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Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2010 Bevölkerung, Familie Geburtenentwicklung in den Stadt- und Landkreisen seit 1990

Ivar Cornelius

Die zu Beginn der 90er-Jahre noch relativ werden. Die Mütter der Anfang der 90er-Jahre hohen Geborenenzahlen in Baden-Württem- geborenen Kinder waren hauptsächlich Frauen berg waren maßgeblich durch die starken Ge- der stark besetzten Geburtsjahrgänge von Ende burtsjahrgänge aus den 60er-Jahren bedingt. der 50er- und Anfang der 60er-Jahre. Dem- Der Rückgang der Geborenenzahlen in den gegenüber gehören die heute 25- bis unter vergangenen 20 Jahren wiederum erweist sich 35-jährigen Frauen zu den deutlich schwäche- zum größeren Teil als Folge der schwachen ren Geburtsjahrgängen aus den 70er- bis Mitte Geburtsjahrgänge zwischen Mitte der 70er- der 80er-Jahre. Insofern erweisen sich die heute und 80er-Jahre. Dies gilt auch für die Geburten- im Vergleich zu 1990 niedrigeren Geborenen- Dipl.-Volkswirt Ivar entwicklung in den meisten Stadt- und Land- zahlen im Lande in großem Maße als „Echo- Cornelius ist Leiter der kreisen. Über den geringeren Umfang der Abteilung „Informations- dienste, Veröffentlichungs- potenziellen Müttergeneration hinaus spielen wesen, sozial- und regional- wissenschaftliche Analysen“ auch Änderungen im Geburtenverhalten der im Statistichen Landesamt Paare ein wesentliche Rolle. Im Zusammen- Demografische Komponente und Baden-Württemberg. wirken von Verschiebungen in der Altersstruk- Verhaltenskomponente der Gebur- tur und Änderungen im Geburtenverhalten ist tenentwicklung: Was wäre, wenn …? die Zahl der zwischen 1990 und 2009 jährlich Geborenen in den eher ländlich geprägten Mit Hilfe bevölkerungsstatistischer Metho- Kreisen stärker zurückgegangen als in den ver- den lässt sich die Entwicklung der Gebo- dichteten Räumen wie beispielsweise den renenzahlen quantitativ aufgliedern in Stadtkreisen. einen Teil, der auf Veränderungen der Zahl von Frauen in den Alterstufen von 15 bis 44 oder 49 Jahren zurückzuführen ist, und Geburtenrückgang seit 1990 hauptsächlich den Teil, in dem veränderte Entscheidun- „Echoeffekt“ aus den 70er-Jahren gen zur Familienbildung (Zahl und zeit- liche Abfolge von Geburten) zum Ausdruck Im Jahr 2009 kamen in Baden-Württemberg kommen. Bei erstgenanntem handelt es mit rund 89 700 Lebendgeborenen so wenig sich um die „demografische Komponente“ Kinder zur Welt wie nie zuvor seit Bestehen des (Altersstruktureffekt), bei zweitem um die Landes. Verglichen mit 1990 – seinerzeit wur- „Verhaltenskomponente“ (Verhaltensef- den knapp 118 600 Kinder geboren – bedeutet fekt) der Geburtenentwicklung. Die quan- dies einen Rückgang um fast ein Viertel. Statis- titative Bestimmung der Komponenten tisch gesehen ergibt sich die Entwicklung der erfolgt hier durch die Berechnung von Er- jährlichen Geborenenzahlen aus der Zahl und wartungswerten: Welche Geborenenzahl Altersstruktur der Frauen, die zusammen mit wäre zum Beispiel im Jahre 2009 zu er- ihren Partnern über die Realisierung von Kin- warten gewesen, wenn die Jahrgangs- derwünschen entscheiden, sowie aus dem Ent- stärken der Frauen zwischen 15 und 44 scheidungsverhalten selbst, das heißt aus den oder 49 Jahren genau so hoch gewesen individuellen, aber von gesellschaftlichen Rah- wären wie im jeweiligen Vergleichsjahr menbedingungen mit geprägten Präferenzen (hier das Jahr 1990)? Rechnerisch werden zur Zahl und zeitlichen Abfolge von Geburten. dazu die Besetzungszahlen von 1990 multi- pliziert mit den aktuellen altersspezifischen Für die Landesebene zeigt sich, dass der Ge- Geburtenhäufigkeiten als Maß für das Ge- burtenrückgang seit 1990 zum größeren Teil burtenverhalten. Die Differenz zwischen 1 Um Zufallsschwankungen dem so ermittelten Erwartungswert und der Geborenenzahlen in (rund 60 %) auf die Verschiebungen in der einzelnen Berichtsjahren Alters gliederung der Frauen zwischen 15 und der tatsächlichen Geborenenzahl 2009 möglichst auszuschalten, werden hier 3-Jahres- 49 Jahren zurückzuführen ist (demografische bezeichnet den Einfluss der veränderten Durchschnitte zu Grunde Komponente). Hier schlägt besonders die ge- Altersstruktur, die Differenz zur tatsäch- gelegt. sunkene Zahl der Frauen im Altersbereich von lichen Geborenenzahl 1990 den Einfluss 2 Die regionale Zuordnung etwa 25 bis 35 Jahren zu Buche, in dem üblicher- eines geänderten Geburtenverhaltens. der Geborenen erfolgt nach dem Ort der Haupt- weise Kinderwünsche am häufigsten realisiert wohnung der Mütter.

