WOLFGANG OSTENDORP Die Ursachen des Röhrichtrückgangs am Bodensee-Untersee

Kurzfassung verschiedener Faktoren am Schilfrückgang beteiligt Zwischen 1954 und etwa 1983 wurden die Schilfgürtel des Bo­ sein können. densee-Untersees vom sog. "Schilfsterben" ertaßt; 88 ha (= Für den Schilfrückgang am Bodensee-Untersee wur­ 23 % der gesamten Seeuferröhrichtfläche) gingen verloren. Mit den bisher Hilfe von quantitativen Luftbildauswertungen wurden die räumli• - die Eutrophierung des Pelagials (SCHRODER 1979), chen und zeitlichen Rückgangsmuster untersucht. Neun in der Literatur vortindliche Rückgangshypothesen wurden überprüft. - die Verschlammung der Schilfbestände und die Nähr- ob und inwieweit sie diese Rückgangsmuster erklären können. stoffüberlastung der Röhrichtsedimente sowie anae­ Die "Eutrophierung des Untersees" und die "Nährstottan• robe Abbauprozesse (SCHRODER 1979, 1987), reicherung der Röhrichtsedimente" lieferten ebensowenig ei­ - sowie die Schädigung der Schilfpflanzen durch algen­ nen überzeugenden Erklärungsansatz wie "negative redoxche­ bürtige phytotoxische Substanzen (JüTINER & SCHRO­ mische Bedingungen in den Sedimentoberschichten". Hinge­ DER 1982, SCHRODER 1987) gen kann der seewärtige Rückgang ursächlich auf das Hoch­ als Ursachen angenommen. wasser, zwei schwere Sturmereignisse und einen Hagelschlag Die genannten Arbeiten konnten sich jedoch nur auf im Juni 1965 zurückgeführt werden. Als Konsequenz aus diesen neuen Ergebnissen sollte das bisherige Sch ilfpflegekonzept ge­ punktuelle Beobachtungen und Meßergebnisse stüt• ändert werden, indem die seewärtige Schilttront besser vor me­ zen, da die räumliche Verteilung und der zeitliche Ver­ chanischen Belastungen und vor Ufererosion geschützt wird. lauf des Rückgangsgeschehens nicht bekannt waren. Nachdem nun diese Daten hier vorgelegt werden kön• Abstract nen, müssen die Rückgangsursachen gänzlich neu dis­ The causal factors of reed decllne In -Un­ kutiert werden. tersee (West-Germany). Reed decline phenomena attected the reed belts (Phragmite­ tum typicum) of Lake Constance-Untersee between 1954 and c. 1983: about 88 ha (= 23% of the total area of reedswamp in 2. Untersuchungsgebiet und Methoden 1954) were lost. The temporal an spatial patterns of the regres­ sion were investigated by a quantitative evaluation of aeropho­ Die Untersuchungen beschränken sich auf das deutsche Ufer tos. Nine hypotheses were tested whether they could explain des Bodensee-Untersees zwischen dem Riedgraben gegen­ these patterns. As a result it was confirmed that the "pelagic eu­ über Gottlieben (km 0) und der Landesgrenze bei Öhningen (km trophication", the "nutrient enrichment of the reedbed sedi­ 66,4). Pflanzensoziologische Gliederung und Ökologie der Un­ ments" and the "existence of detrimental redox conditions in the tersee-Röhrichtgesellschaften, unter denen das Schilfröhricht upper sediment layers" are no convincing concepts. Damage of (Phragmitetum typicum sensu LANG [1967]) die weitaus größte the lakeside reedbelts by a f100d disaster, two heavy storms and Fläche einnimmt, sind bei LANG (1967) und OSTENDORP a hailstorm in June 1965, have been found to be the only factors (1989 a) dargestellt. which coincide with the patterns of the regression. As a conse­ Die nachfolgend geschilderten Ergebnisse stützen sich im we­ quence, the concept of reedbelt management and maintenance sentlichen auf should be modified, giving more protection against mechanical a) planimetrische Auswertung von Senkrecht-Luftbildserien, damage and bank erosion. von denen die Befliegungen 1954, 1967 und 1978 nahezu das gesamte deutsche Untersee-Ufer umfaßten, Autor b) die qualitative Auswertung von Amateuraufnahmen, Presse­ Dr. WOLFGANG OSTENDORP, limnologisches Institut, Universi­ fotos und Schräg-Luftaufnahmen, tät , Postfach 5560,0-7750 Konstanz. c) Uferkartierungen (Klitt- und Flächenerosion, Treibgutan­ schwemmungen, mechanische Schädigung der Schllttront), d) Untersuchungen zur Chemie des Sedimentkontaktwassers 1. Einleitung (SKW) und des Sedimentinterstitialwassers (lW): Leitfähigkeit, pH-Wert. per(Redoxmilieu-)Wert, pH 2S(Schwefelwasserstott­ Bereits vor mehr als 40 Jahren stellte HüRLIMANN (1951) Aktivität)-Wert, Gehalte an gelöstem O2 , Ca, Mg, PO,-P, Fe, Si, i, einen weit verbreiteten Rückgang der Röhrichtgürtel N03-N, NH 4-N, organische Substanz (als COD), schweizerischer Mittellandseen fest. Seither hat das e) Untersuchungen zur Genese, Stratigraphie und zum Nähr• stottgehalt der Sediment- und Bodenoberschichten (org. Sub­ sog. "Schilfsterben" mehr als 35 europäische Seen er­ stanz, N , und P , in der Festsubstanz), faßt (OSTENDORP 1989b); auch der Bodensee-Untersee ge ge f) Labor- und Freilanduntersuchungen zur Toxizität von Faden­ ist betroffen. algen-Abbauprodukten. Obschon sich mehr als hundert Publikationen diesem Auf methodische Einzelheiten und Arbeitstechniken kann an Thema widmen, liegen die Ursachen in den meisten dieser Stelle nicht eingegangen werden, vgl. aber OSTENDORP Fällen im dunkeln. Es steht lediglich fest, daß eine Reihe (1989a). 86 carolinea, 48 (1990)

Die Untersuchungsergebnisse lieferten das Grundlagenmate­ fast völlig ab. Im östlichen Teilgebiet lösen sich die Röh• rial, um richte, wie schon vorher im westlichen Teil, in einzelne 1. das zeitliche und räumliche Muster des Rückgangsgesche• Halmgruppen auf, es bilden sich zahlreiche Buchten hens differenziert zu verfolgen (vgl. Kap. 3.1 u. 3.2), und Löcher. Soweit die Luftbilder eine Beurteilung zu­ 2. die bisherigen Hypothesen über die Ursachen des Schilfrück• lassen, scheint die Halmdichte der restlichen Bestände gangs am Bodensee-Untersee kritisch zu werten (Kap. 4). Die Darstellung beschränkt sich auf eine knappe Übersicht; wei­ etwa konstant geblieben zu sein; es kommt also nicht zu teres Datenmaterial, Literaturbelege und eine ausführliche Dis­ Einzelhalmauflösungen (vgl. Kap. 4). Die Luftbildserie kussion finden sich in OSTENDORP (1989a). 1967 zeigt seewärts der verbliebenen Restbestände Schalten, auf der Luftbildkarte als punktierte Linien ein­ Den Herren G. LANG undTH. R. L1NDNER, Konstanz, sei herzlich gezeichnet, deren Ausdehnung recht genau der ehe­ für die Überlassung unveröffentlichten Fotomaterials gedankt. maligen Schilfgrenze gleichkommt: Es handelt sich um Stoppelflächen als Reste der abgestorbenen Bestände. 3. Ergebnisse Die gute Konturierung der Flächen deutet darauf hin, daß der Absterbevorgang nur wenige Jahre zurückliegt. 3.1 Die zeitliche Verteilung des Röhrichtrückgangs Einige Schrägluftbilder von 1964 (LANG in KIEFER 1972, Taf. 8; LANG, unveröff. Fotomaterial) und vom Juni 1965 Röhrichtausbreitung bis 1954 (BRUGGER & STAHL 1966, Bild-Nr. 78 u. 79) zeigen einige Die Geschichte der Uferröhrichte bis zum Ende des ver­ derjenigen Schilfgebiete, die zwei Jahre später nur noch gangenen Jahrhunderts ist wenig bekannt. Seit der Mit­ als "Stoppelfelder" zu sehen sind, in der Ausdehnung te des 19. Jahrhunderts existieren amtliche Kartenwer­ von 1962 bzw. 1954. Der Rückgang setzt sich bis etwa ke, die von Zeit zu Zeit revidiert wurden und so zumin­ 1972 fort, wobei die bereits in Halmgruppen aufgelösten dest großmaßstäbliche Verschiebungen der seewärti• Bestände weitgehend verschwinden. Am Nordrand der gen Schilffront erkennen lassen. Die Auswertung dieser Schilfhalbinsel im rechten Bildteil kommt es zusätzlich Quellen ergab eine kontinuierliche Ausbreitung der zu einigen neuen Einbrüchen. Von 1972 bis 1978 än• Röhrichte in Richtung See von etwa 1890 bis um 1950. dern sich die Bestandsgrenzen nur wenig; der Schilf­ Um 1950 haben die seewärtigen Uferröhrichte etwa fol­ rückgang ist damit im wesentlichen zum Stillstand ge­ gendermaßen ausgesehen: typische, ca. 10-60 ,lahre kommen. Im westlichen Teil scheint das Schilf verloren­ alte, in Ausbreitung begriffene Schilfbestände mit zun­ gegangenes Areal zurückzugewinnen. genförmig in den See ragenden Bestandsflächen; ge­ Zu ähnlichen Ergebnissen kommt GRüNBERGER (1978) 2 ringere Halmdichte (ca. 10-20 H/m ) und kürzere Hal­ für das schweizerische Untersee-Ufer im Bereich des me (ca. 2,5-3,5 m lang) als heute; Substrat: nährstoff• Eschenzer Horns sowie zwischen Gottlieben und Erma­ arme Carbonatsedimente (feinsandig-siltige Seekreide, tingen: Für die Jahre 1945 bis 1954 verzeichnet er noch Schnegglisande) ohne Schilfstreuauflage; seewärtige einen Schilffront-Vorschub, zwischen 1954 und 1967 Bestandsgrenze bei 260-270 cm Pegel Radolfzell findet ein drastischer Frontrückgang von durchschnitt­ (394,27-394,37 m NN) (vgl. auch LANG 1967, Tab. 9). lich 10,8 m (Bereich Gottlieben/) statt. In Einige Bestände am Untersee tragen auch heute noch den ,Iahren 1967-1977 verlangsamte sich der Rück• diesen Charakter, sie werden im folgenden als "natur­ gang auf durchschnittlich 0,8 m pro Jahr. nahe" Bestände bezeichnet. Bessere quantitative Ergebnisse lassen sich bei maß• stabsgetreuer Auswertung der Luftbilder verschiedener Schilfrückgang 1954 bis 1978 Jahrgänge erzielen. Die Ergebnisse sind in der Tabelle Die Luftbildserie des Jahres 1954 repräsentiert also ­ 1 dargestellt. Danach umfaßten die Röhrichte des deut­ soweit dies überhaupt zurückzuverfolgen ist - den Zu­ schen Untersee-Ufers zur Zeit ihrer Maximalentfaltung stand bisheriger Maximalentfaltung der Uferröhrichte (um 1954) rd. 379 ha, 1967 waren es lediglich 310 ha am Untersee. In dieser Ausgangssituation setzte nun und 1978 schließlich noch 294 ha. das "Schilfsterben" ein, das an hand einer exemplarisch Anhand von 7 insgesamt 11,22 km langen Uferab­ ausgewählten Sequenz von Luftbildkarten besprochen schnitten konnte der zeitliche Ablauf des Schilfrück• werden soll (Abb. 1). gangs stärker differenziert werden (Abb. 2). Der flä• Die Luftbilder vom August 1954 zeigen südlich des chenmäßig stärkste Rückgang fand zwischen 1962 und Reichenauer Damms einen im wesentlichen geschlos­ 1967 statt (im Mittel 2360 m2/km/Jahr = 60,5 % der ge­ senen Schilfbestand mit gleichmäßiger äußerer Be­ samten seewärtigen Rückgangsfläche), während der standsgrenze. Im östlichen Teil sind einige Kanäle und Rückgang zwischen 1967 und 1978 nur 13,4 % (260 Löcher im Schilf sichtbar, die möglicherweise von der m2/km/Jahr) ausmachte. Reusenfischerei herrühren. Bis 1962 hat sich der Schilf­ bestand weitgehend erhalten, lediglich vor der Ruine Schilfrückgang 1978 bis 1983 Schopflen (linker Bildrand) ist es zu einem größeren In den Jahren 1978 bis 1983 wurden am Bodensee um­ Rückgang gekommen. Der flächenmäßig bedeutendste fangreiche Schilfschnittversuche durchgeführt, über de­ Verlust ereignete sich zwischen 1962 und 1967: Die ren Ergebnisse an anderer Stelle berichtet wurde ausgedehnten Schilfbestände bei Schopflen sterben (OSTENDORP 1987, 1989a). Sowohl der Schnittvorgang

