Die Ursachen Des Röhrichtrückgangs Am Bodensee-Untersee

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Die Ursachen Des Röhrichtrückgangs Am Bodensee-Untersee WOLFGANG OSTENDORP Die Ursachen des Röhrichtrückgangs am Bodensee-Untersee Kurzfassung verschiedener Faktoren am Schilfrückgang beteiligt Zwischen 1954 und etwa 1983 wurden die Schilfgürtel des Bo­ sein können. densee-Untersees vom sog. "Schilfsterben" ertaßt; 88 ha (= Für den Schilfrückgang am Bodensee-Untersee wur­ 23 % der gesamten Seeuferröhrichtfläche) gingen verloren. Mit den bisher Hilfe von quantitativen Luftbildauswertungen wurden die räumli• - die Eutrophierung des Pelagials (SCHRODER 1979), chen und zeitlichen Rückgangsmuster untersucht. Neun in der Literatur vortindliche Rückgangshypothesen wurden überprüft. - die Verschlammung der Schilfbestände und die Nähr- ob und inwieweit sie diese Rückgangsmuster erklären können. stoffüberlastung der Röhrichtsedimente sowie anae­ Die "Eutrophierung des Untersees" und die "Nährstottan• robe Abbauprozesse (SCHRODER 1979, 1987), reicherung der Röhrichtsedimente" lieferten ebensowenig ei­ - sowie die Schädigung der Schilfpflanzen durch algen­ nen überzeugenden Erklärungsansatz wie "negative redoxche­ bürtige phytotoxische Substanzen (JüTINER & SCHRO­ mische Bedingungen in den Sedimentoberschichten". Hinge­ DER 1982, SCHRODER 1987) gen kann der seewärtige Rückgang ursächlich auf das Hoch­ als Ursachen angenommen. wasser, zwei schwere Sturmereignisse und einen Hagelschlag Die genannten Arbeiten konnten sich jedoch nur auf im Juni 1965 zurückgeführt werden. Als Konsequenz aus diesen neuen Ergebnissen sollte das bisherige Sch ilfpflegekonzept ge­ punktuelle Beobachtungen und Meßergebnisse stüt• ändert werden, indem die seewärtige Schilttront besser vor me­ zen, da die räumliche Verteilung und der zeitliche Ver­ chanischen Belastungen und vor Ufererosion geschützt wird. lauf des Rückgangsgeschehens nicht bekannt waren. Nachdem nun diese Daten hier vorgelegt werden kön• Abstract nen, müssen die Rückgangsursachen gänzlich neu dis­ The causal factors of reed decllne In Lake Constance-Un­ kutiert werden. tersee (West-Germany). Reed decline phenomena attected the reed belts (Phragmite­ tum typicum) of Lake Constance-Untersee between 1954 and c. 1983: about 88 ha (= 23% of the total area of reedswamp in 2. Untersuchungsgebiet und Methoden 1954) were lost. The temporal an spatial patterns of the regres­ sion were investigated by a quantitative evaluation of aeropho­ Die Untersuchungen beschränken sich auf das deutsche Ufer tos. Nine hypotheses were tested whether they could explain des Bodensee-Untersees zwischen dem Riedgraben gegen­ these patterns. As a result it was confirmed that the "pelagic eu­ über Gottlieben (km 0) und der Landesgrenze bei Öhningen (km trophication", the "nutrient enrichment of the reedbed sedi­ 66,4). Pflanzensoziologische Gliederung und Ökologie der Un­ ments" and the "existence of detrimental redox conditions in the tersee-Röhrichtgesellschaften, unter denen das Schilfröhricht upper sediment layers" are no convincing concepts. Damage of (Phragmitetum typicum sensu LANG [1967]) die weitaus größte the lakeside reedbelts by a f100d disaster, two heavy storms and Fläche einnimmt, sind bei LANG (1967) und OSTENDORP a hailstorm in June 1965, have been found to be the only factors (1989 a) dargestellt. which coincide with the patterns of the regression. As a conse­ Die nachfolgend geschilderten Ergebnisse stützen sich im we­ quence, the concept of reedbelt management and maintenance sentlichen auf should be modified, giving more protection against mechanical a) planimetrische Auswertung von Senkrecht-Luftbildserien, damage and bank erosion. von denen die Befliegungen 1954, 1967 und 1978 nahezu das gesamte deutsche Untersee-Ufer umfaßten, Autor b) die qualitative Auswertung von Amateuraufnahmen, Presse­ Dr. WOLFGANG OSTENDORP, limnologisches Institut, Universi­ fotos und Schräg-Luftaufnahmen, tät Konstanz, Postfach 5560,0-7750 Konstanz. c) Uferkartierungen (Klitt- und Flächenerosion, Treibgutan­ schwemmungen, mechanische Schädigung der Schllttront), d) Untersuchungen zur Chemie des Sedimentkontaktwassers 1. Einleitung (SKW) und des Sedimentinterstitialwassers (lW): Leitfähigkeit, pH-Wert. per(Redoxmilieu-)Wert, pH 2S(Schwefelwasserstott­ Bereits vor mehr als 40 Jahren stellte HüRLIMANN (1951) Aktivität)-Wert, Gehalte an gelöstem O2 , Ca, Mg, PO,-P, Fe, Si, i, einen weit verbreiteten Rückgang der Röhrichtgürtel N03-N, NH 4-N, organische Substanz (als COD), schweizerischer Mittellandseen fest. Seither hat das e) Untersuchungen zur Genese, Stratigraphie und zum Nähr• stottgehalt der Sediment- und Bodenoberschichten (org. Sub­ sog. "Schilfsterben" mehr als 35 europäische Seen er­ stanz, N , und P , in der Festsubstanz), faßt (OSTENDORP 1989b); auch der Bodensee-Untersee ge ge f) Labor- und Freilanduntersuchungen zur Toxizität von Faden­ ist betroffen. algen-Abbauprodukten. Obschon sich mehr als hundert Publikationen diesem Auf methodische Einzelheiten und Arbeitstechniken kann an Thema widmen, liegen die Ursachen in den meisten dieser Stelle nicht eingegangen werden, vgl. aber OSTENDORP Fällen im dunkeln. Es steht lediglich fest, daß eine Reihe (1989a). 86 carolinea, 48 (1990) Die Untersuchungsergebnisse lieferten das Grundlagenmate­ fast völlig ab. Im östlichen Teilgebiet lösen sich die Röh• rial, um richte, wie schon vorher im westlichen Teil, in einzelne 1. das zeitliche und räumliche Muster des Rückgangsgesche• Halmgruppen auf, es bilden sich zahlreiche Buchten hens differenziert zu verfolgen (vgl. Kap. 3.1 u. 3.2), und Löcher. Soweit die Luftbilder eine Beurteilung zu­ 2. die bisherigen Hypothesen über die Ursachen des Schilfrück• lassen, scheint die Halmdichte der restlichen Bestände gangs am Bodensee-Untersee kritisch zu werten (Kap. 4). Die Darstellung beschränkt sich auf eine knappe Übersicht; wei­ etwa konstant geblieben zu sein; es kommt also nicht zu teres Datenmaterial, Literaturbelege und eine ausführliche Dis­ Einzelhalmauflösungen (vgl. Kap. 4). Die Luftbildserie kussion finden sich in OSTENDORP (1989a). 1967 zeigt seewärts der verbliebenen Restbestände Schalten, auf der Luftbildkarte als punktierte Linien ein­ Den Herren G. LANG undTH. R. L1NDNER, Konstanz, sei herzlich gezeichnet, deren Ausdehnung recht genau der ehe­ für die Überlassung unveröffentlichten Fotomaterials gedankt. maligen Schilfgrenze gleichkommt: Es handelt sich um Stoppelflächen als Reste der abgestorbenen Bestände. 