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Sendung vom 02.01.2002, 20.15 Uhr

Franz Marischka Filmproduzent im Gespräch mit Kurt von Daak

von Daak: Herzlich willkommen beim Alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Franz Marischka, Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur. Er wurde am 2. Juli 1918 in Wien geboren, emigrierte 1939 nach London und kehrte 1946 als britischer Staatsbürger nach Wien zurück. Er schrieb über 100 Drehbücher, führte Regie bei rund 30 Filmen und ebenso vielen Fernsehspielen und Fernsehserien. Er hat sich jedoch noch nicht zur Ruhe gesetzt. Herr Marischka, was machen Sie heute? Marischka: Ich spiele bei den Seefestspielen in Prien am Chiemsee im "Weißen Rössl" den Kaiser Franz Joseph. Das macht mir irrsinnig viel Spaß und der Gag dabei ist, dass das "Weiße Rössl" 1910 geschrieben worden ist: Damals war der Kaiser Franz Joseph genauso alt wie ich heute, nämlich 83 Jahre alt. Das macht mir wirklich sehr großen Spaß. von Daak: Welcher von Ihren drei Berufen hat Ihnen denn am meisten Spaß gemacht? Marischka: Das kann ich sofort beantworten: das Schreiben. Der Autor ist immer der Glücklichste. Er kann sich alles noch alleine in seinem Kopf vorstellen und sich auch an allem in seinem Manuskript erfreuen. Was dann aber herauskommt, ist jedoch, wie wir wissen, nicht immer das Gleiche. Deswegen habe ich dann später auch selbst Regie geführt: In der Hoffnung, dass ich das, was ich geschrieben habe, auch noch irgendwie umsetzen kann. Aber das Dasein als Autor ist schon das Schönste. Ich schreibe auch heute noch: Ich schreibe noch Drehbücher. Ich habe z. B. gerade ein Buch für den "Bullen von Tölz" geschrieben. Darüber hinaus habe ich auch noch ein Musical-Manuskript in der Schublade liegen, das nun vielleicht endlich vertont wird. Ich schreibe also immer noch. von Daak: Sie haben ja auch Ihre Erinnerungen in einem Buch zusammengefasst mit dem Titel "Immer nur Lächeln". Einige Anekdoten aus diesem Buch können Sie uns ja jetzt erzählen. Marischka: Gerne. von Daak: Sie sind Mitglied einer berühmten Familie. Ihr Vater war , ein sehr bekannter Operettenstar. Ihr Großvater war Viktor Leon, ein berühmter Librettist. Ihr Patenonkel war der Komponist Franz Lehar. Erinnern Sie sich denn noch an Franz Lehar? Können Sie uns ein wenig von ihm erzählen? Marischka: Über Lehar kann ich natürlich etwas erzählen, aber doch nur relativ wenig. Ich habe ihn selbstverständlich als Kind oft gesehen und habe damals auch brav meinen Diener vor ihm gemacht. Seine Frau, die Tante Sophie, hatte ich sehr gerne: Ihr habe ich natürlich immer die Hand geküsst. Sie hat immer schwarzen Kaffee getrunken und sehr viel geraucht. Ich hatte sie wirklich sehr gerne. Ihn selbst habe ich eigentlich relativ wenig gesehen. Als ich damals aus England zurückgekommen bin, habe ich freilich auch in Ischl Halt gemacht und ihn besucht: Das war im Jahr 1948 und da war er schon bettlägerig. Er hat mich gestreichelt und zu mir gesagt: "Du warst ja immer so gescheit!" Na ja, wie sagt schon Nestroy: "Nachher ist jeder ein guter Prophet." Eine Geschichte, die ich auch in diesem Buch festgehalten habe, wird mir jedoch für immer unvergesslich bleiben. Ich saß an einem Vormittag mit meinem immer braun gebrannten Großvater im Garten. In dem Moment läutete nun das Telefon. Das Telefonklingeln hat ihn am Vormittag aber immer gestört, weil er da seine Zeitung gelesen hat. Mit einer kleinen Kopfbewegung hat er mir daher draußen auf der Terrasse bedeutet, ich solle nachschauen, wer dran ist. Ich ging also ans Telefon und hörte Folgendes: "Hier spricht Lehar, kann ich deinen Großvater sprechen", denn er hat sofort gewusst, wer am Telefon ist. Ich war ganz aufgeregt, lief wieder hinunter in den Garten und sagte: "Großpapa, der Onkel Franz ist dran!" - "Frag ihn, was er will!" Ich ging also wieder die Treppe hoch und sagte zu Lehar: "Küss die Hand, Onkel Franz" – denn so haben wir damals die älteren Leute noch angesprochen, wir haben es zwar so gut wie nicht mehr getan, aber gesagt haben wir es immer noch – "hier spricht der Zwetschi." Denn so wurde und werde ich ja bis heute genannt. "Ich weiß, mein Kind. Kann ich denn jetzt deinen Großvater sprechen?" - "Der kann im Augenblick nicht. Er lässt aber fragen, was du denn möchtest." - "Sag deinem Großvater, er soll ans Telefon kommen." - "Der Großpapa kann aber im Augenblick nicht. Kann ich ihm vielleicht etwas ausrichten?" - "Sag ihm, dass die Metro-Goldwyn-Mayer und der Ernst Lubitsch die 'Lustige Witwe' als Tonfilm verfilmen wird!" Ich laufe also wieder runter und sage: "Großpapa, die Cetro-Boldwin-Meier" – ich wusste damals mit meinen elf Jahren ja noch gar nicht, wer das sei – "verfilmt die 'Lustige Witwe'". Mein Großvater schaute nur kurz von der Zeitung auf und meinte: "Frag ihn, wie viel!" Ich also wieder die Treppe nach oben zum Telefon: "Onkel Franz, der Großpapa lässt fragen, wie viel denn..." Weiter kam ich nicht, denn er schrie schon ins Telefon: "Das ist doch ganz wurscht! Die Ehre! Es geht um die Ehre!" Ich rannte also wieder nach unten und erzählte das dem Großpapa. Er legte die Zeitung beiseite und sagte: "Sag deinem Taufpaten, wenn es um die Ehre geht, dann soll er sich ein Denkmal bauen lassen!" Ich kam aber gar nicht mehr dazu, ihm das zu sagen, denn als ich oben wieder ankam, hat er nun noch gesagt: "Ja, ja, ich kenn' ihn ja", und aufgelegt. Sie wissen ja aus meinem Buch, dass mein Großpapa ihn praktisch "gemacht", ihn entdeckt hatte. Denn Lehar ist in seiner Anfangszeit eineinhalb Jahre lang hinter meinem Großvater, dem großen Viktor Leon, hergelaufen. Er war nämlich der Autor, der schon für den großen Johann Strauß geschrieben hatte. Stellen Sie sich das mal vor: Mein Großvater war erst 28 Jahre alt, als ihn der große Johann Strauß kommen ließ und zu ihm sagte: "Sie sind der begabteste Autor, kann ich von Ihnen ein Libretto haben?" Das wäre so, als wenn mich damals Richard