Erschienen in: Thomas Hecken und Marcus Kleiner (Hg.): Handbuch Popkultur. Stuttgart: Metzler, 2017. - S. 159–163.

D Fernsehen

29 TV-Formate richtung geprägt. Hierin unterscheidet sich das For- mat vom übergeordneten Begriff des >Genres< (vgl. Der >Format<-Begriff rangiert als Typus zwischen Hickethier 2010,152 f.). >Sendung< (singuläres Produkt) und >Genre< (überge- Ein Fernsehformat ist durch fixe optische und ordneter Typus). Ein Genre ist durch etablierte For- akustische Gestaltungsmerkmale (z. B. Logo, Titelme- men des Erzählens und der fernsehästhetischen Dar- lodie) und durch eine unveränderte Dramaturgie be- stellung gekennzeichnet. In Bezug auf gesellschaftli- ziehungsweise einen konstanten Sendungsablauf ge- che Erwartungen stellt ein Fernsehgenre eine Form kennzeichnet. Die gleichbleibenden ästhetischen der kulturellen Praxis dar, durch die eine Orientierung Merkmale und Strukturen dienen als Grundlage der zwischen Programmausrichtung, Sendungsinhalt und jeweiligen Episoden oder Shows (vgl. Mikos 2015, Zuschauererwartung geboten wird. Fernsehgenres 255 ff.). Zusätzlich haben Formate oftmals einen fest werden im deutschsprachigen Raum zunächst nach vorgesehenen Sendeplatz im Fernsehprogramm (z. B. Informationssendung, Unterhaltungssendung oder Samstag-Abend-Show, Vorabend-Serie) (vgl. Lünen- fiktionaler Sendung unterschieden (vgl. Faulstich borg 2013, 94). 2008, 33 ff.). Aufgrund der nationalen Adaptionen kommt Fern- Für das Fernsehen spielt der Formatbegriff eine be- sehformaten in der non-fiktionalen Unterhaltung deutsame Rolle, weil er auf die ökonomische Dimensi- (z. B. Reality-Shows) eine größere Bedeutung als in der on des Fernsehmarkts verweist. Der Formatbegriff fiktionalen Unterhaltung (z. B. Serien) zu. Vor allem gründet in der Optimierung der (internationalen) die Subgenres der Spielshow, der Quizshow und des Vermarktung von Unterhaltungssendungen und in Reality-TV bringen populäre und international erfolg- der Ausrichtung des Fernsehens auf Einschaltquoten. reiche Unterhaltungsformate hervor (vgl. Pluschko- Format ist so z. B. als lizensiertes Remake, Anleitung witz 2010, 157). Fiktionale Formate werden als kom- (Formatbibel), Produktionsmethode undproof of con- plett vorproduzierte und unveränderbare Sendungen cept zu verstehen (vgl. Chalaby 2015). Formate tragen zumeist in Staffeln gehandelt. Somit können Sitcoms der medialen Spezifik des Fernsehens in besonderer oder Quality Drama Series ebenso als Formate ver- Weise Rechnung, unter anderem dessen Serialität, standen werden. Die nationale Adaption besteht hier dessen Innovationsdruck und dessen Suche nach ver- lediglich in der Einpassung in das Sender-Design (z. B. lässlicher Zuschauerbindung. Formate schaffen daher Platzierung des Senderlogos) und im Ersetzen des durch erwartbare Strukturen ein stabiles Publikum Tons mit einer entsprechenden Sprachsynchronisati- (vgl. Türschmann/Wagner 2011). on. Einzelne Sendungen können folglich als Format In Programmanalysen wird >Format< definiert als identifiziert und einem übergeordneten Genre zu- ein Programm, das aus dem Land, in dem es ent- geordnet werden (vgl. Mikos 2015,261). wickelt wird, in ein anderes Land oder in mehrere Dabei kann Format in dreifacher Weise verstanden Länder weiterverkauft und dort adaptiert wird (vgl. werden: (1) als entwickeltes Programmkonzept, das Esser 2010, 502). Die in den Lizenzen festgelegten international vertrieben und national umgesetzt wird Merkmale und Strukturen eines Formats werden (= non-fiktionale Unterhaltungsshows); (2) als in- dann individuell umgesetzt, z. B. über Darsteller/in- haltliche Adaption eines Programmkonzepts, das in- nen oder Moderator/innen. Ein Fernsehformat ist so- ternational vertrieben und national umgesetzt wird mit durch das Verhältnis von internationaler Wieder- (= fiktionale Unterhaltungsserien); (3) als unver- erkennbarkeit und kultureller, nationaler Adaption änderbares, komplett produziertes Programm, das gekennzeichnet und durch seine kommerzielle Aus- international vertrieben und national, in manchen 160 li Gattungen und Medien - D Fernsehen