I \ ! OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 87

1972

'.....~:::,.~.;'..=.:' ',• •••~ -'-- '0----

o 100 200 Abbildung 1. Entwicklung der ! , , Schilfgebiete (gerastert) süd• m lich des Reichenauer Damms (Isohypsen: durchgezogene 1978 Linie - 395,0 m NN, gestri­ chelte Linie - 394,5 m NN).

/ 1 88 carolinea, 48 (1990)

selbst als auch die Folgewirkungen der bestandsstruk­ vergleichsweise geringe Verluste erlitten haben. Be­ turellen Schwächung der Testbestände führten zu flä• merkenswert hingegen ist der starke Rückgang der chenhaften Ausfällen. Auf 10 Testflächen mit einer landwärtigen Bestände (395,5-396,0 m NN). - Die Schilffrontlänge von insgesamt 3,32 km wurden 2,85 ha nachfolgenden Berechnungen beziehen sich, sofern Röhricht vernichtet; dies entspricht einer Frontverschie­ nicht anders vermerkt, auf die seewärtigen Schilfröh• bung von durchschnittlich 8,6 m in Richtung Ufer richte (Phragmitetum typicum) zwischen 394,0 und (Abb.3). 395,0 m NN. Die Absterbeursachen lagen teils in der Beschädigung der Rhizome durch die Ketten der Mähraupen, teils dar­ Rückgang in den einzelnen Untersee-Bek­ in, daß die im Frühsommer ohne schützende Altschilf­ ken halme aufwachsenden Bestände den mechanischen Die prozentuale Fehlbestandsfläche aus dem Rück• Belastungen durch Treibgut und Wellen nicht standhal­ gang 1954 bis 1978 der seewärtigen Bestände beträgt ten konnten. für das Ermatinger Becken 44%, den Gnadensee41 %, den Markelfinger Winkel 51 %, den Zeller See 65 %, den 3.2 Die räumliche Verteilung des Schilfrückgangs Rheinsee 52 % (in % der Ausgangsfläche im Jahr 1954). Rückgang see- und landwärtiger Bestände Die Mittelwerte der jeweiligen Uferkilometer-Abschnitte Die Tabelle 1 zeigt, daß die äußeren seewärtigen Be­ sind in keinem Fall signifikant voneinander verschieden stände (394,0-394,5 m NN) am stärksten, nämlich um (t-Test, arcsin-transformierte Prozentwerte, IX > 5 %). 75 % zurückgegangen sind, während die Bestände aus In allen Seeteilen ist demnach der Rückgang etwa der Mitte der Röhrichtgürtel (394,5 -395,5 m NN) nur gleich stark.

Pegel (}Jg/I) 100 •• Bodensee-Untersee ...j ' ,.....'-.\ 80 .,....., __e •/ • 60 ------.-- I 40 _------?

20

o'--...----r------r-----.----.---,-----,r---,--...,I 1945 50 55 60 65 70 75 80 85

500

Abbildung 2. Trophische Ent­ wicklung des Untersees und Bestandsflächenentwicklung 1000 der Uferschilfröhrichte: tro­ phische Entwicklung als Pge,­ Konzentration während der 1500 Vollzirkulationsphase, gemit­ telt über drei Seeteile (verän• 2000 dert n. SCHRODER 1987), Be­ standsflächenzuwachs (+) oder -verlust (-) in m2 pro 2500 L-----,--...------r--~~~~-__,_--.__-_,_----, Jahr und pro Uferkilometer 1945 50 55 60 65 70 75 80 85 (teilweise hochgerechnete B.estan~~llä!;~en: , Mittelwerte von 7 Uferab­ anderunu ,m2tkmta' schnitten).

00 OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 89

Abhängigkeit der Fehlbestandsfläche von menschlicher Nutzung unbeeinflußten Uferabschnitten der Siedlungsintensität am Ufer stark zurückgegangen sind, Um den Einfluß der Besiedlungsdichte auf den Umfang - die Phase des stärksten Schilfrückgangs in die Zeit des Schilfrückgangs zu prüfen, wurden die Uferab­ zwischen 1962 und 1967 fällt, obschon auch zwischen schnitte in 3 Kategorien eingeteilt: 1967 und 1978 etliche Bestände abstarben. 1-unbesiedeltes Ufer (n = 14 Uferkilometerabschnitte), Nachfolgend werden neun Rückgangshypothesen (H1 11 - schwach besiedeltes Ufer, Ortsrandlagen (n = 16) bis H9) daraufhin untersucht, ob und inwieweit sie diese 111 - dicht besiedeltes Ufer, Ortskernlagen (n = 11) Muster erklären können und ob welche Einwände sie Die Rückgangsquote läßt einen deutlichen Zusammen­ zulassen müssen, und ob sie durch Literaturbefunde hang mit der Dichte der Uferbesiedlung erkennen: Die gestützt werden oder nicht. seewärtigen Schilfröhrichte völlig unbesiedelter Ufer­ streifen erleiden einen Flächenverlust von 34 % (1954 H 1: Uferverbau, Landgewinnungen. Verbu­ bis 1967), gefolgt von denen der Ortsrandlagen mit schung 52 %; Schilfbestände in Ortskemlagen nehmen um Die große Siedlungsdichte und der hohe Freizeitwert 66 % ihrer ursprünglichen Fläche ab. Lediglich die Mit­ der Uferzonen vieler Seen haben zu starken Eingriffen telwerte der Kategorien I und 111 sind signifikant ver­ in die natürliche Morphologie des Ufers geführt - fast schieden (t-Test, CI. < 2%). Bezogen auf die absolute stets zum Nachteil der Ufergehölze, Rieder und Röh• Fehlbestandsfläche von 32,5 ha machen die Schilfbe­ richte. Der Bodensee-Untersee weist nach SIESSEGGER stände der unbesiedelten Ufer jedoch mehr als 59 % (1980) nur noch 67 % naturnahe Ufer auf, während be­ aus, während die der Ortskernlagen lediglich auf 15 % reits 26 % der Uferlänge durch starke Eingriffe umge­ kommen (Ortsrandlagen: 26 %). staltet sind. Die landwärtige Fehlbestandsfläche zwischen 395,5 3.3 Der Erklärungswert der Rückgangshypothesen und 396,0 m NN in Höhe von etwa 24 ha (vgl. Tab. 1) geht überwiegend auf direkte Vernichtung der Röhrichte Die Untersuchungen zur räumlichen und zeitlichen Glie­ im Zuge von Uferaufschüttungen oder Baumaßnahmen derung des Rückgangsgeschehens haben ergeben, zurück. An größeren Projekten sind hier zu nennen: Auf­ daß schüttung des Herzen-Gebietes durch die Stadt Radolf­ - vom Rückgang hauptsächlich die äußeren seewärti• zell, der Bau der Hafenanlagen in Moos und Radolfzell, gen Bestände betroffen sind (landwärtiger Rückgang der Steganlage in Mittelzell (Insel Reichenau) sowie der vgl. H 1, s. u.), Kläranlage in Radolfzell. Ein großer Verlustposten dürf• - alle Seeteile in etwa gleichem Maße betroffen sind. te auf das Konto kleinerer "Uferveränderungen" durch - die seewärtigen Röhrichte auch an weitgehend von private Anlieger gehen. Genaue Daten fehlen jedoch.

o 100 I m

••••• landwärtige Schnittgrenze

...... Schilfgrenze 1981

- Schilfgrenze 1978 SCHNITTFLÄCHE HEGNE-OST .... Fehlbestand 1978-81

Abbildung 3. Verluste durch Winterschnitt: Testfläche Hegne-Ost.