Burton nach Hollywood hätte rufen lassen. Die beiden unterhielten sich dann und mein Großvater wurde von ihm gefragt, an was er dann gerade schreiben würde. Er erzählte dem Johann Strauß, dass er gerade für irgendeinen Komponisten dieses und jenes schreiben würde und erwähnte noch, dass er an einem Libretto nach dem Roman "Simplicius Simplicissimus" von Grimmelshausen säße. Strauß wurde plötzlich ganz verrückt danach und sagte zu ihm, dass er das unbedingt haben müsse. Er hat dann mit eigenem Geld den Komponisten, für den das eigentlich gedacht war, ausbezahlt, so verrückt war er nach diesem Stoff! Er wollte halt unbedingt auch mal eine Oper schreiben. Wie alle Operettenkomponisten hatte er einen Hang zur Oper. Auch Franz Lehar ging es später so. Das Problem war aber nur: Sie konnten das nicht. Auch Johann Strauß konnte keine Opern schreiben! Umgekehrt war es freilich genauso: Puccini wollte immer eine Operette schreiben, konnte es aber ebenso wenig. von Daak: Kommen wir zurück zu Ihrer Kindheit: Wie war denn Ihr Vater Hubert Marischka? Marischka: Na, mein Vater war ein ganz, ganz Großer. Heute würde man so jemanden als Megastar bezeichnen. Für ihn wurden sogar Operetten wie "Gräfin Mariza", "Teufelsreiter" usw. geschrieben. Auch der Emmerich Kalman ist ihm mal ein Jahr lang hinterhergelaufen: Wenn nämlich der Marischka am "" - das hat damals auch uns gehört, wie noch zwei andere Theater - ein Stück herausgebracht hat, dann war das automatisch bereits ein Erfolg. Er war wirklich ein Superstar. Wie habe ich ihn als Kind erlebt? Nun ja, wenn man als Kind eines solchen Superstars geboren wird, dann hat man schon ein bisschen Angst vor ihm: Denn ich habe ihn ja immer nur mit einer Entourage von drei, vier Leuten gesehen, die um ihn herumschwänzelten. Ich war also immer ein bisschen beklommen ihm gegenüber. Später, als ich aus der Emigration zurückgekommen und Drehbuchautor geworden war, habe ich plötzlich mit ihm zusammen Filme geschrieben: Da wurden wir wirklich befreundet. Denn wenn Leute zusammen ein Drehbuch schreiben, dann müssen sie sich dafür quasi voreinander ausziehen: Sie kennen alles voneinander! Wenn man monatelang zusammensitzt und über jedes Detail streitet, dann geschieht das ganz von alleine. Bei unseren Diskussionen ging es z. B. um so Fragen wie: Wie kommt es dazu, wie macht es dieser junge Mann, dass er dieses junge Mädchen bekommt? Wenn es um solche Sachen geht, dann lernt man dabei seinen Drehbuchpartner wirklich sehr genau kennen. Ich hatte also das wahnsinnige Glück, dass ich meinen eigenen Vater so kennen lernen durfte wie kein anderer Mensch oder doch wie nur ganz wenige andere Menschen ihren Vater je kennen lernen dürfen. Er wurde wirklich mein Freund. Wir haben dabei natürlich auch gestritten, selbst über Kleinigkeiten. Ich musste beim Drehbuchschreiben z. B. immer wissen, wie sich der junge Mann denn nun genau um das junge Mädchen bemüht, wie, mit welchen Tricks und Kniffen, er sie bekommt. Das ist ja das Faszinierende an solchen Stoffen. Ich musste mich ja auch selbst in meinem Leben in solchen Situationen immer ein wenig anstrengen, um da zum Erfolg zu kommen. Meinem Vater dagegen ist es nie so gegangen: Er wusste tatsächlich nicht, wie man das macht, denn er war es, der von den Frauen immer genommen wurde. Er war vier Mal verheiratet, er war bildhübsch und sah wirklich wunderbar aus: Dazu kam, dass er ja immer ein Star gewesen ist. Er wusste daher wirklich nicht, wie man sich als Mann um eine Frau bemühen muss. Das ist z. B. so eine Kleinigkeit, über die man den eigenen Vater plötzlich besser kennen lernen kann. von Daak: Ihre Mutter haben Sie ja leider nie richtig kennen gelernt, denn sie starb, als Sie vier Monate alt waren. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sie jedoch aus Erzählungen nachträglich kennen lernten. Was hatten Sie denn dadurch für einen Eindruck von Ihrer Mutter? Marischka: Sie muss unglaublich witzig gewesen sein und sie war auch die eigentliche Entdeckerin von Lehar gewesen. Sie hatte auf dem Klavier andauernd ein ganz bestimmtes Lied geklimpert, bis mein Großvater, also ihr Vater, schier verrückt geworden ist und sie gefragt hat: "Was spielst du denn da die ganze Zeit?" - "Das ist vom Kapellmeister aus dem Eislaufverein! Papa, dem musst du eine Chance geben!" Mein Großvater war, wie gesagt, ein ganz Großer und hatte z. B. schon den "Opernball" mit Heuberger oder später "Wiener Blut" mit Johann Strauß hinter sich. Mein Großvater ließ ihn also kommen. Ich weiß das deshalb, weil ich einen Brief aus dieser Zeit bis heute aufbewahrt habe. Lehar kam nach Hitzing raus, wo wir wohnten: Er war etwas verfrüht und so machte ihm meine Mutter mit ihren damals 15 Jahren die Tür auf und ließ ihn herein. Als mein Großvater dann nach Hause kam, waren die beiden schon die besten Freunde. Meine Mutter war unglaublich aufgeschlossen für alles Moderne: Sie muss wirklich eine unglaublich begabte Person gewesen sein. Sie hat sich nicht nur für Lehar, sondern später auch für oder Gustav Mahler interessiert. Die neue Zeit muss sie unerhört fasziniert haben. von Daak: Sie sind ja bei Ihren Großeltern aufgewachsen: Wie war denn diese Kindheit? Marischka: Sie war ein Glück für uns. Meine Mutter starb, wie gesagt, sehr früh, als ich gerade mal vier Monate alt war. Der große Schmerz für ihre Eltern war allerdings ein wenig gelindert durch die Tatsache, dass deswegen deren Haus plötzlich voller Kinder war. Meine Schwester, mein Bruder und ich als Kleinster lebten von da an bei den Großeltern. Für uns war das ein sehr großes Glück: Meine Großeltern waren nämlich unglaublich fabelhafte Menschen, sehr witzig und sehr gescheit. Ich schreibe in meinem Buch ja auch einige Anekdoten über sie. Ich bekam z. B. 1937 eines Tages aus England von meiner damaligen und auch späteren Freundin, die mich danach dann ja auch nach England gebracht hat, das allerneueste Buch zugeschickt. Es war das Buch "Gone with the