gift 03/2015 zeitschrift für freies theater

Wie Gott in Frankreich ... ? NEIN Inhalt

1 editorial

politik

2 kurz & knapp 3 Kärnten: #kulturistabgesagt Felix Strasser zündet sich ein wenig an ... 10 Wir sind viele & divers – so wie unser Publikum IG Freie Theaterarbeit 14 539 Triple-Talk und Gastzitat Daniel Aschwanden

diskurs

19 Der Tod des lebenden Theaters Judith Malina: Nachruf und Spurensuche Jürgen Bauer 24 workcenter encounters Past and Present of the Workcenter of Jerzy Grotowski and Thomas Richards Florian Zambrano 28 Ich diene, also bin ich da Das ‚Kapital Körper’ in Elfriede Jelineks Theatertexten Marion Ramell 31 Von Körpern und anderen Ereignissen Christa Spatt und Chris Standfest von [8:tension] im Interview mit Stephan Lack 38 How to: Sustainability Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb: (UN)CONFERENCE. Imaginary Relationships Theresa Luise Gindstrasser

international

40 Die Utopie aus der Schweiz: Tanztheater Interface Thomas Hahn 44 Mehr Intimität! Radikale Momente im Hotel Obscura Theresa Luise Gindstrasser

szene

46 Gosse oder Schloss? – Gehen wir auf die WalTz! Gespräch mit Maximilian Achatz Florian Zambrano 54 Das Eigene und das Fremde Jugendliche testen mittels Theater die Verhältnisse aus: ein Blick in die Kulturwerkstatt des spacelab_gestaltung Xenia Kopf

info kurzrubriken

60 intern 7 zeitfenster Hubsi Kramar: Manifest für ein 60 wir gratulieren! ökologisches Theater. Vernetztes Denken und Handeln 60 ausschreibungen im FREIEN THEATER 61 festivals 13 sandkasten Felix Strasser 64 premieren 37 bilderrahmen Rupert Larl

Titelbild: La clemenza di Tito. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2013 © Rupert Larl editorial

Liebe Leser_innen,

die vorliegende gift beginnt mit einer Serie politischer Ma- mance – auch eine Hommage an ImPulsTanz. Im TQW wurde nifeste: Felix Strasser mit VADA in Kärnten, Hubsi Kramars im Rahmen einer (UN)CONFERENCE erfrischend verstörend Plädoyer für ein ökologisches Theater als Zeitfenster aus dem das Verhältnis von Kunst und MARKT und Nachhaltigkeit Jahr 1990 – anlässlich der Geschehnisse um Burg & Co auch verhandelt, meint Theresa Luise Gindlstrasser. heute brandaktuell. Als Manifest fasst die IG Freie Theater die Im Internationalen überrascht das Hotel Obscura mit Förderbedingungen für freie Gruppen in Kärnten, Steiermark der Forderung nach mehr Intimität. Thomas Hahn hat im und Wien zusammen und setzt zum Vergleich die Rahmenbe- schweizerischen Sion André Pignat und seine ungewöhnliche dingungen und Reichweite der jeweils großen Häuser vor Ort Truppe – ein neuartiges soziales Experiment – getroffen. In entgegen – die Zahlen sprechen für sich. Weitere Ergebnisse der Szene besucht Xenia Kopf die Kulturwerkstatt spacelab der Erhebung freier Gruppen in Wien sind auf der Homepage im WUK und Maximilian Achatz steht Rede und Antwort der IG abrufbar. Daniel Aschwanden verhandelt symptoma- zum theater WalTzwerk. tisch für viele als Triple mit sich selbst als Künstler, Arbeitneh- Felix Strasser spricht diesmal auch im Sandkasten mit mer und Produzent seine aktuell ungeförderte Situation. Katharina Ganser. Die Fotos dieser Ausgabe stammen von Das alles ein Manifest und Auftakt der Bestimmung von Rupert Larl. Kunst und Kultur im 21. Jahrhundert, die die SP aktuell kul- Die Welt zumindest des freien Theaters bewegt sich trotz turpolitisch zum Thema macht, ohne damit von der aktuellen der politischen Schreckensstarre – auf die keine Antwort als Überschreitung aller Grenzen ablenken zu können – aber ein radikaler Protest möglich ist! auch als Einstimmung auf die Vorwahlzeiten in Wien und anderswo. NEIN zu RotBlau – NEVER, NIEMALS, NIE WIEDER!!! Auch der Diskurs hat einiges und exemplarisches Ge- wicht: Jürgen Bauer erweckt – noch einmal – die kürzlich NEIN zu Mikl-Leitners aktuellem Asylverfahrensstopp verstorbene Grand Dame Judith Malina mit einem Blick auf NEIN, SO NICHT und NICHT SO WEITER! die hochpolitische Geschichte des Living Theatre. Florian Zambrano schließt an mit einem Bericht über das Grotowski NEIN zu einem Darabos, der ohne Not den letzten Rest Re- Workcenter in Wien und anderswo. Marion Ramell war auf putation der SP im rotblauen Neusiedlersee versenkt! dem aktuellen Jelinek Symposion über KAPITAL; MACHT; GESCHLECHT. Chris Standfest und Christa Spatt sprechen NEIN mit Stephan Lack über Körper als Ereignisse und das mühe- lose Überschreiten von Genre-Grenzen in Tanz und Perfor- Sabine Kock

editorial 1 politik

kurz & knapp

Wienbibliothek ersteigert unbekanntes Horváth-Stück Kärnten/Koroška ...

Niemand – eine Tragödie in sieben Bildern wurde 1924 von Die freie Szene ist auf Reichweite und Publikum bezogen der Ödön von Horváth verfasst, bisher aber weder publiziert noch größte kulturelle Player Kärntens. Kurz nach Bekanntgabe aufgeführt. Die Wienbibliothek, die einen Teil des Nachlasses der guten Nachrichten erfolgte am 30. März dieses Jahres die von Ödön von Horváth verwaltet, erwarb das Stück nun bei Ernüchterung: Mittels Erlass der Finanzlandesrätin erfolgte einer Auktion in Berlin von einem anonymen Besitzer. ein Auszahlungsstopp sämtlicher budgetärer Mittel Kärntens; Mittlerweile gewährt der Bund einen 343 Millionen-Euro- Kredit. Zwei Online-Kulturportale sperren zu Zu Redaktionsschluss befindet sich ein Großteil der freien Szene noch in einer ungesicherten Warteposition. Die Die fünf Jahre alte Schweizer Internet-Plattform kultur- Akteur_innen müssen um ihre Vorhaben, vertragliche Bin- kritik.ch und die ebenso 5 Jahre alte Kölner Theaterzeitung dungen, getätigte Ausgaben für Vorbereitungsarbeiten und aKT werden aus finanziellen Gründen eingestellt. Die Archive zumindest um einen Teil ihrer eigenen finanziellen Existenz- von beiden bleiben im Web erhalten. grundlage bangen. Aus dem BKA wurde Auffangbereitschaft signalisiert – die Fördereinreichungen gingen auch ohne Landeszusage in die Bundesbeiräte, um dort entschieden In drohen 20 % Kürzungen zu werden. Wahrscheinlich nicht erspart bleibt dem Kul- turbereich eine 15%ige Kürzung durch das Land Kärnten, Das Land Salzburg hat im Dezember 2014 einen neuen Passus eine Maßnahme, die angesichts der ohnehin sehr niedrigen für das Haushaltsgesetz beschlossen, worin sich das Land bei Einzelförderungen der zeitgenössischen freien Szene an sich mehrjährigen Förderverträgen Kürzungsmöglichkeiten von schon desaströs ist. Zu hoffen bleibt, dass bald eine finanzi- mindestens 20 % „zur Wahrung ausreichender Flexibilität“ elle Lösung für Kärnten gefunden wird und Kulturlandesrat vorbehält. Der Dachverband der Salzburger Kulturstätten Christian Benger sich, wie am Jour Fixe am 5. Mai verspro- fordert den Kulturlandesrat und die Landesregierung zur chen, mit ganzer Kraft für die freie Kultur-Szene einsetzt und Zurücknahme des Passus auf. für Verteilungsgerechtigkeit einsetzt. ||

2 gift 03/2015 Kärnten: #kulturistabgesagt Felix Strasser zündet sich ein wenig an ...

VADA ist eine Identitätsstiftung. VADA fährt keinen Dienstwagen, daher VADA stiftet in seinen Theaterstü- ist VADA ein laufender Betrieb, der sich cken jährlich unzählige Identitäten. besonders beeilt, in zuvorkommender VADA tradiert jährlich kübelweise Weise den Kulturauftrag und den Bil- Literatur aus den verschiedensten dungsauftrag des Landes Kärnten zu Kulturräumen. Daher ist VADA Tra- erfüllen. Dieser Auftrag besteht in der dition. VADA wird gebraucht, daher Herstellung kultureller Infrastruktur, in ist VADA Brauchtum. VADA tut dem der Herstellung eines Diskurses und ei- Volk gut, daher ist VADA Volksgut. ner Diskussionskultur, in der Herstellung Und Kulturgut. Und Sprachgut. Und selbstbewusster und demokratielustiger überhaupt Gemeingut. Und wenn Bürgerinnen und Bürger, in der Bekämp- VADA im vollen Ausmaß unterstützt fung von Abwanderung, von geistiger würde, könnte VADA noch gemeiner Armut und geistiger Trägheit. gut sein. Für eine volle Unterstützung spricht, dass VADA sparsam ist, denn VADA ist aber in allererster Linie eine jedermann kann in VADA Geld ein- Interessensvertretung. VADA vertritt zahlen wie in eine Sparkasse. – Aber die Interessen und Wünsche seines Pu- VADA ist krisensicher. Denn VADA blikums. Und das Publikum wünscht schlachtet sicher jede Krise aus, die Antworten. Antworten auf die Frage: ihm zu Ohren kommt: Daher ist VADA Warum wird uns die Kultur weggenom- die einzige Verwertungsagentur, die men? Wir sind Gailtaler und Lesachtaler Kärnten braucht. Denn bei VADA ha- und Gitschtaler, Lavanttaler, Rosentaler, ben ausschließlich Notwendigkeiten Gurktaler, Drautaler, Jauntaler und viele Priorität. Auch wenn dafür die Be- andere -taler. Wir wollen keine Neander- gehrlichkeiten der Landesregierung taler werden! Wann ist die Zeit der Will- redimensioniert werden müssen. kür vorbei? ||

© VADA

Beitrag bei der Kultur-Demo am 5. Mai 2015 in Kärnten – das Video der Aktion gibt’s auf: www.facebook.com/kulturistabgesagt

politik 3 zeitfenster Manifest für ein ökologisches Theater Vernetztes Denken und Handeln im FREIEN THEATER Hubsi Kramar

4 gift 03/2015 politik 5 6 gift 03/2015 politik 7 8 gift 03/2015 © Rupert Larl: L'Orontea Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, 2014

politik 9 Wir sind viele & divers – so wie unser Publikum

Vorstand, Bundeslandsprecher_innen, Geschäftsführung und Team der IG Freie Theaterarbeit

Theater, Tanz, Musiktheater, Theater für Kunst- und Kulturpolitik. Eine Erfolgs- keit, eine faire Bezahlung bieten zu kön- junges Publikum, Performance, Figu- geschichte, die vielen österreichischen nen oder gar die Beteiligten anzustellen, rentheater, inklusives Theater, Theater Politiker_innen viel zu wenig bewusst zu verknüpft. Eine Verdoppelung der Bud- an der Schnittstelle zum Sozialen, Mi- sein scheint – so wie auch die prekären gets mit expliziter Widmung für bessere grant_innen ansprechendes und einbe- Hintergründe der mit diesen Leistungen Bezahlung der Beteiligten wäre bereits ziehendes Theater, Theater für und teil- verbundenen Arbeit. Wie viel die freie ein wichtiger Schritt in die richtige weise auch mit dem Publikum und noch Szene unterfi nanziert leistet, beweisen Richtung und ein deutliches politisches vieles mehr bieten die freien Gruppen einmal mehr die im Folgenden zusam- Signal in Richtung Armutsbekämpfung im Feld der darstellenden Kunst. mengefassten Erhebungen der freien von im Kunstbereich Tätigen. Wir sind mobil und kommen, so- darstellenden Kunst-Szenen in Kärnten, Der Vergleich mit Stadt- bzw. fern es uns gelingt, dafür Geld aufzutrei- der Steiermark und Wien. Sie verdeutli- Landesbühnen wurde nicht gewählt, ben, mit den meisten unserer Produk- chen, im Vergleich mit großen Bühnen um deren wichtige Leistungen oder tionen mit relativ geringem Aufwand im jeweiligen Bundesland, welch starker Verdienste um die Kulturnation Ös- überall hin – mitunter direkt zu unserem Faktor die freien Gruppen hinsichtlich terreich zu schmälern. Der Vergleich Publikum nach Hause. Unser Publikum des erreichten Publikums sind. wurde gewählt, um die Verdienste und fi ndet uns immer öfter auch an den groß- Deutlich wird auch, wie wenig – Leistungen für die Kulturnation Öster- en Bühnen. Mit unserer spielerischen unterstrichen sei: viel zu wenig – Geld reich durch die gesamte freie Szene un- Vielfalt erreichen wir Menschen aus von öffentlicher Seite dafür investiert ter Beweis zu stellen und einen großen unterschiedlichsten Szenen. Auf diesem wird. Zu wenig an Geld, um diese Arbeit gemeinsamen, österreichweiten Denk- Weg bringen wir lebendige, emotionale im Sinne von nachhaltigem Produzie- und Diskursprozess anzuregen, der eine und rationale Impulse in das Leben ein- ren an vielen verschiedenen Orten zei- Neupositionierung des freien Theater- zelner Menschen und sind gemeinsam gen zu können und zu wenig, um die bereichs in ideeller als auch fi nanzieller eine Bereicherung für die gesamtgesell- geleistete Arbeit fair abgelten zu kön- Hinsicht zum Ziel hat. schaftliche Entwicklung des Landes – nen. Das Fördergefälle ist österreichweit jenseits von monetären Werten. im Bundeslandvergleich erheblich, wie Kärnten Kurzum: Wir, die freien Theater- die folgenden Zahlen von Kärnten über schaffenden, sind die 2. Säule des The- die Steiermark hin zu Wien klar zeigen. Die Zukunft, ja selbst die Gegenwart aters in Österreich und eine wichtige Aber selbst in Wien sind die Fördermar- vieler freier Gruppen in Kärnten ist un- Erfolgsgeschichte der österreichischen gen häufi g noch nicht mit der Möglich- klar und ungesichert. Viele, einschließ-

10 gift 03/2015 lich der für Kultur zuständige Landes- erhielt im Jahr 2013 einen Förderungs- beeindruckende Daten zu Tage: Durch- rat Christian Benger, bangen aktuell um beitrag durch das Land Kärnten in Höhe schnittlich wurden mit 787 Auffüh- den Fortbestand der freien Kunstszene von 10,12 Mio. Euro3. rungen/Jahr (2,16 Vorstellungen/Tag) in Kärnten. 85.436 Besucher_innen/Jahr erreicht, Prekär und am Limit arbeiten die womit die freie Szene hinsichtlich der freien Künstler_innen und Kulturar- Steiermark Besucher_innen auf Augenhöhe mit beiter_innen Kärntens, die jenseits von dem Schauspielhaus Graz liegt (85.881 Brauchtum und Eventkultur Impulse Die „Reformpartner“ SPÖ und ÖVP Besucher_innen bei 348 Vorstellungen setzen möchten, schon lange. Mit einem riefen ab 2010 einen Sparkurs mit Kür- in der Saison 2012/20134). Die Ausga- bescheiden angesetzten, auf hohe Eigen- zungen von bis zu 25 % quer über alle ben für die freie Szene von Seiten des leistungen bauenden Subventionsbedarf Bereiche aus. Neben dem Sozial- und Landes Steiermark betrugen 2012 rund vom Land Kärnten in Gesamthöhe von Bildungsbereich war auch der Kultur- 1,5 Mio. Euro. 212.600 Euro hätten 12 freie Gruppen bereich betroffen. Unter dem Motto Die Bühnen Graz (Schauspielhaus, ohne eigene Spielstätte (klagenfurter „Die Großen retten die Kleinen“ wur- Oper, Next Liberty) erreichten in der ensemble und neuebühnevillach aus- den u.a. die Budgets der Landesbühnen Saison 2012/2013 mit 684 Vorstellungen genommen) mit 53 Produktionen in gedeckelt (keine Indexanpassungen ab 254.828 Besucher_innen mit einem För- 468 Vorstellungen (durchschnittlichen spätestens 2017). Zahlen, die die IG derbudget des Landes Steiermark von 1,28 Aufführungen/Tag) cirka 29.000 Kultur Steiermark im Mai 2015 präsen- rund 14 Mio. Euro5 exklusive Investi- Besucher_innen erreicht. All das mit tierte, zeigen jedoch, dass wieder vor tionen im Jahr 2012 (der Kunstbericht 119 bezahlten Mitarbeiter_innen.1 Die allem die freie Kulturszene einen großen 2013 weist eine Förderhöhe von über 17 IG KIKK bewies unlängst mit einer Ba- Teil der Kürzungen zu tragen hat. Zwar Mio. Euro aus6). sisdatenerhebung, dass die freie Szene konnte das Budget für mehrjährige För- insgesamt der größte kulturelle Player derverträge gehalten werden, das Volu- Wien Kärntens ist. Das Stadttheater Klagen- men für Projektförderungen ging aber furt erreichte mit seinen Produktionen, schmerzlich zurück. Mit der Förderung von freien Künst- darunter 20 Neuinszenierungen, in der Das Andere Theater hat die Pro- ler_innen, Gruppen und Ensembles im Saison 2012/2013 mit 224 Vorstellungen duktivkraft der freien darstellenden darstellenden Bereich setzt die Stadt (durchschnittlich 0,61 Aufführungen Kunst-Szene für die Jahre 2009 bis Wien eindeutig auf die richtige Karte. pro Tag) 108.011 Besucher_innen2 und 2012 erhoben und fördert ebenfalls Das zeigen die Ergebnisse der aktu-

politik 11 Es braucht ein Umdenken, damit nicht noch mehr engagierte freie Künstler_innen entmutigt aufgeben oder abwandern.

ellen Erhebung der IG Freie Theaterar- 14 freie Gruppen ohne eigene Spiel- Stadt- und Landestheater zur Disposi- beit zu den Produktionen freier Wiener stätte mit ca. 2,630.000 Euro über die tion – ein Prozess, der ein historisches Gruppen bezogen auf das Jahr 2013: 83 Konzeptförder-Schiene gefördert. Umdenken erfordert, und der mit dem an der Befragung teilnehmende freie Die Vereinigten Bühnen Wien (Rai- Burgtheaterskandal sichtbar auch in Gruppen7 haben mit 318 Produktionen mundtheater, Ronacher und Theater Österreich angekommen ist. Es braucht in 1.970 Vorstellungen (durchschnitt- an der Wien) erreichten in der Sai- ein Umdenken, damit nicht noch mehr lich 5,41 Aufführungen/Tag) 347.308 son 2012/2013 mit 555 Vorstellungen engagierte freie Künstler_innen entmu- Besucher_innen erreicht. 1.852 Künst- (durchschnittlich 1,52 Aufführungen/ tigt aufgeben oder abwandern, weiter ler_innen und Kulturarbeiter_innen Tag) 466.549 Besucher_innen8, ihr ge- im Prekären verharren, sondern auch haben zum Zustandekommen dieser meinsames Fördervolumen durch die in Zukunft dazu beitragen können, die Aufführungen beigetragen. Für einen Stadt Wien betrug 2012 36,35 Mio. Entwicklung der darstellenden Künste großen Teil von ihnen ist dies eine von Euro9 (2013: 37,24 Mio. Euro10) ohne nachhaltig attraktiv zu halten, die Be- mehreren Tätigkeiten im persönlichen Bauinvestitionen. geisterung für das Theater auch für neue Patchwork-Arbeitsleben, mit denen Publikumsschichten zu erschließen, meist mehr knapp als ausreichend der Theater/Tanz/Performance inhaltlich, Lebensunterhalt bestritten wird. Ausblick formal, theatral für Gegenwart und Zu- Das Fördervolumen der durch die- kunft zu gestalten. se Erhebung erfassten freien Gruppen Die Gefahr ist groß, dass in Zeiten en- durch die Stadt Wien (inklusive anderer ger werdender Budgets – auch entgegen Kulturabteilungen wie der Alltagskultur dem erklärten politischen Willen – eine Über deutliche finanzielle Signale der und der Bezirksförderung) betrug 4,07 Struktur der Restauration der histo- Anerkennung hinaus wünschen wir uns Mio. Euro. Über die Kulturabteilung der risch gewachsenen ‚Theaterapparate‘ von den österreichischen Politiker_in- Stadt Wien werden in Wien freie Grup- geschieht, anstatt einer innovativ in die nen eine generelle Wertschätzung und pen derzeit mit 2,6 Mio. Euro über die Zukunft gerichteten Neukonstitution Anerkennung unserer Leistungen für die sogenannte Projektförder-Schiene und des Sektors. In Deutschland standen 40 Gesellschaft. ||

1 Erhebung der IG-Bundeslandsprecher Felix Strasser und Florian Zambrano im April 2015 der Daten von 12 Kärntner freien Theaterschaffenden 2 "Spieltätigkeit 2012/13 an den österreichischen Länderbühnen und Stadttheatern", STATISTIK , Letzte Änderung: 17.12.2014, siehe: www.statistik.at/web_de/statistiken/bildung_und_kultur/kultur/theater_und_musik/021279.html 3 Kulturbericht des Landes Kärnten 2013 4 "Spieltätigkeit 2012/13 an den österreichischen Länderbühnen und Stadttheatern" 5 www.kultur.steiermark.at/cms/dokumente/10201703_103500048/1e83006a/Kulturbericht%202012.pdf 6 www.kultur.steiermark.at/cms/dokumente/10201703_103500048/0698daa3/Kulturf%C3%B6rderungsbericht%202013.pdf 7 Nicht alle im Jahr 2013 laut Kunst- und Kulturbericht durch die Theaterabteilung geförderten freien Gruppen haben an der Umfrage teilgenommen. Von den 83 an der Befragung teilnehmenden Gruppen wurden 62 über die Theater-Abteilung der Stadt Wien gefördert. Bezogen auf das Fördervolumen und die durch die Theaterabteilung geförderten Gruppen kann von einer ca. 70%igen Beteiligung an dieser Erhebung ausgegangen werden. 8 Vorstellungen und Besuche an den Bundestheatern, Wiener Privattheatern und Vereinigten Bühnen Wien 1980/81 bis 2012/13, STATISTIK AUSTRIA erstellt am 21.11.2014, siehe: www.statistik.at/web_de/statistiken/bildung_und_kultur/kultur/theater_und_musik/index.html 9 Kunst- und Kulturbericht der Stadt Wien 2012 10 Kunst- und Kulturbericht der Stadt Wien 2013