Fällen synchronisiert, gesendet wird (= fiktionale Un- in 18 Länder verkauft. Am populärsten war die US- terhaltungsserien). amerikanische Version »Ugly Betty« (2006-2010), die Fernsehformate werden durch das Fernsehen mas- wiederum in anderen Ländern im Original oder syn- senmedial verbreitet und sind als standardisierte, chronisiert gezeigt wurde (vgl. Weber 2013). kommerzielle Produkte Teil der populären Kultur. Das Aufkommen von Videoplattformen wie Net- Fernsehserien und Unterhaltungsshows können sich flix und Hulu birgt ein Veränderungspotential für die in vielfacher Weise auf aktuelle popkulturelle Trends Distribution und Lizensierung von Fernsehformaten. und Themen beziehen. Serienfiguren und -ereignisse Netflix bietet Eigenproduktionen von Quality-Dra- können selbst wiederum Teil eines popkulturellen Ka- ma-Series an, z. B. die Crime-Doku »Making a Mur- nons werden. Vor allem durch das Einbinden von Pop- derer« (2015—), die Comedy-Drama Serie »Orange Is musik wird in fiktionalen Formaten und in non-fiktio- the New Black« (2013—) oder »The Crown« (2016-), nalen Unterhaltungsformaten auf Popkultur verwie- eine Biopic-Serie über die frühen Jahre der eng- sen. Die (inter-)nationale Kommerzialisierung von lischen Königin Elizabeth II. Die Vertriebsrechte die- Popkultur durch Fernsehformate wird dabei durchaus ser Serien liegen ausschließlich bei Netflix. Ein Wei- als kritisch angesehen. Dies gilt vor allem für die >cele- terverkauf des Programms als Formatkonzept, For- brificatiom von Popkultur durch Reality-TV-Formate, matadaption oder komplett produziertes Format ist die sich dem Alltag (semi-)prominenter Personen wid- hier genauso wenig möglich wie eine Ausstrahlung men oder diese zu Protagonist/innen unterhaltsam in- auf anderen Sendern oder Videoplattformen (vgl. szenierter, alltagsnaher Geschichten machen. Lindsey 2016). Umgekehrt kann Netflix jedoch die Lizenzen für fremdproduzierte Formate wie der US- amerikanischen Polit-Drama-Serie »House of Cards« Fiktionale Formate: Serien (2013-) erwerben. Zudem führt Netflix ehemalige oder länger zurück- Für die fiktionale Fernsehunterhaltung sind vor allem liegende Fernsehsendungen in Eigenproduktion fort, serielle Fernsehformate kennzeichnend (s. Kap. 30). etwa die Sitcom »Füller House« (2016) als Sequel zur Der prinzipiell offene Handlungsverlauf, wiederkeh- beliebten US-Sitcom-Serie »Full House« (1987-1995). rende Charaktere sowie deren wechselseitige Verflech- Neue Formate adaptieren die Ästhetik früherer Sen- tung in Konfliktstrukturen sind zentrale Merkmale dungen und überführen diese in gegenwärtige Erzähl- fortlaufender Serien (vgl. Plake 2004, 148 ff.). Zu un- konventionen und reichern sie mit popkulturellen Re- terscheiden sind Episodenserien (z. B. »Der letzte Bul- ferenzen an (z. B. bei der Adaption des Spielfilms le«), Mehrteiler (z. B. »Das Boot«), die Sendereihe »Westworld« aus dem Jahr 1973 durch die gleichna- (z. B. »Tatort«), die Endlos-Serie (z. B. »Dallas«) und mige Science-Fiction-/Western-Drama-Serie »West- die (Daily) Soap Opera (z. B. »Gute Zeiten, schlechte world« im Jahr 2016). Zeiten«). Letztere ist eine spezifische Form der