13 Bevölkerung, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2010 Familie

effekt“ des damaligen Geburtenrückgangs. Der Veränderung der Geborenenzahl in den Stadt- und kleinere Teil der rückläufigen Geburtenentwick- S1 Landkreisen Baden-Württembergs von 1990/92 bis 2007/09 lung (etwa 40 %) beruht auf einem veränderten Geburtenverhalten: Es wurden 2009 weniger Wünsche zu einem ersten oder weiteren Kind (LKR) realisiert als 1990 (Verhaltenskomponente). (LKR) (LKR) Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, (LKR) wie sich die demografische Komponente und Main-Tauber-Kreis (LKR) die Verhaltenskomponente auf die Geburten- entwicklung in den 44 Stadt- und Landkreisen Göppingen (LKR) zwischen 1990 und 2009 ausgewirkt haben -Odenwald-Kreis (LKR) (siehe i-Punkt). (LKR)

Sigmaringen (LKR)

Freudenstadt (LKR) Deutlich niedrigere Geborenenzahlen

Rottweil (LKR) in Kreisen des Ländlichen Raums

Rems-Murr-Kreis (LKR) In den vergangenen 20 Jahren verlief die Ent- Lörrach (LKR) wicklung der jährlichen Geborenenzahlen in Schwarzwald-Baar-Kreis (LKR) nahezu allen Stadt- und Landkreisen deutlich (LKR) rückläufig. Dabei ergaben sich zwischenzeitlich

Alb-Donau-Kreis (LKR) durchaus kleine Aufwärts- und Abwärtsschwan- kungen. Mit Ausnahme des Stadtkreises Frei- (LKR) burg im Breisgau kamen 2007/09 in allen (LKR) übri gen Kreisen weniger Kinder zur Welt als Tübingen (LKR) 1990/92.1 Zu den Kreisen mit den stärksten Rück- (LKR) gängen gehören Landkreise, die vollständig (LKR) oder in größeren Teilen dem Ländlichen Raum zuzuordnen sind. Das waren beispielsweise die (LKR) Landkreise Zollernalbkreis (– 35 %), Heiden- (LKR) heim (– 34 %) oder Main-Tauber-Kreis (– 32 %). Schwäbisch Hall (LKR) Allerdings ergaben sich ähnlich große Abnah- Breisgau-Hochschwarzwald (LKR) men auch in etwas stärker verdichteten Kreisen (LKR) wie den Landkreisen Calw, Enzkreis und Göp- pingen, die weitgehend zu den Randzonen der Baden-Württemberg Verdichtungsräume zählen (Schaubild 1). (LKR)