12 gift 03/2015 sandkasten Felix Strasser geb. 1982 in Klagenfurt/Celovec, ist Schauspieler, Regisseur, Autor und Gründer des Vereins VADA (Verein zur Anregung des dramatischen Appetits). Als nächstes ist er im Herbst in der Produktion WÖRTERseele zu sehen. gift: Du bist sogenannter Chef-Plotmonteur in deinem Ver- Strasser: Ich schätze die Mehrsprachigkeit und die Lage ein VADA. Was können wir uns darunter vorstellen? am Schnittpunkt verschiedener Kulturen – daraus schöpfe Strasser: Der Vadaist ist so etwas wie ein lästiger Vertreter, ich viel fürs Theater und für mich persönlich. Was mich der dir bestimmte Literaturen und Autoren andrehen will anekelt ist der kindische Wunsch vieler Kärntner_innen, – und am liebsten möglichst viel unterschiedliches Zeugs in „nationaler“ oder „ethnischer“ Hinsicht Teil irgendeiner auf einmal. Dabei handelt er nach dem Prinzip „Ächtes phantastischen großen Einheit zu sein. Kunst muss maken jutes Appetit, aber nich dickes Kopp“ (Paul Scheerbart). Und weil der Vadaist sehr gierig ist, will gift: Was war das Verrückteste, das du je getan hast? er überall Theater machen. Strasser: Ich habe eine Drittstaatenangehörige geheiratet und in Ö eingebürgert. Verrückter geht’s nicht. Wir haben gift: Gedankenspiel, Assoziation und Montage, was faszi- das in zwei Stücken verarbeitet. Eines wurde ein Kassen- niert dich daran und warum? schlager, das andere ein Skandal, so rich- Strasser: Jeder Blödsinn wurde schon tig mit abgebrochenen Vorstellungen. einmal gedacht oder gemacht. Man kann aber die einzelnen Blödsinnig- gift: Sport? keiten isolieren, rekombinieren und/ Strasser: Jonglieren, Snooker, Minigolf, oder umbewerten. Wenn dadurch et- Flipper... Kurz: Alles, wo mit vielen klei- was Neues oder Notwendiges entsteht, nen Bällen auf kleinem Raum ganz viel ist das toll. gleichzeitig passiert. gift: Woher kommt deine Affinität zu gift: Deine Stärken/Schwächen? Russland? Strasser: Ich bin bei der Arbeit saupin- Strasser: Ich habe eine Vorliebe für die gelig. Das ist manchmal gut, manchmal russische Literatur und Malerei – beides © Katharina Ganser einfach nur langsam. ist sehr eigenständig, innovativ, originell, aber auch son- derbar, penetrant und schrullig, als wäre Russland eine gift: Kannst du dich an dein erstes Mal Theater erinnern? riesige Schweiz. Strasser: Meine ersten Besuche im Stadttheater waren enttäuschend. Weil das Geschehen so weit weg war, die gift: Du spielst im kleinsten Theater der Welt in Kärnten, Schauspieler_innen mich nicht anschauten und nicht ein- wieso Theater für möglichst wenige? mal in meine Richtung redeten, fühlte ich mich nicht ange- Strasser: Durch die besondere Nähe fühlen sich die Zu- sprochen. Dann habe ich aber im Garn Theater Berlin das schauer_innen persönlich angesprochen. Es ist ein inten- erste Mal Adolfo Assor gesehen, verstand, dass es auch siveres Erlebnis, das nachhaltig im Gedächtnis bleibt. Wir anders geht und mein Schicksal war besiegelt. erreichen damit auch Publikum, das kein herkömmliches Theater besuchen würde. Auch technisch gesehen bietet gift: Schlimmstes Verbot, das dir in Kinderjahren auferlegt die Enge ganz andere Möglichkeiten, wie z. B. abruptere werden konnte? Szenenwechsel oder das Arbeiten mit Close-ups. Strasser: Ich hatte immer Probleme mit Anweisungen des Typs „du musst das jetzt genauso machen, wie ich es dir gift: Was hasst, was liebst du als Kärntner an deinem Hei- gezeigt habe“. matland und seiner Bevölkerung? Interview: Katharina Ganser

diskurs 13 Daniel Aschwanden, Künstler, Performer und Choreograf 539 im Gespräch mit Triple-Talk und Gastzitat Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer und Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent Klaus Spiess, Gast

Alle: Die eben erfolgte Absage der Jahressubvention für 2016 dann wäre ich ein Übererfüller – und müsste eigentlich vom trifft uns ja gleichermaßen. Vielleicht ein guter Moment, sich System belohnt werden, ich werde aber bestraft dafür. zu unterhalten und Perspektiven zu betrachten? Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Das wirft Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Unbedingt, diese Ab- eher ein Licht auf die Marktmechanismen und die Kultur- sage ist ein Affront, sie zerstört meinen Arbeitsplatz, eine politiker_innen, die es ganz offensichtlich nicht schaffen, Anstellung, die seit über 20 Jahren die Anbindung ans Sozi- diese Innovationen, die sie selbst postulieren, in ihr System alsystem garantiert hat. aufzunehmen.

Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Also die Daniel Aschwanden, Künstler: Grundsätzlich stellt sich aber Stadt Wien vergibt immerhin mehr Förderungen als die mei- schon die Frage, weshalb Künstler_innen weniger prekär sein sten anderen Städte im europäischen Vergleich. sollen als andere Arbeitende in der Gesellschaft? Als Künst- ler ist diese Entscheidung des Kuratoriums natürlich extrem Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Es gab in dieser Zeit kränkend, aber damit muss ich leben, wenn ich in diesem auch nur einmalig eine Lohnerhöhung, und das Gehalt liegt Bereich tätig sein will. ungefähr bei einem Betrag, der offi ziell als Armutsgrenze ver- handelt wird. Ich bin schließlich auch Familienvater. Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Schrecklich, dass es kei- ne Solidarität gibt unter den Schaffenden, es ist doch klar, dass Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Wenn ich die vielfach postulierten Erhöhungen des Kulturbudgets die darin einen Vorwurf höre, kann ich dem nur entgegenhalten, Schaffenden in der freien Szene nie erreicht haben. Hier ist die dass von Arbeitgeberseite alles getan wurde, um wenigstens Kulturpolitik einzumahnen – seit der Gründung der freien Sze- dieses Gehalt zu sichern, sieh dich doch um in der Szene, wer ne in den 80iger Jahren hat sich doch niemand Gedanken da- hat denn überhaupt nur schon Vergleichbares geschafft? Das rüber gemacht, dass Leute in dieser Szene auch älter werden. ist doch schon als Erfolg zu werten, eine Art Grundgehalt, Nun hat mit Hubsi Kramar einer der ersten das Pensionsalter das erfolgsgebunden sich erhöhen kann. Eigentlich ein Zu- erreicht. Die meisten werden aber längst davor regelrecht liqui- kunftsmodell, würde ich meinen. diert. Das hat anlässlich der Theaterreform die Exponent_in- nen der damaligen Mittelbühnen getroffen – und nun hat sich Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Allerdings scheint das dieser Verteilungskampf in die freie Szene verlagert. Außerdem niemanden zu interessieren, schon gar nicht die Stadt als För- werden absurderweise genau jene abgeschossen, die es wagen, dergeberin und damit Hauptfi nanziererin. tatsächlich transdisziplinär zu arbeiten und die vielleicht nicht unbedingt von den drei Häusern – Tanzquartier, brut, WUK Daniel Aschwanden, Künstler: Mich interessiert eher die – gefeatured werden. Das ist vielleicht nur ein Effekt, aber er Kontinuität der Arbeit, die nun infrage gestellt ist. Ich leiste wirkt systematisch. Soviel zur Vielfalt und Dezentralität, die mir, jenseits des Mainstreams tätig zu sein, habe viele Konven- so gern beschworen wird seitens der Stadt. tionen in Frage gestellt, die Arbeit ist nach wie vor experimen- tell ausgerichtet. Wenn ich die diffusen Begriffe hernehme, Daniel Aschwanden, Künstler: „Ist es denn ein Wunder?“, welche die Kulturpolitik als wünschenswert postuliert, sprich sang mal Nina Hagen. Da sind doch mittlerweile mehrere „Transdisziplinarität“, „im urbanen Raum“, „zeitgenössisch“, neue Generationen tätig.

14 gift 03/2015 bastard CROWD [mobile] © Aschwanden / Zenk

Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Früher hat man ver- hat wirklich nicht viel Spielraum, ich finde, das kann man ihm sucht, den sogenannten Nachwuchs hintan zu halten, bis das das nicht alleine anhängen. Dass er die Jahre mehrheitlich nur nicht mehr möglich war. Heute sind diese Leute längst in den verwaltet hat und weder mit der Szene offen kommuniziert, Vierzigern und pochen zu Recht darauf, auch ihre Chancen noch wesentliche Akzente gesetzt hat, ist eine andere Sache. zu bekommen. Dass man aber jahrelang einfach nichts an- Ebensowenig hat er die Potentiale dieser Szenen erkannt und deres tut, als immer kleinteiliger den Mangel zu verwalten, vermittelt, das hätte ihm auch politisch Auftrieb geben kön- und damit die Gießkanne zum Hochdruckgefäß zu machen, nen. Was ich wirklich bedenklich finde, ist, dass es die Stadt ist unverantwortlich, die kann jederzeit explodieren – und als Gesamtorganismus auch unter der herrschenden Koalition vielleicht wäre das sogar wünschenswert, dann müsste end- nicht geschafft hat, das Thema der freien Schaffenden, und da lich etwas passieren. gehören nicht nur die darstellenden Künste dazu, größer zu betrachten, diese Kunst-Szenen miteinzubeziehen in ihre Po- Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Da muss litik, als Bereicherung und kulturellen Kitt, der die demokra- ich allerdings Vorbehalte anmelden: es ist doch eine Tatsache, tische Entwicklung der Stadt unterstützt und substantiell nach dass die Kulturbudgets völlig überdehnt sind. Mailath-Pokorny Innen und Außen zu dem beiträgt, was Wien ausmacht.

politik 15 bastard CROWD [mobile] © Aschwanden / Zenk

Daniel Aschwanden, Künstler: Die Konzentration auf dem Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Wo sind die Millionen Printmedienmarkt und die damit einhergehende Marginalisie- für die Kunst? In welcher Weise werden die Kunstschaffenden rung und Eventisierung der Kunst haben auch ihren Beitrag mit ihrer Expertise einbezogen und dann beteiligt am Mehr- geleistet. ORF zum Beispiel stuft in seiner Eventhierarchie die wert, den diese Entwicklungen produzieren? Bislang kann freie Szene als 3. Ereignishierarchie oder weniger ein. man leider nur von Farce sprechen, wenn man etwa in Aspern die Maßstäbe „europäische Dimension der Stadtentwicklung“ Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Es wäre vergleicht, mit dem was da kulturell passiert. doch kein Kunststück, Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Szenen gerade im Kontext der Stadtentwicklung zu för- Daniel Aschwanden, Künstler: Wo sind die Millionen für die dern – und das wäre ja keineswegs eine einseitige Angelegen- Kunst? Dass ich nicht lache! Ich habe die Situation zum An- heit, wie man das gerne darstellt. Da wird in großer Rhetorik lass genommen, meine Arbeiten und Aktivitäten in der Stadt von Smart Cities gesprochen, die Seestadt Aspern ist ein gutes nochmals durchzugehen, einerseits war ich immer schwer ein- Beispiel dafür: die Wirtschaftskammer lässt verkünden, dass zuordnen, weil ich sowohl als Künstler, wie als Veranstalter sie 40 Mio Euro in die Entwicklung Wiens als Smart City ste- aufgetreten bin – das Modell der Künstler-Kurator_innen be- cken will – und dann wird auf Kunst und Kultur schlichtweg ginnt aber gerade erst, und auch nur bedingt, in der bildenden vergessen. Wo sind die Millionen für die Kunst? Kunst Fuß zu fassen. Ich habe also nie „nur“ Kunst gemacht.

16 gift 03/2015 Wie kann die Stadt einfach auf einen Großteil des Denk- und Handlungspotentials ihrer Künstler_innen als mögliche Partner_innen und Sensor_innen verzichten?

Abgesehen von einem tiefen Interesse an der Schnittstelle Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Mit einer guten Pension zwischen Kunst und dem Sozialen habe ich immer auch auf versehen, könnte ich darüber auch anders nachdenken. die strukturellen Fragestellungen in meinem Feld reagiert. Ich habe Ende der 80er Jahre das erste freie Tanzfestival, die Daniel Aschwanden, Künstler: Mir ist durchaus bewusst, Tanzsprache begründet, als die großen Stadtfestivals die lo- dass ich älter werde, allerdings ist es wohl keine gute Idee, kale Szene noch nicht in ihre Programmierung eingebunden eine Arbeit auf das biologische Alter des/der Künstler_in zu haben. Ich war bei der Entwicklung des Konzeptes für das reduzieren. Und auch da ist ein systematischer Umgang ge- Tanzquartier beteiligt, habe mit Hubsi Kramar und anderen fragt, nicht einfach Respektlosigkeit und Brutalität aus Man- das Kabelwerk gegründet, von 2011-2013 gemeinsam mit der gel an Bewusstheit und Vision. Architektin Ute Burkhardt-Bodenwinkler die Zwischennut- zung PUBLIK in der Seestadt Aspern als ein mögliches Zu- Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Demo- kunftsmodell für Kunstproduktion im urbanen Kontext ent- grafisch bewegen wir uns generell auf eine überalterte Gesell- wickelt, als dort noch die Rehe übers Gras spaziert sind und schaft zu, vielleicht sind da Expertisen zu nutzen. die Hunde mit ihren Besitzer_innen spazieren gingen. Die Parcours-Formate, welche sich auf hybride, transdisziplinäre Daniel Aschwanden, Künstler: Wie kann die Stadt einfach Weise mit demjenigen der Stadtspaziergänge auseinanderge- auf einen Großteil des Denk- und Handlungspotentials ihrer setzt und dieses medial weiterentwickelt haben ... Künstler_innen als mögliche Partner_innen und Sensor_innen verzichten? Wo sind die Labore, die dezentralen Experimen- Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Ich habe mir auch als tierräume? Künstler selten ein Blatt vor den Mund genommen, wenn ich Wo sind die Konzepte, welche für Kunst und Kultur mit den lokalen Veranstalter_innen nicht einverstanden war, politisch und administrativ Synergien der Mittel erzeugen und was meiner Karriere nicht unbedingt zugute gekommen ist. die veralteten und hemmenden Grenzen der administrativen und politischen Bereiche überschreiten? Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Bei soviel Verweigerung und Kontroverse brauchst du dich aber auch Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Immer- nicht wundern ... hin hat gerade eben erstmalig der Choreograf Chris Haring die gläserne Decke der freien Szene durchbrochen und drei Daniel Aschwanden, Künstler: Tatsächlich ist es doch so, Wochen im Kasino gespielt. dass die extreme Beschleunigung aller gesellschaftlichen Vor- gänge, die nicht zuletzt durch die technischen Entwicklungen Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Einsame Ausnahme. beeinflusst werden, reflektiert gehören. Wer, wenn nicht vor Und wird er vielleicht deswegen aus dem Bereich finan- allem die Kunst soll das machen? Das hat viel mit Prozess- ziert? haftigkeit zu tun. Und gerade hier ist ein völliges Versagen der Politik in den Bereichen Kunst und Kultur, aber auch Bildung, Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Na ja, da Stadtentwicklung, Wohnbau und Finanz festzustellen – die gibt es doch nun das SHIFT Programm. Immerhin ... sind alle verantwortlich, das ist eine komplexe Materie. Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: ... ein Tropfen auf den Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Weigerst heißen Stein? Die eierlegende Wollmilchsau als Fördermo- du dich nicht einfach, dir einzugestehen, dass es Zeit für ei- dell? Auf drei Jahre angelegt, Prost Nachhaltigkeit! War das nen Generationenwechsel ist? nicht einfach der politische Versuch, die Künstler_innen der

politik 17 Stadt mit Hausaufgaben für ein paar Wochen hin- und stillzu- lineare politische Vokabular funktioniert doch nicht mehr! halten? Und davon abzulenken, dass sie gemessen an großen Das zeigt sich auch an der mangelnden Verankerung und Institutionen schlichtweg keinen Stellenwert haben, obwohl Legitimation der IGs – die leider oft selbst noch einem Ge- mittlerweile längst klar ist, dass selbst, was die sogenannte werkschaftsmodell folgen, dass doch längst abgemeldet ist. „Umwegrentabilität“ angeht, die freie Szene ebenso zum Tou- Kein Wunder! Andererseits ist es tatsächlich so, dass auch der rismus beiträgt, wie die klassischen Kunstinstitutionen? Aber Versuch, sich als Produzent_innen in Anlehnung an die IG warum sage ich das, und nicht der Produzent? zu organisieren, gescheitert ist an mangelndem Engagement der Künstler_innen. Klar, die arbeiten doch momentan wie Daniel Aschwanden, Künstler: Ich frage mich wirklich, ‚working poor‘: Keine Zeit und dauernd unter Druck. Als was wir Künstler_innen für Role Models abgeben. Und klar, Draufgabe noch die zunehmenden administrativen Auflagen, gemessen an der fatalen Situation andernorts verhandeln die ständig erhöht werden. Aber warum sagt das nicht der wir doch Luxusprobleme. Andererseits, wo wenn nicht hier Arbeitnehmer? könnte man Standards für das Einbeziehen zeitgenössischer Kunst als Partner auf Augenhöhe setzen? Was übrigens Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Mehr Aktivismus in SHIFT angeht, ich gebe es zu, ich bin auch gesessen und die Kunst? habe geschrieben. Heute habe ich mich mit Klaus Spiess da- rüber unterhalten. Seine Bemerkung finde ich treffend und Daniel Aschwanden, Künstler: Ich bin überzeugt, dass sei- will dir das nicht vorenthalten. Nachdem ich ihm mitgeteilt tens der Künstler_innen nur ein Handeln erfolgreich ist, das hatte, dass offenbar 539 Anträge für das Programm gestellt Ästhetik und Politik ins Verhältnis setzt. Eine Formel dafür wurden ... gibt es natürlich nicht, und somit lässt sich nicht exakt be- schreiben, wie dies genau aussieht. Purem Aktivismus stehe Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: … Un- ich eher kritisch gegenüber, er reproduziert leider oftmals die glaublich! Ungenutztes kulturelles Kapital, massenweise! Linearität der politischen Verhältnisse, die er kritisiert. Ich Welche Verschwendung! überlege mir aber, unsere Partner in der Stadt, allen voran den Kulturstadtrat, mehr an meiner Arbeit teilhaben zu las- Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Wenn diese Menge sen. Nachdem er als Hauptverantwortlicher offensichtlich nicht zu denken gibt ... sind die denn alle blind, die Kultur- den Zugang zu den Realitäten der Schaffenden verloren hat, politiker? ... denke ich darüber nach, in nächster Zeit meine Arbeit tempo- rär auf die Straße vor sein Büro am Friedrich-Schmidt-Platz Klaus Spiess: 539? Nein, 538! Ich bin am Tag des Einsen- 5 zu verlegen. Da könnte er manchmal zusehen. Vielleicht deschlusses um 21.50 am Postamt in einer Schlange von 100 beteiligen sich einige der 517 Projekt Proponent_innen, die wartenden Antragsteller_innen gestanden, von denen offen- leer ausgehen werden, daran, gemeinsam und öffentlich zu sichtlich einige ihren Antrag erst während des Wartens fertig praktizieren? schrieben, in der linken Hand der Stift, in der rechten Hand die McDonalds Tüte. Eine Wartende hat versehentlich ihr Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Oder gar 539? McNugget in den Umschlag und den Antrag in den Mund gesteckt, dies ist ihr aber erst beim Schlucken aufgefallen. Di- Daniel Aschwanden, Künstler: 539? ese eine Antragstellerin fällt also aus der Zählung. Allerdings, vielleicht findet die Jury das McNugget besser als schriftliche Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: 539 ... Anträge? Entspannter? Berührender? Weniger Text zum Le- Euro oder was? || sen? Also lassen wir sie besser in der Zählung. 539 Anträge.

Daniel Aschwanden Daniel Aschwanden, Arbeitnehmer: Vielleicht sollten die 517, die SHIFT nicht bekommen werden, und die Schaffen- Performer, Choreograf und urban practitioner, „Bilderwerfer“ in den den, die hinter ihnen stehen, sich politisch organisieren. De- 90ern an der Nahtstelle von Kunst und Sozialem, seit 2009 Gastdo- zent an der Universität für angewandte Kunst, 2010 – 2012 Aufbau monstrieren? und Leitung des Zwischennutzungsprojekts aspern Seestadt PUBLIK, http://art-urban.org Daniel Aschwanden, Arbeitgeber und Produzent: Dieses

18 gift 03/2015 diskurs

Der Tod des lebenden Theaters

Man kann es kaum glauben: Auch ein Living Theatre kann einmal sterben. Nachdem Julian Beck schon 1985 verstorben war, ist nun auch Judith Malina, gemeinsam mit Beck Gründerin und Leiterin der Gruppe, ihrer langen Krankheit erlegen. Ein Nachruf und eine Spurensuche von Jürgen Bauer.