Fortsetzungs- serie, weil hier alltägliche Themen wie Partnerschaft, Non-fiktionale Formate: Unterhaltungs- Familie, Beruf oder Sexualität in emotionalen, drama- shows tischen Handlungsszenarien präsentiert werden (vgl. Faulstich 2008, 108 f). Soap-Opera-Formate zählen Die non-fiktionale Unterhaltung ist von Unterhal- zu den international erfolgreichsten und am längsten tungsshows bestimmt, die eine televisuelle Eigenwirk- fortlaufend produzierten Serien. Solche langlebigen lichkeit generieren, indem sie non-fiktionale, aller- Formate drehen sich meist um das alltägliche Leben dings selbsterzeugte Ereignisse zeigen (vgl. Schmidt einer Gruppe junger Leute, die, je nach Dramaturgie 2011). Entsprechende Formate werden nach ihrer the- des länger angelegten Story-Verlaufs, stets um neue matischen und konzeptionellen Ausrichtung unter- Personen ergänzt oder reduziert wird. schieden. Mögliche Unterteilungen sind unter ande- Im Gegensatz dazu erzählen Telenovelas längere rem Musikshows (z. B. »Die ultimative Chartshow«), Geschichten, meist aus Sicht einer weiblichen Haupt- Quizshows (z. B. »Wer wird Millionär?«), Spielshows figur, mit klar definierten Anfangs- und Endpunkten. (z. B. »Glücksrad«), Wettkampfshows (z. B. »Schlag Telenovelas stellen eine ideale Basis für nationale For- den Star«), Comedy-Shows (z. B. »Verstehen Sie matadaptionen dar. Die kolumbianische Telenovela Spaß?«) und Talkshows (z. B. »Markus Lanz«) mit den »Yo soy Betty, la fea« (1999-2001) z. B. wurde bis 2010 Unterformen Late-Night-Shows (z. B. »Die Harald 29 TV-Formate 161

Schmidt Show«) und Polit-Talkshow (z. B. »Hart aber stilistischen Auslegungen durch die Kandidat/innen fair«) (vgl. Hickethier 2010, 282 f.). verbunden. Gleichartige Abläufe und Show-Regeln Zu den international erfolgreichsten und populärs- schaffen Gemeinsamkeiten einer (trans-)nationalen ten Unterhaltungsshows zählen die Formate »Who Popkultur, die durch z. T. vorgegebene musikalische Wants to Be a Millionaire?«, »Got Talent«, »Come Kompositionen, Styles, Images etc. abgesichert und Dine with Me«, »Dancing with the Stars« und »Big verbreitet werden und so identitätsstiffend wirken Brother« (vgl. Chalaby 2015, 141 f.). Quizshows grei- können. fen zur Unterhaltung auf popkulturelle Themen und Im Rahmen des europäischen Musikwettbewerbs das Abfragen von popkulturellem Wissen zurück, »Eurovision Song Contest« werden in Deutschland während Tanzshows oftmals aktuelle Popmusik für jährlich spezifische Musikcastingshows produziert die Wettkämpfe verwenden. Reality-Shows sind hy- (u. a. »Unser Star für Oslo« [2010] oder »Unser Lied bride Unterhaltungsformate, die mehrere Sendungs- für Stockholm« [2016]), die der Findung der deut- konzepte kombinieren und dabei auf die Einbindung schen Vertreter/innen dienen. Das US-amerikanische alltäglicher, außermedialer Aspekte der Teilnehmen- Format »Star Search« (1983-1995, 2003-2004) und den abzielen. So verbinden Castingshows wie »Das dessen deutsche Adaption (2003-2004) waren breiter Supertalent« (2007-) oder »Deutschland sucht den angelegt und suchten nach Talenten in den Bereichen Superstar« (2002-) eine Wettkampfshow - im Hin- Music Act, Comedian und Model. Das »Top Model«- blick auf ein (spezifisches) Talent - mit Variete bezie- Franchise ist eine weitere populäre Formatvariante, hungsweise mit einer Musikshow und bieten so ein führend sind »Americas Next Top Model« (2003-) vielschichtiges Unterhaltungsangebot (vgl. Grüne und »Germany’s Next Top Model« (2006-). Hier ste- 2016, 264 ff.). Diese Formate adaptieren die US-ame- hen Mode und Stil als popkulturelle Dimensionen im rikanischen Ursprungsformate »Americas Got Ta- Vordergrund. Popmusik spielt jedoch für die Stim- lent« (2006-) beziehungsweise »American Idol« mungserzeugung eine große Rolle in jeglichen Cas- (2002-2016) unter anderem hinsichtlich der Jury-Zu- ting-Formaten. sammensetzung, der Auswahlverfahren, der Back- Alle Casting-Formate haben gemeinsam, dass ein stage-Berichte, der Kandidat/innen-Präsentation und Talent oder eine Fähigkeit gesucht, vorgeführt, bewer- der Sendungsästhetik (Logo, Titelmelodie etc.). tet, teilweise geschult und letztlich als Kriterium zur Musikcastingshows sind dabei im Vergleich zu an- Auswahl einer oder mehrerer Sieger/innen heran- deren Reality-Shows als genuine popkulturelle For- gezogen wird. Diese Prozesse wiederholen sich in je- mate zu verstehen. Sie stellen allgemein bekannte und der Staffel anhand variierender spannungserzeugen- aktuelle Popsongs und mit diesen verbundene pop- der Elemente. Unterhaltungsformate werden oftmals kulturelle Aneignungs- und Darbietungsformen ins als Promi- oder Celebrity-Varianten produziert, in de- Zentrum der Unterhaltung. Besonders US-amerika- nen dann bekannte Medien- und Fernsehpersonen nische Musikcastingshows sind international erfolg- teilnehmen. Am bekanntesten ist die britische Show reich. »Popstars« brachte zwischen 1999 und 2015 »Celebrity « (2001-) beziehungsweise in mehr als 50 nationale Versionen hervor, das »Idol«- Deutschland »Promi Big Brother« (2013-), die Promi- Franchise wurde seit 2001 in über 40 Länder verkauft Variante der Container-Reality-Show »Big Brother« und insgesamt in mehr als 140 Ländern gesendet. mit teils erschwerten Bedingungen für die Kandidat/ Weitere populäre Formate dieser Art sind »The X Fac- innen. Abenteuer-Formate wie die Dschungelcamp- tor« (2004-) oder »The Voice« (2011-). Alle diese For- Show »Ich bin ein Star... holt mich hier raus!« (2004—) mate folgen dem Prinzip aus Gesangs-Casting, Jury- und deren britische Vorlage »Tm a Celebrity... Get Me Auswahl, Recall-Runden und Finalrunde, wobei je- Out of Here!« (2002-) sind hingegen reine Promi- weils ein gleichbleibendes Sendungsdesign verwendet Sendungen. Im Zentrum steht die scheinbar authenti- wird. In manchen Ländern wurden lokale Musikcas- sche, jedoch eher belustigende und bloßstellende bis tingshows entwickelt, z. B. in Österreich »Starmania« abstoßende Inszenierung (halb-)bekannter Fernseh- (ORF, 2002-2009) oder dessen schweizerische Adap- personen im Rahmen extremer Wettkampf- und tion »MusicStar« (2003-2009). In solchen Formaten Spielsituationen vor dem Hintergrund der Dokumen- performen Laien oder Fans Popsongs, sie greifen auf tation des Lebens im Dschungel. ihr popkulturelles Wissen der musikalischen Darbie- Popmusik ist ein zentraler Bestandteil von Unter- tung zurück und adaptieren dieses für sich. Popmusik haltungsformaten. In Musikshows wie dem britischen wird so auch mit den individuellen modischen und »Top of the Pops« (1964-2006), das unter anderem für 162 II Gattungen und Medien - D Fernsehen

Deutschland (1998-2006), Italien (2000-2006) oder Das Reality-TV-Genre weist generell eine hohe die Niederlande (2000-2006) adaptiert wurde, perfor- Wandelbarkeit auf, einzelne Reality-TV-Formate ver- men (inter-)national erfolgreiche Musik-Acts ihre ak- einen oftmals mehrere inhaltliche und strukturelle tuellen Chart-Hits. Das Format »Sing meinen Song - Aspekte, sodass die Liste der Sub-Formen stets erwei- Das Tauschkonzert« (2014—) basiert auf dem nieder- terbar ist. Reality-Doku-Soap-Formate werden in der ländischen Original »De beste zangers van Nederland« Regel international gehandelt und an die Programm- (2009-), das auch in Schweden (»Sä mycket bättre«, strukturen der jeweiligen Länder angepasst. Auch 2010—) gezeigt wird. Hier interpretieren Sänger/innen Coaching-/Makeover-Formate wie die US-amerika- pro Folge die Songs eines/einer jeweils anderen in ih- nische Abnehm-Show »The Biggest Loser« (2004-, 17 rem persönlichen Stil und wählen anschließend in der Staffeln) werden in vielen Ländern als nationale Varia- Gruppe ihre favorisierte Darbietung. Das Format »Lip tionen des Grundkonzepts ausgestrahlt und sind vor Sync Battle« (2016—) entstammt einem Show-Segment allem in Deutschland (2009-, 8 Staffeln) und Austra- der US-amerikanischen Talk-Show »The Tonight lien (2006-, 11 Staffeln) erfolgreich. Das Format ge- Show Starring Jimmy Fallon«. In »Lip Sync Battle« tre- winnt seine Popularität dabei durch die Kombination ten Fernsehstars gegeneinander mit Playback-Perfor- aus dem Lebens-, Ernährungs- und Fitness-Coaching mances bekannter Popsongs an, die sie in entsprechen- durch die Expert/innen, dem Wettkampf zwischen den Outfits darbieten. Das Format wurde inzwischen den Kandidatinnen und den intimen Einblicken in nach China, Mexiko, Polen und Ungarn verkauft. deren körperliche Einschränkungen und Probleme. In Deutschland wurden vor allem in den Nullerjah- Scripted-Reality-Formate sind fiktionale Sendun- ren reine (Live-)Konzert-Sendungen wie »The Dome« gen, die auf einem Drehbuch basieren, jedoch die (1997-2012) oder »Bravo Super Show« (1994-2010) Kameraästhetik dokumentarischer Reality-Formate produziert, in denen Popstars ihre Hits präsentieren. übernehmen. Besonders populär ist das deutsche For- In Musik-Ranking-Shows wie »Die Hit Giganten« mat »Berlin - Tag & Nacht« (2011-), welches das ver- (2003-2010) oder »Die ultimative Chartshow« (2003-) meintlich authentische Leben junger Menschen in werden Popsongs anhand thematischer Gemeinsam- Berlin zeigt. Das Format wurde unter anderem nach keiten gezeigt und von weiteren Fernsehpersonen Ungarn (»Éjjel - Nappai Budapest« [2013-]), Russ- kommentiert. Diese Sendungen wurden jedoch nicht land (»Moskau - Tag 8r Nacht« [2015-]) und in die als internationale Formate verbreitet. Slowakei (»Bratislava - Den a noc« [2013]) verkauft (vgl. Klug 2016, 51 ff.). Scripted-Reality-Formate ver- deutlichen den internationalen Trend der kostengüns- Non-fiktionale Formate: Doku-Soaps tigen Formatproduktion zwischen Fakt und Fiktion.

Das Reality-TV-Genre lässt sich in eine Vielzahl von Sub-Genres untergliedern, die sich durch die thema- Ausblick tische Ausrichtung der Formate und durch deren Erzählweise ergeben. Der Großteil der Reality-TV- Popmusik spielt in Fernsehformaten eine bedeut- Formate ist durch eine dokumentarische Präsentati- same, jedoch je nach Genreausrichtung der Sendun- onsweise, Soap-artige Erzählweisen sowie Konflikt- gen eine unterschiedliche Rolle: Während Popmusik strukturen, Emotionalität und stereotypisierte Rollen- in den meisten seriellen Formaten zum Stimmungs- verteilungen gekennzeichnet. Gängige Sub-Formen management und zur Dramatisierung gezeigter sind unter anderem Coaching-/Help-Formate (z. B. Handlungen eingesetzt wird, avanciert sie in einigen »Die Super Nanny« [2004-2011], »Raus aus den der oben besprochenen Formate zum Fokus der Dar- Schulden« [2007-]), Makeover-Formate (z. B. das Ab- stellung. Solche genuin popkulturellen Formate sind nehm-Format »The Biggest Loser« [2009-], die Haus- zum einen Teil der musikindustriellen Vermarktung, bau-Sendung »Zuhause im Glück« [2005-]), Sozial- indem sie Hits, Musikvideos oder Musikaufführun- experiment-Formate (z. B. »Frauentausch« [2003—], gen und -konzerte zum Inhalt haben (z. B. »Top of the »Das