.' 90 carolinea, 48 (1990)

Tabelle 1. Ausdehnung der Uferschilfröhrichte am Bodensee-Untersee an hand der Luftbildbefliegungen 1954, 1967 und 1978 (nur deutsches Ufer; jeweils differenziert nach Isohypsenabschnitten).

1954 1967 1978 ha % ha % ha % 394,0-394,5 m NN 16,03 100,0 5,83 36,4 4,10 25,6 394,5-395,0m NN 97,77 100,0 75,50 77,2 68,15 69,7 395,0-395,5 m NN 141,72 100,0 122,92 86,7 121,83 86,0 395,5-396,0 m NN 123,62 100,0 106,15 85,9 99,64 80,6

394,0-396,0 m NN 379,14 100,0 310,40 81,9 293,72 77,5

Hingegen kommt nach Ausweis der Luftbilder der Ver­ H 3: Treibgutbelastung buschung der landwärtigen Röhrichte nur geringe Be­ Unter den gegenwärtigen Bedingungen werden die deutung zu. Umwandlung von Röhrichten in landwirt­ stärksten mechanischen Schäden an der seewärtigen schaftliche Nutzflächen ist nicht beobachtet worden. Schilffront nicht allein durch Wellen, sondern durch Treibgut in Verbindung mit Wellengang hervorgerufen. H 2: Wind- und Wellenbelastung Im angeschwemmten Treibgutmaterial dominieren Die durch Wind- und Wellenbelastung in Verbindung mit Wasserpflanzen, die von den Herbststürmen losgeris­ anderen Faktoren hervorgerufenen mechanischen Be­ sen und in die seewärtigen Schilfgebiete getrieben wer­ lastungen können der seewärtigen Schilfgrenze erheb­ den. Die stärksten Schilfschädigungen werden durch liche Schäden zufügen. So stellte HIRSCHER (1987) am Armleuchteralgen-Spülsäume hervorgerufen. Auch an Bodensee-übersee eine signifikant positive Korrelation anderen mitteleuropäischen Seen spielen Treibgutan­ zwischen dem Grad der mechanischen Schädigung und schwemmungen eine erhebliche Rolle bei der Schädi• den Halmverlusten zwischen zwei Vegetationsperioden gung seewärtiger Schilfbestände (OSTENDORP 1989 b), fest. An sturmexponierten Standorten des Untersees wobei sich das Material allerdings oft aus Treibholz oder fanden DIENST & STARK (1988) eine mittlere jährliche Kulturmüll zusammensetzt. Ausdehnung der Schilffront von nur 2 cm/Jahr, während über die Treibgutbelastung der Ufer in den Jahren des der Durchschnittswert aller Standorttypen etwa 15 cm/ Schilfrückgangs ist wenig bekannt. Vermutlich traten Jahr betrug. Nach SCHRODER (1979, 1987) hat die Eutro­ Makrophytenwattenanschwemmungen früher weniger phierung zu einer Verringerung der mechanischen Be­ massiv auf als um 1980; darauf weist die Tatsache hin, lastbarkeit der Halme und zu einem verstärkten Schilf­ daß sich die von Wasserpflanzen bedeckten Uferflä• bruch geführt und damit zum Schilfrückgang beigetra­ ehen des Untersees zwischen 1967 und 1978 von 695 gen. auf 1080 ha erhöht haben (LANG 1981). Bei der Analyse der Wellenbelastung wird von der Er­ In den Jahren 1981 bis 1983wurde die Stärke derTreib­ fahrung ausgegangen, daß die Wellenbelastung der gutanschwemmungen im Röhrichtbereich kartiert. Kor­ Schilffront unter sonst gleichen Randbedingungen um reliert man die sich daraus ergebenden Mittelwerte pro so stärker ist, je größer die Uferneigung ist (geringere Uferkilometer-Abschnitt mit den entsprechenden pro­ Bodenreibungsverluste der Wellen) und je mehr der zentualen Fehlbestandsflächen der seewärtigen Be­ Uferabschnitt in Richtung der Hauptwindrichtung expo­ stände, so erhält man keinen signifikanten Zusammen­ niert ist. hang (r = 0,301, n = 38). Die mechanischen Belastun­ Bemerkenswerterweise korreliert allein die Variable gen durch Makrophytenwattenanschwemmungen ha­ "Neigung" signifikant mit der prozentualen Rückgangs• ben demnach nicht nennenswert zum Schilfrückgang fläche (n = 41, r = +0,570, IX < 0,1 %). Den mangeln­ beigetragen. den Reibungsverlusten der anlaufenden Welle kommt demnach bei der Belastung der Schilffront eine größere H 4: Ufererosion Bedeutung zu als der Ausrichtung gegenüber der Ufererosion wird oft für den Verlust an Röhrichten ver­ Hauptwindrichtung (Variable "Exposition"). Ein Grund antwortlich gemacht; betroffen sind vor allem Seen mit für ihren geringen Einfluß mag in der Wellenrefraktion regem Boots- oder Frachtschiffverkehr oder solche, die liegen: Flachwasserwellenkämme tendieren unabhän• wie die schweizerischen Mittellandseen mehrfachen gig von der Ausbreitungsrichtung ihrer Tiefenwasser­ Seespiegelsenkungen unterworfen wurden (OSTEN­ wellen dazu, senkrecht auf das Ufer zuzulaufen (vgl. OORP 1988 b). Auch am Bodensee- dürfte der PTAK 1986). - Eine signifikante Beziehung zwischen Uferabtrag zu den wesentlichen Rückgangsfaktoren Neigung und Exposition besteht nicht. gehören (SIESSEGGER 1985). Schiffsinduzierten Wellen kommt bestenfalls in der Um­ Stärke und räumliche Verteilung der Ufererosion am gebung von Anlegestellen oder in den engen Seeteilen Bodensee-Untersee während der Röhrichtrückgangs• (z. B. bei Stein a. Rh.) eine gewisse Bedeutung zu. phase sind nicht bekannt, so daß Rückschlüsse auf de-

/ OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 91

ren Beitrag zum Röhrichtrückgang nur aus der heutigen DORP 1988). Situation heraus möglich sind. Hierzu wurde der Diese Vorgänge sind zunächst von der Trophie-Ent­ "Schweregrad" der Klifferosion (Sprunghöhe des Kliffs, wicklung des Pelagials unabhängig. Allein die Produkti­ Erosionsschädigung des Rhizomkörpers) anhand einer vität der Röhrichte hätte durch die Eutrophierung gestei­ sechsteiligen Skala geschätzt. Die Mittelwerte je Uferki­ gert worden sein können. Allerdings zeigen die Ergeb­ iometer dienten als erklärende Variable der räumlichen nisse einer Reihenuntersuchung an mehr als 50 deut­ Verteilung der arcsin-transformierten, prozentualen schen Seen, daß im Bereich "mittlerer" Freiwasser­ Fehlbestandsfläche. Nährstoffbelastungen (d. h. etwa 50 bis 1000 flg Ptot/I, Die lineare Korrelation ergab jedoch keinen signifikan­ Vollzirkulationswerte) die Bestandsstruktur und die Pro­ ten Zusammenhang (r = 0,275, n = 30), so daß ange­ duktion der Schilfröhrichte vom Trophiegrad unabhän• nommen werden darf, daß das Rückgangsgeschehen gig ist (OSTENOORP, unveröff.). überdies liegen am Un­ weitgehend unabhängig von etwaiger Ufererosion er­ tersee aus der Zeit vor 1978 keine Produktions- und Be­ folgte. standsstrukturmessungen vor, so daß für die Rück• gangsperiode 1954 bis 1978 keine Aussagen über et­ H 5: Eutrophierung des Pelagials waige Veränderungen gemacht werden können. Nach SCHROOER (1979, 1987) wird das Schilfsterben am Die Akkumulation organischer Substanzen wird von ei­ Untersee letztlich durch die Eutrophierung des Sees ner Anreicherung der Nährstoffe Stickstoff und Phos­ verursacht. Als Folge der Nährstoffzunahme sei es zu phor begleitet. Sie ist durch den - teilweisen - mikrobiel­ einem Anstieg der Halmdichte, zu einer Verringerung len Abbau der Schilfstreu bedingt und daher ebenso von der mechanischen Festigkeit der Halme und zu einer der Pelagial-Eutrophierung weitgehend unabhängig verstärkten Bildung von "Bruchschilf" gekommen. Bei­ (OSTENOORP 1989a). Eine für das Schilf möglicherweise de Faktoren seien für einen verringerten Wasseraus­ schädliche Nährstoffüberfrachtung der Sedimente und tausch mit dem See und für eine erhöhte Anreicherung Böden müßte sich vor allem im erhöhten Konzentra­ fäulnisfähiger organischer Substanzen und von Nähr• tionsniveau des Interstitialwassers (lW) und des Sedi­ stoffen (Stickstoff, Phosphor) in den Sedimentober­ mentkontaktwassers (SKW) bemerkbar machen. schichten verantwortlich. Interstitialwasser: Das Porenwasser der Sedimentschicht 0 bis über die Trophie-Entwicklung des Bodensee-Unter­ 30 cm, in dem sich fast alle Schilfadventivwurzeln befinden, ist sees in früheren .Iahrhunderten ist nichts bekannt, aber relativ nährstoffarm: Die Konzentrationen an gelöstem Phos­ bereits in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts phor (P90') schwanken zwischen der Nachweisgrenze und 2300 flg/l. In den seewärtigen Röhrichten liegen sie im Bereich von hatte der See das eutrophe Stadium erreicht. Zu Beginn 100 bis 1000 flg/l, und erst in den weiter landeinwärtigen Ver­ der 60er .Iahre setzte ein deutlicher Sprung in der Tro­ schlammungszonen erreichen sie höhere Werte. Extrem niedrig phie-Entwicklung ein (IGKB 1975). In der Abbildung 2 sind mit etwa 10 flg/l die Pgol-Gehalte im IW der "naturnahen" wird die jüngere Trophie-Entwicklung des Untersees mit Standorte. Die Konzentrationswerte der Durchschnittsstandorte der Flächenentwicklung des seewärtigen Röhrichts ver­ sind demgegenüber höher, liegen aber in der gleichen Größen• glichen. Während der Ausbreitungsphase vor 1954 wa­ ordnung wie die von Röhrichtstandorten anderer Seen und ren im Pelagial deutlich weniger als 40 flg P/I anzutref­ Feuchtgebiete (OSTENOORP 1989c). Es sei an dieser Stelle her­ fen, während die Hauptrückzugsphase in eine Periode vorgehoben, daß bei ca. 5-10 flg PO.-P/I die kritische P-Gleich­ gewichtskonzentration im IW erreicht wird, unterhalb derer die mit etwa 50 fJg/1 fällt. Bei wesentlich höheren P-Gehal­ Pflanzenwurzeln kein Pmehr aufnehmen können; für eine opti­ ten zwischen 90 und 100 flg/I findet jedoch kaum noch male P-Versorgung der Pflanzen sollte die Konzentration im Be­ ein Rückgang statt - im Gegenteil: Seit Anfang der 80er reich von etwa 200-400 flg PO.-P/lliegen, so daß ein ausrei­ Jahre (P-Gehalt um 70 flg/I) breitet sich das Schilf wie­ chendes Diffussionsgefälle zwischen Wurzelzelle und freier Bo­ der aus (DIENST 1986, DIENST & STARK 1988). denlösung erreicht wird (SCHEFFER & SCHACHTSCHABEL 1984: Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Trophie-Ent­ 244). Die Nano,g-Konzentration im IW der Untersee-Röhrichtse• wicklung und Schilfrückgang ist demnach nicht erkenn­ dimente schwanken zwischen weniger als 0,1 und 15 mg Nil; in bar. den Sedimentoberschichten erreichen sie höhere Werte als in den tieferen. Die Spannweite deckt sich in etwa mit der des Trinkwasser-Rohwassers aus 86 Brunnen im Landkreis Kon­ H 6: Nährstoffbefrachtung der Sedimente stanz, und ihr Mittelwert von 6,1 mg Nano,g/Iliegt sogar noch un­ Nach SCHROOER (1979, 1987) erhöht die Eutrophierung terhalb des für die BRD berechneten globalen Grundwasser­ des Freiwassers die Nährstoffbelastung der Röhricht• Mittelwerts von 7,6 mg/l. Das Interstitialwasser weist also be­ sedimente und setzt damit eine Reihe von negativen züglich der Nano,g-Komponente Trinkwasserqualität auf. Be­ Begleiterscheinungen in Gang (vgl. auch H 5). denkt man weiterhin, daß in den Drainagegewässern land­ Wie fast alle Niedermoorgesellschaften sind auch die wirtschaftlicher Grünland- und Ackerflächen bis über 100 mg Röhrichte tendenziell Akkumulationsorte abgestorbe­ Nano,g/l gelöst sein können, erscheinen die lW-Konzentrationen am Untersee vergleichsweise niedrig. ner organischer Substanz. Durch Nährstoff- und Sauer­ Von einer auffälligen Nährstoffkonzentrationserhöhung in der stoffmangel in den schlecht durchlüfteten Substraten gelösten Phase des Sediments kann demnach nicht die Rede verläuft die mikrobielle Mineralisation langsamer als die sein. Primärproduktion: Es kommt zur Niedermoortorfbil­ Sedirnentkontaktwasser: Da vielfach die Schilf-Adventivwur­ dung. Die gilt auch für die Untersee-Röhrichte (OSTEN- zeln nicht nur in das Sediment ragen, sondern auch mit dem