© The Living Theatre

Als Judith Malina am 10. April 2015 starb, war das den mei- schau ergänzte, Judith Malina gehe fehl in der Annahme, dass sten europäischen Zeitungen nur kurze Meldungen und die Mittel von einst auch die Mittel von heute sein könnten. Nachrufe wert. Viele der jüngeren Generation kannten sie 1964, beim ersten Gastspiel des Stücks in Berlin, waren die wohl vor allem als Schauspielerin in Serien wie den Sopranos Reaktionen noch völlig anders gewesen. Vielen in Europa oder Filmen wie der Addams Family. Und doch soll an dieser hatte die Aufführung damals als Paradebeispiel für neues, un- Stelle – mehrere Monate nach ihrem Tod – noch einmal an die gewohntes und politisch provokantes Theater gegolten. Einige große Theaterrevolutionärin Malina erinnert werden. Jahre nach diesem Gastspiel hatte dann die Aufführung von Warum dieser verspätete Nachruf, gerade in einer Paradise Now im Berliner Sportpalast, mit der das Living schnelllebigen Zeit wie der unseren? Weil die Bedeutung Theatre vor tausenden von Zuschauer_innen seine Aufl ösung des Living Theatre für die Theatergeschichte, vor allem für in der bestehenden Form bekanntgab, den Ruf und Ruhm der die Off-Bühnen in Amerika und die freie Szene in Europa, Gruppe gefestigt. Die Mittel, die damals erprobt und durch- nicht überschätzt werden kann. Dabei sind die Schockwellen, gesetzt wurden, zählen heute längst zum „guten Ton“ eines die die Gruppe einst mit ihren Produktionen auslöste, heute Avantgardetheaters: Das Durchbrechen der vierten Wand, das kaum mehr nachvollziehbar. Als der Klassiker The Brig im Mischen von Schauspieler_innen und Publikum, das Verlas- Jahr 2008 eine Wiederaufführung erlebte, schrieb der Blog sen der Theaterräume und das Spielen auf Straßen und in nachtkritik.de: „Viele junge Zuschauer gingen in der Pause, Gefängnissen. Vielleicht kann man mittlerweile wirklich nur die älteren, die diese Gastspielpremiere auch zu einem 68er- mehr mit Schulterzucken auf diese Mittel reagieren, für Judith Veteranentreffen machten, harrten für ihren solidarischen Ap- Malina waren sie noch notwendige und radikale Antworten plaus bis zum Ende tapfer aus.“ Und die Frankfurter Rund- auf die Geschehnisse ihrer Zeit gewesen.

diskurs 19 I demand everything – I demand it now! als Forum der Kommunikation und der Auseinandersetzung. 1968 fordert Judith Malina in einem Interview: „I demand Judith Malina wird 1926 in Kiel geboren. Schon ihre Mut- everything – total love, an end to all forms of violence and ter Rosel Zamojre hat Ambitionen als Schauspielerin, bevor cruelty such as money, hunger, prisons, people doing work sie Max Malina heiratet, der später zum Oberrabbiner der they hate. I demand it now!” deutsch-jüdischen Gemeinde in New York werden sollte. Dorthin emigriert die Familie bereits 1928, weil die Eltern Exil in Europa früh spüren, welches Unheil sich in Europa zusammenbraut. Vor allem durch ihren Vater wird Malina politisch geprägt, Schon von Beginn weg ist die Verbindung der Truppe zu Eu- bekommt früh kritisches Denken mit auf den Weg. 1943 lernt ropa eine besonders enge. Das Living Theatre bringt euro- sie Julian Beck kennen. Sie, die Erwin Piscators „Dramatic päische Autoren wie Brecht, Cocteau und T. S. Eliot auf die Workshop“ in New York besucht, findet in Beck einen See- Bühne, Theaterpraktiker wie Piscator oder Antonin Artaud lenverwandten, 1948 heiratet das Paar. Der auch Männern mit seinem Theater der Grausamkeit zählen zu den Ideenge- zugeneigte Beck hat jedoch diverse Liebhaber, genau wie Ma- bern. Vor allem jedoch ist es der polnische Theatermacher lina selbst. Das Zusammenleben gestaltet sich also genauso und -praktiker Jerzy Grotowski, der die Gruppe prägt: In den ungewohnt und radikal wie das Theater, das die beiden im Notizen zu Paradise Now beziehen sich Malina und Beck Jahr der Eheschließung begründen. In ihrem Wohnzimmer wiederholt auf dessen Schauspielübungen. Doch die Verbin- spielen sie ab 1951 vor jeweils 20 Gästen, es existiert kei- dung zu Europa ist nicht nur eine ideelle. 1963 kommt es in ne Trennung zwischen Privatleben, politischem Kampf und New York anlässlich der Aufführung von The Brig, die in Theater. Ab Ende der fünfziger Jahre werden sie endlich der Strafbaracke einer US-Marineeinheit spielt und Gewalt auch von der Kritik wahrgenommen. In Lagerhäusern und und Unterdrückung zeigt, zu Auseinandersetzungen mit der anderen Orten finden sie Räume für ihr Living Theatre und Polizei. Das Theater, das aus Protest gegen den Vietnam- entwickeln einen Theaterstil, der sich radikal von all dem Krieg keine Steuern mehr bezahlt, wird mit Steuerschulden unterscheidet, was an den Kommerzbühnen der Zeit zu sehen von 23.000 Dollar geschlossen. Die sich verbarrikadierenden ist. Den Broadwaybetrieb lehnen sie ohnehin als „dekadent, Theatermacher_innen werden aus den Räumen getragen und langweilig und überflüssig“ ab, sie wollen das Publikum durch vor Gericht gestellt. Dort formuliert Judith Malina ihr Credo: Brutalität und Schocks zu Teilnahme zwingen. Theater ist „You can cut out my tongue, but you cannot stop me from ihnen Mittel des kulturellen Kampfes, die Aufführungen wer- saying that I am innocent.” Nach einem Gefängnisaufenthalt den politische ebenso sehr wie künstlerische Statements. In geht das Living Theatre für mehrere Jahre ins Exil nach West- zahlreichen Krisenregionen nutzen sie das Theater außerdem Berlin und besucht von dort aus große Teile Europas. Helene

20 gift 03/2015 Mögen die Living Theatre-Mittel auch nicht mehr die Mittel der Zeit sein, die Radikalität in der Verfolgung ihrer künstlerischen Ziele sollte auch heute noch inspirieren.

Weigel lädt die Gruppe sogar nach Ost-Berlin, eine Auffüh- nicht mehr. Dennoch wäre es vermessen, die Wichtigkeit rung von The Brig ist dort allerdings unmöglich. Der Spiegel der Gruppe im Rückblick zu unterschätzen. Die von Malina beschreibt die ungewohnten Gäste damals so: „Judith Malina und Beck etablierten Mittel trugen dazu bei, die Grenzen des und Julian Beck sind Pazifisten und Vegetarier. Sie tragen die Theaters auszuweiten und zu sprengen. Die europaweiten Runenplakette der Atomgegner – sie als Amulett neben dem Gastspiele der „Kommune aus lauter Anarchisten“, wie der Davidstern, er als Abzeichen am Rockaufschlag.“ In den sech- Journalist Günther Rühle sie nannte, waren vielen Künst- ziger Jahren sind sie die perfekten Theatermacher_innen für ler_innen ein Vorbild an Freiheit und Unangepasstheit. Rühle eine Gesellschaft im Umbruch. In Rom, Avignon und anderen ergänzt in seiner Theatergeschichte Deutschlands: „Auf junge Städten werden Aufführungen von der Polizei zwangsweise Schauspieler wirkte sie weckend, förderte im Westen das Ent- beendet. Auch in Österreich sorgen Malina und Beck damals stehen freier Gruppen, die in den nächsten Jahren ein ‚freies für Aufruhr. 1965 muss eine Aufführung von Mysteries and Theater‘ neben dem Theater zu bilden begannen.“ Mögen die Smaller Pieces im von der Feuerpolizei Living Theatre-Mittel auch nicht mehr die Mittel der Zeit sein, beendet werden, als Zuseher_innen die Bühne stürmen und die Radikalität in der Verfolgung ihrer künstlerischen Ziele es zu Handgreiflichkeiten kommt. So hatte man sich die Pu- sollte auch heute noch inspirieren. Der Theaterwissenschafter blikumsbeteiligung wohl nicht vorgestellt. Richard Schechner schrieb einmal über Judith Malina: „She is indefatigable, unstoppable, erupting with ideas. She survives Der Beginn eines freien Theaters and bubbles, both.“ Nun ist die lebensstarke Frau im Alter von 88 Jahren verstorben. Das Motto des Living Theatre je- Der Rückkehr nach Amerika im Jahr 1968 folgen Aufent- doch bleibt am Leben: „If one can experiment in theater one halte in Brasilien, wo zahlreiche Mitglieder der Gruppe er- can experiment in life.” || neut inhaftiert werden, Zwangsschließungen aus finanziellen Gründen und sogar die Selbstauflösung nach Julian Becks Tod 1985. Nach der Neugründung durch Malina und Hanon Reznikov, zuvor Liebhaber beider Theatermacher_innen, zieht es die Gruppe Ende der Neunzigerjahre nach Italien. Außerdem tritt man im Jahr 2000 im Libanon nach dem Rück- Jürgen Bauer zug der israelischen Armee auf, eine gerade für Judith Malina ist Theaterwissenschafter und Autor aus Wien. unglaublich schockierende und berührende Erfahrung. Die www.juergenbauer.at große Bedeutung, die das Living Theatre in den sechziger und siebziger Jahren gehabt hat, erreicht man da jedoch längst

diskurs 21 22 gift 03/2015 © Rupert Larl: Almira Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, 2014

diskurs 23 workcenter encounters Past and Present of the Workcenter of Jerzy Grotowski and Thomas Richards Florian Zambrano

Fotos diese Doppelseite: Workshop mit Tara Ostiguy, Jessica Losilla Hébrai und Thomas Richards © Bahrudin Rekanovi´c

Thomas Richards und das Workcenter in Wien, 5.-13. Mai 2015

Am 5. Mai startete das Workcenter of Jerzy Grotowski & Thomas Richards auf Initiative des Vereins .ditiramb das Projekt workcenter encounters. Damit gestaltet eines der innovativsten Theaterlaboratorien der Welt in direkter Form die Thea- terlandschaft Österreichs mit. Geplant ist, durch die regelmäßige Präsenz des Workcenters in Wien einen Austausch zu generieren, der auf der einen Seite in Österreich aktive Theaterschaffende, Studierende, Künstler_innen und Wissenschaf- ter_innen stimulieren soll und auf der anderen Seite dem Workcenter die Möglichkeit bietet, neue Impulse zu erhalten und ihre Forschungsgebiete auszuweiten und zu vertiefen.

24 gift 03/2015 Das Workcenter wurde 1986 in Pontedera, Italien, gegründet und umfasst die letzte Schaffensperiode Jerzy Grotowskis, die als art as vehicle bezeichnet wird. Thomas Richards, auf den Grotowski die Weiterführung seiner Arbeit übertrug, leitet seit dem Tod Grotowskis das Workcenter gemeinsam mit Mario Biagini. In ihrem Anspruch auf höchst mögliche Organizität in der performativen Handlung hat sich seit dem Tod Gro- towskis nichts geändert, die Formen, in denen die Ergebnisse ihrer akribischen Forschung kommuniziert und mit anderen Theaterschaffenden ausgetauscht werden, haben logischer- weise gewisse Wandlungen erfahren. Die Präsentation von performativen Arbeitsdemonstrationen, sowie der Diskurs mit anderen Theaterschaffenden ist Richards zufolge ein wichtiger Grundpfeiler dafür, die Arbeit Grotowskis weiterzuführen. So gab das Workcenter in den neun Tagen des ersten Treffens dieses Projektes tiefe Einblicke in die Arbeitsweise im Fo- cused Research Team in art as vehicle, geleitet von Thomas © Bahrudin Rekanovi´c Richards. Auch Videoausschnitte und Fotos aus dem Open Programm wurden gezeigt, das Mario Biagini als zweite Säule Bereichen stammenden Mitwirkenden zu schöpfen und auf des Workcenters leitet. Am Beginn stand eine Fotoausstellung eventuell nicht bewusste Gewohnheiten oder die Reproduk- im AU in der Brunnengasse mit Fotos aus mehreren Pha- tion von gewissen Clicheés aufmerksam zu machen, die in sen der Arbeit im Workcenter. Darauf folgten ein fünftägiger der Theaterkreation gerne als erste Ressource herangezogen Schauspiel-Workshop im WUK und eine Filmvorführung im werden. Gleichzeitig mussten sich die Teilnehmer_innen in Tonkino Saalbau, in der eindrucksvolles, schwer zugängliches kürzester Zeit traditionelle Lieder aus verschiedenen Kulturen Material präsentiert und von Thomas Richards kommentiert aneignen – neben der Erhöhung der Aufnahmefähigkeit eine und mit den Anwesenden diskutiert wurde. Abgeschlossen Sensibilisierung der Wahrnehmung gegenüber den anderen wurde das Treffen mit einem transdisziplinären Symposium Agierenden. Damit wurden Folgen kleiner Handlungen im an der Universität Wien mit mehreren hochkarätigen Vor- fragilen Prozess der kollektiven Kreation sichtbar gemacht. tragenden aus der Theaterwissenschaft und der praktischen Jede_r Ausführende war mitverantwortlich für die Entstehung Theaterszene, die zu aufschlussreichen Gesprächen führten. und Amplifikation der kreativen Begegnungen. Das steigerte In ihnen wurde deutlich, wie stark die performative Kunst den Wert des Kurses für alle Beteiligten enorm, weil in die- mit anderen Feldern wie der Architektur, Urban Research, sem Fall keine Skills in vorgegebener Form verteilt wurden, Soziologie u. a. verwoben ist. sondern konkret an der Konzentration und Aufmerksamkeit Die Herangehensweise der drei Repräsentant_innen des gearbeitet wurde. Dabei unterstützen sich das individuelle Workcenters, Thomas Richards, Tara Ostiguy und Jessica Lo- Potenzial und nicht klar verortbare Impulse gegenseitig, um in silla Hébrail im Workshop zeigte: sie sind nicht daran inte- kreativer und menschlicher Hinsicht über sich hinauszuwach- ressiert, eine Technik oder Methode aufzudrängen, sondern sen. Erfrischend war es auch zu sehen, dass sich nicht nur arbeiteten intensiv mit jedem / jeder Einzelnen der Teilneh- Künstler_innen der freien Theater- und Performance-Szene mer_innen an deren persönlichen Ideen und Vorschlägen. für die Arbeit interessierten, sondern auch Schauspieler_in- Ziel war, aus dem Potenzial der aus den unterschiedlichsten nen und Regisseur_innen konventioneller Theaterschulen, wie

diskurs 25 zugänglich gemacht. Dass die Zeitabstände zwischen den Wienbesuchen des Workcenters immer geringer werden, ist eines der größten Anliegen der Organisatoren und auch Tho- mas Richards. Was es für Thomas Richards bedeutet, in Wien zu ar- beiten, welche Forschungsfelder sich für ihn in der öster- Fotoausstellung im AU, Brunnengasse 76 reichischen Hauptstadt auftun und warum es für ihn auch © Bahrudin Rekanovi´c wichtig war, die mehrjährige Kontaktunterbrechung mit Wien dem Max Reinhardt Seminar, aktiv den Austausch suchten wieder aufzugeben, schildert er in folgendem Abschnitt: und sich auf unbekanntes Terrain sehr offen einließen. „ is a rapidly changing city, growing each year by Jerzy Grotowski erkannte an einem gewissen Punkt sei- roughly 30,000 inhabitants. Currently 49 % of the population ner Arbeit, dass es für seine Entwicklung und die der mit ihm is made up of people who have immigrated to the city and it is arbeitenden Schauspieler_innen notwendig ist, sich von dem projected that this percentage will continue to increase in the Zwang zu entfernen, etwas zu präsentieren, um konkrete und coming years. We witness the need to represent and identify organische Handlungen in performativen Konstellationen zu with new notions of what it is to be 'Viennese' as the chan- setzen. Die damit einhergehende Freiheit, die nur in der Ver- ging population of the city provokes new hybrid languages bindung mit Präzision und unter Berücksichtigung gewisser and cultural forms at the edges of dominant and traditional performativer Gesetzmäßigkeiten erhalten wird, versuchen Viennese culture to evolve. […]“ 1 die Mitarbeiter_innen des Workcenters in den Encounters zu Das Workcenter ist überzeugt, dass es gewisse Werk- vermitteln. Antrainierte Techniken oder verbreitete szenische zeuge liefern kann, die in der performativen Argumentation Lösungen müssen beiseite gelegt werden, um das kreative komplexer transkultureller Vorgänge von Nutzen sein kön- Potenzial voll auszuschöpfen. nen. So behauptet Thomas Richards nicht, dass ihre Arbeit der Schlüssel zur respektvollen Verarbeitungen dieser kom- plexen Entwicklung sei, oder dass Wien sich nicht selbständig Das Workcenter und Wien dieser Phänomene stellen kann, ist aber überzeugt, dass dieses Vorhaben eine mutuale Bereicherung bedeutet, bei dem beide Während des Projektes The Bridge von 2003 bis 2006 erwies Seiten sich dem Risiko ausliefern müssen, ungeahnte Teile sich Wien bereits als wichtiger Kooperationspartner für das eines selbst zu erkennen. Workcenter, vor allem das Theaters des Augenblicks. Hier „This project with the Workcenter of Jerzy Grotowski fand eine der Vorpremieren des aus dem Projekt in Zusam- and Thomas Richards seeks to create a vehicle wherein peo- menarbeit mit Ang Gey Pin entstandenen Stückes Dies Iræ: ple of Vienna, regardless of cultural background or place of The Preposterous Theatrum Interioris Show statt. Damit origin, can have a genuine meeting between themselves and wurden Teile der Arbeit des Workcenters, die über viele Jah- an other, where individuals can encounter each other in a re nur schwer einsehbar war, auch dem Wiener Publikum more human and direct way, and where people can interact

26 gift 03/2015 We witness the need to represent and identify with new notions of what it is to be 'Viennese' as the changing population of the city provokes new hybrid languages and cultural forms. Thomas Richards

with each other through a modality of performance that tran- Die nächsten Veranstaltungen in Wien mit dem Workcenter scends cultural, linguistic, and artistic barriers. This project of Jerzy Grotowski and Thomas Richards sind im September seeks to use performance and artistic practice as a vehicle geplant. Informationen dazu folgen auf: http://encounters. through which individuals can come to experience and re- ditiramb.org || present that which unities us as human beings existing in and experiencing the world today, rather than that which divides http://theworkcenter.org us. Much of the work of the Workcenter of Jerzy Grotowski 1 and Thomas Richards is based on a work with what can be Richards, Thomas: The Worcenter on Vienna. http://encounters.diti- ramb.org/onvienna called songs of tradition and with texts exploring what it takes to awaken ourselves faced to ourselves, the other, and the world around us.“1 Trotz des geringen Budgets, das .ditiramb zur Verfü- gung hatte, gelang es, das Workcenter of Jerzy Grotowski and Thomas Richards in würdiger Weise in Wien zu präsen- tieren, nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz der Organisatoren Thomas Gasser, Bahrudin Rekanovic´ und Literaturauswahl Goran Bec´ircˇic´. Die aktive Präsenz in Wien und die sehr Biagini, Mario: Doorways: Performing as a Vehicle at the offene Vorgehensweise des Workcenters boten einerseits tie- Workcenter of Jerzy Grotowski and Thomas Richards. fe Einblicke in die Entwicklung ihrer Arbeit und die neuen London: Seagull Books 2008. Formen, und andererseits gelang es ihnen auch, gewisse Vor- urteile oder Mythen abzubauen, die rund um die Arbeit des Richards, Thomas: Theaterarbeit mit Grotowski an phy- Workcenters entstanden sind. Wie etwa, das Workcenter exi- sischen Handlungen. Alexander Verl. Berlin 1996. stiere in voller Abgeschlossenheit und lasse keine Einblicke in seine Ergebnisse zu oder dass ihre Arbeit nicht mehr mit Richards, Thomas: Heart of practice: within the Work- Theater in Verbindung gebracht werden kann. Das Gegenteil center of Jerzy Grotowski and Thomas Richards. London beweisen sie vor allem durch die hochprofessionelle Herange- [u.a.]: Routledge 2008. hensweise, die veranschaulicht: bei ihrer Forschung handelt es sich nicht um ungreifbare Konstrukte, sondern um prak- tische Phänomene und sichtbare Vorgänge in performativen Handlungen. Diese haben anhand des Einsatzes des Körpers Florian Zambrano und der Stimme, sowie der Positionierung der Akteur_innen geboren 1985 in St.Veit/Glan. Dramatiker, Schauspieler, Theaterwis- im Raum und der Verwendung von Gegenständen in fast allen senschafter. Mitbegründer der freien Theatergruppe teatro zumbayl- Theaterformen Gültigkeit. lu. http://teatrozumbayllu.net

diskurs 27 Ich diene, also bin ich da

Das ‚Kapital Körper’ in Elfriede Jelineks Theatertexten Marion Ramell

Alle Fotos: © Forschungsplattform Elfriede Jelinek, Universität Wien

Vom 23. bis zum 26. April 2015 fand das interdisziplinäre Symposium KAPITAL MACHT GESCHLECHT – Künstlerische Auseinandersetzung mit Ökonomie & Gender in Wien statt. Ausgehend von Elfriede Jelineks Texten widmete sich die Zusammenkunft internationaler Expert_innen dem Spannungsfeld von Ökonomie, Sprache, Macht und Geschlechterbil- dern. Im Folgenden präsentiert Marion Ramell einige Ausschnitte aus ‚Tag 2’, an dem der Körper als Ware verhandelt wurde: Gespräche mit der deutschen Bühnenbildnerin Anna Viebrock, Universitätsprofessor Artur Pelka und dem öster- reichischen Filmemacher Ulrich Seidl.

Als die Teilnehmer_innen das Atelier der Student_innen der sogar Oppositionellen werden. Der große, von Glasfronten Akademie der bildenden Künste im ehemaligen Semperde- und Holzbalken eingenommene Raum im Dachgeschoss des pot, den ‚Schau- und Spielplatz’ des interdisziplinären Sym- ehemaligen Semperdepots wird bestückt durch Körperskulp- posiums, betreten, wissen sie noch nicht, dass sie im Laufe turen: sich während des ersten Vortrags superzeitlupenartig des Nachmittags zu kritischen Beobachtern und Beobachte- entblößende junge Menschen, die die Ausführungen der rinnen, Voyeuren und Voyeurinnen, Befürworter_innen oder deutschen Bühnenbildnerin Anna Viebrock begleiten und

28 gift 03/2015 dadurch ihre Suche nach den Ambiguitäten im gestalterischen von männlichem Agierungsraum als materiellen Gewinn und Umgang mit den Jelinek-Texten auf dem Theater, selbst zur der Konzeptualisierung von Unterwürfigkeit der weiblichen ‚Performance’ umfunktionieren. Existenz.