Model und der Freak« [2007, 2011]), Familien- Pops«, »The Dome«), Zum anderen rückt aber in Formate (z. B. »Die Wollnys - Eine schrecklich große neueren Musikcastingshow-Formaten (z. B. »Pop- Familie« [2011-]) oder Dating-/Beziehungs-Formate stars«, »Deutschland sucht den Superstar«) nicht das (z. B..»Bauer sucht Frau« [2005—], »Schwiegertochter fertige Produkt, sondern dessen (vermeintliche) Ent- gesucht« [2007-]). stehung in den Fokus der Darstellung. In solchen auf 29 TV-Formate 163 die Produktion von Popmusik zentrierten Doku- Türschmann, Jörg/Wagner, Birgit (Hg.): TV global. Erfolg- Soaps verschmelzen Musikaufführung und Soap-ar- reiche Fernseh-Formate im internationalen Vergleich. tige Narration zu einer Fernsehinszenierung, die Kultur- und Medientheorie. Bielefeld 2011. Weber, Tanja: Bettys Glocal Love Affair. Kulturelle Adap- scheinbar Einblicke in die Hervorbringung populärer tionsstrategien am Beispiel von Yo soy Betty, la fea. In: Su- Musik gewährt. sanne Eichner/Lothar Mikos/Rainer Winter (Hg.): Trans- Insgesamt wird Popmusik durch ihre Einbindung in nationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und international gehandelte Fernsehformate global ver- Rezeption neuer Fernsehserien. Wiesbaden 2013,269- breitet und dadurch aufgrund ihrer häufig dienenden 286. Funktion mit ähnlichen Assoziationen und Bedeutun- Axel Schmidt / Daniel Klug gen belegt. Während Chartshows etablierte Bestand- teile des Musikmarktes darstellen, sind es insbesonde- re Musikcastingshows, die zentrale Aspekte eines pop- musikalischen Metadiskurses (u. a. Erfolgsaussichten bestimmter Songs, Qualitätskriterien, ökonomische Zwänge vs. kulturelle Ansprüche usw.) nicht nur auf- greifen, sondern als durch das Fernsehen angestoße- nen Lebenszusammenhang aufführen. Auf diese Weise werden die vermittelte Musik und auch die Vorstellun- gen, die über das Herstellen von und Sprechen über Popmusik vermittelt werden, global homogener.

Literatur Chalaby, Jean K.: The Format Age. Television’s Entertain- ment Revolution. Cambridge 2015. Esser, Andrea: Formatiertes Fernsehen. In: Media Perspekti- ven 11 (2010), 502-514. Faulstich, Werner: Grundkurs Fernsehanalyse. Paderborn 2008. Grüne, Anne: Formatierte Weltkultur? Zur Theorie und Pra- xis globalen Unterhaltungsfernsehens. Bielefeld 2016. Hickethier, Knut: Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart 2010. Klug, Daniel: Scripted Reality-Formate als Erfolgsgarant im Programm deutschsprachiger und europäischer Fernseh- sender. In: Ders. (Hg.): Scripted Reality: Fernsehrealität zwischen Fakt und Fiktion. Perspektiven auf Produkt, Produktion und Rezeption. Baden-Baden 2016, 33-64. Lindsey, Cameron: Questioning Netflix’s Revolutionary Im- pact. Changes in the Business and Consumption of Televi- sion. In: Kevin McDonald/Daniel Smith-Rowsey (Hg.): The Netflix Effect. Technology and Entertainment in the 21st Century. New York/London 2016,173-184. Lünenborg, Margret: Formate. In: Günter Bentele/Hans- Bernd Brosius/Otfried Jarren (Hg.): Lexikon Kommuni- kations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden 2013,94. Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse. Konstanz 2015. Plake, Klaus: Handbuch Fernsehforschung. Befunde und Perspektiven. Wiesbaden 2004. Pluschkowitz, Alois: Das audiovisuelle Produkt am Beispiel des Fernsehens. Definitionen, Analysezugänge, aktuelle Entwicklungen. In: Ingrid Paus-Hasebrink et. al. (Hg.): Einführung in die Audiovisuelle Kommunikation. Berlin 2010,147-179. Schmidt, Axel: Medien/Interaktion. Zum Zusammenhang von Handeln und Darstellen am Beispiel faktualer Fern- sehformate. Baden-Baden 2011.