Nadia Boulanger War Eine Charismatische Pädagogin
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Boulanger, Nadia als 1000 Schülerinnen und Schüler. Ihre kompositori- sche Tätigkeit stellte sie zunehmend in den Hintergrund, als Dirigentin trat sie besonders für die Werke ihrer Schwester Lili Boulanger, Igor Strawinskys und diejeni- gen ihrer Schülerinnen und Schüler ein. Sie engagierte si- ch für die Renaissance der Alten Musik. Mehr zu Profil Nadia Boulanger war eine charismatische Pädagogin. Über 1000 Schülerinnen und Schüler aus aller Welt (vor allem Frankreich, Polen und den USA) hatten im Laufe ihrer über 70jährigen Tätigkeit bei ihr Unterricht. Es ka- men KomponistInnen, InterpretInnen, DirigentInnen und MusikwissenschaftlerInnen zu ihr. Sie unterrichtete Kinder (u. a. an der Yehudi Menuhin School), Jugendli- che und Erwachsene. Ihr Unterricht zeichnete sich durch eine musikalisch-kul- turelle Vielseitigkeit aus - neben Musikgeschichte, Musik- theorie und Fragen der praktischen Musikausübung (In- terpretation etc.) kamen auch Philosophie, Literatur, die Bildende Kunst und anderes zur Sprache. Nadia Boulan- ger begeisterte ihre Studierenden durch ein profundes Wissen auf all diesen Gebieten. Ihr musikalischer Hori- zont reichte dabei von Monteverdi und Schütz über Bach, die Klassiker und Romantiker bis in die zeitgenös- sische Musik. Hier verehrte sie vor allem die Musik Igor The composer and pianist Nadia Boulanger Strawinskys, dessen unterschiedliche kompositorischen Phasen sie begleitete. Unterrichtsgegenstand war aller- Nadia Boulanger dings auch - trotz der Schönberg-Strawinsky-Kontrover- se - die Zweite Wiener Schule. * 16. September 1887 in Paris, France Die Individualität der Studierenden stand in Boulangers † 22. Oktober 1979 in Paris, France Unterricht im Mittelpunkt: Sobald die Schülerin oder der Schüler ein solides Grundwissen vorweisen konnte, Pädagogin, Dirigentin, Pianistin, Organistin, war es Nadia Boulangers Anliegen, die musikalische Indi- Komponistin. vidualität der Schülerin oder des Schülers zu fördern. War die musikalisch-kompositorische Individualität be- „Als Pädagogin besteht mein ganzes Leben darin, andere reits ausgeprägt, lehnte Nadia Boulanger das Unterrich- zu verstehen und nicht, andere dazu zu bringen, mich zu ten ab, so etwa bei George Gershwin. verstehen. Was ein Student denkt, was er tun will - das Als Kind einer ehrgeizigen Mutter früh zu strenger Selbst- ist wichtig. Ich muss versuchen, ihn dazu zu bringen, si- disziplin erzogen, war sie Zeit ihres Lebens sehr zielstre- ch selbst auszudrücken, ihn darauf vorzubereiten, das zu big. Sie erfüllte bis ins hohe Alter mit großem Engage- tun, was er am besten kann.“ ment ein enormes Arbeitspensum: Individual- und Grup- (Nadia Boulanger, zit. n. Bruno Monsaingeon: „Mademoi- penunterricht, eine ausgedehnte Korrespondenz, Auftrit- selle. Entretiens avec Nadia Boulanger“ o. O., o. J. te als Organistin, Pianistin und Dirigentin u.v.m. [1981], Übersetzung: Melanie Unseld) Zu ihrem Selbstverständnis als Pädagogin und Künstle- Profil rin gehörte für Nadia Boulanger die Tatsache, dass sie un- verheiratet blieb. Gleichsam als Familienersatz sah sie zu- Sie war eine der wichtigsten musikpädagogischen