Karlsruhe (LKR) Demgegenüber wiesen die Stadtkreise – aus- Baden-Baden (SKR) genommen Baden-Baden – die geringsten Ge- Rhein-Neckar-Kreis (LKR) burtenrückgänge in den vergangenen 20 Jahren

Esslingen (LKR) auf. Mit einer Abnahme um 18 bzw. 14 % waren die Stadtkreise und neben Böblingen LKR) Baden-Baden (– 21 %) noch am stärksten be- Hohenlohekreis (LKR) troffen, während in und 2007/09 (LKR) etwa 9 bzw. 5 % weniger Kinder geboren wur- (LKR) den als 1990/92.2 Die Stadt im Breis-

Pforzheim (SKR) gau hat sogar seit 2005 die Geborenenzahl von 1990 fast wieder erreicht und 2009 leicht über- (LKR) troffen. Auch registriert seit 2006 Mannheim (SKR) leicht zunehmende Geborenenzahlen und lag Heilbronn (SKR) 2007/09 nur wenig unter dem Stand von (SKR) 1990/92. Um den Landesdurchschnitt herum Stuttgart (SKR) (– 23 %) gruppieren sich sowohl Landkreise, die stark ländlich geprägt sind (Schwäbisch Ulm (SKR) Hall, Biberach, Emmendingen, Ortenaukreis), Heidelberg (SKR) als auch Kreise, die in Verdichtungsräumen (SKR) verortet sind (Landkreise Karlsruhe, Rhein- Neckar-Kreis, ). Zusammen genom- – 40 – 35 – 30 – 25 – 20 – 15 – 10 – 5 0 5% men ist der Geburtenrückgang in den vergan- Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 916 10 genen 20 Jahren in den ländlichen Räumen

14 Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2010 Bevölkerung, Familie und einigen Randzonen der Verdichtungsräume Veränderung der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau*) stärker ausgeprägt als in den Verdichtungs- S2 in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs räumen. 1990/92 bis 2007/08

Heilbronn (LKR) Leichte Zunahme der durchschnittlichen Kinderzahl je Frau in den Stadtkreisen Enzkreis (LKR) Göppingen (LKR) Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau – ein Alb-Donau-Kreis (LKR) statistischer Indikator für das Geburtenverhal- Biberach (LKR) ten der Paare – bewegte sich seit Beginn der Heidenheim (LKR) 90er-Jahre landesweit in einem engen Schwan- Ravensburg (LKR) kungsbereich von 1,49 bis 1,34 Lebendgebore- nen, die eine Frau im Durchschnitt während (LKR) ihrer Lebensphase zwischen 15 und 49 Jahren Calw (LKR) zur Welt bringt.3 Damit weist Baden-Württem- Main-Tauber-Kreis (LKR) berg zwar weitgehend ein relativ konstantes Zollernalbkreis (LKR)

Geburtenniveau auf, verzeichnet aber im Ver- Neckar-Odenwald-Kreis (LKR) gleich der zeitlichen Eckpunkte von 1990/92 bis -Murr-Kreis (LKR) 2007/09 eine leicht rückläufige Tendenz. Auf der Ebene der Stadt- und Landkreise lassen Schwäbisch Hall (LKR) sich in dieser Hinsicht unterschiedliche Ent- (LKR) wicklungen feststellen. Ostalbkreis (LKR) (LKR)