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überstehenden Wasser in direktem Kontakt stehen, wird davon phytotoxische Effekte auf gut durchlüfteten Böden ge­ auszugehen sein, daß auch dieses neben dem Interstitialwas­ hören dagegen zur Ausnahme und beruhen auf ande­ ser einen Beitrag zur Nährstoff-Versorgung der Schilfpflanze ren Hemmstoffen. leistet. Die P04 -P-Konzentrationen im SKW der verschiedenen Im Sedimentkontaktwasser der Uferröhrichte des Un­ Untersee-Röhrichtbeständee schwanken zwischen 1 und 45 tersees schwankt der perWert zwischen +5,2 und pg/I, die N,no,g-Gehalte liegen im Bereich von 0,10 bis 0,32 (-1,30) mg/I. Die P- und N-Konzentrationen sind damit um den +6,8, und zwar unabhängig vom 02-Gehalt (das ther­ Faktor 3 bis 20 niedriger als die entsprechenden Gehalte im Nie­ modynamische Redoxpotential für chemisch reines derschlagswasser (KNORR & KLATTE 1963, STEINLE 1986). Wasser liegt bei pe = pe? = pe? = 6,8 (FREVERT 1983: Darüber hinaus sind die Pgel-Gehalte im Inneren der Schilfröh• p. 71). Selbst bei 02-Konzentrationen von nur 0,5 bis 1 richte im Mittel nicht wesentlich höher als die zeitgleich im Lito­ mg/I erreicht der pe? noch Werte von +5,0 und mehr. Es ralwasser außerhalb der Röhrichte gemessenen, die Nano,g­ überwiegen also bei weitem aerobe Abbauprozesse, Konzentrationen sind sogar geringfügig niedriger (BANOUB und es kommt noch zu keiner nennenswerten Freiset­ 1975, Tab. 1). - Überraschenderweise liegen die Nährstoffkon• zung reduzierter Verbindungen wie Fe2+ (zu erwarten zentrationen im SKW der Untersee-Röhrichte vielfach unterhalb derer oligo- bis mesotropher Moore (OSTENDORP 1989 cl, im unterhalb pe? = +4,5) oder H2S-S (zu erwarten unter­ übrigen fallen sie in den Spannweitenbereich, der auch für Röh• halb pe? = -3,5). richte anderer Gewässer gefunden wurde. Ganz sicher aber lie­ Im 02-freien Interstitialwasser zeigen die perWerte ei­ gen sie unterhalb jener Schwelle, die für Düngungseinflüsse ne deutliche Abhängigkeit von der organischen Bela­ oder Abwasserbelastung charakteristisch ist. stung: In den Sedimenten der "naturnahen" Standorte Die Gegenüberstellung von Untersee-Konzentrations­ mit sehr geringer Belastung schwanken sie zwischen verhältnissen und Literaturangaben läßt deutlich wer­ + 1 und +4. Erst in organischen Kalkschlämmen sinken den, daß von einer N- und P-Konzentrationserhöhung die perWerte auf 0 oder wenig darunter, und erst hier im Interstitialwasser oder Sedimentkontaktwasser nicht lassen sich vereinzelt geringe Mengen (bis 0,5 mg/I) die Rede sein kann. Vielmehr bewegen sich die Kon­ H2S-S nachweisen. Auch im Interstitialwasser ist dem­ zentrationen eher am unteren Ende der Spannweite der nach die Reduktionsintensität des mikrobiellen Abbaus Literaturdaten. gering. Möglicherweise herrschen mikro-aerobe Bedin­ In Kulturversuchen wurden Schilfpflanzen mit Nährlö• gungen vor, unter denen geringste 02-Mengen ausrei­ sungen beschickt, deren Nährstoffkonzentrationen et­ chen, einen aeroben mikrobiellen Stoffwechsel auf­ wa um den Faktor 100 (bezogen auf N) bis 1000 (bezo­ rechtzuerhalten. 02-Quelle dürfte allein die Schilfpflan­ gen auf P) höher waren als die des IW der Untersee­ ze sein, die durch das Aerenchym ihrer Halme atmo­ Röhrichte (Übersicht s. OSTENDORP 1989c). Eine Beein­ sphärischen Sauerstoff in die Rhizome und Wurzeln trächtigung des Wachstums bzw. der physiologischen transportiert. Leistungen konnte nicht festgestellt werden. Die Ergeb­ Unter den beschriebenen Redoxmilieu-Bedingungen nisse zahlreicher Experimente und Freilandmessungen kann jedoch Nitrat zu Ammonium reduziert werden, so demonstrieren eher die außerordentliche Belastbarkeit daß prinzipiell die Möglichkeit einer Ammoniak-Vergif­ von Phragmites australis gegenüber einem überhöhten tung der Schilfwurzeln besteht. Die NHTGiftwirkung be­ Nährstoffangebot denn seine Empfindlichkeit. ruht auf einer cyptoplasmatischen pH-Wert-Erhöhung Damit scheiden bei den derzeitigen Untersee-Konzen­ infolge zellulär nicht kontrollierbaren Einstroms des Ga­ trationen negative Auswirkungen auf die Schilfpflanze ses. Unter den pH-Wert-Bedingungen des Untersees aus; selbst wenn eine Nährstoffüberakkumulation in (7,2 bis 8,0) liegen nur 2 bis 10% des gelösten NH4-N den Röhrichtsedimenten stattgefunden hätte, könnte als NH3(gas) vor. Im Interstitialwasser sind dies ca. 0,3 bis das augenblicklich erreichte Konzentrationsniveau den 0,6 mg N (NH3)/1 und im Sedimentkontaktwasser etwa Schilfrückgang nicht erklären. 0,01 - 0,1 mg/I. Bei derart geringen Konzentrationen kann Ammoniak-Gas als Schädigungsursache ausge­ H 7: Anaerobe Abbauprozesse und Entste­ schlossen werden. hung phytotoxischer Substanzen Die Röhrichtsedimente besitzen demnach keineswegs Ein Charakteristikum von Sedimenten und subhydri­ Faulschlamm-(Sapropel-)Charakter, wie es ihnen sehen Böden ist, daß ihr Porenraum bereits in 0,5 bis 3 SCHRODER (1987) zuschreibt. Es ist also unwahrschein­ cm Tiefe frei von gasförmigem oder gelöstem Sauerstoff lich, daß sich bei derart positivem Redoxmilieu phytoto­ ist (GAMBRELL & PATRICK 1978). In den Substraten der xisehe Substanzen akkumulieren; vielmehr dürften sie, Untersee-Schilfbestände herrschen also bereits aus sollten sie je gebildet werden, im (mikro-)aeroben mi­ diesem Grunde anaerobe Bedingungen vor. Dies dürfte krobiellen Metabolismus rasch abgebaut werden. So vor der Eutrophierungsphase nicht anders gewesen fanden JüTINER & SCHRODER (1982) in Untersee-Röh• sein als heute. Die Entstehung und Anreicherung von richtsedimenten eine Reihen von mikrobiellen Abbau­ 2 phytotoxischen Substanzen (Fe +, H2S, NH 3 , flüchtige produkten und EXkretstoffen; jedoch war von keiner die­ Fettsäuren, aromatische Verbindungen, vgl. OSTEN­ ser Substanzen eine inhibitorische Wirkung auf Pflan­ DORP 1989a) ist an reduzierende Bedingungen (stark zenwurzeln bekannt. Letztendlich liegen keine Hinwei­ negatives Redoxmilieu, pe-Wert, vgl. FREVERT 1983) se für eine Beteiligung von Gift- oder Hemmstoffen am und an anaeroben mikrobiellen Stoffwechsel gebunden; Schilfrückgang vor.

I OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 93

H 8: Vergiftung durch Algenwatten H 9: Hydrologische und meteorologische Nach Laborversuchen von SCHRÖDER (1987) werden Faktoren aus anaerob verrottenden Fadenalgenwatten toxische Die quantitative Auswertung von Reihenluftbildern hatte Stoffe freigesetzt, die zum Absterben der seewärtigen ergeben, daß der größte Teil des zwischen 1954 und Schilfbestände führen. 1978 verschwundenen seewärtigen Schilfröhrichts zwi­ Der Frage nach der möglichen Giftwirkung von Faden­ schen den Befliegungen 1962 und 1967 und hier wahr­ algenwatten wurde im Rahmen eigener Untersuchun­ scheinlich zwischen 1965 und 1967 abgestorben ist gen in drei Versuchsreihen nachgegangen. Im ersten (Abb. 1, 2). Die Suche nach etwaigen Rückgangsursa• Versuch wurde das Preßwasser von anaerob verrotten­ chen konzentriert sich damit auf diese drei Jahre. den Cladophora-, Spirogyra- und Chara-Watten unter Das Jahr 1965: kontrollierten Bedingungen als Substrat für Scenedes­ Das Jahr 1965 war in hydrologischer wie in meteorologi­ mus acutus als Testalge in batch-Kultur eingesetzt. Die scher Hinsicht ein Extremjahr: Präparations- und Versuchsbedingungen wurden so a) Der Juni-Wasserstand war der fünfthöchste seit Be­ gewählt, daß die maximale Wachstumsrate von Scene­ ginn der regelmäßigen Pegelregistrierungen am Boden­ desmus ein Kriterium für die Anwesenheit von Hemm­ see im Jahre 1817. Pegelwerte von mehr als 500cm stoffen sein konnte, wobei der Effekt limitierender Nähr• (Pegel Konstanz) wurden ungewöhnlich früh erreicht. oder Spurenstoffkonzentrationen von vornherein aus­ Die letzten vergleichbaren Hochwässer lagen 30 Jahre geschlossen wurde. In den Versuchsansätzen mit Cla­ (1935: etwas niedriger als 1965) bzw. 39 Jahre (1926: dophora- und Spirogyra-Preßwasser zeigten die Test­ etwas höher als 1965) zurück. algen kein Wachstum. Obwohl die Chara-Watten unter b) Die "ununterbrochene Folge von ungünstigen Witte­ ähnlichen redoxchemischen Bedingungen verrottet wa­ rungsereignissen läßt das Jahr 1965 als das ungünstig• ren, übte ihr Preßwasser keine Hemmwirkung auf Sce­ ste seit Beginn der Messungen in unserem Gebiet - seit nedesmus aus. In einem zweiten Versuch wurde das etwa 100 Jahren - in die Witterungsannalen eingehen" Preßwasser von Cladophora in eine hydrophile, eine li­ (WAIBEL 1965: 381). Insgesamt war 1965zu kalt, zu naß pophile und eine flüchtige Fraktion getrennt. Sowohl Ii­ und gehörte zu den sonnenscheinärmsten Jahren seit pophile als auch flüchtige Fraktion hemmten das Sce­ Beginn der Aufzeichnungen. Fälle mit Böen, Starkwin­ nedesmus-Wachstum in etwa gleichem Maße, während den bzw. Stürmen von 6° Beaufort und mehr waren um die Testalgen in der hydrophilen Fraktion eine erwar­ 36 % häufiger als im Mittel der Jahre 1959 bis 1984. tungsgemäße Wachstumsrate zeigten. Die Giftwirkung In der Abbildung 4 sind Schilfwachstum, Wasserstands­ beruhte demnach offenbar auf organischen Substan­ kurve und Witterungsereignisse der Vegetationsperio­ zen. de 1965 zusammengestellt. Sie zeigt, daß während des Dieser Test kann freilich nur die Existenz von Hemm­ Hochwasserstandes in der zweiten Juni- und der ersten stoffen prüfen; er zeigt nicht, ob sie unter Freiland-Be­ Juli-Hälfte Ereignisse auftraten, die die seewärtigen dingungen die Wirkorte an der Schilfpflanze erreichen Schilfbestände schwer in Mitleidenschaft gezogen ha­ und dort physiologische Störungen hervorrufen, die ben dürften (Abb. 5): a) das Hochwasser selbst. das zum Absterben der Pflanzen führen. Hier sollten Frei­ zeitweise bis zu 3/4 der Halme überschwemmte, b) land-Versuche an natürlichen Beständen für Klarheit schwere Stürme von mehr als 4 Stunden Dauer am 16.1 sorgen: Eine kleine Halmgruppe wurde mit einer Tonne 17. und am 30. Juni, die auf dem freien See Stärken zwi­ umgeben, die etwa 30 cm hoch mit frisch abgelagerten schen 7 und 10° Beaufort erreichten, c) schwere Hagel­ Cladophora- und Chara-Watten gefüllt wurde. Die Ver­ schläge am 26. Juni und am 10. Juli. suchsbedingungen waren identisch mit der natürlichen Die Auswirkungen dieser Faktoren auf Gebäude, Ufer­ Situation am Schilfufer; lediglich mechanische Schilf­ bauten und landwirtschaftliche Anbauflächen sind in der schädigungen konnten ausgeschlossen werden. Die wissenschaftlichen Literatur (BLENCK 1971: 121) und in Auswertung ergab, daß nach Cladophora-Beschickung der Regionalpresse ("Südkurier" vom 15. 6., 18. 6., 1. die Halmzahlen im Mittel abnahmen. Allerdings verän• 7.,12.7.,3.8.1965) sowie durch unveröffentlichtes Fo­ derten sich die Halmdichten der unbehandelten Ver­ tomaterial (lINONER, Konstanz) ausführlich dokumen­ gleichsbestände in vergleichbarem Umfang, so daß tiert, so daß die Auswirkungen auf die Uferschilfbestän• nicht abschließend beurteilt werden kann, ob die Be­ de recht genau eingeschätzt werden können. Augen­ schickung mit Cladophora hauptverantwortlich für den zeugenberichte belegen die schweren Schäden am Halmrückgang war. In den Chara-Versuchstonnen Schilf (LANG 1968; 317-318, MULLERzELL 1968; 44-45). nahm die Halmdichte in der nachfolgenden Vegeta­ Gegen Ende der Vegetationsperiode weisen die Röh• tionsperiode auf mehr als das Doppelte zu. Wahr­ richte einen uferparallelen, ca. 10 m breiten, bräunlich scheinlich bedeutete in diesem Fall die Algenauflage ei­ verfärbten Streifen auf, dessen Strukturen wie von See ne zusätzliche Nähstoffzufuhr, auf die Phragmites mit nach Land "gekämmt" aussehen (LANG, unveröff. Foto­ einem vermehrten Halmaustrieb reagierte. mat.). Es dürfte sich dabei um die Zonen des stark geschä• So muß einstweilen offenbleiben, ob die im Labor nach­ digten und vermutlich schon weitgehend abgestorbenen gewiesene Giftwirkung sich auch in Freiland-Schilfbe­ Schilfs handeln. Die Auswirkungen der einzelnen Fak­ ständen auswirken kann. toren sind in der Abbildung 6 zusammengefaßt.

/ .I 94 carolinea, 48 (1990)

Windstärke(Beaufort)

8 8 6 4 4 4 2

Pegel(cm PR'zell) Halmlänge (m)

