiener Universität in den Jahren 1938 bis – In memoriam. Mitteilungen der Alfred Klahr ben für die Chemie. Innsbruck/Wien, 17–25. 1945 Fritz Knoll (1883–1981), der stolz Gesellschaft, Nr. 3/2004. Eine „jüdische Iden- 16/ Paul Broda/Gitta Deutsch/Peter Markl/Tho- darauf war, seine Universität „rasch und tität“ von Rapoport wird von Brunhild Fölsch und mas Schönfeld/Helmuth Springer-Lederer: En- gründlich von all jenen Professoren und Walter Grünzweig betont: Marxismus, Exil und gelbert Broda. Wissenschaft. Verantwortung. Dozenten befreit [zu haben], die als Leh- jüdische Identität. Der Biochemiker Samuel Mitja Frieden. Ausgewählte Schriften. Wien 1985; Ger- rer an einer nationalsozialistischen Hoch- Rapoport. Das Jüdische Echo. Europäisches hard Oberkofler/Peter Goller: Engelbert Broda schule nicht geeignet waren“,47 amtierte Forum für Kultur und Politik. Wien 2000, 337– (1910–1983). Konturen aus seinem Leben. Hg. von 1959 bis 1964 als Generalsekretär der 345; Gisela Jacobasch/Lothar Rohland (Hg.): von der Zentralbibliothek für Physik. Wien 1993. Österreichischen Akademie. 1964 wurde Samuel Mitja Rapoport (1912–2004) (Nachdruck 17/ Gerhard Oberkofler: Über das musikwissen- ein fanatischer Naziideologe der ersten des Tagungsprotokolls über das Festkolloqium schaftliche Studium von Georg Knepler an der Stunde wie Harold Steinacker zum 90. Geburtstag des Ehrenpräsidenten der Wiener Universität. Mitteilungen der Alfred Klahr (1875–1965) sogar zum Ehrenmitglied Leibniz-Sozität, Prof. Dr. med. Dr. phil. Dr. h. c. Gesellschaft, Nr. 3/2006. der philosophisch-historischen Klasse der mult. Samuel Mitja Rapoport, am 28. November 18/ Erinnerungen … Hans Friedmann. Privat- Österreichischen Akademie der Wissen- 2002 in Berlin. Sitzungsberichte der Leibniz-So- druck. Wien o.J. schaften gewählt, er galt in deren Reihe zietät 28, Jg. 2003, H. 2). Berlin 2004 ; Wolfgang 19/ Erwin Chargaff: Das Feuer des Heraklit. Ski- als einer der Großen der österreichischen L. Reiter: Naturwissenschaften und Remigration. zzen aus einem Leben vor der Natur. Samm- Geschichtswissenschaft, „dessen Licht bis In: Sandra Wiesinger-Stock/Erika Weinzierl/Kon- lung Luchterhand 1989, 44. zur Neige des Lebens geleuchtet hat und stantin Kaiser (Hg.), Vom Weggehen. Zum Exil 20/ Über die Bestimmung der Summe von Glyko- in seinen Werken Altösterreichs ge- von Kunst und Wissenschaft. Wien 2006, koll und Serin. Aus dem Institut für medizinische schichtliches Bild weiter im Dienst der 177–218, über Rapoport 196–198. Chemie in Wien. Eingegangen am 11. Juli 1935. Wahrheit mitbestimmen wird“.48 Dage- 2/ Österreichische Zentralbibliothek für Physik Biochemische Zeitschrift 281 (1935), 30–36. gen wurde Wolfgang Gröbner (1899– (Konzept Peter Graf): 1924 – ein guter Jahr- 21/ Blutglykolyse und Phosphorglycerinsäure. 1980), dessen großartigen Ideen in der gang. Alfred Bader. Franz Ferdinand Cap. Mich- Vorläufige Mitteilung. Biochemische Zeitschrift ganzen mathematischen Welt bekannt ael J. Higatsberger. Otto Hittmair. Karl Schlögl. 289 (1937), 290f.; Über die Bestimmung der sind,49 wegen seiner Kritik an der römisch Hans Tuppy. Eine Ausstellung der Österreichi- Glycerinsäure in freier und veresterter Form. katholischen Religion und wegen seines schen Zentralbibliothek für Physik. Wien 2004. Ebenda 406–410; Über Phosphorglycerinsäure öffentlich gemachten Atheismus aus- 3/ Kurt Mühlberger: Dokumentation Vertriebene als Transportsubstanz des Blutphosphors und drücklich nicht in die Österreichische Intelligenz 1938. Der Verlust geistiger und ihr Verhalten bei experimenteller Ammonchlori- Akademie der Wissenschaften gewählt.50 menschlicher Potenz an der Universität Wien dazidose. I. Ebenda, 411–415; II. Ebenda 416– An die Wahl des unermüdlichen und er- von 1938 bis 1945. Wien 2. A. 1993, 22. 419; Zur Frage der Phosphorbindung in Phos- folgreichen Weltwissenschaftlers Rapo- 4/ Das Rainergymnasium wurde 1945 durch ei- phorproteinen. Ebenda 420–424. Alle mit dem port, der seine Zugehörigkeit zur Bewe- nen Bombentreffer schwer beschädigt, sämtli- Vermerk „Aus dem Institut für medizinische gung für die sozialistische Umgestaltung che Unterlagen sind damals verbrannt. Im Jah- Chemie der Universität Wien“ und „Eingegan- der Gesellschaft immer aufrechterhalten resbericht 1953 (75 Jahr Feier) sind die Abituri- gen am 8. Dezember 1936“. hat und für den der Mensch im Mittel- entennamen von 1886 bis 1918 und von 1946 22/ [Samuel] Rapoport/[Peter] Langen/[Eberhard] punkt seiner Überlegungen und Aktivitä- bis 1953 verzeichnet, die Zeit 1919 bis 1945 Hofmann: Die Bedeutung Otto Warburgs für die ten war, wurde in der Österreichischen fehlt. Frdl. Auskunft von OStR Mag. Anton Kroh, Entwicklung der Biochemie, Zellbiologie und Me- Akademie zu keinem Zeitpunkt gedacht. Administrator des Rainergymnasiums! dizin. SB der Akademie der Wissenschaften der Rapoport kam immer wieder gerne zu 5/ Mühlberger, Dokumentation Vertriebene In- DDR. Mathematik – Naturwissenschaften – Tech- Besuch in seine Heimatstadt Wien, er telligenz 1938, 20. nik. Jg. 1985, Nr. 3/N. Berlin 1985, 5. ging mit seinen freundschaftlichen Kon- 6/ Biochemische Zeitschrift 251 (1932), 432–446. 23/ Hinderk Conrads/Brigitte Lohff/Tim Ripper- takten dorthin sorgsam um. Als engster 7/ Forum 10. 2. Maiheft 1972. ger: Carl Neuberg – Biochemie, Politik und Ge- Freund Jura Soyfers war er vielfach Gast 8/ Personalstand der Universität Wien für das schichte. Stuttgart 2006. und Referent bei Veranstaltungen zu Eh- Studienjahr 1937/38. Wien 1937, 107. 24/ DÖW Sammlung Marika Szécsi/Mitja Rapo- ren dieses österreichischen Dichters, 9/ Jura Soyfer: Werkausgabe. Hg. von Horst port. Nr. 21066. 2001 nahm er an einem von der Alfred Jarka. Band III. Wien/Frankfurt a. M. 2002. 25/ Der Brief von Soyfer an Mitja und Marika Klahr Gesellschaft veranstalteten Sym- 10/ Im Namenverzeichnis zu den Strafakten des Rapoport vom 21. Februar 1938 ist abgedruckt posium über Walter Hollitscher teil, und Landesgerichts für Strafsachen Wien ist der Na- in: Jura Soyfer. Sturmzeit. Briefe 1931–1939. eine späte Freude und Genugtuung war me von Rapoport nicht verzeichnet. Frdl. Aus- Werkausgabe. Hg. von Horst Jarka. Band IV. Ingeborg Rapoport und ihm ein Empfang kunft des Wiener Stadt- und Landesarchivs! Wien/Frankfurt a. M. 2002, 157–160. an der Technischen Universität Wien 11/ Zitiert nach Joseph Roth: Juden auf Wan- 26/ 124 (1938), 599–607: Effects of overdosage durch deren Rektor Peter Skalicky aus derschaft. DTV 2006, 86. of irradiated ergosterol in rabbits: changes of di- Anlaß der neunzigsten Geburtstage des 12/ Biochemische Zeitschrift 272 (1934), 81–87. phosphoglyceric acid in the blood cells. Professorenehepaares; an dieser akade- 13/ A. Oparin, S. Manskaja und I. Glasunow 27/ The Journal of Biological Chemistry 189 mischen Ehrung im Jänner 2003 nahmen (Aus dem Biochemischen A. Bach-Institut des (1951), 683–694 (Glycerate–2,3–Diphosphatase). unter anderen auch Hans Tuppy und Volkskommissariats für Gesundheitswesen in 28/ Wissenschaft und Technik verständlich dar- Thomas Schönfeld teil. Moskau): Die Inaktivierung der Amylase durch gestellt 14/15. Berlin 1953.