Mit Ausnahme von Stuttgart und Ulm lag die Bodenseekreis (LKR) durchschnittliche Kinderzahl je Frau 2007/09 in Waldshut (LKR) allen übrigen sieben Stadtkreisen etwas höher als zu Beginn der 90er-Jahre (Schaubild 2). Auf Hohenlohekreis (LKR) der anderen Seite erlebten alle Landkreise bis Lörrach (LKR) auf den Landkreis Konstanz einen – allerdings Reutlingen (LKR) nicht immer nennenswerten – Rückgang der Rastatt (LKR) durchschnittlichen Kinderzahlen. Die größten Ludwigsburg (LKR) Zuwächse ergaben sich in den Städten Frei- Baden-Württemberg burg im Breisgau und Heidelberg mit einem Plus von 12 bis 13 %. Ein nur leichtes Minus Tuttlingen (LKR) verzeichneten andere Verdichtungsräume wie Karlsruhe (LKR) die Landkreise Esslingen und Böblingen. Dem- Böblingen (LKR) gegenüber fiel die Zurückhaltung von Paaren Stuttgart (SKR) bei der Entscheidung zum ersten oder einem Esslingen (LKR) weiteren Kind am stärksten in Landkreisen, die Ulm (SKR) zu den Randzonen von Verdichtungsräumen (Landkreise Heilbronn, Enzkreis und Göppin- Emmendingen (LKR) gen) oder zum Ländlichen Raum (beispielsweise Ortenaukreis (LKR) die Landkreise Alb-Donau-Kreis, Biberach oder Breisgau-Hochschwarzwald (LKR) Heidenheim) gehören, aus. Hier lagen die durch- Tübingen (LKR) schnittlichen Kinderzahlen 2007/09 um 10 bis Rhein-Neckar-Kreis (LKR) 13 % niedriger als 1990/92. Insgesamt gesehen Pforzheim (SKR) wiesen die meisten stark ländlich geprägten Landkreise größere Rückgänge in der durch- Heilbronn (SKR) schnittlichen Kinderzahl je Frau auf als die ver- Konstanz (LKR) dichteten Gebiete. Karlsruhe (SKR) Baden-Baden (SKR)

Diese Entwicklungen in den vergangenen Mannheim (SKR) 20 Jahren haben das räumliche Muster in der Heidelberg (SKR) Verteilung der durchschnittlichen Kinderzahlen über die Stadt- und Landkreise nicht grund- Freiburg im Breisgau (SKR) legend verändert. Nach wie vor verzeichnen – 15 – 12 – 9 – 6 – 3 0123 69 15% die Stadtkreise mit Ausnahme von Heilbronn und Pforzheim landesweit das niedrigste Ge- *) Zusammengefasste Geburtenziffer (Summe der altersspezifischen Geburtenziffern von 15 bis 44 Jahren). burtenniveau (Schaubild 3). Dabei liegen die Universitätsstädte Heidelberg (1,04 Kinder je Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 917 10

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Frau) und Freiburg im Breisgau (1,16) am Ende wiesen 34 Kreise einen Zuwachs in dieser der Skala. Hinzu kommen heute wie zu Beginn Frauengruppe auf. Mit 10 bis 14 % lag er in der 90er-Jahre die auch von den dortigen Stu- den Landkreisen Heilbronn, Hohenlohekreis, dienorten mit geprägten Landkreise Konstanz Schwäbisch Hall und Biberach sowie im Stadt- und Tübingen. Die elf Kreise mit den 2007/09 kreis Freiburg im Breisgau deutlich über dem landesweit höchsten Kinderzahlen (1. Quartil) Landesdurchschnitt. In den zehn übrigen Krei- ge hören vollständig oder überwiegend dem sen – darunter die Städte Baden-Baden, Mann- Ländlichen Raum an. Die meisten Kinder pro Frau heim und Pforzheim – ist die Zahl der Frauen wurden in den Landkreisen Tuttlingen (1,57), dieses Alters leicht gesunken. Rottweil (1,52) und Biberach (1,51) geboren. Von größerer Bedeutung für die Geburtenent- wicklung sind jedoch die Verschiebungen der Deutlich weniger Frauen im Alter Alterszusammensetzung innerhalb dieser von 25 bis unter 35 Jahren Alters gruppe. Im Altersbereich der 25- bis unter 35-jährigen Frauen liegen üblicherweise In Baden-Württemberg lebten Ende 2009 rund die Geburtenhäufigkeiten höher als bei jünge- 76 000 Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahre ren oder älteren Frauen. Zugleich sind rund mehr als zum Jahresende 1990 (ein Plus von 60 % der jährlich Geborenen – zu Beginn der rund 3 %). Von den 44 Stadt- und Landkreisen 90er-Jahre sogar fast 70 % – Kinder von Müt-