„Die Vergangenheit ist nicht tot, „Ich diene, also bin ich da.“ sie ist nicht einmal vergangen“ Artur Pelka Anna Viebrock Anhand der Fabel von ‚Hase und Igel’ schlägt Pelka, der ei- nen großen schwarzen Hasen auf seinem T-Shirt trägt, einen Viebrock, deren Bühnenkonzeptualisierungen immer auf Bogen zu Elfriede Jelineks Über Tiere. Die weibliche Figur der Verwendung von historischen und emotional profanen muss für sich selbst als Pfand einstehen, ihr Eigenwert muss Raum-/Zeit-Gegenständen sowie hoch funktionalen Gedächt- ‚abgeleistet’ werden. nis- und Erinnerungsräumen basieren, thematisiert unter an- Jelineks ‚Tiermärchenmoral’ sieht ein ‚Happy End’ in derem die Inszenierung von Elfriede Jelineks Wolken.Heim der männlichen Omnipotenz und Autorität abgemindert unter der Regie von Jossi Wieler: Aufgrund der Tatsache, dass oder untergehen. Die sich verkaufende Frau, das gesichts- die Schauspieler_innen darin als vitalitätslose, verbrauchte lose Wesen, wird einer Art ‚Ranking’ und Warenkonnotation Figuren einer exzessiven, manisch nationalistischen Totenwa- unterstellt. Die Körperschaft der Prostitution wird zum rei- che erscheinen, bot sich der Bühnenbildnerin im Jahr 1993 nen Finanzkonzept. Die Be- und Verurteilung der käuflichen die Möglichkeit der irrealen Dekonstruktion der vorhandenen Frau bettet sich in das Konzept der ‚Ökonomisierung von Textfläche Jelineks. Der Körper wird im Stück zum Klang- Liebe’ als Monetarisierung der Natur oder der Natürlichkeit körper, der Monolog zum Textkörper, die Schauspielerin zur des Körpers ein. („Naturfranzösisch mit Vollendung in den Täterin einer chorischen Nationalkörperschaft. Text, Raum Mund“, Über Tiere 2005) und Körper bilden ein deformiertes Spannungsfeld, in dem Die Prostituierte als Arbeiterin und Verkäuferin begeht sich die Bezeugung des Weiblichen und die Bezeugung der den Produktionsprozess, durch welchen also jedem sexuel- deutschen Nation im kollektiven, quälenden ‚Wir’ vereinen. len Akt, beziehungsweise jeder gleichförmigen körperlichen („Wir sind in uns!“, Wolken.Heim 1988) Viebrocks primäres Handlung ein bestimmter Wert zugeordnet wird. Jeder ‚Hand- konzeptionelles Interesse galt und gilt dem Theater als ‚ge- griff’ (im wahrsten Sinne des Wortes) hat einen Preis. Die rahmter’ Ort, der das Theater selbst ist, nicht als der Ort, wo ‚Freier‘ repräsentieren in der geschilderten Konstellation die man andere Orte ‚nachbaut’. Die sich für das Publikum des aktiven Parts, welche sich auf den Markt begeben, um zu Symposiums vollends darbietende Vortrags-/Performanzsi- Käufern und Konsumenten zu werden. tuation besticht durch den programmatischen Einsatz der Die ‚Ware Körper’ spielt in fast allen Filmen des österrei- Verschmelzung von kaltem, unangenehmem Kunstlicht, chischen Regisseurs Ulrich Seidl eine signifikante Rolle. Mit metallisch verschlossener Glasfronten und dem Geruch von überschäumender Gelassenheit präsentiert er den nun zahl- Holz und Leim – das ‚Jetzt’ des realen Symposiums, in dem reicher als zuvor anwesenden Teilnehmer_innen des Jelinek- sich die Teilnehmenden befinden, repräsentiert Viebrocks Symposiums Videoausschnitte, ein ‚Seidl Best Of’, wenn man Idee der Gestaltung des Bühnenbildes von Jelineks Wolken. so will, (Import/Export, Models, Paradies: Liebe, Paradies: Heim als Bunker, als durchleuchteten ‚Gedanken- und Er- Hoffnung, Im Keller). Während dessen erhebt er sich ständig weiterungsraum’, als einen Raum der ‚Dramaturgie der Krise’. und beobachtet die Reaktionen des Publikums. Er scheint fast Jelineks Texte und Viebrocks Bühnenkonzeptionen werden angetan von der, wie er es nennt, ‚Scham’ einiger Zuschauer_ zum Konglomerat aus ‚Zumutungs-, Katastrophen-, Abgrund- innen, und tatsächlich: Eine Frau verlässt den Raum während und Machträumen’. einer Sexszene aus Import/Export. Seidl zeigt zum einen die Die Ökonomisierung des Körpers an der Schnittstelle stetige Routine und ‚Entzauberung’ des Geschlechtsaktes, die von Fakt und Fiktion, wie sie anschließend von Artur Pelka Professionalität, mit welcher die sich verkaufenden Frauen (Uni Lodz) im Rahmen des Jelinek-Symposiums verhandelt und Männer ihre Arbeit erledigen – eine Professionalität, die wird, zeigt die Verschränkung von Mensch und Kapital auf. einen Zyklus des aktiven und passiven Seinszustandes über Es geht ein Stück weit immer um die Be- und Entwertung das ‚Ich habe‘ bis zum ‚Ich gebe‘ darstellt. Das wenige ‚Haben’

diskurs 29 der/des sich Prostituierenden wird oftmals gleichgesetzt mit weder ein zerebrales ‚Einnisten’ in eine bedeutungsschwan- dem Wenigen an Tugend, welche die sich verkaufende Person gere Hyper-Symbolik, noch ein ‚Sich-Verstecken’ der Darstel- zu besitzen scheint. ler_innen und Zuschauer_innen hinter künstlich erschaffenen Die Macht des Geldes und der Sprache, das Spiel mit Drehbuch-Fassaden ermöglichen. Gesellschaftlichem Subver- der weiblichen und männlichen Scham, die Provokation aber sivitätspotenzial und der Lust am Bilder-Spiel wurde hier ein nicht um der Provokation Willen, ökonomische Systeme wissenschaftliches Denkmal gesetzt. || und Schemata von Ware und Körper, Schönheitsideale von Weiblichkeit, die Inszenierung der männlichen Lust an der https://fpjelinek.univie.ac.at/ Grenze zwischen Spiel- und Dokumentarfi lm – zu Unrecht, wie er meint, hat sich Seidl, zumindest früher, den Vorwurf der ‚Sozialpornographie’ eingehandelt. Seine Filme portrai- tieren Figuren, welche nicht für ausgestellte Einzelmenschen, sondern für ein geschlossenes Ganzes stehen – repräsentiert im Extremen. Die Verstörung, das Lachen, die Scham sind Teil eines Erkenntnisprozesses, welcher die Zuschauer_innen Dinge bei sich selbst entdecken lässt.

„Jeder Zuschauer sieht einen anderen Film, obwohl er den selben Film sieht“ Ulrich Seidl

Es geht nicht um die Psychologie in Seidls Filmen, sondern, wie für Elfriede Jelineks Figuren, um die Erfüllung von (pri- vaten) Sehnsüchten. Der taktische Gestus des (Her-)Zeigens zugunsten einer in sich geschlossenen Dramaturgie der Re- präsentation von ,Echtheit’ und ‚Wirklichkeitsnähe’ weicht dem Gestus zugunsten der Entdeckung und Verwertung von Tabus, der Aktivierung der Zuschauer_innen über gegebene Widerstände. Seidls Filme, wie Jelineks Texte, sind Produkte des körperlichen, auslaugenden, fast unerträglichen Sehens und Lesens – sie gehen einem körperlich nahe. Die Lust liegt wohl genau dort, in der Verstörung? Das Publikum des Symposiums wirkt gegen Ende des zweiten Tages erledigt und erregt, im Positiven und im Ne- gativen. Einige sind nur wegen ihm, dem Regisseur Seidl gekommen, andere bereits seinetwegen vorzeitig gegangen. Die Virulenz der Brisanz der Thematik ist spürbar, Wortmel- dungen werden zu Wortgefechten. Es wird nachgehakt, wie © Forschungsplattform Elfriede Jelinek, Universität Wien er mit seiner Machtposition als Regisseur und noch mehr als Mann umgehe, und ausgewichen und sich verteidigt – „Ja, was Marion Ramell wollen Sie eigentlich von mir hören … Ich verstehe Ihre Frage 2007–2010 bilinguales Studium an der 1st Filmacademy in Wien, nicht.“ Am Schluss scheitert es an der fehlenden Zeit. paritätisches Diplom, 2010-2014 Studium der Theater- Film- und Me- Kapital Körper: Es wurden Werke behandelt, deren sim- dienwissenschaft an der Uni Wien plifi zierte und dennoch hochkomplexe Inszenierungsweisen

30 gift 03/2015 Von Körpern und anderen Ereignissen

Elina Pirinen: Personal Symphonic Moment Christa Spatt und Chris Standfest, Kuratorinnen der ImPulsTanz-Nachwuchsreihe [8:tension], im © Timo Wright Interview mit Stephan Lack über das kommende Festival, veränderte Arbeitsprozesse, und die Ko- operation zwischen zeitgenössischem Tanz und Wiener Museen.

gift: Im diesjährigen ImPulsTanz-Programm lassen sich ver- lerische Arbeit zu integrieren. mehrt Elemente aus Theater, Musik, Literatur, Video, Film, Standfest: Das hat auch stark mit einer gewissen Aufl ösung Architektur usw. entdecken. Nun ist Tanz und Performance von Hierachien zu tun, obwohl das jetzt sehr vorsichtig gesagt immer schon eine Kunstform, die Genregrenzen überschreitet. ist. Das Modell 'Choreograf und Ensemble' ist für die jün- Ist das für eine junge Generation an Künstler_innen schon geren Choreograf_innen überhaupt nicht mehr prägend. Es selbstverständlich? Hat diese Tendenz in den letzten Jahren existieren keine Ensembles in der Szene, wie etwa Rosas und noch zugenommen und gibt es auch das Gegenmodell, quasi Ultima Vez. Daher sind auch die Produktionsbedingungen eine Art Rückbesinnung auf „reinen“ Tanz? andere geworden – Stichwort: Studios und Residencies oder Chris Standfest: Ich würde spontan zu allen drei Punkten eben die Arbeit mit Kamera. ja sagen. Spatt: Es gibt viel mehr projektbezogene Arbeiten in unter- Christa Spatt: Gerade bei den Jungen gibt es prinzipiell keine schiedlichen Konstellationen. Einmal bin ich Choreografi e- Berührungsängste mit anderen Genres. Es existieren zahl- rende, einmal Tanzende, dann wiederum Outside Eye oder reiche Kollaborationen und es gibt auch keine Scheu, selber eben jemand, der die Kamera hält. In dem Zusammenhang die Kamera in die Hand zu nehmen und in die eigene künst- fällt mir unser Projekt TURBO Residency ein, mit dem wir

diskurs 31 Ligia Lewis: Sorrow Swag © Dieter Hartwig

junge österreichische Künstler_innen fördern, an die wir eine wie sie es 20 Jahre lang getan haben. Research Residency vergeben. Sehr viele Leute, die sich hier Standfest: Das ist insofern relativ exemplarisch für die ge- bewerben, haben eine Ausbildung oder einen Background samtgesellschaftliche Entwicklung: das Attackieren autori- in bildender Kunst. Das ist jetzt auch in Wien angekommen: tärer Hierarchien und Autor_innenschaften im Sinne einer einerseits enorm viele Kollaborationen, andererseits gibt es Post-68er-Ära führt zumindest im Moment zu einem wirklich eben auch mehr Leute, die sich sowohl im Tanzbereich als bedrohlichen Ausverkauf oder gar zur Abschaffung struktu- auch in der bildenden Kunst aus- und weiterbilden. reller Förderung und zu einer völligen Deregulierung. Standfest: Die Offenheit im zeitgenössischen Tanz hat ih- ren Ausgangspunkt ja schon in der Avantgarde. Die ersten Reibungsort Museum Tanzstücke waren Ergebnisse der großen Kollaborationen in den 1910er und 1920er Jahren, beispielsweise mit den Sur- gift: In dem Zusammenhang fällt mir die Veranstaltungsreihe realist_innen. Das ist ein Stück weit in Vergessenheit gera- Redefining Actio(ism) im mumok ein, in der sich Tanz- und ten, da diese Arbeiten zum Teil nicht dokumentiert sind und Performancekünstler_innen mit Wiener Aktionismus und an- diese Entwicklungsschritte in Österreich und Deutschland deren Strömungen der 1960er und 1970er Jahre beschäftigen. bekanntlich in der NS-Zeit abgeschnitten wurden. Deshalb Was kann die aktuelle Kunst von dieser Zeitepoche lernen? haben diese Formen länger gebraucht, um wieder Eingang in Oder bräuchte es – ganz platt ausgedrückt – wieder einen den Tanz zu finden. radikaleren Ansatz der Kunst, nicht nur in Hinblick auf die derzeitigen Kulturpolitik? gift: Das Wegfallen von Ensembles und die veränderten Pro- Standfest: Das ist eine komplexe Frage. Wie es letztlich sein duktionsbedingungen sind wahrscheinlich auch verstärkt wird, dazu gibt es im Moment tatsächlich noch relativ wenig durch die Art der jetzigen Förderkultur entstanden. zu sagen. Wir haben natürlich Künstler_innen adressiert, bei Spatt: Absolut. Das betrifft aber nicht nur die Jungen, son- denen wir annehmen, dass da eine bestimmte Nähe und wo- dern auch viele etablierte Künstler_innen, die sich die Frage möglich auch Radikalität existiert. Interessanterweise glaube stellen: sind sie noch in der finanziellen Lage, ein fixes En- ich, dass diese Radikalität der künstlerischen Einsätze dieser semble bzw. eine Gruppe zu halten und so weiterzuarbeiten, Zeit teilweise auch eine Rückprojektion ist, dass man Teilen

32 gift 03/2015 davon jetzt sicherlich politische Intentionen unterschiebt, die Vielleicht auch noch einmal zu dem Begriff der Flüchtigkeit: zeitgenössisch gar nicht da waren. Der Ausstellungstitel im ich würde es nicht unbedingt auf die Opposition Flüchtigkeit mumok lautet ja: Mein Körper ist das Ereignis. Sich an einem des Tanzes versus Fixheit der Museen zuspitzen. Ich habe Körperbegriff und dem, wie er sich verändert hat, abzuarbei- den Eindruck, dass Choreografie selber gerade im Moment ten, ist für das künstlerische Feld mindestens ebenso wichtig, damit beschäftigt ist, mit dieser modernistischen und histo- wie sich an dem Begriff von politischer Kunst zu reiben. risch begrenzten Zuschreibung des Flüchtigen aufzuräumen Spatt: Letztendlich wird es genau so unterschiedlich, wie die oder klarzukommen. Die nächsten großen Tanzkongresse in eingeladenen Künstler_innen und deren diverse Zugangswei- Düsseldorf und Stockholm setzen sich genau mit dieser Frage sen und Arbeitsmethoden. Eine Arbeit von Keith Henessy von contemporaneity auseinander. wird darauf beispielsweise völlig anders Bezug nehmen als Zum anderen werden im Weltmuseum mit Claudia Bos- etwa Ana Rita Teodoros. se und Superamas Arbeiten gezeigt, die beide sowohl instal- Standfest: Oder aber Elisabeth B. Tambwe, die wahrschein- lativ als auch performativ-darstellerisch sind. Das heißt, die lich eine postkoloniale Fragestellung einbringt, die in der Choreograf_innen selbst sind eigentlich am ständigen Auslo- Ausstellung selber vielleicht überhaupt nicht vorhanden ist ten dieses Verhältnisses zwischen Objekt und Performance oder ausgesperrt wird. Diese Richtungen haben für mich der- an der Grenze zur Darstellung und Bewegung. Das vielleicht zeit die größte Brisanz. Persönlich zerreißt mich das auch: Spezifische an dieser Kooperation ist die Beschäftigung mit einerseits zu verfolgen, wie sich Europa gerade aufstellt, dass der großen ostasiatischen Sammlung, die ja zeitgenössisch etwa Kriegsschiffe gegen Flüchtlingsboote eingesetzt werden kaum aufgearbeitet ist. – und andererseits ein Tanzprogramm zu kuratieren. Man hat Spatt: Und in weiterer Folge auch die Gegenüberstellung mit ständig das Gefühl: da klafft eine riesige Lücke. Ich sage jetzt der Sammlung von Choy Ka Fai, der mit performativen For- nicht, die Künstler_innen müssen darauf politisch reagieren. maten und Videos selbst eine Sammlung begonnen hat, in der Es geht mehr darum, bestimmte Auseinandersetzungsformen er Tanzschaffende aus seiner Region portraitiert. Das heißt, zu entwickeln, die mit dieser Lücke umgehen. Nicht Lösungen hier existiert noch ein anderes Moment von Archivieren und anbieten, aber ein sich Herantasten und Wahrnehmen, dass Sammeln, das der Museumspraxis gegenüber steht. man die eigenen Verdrängungen als Wunden erfährt. Regionale Diskurse Tanzarchivierung gift: Stichwort: post-koloniale Diskurse. Das ist ja zumindest gift: Neben dem mumok finden heuer ImPulsTanz-Vorstel- bei uns ein jüngeres Phänomen im Performancebereich. Wo- lungen im 21er Haus und im Weltmuseum Wien statt. Letz- hin geht da die Richtung der Auseinandersetzung? teres befindet sich gerade im Umbau und öffnet eigens für Spatt: Neben Elisabeth B. Tambwe, bearbeiten heuer auch ImPulsTanz seine Türen. Worin liegt für Sie der Reiz von Amanda Piña und Daniel Zimmermann das Thema auf ihre Museum als Aufführungsort? Geht es dabei auch um das ganz eigene Weise. Im Generellen habe ich aber auch das Spannungsverhältnis zwischen performativer Flüchtigkeit Gefühl, dass diese Fragestellung im Tanz noch sehr undiffe- und der Beständigkeit von musealem Erleben? renziert ist. Spatt: Die Frage nach den Medien an sich – das Livemoment Standfest: Im Theaterfeld passiert das ja schon etwa län- in der Performance versus dem Ausstellungsmoment im Mu- ger und im theoretischen Diskurs hat die Frage des Post- seum – schwingt natürlich bei all diesen Kooperationen mit. Kolonialen immer mehr an Bedeutung gewonnen. Gesell- Im Bezug auf das Weltmuseum stellt sich aber die Frage, was schaftliche Effekte werden natürlich auch im Tanz und in das für eine Art von Museum ist. Was bedeutet die ethnolo- der Performance aufgegriffen, auch spezifisch, indem nach gische Sammlung, was erzählen die Objekte für Geschichten? Körperlichkeiten gefragt wird und Projektionen zu Körpern Und wie lassen sie sich in einem postkolonialen Kontext mit befragt werden. Der Tanz ist hierin ziemlich prädestiniert, als dem Zugang von Tanz- und Performancekünstler_innen aktu- dass bestimmte Zuschreibungen – beispielsweise Blackness alisieren? Vor allem Kurator Michael Stolhofer hat sich stark – eigentlich ganz gerne einmal auf den Tanz angewendet wer- in dieses Thema eingearbeitet. den, der im allgemeinen Bewusstsein immer noch entweder Standfest: Am meisten bin ich gespannt, was zwischen den zwischen der superdisziplinierten Ballettmaschine und den eingeladenen Artists aus Japan, Indien, Indonesien und Singa- Fiktionen von Leichtigkeit oder eben dem Wilden, dem Pri- pur und den in Österreich lebenden Künstler_innen passiert. mitiven hin- und herschlittert. Das aufzubrechen bemühen

