Spatzengeplauder Haiku
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Volker Friebel Spatzengeplauder Haiku Edition Blaue Felder, Tübingen Edition Blaue Felder, Volker Friebel, Denzenbergstraße 29, 72074 Tübingen www.Blaue-Felder.de Text, Foto und Gestaltung: Volker Friebel Lektorat: Elisabeth Menrad Erstveröffentlichung: November 2018 Alle Rechte vorbehalten ISBN PapierBuch: 978-3-96039-018-3 Dies ist eine Sonderausgabe als pdf-Datei! Vorwort Was plaudern die Spatzen in der Hecke? Und was meint die Vogelscheuche dazu? Wenn wir Menschen uns eines Tages mit solchen Fragen beschäftigen, und zwar wir alle, nicht nur die Kinder, auch die Maschinenbau- Ingenieure, die Chemie-Laboranten, die um die Ecke Seher, sogar die Ökolandwirtschaftszu schussformularausfüllbeaufsichtigerarbeitgeber vertreter – dann beginnt der Himmel auf Erden! Dann wird das Leben ein Fest und wir hüpfen so hoch in den Himmel und jubeln so laut, dass sich noch das letzte verbliebene Wölkchen kleinlaut hinter den nächsten Hori zont verzieht. Blicke ich aber zu den dunklen Wolken auf, die gerade den ganzen Himmel überschwem men, erschrecke ich und diese Vision rückt so fern. „Das sind keine Wolken, das ist die beginnende Nacht“, summt eine sanfte Stimme hinter mir und fährt tröstend fort: „Und bald erscheinen die Sterne.“ Da seufze ich einmal tief und schaue weiter die Texte vor mir durch: Haiku um Haiku, vergangene Zeiten starren mich an. Wie suche ich unter tausenden von Dreizeilern aus? Was zum Henker ist „Qualität“? Gute Texte sollten nicht bloß persönlich sein, sollten es nicht nötig haben, dass ein Leser Orte und Verfasser kennt, sie sollten auf eigenen Füßen in der Welt stehen, sollten andere Menschen berühren, bei ihnen eigene Bilder erzeugen und Empfindun gen auslösen. 5 Ansonsten – wie heißt es zum Haiku? Weniger verstandes-, mehr wahrnehmungs orientiert sollte es sein. In der Gegenwart angesiedelt. Und kurz. Aber Dichter und Spatzen scheren sich kaum um Definitionen, sondern quatschen wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Diese Haiku waren einst Notizen, entstanden in Tübingen und Umgebung, andere Orte sind besonders aufgeführt. Mit den Jahren und unterm kritischen Blick ihres Schöpfers sind sie reif und erwachsen geworden – jedenfalls die meisten davon – und wollen nun alle hinaus in die weite Welt. Doch wozu das alles, wozu? Dichtung soll nichts wollen, dann vielleicht erreicht sie etwas. Aber was? Mir fällt durchaus einiges ein, aber ich presse die Lippen zusammen und verrate nichts. Außer, dass das Leben schöner und tiefer wird, wo Dichtung leuchtet, dass das Gras grüner wächst und selbst die Nacht zeigt, dass mehr in ihr steckt als nur Dunkelheit ... An die Leser: Viel Freude mit den Haiku! Wer ab und an ein Auge zudrückt, vergrößert sein Vergnügen ... An die Haiku: Lasst euch entziffern und missverstehen, aber verbiegt euch nicht und schillert nicht, nur um zu gefallen ... Volker Friebel 6 Haiku Aus Wipfeln fällt Schnee. Ich öffne eine Hand in den Wald. Schneedrift. Hinter dem hinkenden Hund hinkt die Alte. Blüten im Schaufenster, so still hinter gespiegelten Pelzen. 