Durchschnittliche Kinderzahl je Frau*) in den Stadt- und Landkreisen S3 Baden-Württembergs 2007/09

von ... bis unter... Kinder je Frau 1,45 – 1,57 1. Quartil 1,40 – 1,45 2. Quartil Mann- Main-Tauber- 1,37 – 1,40 3. Quartil Kreis 1,04 – 1,37 4. Quartil heim Neckar-Odenwald- Heidel- Kreis berg Landesdurchschnitt: 1,36 Rhein-Neckar- Kreis LKR Heilbronn - kreis Heil- LKR Karlsruhe bronn Schwäbisch Hall

Karlsruhe Enzkreis Ludwigsburg Rastatt Pforz- Rems-Murr- heim Kreis Ostalbkreis

Baden- Stuttgart Baden Göppingen Calw Böblingen Esslingen Heidenheim

Freudenstadt Tübingen Ortenaukreis Reutlingen 3 Es handelt sich hier um Alb-Donau- Ulm die zusammengefasste Kreis Geburtenziffer, die das Zollernalbkreis Geburtenverhalten der Rottweil im jeweiligen Berichts- jahr 15- bis 49-jährigen Emmendingen Frauen widerspiegelt. Sie Biberach wird hilfsweise als durch- Schwarzwald- Freiburg schnittliche Kinderzahl Baar- Sigmaringen i. Br. Tuttlingen einer (fiktiven) Frauenge- Kreis neration nach Durchlau- Breisgau-Hochschwarzwald fen ihrer Geburtenphase Ravensburg interpretiert unter der Konstanz Annahme, dass während dieser Phase die Verhält- Waldshut Bodenseekreis nisse des jeweiligen Be- Lörrach richtsjahres gelten. Bo de ns 4 Vgl. hierzu auch Brachat- ee Schwarz, Werner: Zur Entwicklung der Gebur- tenzahl und -häufigkeit in *) Zusammengefasste Geburtenziffer (Summe der altersspezifischen Geburtenziffern von 15 bis 44 Jahren). Baden-Württemberg, Statistisches Monatsheft 21-60-10-005 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg © Kartengrundlage GfK GeoMarketing GmbH Baden-Württemberg Landesinformationssystem Karte erstellt mit RegioGraph 5/2010, S. 9 – 14.

16 Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2010 Bevölkerung, Familie tern dieser Altersgruppe. Die Zahl dieser Frauen Veränderung der Zahl der 25- bis unter 35-jährigen Frauen hat zwischen Ende 1990 und Ende 2009 landes- S4 in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs weit um rund ein Fünftel abgenommen. Mit 1990 bis 2009 Ausnahme des Stadtkreises Ulm, wo diese Altersgruppe einen leichten Zuwachs von knapp Zollernalbkreis (LKR) 3 % erfuhr, verzeichnen alle übrigen Stadt- und Landkreise Rückgänge, allerdings von deutlich Calw (LKR) unterschiedlichem Ausmaß (Schaubild 4). So Enzkreis (LKR) sank die Zahl der 25- bis unter 35-jährigen Neckar-Odenwald-Kreis (LKR) Frauen in den Stadtkreisen weniger als im Baden-Baden (SKR) Landesdurchschnitt (Ausnahme der Stadtkreis Sigmaringen (LKR) Baden-Baden mit rund – 30 %). Demgegenüber Waldshut (LKR) fiel der Rückgang in den meisten vom Länd- lichen Raum oder von Randzonen der Verdich- Main-Tauber-Kreis (LKR) tungsräume geprägten Landkreisen mit einem Breisgau-Hochschwarzwald (LKR) Minus von einem Viertel bis knapp einem Drit- Heidenheim (LKR) tel deutlich stärker aus. Lörrach (LKR)

Schwarzwald-Baar-Kreis (LKR) Durch diese Entwicklungen stellen die Frauen im Alter von 25 bis unter 35 Jahren in allen Emmendingen (LKR) Landkreisen heute nur noch rund ein Viertel Tübingen (LKR) der Frauen im „gebärfähigen“ Alter. 20 Jahre Rottweil (LKR) zuvor lag ihr Anteil noch bei etwa einem Drit- Rhein-Neckar-Kreis (LKR) tel. In diesem Zeitraum hat sich auch das ge- Rems-Murr-Kreis (LKR) nerative Verhalten der Paare mit Blick auf das Alter der Frauen bei der Geburt eines Kindes Rastatt (LKR) verändert, indem Geburten im Durchschnitt auf Göppingen (LKR) ein höheres Alter hinausgeschoben wurden. Freudenstadt (LKR)