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29/ Lenin, Werke 28 (1975), 48–62. Wolfgang Gröbner (1899–1980). Mathematiker über ihren Einfluß auf Prothrombin- […] und Fibri- 30/ Gus Hall: Der amerikanische Imperialismus und Freidenker. In: Österreichische Mathematik nogenspiegel […] des Plasmas brachten. 3. Ar- in der Welt von heute. Eine Einschätzung wich- und Physik. Wolfgang Gröbner – Richard von beiten über die physikalischen, osmotischen und tiger Fragen und Ereignisse unserer Zeit. Berlin Mises – Wolfgang Pauli. Hg. von der Zentralbi- chemischen Veränderungen der Erythrozyten 1976, 114–126. bliothek für Physik. Wien 1993, 9–49. während der Konservierung von Vollblut […], die 31/ Werke 29 (1976), 337. 50/ Bei den Frühjahrswahlen 2008 der Österreichi- zur Ausarbeitung einer Konservierungsflüssigkeit 32/ Ingeborg Rapoport: Meine ersten drei Le- schen Akademie wurde ein beflissentlicher Skri- führten, die die Aufbewahrung von Vollblut auf et- ben. Erinnerungen. Berlin 2002. bent und Aktenkopist im Dienst des Propaganda- wa 30 Tage ermöglicht. 4. Eine ausgedehnte Se- 33/ Gerhard Oberkofler/Peter Goller: Fritz Feigl apparats des EU-Großreiches aus Hildesheim rie über die Ausscheidung von Wasser und Elek- (1891–1971). Notizen und Dokumente zu einer zum korrespondierenden Mitglied der philoso- trolyten durch die Nieren. Dazu gehören Untersu- wissenschaftlichen Biographie. Hg. von der phisch-historischen Klasse im Ausland gewählt! chungen, in denen die Abhängigkeit der Harn- Zentralbibliothek für Physik in Wien. Wien 1994. menge während der osmotischen Diurese im 34/ Yukiko Sakabe: Die Bibliothek von Guido Anhang Wassermangelzustand von der Quantität des Adler. Mitteilungen der Alfred Klahr Gesell- 1) 1951 10 31. Wien. Gustav Schubert und Franz ausgeschiedenen harnfähigen Gutes nachgewie- schaft, Nr. 1/2007. Seelich legen ihr Kurzreferat über das Habilitati- sen wurde […]; Bobachtungen über Ionenanta- 35/ Peter Goller/Gerhard Oberkofler: Walter onsansuchen von Samuel Rapoport vor. gonismus, die die Möglichkeit der Bedeutung Hollitscher. Briefwechsel mit Otto Neurath elektrostatischer Faktoren für die Ausscheidung (1934–1941), in: Alfred Klahr Gesellschaft. Original. Maschineschrift. Eigenhändige Unter- der Anionen im Harn aufwerfen […]; Untersu- Quellen & Studien 2000. Wien 2000, 119–140. schriften. Archiv der Universität Wien. Die Aus- chungen über den Einfluß der Nerven auf die 36/ Margarete Schütte-Lihotzky: Erinnerungen lassungen im Text betreffen die Ziffern des von Niere, die zur Auffindung einer direkten Nerven- aus dem Widerstand. Das kämpferische Leben Rapoport beigelegten Verzeichnisses seiner wirkung auf die Ausscheidung von Elektrolyten einer Architektin von 1938–1945. Wien 1994. Veröffentlichungen. im Harn führten […]; der Nachweis, daß die Flüs- 37/ In: SPÖ – Was sonst? Die Linke in der SPÖ. sigkeit in den proximalen Nierenkanälchen mit Geschichte und Bilanz. Wien 1983, 29–41, 36. […] Die Arbeiten Dr. Rapoports lassen sich am dem Plasma isotonisch ist […]; und schließlich 38/ Karl Fellinger: Arzt zwischen den Zeiten. besten nach den Arbeitsgebieten in biochemi- der Hinweis auf das Bestehen eines biologischen Wien/Hamburg 1984. sche, physiologische und experimentelle, und Arbeitsmaximums der Niere, das während der 39/ Nachruf von Franz Brücke, in: Almanach der klinische Untersuchungen einteilen. osmotischen Diurese erreicht, aber nicht über- ÖAdW für das Jahr 1970. Wien 1971, 315–330. Biochemische Arbeiten. 1. Die ersten […] und schritten wird […]. Andere nierenphysiologische 40/ Humboldt Universität zu Berlin. Archiv. Akten einige der späteren Arbeiten […] beziehen sich Arbeiten sind im Zusammenhang mit den be- der Medizinischen Fakultät (Sitzungsprotokolle). auf das Gebiet der chemischen Analyse. 2. Eine sprochenen Forschungen entstanden […]. Der Personalakt Rapoport ist noch nicht freigege- größere Gruppe befaßt sich mit dem Stoffwech- Klinische Arbeiten. Diese umfassen 1. eine Stu- ben, weshalb vorerst nur die Ergebnisse der Fa- sel der Diphosphorglyzerinsäure und verwand- die der Säuglingstoxikosen […], die zur Ent- kultätssitzungen rekonstruiert werden können. ter Verbindungen. Ihre Ergebnisse umfassen deckung und Definition des sogenannten posta- 41/ Ralf Forsbach: Die Medizinische Fakultät Studien über den Mechanismus des Zerfalls der zidotischen Zustands, der durch eigentümliche der Universität Bonn im „Dritten Reich“. Mün- Diphosphorglyzerinsäure […]; ihrer Rolle im Io- chemische Veränderungen des Blutes und eine chen 2006, 89. nengleichgewicht der Erythrozyten […]; die Auf- besondere Symptomatologie gekennzeichnet ist, 42/ Christina Witte: „Ungestört wissenschaftlich findung eines Enzyms, der Diphosphorglyzerat- führte; 2. den Nachweis der Existenz und klini- weiterarbeiten…“. Der Pharmakologe Peter mutase […]; die Entdeckung der Phytinsäure schen Bedeutung der Hyperosmose und Hyper- Holtz (1902–1970). Greifswald (Dissertation der als bedeutenden Bestandteil der Vogelerythro- elektrolytämie bei Säuglingskrankheiten […]; 3. Medizinischen Fakultät). 1978. zyten […], und Untersuchungen über ihre Ver- Studien über die Rolle der Hyperventilation als 43/ Alfred Erck/Lothar Läsker/Helmut Steiner: So- teilung und Stoffwechsel […]. 3. Eine Serie von wichtiger Faktor in der Entstehung der Exsikko- zialismus und wissenschaftliches Schöpfertum (= Untersuchungen über die Fraktionen des säu- sen […]; 4. Untersuchungen über das weitver- Wissenschaft und Gesellschaft 8). Berlin 1976, 33. relöslichen Phosphors von Leber und Niere […]. breitete Vorkommen und die klinische Bedeutung 44/ Neues Deutschland vom 27. November Von ihren Ergebnissen mögen die Beobachtun- der Neugeborenentetanie […]; 5. die Ausarbei- 1972 („ZK gratuliert Genossen Prof. Dr. Dr. Sa- gen einer direkten Insulinwirkung auf die Vertei- tung von rationellen Methoden der parenteralen muel M. Rapoport“). lung des Leberphosphors, und der Nachweis, Flüssigkeits- und Ernährungstherapie […]; und 6. 45/ Akten der Berlin-Brandenburgischen Akade- daß die Lebernukleotide eine Mischung von ver- Aufklärung des Wesens der japanischen Kinder- mie der Wissenschaften. Personalia Rapoport. schieden hoch phosphorylierten Abkömmlingen krankheit „Ekiri“ […], die einer Kombination von Frau Prof. Dr. Ingeborg Rapoport war so freund- der Adenylsäure, deren Phosphorylierungsgrad infektiösen und chemischen Faktoren entspringt. lich, die Erlaubnis zu deren Benützung zu geben! vom Nahrungszustand abhängt, erwähnt wer- Die von Herrn Dr. S. Rapoport vorgelegten und 46/ Werner Scheler/Peter Oehme: Zwischen den. 4. Studien über die chemische Natur des hier referierten Arbeiten zeigen nicht nur die Be- Arznei und Gesellschaft. Zum Leben und Wir- Mekoniums, die ergaben, daß es hauptsächlich fähigung sondern auch das besondere Interes- ken des Friedrich Jung (= Abhandlungen der aus Mukopolysacchariden besteht, die hohe se des Gesuchstellers für wissenschaftliche Ar- Leibniz-Sozietät 8). Berlin 2002. Blutgruppenwirksamkeit besitzen […]. beit. Die beiden Referenten sind der Ansicht, 47/ Jahrbuch der Deutschen Studentenschaft Physiologische und experimentelle Arbeiten. daß diese Arbeiten den Anforderungen für die an den Ostmarkdeutschen Hochschulen 1. Untersuchungen über die Veränderungen der Verleihung der venia legendi für das Fach: Me- 1938/39, 60. Diphosphorglyzerinsäure unter verschiedenen dizinische Chemie mit besonderer Berücksichti- 48/ Franz Huter: Harold Steinacker. Österreichi- Bedingungen, unter denen experimentelle Azido- gung der physiologischen und pathologischen sche Akademie der Wissenschaften. Almanach se, diabetische Koma, Nierenschädigungen, Ra- Chemie vollauf entsprechen, für das Jahr 1965. Wien 1966, 306–335. chitis, und Unterbindung des Pylorus anzuführen Univ. Prof. Dr. G. Schubert, Vorstand des Phy- 49/ Peter Goller/Gerhard Oberkofler: „… daß sind […]. 2. Studien über die Wirkung der Salizy- siologischen Institutes der Universität Wien. auf der Universität für die Lehre, die dort vertre- late, die die Aufklärung über die von ihnen be- Univ. Prof. Dr. F. Seelich, Vorstand des Med. ten wird, wirkliche Gründe gegeben werden!“ wirkte primäre respiratorische Alkalose […] und Chem. Inst. D. Univ. Wien.