1965 ----- °3 ------M----- 600 ---°1----- 3,0

..... 500 .. ...,.,. -. 2,0 ...... '\. .'... • ~ • 400

300

IV V VI VII VIII IX

i OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 95

Das Jahr 1966: Ähnlich wie 1965 begann auch die Vegetationsperiode 1966 mit einem hohen Wasserstand, der bis Ende Mai rasch bis auf 55 cm über den langjährigen Mittelwert an­ stieg. Aber erst Ende Juli erreichte der Seestand sein Maximum. Mit zwei länger dauernden Starkwinden der Stärke 5 und 6° Beaufort und 11 Gewitterböen zwischen 5 und 10° Beaufort war die Vegetationsperiode 1966 ähnlich windreich wie die von 1965. Hagelschläge traten allerdings nicht auf. Weder Starkwinde noch Wasser­ stand dürften normale, gut wüchsige Seeufer-Schilfbe­ stände stärker in Mitleidenschaft gezogen haben. In die­ sem Falle traten jedoch bereits schwer geschädigte Be­ stände in die Vegetationsperiode ein, so daß sicherlich ein Teil von ihnen vollends zum Absterben gebracht Abbildung 5. Überschwemmte Schilfbestände Mitte Juni 1965 wurde (vgl. Abb. 6). beim Reichenauer Damm. Im Vordergrund wird die geringe Das Jahr 1967: Dichte der noch nicht überschwemmten Halme deutlich. Foto: Auch die Vegetationsperiode 1967 zeichnete sich durch L1NDNER. hohe Wasserstände im Mai und in derersten Juni-Hälfte aus. Zwar trat nur ein länger dauerndes Starkwindereig­ lich eine wesentliche Rolle gespielt: Die langsame Erho­ nis auf, dafür aber 17 Gewitterböen mit Stärken zwi­ lungsphase der subletal geschädigten Bestände und schen 5 und 9° Beaufort. Hinzu kamen 2 schwere Ha­ die veränderte Belastungscharakteristik seewärtiger gelschläge. Im Falle der schon seit zwei Jahren stark Schilfröhrichte nach 1965/1967. geschwächten seewärtigen Schilfbestände dürften wie­ Langsame Erholungsphase: derum etliche Flächen endgültig abgestorben sein. ­ Zwischen den seewärtigen Absterbezonen und den Ende Juli 1967 wurde die bereits angesprochene Luft­ landwärtigen, durch Hochwasser und Stürme der Jahre bildbefliegung mit Reihenbildkammer durchgeführt (vgl. 1965 bis 1967 nicht ernsthaft geschädigten Beständen Kap. 3.1). Die Bilder zeigen das Resultat des Schilfrück• (ab etwa 350 cm Pegel Radolfzell) gab es vermutlich ei­ gangs: seewärtig stark zerfranste oder in Bulten aufge­ nen Streifen schwer in Mitleidenschaft gezogenen löste Bestände sowie als Schatten die,,Stoppelflächen" Schilfs. Ähnlich wie bei andersartig mechanisch bela­ der ehemaligen Bestandsausdehnung (vgl. Abb. 1). steten Beständen dürfte es hier zu erheblichen Be­ Sowohl die Quellenauswertung als auch Modellrech­ standsstrukturveränderungen gekommen sein: zur Re­ nungen zum Vergleich von Wasserstandskurve und duzierung des durchschnittlichen Basaldurchmessers Schilfwachstumskurve führten zu dem Ergebnis, daß der Halme, zur Erhöhung des Anteils von in allen Teilen die Hochwässer, Stürme und Hagelschläge der Jahre schwächer ausgebildeten Sekundärsprossen, zur Ver­ 1965 bis 1967 die Untersee-Schilfbestände schwer in minderung der Längenwachstumsrate und der mecha­ Mitleidenschaft gezogen haben. Dies um so mehr, als nischen Belastbarkeit der Halme sowie zu einer Verrin­ dem "Katastrophenjahr" 1965 zwei weitere Hochwas­ gerung der durchschnittlichen Blattzahl und damit auch serjahre folgten. der Assimilationsfläche (OSTENDORP 1989a). Dadurch waren die Bestände empfindlicher gegenüber mechanischen Belastungen und Biomasseverlusten al­ H 10: Veränderte Belastungscharakteristik ler Art. Die erhöhten Halmverluste der geschwächten der Schilffront in den Jahren 1967 bis 1978 Bestände führten wahrscheinlich zu Reservestoffdefizi­ Die bei H 9 gegebene Erklärung für den seewärtigen ten in den Rhizomen. So wurde auch in den Vegeta­ Schilfrückgang läßt die Frage offen, warum noch in den tionsperioden nach 1967 eine nur suboptimale Be­ siebziger Jahren Bestandsverluste auftraten (vgl. Abb. standsstruktur erreicht, die wiederum zu einer erhöhten 1 u. Tab. 1), bzw. warum das Schilf in den vergangenen Belastungsanfälligkeit Anlaß gab. 20 Jahren sein ursprüngliches Areal nicht wieder ein­ Bei einem Teil der Bestände wurden die jährlichen Re­ nehmen konnte. Zwei Faktoren haben hierbei vermut- servestoffdefizite offenbar immer größer, so daß sie

Abbildung 4. Schilfwachstum, Wasserstand und Witterungsereignisse während der Vegetationsperiode 1965. Angegeben sind von oben nach unten: Windgeschwindigkeit (Maximalwert aus 3 Ablesungen tägl.) in ° Beaufort; Zahlen - minimale Dauer des Windes in der angegebenen Stärke in Stunden

Graupel (6) oder Hagel (.a.) in der Stärke 0,1 od 2, ,A/ - Gewitter mit Böen von 5 oder mehr 0 Beaufort Stärke (zahlen-Stärke in ° Beaufort) Wachstumskurve eines seewärtigen Schilfbestandes: Halmlänge über Grund in m (Ordinate rechts) bzw. in cm Pegel Radolfzell (Ordi­ nate links, Geländeoberkante bei 275 cm P. Radolfzell), M- Mittelwert, 0, bzw. 03 - 25 %- bzw. 75%-Ouartilmaß Wasserstandsganglinie für 1965: punktierte Linie, Tageswerte Pegel Radolfzell langjährig mittlere Monatsmittel des Wasserstandes (1931 bis 1980): durchgezogene Linie.

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...... : OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 97

400

350

300

250

400

350

300

10 I 250 m B

400

Abbildung 7. Auswirkungen 350 des Schilfrückgangs 1965 bis 1967 auf Ufererosion und me­ chanische Belastung der see­ wärtigen Schilffront A- vor 300 dem Schilfrückgang, B- nach dem Schilfrückgang, C- nach 10 erfolgter Flächen- und Kliff­ I erosion, w - Wasserstand, 250 .:'0 m c Wertl - zur Einleitung des Wel­ Pegel lenbrechens kritischer Was- serstand, Punktiert - Algen­ (emPR'zell) watten). gänzlich abstarben, andere wiederum konnten die Defi­ ausbreitenden Schilfröhrichten, niemals aber innerhalb zite zwar ausgleichen, brauchten dazu aber etwa 10 bis stabiler Schilfbestände beobachtet (vgl. auch HASLAM 15 Jahre. Nachdem die Reservestoffvorräte aufgefüllt 1970: 153). Schilffrontkartierungen, die seit 1984 durch­ waren und die Bestandsstruktur einen gewissen Opti­ geführt werden (DIENST 1986) belegen die allgemeine malwert erreicht hatte, konnten sich die Bestände see­ Ausbreitungstendenz. Die mittleren jährlichen Zuwäch• wärts ausdehnen. Erstes Anzeichen dafür waren die se liegen freilich im Bereich von nur 10 bis 20 cm Front­ "Rhizomsprosse", die seit 1980 mit zunehmender Häu• vorschub. figkeit beobachtet wurden. Es handelt sich hierbei um Veränderte Belastungscharakteristik: einen Halmtyp, der aus schräg aufstrebenden, oft 1 bis Der seewärtige Rückgang von 30,5 ha bis 1967 (vgl. 1,5 m langen Horizontalrhizomen entspringt. Derartig Tab. 1) entspricht einem durchschnittlichen Frontrück• lange Ausläuferrhizome wurden bislang nur an sich gang von 8,5 m. An vielen Uferabschnitten war der Schilfgürtel jedoch auf einer Breite von 20 bis 30 m zu­ Abbildung 6. Schilfrückgang 1965 bis ca. 1980 (Übersicht). rückgewichen. Nach 1967 lag also ein breiter Litoral-

I 98 carolinea, 48 (1990)

streifen frei, der vordem von Röhrichten bedeckt gewe­ mungsgeschwindigkeiten entwickeln und somit Erosion sen war. und Sedimenttransport vor der Schilffront verstärkten. Die Schilfbedeckung hatte für eine gleichmäßig Wellen­ Die Stärke der Klifferosion wurde zwischen 1981 und bremsung gesorgt, so daß sich über Jahrzehnte hinweg 1983 kartiert: Danach wurden an 28 % der gesamten ein Erosions-Akkumulations-Gleichgewicht einstellen schilfbedeckten Uferstrecke (31,2 km) mittelstarke und konnte: Durch fortgesetzte Wiederholung erosiver und auf 1,5 km Länge (= 4,8 %) sehr starke Schäden beob­ akkumulativer Phasen im jährlichen Wasserstandsver­ achtet; Kliffs mittlerer Höhe kommen dabei sowohl an lauf kam es zu einer Korngrößensortierung, wie sie für luv-, als auch an leeseitigen Ufern vor. Vielfach sind ih­ Litoralsedimente typisch ist; die mittlere Korngröße nen erodierte Stoppelfelder vorgelagert; dies kann als stand mit der Transportkraft der im randlichen Schilfbe­ Beweis dafür angesehen werden, daß es an den betref­ reich auslaufenden Welle im Gleichgewicht. Nach dem fenden Stellen vor dem Schilfrückgang weder flächige Absterben des seewärtigen Schilfstreifens fiel dessen noch Klifferosion gegeben hat. Beitrag zurWellenenergiestreuung fort, so daß Feinma­ Die zwischen 1967 und 1978 stark zunehmende Bedek­ terial ausgewaschen und abtransportiert werden konn­ kung des Litorals mit Unterwasserpflanzen (LANG 1981) te. Durch flächenhafte Erosion entstand eine flache dürfte ebenfalls zur Belastungsverstärkung beigetragen Brandungskehle, bis sich ein neues Gleichgewicht ein­ haben (vgl. H 2). Noch heute sind mechanische Fakto­ gestellt hatte (Abb. 7). ren wesentlich für die Regulation der seewärtigen Be­ Da der Sedimenttransport überwiegend zwischen Ufer­ standsgrenze verantwortlich (vgl. HRSCHER 1987 U. und Brecherlinie (am Untersee: Haldenlinie) erfolgt (lp­ DIENST & STARK 1988). PEN 1966, PTAK 1986), wurde ein großer Teil dererodier­ ten Sedimente im verbliebenen Schilfgürtel abgelagert. Noch heute liegen große Kalkschlammbänke im Röh• 4. Diskussion richtgürtel vor Horn und Gundholzen, am Reichenauer Damm und am Nordufer der Insel Reichenau. Die Strati­ Mit Hilfe der planimetrischen Luftbildauswertung konnte graphie der Ablagerungen und des Rhizomkörpers be­ die räumliche und zeitliche Verteilung des Röhrichtrück• legen diese Vorgänge. 1981 konnte eine Kalkschlamm­ gangs am Bodensee-Untersee differenziert untersucht aufspülung durch einen Nordoststurm direkt verfolgt werden. Danach ergibt sich folgendes Bild: Die Seeufer­ werden; auch hier war die Entblößung des Sediments, in röhrichte erreichten um 1950 ihre Maximalausdehnung; diesem Falle durch Schilfschnitt, ursächlich mitbeteiligt. zwischen 1954 und etwa 1983 fand ein Rückgang statt, Der Bestandsrückgang 1965 bis 1967 bedeutete nicht der zu einer Fehlbestandsfläche von rd. 88 ha führte. nur eine laterale, sondern auch eine vertikale Verschie­ Seit 1983 breiten sich die Schilfbestände wieder in Rich­ bung der seewärtigen Schilfgrenze von etwa 275 bis tung See aus (DIENST 1986, DIENST & STARK 1988). Das 300 auf 325 bis 350 cm Pegel Radolfzell. Damit rückte Rückgangsgeschehen läßt sich in vier Phasen gliedern die seewärtige Bestandsgrenze in einen Bereich, in (Tab. 2): dem die Aufenthaltshäufigkeit des Wasserstandes im 1954-1965: geringe jährliche Verluste der seewärtigen Herbst, also zur Zeit der höchsten Windtätigkeit, maxi­ Bestände (ca. 500 m2jUfer-km . Jahr); hohe Verluste an mal ist. Nach 1967 trat also wesentlich häufiger als vor landwärtigem Schilf, 1965 die Situation ein, daß sich windinduzierte Wellen 1965-1967: sehr hohe Verluste (ca. 4000-5000 m2j im Bereich der seewärtigen Schilffront brachen und hier Ufer-km' Jahr) an seewärtigem Röhricht, große Translationsenergien freisetzten (Abb. 7). Mitge­ 1967-1978: geringer Rückgang von etwa 250 m2jUfer­ führte Makrophytenwatten wurden in kompakter Form km . Jahr; geringe landwärtige Verluste, und mit vergleichsweise hoher Beschleunigung gegen 1978-1983: Verluste von mindestens 3 ha seewärtigen die Halme gedrückt, anstatt wie früher in locker suspen­ Röhrichts, überwiegend als Folge von Schilfschnitt (ent­ dierter Form zwischen den Halmen durchzuwandern. spricht etwa 600 m2jUfer-km . Jahr), Dadurch, daß sich die Wellen nach 1965 bis 1967 häufi• Räumlich gesehen besitzt die Gesamt-Fehlbestands­ ger im Bereich der seewärtigen Bestandsgrenze bra­ fläche Schwerpunkte in den äußeren landwärtigen und chen, andererseits die (lebenden) Schilfrhizome einer in den äußeren seewärtigen Beständen (Tab. 1), für die Flächenerosion entgegenwirkten, kam es zur Ausbil­ jeweils zwei verschiedene Faktorkomplexe verantwort­ dung von Kliffkanten von 10 bis 30 cm Sprunghöhe. Die lich zu machen sind. Im übrigen sind alle Seeteile des Bodenreibungsverluste der Wellen wurden herabge­ Untersees in etwa gleichem Maße betroffen. setzt, so daß sie mit noch höherer Energie auf die kleine Landwärtiger Rückgang: Kliffkante trafen. Durch die plötzliche Verringerung der Nach Ausweis der Luftbilder wurden die landwärtigen Wassertiefe werden die kritischen Bedingungen des Flächenverluste im wesentlichen durch Überbauungen, Wellenbrechens (vgl. BINZ 1980, PTAK 1986: 28) genau Aufschüttungen usw. verursacht (Tab. 2). Der größte im Bereich der Schilffront überschritten. Bei höheren Teil hiervon fiel in den Zeitraum 1954 bis 1967. Da die und steileren Kliffkanten könnte es sogar zur Ausbil­ Verluste auf einer bewußt herbeigeführten Vernichtung dung partiell stehender Wellen kommen, die unter ihren des Röhrichts beruhen, sind sie eher von politischem als Schwingungsknoten erhebliche horizontale Strö- von wissenschaftlichem Interesse.

