143 ______7. – Das Geistliche Lied als Orgellied – eine Gattung entsteht

Unter meiner Begleitung,1 Lebensdevise und Anspruch an sein unmittelbares, partnerschaftliches Verhältnis mit den Sängerinnen und Sängern, die Max Reger für seine Lieder in langatmiger Prozedur auszusuchen pflegte, macht deutlich: Im Lied – mit Klavier- oder Orgelbegleitung –, weltliches oder geistliches Lied, ist der bestimmende Partner nicht der Vokalsolist sondern der begleitende Max Reger; Tausch der Rollen, so scheint es um das Lied mit dem Organisten der Jahrhundertwende zu stehen, Max Reger steht dafür; die Kritik bescheinigt ihm höchste Fähigkeiten, die in Begleitung als Leitung, die in den Partner mitreißende, motivierende, ja zwingende Kraft Gestalt finden. Wenige Uraufführungen sind nachweisbar: Mit dem Bariton Joseph Loritz musiziert Reger am 26. Januar 1902 die Zwei Geistlichen Lieder ohne opus-Zahl (1900) Wenn in bangen, trüben Stunden und Heimweh (Erlöserkirche München-Schwabing), eine frühere Interpretation ist nicht bekannt; sie stehen zwischen den beiden Uraufführungen der Choralfantasie Halleluja! Gott zu loben op. 52/3 und der Symphonischen Phantasie und Fuge op. 57 für Orgel. Jungvermählt, ein dreiviertel Jahr nach der kirchlichen Trauung mit seiner Frau Elsa, geschiedene von Bercken, geb. Bagenski, schreibt er den Trauungsgesang Wohl denen ohne opus-Zahl für mittlere Stimme und Orgel; das Geistliche Lied kommt durch Elsa und Max Reger gemeinsam zur Uraufführung, am 19. September 1903 (Ev. Kirche Berchtesgaden, Trauung der Eheleute Oskar und Berthel Sensburg). Viermal verbringen die Regers ihren ausgedehnten Sommerurlaub, zunächst allein, später mit beiden Adoptivkindern, in Kolberg an der Ostsee. Das erste der beiden Geistlichen Lieder op. 105 (1907) Ich sehe dich in tausend Bildern musizieren Martha Eichenberger (Sopran) und Reger am 27. August 1907 (Kolberger St. Mariendom), das zweite Meine Seele ist still zu Gott erklingt mit der Altistin Gertrud Fischer-Maretzki am 5. Mai 1910 (Reinoldikirche Dortmund), knapp drei Jahre dazwischen, in denen Tief und Hoch im privaten Umfeld neue Kräfte für Großwerke freisetzten. Überdies konnte sich Reger zum ersten großen Fest seines Namens in Dortmund (Mai 1910) als Höhe- und Mittelpunkt der musikalischen Szene fühlen. Allein diese Auswahl der Geistlichen Lieder Max Regers lassen folgendes Bild zu: - Das Geistliche Lied (Solostimme/n und Orgel) der Jahrhundertwende steht in seinem künstlerischen Anspruch, seinem kompositorischen Gesicht, in seiner für beide Duopartner höchsten emotionalen Anforderung in Richtung eines idealen Verschmelzungsgrades einem sichtbaren, eigenständigen und unverzichtbaren Stellenwert innerhalb des reichen Schatzes an Orgelmusik gegenüber; Begriff, ja Gattung entsteht. - Bei dieser von Reger geforderten Qualität an Vokalsolisten ist deren Auswahl (auch je nach Charakter der Lieder) allererste Prämisse! - Zählen wir die für Karl Straube und Max Reger so schicksalsträchtige Begegnung in der Frankfurter Paulskirche hinzu (Regers Besuch von zwei Orgelkonzerten Straubes am 29.3. und 1.4.1898), so werden in den daraus resultierenden Zwei Geistlichen Gesängen Passionslied und Doch du ließest ihn im Grabe nicht op. 19 (Ende April 1898) die Bezüge zwischen eigener Biographie, körperlich-seelischer Verfassung und Auseinandersetzung um Wort und Musik deutlich. - Unmittelbar darauf kehrte Reger von Wiesbaden nach Weiden zurück. Ich will schaffen,2 waren seine Worte bei der Wiederbegegnung mit seinem früheren Lehrer 144 ______Adalbert Lindner; dieser Schaffensdrang hatte stets das Nebeneinander von Großform und Kleinform zum Inhalt, von gegenseitiger Befruchtung darf gesprochen werden. - Der exzellente Pianist Reger wird gerühmt, mit wenigen Ausnahmen, der hochsensible Klavierbegleiter („ein zarteres Piano habe ich nie gehört“)3 zu sein. Im Vergleich zur Klavierbegleitung wissen wir ihn nur selten als Organist, Improvisator, als Interpret von Orgelmusik sowie Orgelbegleiter – so dürfte die Priorität sein. Um so wichtiger sind uns die entsprechend bekannten Kirchen mit ihren Orgeln, um Symptomatisches für Klangbild, Struktur (Manualwechsel), Schwellbarkeit, Phrasierung, Akzidentien der Geistlichen Lieder zu gewinnen, damit ihren Charakter zu definieren. Um mit dem Geistlichen Lied eines Max Reger, oder weiter gefaßt um Max Reger (so der Titel des ersten Bandes zur Editionsreihe Das Geistliche Lied) einen ersten Höhepunkt wie die hiermit angestoßene Entwicklung in das 20. Jahrhundert hinein aufzeigen zu können, bedarf es einer eingehenden Analyse aller Symptome für den sich festigenden Begriff; eine Art Modul mündet dann in die Gattung Geistliches Lied.

7.1. Das Geistliche im Lied

Die geistlichen Aspekte im Lied, ihre Wurzeln, ihre Herkunft im Individuum Komponist wie dessen spirituelle Heimat sind im folgenden Gegenstand der Erörterung.

7.1.1. Der religiöse Mensch

Die Umbruchzeit der Jahrhundertwende begründet den einen Aspekt im Geistlichen des Liedes, m. E. muß der Mensch Max Reger in seiner religiösen Erziehung, seinem Leben und Wirken für das (Geistliche) Lied beleuchtet werden. Generell ist zu betonen, daß Reger in seiner Zwiespältigkeit als Mensch und Künstler, Pädagoge und Organisator, sein kirchenmusikalisches Schaffen insgesamt auf religiösem Fundament baut. Es ist nicht das Entscheidende, den katholischen (so erzogenen) Menschen einem protestantischen Komponisten gegenüberzustellen, sondern seine absolute Überlegenheit bei der Qualitätsfindung des lutherischen Chorals wie sein Leben in diesem zu entdecken: Ein nach außen oftmals im Exzeß Erscheinender vernahm in Einsamkeit (er konnte sie kaum ertragen) Kraft, Ausstrahlung, Tiefe, Trost und Glück, Chance für heute und morgen; dies alles vornehmlich in stets neu aufbrechender schmerzlicher Auseinandersetzung mit dem Werk Johann Sebastian Bachs, synchron zu seinen Lebenskrisen (Bach das A und O aller Musik). Der Vorwurf an den Protestantismus – „sie wissen nicht, was sie an ihrem Choral haben“4 – gilt auch noch heute, ist zudem herausragendes Indiz für seine Verarbeitung des Choralmaterials. Wenn der Ausspruch Elsa Regers seine Gültigkeit hat, daß ihr Mann vom Schöpfer empfängt, was er anschließend an die Musik abgibt, dann hier: Oftmalige Gefühle des Scheiterns, Phasen des Glückes lassen seine Seele sprechen. Der Chronologie nach wird op. 19 ein dreifaches Reagieren sein: Die einschneidende persönliche wie künstlerische Begegnung mit Karl Straube fiel in die Kirchenjahreszeit von Hochpassion und Ostern, ebenso seine unmittelbar einsetzende kompositorische Arbeit; seine erste große, vielleicht schlimmste Lebenskrise mit physisch-psychischem Zusammenbruch trieb dem Höhepunkt zu, und schließlich sein Entwicklungsweg von Gottesdienst und Ritus des katholischen Elternhauses (schon als 13-jähriger katholischer Orgeldienst in Weiden) hin zur Öffnung, später zur engen Bindung an den evangelischen Choral! Christi Leiden und Sterben, des Menschen eigene Vergänglichkeit, beides findet sich wie ein roter Faden durchgängig in Regers Oeuvre. Das Passionslied enthält Orgelzitate des Liedes Es ist das Heil uns 145 ______kommen her (Dichter: Paul Speratus; er schrieb das Trostlied 1523 aus dem Kerker an seine Gemeinde, mit dessen Gesang 1535 in Württemberg die Reformation erzwungen worden sein soll) wie das Vokalzitat von O Haupt voll Blut und Wunden (Dichter: Paul Gerhardt, von dessen fünf Kindern vier nach den Wirren des 30-jährigen Krieges starben). Das zweite Lied Doch du ließest ihn im Grabe nicht (Zitat aus dem Messias von G. F. Händel) zitiert zweifach: Herzliebster Jesu (Dichter: Johann Heermann, 1630 im Krieg entstanden), in Sopran-, Tenor- und Baßlage, und wiederum Es ist das Heil uns kommen her, variantenreicher als im ersten Lied. In Ergänzung und Abänderung zur einzigen mir bekannten Kurzbetrachtung5 wird die Choralbehandlung Regers noch zu spezifizieren sein. Im Anschluß an den Choralfantasien-Zyklus op. 52 (u. a. Alle Menschen müssen sterben) entstehen im Oktober 1900 seine Zwei Geistlichen Lieder ohne opus-Zahl: Ist es die Angst vor erneutem Rückfall in den Jahren zwischen Wiesbaden und München, schaffensreich besonders im Orgel- und Liedbereich, daß sowohl in Wenn in bangen, trüben Stunden (Novalis) als auch in Heimweh (Julius Sturm) Ewigkeits- und Friedenssehnsucht in wunderbar plastisch-bildhafter Wort-Ton-Sprache gelingen? Karl Hasse nennt solchen vollendeten Ausdruck innerlich seelisch Erlebtes5. Seufzer von kleiner Sekunde, quasi Himmelsfarbe G-Dur, das Auf und Ab des Lebensschiffes auf den Meereswogen, dramaturgischer Ausdruck seiner Lyrik. Das Spektrum geistlichen Inhaltes weitet sich. Das Trauungslied Befiehl dem Herrn deine Wege (Psalm 37/5) für Sopran, Alt und Orgel (UA am 3. August 1902 im Ulmer Münster durch die Solistinnen Scheerer und Stutenrieth, den Organisten Karl Beringer) ist kurz vor Regers Verlobung mit Elsa von Bercken entstanden, auch ihr gewidmet. Im Mittelpunkt steht die Hoffnung auf einen guten gemeinsamen Lebensweg, gewiß symbolisiert u. a. durch zwei Solostimmen, einen verklärten Farbtupfer (Orgel) vor dem einmündenden verdichtenden Schlußteil. Das zweite trauungsbezogene Geistliche Lied Wohl denen: Lebenswandel als harmonisches Labyrinth beruht auf Psalm 119, dem umfangreichsten Lied im Psalter. Wohl denen, die ohne „Wandel“ leben (Reger), ... die ohne „Tadel“ leben (Psalmtext) mit dem Untertitel in der Lutherübersetzung Die Herrlichkeit des Wortes Gottes (Das güldene ABC) ist von Reger auszugsweise (Verse 1 – 5 und 8) textbehandelt worden; ein Paradebeispiel, wie er auf dem Hintergrund christlicher Erziehung, seines neuen Lebensabschnittes Ehe in Synthese von Martin Luthers und Cornelius Beckers Sprache zu eigener programmatischer Text- und Kompositions-Diktion findet. Inwiefern es eine vage Anlehnung an die Melodien einer Primär- und Sekundärquelle gibt, wird die Untersuchung im Verlauf dieses Kapitels zeigen (Kap. 7.2.3). Beide Trauungslieder bilden die zeitliche Klammer der drei Stationen Verlobung, standesamtliche und kirchliche Trauung auf dem Weg in die Ehe. Komponiert im Herbst 1905, verwundert die erstmalig nachweisbare Aufführung des Weihnachtsliedes Ehre sei Gott in der Höhe in der Klavierfassung ohne opus-Zahl mit Max Reger am 26. November 1911 in Görlitz. Eine Orgelfassung (Wolfgang Stockmeier 1994) verschafft dem Anliegen Regers – im Zentrum trinitarische Bearbeitung des Gloria in excelsis implizit des zitierten Orgelsatzes zu Vom Himmel hoch, da komm ich her, umrahmend der szenisch-meditative Text von Ludwig Hamann – Transparenz, Formkraft, farbliche Durchdringung. Regers tiefe Sehnsucht nach Erfüllung himmlischer Verheißungen im irdischen Dasein gewinnt auf Grund seines überaus sensiblen Gefühlslebens fast sentimental-musikalische Züge.

