Reader Für Literatur I / Deutsche Lyrik Von 1945 Bis 1989
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1 Reader für Literatur I / Deutsche Lyrik von 1945 bis 1989 Strömungen der Lyrik von 45 bis 89: „Stunde Null“ Trümmerlyrik Absolute Lyrik Konkrete Poesie Wiener Gruppe Naturlyrik Hermetische Lyrik Politische Lyrik Pop und Beat Liedermacher Alltagslyrik Neue Innerlichkeit Die Autoren Achleitner, Friedrich (*1930) Hermann Hesse (1877- 1962) Aichinger, Ilse (*1921) Huchel, Peter (1903 – 1981) Artmann, H. C. Jandl, Ernst (1925 – 2000) Atabay, Cyrus (1929 – 1996) Kaschnitz, Marie Luise (1901 – 1974) Ausländer, Rose Kästner, Erich (1899 – 1974) Bachmann, Ingeborg (1926 – 1973) Kirsch, Sarah (*1935) Bayer, Konrad (1932 – 1964) Kiwus, Karin Becher, Johannes R. (1891 – 1958) Kolbe, Uwe (*1957) Benn, Gottfried (1886 - 1956) Krechel, Ursula Biermann, Wolf (*1936) Krolow, Karl (1915 – 1999) Bobrowski, Johannes (1917 – 1965) Krüger, Michael (*1943) Borchert, Wolfgang (1921 – 1947) Kunert, Günter (*1929) Braun, Volker (*1939) Kunze, Reiner (*1933) Brecht, Bertolt (1898 – 1956) Lavant, Christine (1915 –1973) Brinkmann, Rolf Peter (1940 – 1975) Malkowski, Rainer (*1939) Celan, Paul (1920 – 1970) Marti, Kurt Czechowski, Heinz (*1935) Meckel, Christoph (*1935) Domin, Hilde (1909 – 2006) Meister, Ernst Eich, Günter (1907 – 1972) Miegel, Agnes (1879 – 1964) Enzensberger, Hans Magnus (*1929) Nick, Dagmar (*1926) Fried, Erich (1921 – 1988) Pastior, Oskar (1927 – 2006)) Fuchs, Günter Bruno (1928 – 1977) Rühm, Gerhard (*1930) Fühmann, Franz (1922 – 1984) Rühmkorf, Peter (1929 – 2008) Gernhardt, Robert (1937 – 2006)) Sachs, Nelly (1891 – 1970) Gomringer, Eugen (*1925) Wühr, Paul (*1927) Grass, Günter (*1927) Zürn, Unica (1916 – 1970) Handke, Peter (*1942) Härtling, Peter (*1933) Heißenbüttel, Helmut (1921 – 1996) 2 Wie hab ich mich gesehnt, als Du noch frei von Ketten, Stunde Null Heimat in Deinem Schoß zur Ruhe mich zu betten! Nun muß ich fern von Dir und meinen Vätern sterben, - Wolfgang BORCHERT O Laß mich, Herr, ein Grab in deutscher Erde erben! [...] Und laß ein Lied von mir in unserer Jugend leben, zerschlagt eure lieder Hab meine Hülle ich Dir längst zurück gegeben! (1949) verbrennt eure verse sagt nackt was ihr müsst. [...] DAGMAR NICK Flucht Hermann HESSE Dem Frieden entgegen. Ostern 1945 Weiter. Weiter. Drüben schreit ein Kind. Laß es liegen, es ist halb zerrissen. Aus Hasstraum und Blutrausch Häuser schwanken müde wie Kulissen Erwachend, blind noch und taub durch den Wind. Vom Blitz und tödlichen Lärm des Krieges, Alles Grauenhaften gewohnt, Irgendjemand legt mir seine Hand Lassen von ihren Waffen, in die meine, zieht mich fort und zittert. Von ihrem furchtbaren Tagwerk Sein Gesicht ist wie Papier zerknittert, Die ermüdeten Krieger. unbekannt „Friede!