Fritz J. Raddatz »Schreiben heißt, sein Herz waschen« Literarische Essays

Fritz J. Raddatz »Schreiben heißt, sein Herz waschen« Literarische Essays © 2006 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe [email protected] · www.zuklampen.de

Der Titel des vorliegenden Bandes beruht auf einem Ausspruch von

Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover

Satz: thielen VERLAGSBÜRO , Hannover (Gesetzt aus der Linotype Aldus) Druck: Clausen & Bosse, Leck

ISBN 3-934920-95-0

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. Thomas C. Garbe, dem Kenner und Kärrner, dankend Fritz J. Raddatz, Jahrgang 1931, in Hamburg lebender Publizist, war Programmleiter bei Rowohlt und Feuilletonchef der ZEIT. Er hat Ro - mane, eine Autobiographie und ein umfangreiches essayistisches und biographisches Werk vorgelegt. Zuletzt sind erschienen . Leben – niederer Wahn (2001), Unruhestifter. Erinnerungen (2003), Ich habe dich anders gedacht. Erzählung (2004), Taubenherz und Gei - erschnabel. Heinrich Heine (2005). Inhalt

Vorbemerkung ...... 9

I. EINSPRÜCHE ...... 13 Das denunzierte Wort Verbot, Verrat, Verfolgung: Wie Macht und Ideologie das Schreiben vergifteten ...... 15 Der Hall der Alten Eine polemische Intervention ...... 78

II. SPIEGELSCHRIFT ...... 97 Etwas Halsweh vom nachmittäglichen Tragen kurzer Unterhosen Thomas Mann in seinen Tagebüchern ...... 99 Monsieur le Vivisecteur ...... 130 Der sozialistische Egomane ...... 141 Volksgenosse, Genosse und Dissident Franz Fühmann ...... 171 Nie mehr »Kalter Hund« oder vom Umschlag der Ethnologie in Literatur Über Walter Kempowski als Historiographen des deutschen Bürgertums ...... 185 Auf der Suche nach der veränderten Zeit ...... 211 8 Inhalt Nördlich der Liebe, südlich des Hasses Der Lyriker und Erzähler Guntram Vesper ...... 223 Entzweites Leben Über den Dichter Volker Braun ...... 234 Ein Christenmensch und Geschichtenerzähler Johannes Bobrowski ...... 243

Textnachweis ...... 252 Vorbemerkung

Am 6. Februar 1799 erschien in der Tageszeitung Diario de Ma - drid eine anonyme Anzeige, die auf eine Serie von je 80 Dru cken aufmerksam machen wollte; sie seien zum Preis von 320 Reales pro Serie im Parfüm- und Likörladen in der Calle del Desengano No. 1 zu erwerben. In dem Werbetext hieß es:

Man würde eine zu große Unwissenheit des Publikums in Dingen der Schönen Künste voraussetzen, würde man erklären, daß der Au - tor in keiner der Kompositionen dieser Sammlung die Absicht hat - te, die besonderen Fehler dieser oder jener Person lächerlich zu ma - chen. Damit würde man die Grenzen des Talents zu eng ziehen und die Mittel verkennen, deren sich die nachahmenden Künste bedie - nen, um vollkommene Werke hervorzubringen. Die Malerei (wie die Dichtkunst) wählt aus dem Allgemeinen das aus, was sich am besten für ihre Zwecke eignet: in einer einzigen, der Ein - bildungskraft entsprungenen Figur vereinigt sie Umstände und Ei - genschaften, die in der Natur auf viele verteilt sind, und erst einer sol - chen geistvollen Verbindung entspringt jene glückliche Nachah - mung, durch die der gute Künstler den Titel eines Erfinders und nicht den eines servilen Kopisten erringt.

Es handelte sich um eine Eigenanzeige von Francisco de Goya (ver - faßt vermutlich gemeinsam mit zwei Freunden), und sie bezieht sich auf eine Werkfolge, die er Caprichos nennt, Launen. Das Wort ist einzubetten in den Bedeutungshof des Begriffs »Einblicke« – nämlich in die menschliche Natur, in das Pandämonium einer nur noch satirisch zu »ätzenden« Gesellschaft und mündet in den auf - klärerischen Appell zu Vernunft (deren Schlaf Ungeheuer ge - biert). Goyas Biograph Werner Hofmann zieht die Summe: 10 Vorbemerkung

Die Trauminhalte des sündenvollen Schlafes verkörpern die Gestal - ten im Hintergrund, in denen man die Sieben Todsünden erkannt hat. Wir sehen in ihnen die theologische Summe des Tollhauses, als das Goya in den »Caprichos« die zwischenmenschlichen Beziehun - gen darstellt. In dieser Gesellschaft regieren alle sieben: Hoffart, Neid, Unmäßigkeit, Geiz, Trägheit, Zorn und Unkeuschheit. Alle - samt wirken sie an dem bösen Kollektivtraum mit, den Goya auf die Formel von der Welt als einer Maskerade bringt, in der jeder jeden betrügt.