diskurs 33 sich viele Künstler_innen, sei es ironisch, sei es intellektuell siert das sehr direkt. Volmir Codeiro stellt sich ganz vorne an wie bei Tambwe, sei es trickreich wie bei Amanda Piña mit die Bühne und hält zuerst einmal einen Monolog. Das birgt den Endangered Movements, sei es vielleicht auch mit der natürlich eine Gefahr, aber wie Codeiro den Text performt, ist Hinwendung zu den eigenen folkloristischen Traditionen wie einfach zu raffiniert. Schlussendlich wirst du als Zuschauerin bei Simon Mayer oder Ana Rita Teodoro. nicht einfach nur klassisch adressiert, sondern über den Tanz Spatt: Oder eben bei Ligia Manuela Lewis, die einen weißen und die Bewegungsgeschichten wird etwas in dir angestoßen Performer inszeniert, seine Whiteness ausgestellt als wäre es und getriggert. Blackness. Und so über die Hinterbühne aufs Tapet bringt, Standfest: Das ist jetzt sehr rigide formuliert, aber wenn ein wie in Bezug auf Hautfarbe leider immer noch sofort gewisse Stück mit einer Frontalsituation operiert und ich nicht mitbe- Stereotype im Raum stehen. Es gibt da unterschiedlichste komme, dass die Künstler_innen sich genau zu der entschie- Strategien und Blickwinkel, ohne dass gleich der Begriff des den haben, ist die Sache für mich eigentlich erledigt. Das wäre Post-Kolonialismus bemüht wird. für mich eine wesentliche Forderung an junge Choreograf_in- Standfest: Ich denke, es überlagert sich auf eine merkwür- nen, dass ich zumindest nachvollziehen kann, warum sie zu dige Weise wieder mit anderen Trends, Themen wie zeitge- welchen Mitteln greifen. Es geht nicht darum, die Frontale nössische Rituale und Neoschamanismus, Fragen nach Ge- ganz zu vermeiden, aber wie bei Codeiro und Lewis muss klar meinschaftsbildung und Zusammenleben. Dabei geht es nicht werden, dass das sehr bewusst für den Raum gebaut ist. Oder um esoterisch-spirituelle Fragen, sondern – etwa bei Henessy eben Rita Vilhena, die die Räume eher durchmischt und sie oder Rita Vilhena – wie man möglicherweise Körper-Geist- ineinander legt. Verhältnisse erzeugt, die sich nicht so regieren lassen, um Spatt: Also ein Raum, der sich ständig transformiert. Foucault zu zitieren. Es geht mehr darum, sich selbst tatsäch- Standfest: Und in dem diese Adressierungsverhältnisse auch lich als antikapitalistisch zu begreifen und als Gegenmodell schnell wechseln können, von direkten Anreden bis zu sehr zur Gesellschaft. klar abgegrenzten performativen Einsätzen. Spatt: Dieses Bedürfnis, das fast zaghafte Formulieren der Frage: können wir gemeinschaftlich etwas erleben, ohne dass Ein Schritt zu mehr Sichtbarkeit es von irgendeiner Seite sofort wieder vereinnahmt wird? Deswegen auch die Frage: kann eine zeitgenössische Perfor- gift: Damit haben Sie schon ein mögliches Kriterium für die mance ein Ritual sein? Dahingegen scheint es eine Sehnsucht Nachwuchsreihe [8:tension] formuliert. Worauf achten Sie zu geben, aber auch eine große Vorsicht. Trotzdem lässt sich bei der Auswahl der Arbeiten noch? dieses Bedürfnis nicht totkriegen. Es ist auch spannend zu Spatt: Es sollte bei den Artists schon eine Reflexion darüber sehen, wie die Künstler_innen damit arbeiten. geben, was sie wollen und mit welchen Strategien sie arbeiten. Wichtig ist, dass sie auch dabei sind, eine originäre Formen- Annäherung ans Publikum sprache für sich zu entwickeln. Standfest: Das klingt etwas banal, aber tatsächlich muss die gift: Die französisch-kongolesisch-stämmige Elisabeth T. Bereitschaft da sein, sich einem breiteren Publikum zuzuwen- Tambwe beispielsweise spielt mit den Erwartungshaltungen den. Das ist gar nicht so selbstverständlich, dass die Künst- der Zuschauer_innen, zwingt sie, die Performance zu hin- ler_innen das auch selber wollen. terfragen. Und für Rita Vilhena geht es darum, das Theater Spatt: Der Schritt von der kleinen Studiobühne auf die neu zu denken, als einen Ort der Zusammenkunft als Ge- Schauspielhausbühne oder ins Odeon ist für viele oft eine meinschaft, wie sie sagt. In Emergency Plan, in dem es um Herausforderung. Auch für erfahrene Performer_innen, wenn die Suche nach zeitgenössischen Ritualen geht, nehmen die sie ihr erstes eigenes Solo präsentieren. Wenn man das er- Zuschauer_innen teilweise auf Gymnastikbällen Platz. Wie ste Mal nicht nur vor Expert_innen, Tanzjournalist_innen, weit funktioniert dieses Mitdenken eines Publikums in die- Kolleg_innen oder Freund_innen spielt, sondern vor einem sem Prozess für junge Choregraf_innen, die relativ am Anfang „normalen“ Publikum. stehen und weniger Erfahrungswerte mitbringen? Spatt: Ich glaube, diese Frage stellen sich viele im Laufe ei- gift: Können Sie vielleicht noch etwas über die Produktions- ner Recherchearbeit für eine Performance. Wofür möchte ich bedingung bei [8:tension] erzählen? Zuschauer_innen als Kompliz_innen gewinnen? Mit welchen Spatt: [8:tension] unterscheidet sich im Format sehr klar vom Mitten der Adressierung spiele ich? In einigen Arbeiten pas- Ablauf eines Gastspiels. Wir laden alle Gruppen für eine Re-

34 gift 03/2015 Máté Mészáros: Hinoki © Dániel Dömölky

sidency von zwei Wochen ein. Wir bieten ihnen Unterkunft, Studios zum Arbeiten, sie können an den Workshops teilneh- men, die Stücke anschauen. Natürlich versuchen wir auch Das Interview entstand unter der redaktionellen Mitarbeit von Jürgen Kontakt zu anderen Künstler_innen herzustellen. Bauer. [8:tension] wird teilfinanziert durch Life Long Burning, einem 5-Jahres EU-Projekt. Da gibt es eine Reihe von Koo- Chris Standfest perationen und Aktivitäten, etwa unser Stipendiumprogramm Studium der Literatur, Gender Studies, Kulturwissenschaften und danceWEB, den Prix Jardin d’Europe, den höchst dotierten Pädagogik in Regensburg, Berlin und Lancashire; politischer Akti- Preis, der regelmäßig für junge Choreografie vergeben wird, vismus im Theater, in Performance und Theorie; seit 1997 arbeitete Residencies, etc. Und ImPulsTanz stellt quasi den ganzen Ap- sie u.a. mit Claudia Bosse; Unterrichtstätigkeit, Dramaturgin, seit parat für die Performances zur Verfügung. 2012 u. a. Co-Curator der [8:tension] und dramaturgische Beratung von ImPulsTanz. gift: Eine letzte Frage: existiert für Sie persönlich ein Unter- schied in der gesellschaftlichen Relevanz zwischen Theater Christa Spatt und zeitgenössischem Tanz? Nach dem Studium (Russisch, Anglistik und Fakultätslehrgang für Spatt: Nein. Ich fände es auch merkwürdig irgendeinem Projektarbeit für Geisteswissenschafter_innen) in Wien, Salzburg künstlerische Genre eine größere Relevanz als einem anderen und Moskau programmierte Christa Spatt für die ARGE Kultur Salz- zuzusprechen. Wir wünschen uns natürlich, dass noch mehr burg und arbeitete u.a. mit Barbara Kraus und Sylvia Scheidl & Oleg Leute erleben könnten, welche Sprengkraft in Tanz- und Per- Soulimenko. Sie ist seit 2003 u.a. Artistic Director und Co-Curator formance-Arbeiten drinsteckt und welche gesellschaftspoli- [8:tension] bei ImPulsTanz. tisch brisanten Themen verhandelt werden. Es wäre großartig, wenn noch mehr Zuschauer_innen davon profitieren könnten Stephan Lack und die Arbeiten auch öfter gespielt werden würden. || arbeitet als freier Autor in Wien. http://impulstanz.at/performances/2015/8tension/

diskurs 35 © Rupert Larl: La clemenza di Tito. Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, 2013

36 gift 03/2015 bilderrahmen Rupert Larl

» 1975 bis 1978 Standfotograf bei Fernsehfi lmproduktionen » 1981 bis 1993 ständiger Fotograf des Innsbrucker Kellertheaters » 1980 bis 1990 Fotograf der Telfs » seit 1987 Produktionsfotograf bei den Festwochen der Alten Musik » Fotograf bei etwa 80 Produktionen freier Gruppen und Volkstheater » seit 1992 Fotograf am Tiroler Lan- destheater » bis heute 850 Produktionen, Film, Schauspiel, Musiktheater, Tanz

„Theater ist für mich die komplexeste intellektuelle und künstlerische Unter- nehmung. Theater hat mehrere Zeichenebe- nen: Theaterfotografi e kann das Thea- ter nicht abbilden – es kann nur visuelle Äquivalente schaff en, in einem anderen Zeichensystem die Theaterarbeit unter- suchen, refl ektieren, den visuellen Kon- text des Dramas ändern, neue Bedeu- tung schaff en – das Theater kritisieren. Entscheidend ist der mediale Kon- text: der Theaterfotograf soll helfen, eine Produktion zu verkaufen. Sein Bild soll das Versprechen für einen Abend in Selbstvergessenheit, Amüsement und Alltagsferne abgeben: das Theaterfoto muss vom Besucher ver- standen werden. Das Theaterfoto ist aber auch das Gedächtnis des Ephemeren – Erinne- rung an das Vergänglichste, Flüchtigste in unserer Kultur: ein Abend im Dunkel des Zuschauerraums, auf der Bühne hel- les Licht.“

diskurs 37 © Theresa Luise Gindlstrasser How to: Sustainability

Im Rahmen der dritten Edition des FeedBack Festivals fand am 24. und 25. April im Tanzquartier Wien auch eine Konferenz zum Thema Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb statt. Voller und voll komplizierter Titel: (UN)CONFERENCE. Imaginary Relationships. (Un)conference on the question of sustainability in relation to artistic production between autonomy and participation. Theresa Luise Gindlstrasser hat von dort gebloggt und denkt nochmal über das Ganze nach.

Wieso UN? Wahrscheinlich weil eine Konferenz etwas ist, to“ nicht nur im Titel, sondern auch in der Form: Zwei Tage das auf Produktion, also auf mehr und noch mehr, also auf lang vormittags keynotes und nachmittags halbwegs wilde Kapitalismus hin zielt. Und diese Konferenz im tqw trug das Diskussion. Von lösungsorientiert kann da keine Rede sein. provisorische UN, das bartlebyanische „I would prefer not Jeden Abend wieder bin ich da raus und konnte nur den Kopf

38 gift 03/2015 schütteln: Nein, nein, das mit der Nachhaltigkeit im Kapi- vielleicht noch maximal um die Erschaffung einer Insel. So ist talismus, das mit dem Kapitalismus überhaupt, und was ist es denn auch so, dass im Theaterbereich wahrscheinlich so überhaupt Kunst? Bin ich da eben raus und vor folgendem oft wie nirgendsonst, Themen der gerechten Verteilung, der Plakat gestanden: Nivellierung von Hierarchien auf der Bühne stehen, am Weg Ich weiß nicht, wer hier worauf genau hin zielt, doku- dorthin passiert aber meist was ganz anderes. mentiert wird die Aktion jedoch auf: http://myduchampfor- Davon erzählt auch das gefundene Plakat. Kunst ist you.com. Der Fundort Akademie der bildenden Künste so- gleich toll und vor allem frei, der MARKT nicht. Dieses wie die Referenz auf Duchamp lassen mich glauben, dass Verhältnis wurde während der Nicht Konferenz ausgiebig die Initiative aus einem bildenden Kunst-Kontext erwachsen thematisiert. Elke Krasny verortete den Begriff der Nachhal- ist. Bildende Kunst ist nicht gleich so genannte darstellende tigkeit und seine Verwendung in einem politischen Kontext Kunst. Die Produktionsweisen divergieren. Der Vertrieb eben- geschichtlich. Adrienne Goehler präsentierte das bedingungs- so. Und wenn in der bildenden Kunst wirklich der MARKT lose Grundeinkommen nicht nur als prinzipielle Gerechtigkeit, eine treibende Kraft darstellt, so ist es in der sogenannten sondern hob auch gerade die Vorteile für eine entspanntere, darstellenden Kunst wohl meistens eher das Fördersystem. quasi von den Fesseln des Marktes befreite, Kunstproduk- Große Häuser und große Compagnien tun das ebenso, nur tion hervor. Janez Janša stellte die eigene Kunstproduktion anders dimensioniert, anders organisiert, wie alle kleinen als eine nachhaltige, zumindest als eine langandauernde freien Initiativen: Konzepteinreichung, Proben, Produktion, dar. Am Tag zwei legte Kerstin Evert vom K3 – Zentrum der nächstes Projekt (bzw. nächstes Jahr). Choreographie in Hamburg ihre konkreten Erfahrungen mit Da wird gearbeitet was geht, wird nach draußen gefeuert, der Verteilung von Fördergeldern an freie Gruppen dar. Und eben ganze Feuerwerke der Neuproduktionen jedes Jahr und Jacob Bilabel erzählte von der Green Music Initiative. Eine Sternschnuppen aka shooting stars ohne Ende. Wer sieht sich gar nicht so antikapitalistische im Sinne von antitechnolo- denn das alles an? Wo bleibt denn da der MARKT? Oder sind gische Vereinigung, die versucht, Nachhaltigkeit in der Mu- das die ganz falschen Fragen und ist diese Kunst eben irgend- sik Industrie, gerade beim Festivalbetrieb zu etablieren. Und was, ja irgendwas außerhalb von diesem MARKT, oder sollte zuletzt zeigten Eddie Nixon und Chris Thomson von The das sein? Schwierig. Da waren sich auch die Sprechenden bei Place in London ihren eigenen Umgang mit ihrem Publikum der Konferenz nicht immer eins. Ob nämlich Nachhaltigkeit und wie sie sich darum bemühen, möglichst viele und mög- im Kulturbetrieb bedeutet, weniger zu produzieren, also mehr lichst verschiedene Menschen an ihre Institution zu bringen Fördergelder für nur wenige bereitzustellen – was also auch und zu halten, sich selber also nachhaltig in den Köpfen der bedeuten würde, diesen MARKT irgendwie zu regulieren, also Menschen zu verankern. auf irgendwelche Maßstäbe hin zu trimmen, gleichzeitig aber Ein How to: Sustainability im Kulturbetrieb war das auch garantieren würde, dass einzelne Projekte wachsen, ge- Ganze also eher nicht. Mehr Fragen als ein ordentliches You- deihen, sich verändern und über längere Zeit hin bestehen Tube Tutorial es erlauben würde. Und das ist auch irgendwie könnten. Oder: möglichst viel fördern, ermöglichen, möglichst gut so. Die pragmatischen Probleme der Kunstproduktion vielen Raum und Aufmerksamkeit geben, auf dass auch wirk- bestehen. Davon spricht auch das gefundene und fotografierte lich wirklich wirklich versucht wird, der Reproduktion von Plakat. Diese müssen angegangen werden. Nämlich mittels strukturellen Ungerechtigkeiten entgegen zu arbeiten. Das Zusammenschlüssen und pressure groups und Aktionen und heißt natürlich auch weniger Geld für die einzelnen Projekte. konkreten Forderungen. Das wabernde große Problem von: Ist das nachhaltig? Und was ist überhaupt Kunst? Immer Was ist Kunst im Kapitalismus? ist nichts, was wir einfach mal immer diese Frage. Weil, wenn es um diesen MARKT geht, so beantworten sollten. Ob wir so leben wollen, oder lieber dann geht es auch immer um die Frage der Funktion. Und wo anders, das schon. Finde ich. || das wird ja gerne mal behauptet, Kunst soll keine Funktion erfüllen, soll bloß toll, im Sinne von richtig toll sein. Oase http://www.tqw.at/en/newsblog des Nicht-Produzieren-Müssens, Insel der Seeligen. Das gilt

besser, wenn wir über die Rezeption von Kunst sprechen. Theresa Luise Gindlstrasser Wenn wir aber über die Produktion sprechen, und zwar die Produktion innerhalb dieses Systems, ähh, naja, wenn wir geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. Studiert dort Philosophie innerhalb dieses Fördersystems leben, sieht es dann schwie- und performative Kunst. Schreibt dort, und manchmal woanders, meistens über Theater. riger aus. Weil da geht es natürlich um Produktion, da geht es

diskurs 39 international

Die Utopie aus der Schweiz: Tanztheater Interface Thomas Hahn

Interface: L'Oubli des Anges © Maxime Lonfat

40 gift 03/2015 Im schweizerischen Sion ist eine Kompanie beheimatet, die ein alternatives künstlerisches und wirtschaftliches Modell verwirklicht. Transdisziplinär, multikulturell, offen, optimistisch, erfolgreich. Eine Utopie? 2014 erhielt Interface für ihr Stück Teruel den Publikumspreis des Off-Festivals von Avignon in der Sparte Tanz, und das ohne sich dafür verbiegen zu müssen. Im Gegenteil, sie verwirklichen genau das Konzept, mit dem sie vor 25 Jahren begannen. Finanziell sind sie unabhängig und wagen immer komplexere Projekte, vernetzen sich lokal wie global und verteidigen ihre Freiheit erfolg- reich. Wie geht das?

André Pignat, Komponist, Regisseur und einer der Väter von Auch staatliche Subventionen fließen. Zu Beginn aber hatte Interface sieht den Schlüssel in der Möglichkeit, dauerhaft zu- Interface eine öffentliche Finanzierung bewusst abgelehnt, sammen zu arbeiten. Interface hat ein Repertoire von inzwi- aus Angst vor der Abhängigkeit von einer einzigen oder stark schen sechs Stücken aufgebaut, die bis heute gespielt werden. dominanten Geldquelle, die abrupt versiegen könnte. Jede Produktion wird zwei- bis vierhundert Mal aufgeführt! „Natürlich haben wir auch Phasen durchgemacht, in „Das erlaubt uns, in die tiefsten Schichten vorzudringen. Erst denen wir kaum noch Geld hatten, aber wir sind dann noch ab der 200. Vorstellung rühren wir an etwas Essentiellem.“ enger zusammengerückt und haben es gemeinsam überstan- Nicht jede Kompanie braucht so viele Aufführungen, um das den.“ Die Basis ihrer finanzieller Stabilität liegt allerdings künstlerische Potenzial eines Stücks voll auszuschöpfen. Aber darin, dass sie ihre Stücke über lange Zeiträume hinweg spie- die Mischung aus Tanz, Theater und Oper der Stücke von len können. Interface schafft eine besondere Komplexität. Hinzu kommt, dass die sehr emotionalen Arbeiten der Truppe intensive Fein- justierung brauchen, um ihre Kraft mit Präzision und in aller Werte schaffen Wert Tiefe zu entfalten. Inzwischen geht es Pignat und seiner Truppe um mehr Während Interface in der Schweiz und auch in Frankreich als Produktionen und Aufführungen. Interface reflektiert die zu einer festen Größe wurde, entwickelten sich heimische Rolle des Unternehmertums in der Gesellschaft und macht Geldgeber_innen zu echten Partner_innen. Das sei nun ein darin keinen Unterschied zwischen Kunst und anderen Be- ganz anderer Ansatz als das Schaffen üblicher Förderkreise, reichen von Produktion und Dienstleistungen. „Unser Modell wie es jedes prestigeträchtige Haus praktiziert, meint Pignat: der langfristigen Arbeit gibt uns die Zeit- und Freiräume, um „Wir arbeiten mit Unternehmen, die unsere Werte teilen, die mit Firmen, Banken, Politikern und Institutionen der öffent- nicht nur Geld verdienen wollen, sondern ihre Verantwor- lichen Dienste in Dialog zu treten und Menschen aus an- tung für die Gesellschaft mit Leben füllen.“ Der Wertekanon, deren gesellschaftlichen Zusammenhängen für unsere Kunst den Interface definiert hat und immer detaillierter auszufeilen zu interessieren.“ Inzwischen helfen 30 Unternehmen oder gedenkt, liest sich mit den Schlagworten „Respekt, Qualität, Privatpersonen, die Projekte von Interface zu finanzieren. Hingabe“ durchaus wie auf Unternehmenskommunikation

international 41 zugeschnitten. Doch nur wer so auf die Welt der Wirtschaft und 'Europäer' miteinander sprechen. Denn dann geht es zugeht, kann Zusammenarbeit erfolgreich beginnen und ge- letztendlich doch nur um Geld, und Spannungen sind unver- stalten: meidlich. Wir suchen dagegen Unternehmer_innen, denen die „Wir haben Werte definiert, denen nichts Abstraktes an- gleichen Werte am Herzen liegen wie uns, ob in Europa oder haftet, haben keine Vorbehalte und suchen den Austausch in China. Und davon gibt es viele!“ Die Idee der Nachhaltig- mit allen, von Bankern bis Politikern. Aber wir verlangen keit betrifft auch das Künstlerische. Géraldine Lonfat, die in von uns selbst, dass alles, was wir unternehmen, positive Aus- jeder Aufführung die Schlüsselrolle bekleidet und gleichzeitig wirkungen auf die Gesellschaft hat, ob das nun im sozialen die Choreografin von Interface ist, zeigt die ganze Kraft einer Bereich ist, in der Gesundheit, der Wirtschaft oder natürlich zeitgenössischen Ballerina. in der Kultur.“ Inzwischen ist der Kreis der Förderer_innen so Dabei hat sie ein Alter erreicht, in dem Tänzerinnen von groß, dass sie es sich auch leisten können, eine Zusammenar- Opernballetten üblicher Weise ausgemustert werden. Lonfat beit von sich aus aufzukündigen, und vor allem, wählerisch dagegen denkt nicht ans Aufhören. Mit Recht, wie sie Abend zu sein bei der Auswahl neuer Partner_innen. für Abend auf der Bühne beweist.

Aufbruch nach Fernost Sechs Sprachen für ein Hallelujah

Letztendlich existiert Interface seit nun 25 Jahren und entwi- Das gleiche Stück, das in Busan nun bald in einer korea- ckelt sich weiterhin prächtig, derzeit auch in Asien. In Südko- nischen Fassung gespielt wird, ist Gegenstand einer Bearbei- rea entwickelten sie den Austausch mit der Kompanie MAC tung in sechs Sprachen. Ein Tanzstück in sechs Sprachen? aus der Hafenstadt Busan, die selbst Musik- und Tanztheater Das geht wohl nur bei Interface. Liegt es daran, dass es in im Geist der lokalen Tradition kreiert und auch regelmäßig im der Schweiz normal ist, mehrsprachig zu leben? Der meta- Off von Avignon auftritt. Wie Interface besitzt MAC ihr eige- phorische Engelspart in der Rolle der trauernden Freundin nes Theater. Interface wird den Koreaner_innen nun ihr Stück kann von einer Schauspielerin in Hebräisch, Arabisch, Hindi, L’Oubli des Anges überliefern, dessen Thema des Übergangs Chinesisch, Wolof oder natürlich Französisch übernommen vom Diesseits ins Jenseits ein Hauptthema der Koreanischen werden. Der Clou ist die multikulturelle Fassung. Da stehen Epik und Poesie ist. Gleichzeitig streckt Interface seine Fühler die sechs Frauen, in traditionelle Gewänder ihrer jeweiligen auch in Richtung China aus. Eine Mitarbeiterin von Interface Kultur gekleidet, und verabschieden die Sterbende gemein- ist vor Ort und sondiert mögliche Partnerschaften, um den sam. Es ist ein wunderschönes, harmonisches und unheimlich Widerspruch zwischen den Werten von Interface und der Rea- natürlich wirkendes Bild der interkulturellen Gemeinsamkeit, lität der Wirtschaftsmacht China zu überwinden. Denn so wie das bestens in die Philosophie von Interface passt. „Ich bin die Samsung City in Südkorea steht auch China mit seinen ein Utopist“, sagt Pignat. Dreckschleudern, man denke nur an die Elektronikindustrie Sein Ziel ist, auf internationaler Tournee je einmal in in Shenzen und den Smog in Beijing, für ausgeklügelte Un- der Landessprache und in den sechs Sprachen zu spielen. menschlichkeit in der Arbeitswelt. Aber er hat es ja am eigenen Leib erfahren, dass man Utopien „Genau darum geht es“, erwidert Pignat, „China erstickt auch verwirklichen kann. Sie konnten es sich sogar leisten, an seiner Luftverschmutzung. Die Kinder kommen bereits die multikulturelle Fassung in Paris eine Woche lang bei frei- krank zur Welt. Das Land ist dabei, sich umzubringen. Selbst em Eintritt zu spielen. Denn das Gehalt der Tänzer_innen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das nicht haltbar. muss ohnehin überwiesen werden, und auch die teilen den Und das Umdenken hat bereits begonnen. Es gibt Unterneh- Grundgedanken von Interface, dass es schöner ist, etwas mit men, die sich mit unserer Vision von Verantwortung identi- anderen Menschen zu teilen als sich abzuschotten. Es wurde fizieren. Und wir wollen weg von der Idee, dass 'Chinesen' ein erfolgreicher Probelauf.