-/ OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 99

Tabelle 2. Röhrichtverluste und ihre Ursachen; dargestellt ist die prozentuale Größe der Flächenverluste 100 % ~ 88 ha 1954 bis 1983) und die wichtigsten Ursachen.

1954-1965 I 1965-1967 1967-1972 I 1972-1978 1978-1983

Landwärtige 41 % 9% O%? Röhrichte Aufschüttungen, überbauungen Aufschüttungen, überbauungen

Seewärtige 11 % 26% 5% 5% 3% Röhrichte ? Hochwasser im Schwächung derBestände als Folge Juni 1965. der Ereignisse von 1965 Stürme am 16./17. u. Kliff- und Schilfschnitt 30. Juni 1965 Flächenerosion Schilfbrand Hagelschlag am erhöhte Belastung durch Treibgut (z. B. 26. Juni 1965 Unterwasserpflanzen-Anschwemmungen)

Seewärtiger Rückgang: LOISEL beobachtet wurde (GOODMAN & al. 1959, MEN­ Größere Aufmerksamkeit gilt den Faktoren, die zu den DELSSOHN & McKEE 1982). Statt dessen starben die see­ seewärtigen Bestandsverlusten geführt haben. Insge­ wärtigen Röhrichte am Untersee vollständig ab. Gegen samt wurden 9 Absterbehypothesen überprüft, von de­ die Beteiligung von Fadenalgenwattenanschwemmun­ nen nur wenige das zeitliche und räumliche Muster des gen am Rückgangsgeschehen spricht auch die Tatsache, Schilfrückgangs erklären können (Tab. 2). Die Hypothe­ daß während des Häufigkeitsmaximums der Algen um sen H 5, H 6 und H 7 müssen aus grundsätzlichen Erwä• 1975 der Schilfrückgang vergleichsweise gering war. gungen heraus abgelehnt werden; sie können zu keiner Ebenso ist es undenkbar, daß Erosionsvorgänge (H 4) Phase den Schilfrückgang erklären. Darüber hinaus in dem kurzen Zeitraum die Schilffront um mehrere Me­ sind ihre wichtigsten Voraussetzungen am Bodensee­ ter zurückdrängen konnten, abgesehen davon, daß ein Untersee nicht gegeben. statistischer Zusammenhang zwischen Erosionsstärke Die Ursachen des Rückgangs 1954 bis 1965 sind kaum und Fehlbestandsfläche nicht gefunden werden konnte. belegt, so daß gegenwärtig offenbleiben muß, welchen Hingegen konnte anhand von Augenzeugenberichten, Faktoren eine herausragende Bedeutung zukommt. Für Bilddokumenten und Modellrechnungen gezeigt wer­ Änderungen in der Wind- und Wellenbelastung (H 2) den, daß die hydrologischen und meteorologischen Er­ gegenüber der Zeit vor 1954 bestehen ebensowenig eignisse vor allem des Jahres 1965 (H 9) erhebliche ne­ Anhaltspunkte wie für eine erhöhte Treibgutbelastung gative Auswirkungen auf die seewärtigen Röhrichte ge­ (H 3). Auch eine toxische Belastung durch Fadenalgen habt haben müssen. Der ungewöhnliche hohe und frühe dürfte als Ursache ausscheiden, wenn man bedenkt, Hochwasserstand dürfte zeitweise bis zu 75 % der see­ daß die ersten Massenentwicklungen zwar schon um wärtigen (d. h. der am weitesten unter dem Mittelwasser 1960 beobachtet wurden (MATTERN 1970), zunächst stockenden) Halme überschwemmt haben. Die Auswir­ aber noch nicht das Ausmaß späterer Jahre erreichten. kungen von überschwemmung auf Phragmites austra­ Auch hydrologische und meteorologische Faktoren er­ Iis sind in der Literatur gut belegt (HURLIMANN 1951: 97, klären das Phänomen nicht Die Periode 1956 bis 1964 RODEWALD-RuDESCU 1958: 309, SCHWILCH 1963, RUDES­ war, insbesondere was die Wasserstände im Juni an­ cu 1965: 88-89, RODEWALD-RuDESCU 1974: 113-114). ging, eine Niedrigwasserperiode. Allein das Jahr 1955 Bei nur teilweiser Überflutung verlieren die Halme einen hatte während der ersten drei Maiwochen überdurch• großen Teil ihrer Blätter, versuchen im übrigen aber, schnittlich hohe Wasserstände; extreme Windereignis­ durch beschleunigtes Streckungswachstum der oberen se wie im Jahre 1965 fehlten jedoch. Internodien dem steigenden Wasserspiegel zu entkom­ Auch für das Rückgangsgeschehen 1965 bis 1967 las­ men; dadurch wird allerdings die Ausbildung des Skle­ sen sich einige Faktoren von vornherein ausschließen: renchymgewebes verringert, so daß die Halme im So ist es kaum denkbar, daß toxische Algenabbaupro­ Herbst anfälliger gegenüber mechanischen Belastun­ dukte (H 8) in nur 3 Jahren rd. 20 ha Schilf vernichten gen sind. Bei völliger überflutung kommt die Photosyn­ konnten, zumal etwaige Toxine, wie SCHRODER (1987) these der Blätter weitgehend zum Stillstand (RODEWALD­ annimmt, mehrere Jahre benötigen, um in den Wurzel­ RUDESCU 1974: 81), so daß der Sauerstofftransport in bereich der Schilfpflanzen vorzudringen. Im Falle einer die Rhizome teilweise unterbunden wird. Aber gerade "Vergiftung" wären bestandsstrukturelle Veränderun• während der Wachstumsphase der Schilfhalme (Ende gen der Röhrichte (Verringerung der Halmdichte, Küm• April bis etwa Anfang Juli) benötigen die Rhizome den merwuchs, frühzeitige Seneszens o. ä.) zu erwarten ge­ atmosphärischen Sauerstoff, da nur ein aerober Stoff­ wesen, ähnlich wie dies beim Rückgang des Schlickgra­ wechsel die benötigten Energiemengen zur Synthese ses Spartina townsendii GROV. bzw. S. alterniflora von Transportmolekülen und Halmgewebe bereitstellen

