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Kultur

Everett, 50, wurde 1984 mit dem Inter- natsfilm „“ berühmt. Den größten internationalen Erfolg hat- te der Schauspieler, Sohn eines Offiziers der , mit „Die Hochzeit mei- nes besten Freundes“ an der Seite von . Everett spielt regelmäßig Theater und hat außer seinen Memoiren zwei Romane veröffentlicht.

SPIEGEL: Mr. Everett, Ihre Erinnerungen „Rote Teppiche und andere Bananen- schalen“ sind unterhaltsame Anti-Memoi- ren*. Kein anderer Star würde, so wie Sie, ohne Not all seine Misserfolge und dunk- len Seiten ausplaudern. Sind Sie ein Maso- chist? Everett: Nein. Ich finde, dass es sowieso nicht klassische Memoiren sind, die ich da verfasst habe. Ich schreibe lieber über an- dere Leute als über mich. Ich bin so ein bisschen die Leerstelle im Zentrum des Buchs. SPIEGEL: Eine überaus lebenspralle Leer- stelle. Everett: Ich wollte nur diese außergewöhn- lichen Zeiten beschreiben, die ich erlebt Everett, in einem Videoclip 2000 Everett, Julia Roberts 1998 ACTION PRESS (L.);ACTION (R.) GETTY IMAGES habe. Ich denke, jedes Kapitel ist eine Kurzgeschichte in sich. SPIEGEL: Zum Beispiel die abenteuerliche STARS Geschichte über den brasilianischen Trans- vestiten aus dem Bois de Boulogne in Pa- ris, der in einem Lieferwagen im Park an- „Ich wollte Liebe und Sex“ schaffte und irgendwann grausam ermor- det wurde. Everett: Ja, ein ganz und gar besonderer Der britische Schauspieler Rupert Everett über seine Mensch, ein Freund, von dem ich viel ge- Memoiren, seine Enttäuschung über das Filmgeschäft und lernt habe. Aber mein Buch ist keine Ka- seine Rolle als Kino-Schwuler vom Dienst tharsis, ich wollte mein Leben nicht nach- träglich erklären. Ich wollte nur rausbe- kommen, ob ich all meine Erlebnisse auch beim Schreiben wieder zum Leben bringen könnte. SPIEGEL: Sind Sie zufrieden? Everett: Geschrieben wirkt mein Leben gla- mouröser, als es wirklich war. SPIEGEL: Wirklich? Sie treten doch als Gla- mour-Figur auf, als weltberühmter schwu- ler Filmschauspieler und Freund von Mega- stars wie Madonna. War der Ruhm ein Le- bensziel? Everett: Nein, vielleicht der Erfolg. Das Beängstigende ist doch, dass man immer wieder Türen öffnet oder schließt und man seinem Leben eine neue Richtung gibt, es aber in dem Moment gar nicht be- merkt. SPIEGEL: Hatten Sie denn zu irgendeinem Zeitpunkt das Gefühl, überhaupt eine Wahl zu haben? Everett: Ach, die Leute sind immer beses- sen von der Idee, etwas für sich wählen zu können, das finde ich unerheblich. Das ist doch ein überholtes Konzept. Wer glaubt, wählen zu können, ist einfach unentschie-

* Rupert Everett: „Rote Teppiche und andere Bananen- schalen“. Aus dem Englischen von Teja Schwaner. Verlag Everett mit Béatrice Dalle 1996 Everett mit einer britischen Girl Group 2007 ERIC ROBERT / CORBIS SYGMA (L.); PA JOEL RYAN / PICTURE-ALLIANCE / DPA (R.) / DPA / PICTURE-ALLIANCE JOEL RYAN (L.); PA / CORBIS SYGMA ERIC ROBERT Gustav Kiepenheuer, Berlin; 492 Seiten; 18,95 Euro.