3. Ergebnisse Die gute Konturierung der Flächen deutet darauf hin, daß der Absterbevorgang nur wenige Jahre zurückliegt. 3.1 Die zeitliche Verteilung des Röhrichtrückgangs Einige Schrägluftbilder von 1964 (LANG in KIEFER 1972, Taf. 8; LANG, unveröff. Fotomaterial) und vom Juni 1965 Röhrichtausbreitung bis 1954 (BRUGGER & STAHL 1966, Bild-Nr. 78 u. 79) zeigen einige Die Geschichte der Uferröhrichte bis zum Ende des ver­ derjenigen Schilfgebiete, die zwei Jahre später nur noch gangenen Jahrhunderts ist wenig bekannt. Seit der Mit­ als "Stoppelfelder" zu sehen sind, in der Ausdehnung te des 19. Jahrhunderts existieren amtliche Kartenwer­ von 1962 bzw. 1954. Der Rückgang setzt sich bis etwa ke, die von Zeit zu Zeit revidiert wurden und so zumin­ 1972 fort, wobei die bereits in Halmgruppen aufgelösten dest großmaßstäbliche Verschiebungen der seewärti• Bestände weitgehend verschwinden. Am Nordrand der gen Schilffront erkennen lassen. Die Auswertung dieser Schilfhalbinsel im rechten Bildteil kommt es zusätzlich Quellen ergab eine kontinuierliche Ausbreitung der zu einigen neuen Einbrüchen. Von 1972 bis 1978 än• Röhrichte in Richtung See von etwa 1890 bis um 1950. dern sich die Bestandsgrenzen nur wenig; der Schilf­ Um 1950 haben die seewärtigen Uferröhrichte etwa fol­ rückgang ist damit im wesentlichen zum Stillstand ge­ gendermaßen ausgesehen: typische, ca. 10-60 ,lahre kommen. Im westlichen Teil scheint das Schilf verloren­ alte, in Ausbreitung begriffene Schilfbestände mit zun­ gegangenes Areal zurückzugewinnen. genförmig in den See ragenden Bestandsflächen; ge­ Zu ähnlichen Ergebnissen kommt GRüNBERGER (1978) 2 ringere Halmdichte (ca. 10-20 H/m ) und kürzere Hal­ für das schweizerische Untersee-Ufer im Bereich des me (ca. 2,5-3,5 m lang) als heute; Substrat: nährstoff• Eschenzer Horns sowie zwischen Gottlieben und Erma­ arme Carbonatsedimente (feinsandig-siltige Seekreide, tingen: Für die Jahre 1945 bis 1954 verzeichnet er noch Schnegglisande) ohne Schilfstreuauflage; seewärtige einen Schilffront-Vorschub, zwischen 1954 und 1967 Bestandsgrenze bei 260-270 cm Pegel Radolfzell findet ein drastischer Frontrückgang von durchschnitt­ (394,27-394,37 m NN) (vgl. auch LANG 1967, Tab. 9). lich 10,8 m (Bereich Gottlieben/Ermatingen) statt. In Einige Bestände am Untersee tragen auch heute noch den ,Iahren 1967-1977 verlangsamte sich der Rück• diesen Charakter, sie werden im folgenden als "natur­ gang auf durchschnittlich 0,8 m pro Jahr. nahe" Bestände bezeichnet. Bessere quantitative Ergebnisse lassen sich bei maß• stabsgetreuer Auswertung der Luftbilder verschiedener Schilfrückgang 1954 bis 1978 Jahrgänge erzielen. Die Ergebnisse sind in der Tabelle Die Luftbildserie des Jahres 1954 repräsentiert also ­ 1 dargestellt. Danach umfaßten die Röhrichte des deut­ soweit dies überhaupt zurückzuverfolgen ist - den Zu­ schen Untersee-Ufers zur Zeit ihrer Maximalentfaltung stand bisheriger Maximalentfaltung der Uferröhrichte (um 1954) rd. 379 ha, 1967 waren es lediglich 310 ha am Untersee. In dieser Ausgangssituation setzte nun und 1978 schließlich noch 294 ha. das "Schilfsterben" ein, das an hand einer exemplarisch Anhand von 7 insgesamt 11,22 km langen Uferab­ ausgewählten Sequenz von Luftbildkarten
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