In diesem Spannungsfeld zwischen Selbstbehauptung und Selbst - preisgabe bewegt sich Kunst seit jeher; genauer gesagt: entspringt ihm. Damit bin ich bei der Literatur; der Literatur, die ich meine und deute, die mich bewegt; schuldig zu bekennen habe ich mich gleich zu Beginn: In jedem der hier versammelten Essays steckt auch ein Gran Selbst. Jeder Biograph – und der Essay ist ja eine Miniform der Biographie – zeichnet mit und in seinem Gegen - stand (seinem Gegenüber?) auch mehr oder minder verborgene Linien eines Selbstportraits. Die großen Essays von Thomas Mann etwa – ob über Fontane, Tolstoi oder Goethe – sind wenig klandestine Ich-Erkundungen; nicht selten die Grenze der zierli - chen Koketterie streifend. Doch wenn das Gran Selbst einbekannt wird, ist nicht Selbstspiegelung gemeint; dazu gibt es andere lite - rarische Genres – die Autobiographie, das Tagebuch. Zu meiner eigenen Verblüffung ordneten sich die Arbeiten, als ich sie für diesen Band auswählte und zusammenstellte, Feilspä - nen gleich, die der geheimen Kraft eines Magnetfelds folgen, ein - ander zu. Sie sind durch eine große Klammer zusammengehö - rend (was bei der Arbeit am einzelnen Text weder beabsichtigt noch ersichtlich war). Diese Klammer hat einen Namen: Ästhe - tik und Moral. Palimpsestgleich liegt diese Frage – oder ist es gar eine Forderung? – unter jedem dieser Essays; sei es in den Por - träts von Schriftstellern, die unmittelbar überhaupt nichts mit - einander zu tun hatten, von Christa Wolf zu Bertolt Brecht, sei Vorbemerkung 11 es bei den Arbeiten, die dem Band voranstehen, also eher kultur - politische Rundblicke versuchen. Nicht geht es dabei um hehre Reinheit, um eine irgend anfechtbare Moral, unantastbaren An - stand. Die eben genannten Namen führen im Gegenteil vor, wie sehr der Irrlauf des Gewissens Teil eines bedeutenden Werkes sein kann. Vielmehr geht es um die – wahrlich anfechtbare – These, mei - ne These: daß es Kunst ohne Gewissen nicht gibt. Dabei dieses Gewissen wohl nie »rein« ist – es war wohl Rolf Hochhuth, der einmal formulierte: »… ein reines Gewissen? Dann, weil nie be - nutzt.« Ich meine also das durchaus benutzte Gewissen, das be - schmutzte auch, das verratene, zersplissene, verletzte Gewissen. Vom Revolutionsschmetterer Camille Desmoulins, der im Palais Royal die Massen hinriß, die ihn dann hinrichteten, bis zu den tapferen Feiglingen der DDR, ein Johannes R. Becher etwa, der an sich selbst erstickte: Es gäbe da eine lange Linie zu ziehen, und wenn ein Pünktchen dieser Linie nur Franz Fühmann war. Gewissen kann auch zur erdrückenden Betäubung werden, un - ter der dennoch ein Werk entsteht. Wenn ein Selbstzitat erlaubt ist, gebe ich hier Auszüge meiner Trauerrede am Grabe des mit 56 Jahren zu früh verstorbenen wunderbaren Lyrikers Thomas Brasch wieder, Abschied von einem, dessen Zunge in der Asche erlosch:

»Thomas Brasch war Haut. In der Haut, so sagt man, nistet die See - le des Menschen. Er hat seine Haut über diese Welt gespannt, und die Welt zerbarst. Und seine Haut zerriß. Was war das Besondere an diesem Mann? Er wirkte ja ungebärdig, und dabei war es eine zärtli - che Ungebärdigkeit. Er wußte als hochentwickelter Künstler, daß Kunst das Gehärtete sein muß. Unter dem Gehärteten, unter dem Unerbittlichen des Kunstgesetzes lag aber seine Bittlichkeit. Sabre nennt man in Israel die dort Geborenen. Sabre ist die Kakteen - frucht: außen stachlig und innen süß und saftig. Thomas Brasch, nicht dort geboren, war gleichwohl ein Sabre. Er hat uns eine Welt vorgeführt, vor der er die Menschen warnt. Gleichwohl hat er ge - 12 Vorbemerkung

sagt, sie möge nicht so sein. Das war der Impetus des Werks von Tho - mas Brasch. Er verlor sich in dieser Welt. Vielleicht darf man erin - nern an den Kleistschen Satz: ›Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war.‹ Mit dieser Familie der Literatur, ob Büchner, ob Bertolt Brecht, bis hin zum anderen Großen, dem dritten großen B, Gottfried Benn, hat er diesen Zirkelschlag der Einsamkeit auch ge - braucht zur Selbstdefinition seines Ich, und damit übrigens, das kann eben nur Kunst leisten, und das hat seine Kunst geleistet, daß wir uns mit ihr auch definieren. Das ist die Leistung der Kunst, uns Augen neu einzusetzen.«