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2) 1969 07 08. Berlin. Die Mitglieder der Unter seinen zahlreichen Buchpublikationen ist dingungslos – auch während der Emigration in die Deutschen Akademie der Wissenschaften besonders sein Lehrbuch der Physiologischen USA – für die Ziele der kommunistischen Weltbe- zu Berlin Friedrich Jung, Helmut Kraatz und Chemie hervorzuheben. Es hat international wegung eingesetzt. Folgerichtig wurde er zur Karl Lohmann beantragen die am 4. Sep- größtes Aufsehen erregt und dürfte derzeit das Emigration aus seinem Heimatland Österreich ge- tember 1969 erfolgte Zuwahl von Samuel beste bestehende Lehrbuch seines Faches sein. zwungen und später aus der USA ausgewiesen. Mitja Rapoport als ordentliches Mitglied der Es ist ein Musterbeispiel für ein nach modernen Er ist Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei, Deutschen Akademie der Wissenschaften didaktischen Gesichtspunkten aufgebautes deren Ziele er unentwegt mit großer eigener Initia- anlässlich des 20. Jahrestages der Deut- Lehrbuch, welches im übrigen sehr konsequent tive und mit großem Verantwortungsbewußtsein, schen Demokratischen Republik. Gutach- auf der Basis der dialektisch-materialistischen sowohl im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit an ten von Friedrich Jung o. D. Naturphilosophie aufbaut. Es wurde von sowjeti- der Berliner Universität, im Rahmen seiner staatli- schen und englischen Verlagen übernommen. chen Verantwortungen und schließlich auch im Original. Maschineschrift. Eigenhändig Unter- Große Bedeutung für die Förderung des interna- allgemeinen gesellschaftlichen Leben durchzu- schrift von Friedrich Jung (Institut für Pharmako- tionalen wissenschaftlichen Austausches hat das setzen versucht. Dementsprechend haben ihm logie). Akademiearchiv. Berlin-Brandenburgi- von ihm veranstaltete Symposion über Struktur seine Genossen regelmäßig auch verantwortliche sche Akademie der Wissenschaften. und Funktion der roten Blutzelle, das 1967 zum Leitungsfunktionen übertragen. Er war Mitglied V. Mal abgehalten wird und Wissenschaftler aus der Universitäts- und Fakultätsparteileitung. Professor Rapoport, Direktor des Instituts für Bio- allen Ländern der Erde in die DDR geführt hat. 4. Die hervorragenden Leistungen von Prof. Ra- logische und Physiologische Chemie der Hum- 2. Wissenschaftsorganisatorische Leistungen. poport auf wissenschaftlichem Gebiet wurden boldt-Universität und Lehrstuhlinhaber für Phy- Prof. Rapoport ist Mitglied des Forschungsrates vielfältig ausgezeichnet, insbesondere mit ei- siologische Chemie, ist heute international als ei- der DDR und Vizepräsident des Rates für Pla- nem Nationalpreis. Er ist Träger der Hufeland- ner der profiliertesten und erfolgreichsten Vertre- nung und Koordinierung beim Minister für das Ge- medaille, des Vaterländischen Verdienstordens ter der europäischen Biochemie anerkannt. sundheitswesen. Seine Fähigkeiten Probleme der und des Ordens Banner der Arbeit, welche ihm 1. Wissenschaftliche Leistungen. Planung und Leitung der Wissenschaft zu erfas- in Hinblick auf erfolgreiche Arbeit im staatlichen Bereits vor Aufnahme einer Tätigkeit in der DDR sen war bereits bei der Ausarbeitung des soge- Gesundheitswesen und der staatlichen Wissen- hat Prof. Rapoport durch Entdeckung des 2–3 Di- nannten Weimarer Perspektivenplans eine ent- schaftsorganisation verliehen wurden. phosphoglycerinsäuregehaltes in den roten Blut- scheidende Hilfe. Sie ist weiterhin wirksam ge- Mit dieser Zuwahl von Prof. Rapoport in die körperchen einen wesentlichen Beitrag zur Bio- worden bei der Ausbildung der Bildungskonzepti- Deutsche Akademie der Wissenschaften würde chemie des Blutes geleistet. Im Zuge dieser Ar- on, bei der gesamten prognostischen und Pla- diese für ihre Arbeit einen Wissenschaftler ge- beiten ergab sich die Entwicklung einer Blutkon- nungsarbeit der Gebiete Biologie und Medizin. winnen, der unserer Republik treu verbunden ist servierungslösung, die von hoher praktischer Be- Persönliche Energie und Einsatzfreude, wie eine und insbesondere unermüdlich, wie auf der deutung war und durch die US-Behörden mit ei- umfassende Einsicht in alle vorliegende Probleme Grundlage höchster Sachkenntnis um die Ent- ner hohen staatlichen Auszeichnung anerkannt charakterisieren seine diesbezügliche Tätigkeit. wicklung unseres Staates zu einer vollendeten wurden. Von großer Bedeutung waren ferner sei- Innerhalb der Medizinischen Fakultät der Hum- sozialistischen Menschengemeinschaft kämpft. ne damaligen Studien über physiologische Pro- boldt-Universität hat Prof. Rapoport durch Ent- Sie würde einen Wissenschaftler gewinnen, der zesse in der Niere. Die Biochemie der roten Blut- wicklung seines Instituts zum sozialistischen In- auf Grund seiner wissenschaftlichen und wis- zelle und insbesondere die Regelung des Blut- stitut ein hervorragendes Vorbild gegeben. Aus senschaftsorganisatorischen Leistungen inter- körperchenstoffwechsels bzw. allgemein Vorgän- diesem Arbeitskollektiv sind zahlreiche begabte national als einer der hervorragendsten Vertre- ge bei der Zellentwicklung, beim Zellwachstum Schüler herausgewachsen. Prof. Rapoport hat ter der jungen und bewußten DDR-Wissen- und bei der Zellalterung stehen im Vordergrund wesentlichen Anteil an der Studienreform Medi- schaft gilt. Er wird auf Grund seiner wissen- seiner Arbeiten seit Übernahme des Lehrstuhls zin und der Entwicklung moderner und effekti- schaftlichen wie seiner gesellschaftlichen Quali- für Physiologische Chemie an der Humboldt-Uni- verer Formen der ärztlichen Ausbildung. fikation bei der Verwirklichung der großen Ziele, versität. Die Entdeckung stoffwechselregulieren- Für die Entwicklung des wissenschaftlichen Le- welche sich die Deutsche Akademie der Wis- der spezifischer Faktoren während der Erythro- bens in der DDR hat sich Prof. Rapoport stets mit senschaften im Zuge des vollendeten Aufbaus zytenreifung hat international großes Aufsehen außerordentlicher Intensität und großem Erfolg des Sozialismus in der DDR setzt, entscheiden- erregt. Außerordentlich systematisch ist von ihm eingesetzt. Wesentliche Erfolge sind hierbei die de Beiträge zu leisten vermögen. die Veränderung der Aktivität und der Gehalt von Gründung der Berliner Physiologischen Gesell- Prof. Dr. F. Jung Enzymsystemen in sich entwickelnden Zellen als schaft der DDR, die Schaffung der Acta biologica Beitrag zur Lenkung und Steuerung des Leben- et med[ica]. germanica, an denen er maßgeblich sprozesses untersucht worden. Besonders inter- beteiligt war. Rückhaltlos hat er innerhalb der in- www.klahrgesellschaft.at essante Ergebnisse zeigten sich vor allem bei ternationalen Organisationen für die Durchset- – Informationen über Ziele und Aktivitä- der Analyse der SH-abhängigen Enzymsysteme. zung der Rechte der DDR-Wissenschaftler ten der ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT. Im Zuge