Wind", also "Vom Winde verweht". Ich konnte damals schon Englisch und habe daher dieses Buch sofort verschlungen. Mein Großvater, der damals schon weit über 80 Jahre alt war, hat das auch sofort gelesen. Er konnte ebenfalls genug Englisch, um dieses Buch zu lesen. Wir beide waren wirklich fasziniert von diesem Buch und haben dann mehr aus Quatsch heraus gesagt, dass das doch eigentlich ein fertiger Film sei. Es war also klar, wir machen daraus ein Drehbuch! Das war lange, bevor dieser Film in Hollywood überhaupt geplant war. Das spielte sich folgendermaßen ab: Ich habe die ganze Nacht über geschrieben und ihm dann am Vormittag im Garten vorgelesen, was ich in der Nacht davor alles verbrochen hatte. Er hörte mir zu und meinte irgendwann plötzlich zu mir: "Gott, bist du altmodisch! Das ist ja nicht zum aushalten!" Ich habe mir nur gedacht: Wie kann den ein 84-Jähriger einem 18-Jährigen vorwerfen, er sei altmodisch? Er sagte dann nur noch: "Komm mal einen Moment mit in die Bibliothek, ich zeig dir was!" Wir gingen in die Bibliothek und dort nahm er dann Bücher von Bernhard Shaw, Molnar usw. und auch von sich aus den Regalen. Er selbst hatte ja auch wahnsinnig viel geschrieben. Er sagte dann zu mir: "Jetzt zeige ich dir einmal, wie so eine Szene zu laufen hat!" Ich habe angefangen zu lesen und war danach quasi am Boden zerstört: Alles, was ich in der Nacht gedichtet hatte, hatte bereits vor mir jemand geschrieben, und das auch noch besser! Mir wurde klar, dass ich tatsächlich altmodisch war. Das war etwas, das ich davor tatsächlich noch nicht gewusst hatte. Als ich dann ganz zerstört war, hat er plötzlich ein Buch von Kurt Tucholsky aus dem Regal genommen und zu mir gesagt: "Lies das!" Das war ein kleines Feuilleton von Tucholsky mit dem Titel "Spuren im Schnee". Der Inhalt ging ungefähr folgendermaßen: "Wenn du auf einen Berg steigst und schon denkst, du wärst der Größte, entdeckst du plötzlich Spuren im Schnee. Es ist also schon einer vor dir da gewesen! Es ist immer schon einer vor dir da gewesen! Trotzdem, geh weiter, geh vorwärts..." Das hat mich dann wieder etwas aufgerichtet und mich für mein späteres Leben anscheinend doch ein wenig gefestigt. von Daak: Es gibt noch eine andere Geschichte in dem Zusammenhang. Das Singspiel "Sissy" wurde 1932 im "Theater an der Wien" uraufgeführt: mit dem Text von Fritz Kreisler. Marischka: Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche. Die Musik war von Fritz Kreisler. Der Text war von meinem Vater und von meinem Onkel , der dann später ja auch den Sissi-Film gemacht hat. von Daak: Die Hauptrolle in diesem Singspiel spielte damals , die freilich gar nicht singen konnte. Wie wurde das dann gemacht? Marischka: Es hat damals ja noch kein Play-back oder Ähnliches gegeben. Sie konnte also nicht singen und wollte daher diese Rolle zuerst einmal gar nicht annehmen. Sie war damals noch ganz jung und hatte berechtigte Angst vor dieser Rolle. Fritz Kreisler hat sie dann bei den Proben immer sehr liebenswürdig getröstet. Man machte das folgendermaßen. Bei ihrem großen Lied ging sie auf der Bühne nach hinten in den Garten. Dort stand immer schon eine andere Sängerin bereit, die dann an ihrer Stelle dieses Lied gesungen hat. Danach ging sie dann wieder zurück an die Rampe. Das große und nette Duett mit dem Text: "Wer sagt denn das? Na, ich denk mir's halt...", wurde dann von Hans Jaray und ihr lediglich gesprochen. von Daak: Bei der Entstehung dieses Singspiels sagte doch jemand: "Diese alten Geschichten, wer braucht denn die eigentlich noch heutzutage?" Marischka: Wir hatten damals in Velden einen sehr schönen Besitz, der später von Leo Kirch aufgekauft worden ist. Heute gehört das einem Multimillionär, dessen Name mir aber jetzt im Moment nicht einfällt, aber das ist ja auch ganz egal. Wir hatten dort jedenfalls eine schöne Villa. Der Ernst, der Bruder meines Vaters, ist damals mit dem Motorboot von Pörtschach aus zu uns herüber gekommen. Ich saß, komischerweise, damals dabei, als sie über diese Dinge gesprochen haben. Mein Vater, beide hatten ihre Lederhosen an, drückte den Ernst auf die Bank im Garten und sagte zu ihm: "Du, hör zu, ich habe da ein Singspiel von Ernst Decey gekauft. Es hat den Titel 'Sissys Brautfahrt'. Daraus könnten wir doch eine Operette machen." Sein jüngerer Bruder Ernst Marischka sprang daraufhin wie von der Tarantel gestochen auf und rief: "Hubert, bist du noch zu retten? Wer braucht denn noch diese blöden alten Geschichten vom Kaiser Franz Joseph? Wer will denn das heutzutage noch sehen?" Wie gesagt, das war im Jahr 1931. von Daak: Wer hat das dann 20 Jahre später noch einmal gesagt, als der Film "Sissi" entstand? Marischka: Es entstand jedenfalls zu erst einmal dieses Singspiel mit der Musik von Fritz Kreisler: Es wurde ein großer Erfolg. Im Jahr 1956 haben wir uns an Weihnachten nach Tisch alle zurückgezogen und dabei sagte mein Onkel Ernst zu seinem Bruder: "Hubert, jetzt wirst du viel Geld verdienen. Ich mache jetzt einen Film, nämlich 'Sissi'." Da habe ich mir den Spaß erlaubt, aufzuspringen und zu rufen: "Onkel Ernst, wer braucht denn die blöden Geschichten mit Kaiser Franz Joseph? Wer will denn das heute noch sehen?" Unter uns gesagt: Ich dachte das wirklich, ich konnte mir nicht vorstellen damals, dass sich die Jugend für so etwas überhaupt noch interessiert. Was für ein Erfolg ist das damals aber geworden! Vor allem natürlich wegen der göttlichen . von Daak: Romy Schneider haben Sie ja auch kennen gelernt. Was können Sie denn über sie erzählen? Marischka: Ich habe sie sogar ein paar Mal getroffen. Sie war wirklich ein Genie: Ich darf wohl sagen, dass sie das einzige Genie im deutschen Nachkriegsfilm war. Ich habe sie schon als Kind kennen gelernt, weil ich ja auch die , ihre Mutter, bereits kannte. Auch Magda Schneider war ja ein großer Star gewesen. Ich habe z. B. auch mal die Magda Schneider in Salzburg zum Essen ausgeführt. Nach der Schule kamen dann