7.1.2. Sein Verhältnis zum Text

Das Geistliche im Lied wurde zunächst an Hand Regers religiöser Herkunft, der daraus resultierenden Persönlichkeit wie seines Handelns in den Blick genommen. Ein weiteres Kriterium hierfür ist sein Verhältnis zum Text, sein Umgang mit Textauswahl, seine 146 ______Beziehungen zu Textautoren. „Schafft mir Texte! Große Texte aus der Bibel! Nur die Bibel und die alten liturgischen Texte sind zum Komponieren brauchbar ...“. So zitiert , Freund und Reger-Biograph, den Meister nach erlebter Aufführung von Bachs h-moll-Messe in Heidelberg 6. Und was hätte sich in Regers Schaffen möglicherweise noch gewandelt, wenn er statt der Präparanden-Schule in Weiden das humanistische Gymnasium (Fremdsprache Latein) besucht hätte? Selbstverständlich bilden im geistlichen Genre die Texte vom 100. Psalm (Erkennet, daß der Herr Gott ist als Zentrum), eines op. 27 Ein feste Burg für Orgel, die Choralvorspiele op. 67, die II. Sonate op. 60, 2. Satz Vom Himmel hoch, wie sogar weltliche Werke (u. a. Choralzitate Wenn ich einmal soll scheiden und Vom Himmel hoch im Largo des Klavierkonzertes op. 114) den Hintergrund zum Versuch, Regers Textumgang zu konkretisieren! Die allseits bekannte Kritik, einerseits durch Textwahl zum Monumentalen, ja „Artistischen in seinem Verhältnis zu Gott“ zu neigen (der Münchener Kritiker Rudolf Louis)7, andererseits einen schlechten Geschmack für literarisches Niveau zu beweisen, ist zu einseitig: Regers neun Geistliche Lieder (wie ich sie verstehe) zeigen folgende Textauswahl auf: a. Psalmen (3) Psalm 62 / Verse 2, 3, 9 Meine Seele ist still zu Gott Psalm 37 / Vers 5 Befiehl dem Herrn deine Wege Psalm 119 / Verse 1 – 5, 8 Wohl denen b. Bibelzitate (2) Eines der sieben Worte Christi am Kreuz: Mein Gott, warum hast du mich verlassen Passionslied (Zentrum) (Textdichter unbekannt)

Messias (Händel) Doch du ließest ihn im Grabe nicht Die Schmach bricht ihm das Herz Er ist dahin ... Doch du ließest ihn im Grabe nicht c. Liturgie (1) Weihnachtslied Ehre sei Gott in der Höhe Gloria in ... und Friede auf Erden und (Textdichter Ludwig Hamann) Excelsis den Menschen ein Wohlgefallen d. Frei (3) Ich sehe dich in tausend Bildern (Novalis) Wenn in bangen, trüben Stunden (Novalis) Heimweh (Julius Sturm)

Das Thema dieser Arbeit verbietet es mir, die Kriterienfülle um Regers Textwahl als Liederkomponist insgesamt darzustellen. Einiges kann durchaus auch für das Geistliche Lied übernommen werden. Zunächst gilt für diesen bisher nicht bearbeiteten Liedbereich: Zweidrittel der Lieder beruhen unmittelbar auf Bibeltexten, wobei Reger Kernaussagen zur Selektion nutzt, über Querverweise sowie Vergleiche zu vorhandenen Gesangbuchliedern

eine – für die ihm vorschwebende plastische Verarbeitung – sinnvolle Änderung oder

Modifizierung der Wortwahl vornimmt (Psalm 62 statt Fels Psalm 18/3 Hort, Psalm 37, Vers 5). Die Angaben zu Psalm 119 (Wohl denen, Dissertation von Grete Wehmeyer)8 147 ______können nur im Kontext der Wort- und Tonbeziehung untersucht, möglicherweise korrigiert werden. Als fast schon karikierende Marginalie sei eingeflochten, spätestens zu diesem Zeitpunkt von Psalm 119 als Grundlage (1903) wird Reger wieder eine protestantische Bibel besessen haben, denn am 7. Mai 1901 beklagt er sich in einem Brief an Karl Straube, daß seine Bibel „spurlos verschwunden“9 sei, er, Straube, möge sich doch bitte „mal die Psalmen ansehen“ („Man fürchtet für meinen Glauben!“). – Weitere Kennzeichnung der Auswahl geistlicher Texte sind Bibelzitate, die in ihrer Kernaussage von inhaltlichem Kontext in Prosadichtung umgeben sind (Eines der sieben Worte Jesu am Kreuz Mein Gott, warum (wie) hast du mich verlassen? Dazu einer Bibelbetrachtung gleich Jesu Leiden auf Golgatha). Die gleichzeitig mit einfließenden textlosen Vokal- wie Instrumentalzitate bedürfen (im übernächsten Abschnitt) besonderer Erwähnung, ebenso ideelle, konzeptionelle Adaptionen zu Johann Sebastian Bach sowie die Wort-Ton- Beziehungen. Die Textzitate aus dem Messias von Georg Friedrich Händel (Rezitativ und Arie Nr. 27 und 30 für Tenor Die Schmach bricht ihm das Herz und Doch du ließest ihn im Grabe nicht) weisen ähnlich starke o. a. Profiländerungen auf, die Metapher eines Bildhauers mit Hammer und Meißel drängt sich auf. Gleich einem Choral ohne Worte wird die Orgel mit beiden Zitaten Herzliebster Jesu (in drei Lagen Sopran, Tenor, Baß) und Es ist das Heil uns kommen her eingebunden, welch geistliche (Seelen-) Tiefe der Ausdrucks- und Vorstellungskraft! Als liturgischen Mittelpunkt, damit im Gottesdienst beheimatet, sehe ich die trinitarische Textwahl des Gloria in excelsis im Weihnachtslied Ehre sei Gott in der Höhe (dreifach architektonisch gegliedert). Ob der Dichter Ludwig Hamann die formale Gesamtvorgabe angelegt oder Reger umformuliert hat, läßt sich heute nicht klären, ich vermute das Zweite. Das historische Bethlehem-Geschehen, menschliche Stimmungen und Engel-Jubel werden textlich wie musikalisch fast überzeichnet; dennoch, die sich jeweils steigernde Stringenz zum Chor der Engel hin (dazu das Orgelzitat Vom Himmel hoch) läßt Text (und Musik) aufhorchen, läßt eine großartige Szene entstehen! Ein Drittel der geistlichen Texte stellen ein Kaleidoskop von Prosa dar, welches trotz einer konfessionsübergreifenden Gesinnung bei Reger auch den katholischen Erziehungshintergrund deutlich macht (intim-fromme Anbetung der Maria bei Ich sehe dich in tausend Bildern), was eigenes Lebenstief in Krankheit, Not, Angst, Gram und Kummer widerspiegelt, ohne die rettende Hand Gottes aus den Augen zu verlieren (Wenn in bangen, trüben Stunden). Beide Texte stammen von Novalis, Nr. 12 und 14 aus seiner Sammlung von 16 Geistlichen Liedern. Frühromantische Lebensbilder, Tod der blutjungen Verlobten, pietistische Erziehung durch Prägung der Herrnhuter Brüdergemeinde, lassen Max Reger gleichsam seelenverwandt den jungen Lyriker in sich sprechen und klingen. Die Lebensmetapher als Schiff, die Sehnsucht zur Ewigkeit, das Ausformulieren der Schwelle zwischen Leben und Tod, dieses muß Reger hinreichend musikauslösende Pointe10 im Text von Julius Sturm (1816 – 1896, zuletzt Pfarrer in ) gewesen sein. In der abschließenden Bewertung des Geistlichen Liedes will ich versuchen, die Problematik des Netzwerkes von schwachen Texten, musikalischer Pointe, der dienenden Funktion des Textes für die Komposition, damit eine quasi musikalische Exegese zu erhellen11 (Reger über sich: „ ... Diese Texte sind wundervoll, aber sie sagen eigentlich selbst schon genug ...“).