“ tönt es Ob du auch so um dein Leben bangst? Wie aus Märchen, aus Kinderträumen her. Alles andre ist schon fortgegeben. „Friede“. Und kaum zu freuen Ach, ich habe nichts mehr, kaum ein Leben, wagt sich das Herz, ihm sind näher die Tränen. nur noch Angst. Arme Menschen wir, So des Guten wie Bösen fähig, BERTOLT BRECHT Tiere und Götter! Wie drückt das Weh, Kinderhymne Drückt die Scham uns heute zu Boden! Anmut sparet nicht noch Mühe Aber wir hoffen. Und in der Brust Leidenschaft nicht noch Verstand Lebt uns glühende Ahnung Daß ein gutes Deutschland blühe Von den Wundern der Liebe. Wie ein andres gutes Land. Brüder! Uns steht im Geiste, Steht zur Liebe die Heimkehr Daß die Völker nicht erbleichen Und zu allen verlornen Wie vor einer Räuberin Paradiesen die Pforte offen. Sondern ihre Hände reichen Uns wie andern Völkern hin. Wollet! Hoffet! Liebet! Und die Erde gehört euch wieder. Und nicht über und nicht unter Andern Völkern wolln wir sein Von der See bis zu den Alpen AGNES MIEGEL Von der Oder bis zum Rhein. Ich stieg, mein Volk, aus Dir Und weil dieses Land verbessern Ich stieg, mein Volk, aus Dir wie Halm aus dem Acker steigt, Lieben und beschirmen wirs Du hast Dich, Heimat, mir wie Mutter hold geneigt, Und das liebste mags uns scheinen Ich ward, - und sieh, Dein Hauch belebte meinen Geist, So wie andern Völkern ihrs. Ich wuchs in Deiner Hut, von Deiner Hand gespeist. Ich durfte dienen Dir wie Biene dient dem Schwarm – Das macht mich reich und stolz, - vertrieben noch und arm. 3 JOHANNES R. BECHER GÜNTER EICH Der Staat Inventur Ein Staat, geboren aus des Volkes Not, Dies ist meine Mütze, Und von dem Volk zu seinem Schutz gegründet – dies ist mein Mantel, Ein Staat, der mit dem Geiste sich verbündet hier mein Rasierzeug Und ist des Volkes bestes Aufgebot – im Beutel aus Leinen. Ein Staat gestaltend sich zu einer Macht, Konservenbüchse: Die Frieden will und Frieden kann erzwingen – Mein Teller, mein Becher, Ein Staat, auf aller Wohlergehn bedacht ich hab in das Weißblech Und Raum für jeden, Großes zu vollbringen – den Namen geritzt. Ein solcher Staat ist höchster Ehre wert, Geritzt hier mit diesem Und mit dem Herzen stimmt das Volk dafür, kostbaren Nagel, Denn solch en Staat dient ihm mit Rat und Tat – den vor begehrlichen Augen ich berge. Ein Staat der so geliebt ist und geehrt, Ist unser Staat, und dieser Staat sind Wir: Im Brotbeutel sind Ein Reich des Menschen und ein Menschen-Staat. (1952) ein Paar wollene Socken und einiges, was ich niemand verrate, so dient er als Kissen nachts meinem Kopf. Die Pappe hier liegt zwischen mir und der Erde. Die Bleistiftmine lieb ich am meisten: Tags schreibt sie mir Verse, die nachts ich erdacht. Dies ist mein Notizbuch, dies ist meine Zeltbahn, dies ist mein Handtuch, dies ist mein Zwirn. (1947) 4 Erinnern der Vergangenheit NELLY SACHS O die Schornsteine JOHANNES BOBROWSKI Holunderblüte Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes, Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch Es kommt Durch die Luft – Babel, Isaak. Als Essenkehrer ihn ein Stern empfing Er sagt: Bei dem Pogrom, Der schwarz wurde als ich Kind war, Oder war es ein Sonnenstrahl? meiner Taube riß man den Kopf ab. O die Schornsteine! Freiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub – Häuser in hölzerner Straße, Wer erdachte euch und baute Stein auf Stein mit Zäunen, darüber Holunder. Den Weg für Flüchtlinge aus Rauch? Weiß gescheuert die Schwelle, die kleine Treppe hinab – O die Wohnungen des Todes, Damals, weißt du, Einladend hergerichtet die Blutspur. Für den Wirt des Hauses, der sonst Gast war – O ihr Finger, Leute, ihr redet: Vergessen – Die Eingangsschwelle legend Es kommen die jungen Menschen, Wie ein