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kann (STEINMANN & BRÄNDLE 1984, BRÄNDLE 1985). kommen im Litoral in jener Zeit vervielfacht (LANG 1981), womit sich die Treibgutbelastung der neu etablierten Gleichwohl kann man davon ausgehen, daß die Schädigung durch das Hochwasser allein nicht zu solch katastrophalen Be­ Schilffront erhöht haben dürfte. Daß toxische Effekte, standsausfällen geführt hätte, wären nicht Starkwinde und Stür• ausgehend von Fadenalgenwatten, zusätzlich eine Rol­ me hinzugekommen. Verglichen mit normalen Herbststürmen le gespielt haben, ist unwahrscheinlich. Unklar ist, ob dürfte sich die sommerliche Windbelastung des Jahres 1965 sich die Fadenalgen nicht auch in den aUfgelockerten wegen des hohen Wasserstandes und wegen der starken Treib­ Schilfbeständen angesiedelt haben, um bei herbstlich gutführung weitaus schädlicher auf die tief im Wasser stehen­ sinkendem Wasserspiegel die schwächeren Halme um­ den Seeuferröhrichte ausgewirkt haben. zuknicken. Solche Vorgänge konnten am Untersee­ Ein Augenzeuge (MOLLERzELL 1968: 44-45) schreibt Ufer auf geschnittenen Schilfflächen beobachtet wer­ dazu: "Auch Hochwasser schadet dem Schilf. So war den. Dagegen kann davon ausgegangen werden, daß im Jahre 1965 mit seinem außergewöhnlichen Wasser­ leichte Formen der Kliff- und der Flächenerosion auf stand ... zu beobachten, daß das Schilf nurspärlich zur den Schilfrückgang der 60er Jahre zurückgehen und Oberfläche durchstoßen und nur wenig widerstandsfä• sich hernach hemmend auf die Schilfausbreitung aus­ hige Halme entwickeln konnte. Im hohen Wasserstand gewirkt haben. Das Erscheinungsbild des Rückgangs war das Schilf verkümmert, es fehlte ihm die Kraft, Blü• zwischen 1967 und 1978 erlaubt keine klare Hervorhe­ ten zu treiben, der Wind hat es gar schnell zerbrochen." bung nur eines Faktors; vermutlich sind sie alle in ver­ Von zumindest lokaler Bedeutung ist der Hagelschlag gleichbarem Maße am Rückgang beteiligt. Die Faktoren am 26. Juni gewesen. Die Wirkung von Hagelschlägen werden in der Hypothese H1 0 zusammengefaßt. auf Schilfbestände konnte am 14. Juli 1982 verfolgt wer­ Die hier geschilderten Faktoren können jedoch das den: Die Spitzen der Junghalme waren auf einer Länge Schilfsterben nicht vollständig erklären: So kam es noch von etwa 0,5 bis 1 m abgeknickt, die Blätter zerfetzt. Im zu Anfang der 80er Jahre in 56 seewärtigen Röhrichten Bereich der Hagelstraße waren etwa 95 % aller Halme zu "Einzelhalmauflösungen", d. h. zu einergleichmäßi• entsprechend stark in Mitleidenschaft gezogen. Da der gen Verringerung der Halmdichte bis hin zum fast völli• Wasserstand jedoch nicht ungewöhnlich hoch war, kam gen Verschwinden der Bestände. Da aber insgesamt es in den Jahren nach 1982 zu keinen auffälligen Be­ nur etwa 0,5 ha Schilffläche davon betroffen sind, wurde standsverlusten. Anders jedoch 1965: Als hier die weni­ den Ursachen nicht eigens nachgegangen. gen noch über den Wasserspiegel aufragenden Halm­ spitzen und Blätter zerstört waren, dürfte es in den be­ troffenen Beständen zur Anaerobiose der Rhizome und 5. Ausblick: Ein neues Schilfpflege-Konzept schließlich zum Absterben der Bestände gekommen sein. Betroffen waren wahrscheinlich die leeseitigen Die bisherigen Schilfpflegemaßnahmen am Untersee Bestände vor Horn und vor Mittelzell sowie die luvseiti­ (Winterschnitt, Brand) stützten sich auf die Annahme, gen Röhrichte bei Hegne. daß die Eutrophierung, insbesondere die Verschlam­ Das Zusammentreffen von drei nachweislich schweren mung, die Nährstoffüberlastung, sowie anaerobe Ab­ Schädigungsfaktoren in der Zeit von Mitte bis Ende Juni bauprozesse für das Schilfsterben verantwortlich sind 1965 erklärt den Umfang des Röhrichtrückgangs der (SCHRODER 1979). Obschon sich die Pflegeversuche ne­ Jahre 1965 bis 1967. Demgegenüber treten Witterungs­ gativ auswirkten (OSTENDORP 1987), wurde der Winter­ ungunst und Frühsommerhochwässer der Jahre 1966 schnitt erneut als Maßnahme zur Beseitigung algenbür• und 1967 als eigentliche Ursachen zurück. Sie haben tiger Giftstoffe gefordert (SCHRODER 1987). aber die Schäden an den bereits stark in Mitleidenschaft Die hier erarbeiteten Ergebnisse machen jedoch ein gezogenen Seeuferbeständen verstärkt. Vor dem Hin­ überdenken des bisherigen Pflegekonzepts erforder­ tergrund der Geländebeobachtungen in den Jahren lich. Da die hydrologischen und meteorologischen Fak­ 1978 bis 1983 darf angenommen werden, daß die Er­ toren der Jahre 1965 bis 1967 von nur einmaliger, wenn eignisse der Jahre 1966 bis 1967 normalwüchsigen auch nachhaltiger Wirkung waren, darf man annehmen, Schilfbeständen nicht wesentlich geschadet hätten. daß die seewärtigen Bestände im Laufe der Zeit ihr ur­

Der Schilfrückgang der Periode 1967 bis 1978 kann sprüngliches Areal zurückerobern. Tatsächlich dringt ~. durch die Ereignisse der Jahre 1965 bis 1967 allein seit spätestens 1984 das Schilf an vielen Uferabschnit­ noch nicht erklärt werden, selbst wenn man unterstellt, ten wieder gegen den See vor (DIENST 1986). Dabei wird daß ein großer Teil der Bestände subletal geschädigt die Vorstoßgeschwindigkeit offenbar durch die Größe war und eine entsprechende Zeit brauchte, um sich zu der mechanischen Belastung der Schilffront bestimmt erholen, die Reservestoffvorräte in den Speicherrhizo­ (HIRSCHER 1987, DIENST & STARK 1988). Allerdings men aufzufüllen, nachteilige Bestandsstrukturverände• schreitet die Wiederbesiedlung sehr langsam voran. rungen (z. B. Sekundärsproßaustrieb) auszugleichen Darüber hinaus ist fraglich, ob die Bestände je wieder und wieder in Richtung See vorzuwachsen. Andere die alte Arealgröße erreichen werden, da sie heute stär• Faktoren dürften hinzugetreten sein, so daß eine see­ ker als vor 1965 durch Erosion und Treibgutanschwem­ wärtige Ausbreitung erst Anfang der 80er Jahre beob­ mungen belastet werden. Schilfschutzmaßnahmen soll­ achtet wurde. So hat sich das Unterwasserpflanzenauf- ten also zum Ziel haben, den Ausbreitungsvorgang

,.

/ OSTENDORP: Röhrichtrückgang Bodensee 101

A o B ~

SlMHW IMMW -- -- szMNW

B o B

szMHW IMMW SlMNW

Abbildung 8. Schema des Röhrichtschutzes durch Wackendamm und Spülfläche:A - Uferprofil vor, B- Uferprofil nach der Renaturie­ rungsmaßnahme; gestrichelt - ursprüngliches Uferprofil vor der Erosion; punktiert - Spülfläche, schraffiert - Wackendamm, B - Wel­ lenbrecherzone, D- Zone der Energiedissipation, MHW. MMW, MNW - mittlerer jährlicher Hoch-, Mittel-, Niedrigwasserstand.

punktuell zu unterstützen und zu beschleunigen, indem sche Untersuchung. - Heidelberger geogr. Arb., 33: 347 S.; sie mechanische Belastungen von den seewärtigen Heidelberg. Röhrichten so gut es geht fernhalten. Eine mögliche BRANDLE, R. (1985): Kohlenhydratgehalt und Vitalität isolierter Rhizome von Phragmites austraiis, Schoenoplectus lacustris Maßnahme ist in Abbildung 8 dargestellt: Die Kliff- und und Typha latifolia nach mehrwöchigem 02-Mangelstreß. ­ Flächenerosion wird durch Feinmaterial-Auftrag ausge­ Flora, 177: 317-321; Jena. glichen. Das Feinmaterial wird seewärts durch einen BRUGGER, A. &STAHL, M. (1966): Der Bodensee im Luftbild.­ Wackendamm stabilisiert. Die Vorschüttungen sorgen 100 S.; Konstanz. dafür, daß sich die Wellen häufiger im Bereich des Wak­ DIENST, M. (1986): Zur Dynamik der Schilllront am Bodensee­ kendammes brechen, wo sie keinen Schaden anrichten Untersee. - Natur und Landschaft, 61: 137-139; Bonn-Bad können. Nur ein relativ kleiner Anteil der Brecherenergie Godesberg. DIENST, M. STARK, H. (1988): Die Dynamik der Schilllront am soll noch die Schilffront erreichen können. Die bisherige & Bodensee-Untersee von 1984 bis 1987. - Natur und Mensch, Kliffkante wirkt nun nicht mehr als Ausbreitungshinder­ 29: 3-8: Schallhausen. nis, so daß sich die Bestände seewärts ausdehnen kön• FREVERT, 1. (1983): Hydrochemisches Grundpraktikum. ­ nen. Der Ausbreitungsprozeß kann je nach Situation 215 S., UTB-Taschenbuch 1256; Basel. durch Schilf-Neuanpflanzungen beschleunigt werden. GAMBRELL, R. P. &PATRICK, W. H. (1978): Chemicalandmicro­ Ähnliche Maßnahmen wurden bereits am Nordufer des biological properties of anaerobic soUs and sediments. - In: Bodensee-Obersee durchgeführt. Vorläufige Ergebnis­ HOOK, D. D. & CRAWFORD, R. M. M.; Plant Iife in anaerobic se (KRUMSCHEID 1988) bescheinigen ihnen auch am Un­ environments: Ann Arbor; Michigan, USA. GOODMAN, P. J., BRAYBROOKS, E. M. LAMBERT, J. M. (1959): tersee gute Erfolgsaussichten. & Investigations into "die-back" in Spartina townsendii agg. I. The present status of Spartina townsendii in Britain. - J. Ecol., 47: 651-677; Oxford. 6. Literatur GRÜNBERGER, M. (1978): Der Rückzug des Schilfröhrichts am thurgauischen Bodenseeufer. - Gutachten im Auftrag des BANOUB, M. W. (1975): The ellect of reeds on the water chemi­ Amtes für Raumplanung, KI. Thurgau: Frauenfeld/Schweiz. stry of Gnadensee (Bodensee). - Arch. Hydrobiol., 75: HASLAM, S. M. (1970): Variation of population type in Phragmi­ 500 - 521 ; Stuttgart. tes communis. - Ann. Bol., 34: 147-158; London. BINZ, H. R. (1980): DerSchilfrückgang-ein Ingenieurproblem? HIRSCHER, A. (1987): Dokumentation der Schilfbestandsent­ - Jb. Verb. Schutz Landschaftsbild Zürichsee, 53: 35-52. wicklung (Lipbach, Strandbad Friedrichshafen, Eriskircher BLENCK, J. (1971): Die Insel Reichenau. Eine agrargeographi- Ried) Frühjahr - Herbst 1986. - Ber. f. d. Umweltschutzamt,

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