148 ______7.1.3. Der Gottesdienst

Als dritter Aspekt im Geistlichen, wie die anderen Aspekte auch ein Stück weit übergreifend, ist mir die Positionierung des Gottesdienstes, des Ortes der Verkündigung wichtig. Anwendung und praktische Umsetzung des geistlichen Liedgutes müssen eigentliches Ziel dieser Betrachtungen sein, für damals wie heute. Beide Richtungen gibt es: Aus einer Lebens- und Glaubenshaltung heraus, damit Kenntnis vom und Heimat im Gottesdienst beim Komponisten (hieraus entspringen die Texte); Text wie Musik – im Gottesdienst beheimatet – müssen Interpreten wie kirchenmusikalisch Verantwortliche zu Empfindungen kommen lassen, die sei befähigen, dieses Genre an seinen ehemals angestammten Platz zurückzuholen. Über Regers Praktizieren im Gottesdienst wissen wir wenig Konkretes. Eine gewisse Regelmäßigkeit im Organistendienst ist uns aus seiner Jugendzeit von 13 Jahren ab bekannt, als Vertreter auf der Orgelbank seines Lehrers Adalbert Lindner in der katholischen Stadtpfarrkirche Weiden. Stete Berührung – im Orgeloeuvre vor allem durch Karl Straube herausgefordert – können wir den Erzählungen u. a. seines Kollegen Georg Sbach (Organist an St. Johannes zu Magdeburg) entnehmen, der auch mit Reger zusammen konzertierte: Kolberg an der Ostsee, ab 1905 Sommerferiendomizil der Familie Reger (Geburtsort seiner Frau Elsa), inspirierte ihn in den Domkonzerten vor allem zur Großform der freien Improvisation, mit und ohne Choraleinbindung, er muß Sakralarchitektur und musikalische Form in geniale Korrespondenz gebracht haben. Ebenso der Kleinstform (z. B. im Geistlichen Lied) spürte er Raum und Atmosphäre ab: Op. 105/1 Ich sehe dich in tausend Bildern ist wenige Tage vor dem Konzert im Kolberger Mariendom am 27. August 1907 spontan entstanden, unter Einbeziehung von Solisten und Orgeldisposition. Er adaptiert (Bau-) Kunst und Religion für die Musik. Solche äußeren Anlässe inspirieren Reger auf dessen mutigem Weg, in einer Umbruchzeit der kirchenmusikalischen Verwässerung den Einsatz für die gottesdienstliche Musik gewagt zu haben! 1958 bekennt sich Hans Mersmann in seiner Kurzbetrachtung Die Kirchenmusik im 20. Jahrhundert zum geistlichen Werk Max Regers als „die große Abstoßfläche einer Entwicklung, deren Bedeutung auch durch die neue Orgelbewegung nicht gemindert werden konnte ...“12. Reger wußte wohl um den Strahlungsbereich der Kirchenmusik (katholisch wie evangelisch) „unter dem Bilde einer Reihe konzentrischer Kreise“ (Mersmann): > Ein innerer Kreis als liturgische Bindung, die Wurzel im Gregorianischen Choral und im protestantischen Lied: Im Katholiken und um den Dreh- und Angelpunkt Karl Straube herum, der ihm das Tor zu den liturgischen Erneuerern Julius Smend und Friedrich Spitta aufstieß, wurden geboren: - Die fünf Choralkantaten, allgemein hochgelobt wegen der neuen Rolle, die Reger der Gemeinde als liturgischem Aktivposten zugestand (Alternatim: Einstimmige Strophen). - Über 70 Gesänge, die im Wesentlichen evangelischen (Kirchen-) Chören zugedacht und dediziert worden sind. - 38 Lieder und Gesänge (unter opus 61 subsumiert) für Chor bzw. Solo und Orgel, der katholischen Liturgie zuzuordnen. Ohne hier vollständig auflisten zu wollen, muß das Fragment des ersten Satzes des lateinischen Requiems (Hebbel) vom November 1914 hierzu gerechnet werden, welches im August 1915 im Requiem op. 144b eine Fortsetzung erfährt – („Dem Andenken der im Kriege 1914/15 gefallenen deutschen Helden“ gewidmet).13 Erstrangigen liturgischen Stellenwert haben seine reichen, zum Teil mindestens mittelschweren Choralvorspiele op. 67 (52 Vorspiele, in intensiver Auseinandersetzung mit Bachs Orgelbüchlein), op. 79b wie die sogenannten Kleinen op. 135a; weitere sechs Vorspiele ohne opus-Zahl, 149 ______unterschiedlichen Lebensabschnitten zuzurechnen, das Entstehungs-Datum ist nicht eindeutig. - Dem Übergang von innerem Kreis und einem nächsten zweiten Kreis möchte ich die Geistlichen Lieder op. 19 und 105 sowie das Ehre sei Gott in der Höhe zuschreiben; innerhalb (liturgisch gebunden) und außerhalb des Gottesdienstes sind sie angebracht auf Grund von liturgischer, biblischer Grundthematik, enger und (dichterisch) freier Textbehandlung – Ebensolches gilt für die Acht geistlichen Gesänge für Chor a-capella op. 138. > Der o. a. zweite konzentrische Kreis über die gottesdienstliche Schwelle hinaus impliziert (vokal) die Geistlichen Lieder op. 137, vor allem die Drei Motetten op. 110, diverse Geistliche Volkslieder ohne opus-Zahl. Das große (choralgebundene) Orgelwerk – es sind 27 Werke mit opus-Zahl von insgesamt 146, davon opus 52 allein drei ausladende Choralfantasien – spiegelt Reger in seinen Schaffensphasen, seinem religiösen Urquell, in der steten Auseinandersetzung mit Text und Choralmelodie; vor allem die sieben Choralfantasien (kompositorischer Durchbruch mit op. 27 Ein feste Burg, durch Straube in Wesel am 13.9.1898 uraufgeführt) und das opus 145 Sieben Orgelstücke (1916) markieren im Geistlichen die gottesdienstliche Verankerung, werden ihrer fulminanten Größe und Aussage wegen primär auf das Konzertpodium verlagert! Das Publikum wird zur gottesdienstlichen Gemeinde, ein Rollentausch, der Reger in seinem Überzeugtsein von eigenem heiligen Schöpfungsauftrag mehr als nur eine Marginalie erscheinen mußte. Nicht zu vergessen sind die freien Orgelwerke (II. Sonate op. 60, 2. Satz Vom Himmel hoch u. a.) wie Choralzitate in weltlichen Werken (Beispiel: Klavierkonzert op. 114, Largo Wenn ich einmal soll scheiden und Vom Himmel hoch). - Als musikalische Predigt kommt den Drei Motetten op. 110 eine ähnliche Einschätzung wie bei den o. g. Choralfantasien zu: Regers Exegese überhöht den reinen Text, mündet formal in den Choral ein (op. 110/3 O Tod, wie bitter bist du), Trost über den Tod hinaus. - Die dem Übergang zugerechneten fünf geistlichen Lieder werden in obigem Sinne eines gottesdienstlichen wie konzertanten Aspektes durch die übrigen vier geistlichen Lieder (siehe Liedband Das Geistliche Lied um Max Reger) komplettiert! Wichtig bleibt zu erwähnen, Gottesdienst wird umfassend verstanden als Ort der Verkündigung, also auch Amtshandlung wie Trauung, Beerdigung, festliche Feiern in Haus und Familie (op. 105 auch als Klavierfassung). > Mersmann nennt einen dritten Kreis, der im weitesten Sinne geistlichen Charakter ausmacht, in der Wurzel dem Gottesdienst entspringt: Hier muß zentral Regers 100. Psalm op. 106 genannt werden, in zwei Etappen uraufgeführt, der Universität Jena als Dank für die Ehrendoktorwürde 1908 gewidmet. Der Reger-Schüler Hugo Holle (Autor der Monographie über seines Lehrers Chorwerke) nennt ihn symphonische Kantate14, Fritz Stein Chorsymphonie;15 eine viersätzige Großform, die sich auf den Höhepunkt des Ein feste Burg zubewegt. Trotz Konzertcharakter ein einziger Gottesdienst in höchster Meisterschaft, kühnster Ausdruckskraft; Vergleiche zu den Messen eines Bach und Beethoven drängen sich auf. - In Auswahl soll schließlich noch sein Chorwerk Die Nonnen op. 112 genannt werden, im Rahmen des 1. Max-Reger-Festes in Dortmund am 8. 5. 1910 am Fredenbaum uraufgeführt (Leitung: Julius Janssen). Regers Kommentar zu beiden Werken („Ich bin katholisch bis in die Fingerspitzen. Das zeigen mein 100. Psalm und die Nonnen“) wird an anderer Stelle von ihm konkretisiert in protestantisch und als Gegenstück katholisch (Die Nonnen)16. Hier schließt sich der Kreis zur früheren Betrachtung des religiösen Menschen, katholische Jugendprägung und evangelische Glaubenshoffnung gehören 150 ______zusammen (7.1.1). Somit sind zur Bestimmung der Gattung des Geistlichen Liedes der Jahrhundertwende, dessen Motor und spiritus rector Max Reger ist, sein persönlich- religiöser Hintergrund, sein Umgang mit Text, sein Beziehungsfeld zum Gottesdienst unabdingbare Voraussetzungen im Teilaspekt des Geistlichen.

7.2. Das Geistliche Lied (Orgellied)

Regers Gesamtschaffen im Lied umfaßt ca. 300 Lieder, neun davon (also 3 %) sind dieser Teilgattung zuzurechnen, wie die Tabelle 1 aufzeigt. Das über sein Leben ausgebreitete Klavierlied – mit differenzierter Intensität – wurde begründetermaßen zum Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen, allein die Fülle läßt ein klares, wenn auch heterogenes Bild zu. Dagegen muß beim Geistlichen Lied, welches im Ablauf seines Schaffens sporadisch, ja scheinbar ungesteuert zufällig zwischen 1898 und 1907 entsteht, ein musikalisches Kaleidoskop unterschiedlichster Prägung untersucht werden. Der von mir bewußt eingeführte Begriff des Orgelliedes grenzt deutlich ab, erleichtert gleichzeitig den Umgang mit den Kriterien. An Hand des Instrumentes Orgel, des damit verbundenen Raumes, seiner Bestimmung eines Innehaltens im Strom des Zeitgefühls von Tempo, Fortschritt, Machbarkeit und Monumentalität, reagiert Reger emotional wie rational: In steter Angst, allem Äußeren, seinem schöpferischen Auftrag nicht standhalten zu können, dem Vergessensein und -werden ausgeliefert zu sein, sucht er in den drängenden Lebens- und Glaubensfragen Halt, mahnt ebenso das dahindümpelnde Bürgertum zur Besinnung an; das Geistliche Lied wird ihm zur idealen Ausdrucksform. Um den Gattungsbegriff begreiflich zu machen, ist zunächst der signifikante Unterschied zum Weltlichen Lied (Klavierlied) anzusprechen: Die Orgel der Jahrhundertwende. Der Versuch, einen Kriterienkatalog mittels einer Synopse (7.2.2.) zu erstellen, soll Übersichtlichkeit und Transparenz für den neuen Gattungsbegriff erleichtern.

151 ______

Tabelle 1 Neun Geistliche Lieder von Max Reger innerhalb des gesamten Liedschaffens, von Simone Naujoks, Universität Köln 1992 (Korrigierte Fassung) 152 ______

7.2.1. Die Orgel der Jahrhundertwende

Sänger und Begleiter können nicht delikat genug im Tone sein, sie müssen vollendete Schönheit des Klanges, ein duftiges Fortissimo, und ein Pianissimo besitzen, das im zarten, immer leiseren Verhallen dem Hörer noch zu klingen scheint, wenn der Ton selbst schon vergangen ist“17. Max Hehemann fährt in seiner Betrachtung Die Lieder punktgenau fort: „Es erfordert Sänger und Begleiter ersten Ranges“. In jeder Beziehung erscheinen diese Zitate – wie fast alle anderen aufgezeigten Kriterien – kompatibel zum Orgellied, ohne daß er dieses wohl bewußt berücksichtigt hat, ausgenommen der kleine sechs-Zeilen-Absatz zum opus 19. Voraussetzung ist, die entscheidenden Verbal-Akzente umzumünzen: Sänger und Organist, („delikat im Tone“) = Kunst der Registrierung wie Artikulation auf der Orgel, Klang-mischung, Schwelldynamik, Manualwechsel („noch zu klingen scheint, wenn ...“) = Raum, Akustik, Empfindung („...ersten Ranges“) = absolute Verschmelzungs- fähigkeit, Homogenität der Solopartner, was auch Hugo Holle so verbalisiert.18 Damit sind die geforderten Charaktere der Orgel um 1900 angesprochen. Es besteht eine eigentümliche Diskrepanz zwischen dem, was wir gemeinhin als Reger-Orgel bezeichnen und dem Kenntnis-, Beratungs- und Begutachtungsstand der Instrumente zu Regers Schaffenszeit. Zu unterscheiden ist zwischen Orgeln einer Bauzeit von ca. 1860 – 1920, im Übergang zur einsetzenden Orgelbewegung (für einige dieser Instrumente hat Reger auch Orgelwerke geschrieben), und denen, deren Kenntnis durch Reger feststellbar ist. Es werden ca. 30 Orgeln insgesamt sein, die als Typus dieser Zeit heute noch gelten dürfen. Die Orgeldisposition war wohl nicht sein Feld, und die Frage im Kontext zur Komposition sei erlaubt: Wie hätte sich sein Blick, sein Ohr, seine Meisterschaft gewandelt, wäre er noch Zeitgenosse der beginnenden Orgelreform der Dreißiger Jahre geworden? Es gibt einen Ansatz hierfür; die sog. Reger-Orgel im Meininger Schützenhaussaal, erbaut von der Fa. Steinmeyer 1914.19 Das I. und II. Manual enthält jeweils eine Mixtur und die Zungen Trompete 8‘ wie Oboe 8‘. Die Reger-typische Clarinette 8‘ im Schwellwerk (II. Manual) entfällt, das Kornett ist aufgefächert, im Pedal erscheint ein Choralbaß 4‘ (für die c. f.- Technik des Barock-Trios wohl geeignet). Als Meininger Hofkapellmeister in den Diensten von Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen war er gutachterlich tätig: „ ... alle Register sind höchst charakteristisch intoniert ...“ (Abnahmegutachten vom 21. Februar 1914).20 Weiterhin lobt er „präzises Spiel“, „praktische Anordnung des Spieltisches“ (auf seinen Wunsch hin ein fahrbarer Spieltisch) und „Klangschönheit“. 153 ______