42 gift 03/2015 Mehr als Geld fen hier nicht etwa den Patient_innen, sondern sie unterstüt- zen die heilende Institution selbst. Die wird bekanntlich vom Nach ähnlichem Gedanken verfahren sie an ihrem eigenen Zwang zur Rentabilität zermürbt: „Das Krankenhaus macht Theater in Sion. Begegnen sie auf ihren langen Reisen, zum die eigenen Angestellten krank. Wie kann es angehen, dass Beispiel auf einem Festival, anderen Künstler_innen, mit de- auf einem so sinnvollen Gebiet wie der Heilung Kranker im- nen der Funke überspringt und die eine Residenz brauchen, mer mehr Menschen den Zweck ihrer Tätigkeit aus den Augen um eine neue Arbeit zu entwickeln, dann stellen sie ihr The- verlieren? Wir haben deshalb eine Arbeitsgruppe ins Leben ater kostenlos zur Verfügung. „Sie geben uns Workshops und gerufen, die sich mit Problemen des Krankenhauswesens und beide Kompanien leben und essen gemeinsam.“ Dieser Aus- möglichen Rollen der Kunst im Krankenhaus befasst.“ Der tausch ist ihnen mehr wert als Bares, denn er kann wiederum Name Interface bezog sich ursprünglich auf die künstlerische Interface dabei helfen, Positives zu bewirken. Die Engländerin Vision. Tanz, Theater und Oper gehören hier zusammen, und Lucy Hopkins entwickelte in Sion eine französische Versi- das war alles andere als selbstverständlich in einer Kunst- on ihres Solos, die ebenfalls in Avignon zu sehen sein wird. landschaft, die entweder auf Spartentrennung oder transdis- Gleichzeitig gab sie Interface Clown-Workshops, und die ziplinären Avantgarde-Touch schwört. Interface verweigert Schweizer_innen setzen diese Erfahrung nun um, indem sie ih- beides und nimmt in jedem Stück Bezug auf archetypische rerseits Clown-Workshops in ihren Partner-Unternehmen ge- Emotionen. Heute steht der Name für die Verknüpfung von ben, um dort die Arbeitsatmosphäre aufzulockern. Denn nicht kulturellen und gesellschaftlichen Sphären, die eher auseinan- nur die Chines_innen ersticken im selbst produzierten Mief, der driften als sich zu verständigen. Wo Interface auftaucht, sondern auch Europas Firmenwelt. „Burn Out, Krankenstän- ist der Zuspruch groß. Bisher vor allem in der Schweiz, in de und innere Kündigung sind Zeichen einer tiefen Sinnkrise. Frankreich und Südkorea. Bald auch in China? || Aber es gibt eine neue Generation von Unternehmern, die der Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz einen hohen Stellen- www.theatreinterface.ch wert einräumen. Sie wissen, dass es sich auch wirtschaftlich auszahlt, so zu handeln.“ Wie gesagt, Pignat ist ein Utopist, Thomas Hahn und daran hält er sich auch, wenn es ihn scheinbar Geld kostet. Denn er ist Komponist, wenn auch in erster Linie Studium der Romanistik und Theaterwissenschaft in Hamburg und Paris, lebt seit 1990 in Paris, Redaktionsmitglied der franz. Zeit- für Interface. „Meine Kompositionen sind im Internet frei schriften Cassandre, Danser und Stradda, Korrespondent der Zeit- zugänglich, damit sie möglichst weite Verbreitung finden. schrift tanz. Und ich stelle fest, dass diejenigen, die sie verwenden, mich kontaktieren und mir freiwillig Tantiemen zahlen, wenn sie schwarze Zahlen schreiben.“ Ob er da nicht doch etwas naiv ist? „Ich glaube an das Gute im Menschen. Wenn man sie vor gift abonnieren die Wahl, und damit sich selbst gegenüber stellt, dann fällen Bestellen Sie ein gift-Abo sie Entscheidungen im Sinn des Guten. Erst wenn man ihnen »» 20 Euro für 4 Ausgaben pro Jahr keine andere Wahl lässt, fangen sie an, zu betrügen.“ »» 10 Euro für Studierende »» 25 Euro Auslandsabo

Das Krankenhaus als Patient Oder werden Sie IGFT-Mitglied im Mitgliedsbeitrag von 35 Euro ist das gift-Abo enthalten Zu den Unternehmen, deren Angestellten Interface hilft, ihren Clown herauszulassen, gehört auch die Verwaltungsabteilung [email protected]· www.freietheater.at · 01/403 87 94 eines Krankenhauses. Die Clown-Doctors von Interface hel-

international 43 Hotel Obscura © Die Fabrikanten

Mehr Intimität! Radikale Momente im Hotel Obscura

Seit 2014 arbeiten vier Kollektive [Triage Live Art Collective (AU), Die Fabrikanten (AT), Mezzanine Spectacle mit GK, La Folie Kilomètre & La Transplanisphère (FR) und Ohi Pezoume (GR)] an einem gemeinsamen, zweijährigen, von der EU geförderten Projekt. Hotel Obscura umfasst Workshops, Vorträge, Live-Art Events, und das in vier Ländern. Theresa Luise Gindlstrasser versucht, den Überblick zu bewahren.

Hotel Obscura, das klingt erstmal nach Die Fabrikanten initiiert. Seit nunmehr und Diskussion von Konzepten der Live Camera obscura. Dabei geht es aber we- 25 Jahren bemüht sich dieses Kollektiv Art und der site specifi c performance. So niger um dunkle Räume und viel mehr neben der Arbeit als Agentur für Kom- fand beispielsweise im November 2014 um den Versuch einer gewissen Seiten- munikation um die Bereitstellung von in Melbourne ein Live Art Camp statt, verkehrung zwischen Publikum und Kunsterfahrung. Verfolgt dabei Inte- bei dem 35 interdisziplinär arbeitende Agierenden. Dergestalt auf den Kopf ressen der Medien- und Interventions- Kunstschaff ende und sieben Gäste aus gestellt, lässt sich zwischen den beiden kunst, und eben der Live Art. In Folge der EU eine Woche lang diskutiert und auch nur noch provisorisch diff erenzie- entstand gemeinsam mit Triage, einem an Workshops teilgenommen haben. ren. Was heißt das? Unter dem Terminus in Melbourne beheimateten, derzeit Und Ende Januar gab es in Linz einen Live Art werden Formate versucht, die auch von Berlin aus agierenden Kollek- one-to-one performance Workshop. In nicht so sehr auf ein Präsentieren zielen, tiv, Hotel Obscura. Die Idee dafür war der zweiten Phase kulminiert Hotel Ob- sondern auf ein Bereitstellen einer Situa- schon 2007 bei Triage Live Art Collec- scura in konkreten Live Art Events und tion für alle daran Beteiligten. tive entstanden, konnte aber erst durch kommt endlich dort an, wo es hin wollte. Von vorne: Schon 2011 wurde das die Unterstützung von Creative Europe Nämlich im Hotel. Jeweils eine Person Live Art Festival Exchange Radical Mo- (EEAC) realisiert werden. wird in die sterile Intimität eines Hotel- ments!, das in Berlin, Bitola, Chisinau, Das Projekt gliedert sich in zwei zimmers eingeladen, um dort gemein- Linz, Liverpool, London, Paris, Prague, Phasen. 2014 wurden hauptsächlich sam mit den Agierenden eine kurze Zeit Riga, Słubfurt und Stockholm statt fand, Vortrags- und Workshopformate veran- zu verleben. So geschehen am 1. Februar von dem in Linz beheimateten Kollektiv staltet. Da ging es um die Entwicklung im Hotel Wolfi nger in Linz, wo insgesamt

44 gift 03/2015 sieben Hotelzimmer, ein Auto und zwei wie Nähe, Distanz, Beziehung und Zärt- Die Verästelungen und Verwandt- Privatwohnungen bespielt werden konn- lichkeit. Deborah Hazler beispielsweise schaften der Begrifflichkeiten wurden ten. Und so wird es auch nochmal, aber lud zum Beobachten ihres nackten und oben schon angedeutet. In dem Sinne in größerem Rahmen, im Oktober 2015 in in Fell gehüllten Körpers auf einem Bett versucht Hotel Obscura nichts genuin Magdas Hotel in Wien geschehen. Unbe- ein. Derweil wurden die Besuchenden Neues. Oder nichts, was nicht auch wo- dingt vorher reservieren! Abgeschlossen gefilmt, konnten sich also zugleich noch anders versucht werden würde. Nämlich wird Hotel Obscura im August mit einem selber beim Beobachten beobachten. aus TheaterTheater richtig packendes weiteren Workshop in Melbourne. Auch Katerina Kokkinos-Kennedy von Theater, also richtige soziale Begegnung Es sind nun schon viele Begriffe Triage macht im Gespräch den Begriff voller Unausweichlichkeit und Intimität gefallen: Live Art, Intervention, site Intimität ganz groß. Unter Live Art ver- zu machen. Hotel Obscura ist aber den- specific performance, one-to-one Per- steht sie „choreographing the audience noch ein besonderes Projekt. Nicht nur formance. Das lässt sich fortführen mit: experience“. Das heißt, die dramatur- kommen hier Menschen unterschied- social art, community art, participatory gische Arbeit müsse genau so wie in lichster Länder, also mit unterschied- performance, immersive theatre, urban einer Camera obscura auf den Kopf lichsten begrifflichen Voraussetzungen gaming. Wiewohl all diese Begriffe je- gestellt werden, um nicht auf irgendei- zueinander und diskutieren die Mög- weils als terminus technicus einer be- ner Bühne eine Geschichte zu erzählen, lichkeiten von Intimität. Auch durch die stimmten Szene, einer bestimmten Form sondern Situationen zu kreieren, die es reine Dimension der Veranstaltungen von „Theater“ fungieren, und teils in sehr für das Publikum ermöglichen, diese Ge- stellt dieses Projekt ein Unikum dar. verschiedenen Ergebnissen münden, ist schichten selber zu erleben. Allerdings Wahrscheinlich ist es vor allem auch so: diesen Bestrebungen wohl das inten- will sie dies nicht mit dem Begriff der Die verschiedenen Szenen hinter den sive Nachdenken über das Verhältnis Manipulation begreifen, „encounter“ sei verschiedenen Labels haben manchmal von Publikum und Agierenden gemein. das Stichwort. sehr wenig miteinander am Hut. Das Pu- Nachdenken im Sinne von: Lasst uns „The idea of intimacy and one-to-one blikum aber macht mit. Gerald Harrin- doch alle gemeinsam auf der vierten works raises many ethical questions: ger, der die Entwicklung des Begriffes Wand spazieren! Hotel Obscura hat sich how does one care for the audience? Live Art in Österreich seit wahrschein- selbst dem Label Live Art verschrieben How much agency do they actually lich 25 Jahren verfolgt, ist auf jeden und meint damit: Prozesse, Strategien have? What is the artist's and audience's Fall der Meinung, dass das Publikum die jeweils im Ausgang des konkreten responsibility? How is this responsibili- im Großen und Ganzen ein wesentlich Raums eine Interaktion zwischen Pu- ty communicated? What does the dimi- reiferes, selbstbewussteres geworden blikum und Agierenden ermöglichen. nishment of the 4th wall allow? Ideally, ist. Das hat mit Demokratisierungspro- Das ist also mehr als nur Performance the creation of such works is not about zessen in der Kunst genau so wie in den für ein kleines Publikum und auch mehr manipulating or managing the audience Medien zu tun. Und das hat politische als bloße Interaktion. Es soll jeweils ein – but rather, it allows them to enter the Implikationen. So findet sich im total Rahmen geschaffen werden, der Aus- game constructed by the artist. If the Privaten, Intimen, das total Politische, gang steht nicht fest. Das klingt nach so- game is well constructed the audience Öffentliche. || zialem Experiment und Selbsterfahrung will understand the offer, and will re- und hat im besten Falle auch noch was spond in ways that range from the obvi- http://hotelobscura.org mit Überlegungen in Sachen Verantwor- ous to the totally unexpected. The key tung zu tun. thing here is that the artist is prepared Am 1. Februar in Linz hatten die mei- for any outcome, and is able to accom- Theresa Luise Gindlstrasser stens dieser Begegnungen zwischen Pu- modate whatever response they meet. blikum und Agierenden auf die eine oder Thus the encounter is not about 'acting' geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. Studiert dort Philosophie und performative andere Weise was mit Liebe zu tun. Die in the classical theatre sense, but the Kunst. Schreibt dort, und manchmal woan- Intimität des Formats [eben one to one] capacity to be present & to respond in ders, meistens über Theater. versammelte auch im Inhaltlichen Dinge the moment.“

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Gosse oder Schloss? – Gehen wir auf die WalTz! Gespräch mit Maximilian Achatz, Theater Café, Klagenfurt/Celovec 23.3.2015

© Dominik Achatz

Eine der konstantesten und gleichzeitig flexibelsten Theatergruppen der freien Theaterszene Kärntens, das Theater WalTz- werk, erfährt einen Generationenwechsel und behauptet sich gekonnt im Bereich des Jugend- und Kindertheaters, ohne die eigenen Wurzeln aus den Augen zu verlieren. Florian Zambrano traf den Mitbegründer Maximilian Achatz zu einem Gespräch über die aktuelle Situation im freien Theater und die Impulse, die das Theater WalTzwerk ins Leben riefen.

46 gift 03/2015 Florian Zambrano: Die Entscheidung, den gesicherten Ar- ich hier nicht bleiben und ich habe beschlossen, innerhalb beitsplatz zu verlassen und sich dem Prekariat des Theater- eines Jahres aufzuhören. Ein Jahr in Berlin, wo ich mir ein lebens auszuliefern, war das ein Entschluss, der einem kon- Ergänzungsstudium am Tschechow Seminar gönnte, habe ich kreten Anlass folgte oder baute sich diese Notwendigkeit des mir als Auszeit genommen. Zurück in Klagenfurt hatte Pfle- Wandels langsam auf? gerl die Intendanz übernommen und so wurde ich am Stadt- Maximilian Achatz: Das ist eine Entwicklungsgeschichte, theater engagiert. Es ist eigentlich wunderbar aufgegangen, weil ich nach der Schule immer vor hatte, diesen Beruf zu mein Traum, aus der nebenberuflichen schauspielerischen ergreifen, dann aber doch den bürgerlichen Brotberuf ergriff, Tätigkeit eine hauptberufliche zu machen. Das war 1991 um mir eine Zeit zu gönnen, Geld zusammenzusparen und oder 1992. Ansichten eines Clowns war mein letztes Stück mir dann das Studium selbst zu finanzieren. Es ist natürlich in der Nebenerwerbsberufstätigkeit, bevor ich nach Berlin anders gekommen, aber es hat mich nicht vom Entschluss ging. Da kommt ein Satz vor: „Gosse oder Schloss?“, den ich weggebracht. Um 1978 gab es in Klagenfurt sehr viele junge jeden Abend 20mal gesprochen habe und mir dachte: „Bin ich Autor_innen, die einen Alternativ-Bachmannpreis veranstal- neugierig, wie es mir in meinem Leben ergehen wird, wenn tet haben, das war so eine Art Kabarett, der 'Hunderttausend ich diesen Satz hier in diesem tollen Stück ausspreche?“ Es Groschen Preis' war die Alternative zum großen Hundert- ist das eine nicht geworden und das andere nicht, aber mich tausend Schilling Preis. Diese Jungautor_innen haben junge gibt es noch immer. Mit Peter Ebner in Ferlach haben wir, Menschen gesucht, die sich dafür zur Verfügung stellen, und nachdem die Stadtgemeinde das Schloss in Ferlach gekauft so habe ich alle diese Autor_innen und Theaterbegeisterten hatte, Ideen entwickelt, dieses Schloss kulturell zu beleben kennen gelernt. Dadurch wurde der Entschluss gefasst, dass und das Theater WalTzwerk gegründet. Der Name kommt wir so eine alternative Theaterszene auch brauchen. Aber deswegen, weil es auf historischem Boden gegründet wurde, ohne großen Gedanken, wir wollten einfach Warten auf Go- vorher war die Stahlwerkindustrie in Ferlach ansässig und dot spielen. Ein Zivildiener kam zufälligerweise dazu, Man- dort war das Walzwerk. Wir haben in den Büroräumen, im fred Lukas-Luderer, der die Regie übernahm. Daraus hat sich 'Kellertheater im 1. Stock', so haben wir es genannt, unsere mit Seppi S. dann das klagenfurter ensemble ergeben. 1981 erste Produktion Der Büchsenöffner gemacht. Damit hat der habe ich das erste Mal selbst inszeniert, den Kärntner Au- Lauf des WalTzwerkes begonnen. tor Hans Gigacher. Da hab ich bemerkt, dass mir das auch liegt. Nebenher hab ich begonnen, eine Sprechausbildung Zambrano: Also ist es doch ein Schloss geworden. am Konservatorium zu machen, aber am meisten lernte ich durch das Engagement der Regisseur_innen – wir haben im- Achatz: Es ist im übertragenen Sinn doch ein Schloss gewor- mer professionelle Regisseur_innen geholt – bis ich mich ent- den. Wir haben zahlreiche Produktionen gemacht. Irgend- schlossen habe, die paritätische Prüfung zu absolvieren und wann einmal, ich glaube 1998, haben wir in Ferlach unse- das Diplom zu machen. Ich habe dann schon am Stadttheater re Spielstätte verloren, nach der Landesausstellung. Dazu neben meiner Arbeit her gespielt. Das dauerte immerhin 17 muss man sagen, dass wir im Rahmen von Alles Jagd 97 am Jahre. Nach 17 Jahren, mit dem Blick aus dem Fenster, habe Hauptplatz ein riesiges Theaterstück aufführten, den Kärnt- ich gewusst, da muss sich was ändern, bis zur Pension kann ner Jedermann, und hofften, das würde jetzt so weiter gehen

szene 47 – auch die Nachnutzung des Schlosses. Das hat aber nicht Zambrano: WalTzwerk: Welche Intuitionen lagen für euch funktioniert. Es hieß dann nicht mehr Theater WalTzwerk hinter diesem Namen bei der Gründung der Theatergruppe Ferlach, sondern allgemein Theater WalTzwerk und wie der und was löst der Name heute bei dir aus? Name sagt: „Wir gehen auf die Walz!“ , wir können eigentlich Achatz: Es ist eigentlich gleich geblieben, dass sich die Räder überall spielen. Von 1979 weg bis jetzt bin ich sozusagen ein drehen, dass etwas entsteht, etwas geformt wird. Und genau wechselhafter, ein wechselnder Schauspieler, der sowohl in so ist es ja auch am Theater. Dann haben wir noch Walzwerk der freien Szene, als auch – wie soll man sagen – in der eta- mit T geschrieben, was stellvertretend für das Theater steht blierten Szene oder an Häusern arbeitet und inszeniert. In und früher ist man ja noch auf die Walz gegangen. Das war für Graz, im Next Liberty oder an der Oper, auch in Frankfurt, uns auch schon vorausdenkend, dass wir flexibel sein wollen, dann am Theater an der Wien, am Schauspielhaus Wien mit dass wir einfach dorthin gehen, wo das Stück passt. Nicht einer Uraufführung von Andreas Staudinger ... gebunden an ein Haus, was natürlich nur Probleme mit sich bringt, also an Kosten. Dieses Bewegen und dieses Verfor- Zambrano: Berlin wirkt auf das WalTzwerk bestimmt in ver- men hat sich eigentlich auch noch weiter entwickelt, durch schiedenen Facetten. Was konntest du aus deiner ersten Zeit den Neuzugang der jungen WalTzwerker_innen hat sich das in Berlin für die konkrete Arbeit im WalTzwerk mitbringen, Programm auch ein bisschen verändert, wir wollen für Kinder und was fließt durch den Schub der neuen Generation, die und Jugendliche und mit Kindern und Jugendlichen Theater ja auch erst vor zwei Jahren aus Berlin zum WalTzwerk stieß, machen. Von der Grundidee haben wir vertreten, dass wir in euer Theaterschaffen ein? poetisches Theater machen wollen. Für uns hat die Ästhetik Achatz: Nachdem ich in Berlin aus dem Zug gestiegen war, eine große Rolle gespielt. Diese Poesie kann man natürlich hatte ich sofort das Gefühl, hier gehöre ich her. So ist es gerade im Kindertheater aufspüren, um den Kindern wieder nach wie vor, wenn ich dort ankomme. Berlin hat für mich dieses Erlebnis zu geben, ins Reich der Fantasie zu steigen von der Ausbildung her auch ganz etwas Wichtiges gebracht, und sie dort auch zu holen, wo man glaubt, dass sie sind. weil es nicht eine Schauspiel- und Regieausbildung war, wie Das ist natürlich immer schwer zu wissen, was die Kinder sie an unseren Schauspielschulen gelehrt wird, sondern da wollen – aber ich glaube, behutsam und mit schönen Bildern stand wirklich noch der Mensch im Mittelpunkt. Gerade diese sich Geschichten erzählen zu lassen in dieser schnelllebigen Tschechow-Methode, von Michael Tschechow, ist mir sehr Zeit. Die Räder des WalTzwerkes drehen sich vielleicht nicht entgegengekommen. Und witzigerweise nach 22 Jahren hat so schnell, wie es der Zeitgeist erfordert, wir sind da eher auf dann mein Sohn in Berlin wieder, ohne dass ich ihm das an- das langsame Drehmoment aus. Aber es zeigt sich, dass wir geraten habe, das ausgewählt. In dieser Zeit hat sich natürlich auf der richtigen Welle sind, und Eltern wie Kinder hören und auch das Studio draußen weiterentwickelt. Auch die Frau, sehen sich unsere Geschichten gerne an. die er dort kennenlernte, die auch die Ausbildung machte, ist nach Klagenfurt zum WalTzwerk gekommen. Das finde Zambrano: Das Theater für Kinder war ja in den letzten Jah- ich einfach schön, dass das nach 25 Jahren jetzt in diesem ren weniger präsent in Kärnten, oder? Sinn irgendwie weitergeht. Was Schöneres kann man sich gar Achatz: Da hat es wirklich wenig gegeben. Es hängt natür- nicht vorstellen. Normalerweise baut man ein Theater auf, lich mit dem Geld zusammen. Seinerzeit war das klagenfurter wird älter und sagt okay, dann geht es halt damit wieder dem ensemble das einzige. Als es noch die Woche der Begegnung Ende zu. Hier geht es eigentlich fließend über. gab, hat es auch ein Kinderfestival gegeben, oder das Festival Hand & Fuß, oder das Mailüfterl vom klagenfurter ensem-

48 gift 03/2015 WalTzwerk: dass sich die Räder drehen, dass etwas entsteht, etwas geformt wird.