auch ihre Kinder mit dem Schulranzen dort vorbei. So habe ich die Romy kennen gelernt. Ein paar Jahre später gastierte dann mein Vater hier in München im Gärtnerplatztheater in einer seiner letzten Operettenrolle: Das war die Operette "Abschiedswalzer". In Wien hatte ich noch selbst mitspielen dürfen, hier in München jedoch nicht mehr. Aus dem Grund hatte ich Zeit und ging daher in der Pause herum, um mir anzuhören, wie es denn den Leuten so gefällt. Plötzlich sehe ich die Magda mit ihrem kleinen Teenager an der Seite. Ich sagte gleich zu ihr: "Ja, Magda, das ist aber eine Freude, dass du extra von Salzburg hierher nach München kommst." Sie sagte daraufhin den für mich wirklich unglaublichen Satz: "Ich wollte der Romy nur zeigen, wer der große Hubert Marischka ist. Damit sie später weiß, wer das einmal war." Das ist doch das höchste Lob, das man einem Schauspieler zollen kann. Sie nahm das Kind mit in die Vorstellung, damit das Kind später erzählen kann: "Ich habe ihn noch gesehen!" In der Garderobe habe ich das natürlich gleich meinem Vater erzählt. Hinterher gingen wir zum Essen und dabei sagte mein Vater: "Du, morgen kommt mein Bruder aus Salzburg. Da wollen wir doch mal alle zusammen zum Essen gehen!" Wir gingen also am nächsten Tag ins Vierjahreszeiten zum Essen und mein Vater brachte dabei die Magda Schneider mit ihrer Tochter mit. Mein Onkel Ernst hatte ja auch schon die Magda Schneider für den Film entdeckt und zwar für den Film "Zwei in einem Auto". Sie freuten sich riesig, sich wieder zu sehen. Ernst freute sich aber auch sehr über ihren kleinen Teenager: Die Romy war damals 16 Jahre alt. Sie unterhielten sich glänzend über vergangene Zeiten, wie schön das alles gewesen war, und lachten furchtbar dabei. Plötzlich sagte mein Onkel aber über den Tisch hinweg zur Romy: "Möchtest du eine schöne Rolle bei mir spielen?" Romy, die bis dahin kein Wort gesagt hatte, meinte ganz schüchtern: "Ja!" Mein Onkel ging dann mit dem Verleiher Tischendorf hinauf in den roten Salon. Was dort geschah, weiß ich allerdings nur aus Erzählungen. Es muss jedenfalls so gewesen sein, dass ihn der Verleiher angeschrien hat: "Marischka, sind Sie verrückt geworden? Wir haben doch schon die Sonja Ziemann engagiert!" Es war nämlich der Film geplant: "Mädchenjahre einer Königin". Diesen Stoff hatte mein Onkel Ernst schon einmal gemacht, allerdings noch als Autor und mit Jenny Jugo in der Hauptrolle. Auch dieser Film war damals ein ganz großer Erfolg gewesen. Man hatte dafür das entzückende Bühnenstück von Silwara adaptiert. Nun gut, er wurde jedenfalls vom Verleiher angeschrien, dass sie doch schon die Ziemann unter Vertrag hätten. Sie war damals der größte Star des deutschen Films: Sie hatte acht Mal hintereinander den Bambi erhalten. Sie haben dann einen kleinen Trick angewandt: Sie haben ihr nämlich Terminschwierigkeiten gemacht. Die Sonja war ganz entzückend und hat gesagt: "Das tut mir so Leid, zu diesem Zeitpunkt kann ich ja nicht! Wer wird denn nun an meiner Stelle diese Hauptrolle spielen?" Sonja Ziemann war menschlich wirklich ganz entzückend. Mein Onkel log ein wenig und sagte zu ihr: "Na ja, vielleicht die Tochter von der Magda Schneider." Daraufhin sprach sie ihrerseits den epochalen Satz: "Aha." Das war, als ob sie es spürte: Die Königin geht, die neue Königin kommt. Genau so war es dann ja auch. von Daak: Sie haben Romy Schneider später ja noch öfter getroffen. Marischka: Ich habe sie auch in Hamburg besucht, wo sie eine entzückende Villa an der Alster hatte: Zum dem Zeitpunkt war sie schon mit dem Harry Meyen verheiratet und dort in diesem Haus hat sie mir auch ihren Sohn gezeigt. Ich habe sie auch einmal im Flugzeug getroffen. Da war sie so ungeheuer lustig: Sie konnte wirklich ungeheuer lustig sein und war menschlich ganz entzückend. Sie war das freilich nicht zu jedem. Mit den Journalisten z. B. hat sie nur Französisch gesprochen, um sie in Verlegenheit zu bringen! Mit mir hat sie immer Wienerisch gesprochen. Sie sagte immer: "Geh, red' Wienerisch mit mir, des hör' ich so gern." Ich musste wirklich immer ganz stark Wienerisch mit ihr sprechen. Das hat sie wirklich geliebt. "Das kannst nur du – und der Helmut Lohner!", sagte sie immer. Da war ich ganz stolz, mit dem Helmut Lohner verglichen zu werden. Als ich sie dann, wie gesagt, auch einmal im Flugzeug getroffen habe, erzählte sie mir: "Ich fahr' jetzt zum Dominguin!" Das war ein spanischer Torero, schon nicht mehr ganz jung, und den besuchte sie heimlich. "Er geht nur wegen mir in'd Stierkampfarena! I bräucht das ja ned, aber er macht des wegen mir. Was soll i machen?" von Daak: Eine andere Geschichte ist mit einem großen Erfolg von Ihnen verbunden, nämlich mit der "Lustigen Witwe". Es gab ja die Operette "Die lustige Witwe" und einen Film "Die lustige Witwe". Und es gab "Die lustige Witwe" auf dem Eis: eine Show aus dem Jahr 1970. Wie war das damals? Marischka: Das war das einzige Mal, dass ich "Die lustige Witwe" inszeniert habe. Als damals das "Theater des Westens" eröffnet wurde, war ich eigentlich noch recht dick im Filmgeschäft drin: Zu dem Zeitpunkt hat man mir aber auch das Angebot gemacht, dort genau diese "Lustige Witwe" mit Johannes Heesters in der Hauptrolle zu inszenieren. Ich habe das aber abgelehnt. Daraufhin wurde ich natürlich gefragt, warum ich das denn um Himmels Willen nicht machen möchte. Ich meinte nur: "Schauen Sie, wenn ich dem großen Jopi Heesters sage, er solle bei der und der Szene von links kommen, dann wird er mir doch sagen, dass er seit 25 Jahren in der Szene von rechts kommt. Wenn ich sage, dass Heesters bei diesem oder jenem Satz bitte aufstehen möge, dann wird er mir sicher sagen, dass er seit 25 Jahren bei diesem Satz sitzen bleibt. So wird meine Regie aussehen. Nein, das kann ich nicht machen." Er hat das später dann erfahren und heute bin ich sogar so etwas Ähnliches wie befreundet mit ihm. Auch er hat mich gefragt, warum ich damals die Regie