KULTUR ALS REZEPT Editorial2 ACHTUNG, Zeitgenössische Kunst Und Kultur Können Ihr Leben Verändern!
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ig kultur Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda 1.19 KULTUR ALS REZEPT editorial2 ACHTUNG, zeitgenössische Kunst und Kultur können Ihr Leben verändern! Kunst wirkt, zweifelsohne. Zeitgenössische Kulturarbeit ebenso. begleitet. Nur wenigen gelingt es, finanzielle Nachhaltigkeit zu WIE sie wirkt, ist allerdings eine umstrittene Frage – vor allem, erreichen. Rahmenbedingungen, die auch strukturell ein Zu- wenn die Frage nach den notwendigen Rahmenbedingungen, sammendenken und -arbeiten von Kunst und Kultur, Sozial- und damit zeitgenössische Kunst- und Kulturarbeit wirken kann, Gesundheitswesen ermöglichen, fehlen weitgehend. Zu stark ist ohne wirken zu müssen, gestellt wird. In den letzten Jahrzehnten das Silodenken in Förderpolitik und -verwaltung verankert, die erhielt der Diskurs über die Wirkung von Kultur einen stark neo- säuberlich trennt: Entweder wird eine Aktivität künstlerischen liberalen Einschlag, getrieben durch eine Instrumentalisierung, Ansprüchen gerecht, sie dient therapeutischen Zwecken oder sie die Kultur auf einen wettbewerbsrelevanten Standortfaktor und ist eine Sozialmaßnahme. Erste Ansätze in Richtung eines Pa- Katalysator für Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze und Innova- radigmenwechsels lassen sich auch in Österreich identifizieren. tion reduziert. Wer wie an welcher Kunst und Kultur partizipieren So gibt es mit der „Kompetenzgruppe Entstigmatisierung“ eine kann, wird dabei nicht gefragt. Denn soziale Fragen zu stellen erste, institutionalisierte Mental-Health-In-All-Policies Platt- und komplexen und vielschichtigen Zusammenhängen nach- form der Zusammenarbeit zwischen Praxis und Verwaltung aus zugehen, deren Erklärungen länger als ein Elevator Pitch sind, ist Kunst, Kultur, Gesundheit, Bildung und Sozialem. Im interna- nicht mehr en vogue – oder wird auf Nischendiskurse am Rande tionalen Vergleich hat Österreich jedoch gegenüber anderen der politischen Wahrnehmbarkeit verschoben. Ländern einen enormen Nachholbedarf, wie Edith Wolf Perez in ihrer Analyse zu den Wirkungen von „Community Tanz“ feststellt. Diese Ausgabe des IG Kultur Magazins begibt sich auf eine Ein Blick über den nationalen Tellerrand lohnt sich: Spurensuche und fragt: Wofür kann Kultur ein Rezept sein? Im großen Feld des Sozialen verengen wir den Blick ganz bewusst In Finnland wurde in interministerieller Zusammenarbeit eine auf einen Aspekt, der die Rezeptanalogie wörtlich nimmt: Welche Strategie zur Stärkung des Wohlbefindens verabschiedet. Sie Schnittstellen gibt es zwischen Gesundheit, Wohlbefinden und setzt – zusätzlich zur regulären Kulturförderung – sowohl auf Kulturarbeit? Kann Kulturarbeit dazu beitragen, sozialen Aus- Kunst als vorbeugende Maßnahme, als Teil der Sozialarbeit schluss zu verhindern bzw. zu vermindern? Wer hat überhaupt sowie als Teil des Gesundheitswesens und der Rehabilitation. Zugang zu den Möglichkeiten, die Kunst und Kultur bieten? Großbritannien, das in diesem Zusammenhang als Pionierland Vorstellungen von Gesundheit und (vermeintlicher) Normalität gilt, unterstützt „Kunst auf Verschreibung“. Impulse