Persön- weilen den Kreis ihrer Schülerinnen und Schüler an, eini- lichkeiten des 20. Jahrhunderts und unterrichtete mehr ge davon wurden enge Freundinnen und Freunde, auch – 1 – Boulanger, Nadia Mitarbeiterinnen. sie eine enge künstlerische Zusammenarbeit, sie kompo- Nadia Boulanger galt zur Zeit ihres Studiums am Conser- nierte mit ihm zusammen u.a. die Oper „La ville morte“ vatoire als vielversprechende angehende Komponistin, (nach D’Annunzio) und ging mit ihm auf Konzertreisen. ihre Kompositionen standen stark unter dem Einfluss ih- Ihre kompositorische Arbeit nahm sie immer stärker zu- res Lehrers Gabriel Fauré, der sie sehr schätzte und för- rück, seit 1919 trat sie nicht mehr als Komponistin in Er- derte. 1919 gab sie allerdings das Komponieren vollstän- scheinung, da sie ihre Musik für „inutile“ (nicht notwen- dig auf, mit der Begründung, dass sie an sich selbst eben- dig, unnütz) hielt. so strenge Bewertungskriterien anlege wie an andere - Sie unterrichtete Zeit ihres Lebens mittwochs in ihrer und diesen würden ihre Kompositionen nicht standhal- Wohnung, Rue Ballu, in Paris, darüberhinaus an zahlrei- ten. Sie sprach von ihrer Musik als „inutile“. Einfluss auf chen Schulen, Colleges, Akademien, darunter am Conser- ihre Entscheidung, das Komponieren aufzugeben, hatte, vatoire Américain Fontainebleau (ab 1921), am Conserva- so ist zu vermuten, der große kompositorische Erfolg ih- toire Femina musica, an der École Normal de musique rer Schwester Lili, die allerdings bereits 1918 starb, und (ab 1920), an der Royal Academy of Music, dem Royal auch der Kontakt zu Igor Strawinsky, dessen Musik Na- College und an der Yehudi Menuhin School. dia Boulanger sehr bewunderte. Sie trat darüber hinaus als Pianistin, Organistin und Diri- Während des Zweiten Weltkriegs lebte Nadia Boulanger gentin auf, in letzterer Funktion setzte sie sich vor allem in den USA, wo schnell das Bonmot herumging, dass es für die Renaissance der Alten Musik, aber auch für zeitge- in jeder Stadt eine „Boulangerie“ gäbe: Nadia Boulangers nössische Komponistinnen und Komponisten (darunter Einfluss auf die US-amerikanische Musikentwicklung ist ihre Schwester Lili Boulanger, Aaron Copland, Igor Stra- nicht zu unterschätzen, wenngleich sie von manchem kri- winsky u.v.m.) ein. tisiert wurde. Während des Zweiten Weltkrieges lebte sie in den USA Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Boulanger nach Paris und unterrichtete dort u. a. am Wellesley College, am zurück und fand dort eine neue Komponistengeneration Radcliffe College und an der Juilliard School. Nach ihrer vor (Boulez, Messiaen u.a.), die sich vor allem an Schön- Rückkehr nach Frankreich hatte sich die jüngste Genera- berg orientierte und Boulangers Ästhetik ablehnte. Sie tion der Avantgarde von der Schule Nadia Boulangers ab- galt in diesen Kreisen nun als reaktionär. Nichtsdesto- gewandt. Nichtsdestotrotz blieb sie bis an ihr Lebensen- trotz unterrichtete sie mit unvermindertem Erfolg bis de eine pädagogische Institution in ganz Europa und den kurz vor ihrem Tod im Jahr 1979. USA. Sie starb über 90jährig in Paris. Orte und Länder Mehr zu Biografie Nadia Boulanger lebte und wirkte vor allem in Frank- reich (Paris, Fontainebleau) und unterrichtete Schüler