abgelehnt hätte. Ich habe ihm das genau so erklärt wie jetzt. Er sagte dann zu mir: "Nein, nein, man kann immer noch lernen!" Er dachte also, dass auch er von mir noch etwas hätte lernen können. Auch er ist ein wirklich entzückender Mensch. Aber als dann plötzlich das Angebot gekommen ist, diese Operette in einem völlig neuen Medium, nämlich als Operette auf dem Eis, zu machen, wusste ich, dass ich da das machen kann, was ich mir vorstelle: eine Symbiose aus Musik, Bewegung, Tanz, Stimme und Spiel. von Daak: Sie hatten dafür ja auch drei Weltmeister mit dabei. Marischka: Ja, ich hatte drei Weltmeister und war deswegen auch ganz schön nervös. Das waren die Marika Kilius, Hans-Jürgen Bäumler und Manfred Schnelldorfer. Ich lernte die drei kennen und gerade an der Marika habe ich dann gemerkt, wie man eigentlich Weltmeister wird. Ich saß ganz zu Anfang mit ihr in ihrem Haus am Swimmingpool zusammen und da ist mir aufgegangen, dass es nicht die Beine sind, die das ausmachen. Sie hatte fast keine Muskeln und sah ungeheuer schlank aus. Sie sah überhaupt nicht aus wie ein Vollathlet. Sie hatte z. B. wunderschöne lange Hände. In dem Augenblick habe ich gemerkt, dass solche Weltmeister im Kopf gemacht werden: Man muss auch im Kopf etwas haben, sonst wird man nicht Weltmeister. Sie bestand eben, wie alle großen Weltmeister, nicht nur aus Muskeln und Beinen. Ich sagte jedenfalls zu ihr: "Marika, wenn Sie mir folgen, dann mache ich aus Ihnen die 'Lustige Witwe'!" Wie gesagt, das war im Jahr 1970. Sie machte das dann auch und hörte mir ganz genau zu, obwohl sie natürlich auch hätte sagen können: "Lassen Sie mich doch in Ruhe mit Ihrer Inszenierung, ich tanze meine Kür und aus!" In dem Fall hätte ich meinen Hut nehmen und die Sache bleiben lassen müssen. Nein, das hat sie nicht getan. Sie hat mir stattdessen genau zugehört. Im Gegenteil, wenn ein Mädchen im Chor etwas nicht zustande brachte, dann hat sie genau vorgemacht, wie das geht. Ich verlangte damals von den Chormädchen, dass sie lange Schleppen tragen müssen, die dann auf dem Eis alle zusammen wie Blumen aussahen. Eine tschechische Tänzerin hat dann zu mir gemeint, dass man mit diesen Schleppen um den Hals nicht mehr Eislaufen könne. In dem Moment ging die Marika in die Garderobe, hat sich das Kostüm angezogen und zu ihr gesagt: "Jetzt zeige ich dir, wie man das kann!" Sie hat mir irrsinnig viel geholfen mit ihrer wirklichen Intelligenz: Sie hat diese Rolle entzückend gespielt. von Daak: Das war dann ja auch ein Riesenerfolg. Frauen spielten in Ihrem Leben überhaupt eine wichtige Rolle. Marischka: Oh ja. von Daak: Da gab es z. B. eine Frau, die Sie Charlett nannten und nicht Lotti, wie sie sich selbst nannte. Was war das für eine Geschichte? Marischka: Das war eine süße Geschichte! Das war im Jahr 1937, ich war mit meinem Bruder an der Riviera: Zu dem Zeitpunkt war ich noch Playboy. Eines Tages sah ich dort eine wunderbare Blondine tanzen. Sie hatte lange und platinblonde Haare, was für uns ganz neu war, denn den entsprechenden Film mit Jean Harlow kannten wir noch gar nicht. Ich sagte jedenfalls zu meinem Bruder: "Tausend Francs für einen Tanz mit der drüben!" Ich habe mich dann in ihre Nähe getanzt und dabei herausgehört, dass sie Englisch spricht. Am dritten Tag habe ich mir dann endlich erlaubt – damals war ich noch gut erzogen –, sie zum Tanzen aufzufordern. Sie saß mit einem Mann und zwei anderen Damen am Tisch. Ich ging hin und fragte den Mann: "May I have a dance with the lady?" Er war ganz erstaunt, denn er war es gar nicht gewöhnt, dass sich jemand dabei so brav verbeugt. Sie stand auf, tat sehr gelangweilt und ich tanzte mit dieser phantastischen Frau. Während des Tanzes fragte ich sie: "Are you english?" - "No." - "Are you american?" - "No." Ich habe sämtliche Nationen durchgeraten, von "swedish" bis was weiß ich alles. Völlig entnervt habe ich dann gemeint: "The devil where are you from?" - "I'm viennese!" Sie sagte also, sie sei Wienerin. Ich bin daraufhin natürlich sofort stehen geblieben mitten auf dem Parkett und habe zu ihr in tiefstem Wienerisch gesagt: "Des gibt's ja ned, des is ja ned möglich! I bin doch a Weaner!" Daraufhin wurde sie ganz rot und sagte: "Eischendlich war nur meine Mudder eine Wienerin. Ich komme aus Leibzich!" Sie war also eine Sächsin und seitdem liebe ich diesen Akzent über alle Maßen. Es wurde dann eine Freundschaft, eine große Liebe daraus. Sie hat mir dann auch später sehr geholfen. von Daak: Ja, später in London hat sie Ihnen dann zusammen mit ihrem Mann sehr geholfen. Marischka: Ja, in meinem Buch wird das genau erklärt. Sie hat mir wirklich wahnsinnig geholfen. Ich war damals 19 Jahre alt und sie schon uralt, sie war nämlich schon 26. Wissen Sie, sie hatte, wie alle Sächsinnen, die schönsten Beine der Welt: Ganz genau wie die Kessler-Zwillinge. Sie trug damals im Jahr 1937 schon Shorts! Es wiederholt sich eh alles, auch die Mode. von Daak: Sie war verheiratet. Marischka: Ja, sie war verheiratet. Das habe ich ihr am Anfang nicht geglaubt, aber es war tatsächlich wahr. Die Geschichte, wie es dazu gekommen war und was dann weiter passierte, kann ich jetzt selbstverständlich nicht erzählen: Das wäre ein ganzes eigenes Kapitel. von Daak: Wir springen dafür gleich nach London: Ihr Ehemann war Ihnen ja auch sehr zugetan. Sie haben dort bei diesem Ehepaar quasi Asyl erhalten, wenn man das so sagen darf. Marischka: Ja, man darf das so sagen. Man musste damals ein so genanntes Affidavit beibringen: Dieses Wort kennt man ja inzwischen. Er musste also für mich einstehen. Als dieses Affidavit dann abgelaufen war, hat er zu mir gesagt, dass ich doch so viele bekannte Leute kennen würde: Ich sollte sie fragen, ob sie mir vielleicht weiterhelfen könnten. Ich ging zu Richard Tauber: Tauber war ein Nennonkel von mir! Wenn man der Sohn von Hubert Marischka ist, dann kennt man natürlich alle diese berühmten Menschen schon von Kindesbeinen an. Ich ging also zum