dieser Arbeiten ergaben sich wesentli- während vieler Jahre sich eingesetzt und auch – Sämtliche Beiträge aus den Mitteilun- che Konsequenzen für die medizinische Diagno- dabei entsprechende Erfolge erzielt. Er tritt kon- gen der Alfred Klahr Gesellschaft der stik. Es ist ihm zu verdanken, daß in der DDR sequent und aktiv im internationalen Wissen- Jahrgänge 1994–2008 im Volltext. Produktionsmöglichkeiten für eine Reihe wichtiger schaftsbetrieb als Vertreter unserer Republik auf – Übersicht über aktuelle und bisherige Biochemikalien geschaffen wurden und auf dieser und setzt sich ebenso konsequent für eine enge Veranstaltungen der ALFRED KLAHR Basis für die Klinik modernste enzymatische Te- freundschaftliche und kollektive Arbeit der Wis- GESELLSCHAFT seit 1993. ste entwickelt wurden. Die systematische Anwen- senschaftler aus den sozialistischen Ländern ein. – Beiträge und Bibliographien zur dung dieser Teste durch die von ihm geleitete Ar- Mit aus diesem Grunde genießt er speziell in der Geschichte der KPÖ. beitsgruppe hat große Bedeutung bei der Analyse UdSSR ein außerordentlich hohes Ansehen. – Publikationen des Verlages der der Epidemiologie der Virushepatitis gewonnen, 3. Politische und gesellschaftliche Aktivität. ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT und sie wird für die Bekämpfung dieser Erkrankung Professor Rapoport ist seit 1934 Mitglied einer Bestellmöglichkeit. von entscheidender Bedeutung sein. kommunistischen Partei und hat sich seither be-

3/08 Nachruf 23 Thomas Schönfeld (1923–2008) ROBERT ROSNER

m 22. Mai 2008 starb em. leitung von Univ.-Doz. Dr. Engelbert schen Anwendungen der Radioaktivität“, o. Univ.-Prof. Dr. Thomas Schön- Broda durchführte, begann er erstmals das Schönfeld gemeinsam mit Engelbert Afeld nach schwerer Krankheit, we- mit radioaktiven Isotopen zu arbeiten, Broda verfasste und das ins Japanische, nige Wochen vor seinem 85. Geburtstag. ein Gebiet, das sein ganzes weiteres wis- Polnische, Rumänische, Russische, Thomas Schönfeld kam aus einer Fami- senschaftliches Leben prägen sollte. Da- Tschechische und in das Englische über- lie, für die eine Stellungnahme zu gesell- mit begann auch seine lebenslange setzt wurde. Im Jahre 1958 veröffentlich- schaftlichen und politischen Fragen stets Freundschaft mit Engelbert Broda. te der Österreichische Friedensrat die ein wichtiges Anliegen war. Sein Vater, Nach seiner Promotion wurde Schön- Schrift „Tödliche Strahlen, tödlicher Dr. Bruno Schönfeld, war Soziologe und feld Assistent am I. Chemischen Institut. Staub, wie die Wissenschaft die Atom- ein bekannter Rechts- bombenversuche be- anwalt, der in der Zeit urteilt“ unter Bera- des Austrofaschismus tung von Thomas unter anderen den Schönfeld und Frie- späteren Bundespräsi- drich Scholl. denten Franz Jonas Schönfeld bemühte verteidigte und dessen sich mit Vorträgen Freispruch erwirkte. und einer zielgerich- Er wurde im März teten Ausstellung, die 1938, nach der Beset- auch in den Bundes- zung Österreichs ver- ländern gezeigt wur- haftet und blieb meh- de, alles zu tun, um rere Monate in Haft. die österreichische Thomas war 15 Jahre Öffentlichkeit auf alt, als die Gestapo ins diese Gefahren auf- Haus kam und seinen merksam zu machen. Vater mitnahm. Auch seine wissen- Glücklicherweise schaftliche Arbeit gelang es der Familie diente diesem Zweck. zu flüchten, erst nach Das Forschungspro- Großbritannien und jekt „Deposition of dann in die Vereinigten Staaten. Schön- Nach seiner Habilitation 1963 wurde er inhaled fission products in lungs and feld begann sein Studium 1940 am traditi- 1968 zum Titularprofessor ernannt. lymph nodes of human beings“, an dem er onsreichen Ursinus College in Collegevil- Schließlich erfolgte 1972 seine Berufung im Auftrag der internationalen Atom- le, Pennsylvania. Als Physikprofessor hat- zum Ordinarius am Institut für Anorga- behörde von 1958 bis 1965 arbeitete, te er dort John W. Mauchly, der später nische Chemie der Universität Wien. zeigte, in welchem Ausmaß die Men- den ersten elektronischen digitalen Com- Lange Zeit leitete Schönfeld das Anfän- schen in Österreich von den Folgen der puter ENIAC baute. 1943 setzte Schön- gerpraktikum dieses Instituts, zu dessen Atombombenversuche betroffen waren. feld sein Studium an der Columbia Uni- Modernisierung er wesentlich beigetragen Aufgrund seines großen Fachwissens versity fort, wo er auch als wissenschaftli- hatte. Da alle Studentinnen und Studenten wurde er als Berater für das Forschungs- che Hilfskraft arbeitete. 1944 wurde er der Chemie und Physik dieses Praktikum zentrum Seibersdorf für Fragen des Strah- zur Armee einberufen, nachdem er sein absolvieren mussten, konnte eine ganze lenschutzes herangezogen. Er wurde wei- Studium mit besonderer Auszeichnung Generation von Chemikern und Physikern ters Mitglied der Österreichischen Strah- am Ursinus College beendet hatte. Ein an- von Schönfeld lernen, wie man wissen- lenschutzkommission. Im Jahre 1997 derer Student, dessen wissenschaftliche schaftliche Fragen einfach erklären kann. wurde er für seine grundlegenden Arbei- Laufbahn an diesem College begann, ist Es war die Zeit, in der radioaktive Iso- ten auf dem Gebiet der Radio- und Strah- Gerald M. Edelman, der 1972 den Nobel- topen erstmals nicht nur für wissen- lenchemie von der Österreichischen Aka- preis für Medizin erhielt. schaftliche und medizinische Zwecke demie der Wissenschaften mit dem Erwin Nach dem Krieg arbeitete Schönfeld ei- Anwendung fanden, sondern zum Werk- Schrödinger-Preis ausgezeichnet, nach- nige Zeit als Angestellter der US-Militär- zeug für die verschiedenen Anwendun- dem er bereits 1959 für seine radiochemi- regierung in Deutschland und kehrte 1947 gen wurden, etwa um die Dichte von schen Arbeiten den Wissenschaftspreis mit seiner Frau Mia nach Wien zurück, Rohrleitungen zu überprüfen. Anderer- des Theodor Körner-Fonds erhalten hatte. um hier sein Studium fortzusetzen und am seits war es die Zeit, in der als Resultat Als Vertreter des Österreichischen Aufbau einer kommunistischen Studente- des Kalten Krieges die Möglichkeit einer Friedensrates nahm Schönfeld an Kon- norganisation mitzuarbeiten. radioaktiven Verseuchung weiter Gebie- gressen im Inland und Ausland teil, an Bei seiner Dissertation am I. Chemi- te immer mehr Gestalt annahm. Beides denen die Forderung zur Ächtung der schen Institut der Universität Wien über waren Themen, mit denen sich Schön- Atomwaffen zentrales Thema war. An- „Adsorptionserscheinungen in hochver- feld in der Folge beschäftigte. Im Jahre dere Tagungen, an denen Schönfeld als dünnten Lösungen“, die er unter der An- 1956 erschien das Buch „Die techni- Vertreter des Österreichischen Friedens-