Messer zwischen Leben und Tod – ihr Lachen wie Büsche Holunders. Leute, es möchte der Holunder O ihr Schornsteine, sterben O ihr Finger, an eurer Vergesslichkeit. Und Israels Leib im Rauch durch die Luft! ERNST JANDL GÜNTER EICH Wien Heldenplatz Latrine der ganze heldenplatz zirka Über stinkendem Graben, versaggerte in maschenhaftem männchenmeere Papier voll Blut und Urin, drunter auch frauen die ans maskelknie umschwirrt von funkelnden Fliegen, zu heften heftig sich versuchten, hoffensdick. hocke ich auf den Knien, und brüllzten wesentlich. den Blick auf bewaldete Ufer, verwogener stirnscheitelunterschwang Gärten, gestrandetes Boot. nach nöten nördlich, kechelte In den Schlamm der Verwesung mit zu nummernder aufs bluten feilzer stimme klatscht der versteinte Kot. hinsensend sämmertliche eigenwäscher Irr mir im Ohre schallen pirsch! Verse von Hölderlin. döppelte der gottelbock von Sa-Atz zu Sa-Atz Von schneeiger Reinheit spiegeln mit hünig sprenkem stimmstummel Wolken sich im Urin. balzerig würmelte es im männechensee „Geh aber nun und grüße und den weibern ward so pfingstig ums heil die schöne Garonne –.“ zumahn: wenn ein knie-ender sie hirschelte. Unter den schwankenden Füßen Laut und Luise (1966) schwimmen die Wolken davon. 5 HANS MAGNUS ENZENSBERGER Andenken Also was die siebziger Jahre betrifft, kann ich mich kurz fassen. Die Auskunft war immer besetzt. Die wundersame Brotvermehrung beschränkte sich auf Düsseldorf und Umgebung. Die furchtbare Nachricht lief über den Ticker, wurde zur Kenntnis genommen und archiviert. Widerstandslos, im großen und ganzen, haben sie sich selber verschluckt, die siebziger Jahre, ohne Gewähr für Nachgeborene, Türken und Arbeitslose. Daß irgendwer ihrer mit Nachsicht gedächte, wäre zuviel verlangt. 6 Sprache und Dichtung GÜNTER BRUNO FUCHS Gestern GÜNTER GRASS Jestern Askese kam eena klingeln von Tür zu Tür. Hat nuscht Die Katze spricht. jesagt. Kein Was spricht die Katze denn? Du sollst mit einem spitzen Blei Ton. Hat so schräg die Bräute und den Schnee schattieren, sein Kopf du sollst die graue Farbe lieben, jehalten, war unter bewölktem Himmel sein. still. Hat nuscht jesagt, Die Katze spricht. Was spricht die Katze denn? als wenn der Du sollst dich mit dem Abendblatt, von jestern in Sacktuch wie Kartoffeln kleiden war und diesen Anzug immer wieder wenden und nur mal und nie in einem neuen Anzug sein. rinnkieken wollte, wie sich so Die Katze spricht. lebt. Was spricht die Katze denn? Das Lesebuch des G. B. F. (1970) Du solltest die Marine streichen, die Kirschen, Mohn und Nasenbluten, KONRAD BAYER auch jene Fahne sollst du streichen glaubst i bin bleed, das is waas, wos i wüü und Asche auf Geranien streun. glaubst i bin bleed, das i waas, wi schbeeds is? Du sollst, so spricht die Katze weiter, glaubst i bin bleed, das i hea, wos du sogst? nur noch von Nieren, Milz und Leber, glaubst i bin bleed, das i siich, wie du ausschaust? von atemloser saurer Lunge, glaubst i bin bleed, das i waas, wiri haas? vom Seich der Nieren, ungewässert, von alter Milz und zäher Leber, glaubst i bin bleed, das i gschbia, wos i augreif? aus grauem Topfe sollst du leben. glaubst i bin bleed, das i schmeck, wos i friiss? glaubst i bin bleed, das i i riach, wias do schdingt? Und an