Derlei braucht durchaus nicht immer den großen Wurf, die weit ausholende Prosakonstruktion, das im Gedicht geformte Wort. Die Tagebucheintragungen etwa von Thomas Mann zeigen, wie eng die Klammer ist, die Welt und Ich zusammenhält, wie das Wissen vom Außen das Gewissen des Innen prägt. In das Wort Gewissen sind ja viele ergänzende Begriffe einge - sprengt; das griechische syneidesis wie das spätere lateinische conscientia meint immer auch »Mitwissen« und »Bewußtsein«, auch das althochdeutsche gewizzan heißt »Bewußt«. Sich das in unserem Zusammenhang zu verdeutlichen, bedeutet auch, sich zu vergegenwärtigen, daß innerhalb der definierten Klammer sich ein dialektischer Spannungsprozeß abspielt. Wer die krassen Klüfte der eigenen Existenz ins Hübsche ausbalanciert, mag sich einrichten in dieser Welt – er hat das Wort eitel aber nur in sei - ner einen Bedeutung verstanden. Wer sich der zweiten Bedeu - tung, vergebens, aussetzt, hat das Leben ausgemessen. Nur der konnte es auch formen zu einem Werk. Von solchen Schicksalen möchte dieses Buch erzählen, was auch heißen mag: Rechenschaft ablegen darüber, wie Kunst ent - steht. I. EINSPRÜCHE

Das denunzierte Wort Verbot, Verrat, Verfolgung: Wie Macht und Ideologie das Schreiben vergifteten

Als der in französischer Majorsuniform aus der Emigration nach Westdeutschland zurückgekehrte Alfred Döblin – Oktober 1952 – an Arnold Zweig, zurückgekehrt aus dem Exil in Israel nach Ost-Berlin, schrieb, er warne »seit Jahren« die Emigran - ten davor zurückzukehren – »sie reden nicht meh r von der Schande der vergangenen Jahre, sie fühlen sie nicht mehr« –: da hatte der Autor des Sergeanten Grischa im Jahr zuvor das Verbot des Films nach seinem Roman »Das Beil von Wandsbek« durch die SED hinnehmen müssen; zwei Tage nach dem Ersten Deut - schen Kulturkongreß vom 16. bis 18. Mai 1951, zu dessen Eröff - nung der Film gezeigt wurde, lancierte die DDR-Führung eine Leserbriefkampagne im Tenor »Der Film zeigt uns einen Nazi- Mörder als nationalen Helden«, die in einen Beschluß des Polit - büros des ZK der SED mündete, der Film sei ein »schwerer Feh - ler der DEFA«. Er verschwand aus den Kinos. Der jüdische Schriftsteller und der Regisseur Falk Harnack, Mitglied der Wi - derstandsgruppe »Weiße Rose«, hatten in der Figur des Schläch - termeisters Teetjen einen Nazimitläufer zu verstehen versucht. Der Regisseur ging in den Westen. Von dort schreibt im selben Jahr 1951 Hans Henny Jahnn, Kleistpreisträger des Jahres 1920 und soeben zurückgekehrt aus seinem schwedischen Ausweichquartier, im Osten ungedruckt und im Westen wegen angeblicher kommunistischer Sympathien bepöbelt, entgeistert nach Ost-Berlin an Peter Huchel: »Mich jetzt in die Akademie zu wählen, wäre geradezu vernichtend für mich. Das muß zurückgestellt werden.« Huchel, vom einstigen Expressionisten Johannes R. Becher – 1945 zurückgekehrt aus der sowjetischen Emigration und später DDR-Kulturminister – ein - gesetzt als Chefredakteur der Zeitschrift Sinn und Form , wird 16 Das denunzierte Wort 1971 aus der DDR vertrieben; die Zeitschrift ist Organ der Ost - berliner Akademie der Künste, deren Präsidentschaft die DDR angeboten hatte (sein Tod 1950 verhinderte die beabsichtigte Reise nach Europa). Eines der prominentesten Mitglieder dieser Akademie war der 1948 aus dem amerikanischen Exil nach Ost-Berlin zurückge - kehrte Bertolt Brecht, der sich in Hollywood mit Spottversen über des Juden Döblin Konversion zum Katholizismus belustigte und der namens dieser Akademie dem Autor von »Berlin Alexander - platz« Heimstatt und neuerliches Asyl in der DDR anbot; denn Döblin hatte mit einem Brief an den Bundespräsidenten Theodor Heuss vom April 1953 begründet, warum er angeekelt Deutsch - land ein zweites Mal verlasse: »Ich bin in diesem Lande, in dem ich und meine Eltern geboren sind, überflüssig.« Brecht und damit gleichsam die DDR machte ein nobles An - gebot, wie aus einem Brief Hans Henny Jahnns an Döblin vom Mai 1953 hervorgeht: »Nun, Brecht machte den Vorschlag, Sie möchten nach Berlin (Ost) übersiedeln. Man würde Ihnen ein Haus zur Verfügung stellen, ein akademisches Gehalt – ohne jede Verpflichtung, sodass Sie sorgenfrei und angenehm leben könn - ten.« Die DDR (und vor ihrer Gründung 1949 die sowjetische Be - satzungszone) hatte zahllosen von den Nazis Vertriebenen Heim - statt geboten; nicht nur Prominenten wie , Arnold Zweig oder Ernst Bloch, auch Tausenden von Lektoren, Redak - teuren, Theaterleuten – und erstickte sie zumeist in liebevoller Umarmung. Kurz vor seiner Einladung an Döblin hatte Brecht warnend an Hans Mayer geschrieben:

»Noch etwas über die ›Negativität‹ des Eislerschen ›Faustus‹, die von manchen – ich weiß nicht, ob auch von Ihnen – behauptet wird: Über dem berechtigten Wunsch nach positiven Helden (Vorbildern) darf man schließlich nicht die Gestaltung von großen Figuren wie des ›Faustus‹ verwerfen […]. Sie sagten, jede neue Gestaltung der Faust - figur, wenn völlig neu, müsse die Goethesche beschädigen, einfach Das denunzierte Wort 17

schon deswegen, weil sie tief ins Volksbewußtein eingegangen ist und so alles Neue auf sie bezogen werden muß. Aber wie ist es dann mit den Werken des Euripides, der die Gestalten des Äschylos und des Sophokles noch einmal gestaltete und meist sehr kritisch?«

Das bezog sich auf eine herrische Intervention des aus der Schweizer Emigration – nach kurzem Gastspiel bei Radio Frank - furt unter der Chefredaktion eines amerikanischen Offiziers na - mens – nach übersiedelten marxistischen Li - teraturwissenschaftlers in einem Brief an Peter Huchel: »Im üb - rigen muß ich zum ersten Mal sagen, daß mir ein Heft von ›Sinn und Form‹ gründlich mißfällt. In was für einer Nachbarschaft ste - he ich, lieber Himmel! Dieses fürchterliche Zeug von Hanns Eis - ler [= Dr. Faustus], das ich inzwischen bereits in der Buchausga - be in vollendeter Schönheit erleben durfte. Dann der hymnische Quatsch von Fischer über Eislers Meisterwerk.« Hanns Eisler, hochdekorierter Komponist der DDR-Nationalhymne zu den von Wilhelm Pieck beauftragten Versen Johannes R. Bechers, war vor ein Tribunal der eigenen Genossen geraten. Davon wird noch zu berichten sein. Doch während Brecht Döblin einlud, zeigte die neue Heimat Risse. Vier Wochen vor Döblins bitterem Abschiedsbrief trägt Brecht in sein »Arbeitsjournal« ein: »unsere aufführungen in berlin haben fast kein echo mehr. in der presse erscheinen kriti - ken monate nach der erstaufführung, und es steht nichts drin, au - ßer ein paar kümmerlichen soziologischen analysen. das publi - kum ist das kleinbürgerpublikum der volksbühne, arbeiter ma - chen da kaum 7 prozent aus.« Kurz darauf demonstrierten die Arbeiter in Professor Hensel - manns Stalinallee, und Brecht – »der 17. juni hat die ganze exi - stenz verfremdet« – rechtfertigt in kühner Dialektik streikende Arbeiter wie die unterdrückende Führung:

»und doch hatten wir die klasse vor uns, in ihrem depraviertesten zu - stand, aber die klasse. alles kam darauf an, diese erste begegnung voll 18 Das denunzierte Wort

auszuwerten. das war der kontakt. er kam nicht in der form der umar - mung, sondern in der form des faustschlags, aber es war doch der kontakt. […] deshalb empfand ich den schrecklichen 17. juni als nicht einfach negativ. in dem augenblick wo ich das proletariat – nichts kann mich bewegen, da schlaue, beruhigende abstriche zu machen – wiederum ausgeliefert dem klassenfeind sah, dem wieder erstarken - den kapitalismus der faschistischen ära, sah ich die einzige kraft, die mit ihr fertig werden konnte.«