Abbildung 55 Außerhalb (im Wesentlichen vor) dieser Entscheidung sind als Charakteristika der Orgeln um die Jahrhundertwende diejenigen anzuführen, die weniger Aufschluß über Chancen der Interpretation Reger´scher Großwerke als vielmehr der Miniaturen des Orgelliedes geben: Seine Register-Klangvorstellungen sind bezeichnet durch das Manual (I/II/III), die Fußtonhöhe (16‘/8‘/4‘, ergänzt durch z. B.: Sehr dunkel registrieren), das dynamische Spektrum (ppp/pp/p/mf/f/ff samt Zwischenstufen wie meno, piu, molto), das Crescendo- Decrescendo-Prinzip (< >) und diverse Charakterangaben (sehr zart, expressivo u. ä.). Die sonstigen Vortragsbezeichnungen sind Tempo- und Raumbezogen zu verstehen. Gerade wegen des zu fordernden Verschmelzungsgrades beider Solopartner ist jedes damalige Instrument (im Übergang von mechanischer zu elektrischer wie pneumatischer Spieltraktur) eine Hilfe zur Interpretation, was nicht nur füllige, grundtönig intonierte 16‘- Register im Pedal aufwies, wo gerade auf Grund des Manualprinzips 21 (dynamischer Abstufungsvorgang von I (Hauptwerk) über II (Nebenwerk) zu III (Schwellwerk)) eine Palette von 8‘-Registern nötig ist, die im dynamisch-unteren Bereich (ppp – p) sowohl als solistische Mischung wie auch als Manual-Kopplung Transparenz und nahtlosen Auf- wie Abbau zulassen! Zudem nutzt Reger die 4‘-Höhe gern als Solo-Mischung innerhalb eines Manuals (Trioarbeit) wie im Pedal zur c. f.-Betonung (Choralzitate), also sind auch hier größere Orgeln geeigneter (drei Manuale). Im Bereich der Zungenregister (Manual) charakterisieren Regers Wünsche und Anregungen die Clarinette 8‘ wie die Oboe 8‘. Wie diese unterstreichen Posaune 16‘ und Trompete 8‘ eher den f-ff-Charakter als daß sie solistisch wirken. Mit Vorsicht sind 16‘-Angaben im Manual zur Unterstützung eines melodischen Zitates zu genießen; überhaupt ist all dies vornehmlich als Regers Klangvorstellung zu verstehen, eben nicht als Vorgabe! Zu unterschiedlich gestaltet sich das Spektrum der Orgeldispositionen! Die oftmals bis zu sechs Dynamikstufen (im Geistlichen Lied!) sollten zunächst immer – gerade auf der Ebene unterhalb des f – vom Kopplungsprinzip gedacht und umgesetzt werden. Danach ist ein differenzierter Einsatz des Jalousienschwellers (< >) erforderlich, der manchmal den Vorgaben nicht gerecht werden kann; aber: Hier zeigt sich u. a. die hohe Kunst des Organisten, Körper, Technik und Gestaltungskraft in Einklang bringen zu müssen! Die Benutzung des Registerschwellers (Walze) ist nur in den dynamischen Spitzen (ff-fff) denkbar und sinnvoll, und auch nur an strukturell bedingten, phrasenbezogenen Stellen (Zäsuren, um dem beim Einstellen unvermeidlichen Klangruck zu begegnen). Die Walze begann um die Jahrhundertwende ihren Einzug in die romantische (Orchester-) Orgel, sie war nicht überall a priori vorhanden. Beide Schweller (der des Schwellwerkes als II. oder III. Manual ist unverzichtbar) zählen zu den Spielhilfen, die bei den umfänglichen Liedern zur Ausdifferenzierung von Belang sind: Gegenüber op. 19 (Umregistrieren einzelner Register) benötigt z. B. das Weihnachtslied Ehre sei Gott in der Höhe freie Kombinationen zur Vorbereitung verschiedener Klangstrukturen (freie Rede < > Choralzitat-Abschnitte). Die Manual- und Pedalkoppeln sind ausreichend vertreten, die Zahl der Knöpfe für Walze, Handregister, Teilbereiche der Registerfamilien (an und ab) nimmt zu! Interessant ist die Entwicklung des Tonumfanges: Die Aufführung des o. a. Weihnachtsliedes 1911 in Görlitz verlangt im Choralsatz Vom Himmel hoch (Pedal) ein f‘; da neben der Klavier- wie Harmoniumfassung eine Orgelfassung mit eingeplant war, aber nicht nachweisbar ist, kann es keiner speziellen Orgel zugeschrieben werden; es gab aber bereits Instrumente mit Pedalerweiterung von d‘ nach f‘; daher ist eine Aufführung dort nicht unwahrscheinlich (Stadtkirche Bad Salzungen, Fa. Sauer 1909 u. a.), der liturgisch-gottesdienstliche Bezug ist zu offensichtlich. 154 ______Daß die Orgel zur Zeit Regers nicht nur das gültige Orchester mit allen Instrumenten und Spielhilfen war, erfahren wir aus einem Brief Karl Straubes an Hans Klotz:22 „ ... Der Achtfuß-Klang herrschte in dem Klangbewußtsein des Komponisten vor, auch als sein Geist mit dem Schaffen der Orgelvariationen beschäftigt war“ [Variationen und Fuge fis-moll op. 73] „ ... das, was er erreichen wollte mit seinen ...“ (Angaben s. o.), „ ist ein seelisch bewegter Vortrag ...“. Für mich bedeutsam ist zudem: Als Junge hat Reger in Weiden zumindest in seiner Volksschulzeit zwischen 1879 und 1882 Violoncello gespielt, Unterricht bei seinem Vater Joseph23 und Cellist am Pult im Schulorchester24; ein Achtfuß-Klang-Empfinden ist gerade in jungen Jahren nicht ohne Prägung.

Abbildung 56

Es geht nicht darum, den Orgeltypus zur Reger-Zeit – es gibt ihn nicht auf Grund sehr differenzierter Bauweise – schlecht zu reden! Die Abqualifizierung rund um die Fünfziger Jahre (Helmut Walcha steht hier im Mittelpunkt) war deutlich, ja vernichtend. Regers Inspiration von klanglichen Vorstellungen und musikalischer Predigt flossen in das ein, was ihm an unterschiedlichen technischen wie farbigen Möglichkeiten der Orgeln seiner Zeit entgegenkam, das gilt für die monumentalen Choralfantasien ebenso wie für die Miniatur des Orgelliedes. Die hohen Ansprüche an die Umsetzung seiner Vorstellungen fordern gleichermaßen Interpreten wie Instrumente heraus, Begrenztheit und Schwächen der romantischen Orgel erfahren eine Überhöhung zu Besserem, zu großer Orgelkunst! 155 ______

Abbildung 57 Max Reger an der Orgel des alten Konzertsaales des Konservatoriums Leipzig (1908), Fa. E. F. Walcker & Cie., op. 491, 37 Register, 3 Manuale/Pedal (1887)

7.2.2. Die Orgellieder – Eine Synopse

Das Fundament für die Gattung des Orgelliedes wurde bereits gelegt, der Humusboden für Wachstum und Aufblühen zeigte sich in den Teilabschnitten zum Geistlichen, zum Lied: Reger als religiöse Persönlichkeit, sein Verhältnis zum Text wie sein unmittelbarer Bezug zum Gottesdienst einerseits, Wesen und Inhalt, Ausstrahlung und Wirkung sowie das Formprinzip andererseits bilden sozusagen die Außenansicht, zeigen die äußeren Merkmale auf. Die inneren Merkmale zur Synthese des Orgelliedes soll folgende Synopse auflisten, zunächst auf jedes der neun Lieder bezogen; die Reihenfolge geschieht aus pragmatischen Gründen nach dem Band I des Geistlichen Liedes um Max Reger.

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Tabelle 2 157 ______

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161 ______Abkürzungen:

A Altsolo AT Altes Testament DKL Deklamationslied Gd. Gottesdienst KJ Kirchenjahr M Musik NT Neues Testament O Orgel R Reim S Solostimme (Sopran) Str. Strophe T. Takt T Text UA Uraufführung Z Zitat

162 ______7.2.3. Ergänzende Betrachtungen

Um der Synopse, damit den inneren Kriterien des Orgelliedes Transparenz wie Komplet- tierung zu verleihen, sollen hier die tabellarisch pauschal genannten Merkmale exem- plarisch im Detail erläutert werden. Die ersten sechs Orgellieder müssen aus ihrer Entstehung heraus als drei Paare aufgefaßt werden; das dritte Liedpaar weist Bezüge zum ersten auf, je eines von op.19 und op.105 wird deshalb untersucht. Unter den letzten drei Liedern ist Wohl denen das Ausgefallenste, zumal die Texthistorie klargestellt werden muß.

Passionslied Die Begrifflichkeit Gesänge und Lieder lassen keine eindeutige Entscheidung zu, geben aber doch Hinweise auf den Text (Autor, Form, Charakter) und die damit auslösende musikalische Konzeption. Dieser erste der beiden Gesänge erhält trotz Strophenvorgabe ein breit (formal) wie weit (inhaltlich) ausgefächertes Gesamtbild, Reger gliedert musikalisch nach eigener Einschätzung und Empfindung wie nach Stimmungslage und Ausstrahlung des Textes! Vor-, Zwischen- und Nachspiele wie Farb-, Tonart-, Charakterwechsel demonstrieren das Orgellied a priori als Kunstlied; das Klavier ist durch die Orgel ersetzt, sie genießt höchsten künstlerischen Anspruch, daher von mir auch als Orgellied bezeichnet. In seiner dreistimmigen harmonischen Verschlungenheit (manualiter) bewegt sich Reger deutlich auf HugoWolf zu (Nr.IV Die ihr schwebet aus den Geistlichen Liedern von Reger bearbeitet); die an markanten Textstellen zu bzw.

verdichteten Werte sowie die systematische Pedalphrasierung

lassen exaktes Bach-Studium erkennen, das Orgelbüchlein gibt im Bereich der Passionsthematik manche Orgelchoräle an die Hand, die Pate gestanden haben könnten, wie z.B. aus op.67 auch bekannt (Nr.48 Wer weiß, wie nahe mir mein Ende mit dem Vorbild des Bach’schen Ich ruf zu Dir...). Im übrigen fußt die Pedalbehandlung im II. Orgellied op.19/2 auf dem Orgelchoral Durch Adams Fall ist ganz verderbt (Orgelbüchlein, J.S. Bach). Man vergleiche auch Hugo Wolfs Geistliches Lied Nr.III Nun wandre, Maria... . Eine theologische Deutung der Filigran-Behandlung im Manual liegt auf der Hand (im Kontext dazu ist das Prinzip der Choralzitierung zentrale Aussage): Die Verstrickungen im Tode! Wie bereits besprochen, müssen die Verstrickungen in die persönlichen Lebensumstände verstärkt zur Kompositions-Idee beigetragen haben. Und damit sind die Choralzitate im Solo (mit Textparodie), in der Orgel (ohne Text) zu beleuchten: Im 2.Teil (ab T 31) zitiert der Sopran den c.f. O Haupt voll Blut und Wunden (Kap. 7.1.1.) original, ohne Wiederholung bis zur ersten Halbzeile nach dem Stollen, der Schlußteil lehnt sich an, die 163 ______letzte Halbzeile erscheint fragmentarisch in der Orgel (T 44); Inbegriff dieses Passionsliedes war für Reger wohl stets die 9.Strophe Wenn ich einmal soll scheiden..., was aus einem Briefzitat an Arthur Seidl 1913 als bewiesen erscheint: „Haben Sie nicht bemerkt, wie durch alle meine Sachen der Choral hindurchklingt: Wenn ich einmal soll scheiden?“ (Ausnahme: Choralvorspiel für Orgel O Haupt voll Blut und Wunden ohne op.- Zahl, vermutlich 1904 entstanden; die gleichnamige Choralkantate 1904 unterliegt den Kriterien der insgesamt fünf Choralkantaten). Roman Brotbeck nimmt hierzu (inkl. der Zitatauswahl dieser Strophe, die im Hebbel-Requiem op. 144b nahezu gleich erfolgt) ausführlich Stellung in seinem vierten Diskurs zu den Werken großen Styls, Abschnitt V.26 Nach Meinung des dort zitierten Alfred Dürr gilt Bachs Choralvertonung dieser Strophe in seiner Matthäus-Passion als auslösendes Moment. Die Verquickung von Jesu Tod und eigener Todesangst spiegeln sich in der Verbindung von drei Choralzitaten (Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir ..., wenn mir am allerbängsten) und dem Soprantext als Meditation der menschlichen Seele (Doch Gott hat Dich im Tod erquickt ...) wider; unser verzweifelter Ruf im Original (So reiß mich aus den Ängsten) wird umgemünzt in Trost und Zuversicht angesichts des eigenen Sterbens. Da der Wortlaut des gesamten Textes wie seine Strophenanordnung nahezu identisch mit dem Passionslied von Carl Philipp Emanuel Bach (1780/81 nach dem Geistlichen Lied von Christoph Christian Sturm, als Strophen 1, 3, 5) ist, kann das Geistliche Klavierlied aus Sturms geistlichen Liedern als Vorlage vermutet werden (Regers Textänderungen: „schaffst“, „riefst“, „uns“ - Kap. 4.1.) Der weitaus größere erste Teil, mit der umfänglichen Orgeleinleitung, im g-moll-Charakter (G-Dur im zweiten Teil) lebt u. a. vom geschlossenen Choralzitat Es ist das Heil uns kommen her, wiederum ohne Wiederholung (Charaktere: Eigenständiges Manual, Altlage, dramaturgischer Aufbau mit Registrierangaben, 4‘ nur für die vorletzte Zeile der hat für uns genug getan, seine übliche tenuto-Markierung der c. f.-Töne). Darüberhinaus sehe ich theologisch-exegetisch auch eine Verschmelzung der Textzeilen: Die Orgelzitate erfahren ihre vollgültige Interpretation durch die sie überlagernden Texte des Sopranes (Beispiel: Orgel 2. Zeile von Gnad und lauter Güte, T. 22, 23 Ï Solo darüber Du, dessen Wort den Müden Kraft, Erquickung Dürstenden schafft, T. 22, 23); gewiß keine Zufälligkeit. Wie sehr diese beiden Choralmelodien in den Wiesbadener Jahren Regers – vor und nach der Militärzeit – geistliches Eigentum wurden, zur Identifikation beitrugen, zeigen seine (Orgel-) Werke im Umfeld; ein Kontext ist immer mit einzubeziehen: - In seiner Orgelsuite e-moll op. 16 (Den Manen Johann Sebastian Bachs gewidmet, von Karl Straube am 4. März 1897 in uraufgeführt) verarbeitet er im vierteiligen II. Satz (Adagio assai) folgende drei Choräle: Es ist das Heil uns kommen her (als kolorierter c. f. im 1. und 4. Teil), Aus tiefer Not schrei ich zu Dir (als kanonisches Prinzip im 2. Teil), O Haupt voll Blut und Wunden (als Arioso/quasi Rezitativo im 3. Teil). - Phantasie und Fuge c-moll op. 29 (Richard Strauss gewidmet, ebenfalls von Straube uraufgeführt im Willibrordi-Dom zu Wesel Herbst 1898) weisen zumindest an sechs Pleno-Stellen der Phantasie über Sopran und Pedal Anlehnungen an die im Choral Es ist das Heil uns kommen her prägenden Tonleiter-Halbzeilen auf: Seite 5, drittes Zeilenende, 1. Choralzeile im Original; Seite 6, drittes Zeilenende als sechsstimmige Engführung. Wie stark solche Motive (Motivköpfe) Regers Hirn beherrschten, zeigen die beiden nacheinander entstandenen Choralfantasien op. 27 Ein feste Burg (August 1898) und op. 30 Freu dich sehr, o meine Seele (Herbst 1898): Das Fugato- Thema des Andante aus der Introduzione (vor der 1. Strophe) aus op. 30 ist melodisch wie rhythmisch stark von der 1. Choralzeile Ein feste Burg geprägt! Im Einzelnen gilt weiterhin festzuhalten (taktweise): 164 ______T. 1 ff Durch Registrierangabe (2 Manuale) bekommt die rechte Hand Solofunktion (4‘), der Transparenz dient ein hoch differenziertes Phrasierungsgewebe, was nur selten parallel verläuft (siehe Triosonaten von Bach), das Pedal phrasiert symbolträchtig sequenzierend wie zitierend dreimal bis zum Solo-Einsatz (Schwere, Bodenlastigkeit, Leidensdruck, Passionsstimmung); Motiv Sopran als Quarte, als 2.(Skalen-)Quarte abwärts und 1.Zeile (O Haupt voll Blut und Wunden); Altstimme mit großen Intervallsprüngen; Tenor linear chromatisch-alterierend geprägt, wobei im Duell mit dem Sopran rhythmisch komplementär gearbeitet wird. T. 6 Verschlankung, Hinführung zum Solo-Einsatz über Violinschlüssel (T. 5) und Triller (Fingerzeig: Symbolsprache als Agogik und Akzentierung zu InTodesängsten...). Die Einleitung spiegelt trinitarische Strenge, verdichtende Todesangst wie transparente Szenerie wider. T. 7 Sopran in der 1.Halbzeile mit Grundthema als Viertel-Werte inkl. der thematischen Quarte (abwärts) wie zu Anfang, unterstrichen durch einen ausgedünnten, untergeordneten Orgeltakt ohne Tenor. T. 9 Sopran in 2.Halbzeile mit variierter Sequenz (Quarten!), Orgel interpretiert Golgatha mit verstärkter Figuration und linear-chromatischer Aufwärts- Oktave (Blick auf den Gekreuzigten). T. 10-13 Stringent (über kurzen Ruhepol T. 10, Ende) bereitet die Orgel mit dramatisch anschwellenden, verdichtenden Figurationen die solistische Kernfrage des umschreibenden Textes vor: Wer kann dein Leiden fassen, das Solo singt großflächig (!) und zitiert variativ die 1.Choralzeile von O Haupt voll Blut und Wunden (Pedal: eis,fis!). T. 14 ff Orgel: Stimmkreuzungen und Vorhaltakkorde (Der Neapolitaner ist Regers liebster Akkord!), Auftaktigkeit und Zäsuren wie Pausen drängen zum exponierten Solo-Einsatz (zweimal f 2) des Seufzer-Rufes Laut ... und hast du mich verlassen (T. 17 zwei Sechszehntel als fragende Endgültigkeit?), wie ein musikalischer Schlag in verzweifelter Wiederholung (übermäßiger Schritt b-cis, T. 16/17); als zusätzliche Unterstreichung des Seufzens erscheint die nur im T. 15 wechselnde Pedal- Phrasierung als seufzende Synkope.