Tauber ins Dorchester-Hotel und Tauber hat zu mir gesagt: "Ein Sohn von Hubert Marischka ist mein Sohn; ein Enkel von Viktor Leon ist mein Enkel; ein Taufkind von Franz Lehar ist mein Taufkind." Er hat mich gedrückt, er hat mich geküsst und dann gesagt: "Ich kann's nicht machen!" - "Warum nicht?" "Ja, das musst du verstehen, ich stehe vor meiner Naturalisierung, und da darf nichts dazwischen kommen." Nun ja, ich konnte das nicht ändern. von Daak: Wie war denn diese Zeit in London für Sie? Marischka: Sie war eine Rettung für mich. Meine Mutter war Jüdin gewesen. Das heißt, ich war, wie das damals hieß, ein Halbjude. Bei den Juden zählt ja auch immer die Mutter im Hinblick auf die Abstammung. Als ich das erfahren habe - sie war ja, wie erwähnt, schon lange tot - habe ich gesagt: "So, jetzt bin ich auch ein Jude!" Ich war nicht irgendwie religiös und so, aber ich habe mich doch dazu bekannt und wollte dazugehören. England war also aus diesem Grund meine Rettung. Ich ging dort dann zum Militär: Es war ja unser Krieg, wir wollten doch die Nazis zu allererst vernichten. Ich war zunächst im Intelligence Corps und dann auch Skilehrer in der Army usw. Diese ganzen Geschichten hat man mir freilich in meinem Buch wegen der Länge etwas zusammengestrichen. Wenn Krieg überhaupt eine schöne Zeit sein kann, dann war das jedenfalls für mich eine relativ schöne Zeit in London. London war damals eine booming town: Es war herrlich, denn ich war zunächst auch mitten in London stationiert. Ich hatte also im Vergleich zu vielen, vielen anderen Menschen eine sehr glückliche Zeit dort. von Daak: Kommen wir wieder nach Wien, denn Sie sind ja nach dem Krieg wieder nach Wien zurückgekehrt. Da trat dann eine andere große Frau in Ihr Leben: Nadja Tiller. Marischka: Oh ja. Ich habe sie damals zum ersten Mal auf der Bühne gesehen. Mein Bruder hat mich in die Vorstellung geschleppt. Ganz Wien stand schon Kopf wegen ihr und ihrer Auftritte: Sie war das schönste Mädchen von ganz Wien. Ich habe sie also gesehen und sie war wirklich atemberaubend schön. Sie hatte eine Figur, Beine, Oberschenkel wie man das sonst nur bei den schönsten Vasen findet. Während einer Party beim..., na, wie hieß der? Ja, beim Antel. Ich habe sie dann während einer Party beim Antel kennen gelernt. Ich ließ alle meine Tricks spielen, um sie näher kennen zu lernen, was mir schließlich auch gelang. Es wurde eine wirklich ganz große Liebe. In meinem Buch gibt es dazu ein ganzes eigenes Kapitel und daraus möchte ich schnell wenigstens eine Episode erzählen. Während eines Filmballs in München kam der Journalist Hannes Obermaier, der sich "Hunter" nannte, zu mir und meinte: "Du, ich habe da einen amerikanischen Regisseur zur Betreuung übernommen. Du kannst doch so gut Englisch, hilf mir doch und kümmere dich ein bisserl um ihn. Er heißt Stanley Kubrick." Ich hatte in dem Moment wieder einmal Glück, denn ich kannte seinen ersten Film bereits, "The great racecourse robbery". Dieser Film hatte mir auch tatsächlich sehr gut gefallen. Also war ich schon damit sein Freund. Ich habe mich ein wenig um ihn gekümmert und ihn auch auf ein Fest mitgenommen, damit er mal München in voller Blüte kennen lernt. Dieses Fest in München hieß damals "Traumkulisse" und fand im Deutschen Theater statt. Mein kleiner Bruder war gerade aus Südamerika gekommen und so hatten wir für diesen Abend ein paar Leute eingeladen. Das waren alles Jugendfreunde meines Bruders: Nadja Tiller zusammen mit ihrem Mann Walter Giller, die Uschi Lingen, die Tochter vom usw. Sie waren alle so alt wie mein zehn Jahre jüngerer Bruder. Wie gesagt, ich habe dazu auch den Stanley Kubrick mitgenommen. Er hat dort auch getanzt, verschwand dann aber recht bald mit einem entzückenden Mädchen, auf das eigentlich ich ein Auge geworfen hatte. Er verschwand nämlich mit der Nichte von Veit Harlan, mit der Susanne Harlan: Mit ihr hatten wir bei der "Constantin" gerade Probeaufnahmen gemacht. Sie war ein traumhaft schönes Mädchen mit Beinen bis sonst wo hin. Der Kubrick verschwand jedenfalls mit ihr – und hat sie geheiratet und zwei Kinder mit ihr bekommen. Ich habe sie erst unlängst wieder einmal getroffen. Für mich war diese Frau also verloren. Und Nadja Tiller ist jetzt 72 Jahre alt, spielt noch immer sehr viel und sieht immer noch fabelhaft aus. Der Walter Giller spielt mittlerweile auch wieder, er war ein bisschen krank gewesen. Die Nadja hat jedenfalls mein Buch gelesen und vor kurzem zu mir, als ich sie beide in Lugano besucht habe, gesagt: "Sag einmal, du hast aber ein gutes Gedächtnis. Ich habe damals tatsächlich mit dem Stanley Kubrick getanzt?" Da haben sich also diese beiden Weltstars gekannt und sich dann später nie mehr wieder getroffen: Sie wussten dann sogar gar nicht mehr, dass sie mal miteinander getanzt hatten! Ich fand es lustig, dass die große Nadja Tiller über den großen Stanley Kubrick sagte: "Ich habe tatsächlich mit ihm getanzt?" Ich fand das nett. von Daak: Eine andere, wichtige Rolle in Ihrem Leben spielte Renate Ewert. Marischka: Oh ja. von Daak: Mit ihr haben Sie dann auch den ersten Film gemacht, bei dem Sie selbst Regie geführt haben: "Mikosch im Geheimdienst". Wie war denn die Geschichte mit Renate Ewert? Marischka: Ja, wie war die Geschichte mit Renate Ewert? Renate war das Erotischste, das man sich überhaupt vorstellen kann. Ich sah sie zum ersten Mal, als sie an einem Tisch saß: Ich sah also gar nicht mal ihre Traumfigur, sondern ihren Mund, ihre riesigen, violetten Augen. Nun, es war keine Liebe, aber ich war irrsinnig scharf auf dieses Mädchen. Auch da hatte ich eben wieder einmal Glück, denn ich bekam meine erste Regie. Sie war zu dem Zeitpunkt bereits ein viel größerer Star als ich. Mein Glück bestand nun darin, dass sie gerade eine unglückliche Liebe hinter sich hatte. Das ist ja immer das Beste: wenn man eine Frau erwischt, die gerade unglücklich verlassen worden ist. Wenn man da dann hinzukommt, hat man wirklich