Die Zensur des Neuen Deutschland , in dem sein zur Huldigung verkürzter Brief an Ulbricht erschien, duldete er. Es war exakt das Jahr, in dem einer der Berühmtesten und Er - folgreichsten der deutschen Literatur, , sich der Zensur seines westdeutschen Verlegers beugte; im Ma - nuskript seines Romans »Zeit zu leben und Zeit zu sterben« hat - te er gewagt, in der Figur des Soldaten Immermann einen huma - nen und keineswegs unsympathischen Kommunisten zu schil - dern. Caspar Joseph Witsch schreibt ihm:

»Ein anderer Einwand richtet sich gegen die Figur des Kommunisten Immermann, der doch im ganzen gesehen der einzige ist, der von vornherein die Situation klar erkennt. […] Hinzu kommt noch, dass diese Figur in einem heute erscheinenden Roman leicht wie eine posthume Rechtfertigung der Besatzungspolitik von 1945 bis 1949 wirken könnte, einer Besatzungspolitik, in der jeder Kommunist per - sona grata war und die mit Kommunisten versuchte, demokratische Institutionen aufzubauen. […] Nach dem, was in Deutschland so er - lebt worden ist mit Kommunisten, deren Politik eine geradlinige Fortsetzung des nationalsozialistischen Terrorismus ist, wird kaum jemand von einem Kommunisten, wer es auch immer ist, irgend eine Art von Belehrung annehmen und ihn gleichsam als Verfechter der Menschlichkeit akzeptieren.« Das denunzierte Wort 19 Der weltberühmte Verfasser von »Im Westen nichts Neues« sitzt in seinem luxuriösen Anwesen in Porto Ronco – und schweigt. Seinem Tagebuch vertraut er zwar an:

»Nachricht von Kiepenheuer über vorgeschlagene Änderung in T.t.l.; wollen die Wehrmacht hochhalten; einen (klarer sehenden) Kommunisten in einen Soz.Demokraten verwandeln. […] Mit schweigendem Disgust die deutsche Ausgabe fertig gemacht für Kie - penheuer. Abgeschickt. In Time vom 12. April gelesen, dass Richter Fritz Eickhoff 20 Nazipolizisten freigesprochen hat in Dortmund, die angeklagt waren, im Warschauer Ghetto auf Durchfahrten an einem Tage 110 Juden erschossen zu haben, da ihnen ihr Hauptmann ge - sagt hatte, es lohne sonst nicht das Gas, wenn sie nicht wenigstens einen abknallen.«

Doch er duldet die verstümmelte Publikation. Sie blieb nicht un - bemerkt. Am 9. Oktober 1954 erschien in der Kopenhagener Zeitschrift Information ein Bericht unter der Schlagzeile »Remarque in Deutschland unter Zensur gestellt«, dem ein Vergleich der frü - her publizierten englischen, norwegischen und dänischen Fas - sungen zugrunde lag; die basierten auf einem Manuskript, das Remarque seinem englischen Übersetzer Denver Lindley überge - ben hatte – sozusagen das »Original«. Der Skandal wurde von der internationalen Presse aufgegriffen, schließlich auch in der DDR publik, wo F. C. Weißkopf in der von ihm und Willi Bredel gelei - teten Zeitschrift des Schriftstellerverbandes ndl genüßlich die Welt zitiert, die sich in einem Korrespondentenbericht auf die Os - loer Zeitung Verdens Gang bezieht:

»Es sind Streichungen in der deutschen Ausgabe vorgenommen wor - den, die die Tendenz des Romans in aufsehenerregender Weise än - dern. Soweit es möglich war, hat man in der deutschen Ausgabe al - les vermieden, was auf den Nazismus, die Hinrichtungen von Juden und Russen und andere Fragen hinweist, die für viele Deutsche sehr 20 Das denunzierte Wort

peinlich sein müssen. […] Es wird eine Zensur an der deutschen Li - teratur ausgeübt, um die Vergangenheit weniger abscheulich zu ma - chen als sie war und damit die Reaktionen des (deutschen) Volkes auf das, was die Zukunft in ihrem Schoß tragen mag, abzuschwächen.«

