Fritz J. Raddatz »Schreiben Heißt, Sein Herz Waschen« Literarische Essays
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Fritz J. Raddatz »Schreiben heißt, sein Herz waschen« Literarische Essays Fritz J. Raddatz »Schreiben heißt, sein Herz waschen« Literarische Essays © 2006 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe [email protected] · www.zuklampen.de Der Titel des vorliegenden Bandes beruht auf einem Ausspruch von Thomas Mann Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover Satz: thielen VERLAGSBÜRO , Hannover (Gesetzt aus der Linotype Aldus) Druck: Clausen & Bosse, Leck ISBN 3-934920-95-0 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. Thomas C. Garbe, dem Kenner und Kärrner, dankend Fritz J. Raddatz, Jahrgang 1931, in Hamburg lebender Publizist, war Programmleiter bei Rowohlt und Feuilletonchef der ZEIT. Er hat Ro - mane, eine Autobiographie und ein umfangreiches essayistisches und biographisches Werk vorgelegt. Zuletzt sind erschienen Gottfried Benn. Leben – niederer Wahn (2001), Unruhestifter. Erinnerungen (2003), Ich habe dich anders gedacht. Erzählung (2004), Taubenherz und Gei - erschnabel. Heinrich Heine (2005). Inhalt Vorbemerkung . 9 I. EINSPRÜCHE . 13 Das denunzierte Wort Verbot, Verrat, Verfolgung: Wie Macht und Ideologie das Schreiben vergifteten . 15 Der Hall der Alten Eine polemische Intervention . 78 II. SPIEGELSCHRIFT . 97 Etwas Halsweh vom nachmittäglichen Tragen kurzer Unterhosen Thomas Mann in seinen Tagebüchern . 99 Monsieur le Vivisecteur Robert Musil . 130 Der sozialistische Egomane Bertolt Brecht . 141 Volksgenosse, Genosse und Dissident Franz Fühmann . 171 Nie mehr »Kalter Hund« oder vom Umschlag der Ethnologie in Literatur Über Walter Kempowski als Historiographen des deutschen Bürgertums . 185 Auf der Suche nach der veränderten Zeit Christa Wolf . 211 8 Inhalt Nördlich der Liebe, südlich des Hasses Der Lyriker und Erzähler Guntram Vesper . 223 Entzweites Leben Über den Dichter Volker Braun . 234 Ein Christenmensch und Geschichtenerzähler Johannes Bobrowski . 243 Textnachweis . 252 Vorbemerkung Am 6. Februar 1799 erschien in der Tageszeitung Diario de Ma - drid eine anonyme Anzeige, die auf eine Serie von je 80 Dru cken aufmerksam machen wollte; sie seien zum Preis von 320 Reales pro Serie im Parfüm- und Likörladen in der Calle del Desengano No. 1 zu erwerben. In dem Werbetext hieß es: Man würde eine zu große Unwissenheit des Publikums in Dingen der Schönen Künste voraussetzen, würde man erklären, daß der Au - tor in keiner der Kompositionen dieser Sammlung die Absicht hat - te, die besonderen Fehler dieser oder jener Person lächerlich zu ma - chen. Damit würde man die Grenzen des Talents zu eng ziehen und die Mittel verkennen, deren sich die nachahmenden Künste bedie - nen, um vollkommene Werke hervorzubringen. Die Malerei (wie die Dichtkunst) wählt aus dem Allgemeinen das aus, was sich am besten für ihre Zwecke eignet: in einer einzigen, der Ein - bildungskraft entsprungenen Figur vereinigt sie Umstände und Ei - genschaften, die in der Natur auf viele verteilt sind, und erst einer sol - chen geistvollen Verbindung entspringt jene glückliche Nachah - mung, durch die der gute Künstler den Titel eines Erfinders und nicht den eines servilen Kopisten erringt. Es handelte sich um eine Eigenanzeige von Francisco de Goya (ver - faßt vermutlich gemeinsam mit zwei Freunden), und sie bezieht sich auf eine Werkfolge, die er Caprichos nennt, Launen. Das Wort ist einzubetten in den Bedeutungshof des Begriffs »Einblicke« – nämlich in die menschliche Natur, in das Pandämonium einer nur noch satirisch zu »ätzenden« Gesellschaft und mündet in den auf - klärerischen Appell zu Vernunft (deren Schlaf Ungeheuer ge - biert). Goyas Biograph Werner Hofmann zieht die Summe: 10 Vorbemerkung Die Trauminhalte des sündenvollen Schlafes verkörpern die Gestal - ten im Hintergrund, in denen man die Sieben Todsünden erkannt hat. Wir sehen in ihnen die theologische Summe des Tollhauses, als das Goya in den »Caprichos« die zwischenmenschlichen Beziehun - gen darstellt. In dieser Gesellschaft regieren alle sieben: Hoffart, Neid, Unmäßigkeit, Geiz, Trägheit, Zorn und Unkeuschheit. Alle - samt wirken sie an dem bösen Kollektivtraum mit, den Goya auf die Formel von der Welt als einer Maskerade bringt, in der jeder jeden betrügt. In diesem Spannungsfeld zwischen Selbstbehauptung und Selbst - preisgabe bewegt sich Kunst seit jeher; genauer gesagt: entspringt ihm. Damit bin ich bei der Literatur; der Literatur, die ich meine und deute, die mich bewegt; schuldig zu bekennen habe ich mich gleich zu Beginn: In jedem der hier versammelten Essays steckt auch ein Gran Selbst. Jeder Biograph – und der Essay ist ja eine Miniform der Biographie – zeichnet mit und in seinem Gegen - stand (seinem Gegenüber?) auch mehr oder minder verborgene Linien eines Selbstportraits. Die großen Essays von Thomas Mann etwa – ob über Fontane, Tolstoi oder Goethe – sind wenig klandestine Ich-Erkundungen; nicht selten die Grenze der zierli - chen Koketterie streifend. Doch wenn das Gran Selbst einbekannt wird, ist nicht Selbstspiegelung gemeint; dazu gibt es andere lite - rarische Genres – die Autobiographie, das Tagebuch. Zu meiner eigenen Verblüffung ordneten sich die Arbeiten, als ich sie für diesen Band auswählte und zusammenstellte, Feilspä - nen gleich, die der geheimen Kraft eines Magnetfelds folgen, ein - ander zu. Sie sind durch eine große Klammer zusammengehö - rend (was bei der Arbeit am einzelnen Text weder beabsichtigt noch ersichtlich war). Diese Klammer hat einen Namen: Ästhe - tik und Moral. Palimpsestgleich liegt diese Frage – oder ist es gar eine Forderung? – unter jedem dieser Essays; sei es in den Por - träts von Schriftstellern, die unmittelbar überhaupt nichts mit - einander zu tun hatten, von Christa Wolf zu Bertolt Brecht, sei Vorbemerkung 11 es bei den Arbeiten, die dem Band voranstehen, also eher kultur - politische Rundblicke versuchen. Nicht geht es dabei um hehre Reinheit, um eine irgend anfechtbare Moral, unantastbaren An - stand. Die eben genannten Namen führen im Gegenteil vor, wie sehr der Irrlauf des Gewissens Teil eines bedeutenden Werkes sein kann. Vielmehr geht es um die – wahrlich anfechtbare – These, mei - ne These: daß es Kunst ohne Gewissen nicht gibt. Dabei dieses Gewissen wohl nie »rein« ist – es war wohl Rolf Hochhuth, der einmal formulierte: »… ein reines Gewissen? Dann, weil nie be - nutzt.« Ich meine also das durchaus benutzte Gewissen, das be - schmutzte auch, das verratene, zersplissene, verletzte Gewissen. Vom Revolutionsschmetterer Camille Desmoulins, der im Palais Royal die Massen hinriß, die ihn dann hinrichteten, bis zu den tapferen Feiglingen der DDR, ein Johannes R. Becher etwa, der an sich selbst erstickte: Es gäbe da eine lange Linie zu ziehen, und wenn ein Pünktchen dieser Linie nur Franz Fühmann war. Gewissen kann auch zur erdrückenden Betäubung werden, un - ter der dennoch ein Werk entsteht. Wenn ein Selbstzitat erlaubt ist, gebe ich hier Auszüge meiner Trauerrede am Grabe des mit 56 Jahren zu früh verstorbenen wunderbaren Lyrikers Thomas Brasch wieder, Abschied von einem, dessen Zunge in der Asche erlosch: »Thomas Brasch war Haut. In der Haut, so sagt man, nistet die See - le des Menschen. Er hat seine Haut über diese Welt gespannt, und die Welt zerbarst. Und seine Haut zerriß. Was war das Besondere an diesem Mann? Er wirkte ja ungebärdig, und dabei war es eine zärtli - che Ungebärdigkeit. Er wußte als hochentwickelter Künstler, daß Kunst das Gehärtete sein muß. Unter dem Gehärteten, unter dem Unerbittlichen des Kunstgesetzes lag aber seine Bittlichkeit. Sabre nennt man in Israel die dort Geborenen. Sabre ist die Kakteen - frucht: außen stachlig und innen süß und saftig. Thomas Brasch, nicht dort geboren, war gleichwohl ein Sabre. Er hat uns eine Welt vorgeführt, vor der er die Menschen warnt. Gleichwohl hat er ge - 12 Vorbemerkung sagt, sie möge nicht so sein. Das war der Impetus des Werks von Tho - mas Brasch. Er verlor sich in dieser Welt. Vielleicht darf man erin - nern an den Kleistschen Satz: ›Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war.‹ Mit dieser Familie der Literatur, ob Büchner, ob Bertolt Brecht, bis hin zum anderen Großen, dem dritten großen B, Gottfried Benn, hat er diesen Zirkelschlag der Einsamkeit auch ge - braucht zur Selbstdefinition seines Ich, und damit übrigens, das kann eben nur Kunst leisten, und das hat seine Kunst geleistet, daß wir uns mit ihr auch definieren. Das ist die Leistung der Kunst, uns Augen neu einzusetzen.« Derlei braucht durchaus nicht immer den großen Wurf, die weit ausholende Prosakonstruktion, das im Gedicht geformte Wort. Die Tagebucheintragungen etwa von Thomas Mann zeigen, wie eng die Klammer ist, die Welt und Ich zusammenhält, wie das Wissen vom Außen das Gewissen des Innen prägt. In das Wort Gewissen sind ja viele ergänzende Begriffe einge - sprengt; das griechische syneidesis wie das spätere lateinische conscientia meint immer auch »Mitwissen« und »Bewußtsein«, auch das althochdeutsche gewizzan heißt »Bewußt«. Sich das in unserem Zusammenhang zu verdeutlichen, bedeutet auch, sich zu vergegenwärtigen, daß innerhalb der definierten Klammer sich ein dialektischer Spannungsprozeß abspielt. Wer die krassen Klüfte der eigenen Existenz ins Hübsche ausbalanciert, mag sich einrichten in dieser Welt – er hat das Wort eitel aber nur in sei - ner einen Bedeutung verstanden. Wer sich der zweiten Bedeu - tung, vergebens, aussetzt, hat das Leben ausgemessen. Nur der konnte es auch formen