kommen werden hier schnell zu Ausschlussfaktoren, wie die Praxis zeigt. auch von EU- und UN-Ebene. Einer Initiative Österreichs ist es Es geht daher auch um das Sichtbarmachen kollektiver blinder zu verdanken, dass das Thema „Kultur und soziale Inklusion“ im Flecken, wie das Kollektiv „MAD“ und die Filmarbeit „5 vor 12“ Rahmen einer EU-ExpertInnen-Gruppe bearbeitet wurde. Der verdeutlichen. Kunst kann aber auch Türen zur gesellschaftli- Abschlussbericht vom Oktober 2019 identifiziert Good Practices chen Teilhabe für jene öffnen, die nicht dem Ideal des gesunden, und Handlungsempfehlungen. Die Weltgesundheitsorganisation leistungsstarken Normmenschen entsprechen – und als er- WHO veröffentlichte im November 2019 den ersten Weltbericht wünschten Nebeneffekt einen Beitrag zur Steigerung des Wohl- zu „Kunst und Gesundheit“, der wissenschaftliche Erkenntnisse befindens leisten. Die Palette an Initiativen ist vielfältig: Par- dazu bündelt. tizipationsprogramme für Menschen mit Demenz in Kulturein- richtungen, kunsttherapeutische Methoden zur Prävention von Wussten Sie etwa, dass Kunst ihr Krankheitsrisiko verringern Burnout-Erkrankungen bis zum Zusammendenken von sozialer und die Lebenserwartung steigern kann? Also: ACHTUNG, zeit- Arbeit und Kulturarbeit. Nicht zuletzt kann Kunst als „Rezept“ und genössische Kunst und Kultur können Ihr Leben verändern! Über „Therapie“ die Reflexion der eigenen Situation verordnen und so Risiken und Nebenwirkungen informiert Sie dieses Magazin. für normal gehaltene Vorstellungen ins Wanken bringen. Dass diese durchwegs auch unerwünscht sein können, zeigt der Befund zur sozialen Lage jener, die Kunst und Kultur schaffen… In der Zusammenschau dieser vielfältigen Initiativen ist eines auffällig: Sie sind häufig punktuell und von der aufwändigen Die Redaktion Suche nach Finanzierung aus den unterschiedlichsten Quellen ig kultur impressum3 Abbildung Cover: Escaping the Asylum, 2017 Photographie West Yorkshire / Großbritannien © Jodie Beardmore Teil der Serie „Labyrinth of Mind“, in der die Photographin ihre Diagnose Depression und den Genesungsprozess – changierend zwischen Realität und Imagination, Traum und Alptraum – reflektiert www.jodiebeardmorephotography.co.uk — Zentralorgan für Kulturpolitik ISSN 1818-1694 Medieninhaberin, Herausgeberin, Verlegerin: IG Kultur Österreich, ZVR-Nr. 998858552 Gumpendorferstraße 63b A-1060 Wien Tel.: +43 (1)503 71 20 [email protected], www.igkultur.at Verlagskooperation edition mono / monochrom Redaktion zum Themenschwerpunkt: Yvonne Gimpel, Anja Lungstraß, Claudia Schnugg, Barbara Stüwe-Eßl, Aleksandra Widhofner Grafikdesign: Beate Schachinger, Iris Buchholz für visualaffairs Druck: Druckerei Gerin Offenlegung lt. § 25 Mediengesetz: Blattlinie: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung der IG Kultur Österreich wieder. Geschlechtergerechte Schreibweise ist eine Vorgabe der Redaktion. Wie gegendert wird, wurde den Autor_innen überlassen. Geschäftsführung: Yvonne Gimpel, Vorstand: Simon Hafner, Kerstin Klimmer-Kettner, In Kooperation mit dem Günther Friesinger, Günter Schütter, Eva Falb, Bundeskanzleramt Österreich, Lidija Krienzer-Radojević, David Prieth, Abteilung für europäische und Alina Zeichen internationale Kulturpolitik Erscheinungsweise: 