Lara Schützsack: UND AUCH SO BITTER KALT Am Foto: Sara Kühl © Anja Behrens

ble. Das war natürlich durch die ganzen Sparmaßnahmen im Das wollten wir auch zustande bringen, dass die Schulen, die Kulturbudget nicht mehr möglich. Am Stadttheater gab es, Kindergärten oder andere Jugendinstitutionen sich orientie- wie traditionell an jedem Haus, das Weihnachtsmärchen und ren und rechtzeitig planen können. Denn das Problem ist, damit ist dann Schluss. Wie man aber merkt ist die Nachfrage kurzfristig eine Produktion herauszugeben, die dann in ein nach einem fixen Spielplan sehr groß, weil es gibt in jeder paar Aufführungen abgespielt ist, da ist die Zeit für den The- Hauptstadt ein Kindertheater mit einem fixen Jahresspielplan. aterkonsumenten zu knapp, das organisatorisch zu schaffen.

szene 49 Es ist jetzt wieder so, dass es viele Junge gibt, die mit Eifer und viel Verzicht und Schwierigkeiten sich dem Theater widmen und auf der Spurensuche sind: Wohin kann die Reise noch gehen?

Deswegen haben wir im Vorjahr einen Jahresspielplan erstellt. einfach, dass derselbe Gedanke wie damals, 1979, als diese Das ist uns wunderbar gelungen, im heurigen Jahr wird es Jungliterat_innen in Klagenfurt die Szene belebt haben, es ein bisschen schwieriger, weil wir auf Grund der finanziellen jetzt wieder so ist, dass es viele Junge gibt, die mit Eifer und Situationen bei Land und Stadt bis jetzt – wie viele andere viel Verzicht und Schwierigkeiten sich dem Theater widmen Gruppen auch – darunter leiden, schon zu produzieren, aber und auf der Spurensuche sind: Wohin kann die Reise noch kein Geld zu haben. gehen? Was kann man hier in Klagenfurt noch tun?

Zambrano: Wo liegen, neben den bereits erwähnten, die ak- Zambrano: Woran liegt das, dass in den letzten Jahren doch tuellen Schwierigkeiten in der freien Theaterszene und was recht viele junge Theaterschaffende zurückkommen aus so- hat sich deiner Meinung nach seit der Gründung des WalTz- genannten Kulturstädten? werkes geändert in der Wahrnehmung des Publikums, auf politischer Ebene, in der Kommunikation unter den Künst- Achatz: Wien hat natürlich auch vor 20 Jahren eine riesige ler_innen? Szenerie an Kellertheatern oder Off-Theatern gehabt. Die sind Achatz: Da nehme ich gleich die Künstler_innen untereinan- älter und größer geworden und plötzlich hat dann auch die der. In der Jetzt-Zeit besteht eigentlich untereinander eine Stadt oder der Subventionsgeber Einfluss genommen auf die bessere Kommunikation. Es gibt kein Konkurrenzdenken verantwortlichen Theatermacher_innen. Plötzlich sind diese oder dass man dem anderen was wegnehmen will, sondern frei entstandenen Gruppen bestimmt worden von der Kultur- man versucht gemeinsam, dass jeder für sich seine Art von abteilung, auch dahingehend wer ihnen nachfolgt. „Wenn ihr Theater präsentieren kann. Geld haben wollt von uns, dann bestimmen wir, wer das wei- ter macht.“ Es hat viele Größen gegeben in Wien, wie Hans Zambrano: Auch keinen Neid? Gratzer am Schauspielhaus, Helmut Wiesner am Theater an Achatz: Ich finde nicht. Deshalb freut es mich, sozusagen der Gumpendorfer Straße. Dann hat es die große Reform als auslaufender Akteur, dass es so viele junge Leute gibt, die gegeben: Die Kleinen aussterben zu lassen und die Großen sich entschlossen haben, Theater zu machen, auf kleinstem zu fördern, aber mitzubestimmen, wer sie leitet. Erwin Piplits Raum, mit kleinstem Budget und dass etwas nachkommt und ist das beste Beispiel dafür. Er wird zu Tode geehrt, aber in daraus wieder was entsteht. Aus dem klagenfurter ensemble der Brieftasche ist nichts drinnen. 79 haben sich kleine Splittergruppen ergeben, das Theater In Berlin ist halt alles möglich, aber ohne Geld. Hinter WalTzwerk, das Theater im Landhauskeller. Dann war es jedem Schaufenster: Schauspielschule, Theater, Kellertheater, eigentlich vorbei. Lehner ist ungefähr gleich alt wie ich und Kellertheater im 7. Stock oder im 8. Stock oder Zimmerthea- hat das durchgezogen über 20 Jahre, aber es hat sich nichts ter. Die Frage ist, lebe ich dieses Leben weiter, dieses Künst- daneben entwickelt. Wir hatten auch immer das Problem, lerleben, mit nichts, und versumpfe eventuell und schaffe es Schauspieler_innen zu finden, Junge, die sich das antun mit nicht in die etablierten großen Häuser? Dann ist es vielleicht dem Wenigen, das zur Verfügung steht, zu arbeiten. Es gab sinnvoll zurückzugehen, wo ich herkomme, um zu schauen, sicher Leute, die zum Theater wollten, aber die wollten dann was kann ich dort bewegen. gleich an die großen Häuser oder hatten eine andere Vorstel- Jetzt sind mehrere da und der Kuchen wird kleiner. lung von allem. Aber so von der Picke auf etwas aufzubau- Anstatt zu sagen: „Das ist toll, wenn die Jungen wieder her- en, da hat es eigentlich wenige gegeben. Und es freut mich kommen, die Szenerie belebt wird, also stocke ich auf und

50 gift 03/2015 unterstütze sie.“ Das passiert überhaupt nicht. Dann haben langsam auslaufendes Ende meiner Karriere beim WalTzwerk, wir natürlich auch noch diese Situation unseres Finanzskan- weil Die Eröffnung ein Stück ist, wo es um den Schauspieler dales mit der Bank. Das ist natürlich eine herrliche Ausrede geht und wie man mit dem Leben und dem Leben am Theater für alle: Wir haben kein Geld, weil ... Das wird auch stimmen. zurechtkommt. Das wäre für mich eine wunderbare Ausei- Aber ich muss deswegen trotzdem in die Zukunft denken, an nandersetzung im Rückblick auf alles, was ich gemacht habe. den kulturellen Boden. Der braucht einen Humus, ansonsten Noch dazu mit einem wunderbaren Regisseur, den ich hier trocknet er aus und dann gibt es gar nichts. Dann ist man am Stadttheater kennen lernte, Karl Kneidl. Weiter will ich vielleicht auch zufrieden. Dann ist aber alles vorbei. gar nicht vorausdenken. Was mich momentan beschäftigt und mich immer wieder sehr ausfüllt, sind szenische Lesungen. Zambrano: Man sieht aber auch, dass Leute, die an großen Im Kleinen. Das hat mir bei der Geschichte des Ozeanpianis- Theatern tätig sind, diesen Entschluss fassen, vom Großen ten (Novecento. Die Legende vom Ozeanpianisten) wieder ins Kleinere zu gehen. gezeigt, dass die Leute gerne zuhören, mit wenig zufrieden sind und eigentlich wieder Sehnsucht danach haben, einfach Achatz: Natürlich. Es heißt ja nicht umsonst die freie Szene. nur zu lauschen. Also, Geschichten wirklich zu erleben. Die Es ist ein dehnbarer Begriff. Was ist die Freiheit dann? Die Zukunft liegt jetzt bei den Jungen, und die sollen ihre Pläne Freiheit ist, mit wenig Geld auszukommen. Das ist einmal das umsetzen. Wenn sie mich brauchen, werde ich in Zukunft erste. Aber die Freiheit, das zu tun, was in deinem Kopf vor- auch dabei sein, aber sonst würde ich das eher aus der zwei- geht, hast du tatsächlich. Wie du Geschichten erzählen willst. ten Linie betrachten. Und das Schönste ist es vielleicht, im Welche Formen du entdecken möchtest. Und du bist nicht an Inneren ein paar Pläne zu haben, aber das andere auf sich ein großes Haus mit dem ganzen Verwaltungsstab gebunden, zukommen zu lassen. Weil dann ist das meistens dabei, wo- sondern kannst wirklich kreativ sein. Da kann man natürlich rauf man gewartet hat oder was einem bestimmt ist zu ma- schon sehr viel bewirken. Auch in der freien Szenerie. chen. Und ich glaube, so habe ich es in den letzten 35 oder 40 Jahren gemacht. Ich hab eigentlich immer das, wohin ich Zambrano: So in die Zukunft blickend: Welche weiteren wollte, nicht sofort bekommen, aber ein bisschen später. Aus Produktionen sind geplant mit dem WalTzwerk und welche dieser Zufriedenheit kann man, glaube ich, ganz gut auch in Inszenierungen, die dir am Herzen liegen, möchtest du in den der freien Szene überleben. || nächsten Jahren unbedingt realisieren? Achatz: Das ist ganz schwer zu beantworten, weil man wie- der zurückkommt auf diese budgetäre Situation und auch eine gewisse Müdigkeit langsam auftaucht. In nächster Zeit inszeniere ich, zwar nicht beim Theater WalTzwerk, eine Kir- chenoper. Auch in Graz, am Next Liberty Theater, mache ich ein Kinderstück. Im Sommer wollen wir Turrini am Tonhof Infos spielen, das liegt mir sehr am Herzen – hängt aber wirklich Der aktuelle Spielplan und weitere Informationen über in der Luft. [Anm.: Mittlerweile wurde diese Produktion auf- Theater WalTzwerk auf: grund des verhängten Zahlungsstopps für Ermessensausgaben http://waltzwerk.at in Kärnten auf Eis gelegt.] Das wäre für mich aber so ein

szene 51 52 gift 03/2015 © Rupert Larl: L'Orontea Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, 2014

szene 53 Teilnehmerinnen der Kulturwerkstatt von spacelab_gestaltung Das Eigene und das Fremde © spacelab Jugendliche testen mittels Theater die Verhältnisse aus: ein Blick in die Kulturwerkstatt des spacelab_gestaltung Xenia Kopf

30. April 2015 im WUK Museum: der kleine, zum Theater umfunktionierte Raum ist voll mit großteils jugendlichen Zuschauer_innen, es ist kein Sitzplatz mehr frei, die Stimmung ist aufgekratzt. Auf der Bühne begegnen einander fünf so genannte „Deppen“ im Wartezimmer eines Psychiaters, gespielt von jungen Laiendarsteller_innen und mit so sprechenden Namen wie: Goldrausch, Stammgast, Arschgeige, Prolet und Powererbse. Diese fünf Figuren dreschen „nach Herzenslust“ beinharte Klischeebilder von fünf Gesellschaftsgruppen der Stadt Wien und befl egeln einander gnadenlos. Das Publikum amüsiert sich gut, u. a. auch über die auf Türkisch hingeworfenen Sprüche. Sprachbarriere einmal andersrum. Nach den Brüskierungen kommt es zum off enen Konfl ikt in der Gummizelle und schließlich (recht übergangslos) zu einem Moment der Erkenntnis: hinter diesen Klischeebildern stecken doch Menschen mit individuellen Charak- tereigenschaften, die, wie der Untertitel des Stücks schon sagt, „eigentlich ganz okay“ sind. Beim anschließenden Publikumsgespräch fasst einer der Darsteller_innen die Kernaussage des Stücks zusammen: „Es geht uns darum: Ein guter Mensch ist ein guter Mensch, egal welcher Hautfarbe.“

54 gift 03/2015 Das Stück 5 Deppen in der Psychiatrie. Eigentlich bist du Taschengeld bzw. die so genannte DLU (Beihilfe zur Deckung ganz ok ... sieht auf den ersten Blick wie eine ziemlich platte des Lebensunterhalts) ausbezahlt. Dadurch ermöglicht space- Screwball-Comedy inklusive Exotismus und ‚Moral von der lab den Jugendlichen einerseits Berufsorientierung und ande- Gschicht’ aus und ist für die feinfühligen Theatergänger_in- rerseits einen strukturierten Tagesablauf, um den Einstieg in nen der österreichischen Mehrheitsgesellschaft nur schwer eine Lehrstelle oder ins Berufsleben zu erleichtern. Finanziert verdaulich. Es hat aber einen sehr realen und sehr ernsten wird das alles von waff, AMS und der MA 13. Hintergrund: Die Macher_innen des Stücks sind durchwegs Jugendliche zwischen 15 und 25, viele davon mit Migrations- hintergrund (jooo), die in diesem Stück ihre persönlichen ... und das Theater Alltagserfahrungen von Rassismus und Diskriminierung ver- arbeitet haben. Die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen Jeder Standort hat seinen eigenen Schwerpunkt; der neues- dazu gibt ihnen die Kulturwerkstatt des spacelab_gestaltung te unter ihnen ist jener am Sachsenplatz im 20. Bezirk: das am Sachsenplatz im 20. Bezirk. spacelab_gestaltung – erst seit Anfang 2015 im Vollbetrieb – verfügt über eine so genannte Kulturwerkstatt. Hier befassen sich die Jugendlichen sowohl als Konsument_innen wie auch Das spacelab, die ‚NEETs’ ... als Produzent_innen mit Kunst und Kultur. Neben gemein- samen Besuchen in Galerien, Ausstellungen und Theaterauf- spacelab1 ist ein niederschwelliges Arbeitsmarktprojekt für Ju- führungen3 erlernen sie Graffiti-Techniken, Fotografie, textiles gendliche, die sich aktuell nicht in Ausbildung, Lehre oder im Gestalten sowie als Hauptschwerpunkte Radio und Theater. Berufsleben befinden. Die Sozialforschung hat dieser Gruppe Dass Theater bzw. Kultur ein so zentrales Element eines Bil- den Namen NEETs gegeben: Not in Education, Employment dungs- und Beschäftigungsprojektes ist, ist eine erfreuliche or Training.2 NEETs sind häufig Migrant_innen der ersten Ge- Überraschung. Die Idee stand schon fest, lange bevor der neration und auch knapp mehrheitlich junge Frauen. Unter neue Standort überhaupt in Betrieb ging. Ursprünglich hätte der Trägerschaft des WUK und in Kooperation mit Volkshilfe es überhaupt eine Theaterwerkstatt werden sollen, schließlich Beschäftigung, Verein Wiener Jugendzentren, Wiener Volks- wurde sie auf ‚Kultur’ ausgeweitet. hochschulen und dem Verein sprungbrett für Mädchen hat Das Stück Fünf Deppen in der Psychiatrie ist das erste das Projekt mittlerweile vier Standorte in Wien aufgebaut. fertig gestellte und zur Aufführung gebrachte Stück von den Das Angebot besteht aus fünf Modulen: offene und aufsu- Teilnehmer_innen der Kulturwerkstatt. Alles stammt von den chende Jugendarbeit, Perspektivenentwicklung, Tagestraining, Jugendlichen selbst: die Idee, das Thema, die Figuren, der Werkstättentraining und Bildung. Die Standorte sind wie Ju- Text, die Dramaturgie, die Regie, das Bühnenbild, bis hin zu gendzentren organisiert, mit offenen Aufenthaltsräumen für Programmheft und Einladungstext. Die Leiter_innen der Kul- Freizeitbeschäftigung, Bereichen für Beratung in Bildungs- turwerkstatt, Jennifer Vogtmann (Schwerpunkt Theater) und und Berufsfragen und als Kernstück den Werkstätten. Hier Mischa Hendel (Schwerpunkt Radio), stellen ihnen Struktur, können die Jugendlichen verschiedene Berufe austesten, die Organisation, Räume und Equipment sowie Unterstützung vom Gärtnern übers Tischlern bis zur Medienarbeit reichen. in der Kommunikation untereinander und nach außen zur Sie können tageweise oder fix für die Dauer von sechs Mo- Verfügung. Sie bieten auch notwendiges ‚Handwerkszeug’ an, naten in den Werkstätten arbeiten und bekommen dafür ein wie Improvisationsübungen oder Theater DJing4, steuern aber

szene 55 inhaltlich-dramaturgisch fast gar nicht. Die Teilnehmer_innen nach einer Woche voll in die Gruppe integriert“, erzählt Vogt- hatten also de facto völlig freie Hand in der Gestaltung des mann dazu. Über einen Ressourcen- und Interessenscheck im Stücks. Mit positiven wie auch kritischen Konsequenzen. Team ergab sich die Aufgaben-Verteilung, wobei die Teilneh- mer_innen die Gleichwertigkeit und Wichtigkeit aller Tätig- keiten vom Schauspielen bis zum Bühnenbild direkt erleben Entwicklung des Stücks konnten.

Ausgangspunkt für die Entwicklung des Stücks war ein großes Brainstorming zur Frage: Was kann der Begriff ‚Kultur’ ei- Kultur (Theater) als Arbeit gentlich alles bedeuten? In der damals noch leeren Werk- statt zog sich das Netzwerk an Gedanken über die ganze Was die Jugendlichen in der Kulturwerkstatt kennen lernen, Wand hin. Schnell wurde klar, dass die Teilnehmer_innen sind die unzähligen Facetten von Kunst und Kultur bzw. von zum Thema ‚Das Eigene und das Fremde’ arbeiten wollten: Theater im Speziellen, unter anderem auch den Produktions- zu Selbst- und Fremdwahrnehmung, Vorurteilen und kultu- hintergrund. Sie erleben Theater (wie auch Radio, Fotografie, rellen Differenzen, mit den verbindenden Gemeinsamkeiten Schreiben, ...) als Arbeit, für die Zeit, Energie und Engage- als Fluchtpunkt. „Die Jugendlichen haben hier, im ‚kulturellen ment aufgewendet werden muss, die das Zusammenarbeiten Schmelztiegel’ Wien, Diskriminierung und Bevorurteilung auf im Team erfordert. Die aber auch in mehrfacher Hinsicht ho- Grund von unterstellter Herkunft erlebt. Sie nehmen wahr, noriert wird, durch Anerkennung wie auch durch ein (kleines) wer als ‚Dieb_in’ abgestempelt wird, wer auf Grund ihres_sei- Einkommen. nes Aussehens regelmäßig von der Polizei kontrolliert wird Die Kulturwerkstatt zeigt nicht nur, dass Kultur (auch) – und wer nicht“, so Jennifer Vogtmann. Ebenso kristallisierte Arbeit ist, sondern auch, dass Kulturarbeit erlernbar ist. sich bald heraus, dass bei dem Stück auch „gelacht werden Auf der anderen Seite fächert sie den Begriff der Arbeit auf. sollte“, schließlich sollte sich das Zielpublikum – Jugendliche Arbeit kann ein Beruf sein, sie kann aber auch Teamarbeit im gleichen Alter und aus dem eigenen sozialen Umfeld – oder die Arbeit an sich selbst bedeuten. Oder, wie im Fall auch gut unterhalten. In der anschließenden Schreibwerkstatt des ersten fertiggestellten Stücks, die Arbeit an den gesell- und den Improvisations-Übungen entwickelten sich dann die schaftlichen Verhältnissen: denn die Jugendlichen loten hier überzeichneten Figuren und das Comedy-Format mit den wei- die Verhältnisse nicht nur zwischen Kultur und Arbeit, son- ten Impro-Strecken. dern auch zwischen Identitäten, gesellschaftlichen Gruppen, Entscheidend waren die erste Phase des gegenseitigen Fremd- und Selbstbestimmung aus. In diesem Sinn kann die Kennenlernens und die Bildung einer Vertrauensbasis. Sie Kulturwerkstatt als ein holistisches Bildungsprojekt verstan- ist notwendig für „das Öffnen für einen kreativen Prozess, den werden, das nicht nur fleißige Arbeiter_innen hervor- in einem fremden Raum mit fremden Menschen. Manche bringt, wie es von einem Bildungs- und Beschäftigungsprojekt wachsen aber sehr schnell hinein in so einen Prozess. Eine erwartet wird; sondern sie versucht, Selbstbestimmung zu er- der Schauspieler_innen des Stücks ist tatsächlich erst drei möglichen und den jungen Menschen praktisch zu vermitteln, Wochen vor der Aufführung zu uns gestoßen, war aber schon wie Gemeinschaft funktionieren kann.

56 gift 03/2015 Bei keiner der Proben wurde so viel geschimpft wie bei der Aufführung, es muss also etwas mit dem Lampenfieber zu tun haben.