Glück. Auch ich hatte dieses Glück und so fielen wir uns eben schon kurze Zeit später in die Arme. Das Verhältnis zwischen uns beiden hielt sich auch lange Zeit und ich machte sogar mehrere Filme mit ihr. Sie machte in ihrem kurzen Leben, sie starb leider schon mit 33 Jahren, unheimlich viele Filme, dass sie sich die Titel gar nicht alle merken konnte. Wenn wir in ihrem Alfa Romeo zum Drehen fuhren und ich sie gefragt habe, wie ihr letzter Film heißt, hat sie immer gesagt: "Das weiß ich nicht." – „ Wer war denn der Regisseur?" - "Das weiß ich nicht mehr! Ich glaube, der Millowitsch war mein Partner." Sie haben diese ganzen Details halt nicht interessiert. Sie war dafür unglaublich begabt und degagiert, wie wir sagen: Sie konnte einfach Film! Sie konnte diesen Beruf, sie wusste ganz genau, was sie vor der Kamera zu machen hatte. Wenn wir beide uns unterhalten, wenn wir mal annehmen, dass ich die Frau bin und Sie mein Partner sind und wir dabei gefilmt werden, dann ist es einfach so, dass Frauen diese Art des Spielens unheimlich gut können: Sie können sich mit einem Mann unterhalten und dabei gleichzeitig daran denken, dass da noch dieser andere Mann wichtig ist: nämlich die Kamera. Dieser Kamera wollen sie gefallen! So etwas können nur Frauen. Sie drehen neckisch die Schulter, sie locken mit dem Mund usw. All das konnte sie ganz wunderbar: Sie wusste ganz genau, dass dort, hinter dieser Optik, Millionen von Männern sitzen. Sie war also ganz unerhört begabt und ich habe gerne mit ihr gearbeitet. Sie war nur leider verrückt. von Daak: Machen wir nun einen kleinen Zeitsprung: Zu Beginn der sechziger Jahre gab es eine fürchterliche Filmkrise. Sie sprechen in Ihrem Buch in dem Zusammenhang von den "feindlichen Brüdern", nämlich vom Fernsehen und vom Film. Was konnte man machen in dieser Krise? Marischka: Seit ich auf der Welt gewesen war, hatte es Filmkrisen gegeben: beim Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm, beim Übergang vom Schwarzweißfilm zum Farbfilm usw. Diese Krise aber war die größte: Das Fernsehen war da! Wir saßen alle herum und wussten wirklich nicht mehr weiter. Die großen Kinopaläste wurden geschlossen; das kleine Kino an der Ecke gab es schon überhaupt nicht mehr. Das Fernsehen war wirklich unser Todfeind geworden. Auch wir bei der "Constantin Film" hatten die Krise. Ich lief in der Nacht herum mit fliegenden Haaren – damals hatte ich noch welche – und zermarterte mir das Hirn: Es muss doch ein Publikum geben, das nicht vor dem Fernseher hockt! Ich fand dieses Publikum dann auch, die Teenager, denn die Teenager bleiben doch nie gerne zu Hause. Ich ging an diesem Abend rüber ins Deutsche Theater in ein Konzert - und was war? Es war voll! Die jungen Menschen amüsierten sich prächtig. Ich dachte mir, es wäre doch gut, wenn ich diesen jungen Leuten einen Film gäbe. Und so machte ich eben den ersten Musikfilm: "Schlagerparade 1960". Ich musste im Anschluss gleich drei weitere drehen! Das waren mitten in der Filmkrise riesige Erfolge. Aber dann war auch das wieder vorbei, weil das Fernsehen, der feindliche Bruder, das auch für sich entdeckte. Das Fernsehen war wirklich der feindliche Bruder: Bruder, weil er dasselbe machte wie wir, und feindlich, weil er uns fast die Industrie zerstört hat. von Daak: Sie sind dann ja auch selbst „übergelaufen“ und haben sogar ganze Fernsehserien gemacht. Marischka: Natürlich, alle sind übergelaufen. Alle, die sich zuerst geweigert hatten, sind dann doch übergelaufen: Heinz Rühmann, Nadja Tiller, Harald Juhnke, Peter Alexander usw. Sie hatten sich jahrelang geweigert, im Fernsehen zu arbeiten, damit die Leute auch weiterhin in ihre Filme gingen. Alle diese Leute mussten schlussendlich doch zum Fernsehen gehen. Und ich eben auch. Ich war dann auch sehr erfolgreich beim Fernsehen. Danach kam dann aber noch einmal eine Zeit, in der ich Kino gemacht habe. Das ist ein Thema, auf das Sie sicher noch zu sprechen kommen wollen: Das war nämlich der Sexfilm. von Daak: Ja, sicher, darauf wäre ich gerne noch zu sprechen gekommen. Marischka: Klar, das interessiert alle, bis zum heutigen Tag. Ich habe in meinem Buch ja auch dieses berühmte Zitat vom großen Federico Fellini zitiert, denn er hatte mal gesagt: "Wir haben jahrelang nur gelogen!" Das stimmte wirklich, das ist ein sehr gescheiter Satz. Wir wussten alle, dass wir permanent gelogen haben: Wenn in einer Szene ein junger Mann mit einem jungen Mädchen im Gras liegt und er ihr die Bluse aufknöpft, dann wollen natürlich alle genau dorthin sehen – nur die Kamera durfte nicht, sie musste in die Baumwipfel schwenken. Das nackte Fleisch war nicht erlaubt. Wir haben uns beholfen, indem wir mit Symbolismen gearbeitet haben: Es gab plötzlich Schnitte auf tosende Wasserfälle oder turtelnde Tauben usw. Klar war jedoch, dass wir lügen damit: Das wussten wir immer! Es gab also diese verschärfte, lang anhaltende Filmkrise und nun musste die so genannte "Freiwillige Selbstkontrolle" in Wiesbaden etwas machen. Denn sonst hätten die Leute dort ja selbst keinen Job mehr gehabt: Die Filmindustrie stand nämlich kurz davor, endgültig zu sterben. In dieser kritischen Situation erlaubten sie uns daher ganz langsam, in einer Art Salami-Taktik, einen Schritt nach dem anderen: Wir durften also auf diesem Gebiet langsam, Schritt für Schritt, weiter gehen also zuvor. Ich war auch bei dieser Welle wieder mit dabei und vorne dran: weil eben meine Filme etwas besser waren als das Gros der anderen Filme. So entstand z. B. meine Verfilmung "Lass jucken, Kumpel!". Ich wusste gar nicht, wie gerade ich dazu komme, aber man hat mir tatsächlich diesen Stoff aus dem Ruhrgebiet angeboten. Ich kam doch aus einer ganz anderen Ecke der Welt: aus Wien, von der Operette. Ich hatte zuvor noch nie eine Zeche in natura gesehen. Aber, und das hat mir wahrscheinlich doch geholfen, ich habe vermutlich genau aus dem Grund genauer hingesehen als ein Regisseur, der von dort stammt. Sie kennen