7 Vorfrühlingswind. Der Schwung des Brückleins über den Bach. Die Bewegung einer Müllgreifzange. Schnee fällt. Bienen, verendet im schmutzigen Schnee. Erste Blüten. Genkingen Narzissen. Im Fenster des Kosmetiksalons eine Buddhastatue. 8 Forsythienblüten, ausgeschlagen im Reisig. Der Alte summt. Nachricht im Aprilwald: Die Bewegung eines Grashalms im Wind. Wald bei Holzgerlingen Altpapiersammlung. Ein Reisekatalog, bedeckt von Kirschblüten Auferstehung. Zwischen geschlagenen Ästen Buschwindröschen. Zugfahrt Tübingen – Radolfzell 9 Ausrangierte Waggons. Den Hang hinauf blühen Schlehen. Zugfahrt Radolfzell – Tübingen, Halt in Rottweil Satte Wiesen. Ich zähle nur die schwarzen Lämmer. Frühlingswind. Mein Gesicht bei jeder Brise voller Erwartung. Frankfurter Dom. Mit den Betern sickert Welt ein. Frankfurt am Main, im Dom 10 Frühlingsstrophen der Amsel. Ein Gerüst, in die Wolken gebaut. Wanderrast. Der Maiwind pfeift im Flaschenhals. Wanderung Würtingen – Urach Zwischen Steinen des Alb-Ackers Krähen, frisch ausgesät. Wanderung Würtingen – Urach Zwischen Felsplatten quellendes Wasser. Heb ich den Blick, starrt mich die Wand an. Am Quell des Uracher Wasserfalls 11 Aufgegebene Tankstelle. Die leere Preistafel, belagert von Löwenzahn. Der alte Kater steigt durchs Fenster ins Haus. Mainacht. Reutlingen Sprießendes Korn. Vom Dorf klackt der Stock des Altbauern. Schauer von Buchenblatthülsen. Der Wind ist Heimat. 12 Mein schäbiges Geburtshaus – im Staub schimmern Apfelblüten. Holzgerlingen, Taubenstraße Ein Urlaubsjet fliegt durch den Mond. Fliederduft. Apfelblüten. Ein Federbett hängt aus dem Mond. Frühlingsregen. Im Bus die goldenen Schuhe der jungen Frau. 13 Mittagläuten vom Kloster. Summen will ich und lausche doch. Glucksender Waldbach – flügelschlagend ertrinkt ein Insekt. Durch Klostermauern ein Orgelton. Das Paar sieht sich an. Verlorenes Endspiel – ein Luftballon tanzt über die Straße. 14 Der Falter löst sich vom Waldbach, trägt einen Tropfen ins Licht. Der Kartenabreißer, von der Kinotür geht er zwei Schritte ins Licht. Vogelpfiff. – Von meiner Hand tropft Wasser in den Waldbach zurück. Gedrängt an das Zugfenster – Kinder jubeln den Panzern zu. Zugfahrt Tübingen – Sigmaringen 15 „Der Feldweg“. Eine Lerche steigt auf, in rauen Wind. bei Meßkirch, Feldweg Königskerze am Feldweg. Ein Wanderer spricht mit ihr. bei Meßkirch, Feldweg Kühler Sommerwind. Am Feldweg der Weinbergschnecke tanzende Fühler. bei Meßkirch, Feldweg Grüne Hügel der Heimat. Diese wandernden Wolken. Zugfahrt Sigmaringen – Tübingen 16 Sommermorgen. Eine Frau tritt aus dem Schatten ins Licht. Blütenblätter im Wind – am Gleis entlang, vorbei am Signal. Zugfahrt Tübingen – Meersburg Wanderwolken. Unterm eingelagerten Segelboot blinzelt die Katze vor. Bodenseerundweg Immenstaad – Meersburg Einkaufszone – ein Straßenmaler zeichnet der Stille Gesicht. Stuttgart, Bank Schlossgarten 17 Mit dem Wanderer teilen sie Schatten und summen – die Fliegen. bei Gönningen, Bank Pfullinger Weide Entblätterte Rosen. Eine Frau kehrt das Pflaster vor ihrem Geschäft. Brunnen im Wald. Wildblumen, auf Stein gelegt, in das Plätschern. Im Schatten des Münsters – ein alter Mann färbt Kieselsteine. Freiburg im Breisgau 18 Warten in Freiburg. Um den Brunnen erscheinen Muster im Menschenschwarm. Freiburg im Breisgau, am Bertoldsbrunnen