Die Farce hat ein Nachspiel, das die kulturellen Ost-West-Bezie - hungen beleuchtet. Walter Janka, Chef des Ostberliner Aufbau- Verlags, hatte versucht, über den amerikanischen Übersetzer Den - ver Lindley an die Originalfassung zu gelangen und Re marque ei - nen entsprechenden Vertragsentwurf zu machen. Remarque, eben noch »disgusted«, alliiert sich mit seinem Zensor und warnt ent - geistert Witsch vor dem Beelzebub aus Ost-Berlin:

»Ich erhalte gerade den Aufbau-Vertrag und werde Ihnen dazu einen Brief des Herrn Janka (liegt bei) an meinen Übersetzer in New York schicken, in dem er versucht, das alte Manuskript ohne die Kürzun - gen zu bekommen, da er das drucken will, ohne Sie oder mich zu fra - gen. […] Hier sehen Sie, was Herr Janka beabsichtigt. Sagen Sie ihm, Ihre Ausgabe sei die letzte vom Autor bestimmte Ausgabe, eine an - dere werde nicht gedruckt. […] Größte Vorsicht mit diesen Leuten!«

Die beiden Deutschland sind einander spiegelverkehrt gleich. Ihre Schriftsteller haben die Geschichte dieser Jahrzehnte in Spiegel - schrift eingeschliffen. Sie lebten in einem Teufelszirkel. Dieses Wort benutzte Alfred Kantorowicz, in den späten zwanziger Jah - ren Nachfolger Tucholskys als Paris-Korrespondent der Vossi - schen Zeitung und Rückkehrer aus der amerikanischen Emigra - tion, unbequem den erbosten Funktionären mit seiner alsbald un - terdrückten Zeitschrift Ost und West ; seinem Lebensentwurf hatte er Sätze des Freundes Heinrich Mann vorangestellt, dessen Werk er in der DDR betreute:

»Lieber gleichgeschaltet als ausgeschaltet, damit kann ein Bankier zur Not durchkommen, ein Schriftsteller nicht. Ihn schließt gerade sein Verzicht auf innere Ehrenhaftigkeit von seinem Beruf aus. Wer Das denunzierte Wort 21

das Unehrenhafte einer solchen Lage nicht empfindet, kommt für die Literatur überhaupt nicht in Betracht. Wer es aber empfindet und dennoch hinnimmt, wird persönlich uninteressant und bringt be - stimmt nur Unwirksames hervor.«

Kantorowicz, wie alle Spanienkämpfer in der DDR hohl belobigt und in Wahrheit – sie hatten ja die Untaten der sowjetischen Brü - der und die Morde an den spanischen Anarchisten miterlebt – be - argwöhnt, SED-Mitglied und Professor mit Villa und Dienst- BMW, ist rasch und schmerzhaft von Zweifeln geplagt – aus de - nen er, wegen des Globke-Westdeutschland, lange nicht die Konsequenzen zu ziehen vermag. Nach der Ernennung Johannes R. Bechers zum Kulturminister vertraut er, am 16. Januar 1954, seinem Tagebuch an:

»Ein Abusch, der von allen Schriftstellern, Künstlern, Intellektuel - len verachtete, erbärmliche Lakai, wird mit einer Laudatio des Mini - sterpräsidenten zum Staatssekretär ernannt. So muß es enden. Man hat die Zuversicht, dass Schlimmeres doch nun kaum mehr folgen kann; andererseits sieht niemand mehr, wie es besser werden könn - te. Auf unserer Seite haben die Schnüffler, die Hexenjäger, die De - nunzianten, die roten McCarthys endgültig gesiegt.«

Und sechs Wochen später:

»Das Schlimmste, was den gegenwärtigen Machthabern in beiden Teilen Deutschlands widerfahren könnte, wäre eine Verständigung der Weltmächte, eine Entspannung. Je unversöhnlicher die Gegen - sätze werden, desto feister gedeihen sie, desto mehr Macht wird den Unversöhnlichen in die Hand gegeben. Es ist ein Teufelszirkel.«

Als Alfred Kantorowicz 1957 in den Westen ging, wurde ein Jahre zurückliegender Albtraum Wirklichkeit, der mit dem ver - wehrenden Satz »Aber Sie waren ja nicht einmal in der SA« ge - endet hatte: In dem Land, das zahllosen NS-Größen hohe Pen - 22 Das denunzierte Wort sionen zahlte, wurde ihm jegliche Wiedergutmachung ver - wehrt, die er mit Unterstützung Gerd Bucerius’ vergebens zu erstreiten suchte. Es ist frappant, in einem kürzlich aufgefun - denen Aufsatz, den 1947 für die amerikanische Zeitschrift Tomorrow über »Die literarische Szene in Deutsch - land« schrieb, die knappe Bilanz zu lesen: »Bücher von Exil- Schriftstellern sind in Nachkriegsdeutschland nicht erhält - lich!«, was er mit drei Sätzen erläutert:

»Im allgemeinen gibt es keinerlei Kontakt zwischen dem deutschen literarischen Milieu auf der einen Seite und den Intellektuellen im Exil auf der anderen. Deutsche Schriftsteller mögen ihre emigrier - ten Kollegen nicht – eine Feindseligkeit, die immer offener und ag - gressiver wird, da die alliierten Dienststellen weiterhin völlig desin - teressiert und distanziert wirken. Gewisse deutsche Publizisten ge - hen bereits so weit, antinazistische Exilierte in deutschen, von den Alliierten betriebenen Zeitungen zu attackieren.«

Klaus Mann konstatiert einerseits die erstaunliche Abstinenz der Westalliierten – »Zudem scheinen unsere Behörden keineswegs interessiert an den persönlichen Diensten von demokratisch ge - sinnten deutschen Intellektuellen« –, andererseits schildert er plastisch die Zustände in Ost-Berlin:

»Der Kulturbund ist eine mit finanziellen Mitteln gut ausgestattete Einrichtung, die nicht nur einen großen Verlag kontrolliert, sondern auch federführend ist bei der Organisation von Kunstausstellungen, literarischen Lesungen, musikalischen Darbietungen und Podiums - diskussionen in der gesamten russischen Zone. Der Kulturbund und andere sowjetisch beeinflußte Stellen versu - chen jedoch keineswegs, in Nachkriegsdeutschland ausschließlich marxistische Kunst und Literatur zu fördern. Im Gegenteil, die der - zeitige Parteilinie hat einen seltsam traditionellen Beigeschmack, was kulturelle Dinge betrifft. Der Chef der Kommunistischen Partei, Wilhelm Pieck, betonte unlängst in einer Rede die Bedeutung der Das denunzierte Wort 23

›großen kulturellen Tradition‹ Deutschlands und kündigte an, die von der Partei geförderten Verlage würden Neuauflagen vorbereiten von Klassikern wie Goethe und Schiller, Lessing, Heine und Kant. Während in den von den Briten und Amerikanern besetzten Gebie - ten die kulturellen Initiativen ausschließlich den Deutschen überlas - sen sind, die entweder diese Chance gar nicht nutzen oder sie zu frag - würdigen Zwecken mißbrauchen, wird das literarische Leben in den sowjetischbesetzten Gebieten ganz offen kontrolliert von einigen kürzlich aus dem Exil zurückgekehrten Schriftstellern, die nach Di - rektiven aus Moskau arbeiten. Es ist schwierig zu beurteilen, was die mehr oder weniger subtilen Kunstgriffe der kommunistisch ausgerichteten Kulturpropaganda wirklich erreichen können bei einer Nation, die propagandistische Kunst allzu reichlich über sich ergehen lassen mußte während der Nazi-Herrschaft. Becher, den ich wiederholt in Berlin traf, schien be - kümmerter und unsicherer, als er zugeben mochte. Er gab zu verste - hen, daß seine derzeitige Position als ›Literaturpapst‹ recht unange - nehme Seiten habe. Erstens sei es schwierig, einen Verlag und eine Zeitschrift mit demokratischer Tendenz zu leiten, wenn es keine de - mokratischen Schriftsteller gibt. Becher berichtete mir, daß er in Er - mangelung besserer Autoren mit Leuten wie Hans Fallada zusam - menarbeiten muß, dessen politisches Vorleben alles andere als ma - kellos ist und dessen Talent verbraucht zu sein scheint; allem, was er nach ›Kleiner Mann, was nun?‹ (das kurz vor Hitlers Machtergrei - fung veröffentlicht wurde) schrieb, mangelte es ganz offensichtlich an der Frische und Menschlichkeit, die diesen unvergeßlichen Ro - man auszeichnen. Weit alarmierender als der Mangel an guten Schriftstellern ist – wie Becher vorsichtig andeutete – das fehlende Echo aufseiten der deut - schen Öffentlichkeit. ›Wie sehr wir uns auch bemühen, das Interes - se der Massen zu wecken‹, sagte mir der Präsident des Kulturbunds, ›sie bleiben lustlos und apathisch. Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, daß all unsere Anstrengungen umsonst sind; die Deutschen sind taub für unsere Botschaft, sie wollen uns nicht zuhören‹.« 24 Das denunzierte Wort Die Uneinigkeit begann mit einem Fest der Einigkeit. Man kann den in Berlin vom 4. bis 8. Oktober 1947 tagenden Ersten Deut - schen Schriftstellerkongreß wohl als Datum nehmen, gleichsam als Anfang vom Ende. Initiatoren des Kongresses – Teilnehmer waren 280 Schriftsteller, Kritiker, Verleger aus ganz Deutschland; 130 lebten in Berlin – waren höchst unterschiedliche Personen und Organisationen: Günther Weisenborn, wegen Hochverrats von den Nazis zu langjähriger Zuchthausstrafe verurteilt – sein höchst erfolgreiches Stück »Die Illegalen« (drei Aufführungen im Westen, 15 in der Sowjetzone) gab erste Nachricht vom Wider - stand –, gehörte zum engeren Kreis des neu gegründeten SDA (Schutzverband deutscher Autoren), zu dessen Ehrenvorsitzen - den man im April 1947 Heinrich Mann ernannt hatte, sowie zum noch in allen vier Sektoren Berlins zugelassenen Kulturbund; dem gehörten zu dieser Zeit neben Johannes R. Becher, Alexander Abusch und Herbert Ihering Autoren unterschiedlichster Couleur an: Friedrich Luft und Elisabeth Langgässer, Walter Karsch und Erik Reger, Wolfgang Weyrauch und Friedrich Wolf. Doch schon der Kulturbund – bald im amerikanischen Sektor verboten – war Ziel erster publizistischer Polemiken. Erik Reger nannte ihn als - bald im Tagesspiegel »eine kommunistisch dominierte Organisa - tion« und rief zum »Kampf gegen kommunistische Indoktrinati - on« auf. Auch Walter Karsch, 1945 kurzfristig KPD-Mitglied, in - zwischen aus dem Kulturbund ausgetreten, bezeichnete die nationale Einheitsfront der Geistesarbeiter – den entscheidenden Grundsatz des Bundes – als reine Propaganda der »kommunisti - schen Einheitspartei«, ja als »die auf rot umgefärbte braune Dik - tatur des Dritten Reiches«, gegen die der entschiedene »demokra - tische Kampf« gegen »Totalitarismus« zu führen sei. Das war Kleinkrieg im Schatten des beginnenden Kalten Kriegs, den Churchill 1946 mit seiner Rede vom Eisernen Vor - hang und Präsident Truman im März 1947 mit der Doktrin von der globalen, notfalls militärischen Eindämmung des Kommunis - mus eingeläutet hatten. Umgekehrt rochen viele der – meist jü - dischen, oft marxistischen – Rückkehrer aus der Emigration noch Das denunzierte Wort 25 immer den Dunst der Nazijahre, der vor allem die Köpfe in den Westzonen vernebelte. Friedrich Wolf schrieb 1947 an :