1 Ausgabe pro Jahr Preis: Euro 5,– 1 | 2019 Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda Inhaltsverzeichnis4 02 — 03 32 — 33 Editorial | Impressum Zwischenzeit Edith Sandhofer-Malli im Gespräch 01. PRAXIS 34 — 36 08 — 11 Die Packungsbeilage und ihr Double MAD Ver-rückt Lucie Strecker und KT Zakravsky Michaela D. Wolf 37 12 — 15 Kolumne: Greta von Nazareth Himmelsrichtungen Gebrüder Moped Susanne Blaimschein 18 — 20 02. POLITIK Kunst auf Rezept 40 — 44 Philipp Wegan und Elisabeth Schafzahl Mental-Health-in-All-Policies im Gespräch Monika Nowotny und Anna Fox 21 — 24 45 — 47 5 vor 12. Es wird Zeit Lebensmittel, die man nicht essen kann Ernst Tradinik Martin Schenk 48 — 50 25 — 28 Der Mensch lebt nicht von Brot allein … Hollywood im AKH Monika Wagner Katrin Kröncke und Hagnot Elischka 51 — 53 Warnhinweis: Künstlerische Tätigkeit kann 29 — 31 ihre Gesundheit gefährden Wenn Kunst Türen öffnet Veronika Krenn Brigitte Hauptner 5ig kultur 03. INTERNATIONAL 05. IG ARBEIT 56 — 59 82 — 85 Unsere Empfehlung: Kunst für alle Stadt Raum für Alle Johanna Vuolasto _willi Hejda und Irmgard Almer 60 — 63 86 — 87 Kunst auf Verschreibung Denn sie wissen, was sie tun Katherine Taylor Yvonne Gimpel 64 — 67 Sozialer Zusammenhalt, 06. LITERATUR Gesundheit & Wohlergehen inklusive 88 — 89 Barbara Stüwe-Eßl Dichtersgattin Mario Schlembach 68 — 69 Kolumne: Eure Regeln Andi Wahl 07. KUNST 92 — 94 04. THEORIE Georg Lebzelter 06 — 07 / 16 — 17 / 38 — 39 / 70 — 74 Wie wirkt Kunst? 54 — 55 / 90 — 91 / 95 Claudia Schnugg 75 — 77 Eine vielfältige Musikkultur fördert auch die Gesundheit Claudia Spahn 78 — 81 Tanz ins Wohlbefinden Edith Wolf Perez 1 | 2019 Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda 8 Michaela D. Wolf MAD Ver-rückt Michaela D. Wolf, promovierte Theaterwissenschaftlerin, ist als freie Autorin in Wien tätig. In den Köpfen MAD ist eine komplexe Angelegenheit. Chapeau, so sollte die als Kunst anerkannt? Welt sein. MAD ist ein Verein, der vieles kann, der vieles erreicht hat und noch viel mehr erreichen will. 2013 haben Elisabeth Löffler und Vera Rosner, mit denen ich mich zusammengesetzt habe, gemeinsam mit Cornelia Scheuer und Guido Reimitz im Hintergrund, den Verein mit dem Ziel gegründet, die gesell- schaftspolitische wie kulturelle Situation langfristig zu ändern. Drei Tänzerinnen mit klaren Visionen, exzeptioneller Energie, im und um ihre Rollstühle. Eine Produktion, die mittlerweile durch Rollstuhl. Seit Jahrzehnten in der Szene präsent, haben sie diese die Welt tourt, unlängst in Venedig zur Biennale, und auch nach geprägt und wollen das auch für die folgenden Generationen tun. Sao Paulo eingeladen wurde. Wo auch Erwin Aljukic mit dabei Es ist noch immer ein guter Drive zu spüren, wie auch humorvolle gewesen ist, der in Darmstadt vom Staatstheater engagiert wur- Dankbarkeit für den Mut, trotz der „wohl niedersten je vergebe- de. Dort als Schauspieler mit Behinderung eine Chance zu be- nen 4-Jahresförderung mit 50.000 Euro“ ins Feld eingestiegen kommen, so Aljukic, sei revolutionär. Auch Adil Embaby, ebenfalls zu sein. Hier wird konstruktiv gedacht, dementsprechend – seit in „Every Body Electric“, ist mit dabei. Er ist der erste Tänzer mit 2014 mit Stefanie Strubreiter als Finanzverantwortliche