3/08 24 Nachruf rates teilnahm, untersuchten, wie weit bereits gefasste UNO-Beschlüsse, wie etwa das Verbot von Landminen oder Habsburg einst – und jetzt das Verbot von biologischen Waffen THOMAS SCHÖNFELD tatsächlich umgesetzt worden waren. Schönfeld war auch in engem Kontakt mit den Aktivitäten der internationalen Pugwash-Bewegung, in der sich führen- de Wissenschaftler bemühten, gemeinsa- me Wege zur Abrüstung zu erarbeiten. Es war Schönfeld zu verdanken, dass Nobelpreisträger Professor Joseph Rot- blat als Präsident des Pugwash-Komitees 1998 nach Wien kam und an der Univer- sität einen Vortrag hielt. Ebenso war er maßgeblich daran beteiligt, dass es zu ei- ner Gründung des NGO Committee on Peace, mit Sitz im Vienna Inter- national Centre kam, an dem sich die verschiedenen österreichischen Frie- densorganisationen beteiligten. Schönfelds lebenslange Freundschaft mit seinem Lehrer Engelbert Broda drückte sich nicht nur in gemeinsamer Forschung zur Isotopenchemie aus. Schönfeld war auch einer der Herausge- ber von ausgewählten Schriften Brodas mit dem Titel „Wissenschaft, Verant- wortung, Frieden“. Nach dem Tod En- gelbert Brodas 1983 sorgte er für eine er- Der angehende, neunzehnjährige Chemiestudent Thomas Schönfeld nimmt im Febru- weiterte Ausgabe von dessen Biographie ar 1943 in der in London und New York erscheinenden Nummer von „Jugend voran“, über Ludwig Boltzmann, die Broda nicht der „Zeitschrift der österreichischen Weltjugendbewegung. Anti-Nazi Periodical of mehr zu Ende führen hatte können. the Austrian world youth-movement“, gegen Bestrebungen habsburgischer Restaura- Brodas Interesse für die Geschichte der tion und die damit verbundene Verniedlichung des Habsburgerimperialismus und der Wissenschaft in Österreich spricht aus habsburgischen Kriegsverbrechen 1914 bis 1918 Stellung. Angesichts gegenwärtiger diesen Vorhaben. Das gilt auch für Verklärung habsburgischer „Europaideologien“ ist Thomas Schönfelds Text ein aktu- Schönfeld. Er organisierte gemeinsam eller! (Zu den historischen Hintergründen vgl. Simon Loidl: Österreichische Kommu- mit Professor Fleischhacker das Sympo- nistInnen im Exil in den USA 1938–1945. Diplomarbeit Universität Wien 2004). sium anlässlich des hundertsten Todesta- ges von Josef Loschmidt, an dem Wis- ür uns junge Österreicher war der schreibt, dass die Monarchie eine „Völ- senschaftler aus der ganzen Welt teilnah- FName Habsburg mehr oder weniger kergemeinschaft“ war („Foreign Affairs“ men. Es war charakteristisch für Schön- ein geschichtlicher Begriff. Die Habs- Jänner 1942). Die Habsburger versuchen feld, dass er einige seiner Studenten für burgermonarchie war ein System, mit die Zertrümmerung der Monarchie auf dieses Symposium begeistern konnte, so dem unsere Eltern Schluss gemacht hat- die Friedensverträge zurückzuführen und dass neben den prominenten Professoren ten und deren Versuche wieder zu den Kampf der Völker gegen Zwang und auch junge Diplomanden zu hören wa- Macht zu gelangen, nicht den geringsten Unterdrückung zu vertuschen. ren. Auch für die 2003 erschienene Bio- Erfolg hatten. Aber heute erhebt sich das Vergessen wir nicht, dass die Monar- graphie der österreichischen Physikerin schwarze, oder besser gesagt das chie schon vor dem ersten Weltkrieg ein Marietta Blau hat Schönfeld wichtige schwarz-gelbe Gespenst der Habsbur- recht wankendes Gebäude war. Sie war Beiträge verfasst. Ohne seine Mitarbeit gerreaktion von Neuem. Es ist eine Ge- sozial rückständig und ein Anhängsel der wäre die Biographie nie erschienen. Es fahr für alle Völker, die mit der alten Berliner Außenpolitik. Trotz des Aufhet- war für Schönfeld selbstverständlich, Monarchie zu tun hatten, aber ganz be- zens von Volk gegen Volk und des Aus- dass er die Arbeitsgruppe GÖCH „Ge- sonders bedroht es den Freiheitskampf spielens von Gruppe gegen Gruppe woll- schichte der Chemie“ stets mit Anregun- des österreichischen Volkes. te die Opposition nicht nachlassen. Im gen und Vorträgen unterstützt hat. Die österreichisch-ungarische Monar- Kriege wurde der Widerstand immer Professor Thomas Schönfeld gehörte chie ist 1918 zerschlagen worden. Die größer, besonders in den slawischen Ge- einer Generation an, die gehofft hatte, Völker, die in ihr lebten, haben sie zer- bieten, aber auch in Österreich und Un- dass nach dem Sieg über den Faschismus trümmert, um nationales Selbstbestim- garn selbst. Schon der Jännerstreik des eine bessere und friedliche sozialistische mungsrecht zu erlangen. In ihrer Zei- Jahres 1918 zeigte, dass die österreichi- Zukunft bevorsteht. Trotz aller Enttäu- tung, „Voice of Austria“ (Jänner 1943) schen Arbeiter von der Herrschaft und schungen hat er nie aufgehört, sich mit bezeichnen die Habsburger das Selbstbe- dem Raubkrieg der Habsburger genug seiner ganzen Persönlichkeit dafür einzu- stimmungsrecht als „Hohles Schlag- hatten. In Wien herrschte Hunger und setzen, dass eine bessere Zukunft kommt. wort“ und Otto von Habsburg selbst Kohlennot; aber die Habsburger führten

3/08 Nachruf 25 den Krieg weiter und hunderttausende Österreicher mussten ihr Leben für die Ziele der preußischen und österreichi- schen Herrscher lassen. Aber die Geduld der Völker hat ein Ende. Die Sturmflut der Aufstände ver- jagte die Habsburger. Die Errichtung der österreichischen Republik wurde von der ganzen Welt begrüßt. Die Habsburger mussten fliehen, aber sie verzichteten nicht. Das große Intrigieren begann; Er- folge aber waren nicht zu verzeichnen. Der Februar 1934 muss als ihr erster Er- folg bezeichnet werden. Die Vernichtung der österreichischen Demokratie durch die Faschisten auf das Geheiß Mussoli- nis brachte auch Habsburg-Freunde ans Ruder. Leute wie Starhemberg und Zer- natto haben sich beim österreichischen Volk verhasst gemacht, und ihre Namen sind nicht vergessen worden. Monarchi- stische Propaganda wurde legalisiert, und Habsburgerprinzen zeigten sich in Heimwehruniformen, aber sie kamen keinen Schritt vom Fleck. Ihre Unbe- liebtheit beim österreichischen Volk war so groß, dass nicht einmal Mussolini sich Studienbuch der Universität Wien vom 20. Oktober 1947: Thomas Schönfeld setzt ihrer bedienen wollte. nach der Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil das Chemiestudium an der Heute sind die Habsburger wieder ak- Universität Wien fort. tiv. Sie hoffen im Krieg zu erreichen, was ihnen im Frieden nie gelungen ist: Das alles klingt wie Nazi-Propaganda, kämpfen und für das befreundeter Völ- gewaltsame Restauration und Aufrich- und es nützt auch niemandem anderen, ker eintreten, auch wenn sie monarchisti- tung einer Diktatur über alle Länder im als den bestialischen Faschisten. Der of- scher Gesinnung waren oder sind, aber Donauraum, die entweder ganz oder fene Kampf gegen die Hitlerdiktatur in Habsburgs Programm heißt Unter- teilweise zur alten Monarchie gehört ha- den unterdrückten Ländern hat begon- drückung, Annexion , neue Tyrannei und ben. Der Krieg hat für sie nur den einen nen und sich bereits zu einem bedeuten- neuer Kampf gegen alle Demokraten. Sinn: Restauration! Sie hassen alle, die den Faktor entwickelt. Nur wenige Mit solchen Zielen gibt es