T. 17-19 Sopran: Die Verlassenheit der abwärts führenden Frage (Quarte!) wird in der Orgel schwindelerregend in Zweiunddreißigstel-Werten aufgenommen, zutiefst verschmolzen im Beginn der Silbe „ver-lassen“. T. 20 Der Orgelsatz fällt in sich zusammen, musikalisch (stark markiert, additiv 16‘ im c.f.) wie theologisch (auf die Einsamkeit im Tode folgt die göttliche Rettung) als orgel-eigenes Lied ohne Worte mit dem beginnenden Choraltext Es ist das Heil ... ringen in der 2. Strophe Todesverstrickung (S/A) und Heilserlösung (c.f. linke Hand) miteinander, zu dem der Sopran seine freie Interpretation zum Erlösungsgedanken beisteuert, satztechnisch in auffälliger Nähe zum c.f. (Orgel). T. 25 ff Das 2. Christuswort Mich dürstet mündet in das verzweifelte Rufen des Betrachters (höchster Ton g“) Niemand will auf deine Klagen achten; 165 ______einem leuchtenden Gemälde gleich zitiert dazu die Orgel (additiv 4‘) die vorletzte Zeile der hat für uns genug getan; gleich dem Dahinschei- denden pausiert der Sopran, das Instrument verliert sich langsam in die Ruhe hinein, sucht den Trost im Halt des G-Dur-Charakters, dessen ver- ändernde Situation tonsymbolisch über Terzverwandtschaften erreicht wird: f/d/B/G (T 29/30)! T. 31 ff Der 2. musikalische Abschnitt mit seiner 3. Strophe parodiert im Sopran den cantus über O Haupt voll Blut und Wunden mit dem reflektierenden, anbetenden tröstlichen Wortlaut Doch Gott hat dich im Tod erquickt... . Beim Wort Todesangst bricht die schlichte Melodieführung extatisch- tonmalerisch (Töne b-c-b) heraus, um in die rettende Zusage einzumünden. Die Orgel nimmt sich in das Achtel-Sechzehntel-Verhältnis zurück, kommt im Nachspiel über Achtel- und Viertelnoten ganz zur Stille, genaues Hinhören ist angesagt: T. 44/45 zitiert die linke Hand in Variation – quasi als musikalisch-theologische Quintessenz die letzte Choralzeile er ist der Mittler worden. Das Pedal phrasiert im ganzen 2. Abschnitt grundorientiert, nicht konsequent wie zu Beginn, aber weiträumiger. Beiden Duopartnern wird eine intensive analytische Betrachtung im Vorfeld der musikalischen Interpretation abverlangt!

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Abbildung 58 Passionslied op.19/1 von Max Reger (1898)

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Abbildung 59 Orgelsuite e-moll op.16, II. Satz Adagio assai von Max Reger (1895)

- Ich sehe dich in tausend Bildern Ist es der Ort der Uraufführung – wissentlich, kurz vorher, sozusagen in Sichtweite des Kolberger St.Mariendomes geschrieben, schlägt im Thema der Marienverehrung seine katholische Erziehung durch, sucht er nach dem Tode seiner Schwiegermutter (3.3.1907), im Zuge der aufkommenden familiären Schwierigkeiten seine Stille, die Stille im Raum (das überlieferte Programm prägt dominierend in diese Richtung), findet er im Dichter Novalis seinesgleichen? Eine jeweils schlüssige Antwort gibt es nicht, gewiß spielen mehrere Faktoren hinein. Wir haben ein Juwel, ein musikalisches Bild en miniature, einen Sonderfall unter den Reger’schen Orgelliedern vor uns. Zudem haben sich zwei weitere 170 ______Komponisten mit demselben Text befaßt: Der heute vergessene Walter Courvoisiers (1875 – 1931), Schüler des Reger-Kollegen und Kontrahenten an der Münchener Musikhochschule Ludwig Thuille (1861 – 1907), schuf ein Geistliches Lied innerhalb seines Liedbandes Marienleben (Kap. 9.5.); der Reger-Schüler Othmar Schoeck (1886 – 1957) vertont Novalis als Marienlied op. 6/5 drei Monate vor seinem Lehrer während des Leipziger Studienaufenthaltes 1907 (Kap. 8.3.). Und noch einmal zum Gesamtpanorama, in das dieses variierte Strophenlied eingebunden ist: Der III.Band der Schlichten Weisen op.76 entsteht in dieser Zeit, Nr.3 Das Wölklein (Text: Martin Boelitz) widmet er seiner Frau! Wenige Wochen vor op.105 (August 1907) schreibt er die Sechs Lieder op.104 (fertiggestellt am 10.7.1907), deren Nr.1 Neue Fülle (Text: Stefan Zweig) der befreundeten Sängerin Martha Ruben gewidmet ist; sie fungiert ein Halbjahr später über Monate als Haushälterin während des Krankenhausaufenthaltes von Elsa Reger. Op.104/3 Mutter, tote Mutter (Text: Dora Hartwig) gedenkt der verstorbenen Schwiegermutter, ist ebenfalls seiner Frau gewidmet. In dieser persönlich wohl aufwühlenden Zeit zwischen März 1907 (zudem der berufliche Wechsel von München ans Konservatorium Leipzig, Adoption des ersten Kindes als Marie-Martha geboren, genannt Christa 1905-1969) und dem sich verschlechternden Krankheitsbild seiner Frau Ende 1907/Anfang 1908 27 trat Regers auffälliges Ringen um Texte erneut zu Tage, was am brieflichen Kontakt zwischen Stefan Zweig und ihm (zwei Briefe vom 29.März und 13.April 1907 sind erhalten) 28 abzulesen ist. Wir wissen nicht, inwieweit Verstimmungen zwischen Reger und Karl Straube ihm zugesetzt haben, der Wechsel nach Leipzig stand bevor; sicher ist, daß Straube zwischen Dezember 1906 und März 1909 kein Orgelwerk seines Freundes konzertant spielte!29 Dieses beschriebene Mosaik gibt mir den Schlüssel zum Verständnis, in op.105 ein solches Orgellied in die Stille hinein zu schreiben! Läßt man zunächst noch das Gebet (mit dem sehr bekannten Text von Eduard Mörike Herr! Schicke, was du willst, ein Liebes oder ein Leides... doch in der Mitten liegt holdes Bescheiden) von Hugo Wolf – von Reger im Rahmen der Geistlichen Lieder aus dem Spanischen Liederbuch und der Gedichte von Eduard Mörike (1889-1890) im Jahre 1907 für Singstimme und Orgel bearbeitet – musikalisch wie textlich vorüberziehen, so schließt sich der logische Kreislauf: Nicht verwunderlich, daß Regers Seelenoffenbarung in den Worten, Farben, Empfindungen von Novalis das adäquat eigene Bild findet. Das Orgellied steht zwischen den Polen, dem schlichten Strophen-Melodielied und dem Deklamationslied, hier in Anlehnung an Hugo Wolf; durch die Widmungen (op.51/1900) wie u. a. seine (in Kap. 5.3. besprochenen) Bearbeitungen u.a. wird Regers Wertschätzung Wolfs oeuvre gegenüber deutlich. Äußerlich exakte Übernahme der zwei Novalis- Strophen, musikalisch durchkonzipiert, aus der Textentwicklung heraus eine 2.Strophe komponiert, formal schlicht, aber deutlich durch die Wiederholung des Kopf-Akkord- Motives strukturiert, sogar periodisch angewendet, so stellt sich der Rahmen dar. Und auch dies ist ungewöhnlich: Wie verschleiert kaum spürbar eine höhere Ebene des Sopranes; denn quasi rezitativisch-ariosenhaft empfindet er auf dem Tonraum cis‘-gis‘-cis‘‘-eis‘‘(!) = Himmel, fast schwebend – sphärisch um eine halbe Sekunde versetzt (!) – zur Grundtonart D-Dur! Die Orgel läßt sich mit hinaufziehen, nur an markanten Eckpunkten bildet sie das Fundament auf D (T. 1/9/11/19). Im Einzelnen: T. 1 ff Zwei Grundgesten sind zu erkennen, die Geste der Ehrerbietung (M1), Reverenz und Huldigung (Akkordmotiv Orgel wie auch in T. 3-5, 9, 18/19; Solo mit Anrufung der Maria T. 2/3,10,17) wie die Geste des An- und Aufblickes als Betrachtung und Anbetung (M2), auch schon zu Barockzeiten als Anabasis bezeichnet (Solo Takt 2/3, 6/7, 8/9, 12, 14/15; 171 ______Orgel nur einmal(!) bei Ausformung des Himmels als Cis-Dur; sonst bleibt sie ausschließlich bei variierter sich neigender Motivik). T. 2 Freiraum für rezitativische Anrufung (Solo), Orgel Pause (Vergleich zu Wolfs Gebet Ï Tonraum!) T. 2/3 Orgel: Symbolische Sext-Akkordkette (M1‘) abwärts, 1.Abschluß mit Solo. T. 3-5 Orgel: M1 sequenziert variativ mit jeweils drei unterschiedlichen Taktbetonungen (s.o.) als Symbol für tausend Bilder; wichtig ebenso die Harmonie-Rückung Cis/h (T. 3); Solo: Empfindung als Arioso lieblich... . T. 6-9 Solo: Vorbereitung der Geste M2 (Blickrichtung); Orgel: Eigene Seelen- schilderung wird durch Pedalton D akzentuiert, Zäsur über Textverwandt- schaft Fis = Kontrast (Seelenempfindung), oktavierende Markierung von M1‘, Verdichtung durch Achtel-Linie M1‘ im 2.Sopran, dazu tonsymbolischer Quartsextakkord mit Vorhalt 9-8, auch als Huldigungsakkord bezeichnet,30 gemeinsamer Strophenschluß. T. 9-13 Orgel: Harmonierückung (E/D) mit Wiederholung von M1 als 2.Strophe; Solo: Verkürzte Eingangsformel mit Quinte gis‘-cis‘ führt in die kurze dramatische Deklamation ...der Welt Getümmel... (Dynamik: molto), um über das kontrastierende M2 (dolcissimo) den verwehenden Traum zu symbolisieren; Orgel: Große Sicherheit erstrahlt vom oktavierenden, flächenartigen M2-Abgang, gleichzeitige Vorbereitung des sich anbahnenden Himmels mit Schlußakkord Fis-Dur (T. 13). T. 13 ff Orgel: Wie aus einem Schmelztiegel zartester Terz-Farben, sich weitender Harmonik (Ï 7-stg.), ersteht im Cis-Dur die aufgehende Sonne am Horizont; Solo: Über M2 vereint sich sozusagen die Partnerin mit der Orgel in der Himmelsfarbe Cis-Eis-Gis, eigentlich Höhepunkt des Liedes; Orgel/Solo: Aus scheinbar nicht enden wollendem Klangstrom heraus neigen sich beide immer stärker im Huldigungsmotiv M1 der Stille zu, im Schluß der Orgel exemplarisch sichtbar wie hörbar. Ein Seitenblick sei erlaubt: Daß diese Stille unmittelbar in die Atmos- phäre des zweiten Liedes von op.105 eintaucht, zeigt deutlich eine paarweise Aufführungpraxis an!