156 der spiegel 48/2009 FOTOS: DEFD FOTOS: Everett in „Die Girls von St. Trinian“ 2007 Everett, Ornella Muti in „Chronik eines angekündigten Todes“ 1987 den. Ich habe nur das gemacht, von dem lichkeiten eröffneten. Auch dass ich nicht SPIEGEL: Haben Sie zu tun? ich auch überzeugt war. heterosexuell bin, war für mich eine glück- Everett: Ich kann mich nicht beklagen. Im SPIEGEL: Und auch Ihr Coming-out, als Sie liche Fügung. Moment geht es mit mir gerade wieder auf- plötzlich der einzige schwule Filmstar zu SPIEGEL: Für einen Schwulen hatten Sie wärts. Ich habe sehr viel Theater in New sein schienen, der dazu stand? aber reichlich viele Affären mit Frauen, York gespielt, habe Filmangebote. Ich Everett: Welches Coming-out? Ich habe gar etwa mit Ihrer Kollegin Béatrice Dalle oder möchte endlich auch mein Oscar-Wilde- nichts gemacht oder gesagt. Nur gelebt, mit , der damaligen Frau von Projekt realisieren, aber ich bekomme kein wie ich es wollte. Ich zog nach Frankreich. Bob Geldof. Geld dafür zusammen. Und da ist es ganz anders als in England, Everett: Wenn man jung ist, kann man Sex SPIEGEL: Wilde-Filme gibt es doch schon. das können Sie mir glauben. Ich war da ein mit allem Möglichen haben. Wenn man in Was ist Ihre Story? Ausländer, hatte keine Bindungen, das war den Zwanzigern ist, dreht sich Sex doch Everett: Es geht um seine letzten schlim- großartig, Ich hatte dort keinerlei Verant- eigentlich ums Ausprobieren, um die Neu- men Jahre in Paris. Eine traurige Geschich- wortung. gier. te. Er war ja so berühmt, aber nach sei- SPIEGEL: Und die Sprache? Franzosen mö- SPIEGEL: Sie geben immer den coolen, geist- nem Knastaufenthalt auch berüchtigt. Er gen keine Menschen, die ihre Sprache nicht reichen Zyniker. Auch im Buch. Aber eine hatte kein Geld, einige Menschen spuck- beherrschen. Stelle ist plötzlich ganz anders. Da be- ten ihn auf der Straße an, manche ver- Everett: Das ist wahr, am Anfang sprach schreiben Sie mit sehr viel Wärme den Tod langten, dass man ihn in Restaurants nicht ich auch kein Französisch. Aber nach einer Ihres Hundes Mo. Für Menschen entwi- bediente. Weile war es prima, als ich genug Freunde ckeln Sie dieses Gefühl nur selten. SPIEGEL: Ein Wilde ohne Witz und Eleganz. gefunden hatte und die aufhörten, alles zu Everett: Ich schreibe, glaube ich, wenigs- Everett: Nicht ganz. Er hatte ja noch auf übersetzen, da lebt man dann in einer tens über einen Menschen ähnlich gefühl- dem Totenbett Esprit: „Ich sterbe, wie ich wunderbaren Traumwelt. voll, über meinen ehemaligen langjährigen gelebt habe – über meine Verhältnisse“, SPIEGEL: In der Sie auch noch die abenteu- Lebensgefährten. das ist doch wunderbar. Mein Lieblings- erlichsten Freunde fanden, Prostituierte, SPIEGEL: Wie haben eigentlich Madonna satz kurz vor dem Ende ist aber ein ande- Gauner und undurchsichtige Lebenskünst- etwa oder Julia Roberts, mit der Sie Ihren rer: „Mit dieser Tapete lebe ich in einem ler. Sie mögen es bizarr? bekanntesten Film, „Die Hochzeit meines Kampf um Leben und Tod. Einer von uns Everett: Die Welt des Films und des Thea- besten Freundes“, gedreht haben, auf Ihr beiden muss gehen.“ ters ist letztlich total enttäuschend, lassen Buch reagiert? SPIEGEL: Wie viel Geld brauchen Sie für Sie sich das gesagt sein. Ich habe meine Everett: Berühmte Leute haben keine Zeit Ihren Film? ganze Kindheit über von dieser vermeint- zu lesen, die blättern in Magazinen, höchs- Everett: Acht Millionen Pfund, vielleicht lich wunderbaren Sphäre geträumt, und tens. Ich schreibe ja nicht wirklich schlim- reichen auch sechs oder sogar fünf. als ich dann endlich dort landete, musste me Sachen. SPIEGEL: Wäre Ihre Karriere anders ver- ich feststellen, wie bürokratisch, bürger- SPIEGEL: Finden Sie? Ihre Telefonstreiche, laufen, wenn Sie nicht schwul gelebt hät- lich, geschäftsmäßig und letztlich militä- bei denen Sie wildfremde Leute auf den ten? risch es da zugeht. Arm genommen haben, waren bestenfalls Everett: Wahrscheinlich wäre ich erfolgrei- SPIEGEL: Das war Ihnen nicht fremd, Ihr infantil. cher gewesen. Vater war ja einmal Offizier. Everett: Ach, es macht so viel Spaß. Man SPIEGEL: Obwohl Sie auch viele Heteros Everett: Ich hatte gedacht, beim Theater braucht am Anfang nur eine falsche Ver- gespielt haben, sind Sie in der öffentlichen haben sie dauernd Gruppensex und neh- bindung. Wahrnehmung jetzt der Schwule, der im- men Opium und Kokain. Ich wollte ein Le- SPIEGEL: Und den Mut zur Lüge. mer die Schwulen spielen muss. ben, wie es die französische Schriftstellerin Everett: Mut? Braucht man nicht, man Everett: Mir bleibt wohl nichts anderes Colette in ihren Romanen über die Belle kennt die Leute doch gar nicht, die man übrig. Ist doch in Ordnung. Epoque so hinreißend beschreibt, ein Le- veräppelt. Heute geht das ja alles nicht SPIEGEL: Sean Penn verkörperte im Film ben voller Drama, Selbstmordversuchen, mehr, mit diesen digitalen Nummern, die den amerikanischen Schwulenaktivisten Liebe und Sex. Ich wollte ein aufregendes man sofort zurückverfolgen kann. Ach, es Harvey Milk so überzeugend, dass er in Leben. Beim Film findet man das nicht. Es gibt eben keine Romantik mehr im Leben. diesem Jahr einen Oscar dafür bekam. Wä- ist so langweilig. Beim Festival in Cannes SPIEGEL: Heute gibt es Chat-Rooms. re etwas erreicht, wenn ein offen Schwuler über den roten Teppich zu laufen ist un- Everett: Die hasse ich. In so was habe ich einen Hetero darstellen würde und dafür gefähr so spannend, wie seine heimische mich noch nie aufgehalten. Twitter, Face- den Oscar bekäme? Bankfiliale zu betreten. book, all das, ich mag das nicht. Everett: Die Welt lässt sich nicht dadurch SPIEGEL: Warum gab es eigentlich so viele SPIEGEL: Das ist ja wohl eher eine Alters- verändern, dass irgendjemand irgendeine Flops in Ihrer Karriere? frage. Sie sind jetzt 50. Rolle in einem Film spielt. Die Zeiten sind Everett: Flops sind wichtig. Hinterher stell- Everett: Altwerden ist nichts für Waschlap- vorbei, in denen Kino und Theater eine te sich immer heraus, dass die erfolglosen pen, da hatte Bette Davis schon recht. Art Spiegel der Gesellschaft waren. Filme mir für die Zukunft die besten Mög- Aber 50 ist noch in Ordnung. Interview: Joachim Kronsbein

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