keinen Kom- demokratisch denken und für den Auf- Waffen stehen den heldenhaften Kämp- promiss. Wie alle anderen Völker wird bau einer freien Welt nach der Ausrot- fern zur Verfügung, und sie erwarten das österreichische Volk in Zukunft sein tung des Faschismus eintreten. die aktive Unterstützung der demokrati- eigenes Schicksal entscheiden und seine Das Habsburgorgan „Voice of Aus- schen Mächte. Entsteht auch nur der Führer selbst wählen. Habsburg schädigt tria“ (Jänner 1943) beschimpft die „ein- Anschein, dass nach Hitler Habsburg und zersplittert den Kampf gegen den gebildeten Leute tschechischer, jugos- kommen könnte, so lähmt man den anti- Faschismus und gefährdet den Sieg. lawischer und polnischer Abstam- faschistischen Kampf und hilft Hitler. Habsburg muss von der Bildfläche mung“, die in dem Kampf gegen Hitler Das ist ein Schlag nicht nur gegen die verschwinden, weil wir für die Freiheit einen Freiheitskrieg sehen. Sie hetzen Donauvölker, sondern gegen alle ver- des österreichischen Volkes kämpfen gegen England, weil ihre Pläne beim bündeten Nationen. und siegen müssen. englischen Volk auf Widerspruch ge- Für Österreichs Freiheitskampf ist stoßen sind. Sie treiben einen Keil zwi- das Auftreten der Habsburger beson- Neuerscheinung schen die Sowjet-Union und die ande- ders schädlich. Die Untergrundbewe- ren Verbündeten Nationen, indem sie gung hat festere Formen angenommen Claudia Kuretsidis-Haider/Heimo heuchlerisch behaupten, dass der Ar- und Guerillatätigkeit hat eingesetzt. Halbrainer/Elisabeth Ebner (Hrsg.): beiter durch die Teilnahme der Sowjet- Der Naziterror wütet vergeblich. Es „Mit dem Tod bestraft“ Union „verwirrt werden könnte“. (Otto wäre eine Katastrophe, wenn das öster- Historische und aktuelle Aspekte Habsburg, N. Y. Times, 14. Juli 1942). reichische Volk nur den leisesten Ver- zur Todesstrafe – In letzter Zeit wenden sie sich gegen dacht schöpfen könnte, dass alle seine Gesellschaftspolitik, Strafjustiz amerikanische Demokraten, die auf Opfer nicht zur Befreiung, sondern zu und Völkerstrafrecht dem Boden des Atlantic Charter ste- erneuter Tyrannei führen sollten. Graz: Clio – Verein für Geschichts- hend, den Restaurationsgedanken ab- Die Österreicher in allen Ländern müs- und Bildungsarbeit 2008 lehnen. Die Entrüstung vieler amerika- sen eine klare Stellung zu Habsburg be- nischer Zeitungen über ihre Intrigen ziehen. Wir wollen mit allen jenen zu- ISBN 978–3–902542–16–8 wird als „tschechisch-kommunistische sammenarbeiten, die bereit sind für 220 S., 22,00 Euro Hetzkampagne“ bezeichnet. Österreichs Selbstbestimmungsrecht zu Bestellungen: [email protected]

3/08 26 Rezensionen Der österreichische wälte bis in die letzten Tage Todesurteile drei Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ als ein auf Grund des „Heimtückegesetzes“, der Ergebnis des antifaschistischen Kampfes Widerstand 1938–1945 „Wehrkraftzersetzung“, des „Hochver- allmählich zerfiel. Mit dem Kalten Krieg it seinem Buch „Der österreichische rats“ verfügt haben. Wegen Schwarz- wurden die KommunistInnen ausge- MWiderstand 1938–1945“ hat Wolf- hörens, „Rassenschande“ oder Hilfe für grenzt, um Nazistimmen gebuhlt und der gang Neugebauer, der langjährige Leiter Juden oder Kriegsgefangene wurden Widerstand „angezweifelt, bagatellisiert des Dokumentationsarchivs des öster- Menschen ins KZ eingewiesen. Die Ent- oder geleugnet“ (S. 239). Neugebauer reichischen Widerstandes (DÖW) ein eignung, Entrechtung und Vertreibung schreibt: „Nur wenn es darum ging, sich wichtiges Stück österreichische Zeitge- der Juden wurde durch antijüdische Ge- außenpolitische Vorteile zu verschaffen schichte wissenschaftlich erarbeitet und setze „legalisiert“. Mit der T4-Euthana- oder bei feierlichen Anlässen wurde der dokumentiert. Umfassend werden die vie- siemordaktion töteten Ärzte viele Kinder Widerstand verbal hochgehalten. Das of- len Facetten des Widerstands auf der und behinderte Menschen. Durch das fizielle Österreich hat lange gebraucht, Grundlage eines reichen Quellenmaterials Einschleusen von Spitzeln in die Wider- um sich zu einem Einbekenntnis der Mit- von NS-Justizakten und Interviews darge- standsgruppen und durch Denunzianten verantwortung der Österreicher am Natio- legt. Ausführlich behandelt werden die aus allen gesellschaftlichen Schichten nalsozialismus durchzuringen“ (S. 238). verschiedenen Gruppen, ihre Motivatio- wurden Tausende zum Tode verurteilt. Erst im Juli 1991 hat das erstmals der nen und die vielfältigen Arten des Wider- Die Gesamtzahl aller aus politischen Bundeskanzler Franz Vranitzky getan. In stands. Hervorragende Persönlichkeiten, Gründen Inhaftierten wird mit ca. der Bewertung des Widerstands und sei- aber auch viele weniger bekannte Frauen 100.000 angegeben (S. 236). ner Anerkennung hat sich vieles geändert. und Männer aus allen politischen Lagern Eindrucksvoll und bewegend geben die In Schulen, in der Öffentlichkeit ist Wi- werden mit Kurzbiografien und teilweise Namen und das Schicksal von vielen Wi- derstand zum diskutierten Thema gewor- auch mit Fotografien gewürdigt. derstandskämpferInnen ein lebendiges den. Viele engagierte HistorikerInnen ha- Um nur einige der wichtigsten Gruppen Bild vom Mut und der Charakterstärke ben durch ihre Forschung dazu beigetra- zu nennen: Der organisierte politische von KommunistInnen, SozialistInnen und gen. Aber immer noch finden die „alljähr- Widerstand der KommunistInnen und ChristInnen, die ihr Leben im Kampf ge- lichen berüchtigten Ullrichsbergtreffen in SozialistInnen und anderer kleinerer lin- gen das grausame faschistische Regime Kärnten statt, wo Kriegsveteranen und ker Gruppen, der religiös motivierte Wi- für die Befreiung Österreichs einsetzten. SS-Angehörige aber auch junge Rechtex- derstand von Priestern und Ordensfrauen Bei der Präsentation seines Buches tremisten in Erscheinung treten, biedern und der Zeugen Jehovas, der jüdische wies der Autor darauf hin, dass die allsei- sich Landes- und Bundespolitiker in pa- Widerstand, der bewaffnete Widerstand tige Darstellung des Widerstands und sei- thetischen, zum Teil pronazistischen Re- der Partisanen, der Widerstand im Militär nes Ausmaßes nicht selbstverständlich den an die Kriegsgeneration an“. In die- und durch Desertion, der Widerstand in seien. Das konnte man auch bei den Ge- sem Zusammenhang betont der Autor: den Gefängnissen und Konzentrationsla- denkfeiern feststellen. Der Widerstands- „Am deutlichsten sichtbar wurde die gern und der Widerstand der Betroffenen kampf der KommunistInnen wird vom zwiespältige Einstellung der österreichi- und der Kirche gegen die Euthanasie, so- offiziellen Österreich fast totgeschwie- schen Politik zu Nationalsozialismus und wie die überparteilichen Widerstands- gen. Neugebauer dokumentiert, dass mit Zweiten Weltktieg am Beispiel der Aus- gruppen in der Endphase 1944/45 wie der Erklärung des ZK der KPÖ vom 12. stellung über die Verbrechen