Als älteste Tochter des Komponisten und Gesangslehrers aus vielen Ländern, insbesondere aus den USA, Polen, Ernest Boulanger wuchs Nadia Boulanger zusammen mit Russland und England, aber auch aus der Türkei, aus Ja- ihrer 6 Jahre jüngeren Schwester Lili in einem hochmusi- pan, Argentinien u.v.a. Als Dirigentin trat sie u.a. in Fran- kalischen und intellektuellen Umfeld auf. Ihr Vater hatte kreich, Russland, England und in den USA auf. Als Orga- mit 62 Jahren die 19jährige Raissa Mychtsky geheiratet, nistin war sie ebenfalls in Frankreich, England und den eine russische Aristokratin (Prinzessin?), die als Gesangs- USA hochgeschätzt. Die Mutter Raissa stammte aus studentin nach Paris gekommen war. Nadia Boulanger Russland. kam im elterlichen Salon früh mit den künstlerischen und intellektuellen Größen des Pariser fin de siècle in Be- Biografie rührung, darunter die Komponisten Charles Gounod, Ju- Nadia Boulanger war die älteste Tochter von Ernest Bou- les Massenet und Camille Saint-Saëns sowie der Pianist langer und dessen russischer Frau Raissa. Sie war musi- Raoul Pugno. 10jährig begann sie ihr Studium am traditi- kalisch hochbegabt und erhielt ab ihrem 10. Lebensjahr onsreichen Pariser Conservatoire, wo sie u.a. bei Paul Vi- umfassenden Unterricht am Pariser Conservatoire. Mit dal (Begleitung), Louis Vierne und Alexandre Guilmant 17 Jahren begann sie zu unterrichten. Daneben nahm sie (Orgel), Charles Marie Widor und Gabriel Fauré (Kompo- zweimal am renommierten Kompositions-Wettbewerb sition) Unterricht nahm. Der Schwerpunkt ihrer Ausbil- um den Prix de Rome teil, bei dem sie 1908 den Zweiten dung lag auf dem Kompositionsstudium (Harmonieleh- Preis erhielt. Mit dem Pianisten Raoul Pugno verband re, Kontrapunkt, Fuge), wobei Gabriel Fauré als Kompo- – 2 – Boulanger, Nadia nist wie als Pädagoge ihr großes Vorbild war. Am Conser- akademie in Fontainebleau (Conservatoire Américain vatoire erhielt sie mehrere Preise, darunter einen 1. Preis Fontainebleau). Diese Sommerkurse wurden vorwiegend im Fach Harmonielehre (1903), einen 1. Preis für Orgel- von US-amerikanischen Studierenden besucht. Weitere begleitung und einen 1. Preis für Komposition (beide Institutionen, an denen sie im Laufe ihres Lebens unter- 1904). richtete, sind u.a. das Conservatoire Femina musica, das Die Mutter war mit Nadia (weit mehr als mit der jünge- am Conservatoire in Paris (1915 als Assistentin von Gabri- ren, gesundheitlich labilen Lili) sehr ehrgeizig und über- el Fauré), École Normal de musique (ab 1920), 1935 über- wachte streng die intensiven Studien der ältesten Toch- nahm sie die Kompositionsklasse von Paul Dukas an der ter. Royal Academy of Music, dem Royal College und an der Der Vater starb 1900, eine tiefe Erschütterung für die Yehudi Menuhin School. Außerdem unterrichtete sie zeit- 12jährige Nadia. Sie konzentrierte sich nun besonders lebens in ihrer Wohnung, Rue Ballu, ein Unterricht, der auf ihre musikalische Ausbildung, schloss 1904 das Studi- zu einer Institution im Pariser Musikleben und Anzie- um am Conservatoire ab und übernahm mit 17 Jahren hungspunkt für Schülerinnen und Schüler aus der gan- die Aufgabe, den Familienunterhalt zu verdienen: Sie be- zen Welt wurde. gann zu unterrichten. Nachdem