Schwankender Grashalm – auch das Licht folgt dem Wind. Die Stille des Blautopfs – getaktet vom Schlag eines Mühlrads. Blaubeuren, Bank am Blautopf Ulmer Münster – die ausladenden Gesten des Fremdenführers. Ulm, Bank im Münster 19 Ulmer Münster. Orgelpfeifen steigen zum Himmel auf. Ulm, Bank im Münster Abgeerntetes Land. Der Hohenstaufen hinter Lagerhallen verschwunden. Zugfahrt Ulm – Tübingen Im Schlossgarten ein weißer Schmetterling. Die Alte strickt. Stuttgart, Bank Mittlerer Schlossgarten Schachfiguren im Park – niemand spielt gegen die Sommersonne. Stuttgart, Bank Mittlerer Schlossgarten 20 Herbstzeitlose. Weit geöffnet die Augen des alten Schimmels. Busfahrt Reutlingen – Gönningen Elfenhaar – das Licht gleitet ein Stück zur Sonne zurück. bei Gönningen, Bank Buoberg Blinder Drehorgelspieler. Durch eine alte Weise der Duft vom See. Konstanz, Bahnunterführung zum See „Keine Macht für Niemand“ – gesprüht an den Schlachthof. Efeubeeren. 21 Herbstanfang. Im Altern der Mutter altern. Treibender Nebel. Ein Schemen im Fluss reißt an der Angel. Zugfahrt Tübingen – Freiburg im Breisgau Herbstkälte. Kerzen tanzen im Münster vor der Madonna. Freiburg im Breisgau, Bank im Münster Septemberwald. Auf der Kiesbank am Bach Flecken von Licht. 22 Herbstanfang. Im Fenster des Schuhgeschäfts flattert ein Schmetterling. Unermesslich fällt Laub. In den Bäumen geckern Dohlen. Krähenschreie. Einen Apfel lesen von dort, wo Licht liegt. Morgennebel. Nur dieser Schubkarren voll Kürbisse. 23 Mädchengeplauder – auf dürrem Herbstgras gleiten Schatten. Waldrandweg. Laub tanzt vor den Besen der Kehrmaschine. Novemberlicht. Im Kopftuch der jungen Frau blitzen Sterne. Reutlingen, Bushaltestelle Unter den Linden Weihnachtssterne ... Ein Mann schippt Schnee in den Fluss. 24 Schneeland. Ein Traktor pflügt Krähen. Zugfahrt Tübingen – Freiburg im Breisgau Der Nonne Strahlen, als sie aus dem Zug tritt, in Schnee. Zugfahrt Tübingen – Freiburg im Breisgau Eine Amsel fliegt aus dem Schnee in den Schnee. Rangieren, dann stehen Kinderwagen und Rollstuhl beisammen im Bus. 25 Ein Blindenhund liegt zu Füßen des Herrn, starrt in den Winter. Winterlicht. Still zwischen zwei Kiefern ein Bienenhaus. Zischen von Neujahrsraketen. Die Teeschale – lange schon leer. Waldmeditation. Schnee schmilzt in der Mulde der Hände. 26 Auf die verschneite Brücke zurück, vor den Vollmond. Tropfenkrater im Schnee. Ein Vogel pfeift. Auf dem Klinikdach landet ein Hubschrauber. Winterlicht. Dichter-Urne aus Holz – vor der Leichenrede das Schweigen. Freiburg im Breisgau, Saal Friedhof Littenweiler, Beerdigung von Mario Fitterer 27 Winterabend. Im strömenden Regen lösen sich Tränen. Winterregen. Plötzlich überfällt mich die Nacht. Frühlingsfarben. Eine Böe pfeift um die Stacheln des Weidezauns. Narzissen. Der Straßenkehrer lässt eine Frau die Füße heben. Reutlingen 28 Amselkadaver. Auf dem wühlenden Mistkäfer ein Glanz. Karfreitag. Die Lerche singt überm Schneerest am Schädelberg. Fußweg Willmandingen – Salmendinger Kapelle Karfreitag. Ein leerer Gasthof, vom Licht überschwemmt. Melchingen, Nebenzimmer Gasthof „Lauchertquelle“ Bienenflügel – eintauchen ins Licht einer Narzisse. 29 Aprilsonne. Überm Verkehrsstau ein Schmetterling. Ostersonntag. Ein