der Wehr- zum Beispiel die Gruppe O5. Auch der März 1938 die kommunistische Partei macht. Aus Opportunismus gegenüber Widerstand der ÖsterreicherInnen im Exil vom ersten Tag der Besetzung an zum der Kriegsgeneration weigerten sich viele wird behandelt: z.B. Die mündliche und Widerstand aufgerufen hat und Kommu- Regionalpolitiker die Ausstellung zu un- schriftliche Aufklärungsarbeit in Belgien nistInnen für die Wiederherstellung der terstützen oder den Ehrenschutz zu über- und Frankreich unter den deutschen Be- Unabhängigkeit Österreich gekämpft ha- nehmen“ (S. 239). satzungssoldaten, die Teilnahme am ben. Auch der Kampf gegen die Kultur- Das Buch von Wolfgang Neugebauer Krieg in den Armeen der Alliierten und barberei und gegen den Antisemitismus ist ein wertvoller Beitrag zur Erhellung das österreichische Freiheitsbataillon in wurde in diesem Aufruf als Zielvorstel- dieses dunklen Kapitels unserer Ge- Jugoslawien. Gezeigt wird auch der unor- lungen festgelegt (S. 66). Wolfgang Neu- schichte und den Auswirkungen bis heu- ganisierte Widerstand durch Schwarz- gebauer schreibt: „Wenn man von den te. „In einer Zeit, in der – zu Recht – sehr hören, regimefeindliche Äußerungen, Hil- vorhandenen Polizei- und Gerichtsakten viel über österreichische Täter, über fe für Juden und Kriegsgefangene usw. ausgeht, war der Widerstand der Kom- Schuld und Verantwortung von Österrei- Das Buch gibt auch einen informativen munistInnen zahlenmäßig der mit Ab- chern für den Nationalsozialismus ge- Überblick über den Nationalsozialismus stand stärkste von allen politischen Grup- sprochen wird, in der das mangelnde in Österreich, der schon vor der deut- pen. Vom VGH und OLGH Wien wur- Eintreten zugunsten jüdischer Menschen schen Besetzung mit Terrorakten und den mehr KommunistInnen verurteilt als und anderer Verfolgter beklagt wird, Unterwanderung der Polizei und anderer von allen anderen Gruppierungen zusam- sollten die Österreicherinnnen und Institutionen eine aktiv illegale Bewe- men“ (S.68). Das erklärt auch die hohe Österreicher, die unter Einsatz ihres Le- gung war. An vielen Beispielen wird der Zahl von 2.000 Todesopfern, die die bens dem mörderischen Naziregime wi- mutige Widerstand gegen das verheeren- KPÖ zu beklagen hatte. derstanden, die ein anderes, ein von hu- de System des Nationalsozialismus do- In seiner Analyse der Haltung der manen und kulturellen Werten geprägtes kumentiert. Dieses System hatte einen Nachkriegsregierungen und breiter Österreich repräsentierten, jedenfalls gewaltigen Repressionsapparat, der mit Schichten der österreichischen Bevölke- nicht gering geschätzt werden“ (S. 238). Folter und Mord seine Gegner vernichte- rung, die dem Widerstand skeptisch bis Möge das Buch Wolfgang Neugebau- te, der den Massenmord an Juden durch- feindlich gegenüberstanden, wird gezeigt, ers von vielen jungen Menschen gelesen führte und dessen Richter und Staatsan- wie die anfängliche Zusammenarbeit der werden und damit der Widerstand ge-

3/08 Rezensionen 27 gen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, ter aus dem Fokus des wissenschaftlichen Deutung teile, die realsozialistischen Antisemitismus und Antikommunismus Interesses. Zur informellen Norm in der Staatswesen seien allein an Demokratie- – gegen Unmenschlichkeit und Unrecht bürgerlichen Forschung wurde bald ein defiziten zugrunde gegangen“ (S. 248f.). gestärkt werden. ideen- und personengeschichtlicher An- Für die Süddeutsche Zeitung ist dies der IRMA SCHWAGER satz, der den Holocaust einer faschismus- „Trotz“, der die „sachlich-gelassenen“ Wolfgang Neugebauer: Der österreichi- theoretischen Erklärung entrückte, an die- Passagen des Buches konterkariert. Denn, sche Widerstand 1938–1945. Wien: Edi- jenige eines unerklärbaren, irrationalen so wird mit erhobenem Zeigefinger ange- tion Steinbauer 2008, 287 S., 22,50 Euro. und als „wahnwitzig“ apostrophierten merkt: „Kurt Pätzold hat das System der Massenmördertums band und solcherart DDR gutgeheißen, zu seiner Meinung in Richtung eines „negativen“ Kulminati- steht er noch heute.“ Diese Auffassung ist Es gibt nur einen Pätzold onspunktes der Weltgeschichte mystifi- symptomatisch für den Umgang des heuti- Zu den Memoiren des zierte. Pätzold dagegen begreift die fa- gen Deutschlands mit seiner jüngsten Ver- Historikers Kurt Pätzold schistische Judenpolitik im Sinne einer gangenheit. Pätzold ist ein Großer seiner ereits zu Anfang des neuen Jahrtau- materialistischen Geschichtsauffassung Zunft und kann nicht einfach kommentar- Bsends hat Kurt Pätzold, einer der re- als Teil der umfassenden Expansionsstra- los beiseite geschoben werden. Darum nommiertesten Faschismusforscher unse- tegien der Nazis und insistiert nachdrück- wird gegenübergestellt: Den Pätzold der rer Zeit, persönliche Rückblicke veröf- lich auf eine genaue zeitliche Verortung SED gegen den Pätzold der Relegation fentlicht (Wendezeit – Zeitwende. Bericht der unterschiedlichen Etappen der Juden- von der Akademie der Wissenschaften an über einen Abbruch. Berlin 2001). Blie- verfolgung, die immer den „großen“ poli- die HUB, weil er an Westgesprächen teil- ben diese jedoch bezogen auf die Um- tischen Dispositionen des deutschen Fa- nahm. Den Pätzold der so genannten Di- bruchjahre 1989/90, deckt der nun vorlie- schismus und seiner kapitalistisch gepräg- mitroff’schen Faschismustheorie gegen gende Band das ganze Leben des 1930 in ten Eroberungspläne nachgeordnet blieb – den Pätzold als Verfasser der bahnbre- Breslau geborenen Historikers ab und „Auschwitz existierte 1933 auch in den chenden Arbeiten zu Rassenwahn und Ju- wird dem Untertitel „Erinnerungen“ mehr Phantasien selbst dieser Judenhasser denverfolgung im Dritten Reich. Man will als gerecht. Das Buch liefert einen in der- nicht“ (S. 191). Der Holocaust könne und es sich ja leicht machen. Dass die materia- artiger Perspektive bislang einmaligen dürfe in diesem Deutungshorizont jedoch listische – nicht einfach nur „Dimitroff’- Einblick in das Innenleben der ostdeut- nicht mehr als der alles determinierende sche“ – Faschismustheorie das unerlässli- schen Geschichtswissenschaft nach Nervus rerum der Nazi-Herrschaft be- che Fundament für seine Arbeiten zum 1945/49, deren Etappen Pätzold allesamt zeichnet werden: „Ohne die Vorausset- Holocaust darstellt, wird einfach ignoriert. als persönlich involvierter Akteur (Stu- zung, dass den faschistischen Rassisten Und dass damit wiederum eine Verpflich- dent, Sekretär einer universitären Grund- die Juden nicht als Menschen galten, gibt tung zur aktiven politischen Partizipation organisation, Wissenschaftler an Akade- es keine Erklärung des Massenmordens. und deklarierten Parteinahme für die ent- mie und Universität, Inhaber einer ordent- Doch dieser Rassenwahn gibt nur eine schlossenste Bewegung gegen Ausbeu- lichen Professur, Sektionsleiter) durchlief. Koordinate für jenes System ab, in dem tung, Tyrannei und Faschismus, für den Es erhellt Fakten, Zusammenhänge und das Verbrechen seinen geschichtlichen Sozialismus, verbunden ist, überfordert Entwicklungen auf dem Gebiet der ost- Platz hat.