ja auch dieses Wort von der Betriebsblindheit. Das war ich eben nicht, im Gegenteil: Ich habe Dinge gesehen, die ein anderer vielleicht nicht so gut gesehen hat. von Daak: Dieser Film ist dann ja auch zu einem großen Erfolg geworden. Marischka: Das war ein Riesenerfolg, ich habe fünf Stück davon gemacht. von Daak: Danach kamen aber die berühmten "Liebesgrüße aus der Lederhose". Dazu gibt es ja wohl auch einige Anekdoten. Marischka: Ja, einige. Nach dem großen Erfolg von "Lass jucken, Kumpel!" mitten in der Filmkrise wollten natürlich alle, dass ich sofort einen zweiten Teil davon drehe. Ich habe nachgegeben und dann auch tatsächlich fünf Stück davon gemacht: So viel hatte der eigentliche Autor, also der Hans-Henning Claer, damals gar nicht geschrieben in seinem Buch. Ich wollte dann aber nicht mehr: Ich konnte keine Zeche mehr sehen, ich beherrschte den dortigen Dialekt nicht. Mir blieb das alles doch sehr fremd. Ich wollte jedenfalls wieder mal ein anderes Drehbuch schreiben. Genau zu dem Zeitpunkt las ich plötzlich beim Frühstück in der "TZ" etwas über die "Saisongockel von Garmisch-Partenkirchen". Da ging es um Folgendes: Im Gesangsverein sperren die Burschen nach der Probe die Türe ab und einer sagt zu einem anderen: "I hob oane! Schee is' nimmer, aber i kriag halt jedsmal an Hunderter! Und du, machst du nix?" - "I hob ja scho die ganze Saison a Apothekerin abonniert." Ich dachte mir: Das gibt's doch nicht. Das ist der Stoff für mein nächstes Lustspiel: die männliche Prostitution! Bis dahin hatte ich doch geglaubt, dass es so etwas nur in Acapulco oder Kitzbühl gibt. So etwas gab es also auch hier in Bayern? Und so habe ich dann eben dieses Lustspiel geschrieben. Niemand wollte mir aber diesen Stoff abkaufen: Alle wollten immer nur weitere Fortsetzungen des Kumpel-Stoffs. Ich hatte dann genau aus dem Grund mit meinem Produzenten einen Mordskrach: Er war gleichzeitig auch mein Kameramann. Er schrie schließlich: "Also schön, dann machen wir halt diesen blöden Film mit deinen Liebesgrüßen aus der Lederhose!" - "So wird er heißen, genau so wird er heißen!", habe ich wiederum geschrien. "Wie wird er heißen?" - "Genau so, wie du eben gesagt hast!" "Wieso, was habe ich denn gesagt?" Ich sagte nur: "Komm rauf", und wir gingen zum Verleiher nach oben. Dort wollten sie mir erneut diesen Film ausreden. "Bitte, Zwetschi, mach weiter mit den Kumpelfilmen. Damit machen wir Millionen von Umsatz!" Ich meinte nur: "Nein, nicht mehr. Ich sag euch jetzt den Titel von meinem nächsten Film: 'Liebesgrüße aus der Lederhose'." Es war, als hätte eine Atombombe eingeschlagen! Sie fielen alle in ihre Sessel. Einer griff zum Telefon und rief die Filiale in Düsseldorf an. Er rief in den Hörer: "Wisst Ihr, wie der neue Film vom Marischka heißt? 'Liebesgrüße aus der Lederhose'." Er musste sich sofort den Hörer ganz weit weg halten, so hat man am anderen Ende der Leitung gebrüllt vor Lachen. In 20 Minuten war der Film in ganz Deutschland verkauft – und so mussten wir ihn dann eben drehen. von Daak: Wir kommen langsam zum Schluss unseres Gesprächs, aber wir sollten doch noch klären, was es mit Ihrem Spitznamen "Zwetschi" auf sich hat: Wie sind Sie denn an diesen Spitznamen geraten? Marischka: Den hat angeblich meine Mutter auf einen Zettel geschrieben, den sie bei einer Vorstellung meines Vaters hinter die Bühne hat schicken lassen. Darauf stand: "Ich habe leider keinen Sohn geboren, sondern nur eine Zwetschge." Zwetschge ist aber im Österreichischen so eine kleine Pflaume. Sie kennen vielleicht diese Ausdrücke bzw. kleinen Figuren wie Zwetschgenmanderl, Zwetschgenkrampus usw. Ich werde halt bei der Geburt wie so eine Zwetschge ausgesehen haben! Und aus dem Grund hat man mich armen Wurm eben immer nur Zwetschgerl genannt. Diesen Spitznamen wurde ich Zeit meines Lebens nie wieder los: Ich heiße bis zum heutigen Tag so. Es ist sogar so, dass ich ihn auch auf das Titelblatt meines Buches drucken hab' lassen. Stellen Sie sich vor, sogar in England bin ich von diesem Spitznamen nicht weggekommen! In England hieß ich zunächst einmal endlich Francis, wie sich's gehört. Ich war der Francis March. Was passiert? Der erste Österreicher, den ich in London treffe, sagt zu mir: "Servus, Zwetschi!" Schon war es geschehen und ich hieß in der ganzen englischen Armee auch nur wieder Zwetschi, obwohl sie diesen Namen eigentlich gar nicht richtig aussprechen konnten. Nun, diesen Namen werde ich halt nicht mehr los. von Daak: Ja, so etwas wird man vermutlich nie mehr los. Welchen Rat würden Sie denn jungen Filmemachern heute geben? Marischka: Welchen Rat? Nun, genau den gleichen, den wir befolgt haben. Sie sollen versuchen zu schreiben. Schauen Sie, in unserem Beruf gibt es eigentlich überhaupt nur eine Regel: Gut muss es sein! Dann kann man alles, wirklich alles machen. Man kann die Leute auch verkehrt herum filmen, egal, es muss nur seiner Majestät, dem Publikum, gefallen. Wir dürfen uns nämlich ja nicht einbilden, dass wir das alles für uns machen. Wir machen das für seine Majestät, das Publikum! Sie geben uns das Geld und erst hinten, in diesem dunklen Zimmer, bekommen sie dann die Ware dafür. Also müssen wir sie bedienen. Sie bekommen ja schließlich ihr Geld auch nicht zurück, wenn es ihnen nicht gefällt. Ich sage also allen jungen Leuten, dass sie für das Publikum schreiben müssen: Da hilft nichts, so ist es! Man kann nicht gegen das Publikum schreiben! Nun, man kann auch mal gegen das Publikum schreiben – wenn es nur gut ist. Ich mag jedenfalls die Leute nicht, die glauben, man könne tatsächlich gegen das Publikum schreiben. Nein, man nimmt doch Geld von den Zuschauern! von Daak: Leider sind wir schon am Ende unseres Gesprächs angelangt, Herr Marischka. Vielen Dank, dass Sie heute bei uns im Studio waren. Marischka: Ich danke Ihnen, es war sehr nett. von Daak: Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal.

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