Dabei sind die Geburtenhäufigkeiten im Landes- Ortenaukreis (LKR) durchschnitt bei den 25- bis 30-jährigen Frauen Karlsruhe (LKR) (und jüngeren) merklich gesunken, während sie bei den 31- bis 35-Jährigen (und älteren) Ostalbkreis (LKR) 2009 höher sind als 1990. Dieses Muster lässt Esslingen (LKR) sich im Grundsatz in nahezu allen Stadt- und Konstanz (LKR) Landkreisen beobachten. Böblingen (LKR)

Alb-Donau-Kreis (LKR) Statistisch gesehen vollzog sich damit die Ent- Ravensburg (LKR) wicklung der jährlichen Geborenenzahlen seit Beginn der 90er-Jahre vor folgendem Hinter- Baden-Württemberg grund: Die aus dem „Hauptgebäralter“ heraus- Bodenseekreis (LKR) wachsenden, relativ stark besetzten Frauenjahr- Pforzheim (SKR) gänge – die heute über 35-Jährigen – haben Schwäbisch Hall (LKR) zwar höhere Geburtenhäufigkeiten als die Mannheim (SKR) Gleichaltrigen 20 Jahre zuvor. Jedoch ist das Geburtenniveau in diesem Altersbereich deut- Ludwigsburg (LKR) lich niedriger als bei den jüngeren Frauen. Zu- Biberach (LKR) gleich wachsen schwächer besetzte Jahrgänge Hohenlohekreis (LKR) in das „Hauptgebäralter“ hinein, doch liegen Tuttlingen (LKR) die Geburtenhäufigkeiten bei den heute bis Heilbronn (LKR) 30-Jährigen erheblich unter denen der gleich- altrigen Frauen von Anfang der 90er-Jahre.4 Reutlingen (LKR) Heilbronn (SKR)

Karlsruhe (SKR)

Geburtenrückgang in den Kreisen durch Ver- Heidelberg (SKR) schiebungen in der Altersstruktur der Frauen Freiburg im Breisgau (SKR)

Stuttgart (SKR) Maßgeblich für die im Vergleich zu 1990 niedri- geren Geborenenzahlen des Jahres 2009 waren Ulm (SKR) in 24 Stadt- und Landkreisen die Veränderungen – 35– 30 – 25 – 20 – 15 – 10 – 5 0 5% in der Alterszusammensetzung der Frauen zwi- schen 15 und 49 Jahren (Schaubild 5). In diesen Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 918 10

17 Bevölkerung, Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2010 Familie

Kreisen entfallen mindestens 55 % des Rück- die gleiche Richtung verstärkt haben. Neben gangs auf die demografische Komponente (Al- den beiden Stadtkreisen Stuttgart und Ulm tersstrukturverschiebung) und höchstens 45 % war diese Entwicklung in mehreren Land- auf die Verhaltenskomponente (Veränderung des kreisen des Ländlichen Raums (zum Beispiel Geburtenverhaltens). Hierzu gehören die Stadt- Biberach, Schwäbisch Hall) sowie in den kreise (ohne Freiburg im Breisgau, Stuttgart und Landkreisen Heilbronn und Bodenseekreis zu Ulm), Landkreise aus dem Ländlichen Raum beobach ten, die überwiegend sowohl Ver- (zum Beispiel Neckar- Odenwald-Kreis, Ortenau- dichtungsbereiche im Ländlichen Raum als kreis, Sigmaringen) wie auch Verdichtungsräume auch Randzonen von Verdichtungsräumen wie die Landkreise Böblingen und Esslingen. enthalten.