“ (S. 202) Mit einer derart diffe- die Kommentatoren schlichtweg – oder deutschen Geschichtswissenschaft und renzierenden Sichtweise machte sich Pät- wird bewusst ins Eck einer persönlichen entwirft ein dem eigenen kritischen An- zold auch in der DDR nicht nur Freunde. „Verirrung“ abgedrängt, als „Spleen“ ab- spruch Pätzolds verpflichtetes Gesamtbild Pätzold versteht die Geschichtswissen- qualifiziert, um sich nicht selbst von unan- dessen, was es bedeutete, in der DDR und schaft als eminent politische Disziplin. genehmen Fragen tangieren zu lassen. an ihren verschiedensten Institutionen als Daher ist seine Schilderung von Interes- Mit der Zerschlagung der DDR und der Historiker tätig gewesen zu sein. se, wie teils ignorant sich die Führung als „Abwicklung“ titulierten Liquidation Pätzold kam 1965 an die Humboldt- seiner Partei, der SED, die der „Intelli- ihres Wissenschaftssystems wurde von Universität zu Berlin, nachdem er zuvor genz“ ein traditionelles Misstrauen entge- Seiten der nunmehr um das Gebiet Ost- an der Akademie der Wissenschaften der genbrachte, gegenüber dem Sachverstand deutschlands erweiterten BRD dafür ge- DDR beschäftigt war, von dort jedoch ihrer eigenen Wissenschaftler verhielt. sorgt, dass marxistische Positionen in der nach der Teilnahme an einem informellen Teils herrschte eine Atmosphäre aus Geschichtswissenschaft bis auf einzelne Abendgespräch mit westdeutschen Histo- „Zensur und Selbstzensur“ (S. 151). Die Ausnahmen vollständig marginalisiert rikerkollegen im Zuge des Historikertages „Erinnerungen“ drücken sich auch nicht (bis hin zu kriminalisiert) wurden. Pät- der BRD 1964 (in Westberlin) strafver- vor der Benennung konkreter Vorfälle. zold selbst wurde 1992 von der Hum- setzt wurde (S. 160f.). Im Zuge seiner Mit- Pätzold erwähnt die Durchsetzung boldt-Universität mit der doppelten Be- arbeit an einem Lehrbuch in der Reihe scheindemokratischer Verfahren auf al- gründung gekündigt, ihm fehle einerseits „Deutsche Geschichte“ fand er hier, an der len Ebenen bis hin zur Universität, die die wissenschaftliche Qualifikation, habe Universität, sein Lebensthema: die Verfol- die Wahlakte „nahezu zur Farce“ ver- er doch noch in den 1970er Jahren die gung und Ermordung der Juden durch die kommen ließen (S. 114); erklärt auch in Dimitroff’sche Faschismusdefinition deutschen (und europäischen) Faschisten. der gebotenen Ausführlichkeit die ihm vertreten (S. 267), andererseits auch die In einer Zeit, da sich die Forschungen nach 1990 zur Last gelegten Disziplinar- erforderliche „persönliche Eignung“. zum Holocaust weitestgehend verselbst- fälle der Jahre 1968 und den Grad seiner Das von ihm bemühte Arbeitsgericht ständigt hatten und es kaum eine US-Uni- persönlichen Verwicklung darin Berlin gab in der Folge nicht nur sein ju- versität gab, die nicht einen eigenen Lehr- (S. 184ff.). In der Rückschau bemerkt er ristisches Placet zur Vorgangsweise der stuhl für so genannte „Holocaust studies“ selbstkritisch, dass „mir unsere Entschei- Universität, sondern bezeichnete die eingerichtet hatte, rückte der generelle dungen als Sargnägel (erschienen), wenn Kündigung Pätzolds sogar als „zwingend Kontext der Judenverfolgung immer wei- ich auch bis heute nicht die monokausale gebotene Maßnahme […], um einen Ä

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Mitteilungen der ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT „Wege zum Fortschritt“ Herausgeber und Medieninhaber: ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT 90 Jahre Republik – 90 Jahre KPÖ Präsident: Dr. Walther Leeb Mitarbeiter dieser Ausgabe: Hans Hautmann, Symposium Martin Krenn, Hans Mikosch, Gerhard Oberkof- Graz, Samstag, 8. November 2008, 10.00–18.00 ler, Robert Rosner, Irma Schwager Grafik: Manfred Mugrauer KPÖ-Bildungszentrum im Volkshaus Graz Adresse: Drechslergasse 42, 1140 Wien Lagergasse 98a, 8020 Graz Tel.: (+43–1) 982 10 86 FAX: (+43–1) 982 10 86 DW 18 Wien, Samstag, 15. November 2008, 10.00–18.00 e–mail: [email protected] ehemalige Kapelle im Alten AKH, Spitalgasse 2–4/Hof 2, 1090 Wien Internet: www.klahrgesellschaft.at Vertragsnummer: GZ 02 Z 030346 S P.b.b., Verlagspostamt 1140 Wien

Ä Mitarbeiter in der Position eines or- dentlichen Professors zukünftig daran zu hindern, seine undemokratische Gesin- nung und seine verfehlten Vorstellungen zur Durchsetzung der jeweils herrschen- den Rechtsordnung [sic!] auf die Studen- ten einwirken zu lassen“. Das Gericht „enttarnte“ Pätzold damit nicht nur von Amts wegen als Antidemokraten, son- dern führte – im Widerspruch dazu – so- gar seine demokratische Wahl zum De- kan der Fakultät für Gesellschaftswissen- schaften als zusätzliches Erschwernis an, „da die Wähler […] sicherlich überwie- gend dem Personenkreis angehörten, de- nen der Kläger zuvor durch vielfältige ‚Erziehungs- und Auswahlkriterien‘ ein 10.00 Begrüßung durch Dr. Walther Leeb, Franz Stephan Parteder klassenbewußtes Verhalten aufgezwun- gen hatte“. Die Geschichte kennt offen- 10.30 Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann (Institut für Neuere und Zeitgeschich- sichtlich kein Pardon… te der Universität Linz): Die KPÖ in der österreichischen Revolution 1918/19 Kurt Pätzold will sich dennoch mit dem 11.30 Dr. Winfried R. Garscha (Dokumentationsarchiv des österreichischen von ihm formulierten Diktum nicht abfin- Widerstandes, Forschungsstelle Nachkriegsjustiz): Grundlinien der Politik der den, wonach die Sieger die Geschichte ih- KPÖ in der Ersten Republik und im antifaschistischen Widerstand rer Siege schreiben und zugleich die Ge- schichte der Niederlagen ihrer Gegner. 12.30–13.45 Mittagspause Seine „Erinnerungen“ sind geschrieben 13.45 Mag. Manfred Mugrauer (Alfred Klahr Gesellschaft): „in eigener Sache“, nicht zuletzt auch als Die Politik der KPÖ 1945–1955/56 „Gegenschrift“ zu den „Zerr- und Horror- bildern“, die von den Zeiten entworfen 14.45 Univ.-Prof. Dr. Hans Hautmann (Institut für Neuere und Zeitgeschich- werden, in denen sich das Leben Pätzolds te der Universität Linz): Die KPÖ in den 1960er bis 1990er Jahren vollzog. „Deren Autoren“, so der Autor, „ist das letzte Wort nicht zuzugestehen“ 15.45–16.15 Kaffeepause (S. 312). Er tut gut daran – sich selbst und 16.15 Univ.-Prof. Dr. Gerhard Oberkofler (Universität Innsbruck): allen aufrechten Marxisten unserer Zeit. Wissenschaft und Kommunistische Partei in Österreich MARTIN KRENN 17.00 Ernest Kaltenegger (KPÖ Steiermark): Kurt Pätzold: Die Geschichte kennt kein Die KPÖ Steiermark – kommunistische Politik heute Pardon. Erinnerungen eines deutschen Historikers. Berlin: edition ost 2008, Die Diskussion findet im Anschluss an die jeweiligen Referate statt. 318 S., 19,90 Euro.

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