Die Herausforderungen des Projektes soll, sich bei näherem Hinsehen aber als ein kommunikativer Schutzmechanismus entpuppt. Bei keiner der Proben wurde Für die Leiter_innen besteht die Herausforderung konkret so viel geschimpft wie bei der Aufführung, es muss also etwas darin, sowohl einen geordneten Rahmen als auch genügend mit dem Lampenfieber zu tun haben, das sich einstellt, wenn Freiräume für die künstlerische Entfaltung zu geben. „Die man_frau zum ersten Mal vor Publikum auftritt. Augenschein- Jugendlichen lernen hier z.B., dass es einen Unterschied gibt lich fühlen sich die Teilnehmer_innen, die im Sprechen von zwischen Spaß in der Freizeit und Spaß an der Arbeit. Es vorgegebenem Text noch wenig Übung und Erfahrung haben, ist auch vorgekommen, dass sie selbst strengere Regeln ein- am sichersten ‚hinter’ einer aggressiven Sprache, in der sie gefordert haben,“ so Vogtmann. Für die Zukunft strebt sie wahrscheinlich Alltags-Profis sind. So zumindest eine nahe- bspw. an, die Regie auf mehrere Personen zu verteilen. „Das liegende Interpretation aus der Außenwahrnehmung. Auffäl- ist eine große Herausforderung; es kann schwierig sein, einer lig war außerdem, dass die männlichen Schauspieler wesent- Gruppe gegenüber zu treten. Auch die enge Abstimmung zwi- lich überschwänglicher improvisierten (und schimpften) als schen uns und dem Regisseur, das beeinflusst ganz klar die die jungen Frauen, die sich stärker an den Text hielten (der Gruppen-Dynamik.“ Die Gruppe war, zumindest in diesem ihnen weniger Gelegenheit zu verbaler ‚Verteidigung’ bzw. ersten Turnus, stabil, es bleibt jedoch immer ein Rest Unsi- ‚Gegenangriff’ bot). Ob der Grund dafür nun eine stärker oder cherheit, denn das Ziel bleibt ja der Übergang vom Projekt schwächer ausgeprägte Selbstsicherheit seitens der Frauen ist, in eine Ausbildung oder einen Beruf. als Eindruck verbleibt eine Asymmetrie der Macht zwischen Das erste zur Aufführung gebrachte Theaterstück Fünf den Figuren – zu Lasten der weiblichen. Deppen in der Psychiatrie zeigt sehr deutlich die Vielschich- tigkeit des Projektes. Auf der einen Seite sind Sinn und Wert für die Teilnehmer_innen sehr klar: Selbstermächtigung, d.h. Ein Blick in die Zukunft die Entwicklung von Selbstwertgefühl und Mut, Entschei- dungsfreiheit, Eigenverantwortung; soziale Kompetenzen wie Die Kulturwerkstatt des spacelab_gestaltung ist ein ambitio- Pünktlichkeit, Selbstständigkeit und Verlässlichkeit, Team- nierter Work-in-Progress. Ihre Ziele im (Aus-)Bildungsbereich Arbeit und Strategien der Konfliktlösung. „Eine der Teilneh- sind weitgehend abgesteckt, während die notwendigen Pro- merinnen ist in den sechs Monaten richtig aufgeblüht, sie zesse, Strukturen und schließlich auch die angepeilten kul- ist sichtbar selbstsicherer geworden. Zuerst wollte sie keine turell-künstlerischen Ergebnisse noch offen sind. Vernetzung Rolle übernehmen, später ist sie dann doch als Schauspielerin und Austausch mit dem professionellen Theaterbereich – etwa eingestiegen. Bei der Aufführung kam es dann zum ersten Mal mit Gruppen, die schon im Rahmen von Macht | schule | the- überhaupt zu einer Interaktion zwischen ihr und den anderen ater gearbeitet haben, oder mit dem diverCITYLAB6 – könnte Schauspieler_innen. Sie hat mittlerweile sogar bei einem Poe- die Theaterarbeit der Kulturwerkstatt wesentlich bereichern: try Slam Wettbewerb teilgenommen“, freut sich Vogtmann. u. a. um wertvolle künstlerische Perspektiven und Werkzeuge Auf der anderen Seite zeigen sich aber auch Defizite des Theaters, um einen sensiblen Umgang mit Rollen und Rol- und kritische Punkte. Allen voran das erschreckende Aus- lenbildern und dem entstehenden Machtgefüge im Team (z.B. maß an verletzender Sprache,5 das vordergründig witzig sein zwischen den Schauspieler_innen, aber auch zwischen den

szene 57 Die Wiener Kulturpolitik hat schon vor einem halben Jahrzehnt ihre Verantwortung für Projekte wie die Kulturwerkstatt proklamiert – aber spiegelt sich das in der Förderpolitik entsprechend wider?

Rollenfiguren). Umgekehrt profitiert natürlich die gesamte Kulturförderungen erhalten sollte? Dass ein soziales, bil- Kunst- und Kulturszene, wenn junge Menschen sie näher dungspolitisches Projekt überhaupt Gelder aus dem Kultur- kennen lernen (Stichwort ‚Publikumsentwicklung’). Projekte ressort erhalten sollte? Solche Debatten flammen etwa an wie die Kulturwerkstatt tragen praktisch dazu bei, den Kul- Projekten der Caritas (die ist nämlich groß und dem Sozial- turbereich zu öffnen, sein elitäres Image aufzubrechen, neue bereich zugehörig) immer wieder auf und sind angesichts der Talente und ja, auch kulturelle Vielfalt in die Institutionen zu Prekarität im Kulturbereich sehr verständlich. Möglicherweise holen. Erinnert sich noch jemand an das Thesenpapier Wien könnten aber mehr Solidarität und Kooperation zwischen den denkt weiter des Kulturstadtrates Mailath-Pokorny aus dem ‚Ressorts’ – denen sich die Akteur_innen ganz gerne selbst zu- Jahr 2010? Da steht nämlich u. a.: „Die migrantische Realität ordnen, um sich gegen andere abzugrenzen – sowohl dem frei- unserer Gesellschaft muss sich jenseits der Nischen wider- en Kulturbereich als auch dem unabhängigen Sozialbereich spiegeln und es ist künftig eine der wichtigsten Aufgaben der mehr Gewicht und Gehör verschaffen. Warum sollte es bspw. Kulturpolitik, das zu fördern.“7 nicht möglich sein, dass eine professionelle Theatergruppe Die Wiener Kulturpolitik hat also schon vor einem mit einem Projekt wie der Kulturwerkstatt kooperiert und halben Jahrzehnt ihre Verantwortung für Projekte wie die dafür aus dem Kulturressort gefördert wird? Dann werden Kulturwerkstatt proklamiert – aber spiegelt sich das in der ganz ordnungsgemäß die Künstler_innen für die Kulturarbeit Förderpolitik entsprechend wider? Der Verteilungskampf um bezahlt, die Sozialarbeiter_innen für die Sozialarbeit, und von die knappen (Förder-)Ressourcen befeuert freilich ständig der Zusammenarbeit profitieren beide – wie schlussendlich Konflikte innerhalb des Kulturbereichs (zwischen Großen, die ganze Stadtgesellschaft. Dieser Meinung ist offenbar auch Mittleren und Kleinen) sowie zwischen den Ressorts, in die- der Kulturstadtrat schon lange. In diesem Sinne: sem Fall zwischen Kultur und Sozialem. Darf argumentiert Vielfältige gesellschaftsorientierte Kulturarbeit, raus aus werden, dass ein Projekt des großen Players WUK weitere der Nische! ||

1 http://spacelab.cc/

2 Vgl. zum Thema bspw. Bacher, Johann (u.a.): NEET-Jugendliche: Eine neue arbeitsmarktpolitische Zielgruppe in Österreich, in: WISO 4/2013, S. 103–131

3 Die Erfahrungen der Teilnehmer_innen sind in einer Sendung von spacelab_radio nachzuhören: “Boys awakening” und “5 Deppen in der Psychi- atrie”, https://cba.fro.at/286464

4 Ein Konzept der Theaterpädagogin Maike Plath, vgl. z.B.: Plath, Maike: Freeze & Blick ins Publikum! Das Methoden-Repertoire für Darstellendes Spiel und Theaterunterricht, Weinheim/Basel: Beltz 2011. Dies.: Partizipativer Theaterunterricht mit Jugendlichen. Praxisnah neue Perspektiven entwickeln, Weinheim (u.a.): Beltz 2014

5 Die Toolbox Verletzende Sprache angehen der IG Kultur (2014) bietet Lösungen und Werkzeuge zum Thema: http://igkultur.at/projekte/check- the-facts-mind-the-gap/toolbox-verletzende-sprache-angehen

6 Infos siehe http://www.machtschuletheater.at und http://divercitylab.at/

7 Wien denkt weiter Thesenpapier: Kultur. Für Wien. Für morgen. Für fast alle, S. 14, http://wien-denkt-weiter.at/wp-content/uploads/2010/04/ wien_denkt_weiter_kultur_fuer_wien.pdf

58 gift 03/2015 Kultur-Graffiti in der Kulturwerkstatt von spacelab_gestaltung © spacelab

Xenia Kopf

Kulturwissenschafterin und Redakteurin. Arbeitsschwerpunkte: nationale und europäische Kulturpolitik, Stadtkultur, Freies Theater und Filmgeschichte.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin der österreichischen kulturdokumentation sowie Redakteurin, Bildredakteurin und Grafikerin der gift. Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien. Letzte Publikationen: Räume kreativer Nutzungen. Potenziale für Wien (departure, 2014). „Der Kampf des Menschen mit der sogenannten Natur“ Zur Figuren-Konstellation in berg berg, in: Vogt / Mörth / Hirt: Ferry Radax. Vision, Utopie, Experiment (Sonderzahl, 2014). Coram Publico. Zur strategischen Inszenierung öffentlicher Räume (Diplomarbeit, 2015). www.kulturdokumentation.org

szene 59 info

intern ausschreibungen

Wir begrüßen unsere neuen Mitglieder Das Wald4tler Hoftheater feiert 30 Wettbewerb für transdisziplinäre Jahre Hörspiel-Konzepte Felix Huber (nicht.Theater Ensemble), DL: 30.7. Wien; Nicole Gerfetz, Bad Vöslau; In- In Pürbach feiert das Theater im wun- grid Hocke, Wien; Jana Schulz, Wien; derschönen typischen Waldviertler Bau- Akademie Graz, Forum Stadtpark, Li- Jan Maria Lukas, Wien; Victoria Lozar, ernhof das 30jährige Jubiläum. Gründer teraturhaus Graz, ORF Steiermark und Wien; Gloria Benedikt, Wien; Gintalitas und Intendant Harry Gugenberger feiert steirischer herbst suchen transdiszipli- Jocius, Wien; Maria Garzon, Wien; Eva- seit dem 13. 5. mit Der Bauer als Milli- näre Hörspiel-Konzepte. Einzureichen Maria Koch (Kompanie Vonnunan), onär und zahlreichen weiteren Produk- sind bisher nicht veröffentlichte Hör- Wien; Emmy Steiner, Wien; Valentin tionen. spiel-Projekte in deutscher Sprache. Das Werner, Wien; Ursula Leitner, Wien; Gewinner-Projekt wird mit dem lime_ Regina Welk (Docha Vienne), Wien; lab Preis in der Höhe von 5.000 Euro Eva Wallensteiner (Theater Feuerblau), www.hoftheater.at ausgezeichnet, darüber hinaus gibt es Wien; Alexander Uhl (Die Amsel), Wien; zwei Förderpreise in Höhe von je 1.800 Angelika Pichler, Wien. Euro. Die Preisvergabe erfolgt durch die ------Jury im November 2015, die Preisver- leihung findet im Dezember 2015 im wir gratulieren! Der Retzhofer Dramapreis wurde Literaturhaus Graz statt. 2016 wird das vergeben lime_lab Sieger-Projekt im ORF on air DANS.KIAS feiert 20 Jahre und im Rahmen des steirischen herbst Der mit 4.000 Euro dotierte Nachwuchs- in seiner Umsetzung präsentiert. Die Wiener Tanz-Company um die Cho- preis für szenisches Schreiben fand reografin Saskia Hölbling gründete sich gleich zwei Gewinnerinnen: Özlem www.steirischerherbst.at 1995, seitdem choreografierte und insze- Özgül Dündar und Miroslava Svoliko- nierte Hölbling über 30 Produktionen va. Die Uraufführungen der prämierten und arbeitete mit (inter-)nationalen Texte finden am Burgtheater Wien und ------Künstler_innen wie Benoît Lachambre, Schauspiel Leipzig statt. uniT: Forum text Anne Collod, Fabrice Ramalingom oder DL: 30.9. Laurent Pichaud etc. zusammen. http://www.dramaforum.at/retzhofer- Bereits zum fünften Mal schreibt das www.dans.kias.at dramapreis DRAMA FORUM von uniT das FORUM

60 gift 03/2015 Text, eine künstlerische Begleitung für Musiktheatertage junge Autor_innen im Bereich Theater festivals 27.8.-12.9., Wien und Performance aus. Der Lehrgang dauert zwei Jahre. ImPulsTanz Festival Das Festival steht für die Neugier, Ge- 16.7.-16.8., Wien sellschaftsthemen im Neuen Musikthe- www.dramaforum.at ater zu erzählen. Eigenproduktionen, Neue Orte, neue Wege, neuer Tanz – internationale Koproduktionen und so lautet die Devise 2015: mehr als 25 Gastspiele reflektieren aktuelle, politisch ------Uraufführungen, Performance, Installa- und sozial relevante Themen. Gespräche Kulturabteilung Land Steiermark tionen und [8:tension] Young Choreo- mit den Künstler_innen, Nähe zwischen 3. Einreichtermin bis 1.Oktober 2015 graphers’ Series und ein Fokus auf die Besucher_innen und den Ausführenden, österreichische Tanzszene. Drei Museen Projekte auch außerhalb des Spielortes Der 3. Einreichtermin 2015 ist von No- öffnen ihre Pforten, um dem zeitgenös- Werk-X stehen auf dem Programm. vember auf 1. Oktober vorverlegt wor- sischen Tanz eine Bühne zu bieten: das den und gilt in erster Linie für Jahres- Weltmuseum Wien, das mumok und das www.musiktheatertagewien.at anträge 2016. 21er Haus für zeitgenössische Kunst werden mit Performances, Installationen http://www.kultur.steiermark.at/cms/ und Aktionen nationaler wie internatio------ziel/44834960/DE naler Künstler_innen gefüllt. STELLA15 – Darstellender.Kunst. Preis für junges Publikum www.impulstanz.at 19.-23.10., Wien ------Nach Vorarlberg (2012), Steiermark ASSITEJ World Congress 2017: Thea------(2013) und Tirol (2014) kommt der terproduktionen gesucht bestOFFstyria STELLA erstmals seit 2008 wieder nach DL: 30.4. 2016 8.-12.9., Graz Wien. Der einzige nationale Preis für herausragende Leistungen in der Dar- Vom 17. bis 27. Mai 2017 findet der Das Festival der freien Theater in Graz stellenden Kunst für junges Publikum Weltkongress der ASSITEJ in Kapstadt – 6 Projekte der freien steirischen The- bietet ein 5-tägiges Festival mit acht statt, womit erstmals in der Geschichte aterszene werden wieder zum alljähr- nominierten Produktionen sowie einem der ASSITEJ ein Weltkongress auf dem lichen bestOFF geladen und spielen fünf Produktionen umfassenden "Spot afrikanischen Kontinent stattfindet. Ab um den theaterlandPREIS 2015. Aus on Wien". Eine 3-köpfige Jury sichtete jetzt können sich Theater aus aller Welt 32 Einreichungen wurden Aufräu- über 120 Premieren in ganz Österreich, mit ihren Stücken für den Weltkongress men (Theater im Bahnhof), Chivalry is um die Nominierungen auszusprechen; bewerben (International Platform) und/ dead (The Loose Collective), Der klei- eine internationale Jury wählt vor Ort oder gemeinsam mit einem Theater in ne hässliche Vogel (Follow the rabbit), die Gewinnerproduktionen aus, die in einem afrikanischen Land ein Projekt Ein Sommernachtstraum. eine De- der feierlichen Abschlussgala am 23.10. zur Kooperation vorschlagen, das sie in konstruktion (Spielraumensemble 02), vergeben werden. Außerdem: Diskurs- Kapstadt zeigen möchten (Collaborative H’amlet (theater t’eig) und Kramer veranstaltungen, Dialoge, Workshops Platform). gegen Kramer (2. Liga für Kunst und und abendliche Get Togethers im Festi- Kultur) nominiert. valzentrum im DSCHUNGEL WIEN. Alle weiteren Informationen finden sich unter www.assitej2017.org.za www.theaterland.at www.assitej.at/stella

info 61 62 gift 03/2015 © Rupert Larl: L’Euridice Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, 2013

Impressum: gift – zeitschrift für freies theater ISSN 1992-2973

Medieninhaberin, Herausgeberin, Verlegerin: IG Freie Theaterarbeit, ZVR-Nr. 878992823 Gumpendorferstraße 63B, A-1060 Wien Tel.: +43 (0)1/403 87 94 [email protected] www.freietheater.at

Redaktion: Jürgen Bauer, Katharina Ganser, Sabine Kock, Xenia Kopf, Stephan Lack, Barbara Stüwe-Eßl, Andrea Wälzl, Carolin Vikoler (koordinierende Redakteurin); Bildredaktion & Layout: Xenia Kopf

Offenlegung lt. § 25 Mediengesetz: Blattlinie: Fachzeitschrift für Kulturpolitik, Diskurs, Vernetzung im Sektor Darstellende Kunst. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung der IG Freie Theaterarbeit wieder.

Geschäftsführung: Sabine Kock Vorstand: Katharina Dilena, Jury Everhartz, Thomas Hinterberger, Alexandra Hutter, Tristan Jorde, Asli Kislal, Sabine Mitterecker, Claudia Seigmann

Einzelverkaufspreis: Euro 5,- / 2,50 ermäßigt für Studierende Abo: Euro 20,- / 10,- ermäßigt für Studierende Erscheinungsweise: 4 Ausgaben pro Jahr

info 63 Premieren

25.7. 4.8. 11.9. Johanna Tatzgern / Doris Stel- Philipp Gehmacher: my shapes, newspacecompany: zer: all inclusive your words, their grey Der Fuchs 14.7. Areal der alten Weberei Felixdorf, 21er Haus Wien – ImPulsTanz GALERIE im Ersten teatro caprile: Piz Buin – eine Viertelfestival NÖ Festival [email protected] theatrale Expedition in die 16.09. Firnenwelt 27.7. 5.8. Company Two in One: Treffpunkt: 09.15 Bielerhöhe/Sil- Claudia Bosse: a second step to Margit Mezgolich: Der Aufsatz Break.Out vretta, 05556 722530 IDEAL PARADISE Herrenseetheater in Litschau, Dschungel Wien Weltmuseum Wien – ImPulsTanz 01/58 885 01/522072020 14.7. Festival

Open House Theatre Company: 5.8. 17.09. Was ihr wollt 27.7. Akemi Takeya: Little Stories Kind im Wirbelwind Schloss Pötzleinsdorf, Hinterreithner & Hauser: About S.O.S.: Signs Of Solidarity Dschungel Wien 0680 / 225 12 90 Mezzanin Kasino am Schwarzenbergplatz – 01/522072020 Odeon Werkstätten Wien – Im- ImPulsTanz Festival 18.7. PulsTanz Festival 17.9. Barbara Kraus: Close my eyes 11.8. Projekttheater: and see 28.7. Florentina Holzinger / Vincent Foxfinder Schauspielhaus Wien – ImPuls- Anne Juren: The Point Riebeek: Schönheitsabend Johanniterkirche Feldkirch Tanz Festival 21er Haus Wien – ImPulsTanz Kasino am Schwarzenbergplatz 0664/432 87 25 Festival Wien – ImPulsTanz Festival 21.7. 23.9. Akemi Takeya: Lemonism x 29.7. 12.8. kunstkollektiv JAWUI: Actionism Superamas: History of Violence Christine Gaigg / Klaus Schedl: zuckerwattewolken mumok Wien – ImPulsTanz Weltmuseum Wien – ImPulsTanz untitled (look, look, come closer) WUK Wien Festival Festival 21er Haus Wien – ImPulsTanz [email protected] Festival 22.7. 29.7. 24.09. Peter Faßhuber: Zur schönen Amanda Piña & Daniel Zim- 12.8. Morgen Alaska Aussicht mermann: Four remarks on the Armes Theater Wien: Kinder der Dschungel Wien, Theater Oberzeiring history of dance Sonne 01/522072020 0664 / 8347407 Kasino am Schwarzenbergplatz Wiener Volksliedwerk („Bockkel- Wien – ImPulsTanz Festival ler“), 0699/816 39 394 22.7. 25.9. nicht.THEATER Ensemble: Saskia Hölbling: Assemblage 30.7. 13.8. _objects in the mirror are closer humain Tanztheater Wien: Back to the Claudia Bosse: a third step to than they appear Schauspielhaus Wien – ImPuls- Future IDEAL PARADISE F23 – Zusammenbau, tickets@ Tanz Festival Wien – ImPuls- Weltmuseum Wien – ImPulsTanz nichttheater-ensemble.at Tanz Festival Festival 23.7. 3.10. Zak Ray: mumok troll 31.7. 15.8. Christian Suchy: mumok Wien – ImPulsTanz Claudia Bosse / Alexandra Zak Ray: M. A. D. The Persona- Bluad, Roz und Wossa Festival Sommerfeld: ZOCK lity Show TAG Wien, 01/586 52 22 mumok Wien – ImPulsTanz Schauspielhaus Wien – ImPuls- 23.7. Festival Tanz Festival Ian Kaler: o.T. | (gateways to 10.10. Tanzwut Ecclesia Saltans movement) 1.8. 17.8. Toihaus Theater Salzburg WUK Wien – ImPulsTanz Festival Theater ASOU: Pinguin People Ernst M. Binder: Gier 0662 /874439 Dom im Berg, Graz – La Strada dramagraz, 0699/10625313 24.7. 17.10. Christine Gaigg & Group: Char- 4.8. 10.09. Franziska Henschel: ged Documents Elisabeth B. Tambwe: Le Poulet Höflich wie ein Löwe It is very easy to love alone mumok Wien – ImPulsTanz mumok Wien – ImPulsTanz Dschungel Wien Altes Hallenbad Feldkirch Festival Festival 01/522072020 [email protected]

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64 gift 03/2015 Euro 5,- / 2,50 ermäßigt für Studierende P.b.b. Verlagspostamt 1060 Wien Zul. Nr. 09Z038334M