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Abbildung 60 Ich sehe dich in tausend Bildern op.105/1 von Max Reger (1907)

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Abbildung 61 Gebet von Hugo Wolf – Bearbeitung von Max Reger (1907)

- Wohl denen Wegen der völlig aus dem Rahmen fallenden textlich-musikalischen Diktion muß dieses Orgellied ebenso im persönlichen wie beruflichen Umfeld beleuchtet werden: Von einem erneuten kompositorischen Schub rund um den Sommerurlaub in Schneewinkl bei Berchtesgaden (18.7.-27.9.1903) ist zu sprechen; neben op.71 Gesang der Verklärten, op.72 Violinsonate C-Dur (mit der S-C-H-A-F-E - A-F-F-E-Tonsymbolik als Reaktion auf die öffentliche Kritik) ist vor allem das monumentale Orgelwerk op.73 Variationen und Fuge fis-moll über ein Original-thema zu nennen, welches im Autograph das Abschlußdatum 16.9.1903 aufzeigt.31 Nur drei Tage später erfolgt die Uraufführung von Wohl denen durch das Ehepaar Reger am 19.9.1903 in Berchtesgaden (Kap. 7.1.1). Dieses Orgellied beschreibt ein Hochgefühl jungen Ehelebens, das ihn veranlaßt haben mag, im Psalm 119 die goldenen Lebensregeln, damit eheliche Vorsätze musikalisch zu verinnerlichen, ohne Rücksichtnahme nach außen (harmonische) Seelenwanderungen freisetzen zu können, zudem tiefe Verletzungen, ja resignative Stimmungen,32 eine Folge der niederschmetternden Kritik von Rudolf Louis auf den Orgelabend Karl Straubes (Dort erklangen seine Orgelwerke op.27 und 57) am 14.6.1903 im Baseler Münster anläßlich der 39. Tonkünstler-Versammlung des Allgemeinen Deutschen Musikvereins.33 Straubes Wunsch nach einem nicht kirchlich gebundenen Orgelwerk im Anschluß an besagtes Konzert beantwortete Reger prompt mit op.73 und der Widmung Zur Erinnerung an den 14.Juni 1903. Der legitime Blick in das gesamte aktuelle Schaffen muß vergleichsweise neben dem Auschnitt aus dem Orgelwerk avantgardistischer Prägung 34 op.73 auch sein Klavierlied dieser mittleren Schaffens-Periode umfassen, das eindrucksvoll Fortschritt im Sturm und Drang, Auflösungstendenzen in allen ihm zur Verfügung stehenden musikalischen Ressourcen bestätigt, wohl wissend um die erweiterten Möglichkeiten des Geistlichen Liedes in der Paarung Solostimme und Orgel: Die Zwölf Lieder op.66 sind im Verlobungsmonat August 1902 entstanden, dementsprechend seiner geliebten Elsa zum 174 ______Hochzeitstage am 25.Oktober 1902 gewidmet. Das Lied Nr.10 Morgen gehört zu jenen, die auch von Richard Strauss vertont worden sind (op.27 ebenso dessen Braut, der geliebten Pauline am 10.September 1894 gewidmet). Wolfram Steinbeck befaßt sich ausgiebig mit den 14 Reger-Liedtexten, die gleichermaßen Grundlage für die Strauss’schen Lieder waren.35

Abbildung 62 Morgen op.66/10 von Max Reger (1902)

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Abbildung 63 Variationen und Fuge über ein Originalthema fis-moll op.73, II.Satz Andante von Max Reger (1903)

In der Projektion auf das Orgellied Wohl denen schält sich – im Kontrast zu allen vorherigen Orgelliedern – eine Eruption, ein Abbruch des bisher Traditionellen, das Ein- dringen von Chaos und Überforderung von Interpret und Hörer heraus: Die Harmonik kommt an ein Ende in dem Sinne, daß es kein eigentliches Gravitationszentrum36 mehr gibt, d.h. alles schwebt, ebenso die Rhythmik (Wechsel zwischen folgenden Notenwerten),

der Satz, besonders das Orgelpedal wird gelüftet zur schwebenden Forcierung, es überwiegt deklamatorische Eigenständigkeit der Solostimme, selten ist ein tonal- harmonisches Geländer im Irrgarten des durch ein Intervall-Labyrinth wandelnden Sopranes zu finden, dazu ein agogisch-dynamisch breites Spektrum. Vor uns steht ein Bild, was Gerd Zacher eine Collage nennt im Bezug auf die Frage, wie hier das Prinzip Modulation überhaupt zu verstehen sei!? 37 Aber dennoch – und das ist das faszinierende Kennzeichen dieses Orgelliedes – verschmilzt Wohl denen zu einem Ganzen, vorausgesetzt, Sänger und Spieler hören (auf-)einander wie separat, sie empfinden nach innen (Strom) und außen (Körpersprache), sie halten die Balance zwischen agogischer Dichte und harmonischer Strenge! Zudem muß ein deckungsgleiches Verständnis zur Dramaturgie erreicht werden, und dabei spielt die Textauswahl, die Reger’sche Textdiktion 176 ______(Konzentration aus den Texten der Bibel, des Genfer Psalters 1551 und von Cornelius Becker 1602) wie seine musikalische Umsetzung eine dominierende Rolle. Bemerkenswert ist der sinnentstellende Fehler, der aus dem Autograph ersichtlich ist: Wohl denen, die ohne „Wandel“ leben; Vers 1 von Psalm 119 lautet Wohl denen, die ohne „Tadel“ leben, welches einzig allein Sinn ergibt. Mir ist kein anderer, ebenso gewichtiger Fehler bekannt. Hat das mit den beschriebenen Umständen zu tun? Wohl kaum ist es vorstellbar, daß Elsa Reger hier gegen den Bibeltext am 19.September 1903 gesungen hätte? Das Wort Wandel hat wohl anschließend nicht die entsprechende Korrektur von Reger selbst erfahren. Da aber heute (und dies ca. 50 Jahre lang) die Ungenauigkeit geblieben ist, sei es mir gestattet, dem chronologischen Weg Klarheit abzugewinnen:38 1950 Die Dissertation von Grete Wehmeyer (Max Reger als Liederkomponist)39 weist in dreifacher Form Unrichtigkeiten auf: - Wohl denen wird (zweimal) unter dem autographischen Fehler Wandel zitiert; - In beiden Verzeichnissen nach opus-Zahl bzw. Chronologie wie nach den Textautoren erscheint das Orgellied als Klavierlied, was nicht primär richtig ist: Der Instrumentalpart ist von Reger der Priorität nach der Orgel (resp. Ï Autograph = respektive: also) bzw. - oder dem Harmonium zugewiesen, was an markanten Stellen (vor allem T. 21 bis Schluß!) nur orgeltypisch Sinn macht; - Im o.a. zweiten Verzeichnis ist vermerkt Dichter? Im Autograph steht keine Textangabe; die Umsetzung der Kenntnis vom Umgang Regers mit Bibel und Gesangbuch hätte zu Psalm 119, Verse 1-5/8 geführt. Im übrigen suggeriert der Titel von Wehmeyers Dissertation Lied als ausschließlich Klavierlied; zusätzlich zu den hier aufgeführten Orgelliedern op.105 (primär auch Orgel, die Jahresangabe muß von 1908 auf 1907 korrigiert werden) und Ehre sei Gott in der Höhe (ursprünglich mit Klavier) müssen keine Kenntnisse über die weiteren vier Orgellieder vorgelegen haben! 1953 erscheint das Thematische Verzeichnis der gedruckten Reger-Werke bei Breitkopf & Härtel in Leipzig, von Fritz Stein (1879-1961) bearbeitet; er hat Wandel durch Tadel ersetzt, da die beiden ersten Editionen (Lauterbach & Kuhn 1903, Bote & Bock 1909) den Schreibfehler beibehielten; wichtig ist außerdem die erstmalige Pedal-Kennzeichnung. 1967 bringt Breitkopf & Härtel in Wiesbaden die Reger-Gesamtausgabe heraus, wohl noch von Fritz Stein revidiert. Das Psalmwort Tadel ist eingefügt, sein Schüler Walter Teschendorf 40 wird den Orgelsatz im Zwei-Zeilen-System (inkl. Pedal- Kennzeichnung) übernommen haben. 1995 Wesentlicher Unterschied hierzu ist im o.a. Band I zum Geistlichen Lied um Max Reger (mit weiteren Orgelliedern von Karl Hasse und Othmar Schoeck) eine orgelgerechte Fassung samt sämtlicher bisheriger Akzidentien und die seit 1909 beibehaltene Vortragsbezeichnung ziemlich langsam. Damit wird das Thema Tempo, konkreter das Verhältnis von Harmonik und Zeit angesprochen, dem André Manz Gedanken innerhalb seines Aufsatzes zum Extremen Fortschrittsmann Reger als Orgelkomponist widmet.41 Das Wort Wandel erschien aufgrund alleiniger Vorlage des Autographes leider erneut. Bevor die bisher praktizierte Besprechung im einzelnen erfolgt, gilt es, zu Text- (aus-)wahl, seiner speziellen Reger‘schen Ausformung wie zum musikalischen 177 ______Basis-Material Stellung zu nehmen. Die kräftigsten Verse aus dem längsten Psalm im Psalter assoziieren bei ihm genau die Pointen, die seiner zukünftigen Ehe Eckpunkte und Wegweisung bedeuten, ja Syntax wie Begrifflichkeit werden auf Grundlage der drei Quellen in eine für ihn plastische Form gegossen, in der Betrachter wie Hörer das Bild, die Collage bizarr und einprägsam erfahren muß! Die drei Quellen sind Bibel, Melodie zu Psalm 119 aus dem Genfer Psalter von 1551 (O wie selig sind, die...) 42 und der (heute wieder gedruckte) 4-stg. Choralsatz (Wohl denen, die da wandeln...) von Heinrich Schütz 1661, Text von Cornelius Becker 1602.43 Abweichend vom Bibeltext fließen Begriffe wie Zeugnisse (statt Mahnungen), Übel (statt Unrecht), Rechte (statt Gebote) ein, satztechnische wie satz- grammatikalische Veränderungen (z.B. T. 10/11, ab T. 21 ff) bilden gleichermaßen eine tonmalerische Intensität, die, gepaart mit modulatorischen Irrläufen und rhythmischen Kapriolen, die Deklamationsfähigkeit des Solo in außerordentliche Höhen treiben! Allein die Facetten der Aussprache ließen einen eigenen Abschnitt zu! – Es ist davon auszugehen, daß Reger beide (musikalischen) Vorlagen kannte. Zum Einen birgt das Tonmaterial von 1551 nach 1602 in seiner hymnologischen Evolution interessante Einblicke (siehe Abbildungen 64 und 65), Anfang und Ende der Schütz-Melodie sind Zentrum der Genfer 1. Fassung; zum Anderen ist der ursprüngliche Tonraum (Grundton G Ï Terz H) in der ersten Melodie unmittelbar von Reger übernommen worden, gewiß kein Zufall. Die für ihn textliche Kernaussage, inständige Bitte (Verlaß mich nimmermehr, dreimal) hat in seiner emphatischen Sequenzbewegung die aufstrebende Melodiefloskel der ersten Schütz-Zeile zum Inhalt, gewiß auch kein Zufall, musikalisch-theologische Verdichtung!