In weiteren neun Kreisen beruhte der Gebur- Einen in etwa gleich starken Einfluss auf den tenrückgang seit 1990 hauptsächlich (zu 55 % Rückgang der Geborenenzahlen übten die demo- oder mehr) auf Veränderungen im Geburten- grafische und die Verhaltenskomponente (mit verhalten, während die Verschiebungen in jeweils einem Gewicht um die 50-%-Marke der Altersstruktur der Frauen diesen Effekt in herum) in zehn Landkreisen aus, in denen alle

S5 Geburtenentwicklung in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs 1990 bis 2009

Geburtenanstieg Geburtenrückgang überwiegend durch Altersstruktureffekt Geburtenrückgang überwiegend durch Verhaltenseffekt Geburtenrückgang gleichermaßen durch Altersstruktur- und Verhaltenseffekt

Mann- Main-Tauber- heim Neckar-Odenwald- Kreis Heidel- Kreis berg Rhein-Neckar- Hohenlohe- Kreis kreis LKR Heilbronn

Heil- LKR Karlsruhe bronn Schwäbisch Hall

Karlsruhe Enzkreis Ludwigsburg Rastatt Pforz- Rems-Murr- Ostalbkreis heim Kreis

Baden- Stuttgart Baden

Calw Böblingen Esslingen Göppingen Heidenheim

Freudenstadt Tübingen Ortenaukreis Reutlingen Alb-Donau- Ulm Kreis Zollernalbkreis Rottweil

Emmendingen Biberach Schwarzwald- Freiburg Baar- Sigmaringen Tuttlingen i. Br. Kreis Breisgau-Hochschwarzwald

Ravensburg Konstanz

Waldshut Bodenseekreis Lörrach B ode ns ee

21-60-10-006 Statistisches Landesamt Baden-Württemberg © Kartengrundlage GfK GeoMarketing GmbH Landesinformationssystem Karte erstellt mit RegioGraph

18 Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 11/2010 Bevölkerung, Familie

Raumkategorien vertreten sind. Als Beispiele Somit zählt zu den regionalen Besonderheiten seien genannt die Landkreise Tuttlingen und der Geburtenentwicklung, dass sich in den Ostalbkreis als ländlich geprägte Gebiete, der Stadtkreisen Freiburg im Breisgau, Heidelberg, Landkreis Göppingen und der Enzkreis mit Baden-Baden, Ulm, Mannheim und Stuttgart der größeren Randzonen der Verdichtungsräume Altersstruktur- und der Verhaltenseffekt gegen- sowie die deutlich verdichteten Landkreise läufig ausgewirkt haben. Dagegen waren in allen Ludwigsburg und Rems-Murr-Kreis. übrigen Stadt- und Landkreisen beide Effekte – mit unterschiedlichen Gewichten – gleichge- Insgesamt gesehen lässt sich aus der Verteilung richtet und haben sich gegenseitig in Richtung der Altersstruktur- und Verhaltenseffekte über rückläufige Geburtenentwicklung verstärkt. die 44 Stadt- und Landkreise kein eindeutiges räumliches Muster erkennen, welches beispiels- weise darauf hindeuten würde, dass in den eher Ausblick ländlich geprägten Kreisen stets Altersstruktur- effekte ausschlaggebend für die rückläufigen Es ist heute absehbar, dass in den kommenden Geborenenzahlen sind und in den Verdichtungs- 20 Jahren die Gesamtzahl der 25- bis unter räumen nur der Verhaltenseffekt – oder umge- 35-jährigen Frauen – nach einem leichten vo- kehrt. Lediglich im Ergebnis des Zusammen- rübergehenden Anstieg bis um das Jahr 2020 – wirkens dieser Effekte findet sich eine räumliche in allen Stadt- und Landkreisen weiter abneh- Struktur. So sind es einerseits die Kreise in den men wird. Allerdings fällt dieser Rückgang ins- Verdichtungsräumen, in denen der Geburten- gesamt gesehen deutlich schwächer aus als die rückgang in den vergangenen 20 Jahren unter- Entwicklung in den zurückliegenden 20 Jahren. durchschnittlich ausgefallen ist, und anderer- Aus dieser relativ sicheren Einsicht lässt sich seits viele ländlich geprägte Kreise mit über- folgern, dass der anderen Komponente der durchschnittlichem Rückgang. Geburtenentwicklung – nämlich dem Geburten- verhalten – für eine möglicherweise angestrebte Veränderung der künftigen Geburtentwicklung Regionale Besonderheiten besonders große Bedeutung zukommt. Gleich- wohl zeigen die Erfahrungen der vergangenen Die zwischen 1990 und 2009 veränderte Alters- Jahrzehnte, wie komplex die Einflussfaktoren zusammensetzung der Frauen im Alter von 15 auf das Geburtenverhalten sind.6 Monokausale bis 49 Jahren hat sich in allen Kreisen mit Aus- Erklärungen und Patentrezepte bieten keine nahme der Stadtkreise Stuttgart und Ulm in tragfähige Basis. Aber es lassen sich verschie- Richtung auf rückläufige Geborenenzahlen aus- dene Ansatzpunkte ausmachen, um die Lebens- gewirkt. In Ulm jedoch lebten Ende 2009 mehr situationen von Familien – oder Paaren, die eine 25- bis unter 35-jährige Frauen als 1990 (+ 3 %), Familie werden wollen – familienfreundlicher während Stuttgart einen leichten Zuwachs bei zu gestalten. Hierzu gehören über materielle den 30- bis unter 35-Jährigen zu verzeichnen Aspekte hinaus das weite Feld der besseren hatte (knapp 6 %). Allerdings wurde dieser Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide – zahlenmäßig geringe – „Geburten fördernde“ Elternteile als auch die Wertschätzung des Effekt deutlich überkompensiert durch ein ver- Kinderhabens. ändertes Geburtenverhalten, nämlich durch eine gestiegene Zurückhaltung der Paare, sich In den einzelnen Stadt- und Landkreisen sind für ein Kind zu entscheiden. die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen,

