44 GLEICHGÜLTIGER IRRLÄUFER

P Zu Franz Koglmann O R CHRISTIAN BAIER T R In seinem Schaffen fehlt die Verbissenheit einer zäh um gesellschaftliche An- A erkennung ringenden Avantgarde, es fehlt der vordergründige Anspruch auf Ernst- I haftigkeit und Seriosität. Das Dümpeln des Zeitgenössischen in seinen Versuchen der T Selbstdefinition und Selbstbehauptung ist ihm fremd. Seit seinem Debut mit Schlaf Schlemmer, schlaf Magritte hat sich Franz Koglmann stets gegen den Mainstream der Moderne gestellt, sich gegen stilistische und ästhetische Zuordnungen verwahrt. Er irrt. Permanent. Und ist jederzeit bereit, von neuem zu irren. Denn das Irren ist ein empirischer Prozess, das Ausschlussverfahren per se, das nicht auf dem gesi- cherten Terrain einer tastenden Versuchsanordnung stattfindet, sondern quasi ohne Netz unter mentalem Einsatz der eigenen Persönlichkeit. Das Scheitern ist ein Teil der Erkenntnis. Dazu gehört eine gewisse Form von Gleichgültigkeit, die nicht mit Fatalismus verwechselt werden darf. Koglmann nimmt die Dinge ernst, aber auf seine Art, indem er sie nicht als endgültig erachtet oder sie in den Stand geistiger Orientierungspunkte hebt. Daraus resultiert ein mittlerweile umfangreicher Kosmos an Kompositionen. Es sind Werke, die voller Widersprüche sind, Stolperfallen in sich bergen. Lässt man sich auf Kompositionen wie die Cantos I-IV ein, d.h. über- lässt man sich ihnen, so stellt sich beim Rezipienten jener Moment ein, der das Hauptcharakteristikum Koglmanns zu sein scheint: die Rückhaltlosigkeit. Es sind beklemmende Augenblicke, da *22.5.1947 in Mödling, Trompete, man wahrnimmt, dass man sich auf nichts Musikstudium, 1969-72 am mehr verlassen kann. Dabei geschieht nicht Konservatorium der Stadt Wien, viel in Koglmanns Kompositionen. Die revo- 1972 /73 Studienaufenthalte in New lutionäre Geste des Bilderstürmers, die Kratz- York / Philadelphia, ab 1970 Spiel mit Walter M. Malli, Harun G. Bar- bürstigkeit des „enfant terrible“ fehlen, aber rabas, Toni Michlmayr, seit 1982 auch die trotzige Selbstherrlichkeit, mit der Berater der „Wiener Musik Gale- mancher Avantgardist seine Anbiederung an © rie“, 1983 Ensemble Pipetet, 1985 das Geschmäcklerische zu verschleiern trach- Ö ,Salon europeen du Jazz’ Paris, 1987 tet. Zahlreiche Elemente, wohlbekannt aus M Europalia /B, 1990 Donaueschinger Jazz, Klassik und Avantgarde, sind vorhanden, Z Musiktage, 1992-94 Aufträge des offen, unverstellt. Da tauchen etwa in Ein WDR zur Triennale Köln, 1995 Festi- 57 lichter, schöner Tag Patterns von Schubert auf, vals in Kanada, New York, Brüssel, 7 da sind zum Beispiel in Schilflied (aus About 2001 Theatermusik. „The Waste 2002 yesterdays ezzthetics ) Wendungen, die an die Land“ nach T. S. Eliot in Arbeit. 2001 Musikpreis der Stadt Wien. Label-Leiter ab 1973 der ,Pipe Re- cords’, ab 1999 ,between the lines’. Tonsprache der „Zweiten Wiener Schule“ gemahnen, schlanke, geradezu elegante 45 „französische“ Linien in Kompositionen wie Der Vogel, unmittelbare Bezüge zu Duke Ellington in We thought about Duke und in jüngster Zeit Anklänge an K Johann Strauß in An affaire with Strauss. Wie auf einem Magritte-Gemälde die Scheibe O der untergehenden Sonne wie ausgeschnitten vor die Bäume tritt, so ist das Offen- G sichtliche in Koglmanns Kompositionen stets der Hintergrund. Wer sich daran L klammert – wie der Schiffbrüchige an die Planke –, der verliert leicht den Überblick M und wird zum Opfer des Ohrenscheinlichen. A Koglmann ist kein postmoderner Stilmischer, er tut aber auch nicht so, als N wäre Musik neu zu erfinden. Die Tradition ist vorhanden, mit ihr muss man leben. N Pascal meinte einmal, man solle keine Begriffe, die vollkommen bekannt sind, neu definieren. Doch wir kennen alle das Phänomen, dass ein Wort, oftmals und rasch hintereinander gesagt, in absehbarer Zeit seine Begrifflichkeit verliert, zum bloßen Laut wird und sich seiner Verankerung in der Welt des Realen enthebt. Dieses existenzielle Moment findet sich in zahlreichen Werken Koglmanns wieder. Vorerst sucht man nach Sinn. Dabei orientiert man sich an den „Anklängen“ an die Tradition. Rasch stellt sich Verzweiflung ein, die lediglich die Erkenntnis der Aussichtslosigkeit solchen Tuns hinauszögert, bis man gewahr wird, dass die zitatenhaften „Anklänge“ uns in die Irre