Abbildung 64 Psalm 119, 1.Fassung (Genf 1551)

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Abbildung 65 179 ______

Psalm 119, 2.Fassung (Melodie/Satz 1661, Text 1602) Im Einzelnen: T. 1 – 4 Die Tonart C-Dur läßt sich nur durch Blick auf den Schlußakkord erahnen! In völliger Schwebung, beinahe irritierend, wird der Solo-Einsatz von der Orgel vorbereitet (Basisdynamik/pp, Schwelldynamik < >, ohne Pedal bis T. 4(!), in der Orgel-Sopranstimme der symbolisch-lineare Weg zur Sexte, der atemberaubende Modulationsvorgang über F, alteriert Fis, h, a nach e, dazu der Baßabgang mit Sprung F-Cis); ständige rhythmische Wechsel im Solo verstärken die Schwebung, ganz aus dem dramaturgisch-emphatischen Sprachduktus heraus geprägt. Zwei Partner wandeln um einen Takt versetzt auf der Sext-Linie aufwärts! Sehr bemerkenswert: Die in beiden Quellen beschriebene deckungsgleich existente Melodiezeile in der Amplitude der Oktave wirkt hier im Hintergrund; dreifach (trinitarisch) gestaltet sich espressivo-stringent der Sopran-Duktus, durch zwei Achtel-Pausen gegliedert (denen h1 Tadel es2 Gesetz es2), mit Abschluß einer quasi Bi-Tonalität ces1(Vorhalt) – A-Dur (2).44 T. 5-9 Szenenwechsel: Schnitt, Zäsur, die Ausnahme tritt ein, harmonische Orientierung entsteht in Orgel und Solo (B-Dur), eine Schwebung wird dennoch erreicht durch ausschließlich den Akkord in der rechten Hand. Zur musikalischen Pointe wird als Höhensteigerung (siehe Dreifachgliederung zu Beginn) im T. 6 der Amplituden-Gestus Zeugnisse, nämlich Sopran mit f 2 samt weiter Lage in der Orgel (inkl. Pedal); die rhythmisch-harmonische Wendung auf halten verstehe ich als Wille oder Forderung, Gottes Gebote einzuhalten. T. 7 zeigt zwei Aspekte der Tonsymbolik auf, bezogen auf die Zielrichtung ihn (= Herrn): Die Orgel mit Ausnahme des Schlußakkordes (theologisch als Eschatologie-Symbol zu verstehen) auf höchster Tonebene im Übergang T. 6/7, das Solo über seelische Deklamation (von ganzem Herzen) auf das f 2 des Suchens hin; T. 8 überläßt aufgrund der Begleitfunktion (inkl. Orgelpunkt) das Melisma des großflächigen Suchens dem Sopran, einmündend in erneute Unsicherheit wie Ungewißheit beider Partner in T. 9 (über chromatischen Sopran-Gang b1/h1 in den Quintsextakkord). Die Orgel sucht solistisch die neue Farbe, das neue Bild über die Reger- typischen Kapriolen der Terzverwandtschaften: E – A – F – Des Ï Ges- Dur, tonsymbolisch bedeutsam wird die theologische Quintessenz angekündigt: Bleibt nämlich unser Suchen ganzheitlich eine Lebensaufgabe, so gehen wir vor Gott den rechten Weg! T. 10-12 Parlierend (Triolen), ariosohaft weist das Solo auf eben diese Menschen, eine Art Fingerzeig (Synkope T. 11); ebendort reagiert die Orgel mit scharfer Rhythmik und dem einzigen sf im gesamten Lied; in nahezu perverser Form moduliert Reger „kein Übel“ (T. 11). T. 12 Den Szenenwechsel bereitet die Orgel allein vor (s. T. 9). T. 13-15 Gleichsam in Ehrerbietung vor dem Du (dem Gebot Gottes) baut sich die Orgel vom schlichten C-Dur-Grundakkord (rechte Hand) über links und Pedal in wiederum Terzverwandtschaften zum Zenit der Zeile hin auf: F-moll, rhythmisch-paralleles Skandieren mit dem Sopran; ein typisch zweideutiges Bild (T. 15) bei Reger, chromatisches Wechselspiel in Unsicherheit wie ein sich nicht vom Fleck-Lösen-Können, Frage und 180 ______Antwort zugleich! Das Solo steigert den deklamatorischen Ablauf in Eigenständigkeit zur Orgel, T. 13ff haben dementsprechend ihr Ziel in T. 18: In Respekt und Gewichtung vor dem Du-Einsatz auf dem zweiten Viertel mit Dehnung wird das Zentrum fleißig in dreifacher Form (als Synkope, höchster Ton, tenuto -) angesteuert, umgeben von den beiden anderen Textakzenten geboten (Triole, Höhepunkt der ersten Linie in T. 13 und >) und halten (Punktierung als Forderung, höchster Ton in T. 15, tenuto -);die selbständig agierenden Partner treffen sich harmonisch und rhythmisch in der Mitte (fleißig). Tonmalerisch erscheinen mir diese drei Takte wie ein Dach, unter das wir Menschen gezwungen sind, oder musikalisch gesprochen die Frage und die Antwort; die Linienführung ist hier eindeutig:

T. 16-18 Alle Facetten der Reger’schen Gestaltungskunst kommen hier in höchster Gefühlswallung, unter inständiger Bitte und in tiefer Glaubenserfahrung zusammen, einschließlich der Marginalie am Schluß, das Ausrufungszeichen (!) statt des Punktes (.) im Bibeltext! Dramaturgisch (= musikalisch/theologisch) bewegen sich beide Stimmen auf die Fermate und das ff in weitester, voller und höchster Lage zu; wenn Körpersprache nötig ist, dann hier: Sopran und Orgel müssen adäquat, kongruent, in Feinabstimmung (Synkopen-Beginn, T. 16), .

als ständig wechselnde, sich emotional steigernde Rhythmik mit harmonisch-technisch dichtem Orgelsatz unter espressivo und crescendo einen Phrasierungsbogen gestalten! Sänger wie Organist werden hier ihre Grenzen abspüren; ein wahrhaft ernster, nicht zu erwartender d-moll- Akkord! T. 19-24 Letzter Szenenwechsel: Pause (auch physiologisch notwendig!), die schon bekannte Tonartenrückung (d-moll Ï D-Dur), zum dritten Mal der pp- Einsatz der Orgel (rechte Hand) wie der schrittweise Einstieg in den kompletten Orgelsatz; hier ist der Orgelpunkt Ï (T. 21) das Ziel. Was der Melodieaufstieg (Orgel) am Anfang war, ist hier wie im Spiegel der Abstieg, einmündend in die Zwiespältigkeit von T. 15, die aber unaufhaltsam in höchste Sphären von Aufblick, Zuversicht und Ewigkeits- Ahnung emporsteigt. Das gewohnte Bild der Terzen – auch ein Symptom der Verinnerlichung – demonstriert vereinsamte, musische Seele, inkl. des Tenors schwankt sie (ohne modalen Bezug) hin und her, lediglich der Orgelpunkt schafft fernes Fundament. Eigenständig, von Lage, Rhythmik und Duktus herausgehoben, fleht (wiederum dreimal) das Solo emphatisch Verlaß mich nimmermehr. Das zur-Ruhe-Kommen insgesamt symbolisiert letztlich Trost, Hoffnung 181 ______und Zuversicht, Geborgenheit in der Allmacht des Schöpfers (Schlußakkord C-Dur = 4 Oktaven-Raum!). Zum Formprinzip ist zu betonen, daß Reger prinzipiell die Gliederung der sechs Psalmverse übernimmt, sie aber an Schärfe gewinnen läßt, besonders in den für ihn nötigen Abänderungen (mutatis mutandis) der theologischen Kausalzusammenhänge: Die Verse 2 und 3 in ihrer Addition werden hier konsekutiv gewandelt „...suchen. Denn, welche...., die tun kein Übels“. (T. 9 – 12). Die drei textlichen Hauptpointen „suchen, mit ganzem Ernste hielte, nimmermehr“ sind bei der mittleren Pointe umfassend musikalisch interpretiert, T. 18 ist der dramat(urg)ische Mittelpunkt, gleichzeitig Doppelpunkt für die Schlußbitte! Wie stark dem Komponisten der Drang zum trinitarischen Prinzip innewohnt (siehe auch das Anfangsmotiv der Introduzione aus op.73), zeigt ein Blick auf jede Zeile der sechs Verse im Sopran (siehe Abbildung 66, T. 1/T. 2/T. 3). Zum Schluß der Hinweis, auf welche (un-)möglichen Ideen sich auch der Organist einzustellen hat: T. 11 verlangt auf dem zweiten Viertel ein sf exakt zwischen beiden pp (!); es muß sich also auch um einen agogischen Impuls handeln. Dieses Orgellied ein Sinnbild des Lebens ...

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Abbildung 66 Wohl denen ohne opus-Zahl von Max Reger, 1.Manuskriptfassung (1903)

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Abbildung 67 Wohl denen ohne opus-Zahl von Max Reger, 2.Manuskriptfassung (1903)

- Ehre sei Gott in der Höhe „Unter Berücksichtigung der für Regers Orgelspiel typischen Merkmale“45 hat Wolfgang Stockmeier die „üppige Klavierbegleitung des Originals“46 in einen für die Orgel, damit den entsprechenden Raum, für die akustischen Verhältnisse transparenten Satz umgeschrieben; gewährleistet, ja herausgefordert ist somit eine sinnvolle Verwendbarkeit im Gottesdienst! Kein Orgellied sonst eignet sich so unmittelbar zur Stimulierung der Weihnachts-Stimmung von Groß und Klein (Text des Liedes), stellt eine solch‘ bereichernde oder alternative Möglichkeit zur traditionellen Weihnachts-botschaft aus Lukas 2 dar, zumal die Menschen ihres wichtigsten Gottesdienstes im Kirchenjahr über den dreimaligen Choral-Refrain (Orgelsatz als Choralstrophe Vom Himmel hoch ...) angesprochen werden, in doppeltem Sinne: Zum Einen das ihnen sehr vertraute symbolträchtige Traditionslied, zum Anderen die Möglichkeit eines aktiven Mitsingens der 187 ______Melodie (Voraussetzung ist ein zusätzliches Dirigat!), also ein Praxisbezug, wie ihn Reger sicher – auch – gesehen hat. Wie bisher gilt es, den Zeitpunkt der Entstehung in seine Gesamtbiografie einzubetten: Parallel hierzu entsteht als einziges Orgelwerk im Herbst 1905 die Orgelsuite op.92 (Sieben Einzelstücke in den typischen Formen Präludium, Toccata, Intermezzo, Fugen, Basso ostinato, Romanze). Am 28.September stirbt sein Vater; gesundheitlich muß Max Reger sehr angeschlagen gewesen sein, ärztlicherseits wurde ihm zu acht Wochen Sommerurlaub (erstmalig Kolberg an der Ostsee) geraten!47 Es muß auffallen, daß seine Orgelsuite in fünf Sätzen den Tonarten-Charakter von g-moll erhält, unterbrochen von Intermezzo (fis-moll) und einer typischen kantabel-lyrischen Romanze (As-Dur), trotz einer individuell zu (be-)greifenden Emotionalität eine schwermütige Grundfarbe. Tonart und Tonmalerei im Orgellied bilden die Brücke: Ein Mosaik um die Grundtonart C-Dur (Ausgangspunkt ist die Melodie des Kinderliedes auf die Weihnacht Christi 1535 48) mit ihren Terzverwandtschaften a-moll, As-Dur (glänzt), E-Dur (Hoch) unterstreicht die o.a. Stimmungen, den eigentlich sinnvollen Ort der Interpretation. Es soll nun in Abänderung und als Erweiterung versucht werden, in einer Grafik die vergleichende Wirkung wie Dramaturgie in gesprochenem Text und in musiziertem Orgellied aufzuzeigen, um die Bedeutung eines praktischen Vollzuges zu unterstreichen. Beide musikalischen Partner erscheinen als eine grafische Kurve:

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Abbildung 68 Grafik im Vergleich: Ehre sei Gott in der Höhe ohne opus-Zahl von Max Reger (1905) - als gesprochener Text (grün) - als musiziertes Lied (rot)

189 ______Zweierlei soll veranschaulicht werden: - Die klang (-liche) Effizienz, d.h. Wirkung und Wirksamkeit des Klanges auf den Hörer als gesprochener Text (Lesung u.a.) sowie als musiziertes Orgellied, sind fundamental unterschiedlich: Der Skala 1 – 3 (Wort) steht eine 3 – 4fache Skala 4 – 10 (Musik) gegenüber! Je nach Raum-Akustik-Situation, nach Stimm-Volumen der Solisten, je nach Charakter, Intonation, Klang-Registerfülle der Orgel ist eine Modifizierung nach unten und oben zu erwarten. Von daher wird die Ansprache auf den Hörer in jedem Falle eindrücklicher und lebendiger sein. - Innerhalb der beiden deklamatorisch-dramaturgischen Kurven sind zudem die Abläufe beim Musizieren im Detail seismografisch ausgeprägter, stärker in Bewegung, die dreifach zitierten Blöcke über den Choral Vom Himmel hoch (Orgel) sind jeweils in sich stringent, im Vergleich zueinander dramaturgisch auf den Schluß des Gloria (ff) ausgerichtet, was die Wirkung eruptiv erhöht! Die Partitur (Abbildung 69) markiert um der Transparenz willen nur die musikalischen Pointen.