auf diesen Feldern aktiv zu sein oder zu werden, 5 Legt man die in Schau- In den Stadtkreisen Freiburg im Breisgau, Hei- sicherlich sehr unterschiedlich ausgestaltet. Viele bild 2 verwendeten 3-Jahres-Durchschnitte delberg, Baden-Baden und Mannheim ist dem- praxisrelevante, „große und kleine“ Maßnah- 1990/92 und 2007/09 zu gegenüber festzustellen, dass sich hier die men, die Schritt für Schritt den Weg zu mehr Grunde, so gilt diese Aussage auch für die Paare 2009 durchaus häufiger für Kinder ent- Familienfreundlichkeit zeichnen, werden im Rah- Stadtkreise Karlsruhe, schieden haben als 1990.5 Der Verhaltenseffekt men des Projektes „Familienfreundliche Kom- Heilbronn und Pforzheim sowie für den Landkreis war also „Geburten fördernd“. Allerdings über- mune“ dokumentiert, das die im Statistischen Konstanz. wogen in Heidelberg, Baden-Baden und Mann- Landesamt angesiedelte FamilienForschung 6 Vgl. hierzu Statistisches heim die Auswirkungen der veränderten Alters- Baden-Württemberg im Auftrag des baden-würt- Landesamt Baden-Würt- temberg (Hrsg.): Der de- struktur, so dass per saldo 2009 weniger Kinder tembergischen Ministeriums für Arbeit und So- mografische Wandel in geboren wurden als 1990. Hingegen wies von zialordnung, Familie und Senioren durchführt.7 Baden-Württemberg – Herausforderungen und allen Stadt- und Landkreisen nur die Stadt Chancen, Statistische Analysen 1/2009, Stutt- Freiburg im Breisgau 2009 eine etwas höhere gart 2009, S. 29-33. Geborenenzahl auf als 1990. Ausschlaggebend 7 Detaillierte Informa- hierfür war der Verhaltenseffekt, der die nega- Weitere Auskünfte erteilt tionen finden sich unter tiven Auswirkungen einer veränderten Alters- Ivar Cornelius, Telefon 0711/641-28 00, www.familienfreund liche-kommune.de/FF struktur der Frauen mehr als ausgeglichen hat. [email protected] Komm/.

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