»Wenn Sie jetzt hierherkämen, würden Sie sich gewiß wundern, wie munter die Hakenkreuzkarpfen heute wieder im deutschen Teich herumschwimmen. Eigentlich gab es ja überhaupt keine richtigen PG’s, da jeder Nazi mindestens einen Schutzjuden hatte, den er im Geheimen sogar grüßte; die anderen rechtfertigen ihr Naziotentum unverblümt und erfolgreich damit, daß sie Mußnazis wurden, weil sie sonst ›geschäftliche Nachteile‹ zu erwarten hatten. Furtwängler betonte letzthin vor der Prüfungskommission, unter lautem Beifall seiner hiesigen Zuhörer, daß er stolz darauf sei, nicht emigriert, son - dern hiergeblieben zu sein und quasi seine Pflicht getan zu haben. (Thomas Mann, Toscanini und wir anderen Emigranten-Deserteure bekommen damit indirekt eine schlechte Zensur.) Das Aufwerfen der Schuldfrage – zumal von der Bühne herab – gilt fast schon als Lan - desverrat.«

Deswegen wurden auf dem Kongreß Lebensläufe wie die von Günther Weisenborn oder Elisabeth Langgässer, deren älteste Tochter (Kind eines jüdischen Vaters) Theresienstadt und Ausch - witz überlebt hatte, oder der von besonders demon - strativ betont; die 83jährige Ehrenpräsidentin des Kongresses hatte 1933 »erhobenen Hauptes« die preußische Akademie der Künste, aus der man Heinrich Mann verjagt hatte, verlassen mit den berühmt gewordenen Worten: »Was die jetzige Regierung als nationale Gesinnung vorschreibt, ist nicht mein Deutschtum. Die Zentralisierung, der Zwang, die brutalen Methoden, die Dif - famierung Andersdenkender, das prahlerische Selbstlob halte ich für undeutsch und unheilvoll.« Nun stand sie, von Johannes R. Bechers Chauffeur aus Jena herbeigeholt, einem Kongreß vor, der zwar von allen vier Berliner Militärkommandanten begrüßt, aber von der einen Kommandantur »etwas mehr« begrüßt wurde. Hans Mayer – »als Vorsitzender der VVN [Vereinigung der Ver -