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Abbildung 69 Ehre sei Gott in der Höhe ohne opus-Zahl von Max Reger (1905) - Orgelfassung von Wolfgang Stockmeier (1994) - 193 ______

1 Vgl. Schreiber 1, S. 81. 2 Vgl. Fritz Stein, Max Reger (Die großen Meister der Musik), Potsdam 1939, Laaber 1980, 2. Aufl., S. 25. 3 Vgl. Schreiber 1, S. 102. Adolph Bartsch schreibt über Regers Konzert vom 9.Oktober 1912 in Lüdenscheid (Klavierbegleitung bei eigenen Liedern). 4 Vgl. Rolf Schönstedt, Das Geistliche Lied um Max Reger, München 1995. 5 Vgl. Anm. 2, S. 28 (Max Reger im Gespräch mit Adalbert Lindner). 6 Vgl. Günther Stange, Die geistesgeschichtlichen und religiösen Grundlagen im kirchenmusikalischen Schaffen Max Regers. Eine theologische Untersuchung, Leipzig, Diss. 1966, S. 164. 7 Vgl. Karl Hasse, Max Reger (Die Musik, Sammlung illustrierter Einzeldarstellungen, hrsg. von Richard Strauss, Bd. 42/43, Leipzig o. J., S. 39). Karl Straube wird zitiert unter der Thematik der „erzieherischen Wirkung von Bachs Kunst auch auf Regers Liedschaffen“ u. a.: „und es ist Bach’scher Geist, wenn Reger den Verlockungen seiner Texte, ein dramatisches Bild zu geben, widersteht, von allen Situationsschilderungen absieht, um nur innerlich, seelisch Erlebtes wiederzugeben“. 8 Vgl. Anm. 5, S. 88. 9 Vgl. Grete Wehmeyer, Max Reger als Liederkomponist. Ein Beitrag zum Problem der Wort-Ton-Beziehung, Köln, Diss. 1950, S. 325, 315. 10 Vgl. Susanne Popp, Max Reger. Briefe an Karl Straube (Veröffentlichungen des MRI, Bd. 10), Bonn 1986, S. 20. 11 Musikauslösende Pointen des Textes ist ein von Grete Wehmeyer benutzter terminus, der von ihr im letzten Kapitel aus Regers Begriff Pointe heraus im Sinne von Fritz Steins Bericht entwickelt worden ist. Wehmeyer zitiert ihn: „Von Hunderten ihm [Reger] empfohlener Gedichte regte kaum eines ihn zur Vertonung an. Es mußte, um ihm zu genügen, immer eine „Pointe“ haben, wie er sich audrückte. Seine Fantasie bedurfte der Anregung durch irgendein charakteristisches, den musikalischen Einfall auslösendes Bewegungsmoment äußerer oder seelicher Art“ (vgl. Anm. 9, S. 262). Erhellend kann ein Zitat Regers an Karl Straube wirken: “Es muß ein sehr zarter Text sein; dazu eignet sich natürlich am besten eine Naturschilderung à la Eichendorff! Ganz in süßen Mondschein getaucht, so denke ich mir die Sache“ (Straube, S. 224. Brief vom 8.Dezember 1912, Meiningen). 12 Vgl. Hermann Unger, Max Reger über seine Liedertexte, in: Max-Reger-Brevier, hrsg. Von Adolf Spemann, Stuttgart 1923, S. 13. 13 Vgl. Hans Mersmann, Die Kirchenmusik im XX. Jahrhundert, Nürnberg 1958, S. 21. 14 Die Uraufführung von op.144 b fand am 16.7.1916 durch Philipp Wolfrum in Heidel- berg statt: Vgl. Rainer Cadenbach, MRZ, S. 360. 15 Vgl. Anm. 8 (Der 100. Psalm op.106), S. 141. 16 Vgl. Anm. 15, a. a. O. 17 Vgl. Anm. 16 (Die Nonnen op.112), S. 142. Stein zitiert Reger in dem Sinne, daß er „mit den Nonnen das katholische Gegenstück zu dem protestantischen 100.Psalm habe schaffen wollen“. 18 Vgl. Max Hehemann, Max Reger, München 1911, S.35. 19 Vgl. Hugo Holle, Reger als Liederkomponist, in: Max-Reger-Brevier, im Auftrag der Max-Reger-Gesellschaft, hrsg. von Adolf Spemann, Stuttgart 1923, S.11. 20 In seinem Aufsatz Die Orgel der Reger-Zeit (Max Reger 1873-1973. Ein Symposion, hrsg. von H. Röhring, Wiesbaden 1974), S.31-54, behandelt Werner Walcker-Mayer nach der Vorstellung von acht Orgeln sowie deren Merkmalen die Frage: „Gibt es überhaupt eine Reger- oder die Reger-Orgel?“ Fazit: „Der Begriff Reger-Orgel ist wahrscheinlich erst in den 30-er und 40-er Jahren entstanden“ (S.36). 194 ______

21 Vgl. Hermann J. Busch, Zur Interpretation der Orgelmusik Max Regers (Veröffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde, Bd. 119), Kassel 1988, S.24. 22 Vgl. Artur Kalhoff, Das Orgelschaffen Max Regers im Lichte der deutschen Orgelerneuerungsbewegung, Kassel 1950, S.36. 23 Vgl. Christoph und Ingrid Held, Karl Straube. Wirken und Wirkung, Berlin 1976, S.104 (Brief an Hans Klotz, Penig/Sachsen, 25.Februar 1944). 24 Vgl. Anm. 17, S.8. 25 Vgl. Cadenbach MRZ, S.12. 26 Vgl. Roman Brotbeck, Zum Spätwerk von Max Reger. Fünf Diskurse, (Schriftenreihe des MRI, Bd. 8), Diss. 1986, S. 96. 27 Vgl. Cadenbach MRZ, S.140. 28 Vgl. Herta Oesterheld, Max Reger und Stefan Zweig, in: Neue Beiträge zur Reger- forschung und Musikgeschichte Meiningens/Südthüringer Forschungen, Bd. 6, Meiningen 1970, S.67/68. 29 Vgl. Cadenbach MRZ, S.42. 30 Vgl. Albert J.J. Troskie, Die Tonsymbolik in Regers Chorwerken, in: Reger-Studien 1, Festschrift für Ottmar Schreiber, hrsg. von Günther Massenkeil und Susanne Popp (Schriftenreihe des MRI, Bd. 1), 1978, S.123. 31 In seinem Beitrag Max Regers Orgelvariationen op.73 stellt Hartmut Haupt das Monumentalwerk in diesen kompositorischen Kontext; zur analytischen Betrachtung beschreibt der Autor ausgiebig Entstehungszeit, Regers berufliche wie persönliche Lage, d.h. seine Stimmungen wirken über op.73 hinaus. (MMRI, H. 19, August 1973), S.26-28. 32 Vgl. Anm. 31, S.26. 33 Unter dem Jahr der Chronik 1903 zitiert Rainer Cadenbach ausführlich „eine der schlimmsten Rezensionen, die Reger je zu verarbeiten hatte“: MRZ, S.32/33. 34 Vgl. André Manz, Max Reger als Orgelkomponist. „Extremer Fortschrittsmann“?, in: Reger-Studien 1, S.106. 35 Vgl. Wolfram Steinbeck, Hommage als Wettstreit. Regers Lieder nach Strauß, in: Reger-Studien 6, Moderne und Tradition, Kongressbericht, Karlsruhe 1998, hrsg. von Alexander Becker, Gabriele Gefäller, Susanne Popp (Schriftenreihe des MRI, Bd. 13), 2000, S. 213-234. 36 Vgl. Anm. 34, S. 107. 37 Vgl. Anm. 36, a. a. O. 38 Auf meine schriftliche Anfrage vom 28.11.2000 an das MRI betr. Klarstellung der textlichen Irritation im Geistlichen Lied Wohl denen erhielt ich von der Mitarbeiterin im MRI, Martina Gottlieb, mit Schreiben vom 5.12.2000 Hilfestellung. Auch Elsa Reger gibt hierzu keine Antwort: „Reger hatte ihr [Berthel Sensburg] ein Trauungslied Wohl denen komponiert, das sang ich mit seiner Begleitung, als meine geliebte Pflegeschwester die Kirche am Arm ihres jungen Gatten Oskar Sensburg, unseres Vetters (unsere Großmütter waren Schwestern) durchschritt“, in: Mein Leben mit und für Max Reger. Erinnerungen von Elsa Reger, Leipzig 1930, S.40. 39 Vgl. Anm. 9, a. a. O., Verzeichnis sämtlicher Lieder (b) Werke ohne opus-Zahl, S.315, alphabetisches Verzeichnis der Dichter, S.325. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß im Werkverzeichnis Regers unter Lieder und Gesänge erneut der falsche Titel erscheint: Wohl denen, die ohne „Wandel“ leben: Stein, S. 156. 40 Vgl. Max Reger, Sämtliche Werke. Sologesänge mit Orgel, Harmonium oder Klavier, revidiert von Fritz Stein, überarbeitet von Walter Teschendorff (unter Mitarbeit des MRI, Bd. 34), Wiesbaden 1967, S. 18. 41 Der Autor zitiert dazu den Schriftsteller Ezra Pound aus dem Jahr 1923: „Die bisherigen Harmonielehren befaßten sich mit statischer Harmonie,...sie überlegten nicht, daß der...horizontale Verlauf und das Zeitintervall zwischen einander folgenden Tönen sich auf das Ohr auswirken müssen... Und was die Mechanik der letzteren (d.h. statischen) Harmonik angeht, so kann der Zeitfaktor sie unter Umständen zuschanden machen bzw. bekräftigen“. Der Autor folgert daraus für Regers Harmonik und Tempi u.a.: 195 ______

„Wer...Regers Musik mit der Absicht darstellen will,...ihre dauernden Anläufe, das tonale System, inklusive dessen melodische und rhythmische Gesetzmäßigkeiten ad absurdum zu führen, muß prinzipiell rasche Tempi wählen... Wer hingegen das Traditionalistische in seiner Tonsprache,...seine an Bach gebundenen kontrapunktistischen Konstruktionen verdeutlichen will und seine Harmoniefolgen möglichst verständlich erscheinen lassen will, kommt nicht darum herum, überdurchschnittlich langsame Tempi zu wählen. Die Gefahr besteht in einer Verharmlosung der Regerschen Musik...“, in: André Manz (Anm. 37), S.108/109. 42 Vgl. DEG (Ausgabe für Rheinland und Westfalen) Psalmen, Dortmund 1917/1927, Nr.534. 43 Vgl. EG (Ausgabe für Rheinland, Westfalen, Lippe, die Evangelisch-reformierte Kirche, die Evangelischen Kirchen in Luxemburg), Biblische Gesänge/Psalmen und Lobgesänge, Gütersloh 1996, Nr. 295. 44 Vgl. Max Reger, Modulationslehre, Leipzig 1922, 23. Aufl., S. 3 („...vergönnt sein, an der Zerstreuung des schier undurchdringlichen Nebels, der trotz der vielen ‚seelischen und inneren Erlebnisse‘ leider noch in manchen Köpfen herrscht, kräftig mitzuwirken,...“). 45 Vgl. Rolf Schönstedt, Das Geistliche Lied um Max Reger, München 1995, S. 6. 46 Vgl. Anm. 45, a. a. O. 47 Vgl. Cadenbach MRZ, S.40. 48 Vgl. DEG, Nr.11 (Text bei Valentin Schumann 1539).