geführt haben. Wir fühlen uns verraten von der Komposition. Doch es gibt Sekundenbruchteile im Schaffen Koglmanns, da das Werk mit seinem Rezipienten zu kommunizieren beginnt. Das ist wie der laut gewordene Moment eines ununterbochenen inneren Monologes: Das Werk äußert sich, aber es entäußert sich nicht. Koglmanns Kunst besteht darin, sich und die Er- wartungshaltung eines namen- losen Rezipienten auf den klein- sten gemeinsamen Nenner zu zwingen. Das macht sie kom- promisslos, denn Kompromisse sind nichts als geteilte Unzufrie- denheit. Don’t play, just be heißt eine Ensemblekomposition von 1998. Der Titel ist Programm: Es geht um das Sein, das – gleich © der Sonne auf besagtem Magritte- Ö Gemälde – hinter der Wesenheit M hervortritt, um die Verwirrung, Z die sich bei geringfügiger Ver- schiebung der Realität einstellt, 57 da das Offensichtliche sich ent- 7 rückt zum Scheinbaren und sich 2002 46 dieses – in einem schwer zu durchschauenden Akt des Trugschlusses – doch wieder als Realität erweist. So wird schlussendlich das Sein etwas Verbrüchliches. P Oft werden den Kompositionen Koglmanns Begriffe wie „kalt“ und „emotions- O los“ zugeordnet, dabei sind sie einfach messerscharf, das Sentiment liegt in der Ver- R haltenheit, nicht im Affekt. A White Line, so der Titel einer CD, in der Koglmann T bewusst auf die weißen Wurzeln des Jazz hinwies, und die ihm von einem politisch R überkorrekten Kritiker den knalligen Titel „Jazz-Nazi“ einbrachte, und L’ heure A bleue (bezeichnenderweise mit einem Szenenfoto aus Letztes Jahr in Marienbad am I Cover) sind zwei Symbole für das Programm der „Kälte“, für die klare Haltung T gegen die manipulierende Emotion. Der Witz – wie etwa in Venus in Transit oder in den Vertonungen von Gedichten Franz Schuhs, Späte Liebe, verbietet sich das verschwörerische Altherren-Zwinkern, mit dem zahlreiche zeitgenössische Kompo- nisten versuchen, auch mal witzig zu sein. Dann ist er schon lieber lakonische Zote, denn dass er sich mit einer intellektualistischen Fußnote absichern würde. Und selbst der Rausch – wie auf der frühen CD Opium mit Bill Dixon und – ist da mehr Im- denn Explosion, hat mehr Apollinisches denn Dionysisches, reißt nicht mit, sondern weckt die Sehnsucht nach Klarheit abseits des Offensichtlichen. THE Best of CDs Nicht umsonst lässt sich Koglmann von Literaten wie Cocteau, Proust, DON’T PLAY, JUST BE mit Ursula Fiedler, , , Uli Fussenegger, Peter Herbert und Trakl, Cummings oder Pound (ihm ist Klangforum Wien, Leitung Emilio Pomárico, btl 021 die Kantate O Moon my Pin-up gewid- WE THOUGHT ABOUT DUKE , Monoblue met) inspirieren. Die schlanke Abend- Quartet und Pipe Trio (Franz Koglmann, Rudolf Ruschel, Raoul Herget), hat ART CD 6163 (1994) kühle ist bekannt. Sie ist eine Wohltat VENUS IN TRANSIT mit , Michael Rabino- nach einem üppigen, heißen Tag. In je- witz, Mat Maneri, David Fiuczynski, Peter Herbert, John Mettam, btl 016 (2001) nem schwülen Treibhausklima, in dem O MOON MY PIN-UP Cantata for Solo Voice (Phil sich die zeitgenössische Musikszene Minton), Pipetet (Tony Coe, Barre Phillips) Wiener Vokalisten /Ursula Fiedler, Dir. Gustav Bauer, befindet, atmet Koglmanns Schaffen hatOLOGY 566 (2001) etwas von jenen „Trennschärfen in der OPIUM/ FOR FRANZ mit Bill Dixon, Steve Lacy, Steve Horenstein, Josef Traindl, , Cesarius Alvim Klarheit“, die Pound am Schluss seiner Botelho, Aldo Romano, Toni Michlmayr, Muhammad Pisan Cantos als höchsten Moment der Malli, Gerd Geier, btl 011 (2001) Glückseligkeit einfordert: die Beseelt- AN AFFAIR WITH STRAUSS Monoblue Quartet., btl 006 (2000) © heit der Distanz. Diese Distanz ist aller- MAKE BELIEVE mit Tony Coe, , Brad She- dings nicht so beschaffen, dass der Rezi- pik und Peter Herbert, btl 001 (1999) Ö ANNETTE mit und Gary Peacock, pient unberührt bliebe. Wie alles Ent- hat ART CD 6118 (1992) M fernte lockt sie zur Annäherung. Doch L‘ HEURE BLEUE mit Monoblue Quartet (Tony Coe, Z Franz Koglmann, Burkhard Stangl, Klaus Koch), Mis- das Objekt, das er aus der Nähe zu be- ha Mengelberg, hat ART CD 6093 (1991) 57 trachten wünscht, nähert sich ihm nicht THE USE OF MEMORY mit dem Pipetet, hat ART CD 6078 (1990) 7 an. Man muss sich schon entschließen, ORTE DER GEOMETRIE mit dem Pipetet, special 2002 darauf zuzugehen. guest: , hat ART CD 6018 (1988)