Die „Kinderfachabteilung“ in Der Heil- Und Pflegeanstalt Eglfing-Haar Und Die Nationalsozialistische „Kindereuthanasie“ Zwischen 1940-1945
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Aus dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München Kommissarische Leitung: Prof. Dr. med. Gerrit Hohendorf Die „Kinderfachabteilung“ in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar und die nationalsozialistische „Kindereuthanasie“ zwischen 1940-1945 Dissertation zum Erwerb des Doktorgrades der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität München Vorgelegt von Julia Katzur, geb. Koch aus Leipzig 2017 1 Technische Universität München Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Die „Kinderfachabteilung“ der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar und die nationalsozialistische „Kindereuthanasie“ zwischen 1940 - 1945 Julia Katzur Vollständiger Abdruck der von der Fakultät für Medizin der Technischen Universität München zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Medizin genehmigten Dissertation. Vorsitzender: Prof. Dr. Ernst J. Rummeny Prüfende der Dissertation: 1. Prof. Dr. Gerrit Hohendorf 2. Prof. Dr. Volker Mall Die Dissertation wurde am 25.09.2017 bei der Technischen Universität München eingereicht und durch die Fakultät für Medizin am 10.10.2018 angenommen. 2 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ............................................................................................................................... 5 2. Stand der Forschung ............................................................................................................... 6 2.1. Der geschichtliche Wandel des „Euthanasie“-Begriffes ..................................................... 6 2.2. Die nationalsozialistischen „Euthanasie“-Aktionen im Überblick ................................... 12 2.3. Die nationalsozialistische „Kindereuthanasie“ ................................................................. 20 2.4. Das System der Kinderfachabteilungen ............................................................................ 26 2.5. Forschung an Kindern und Jugendlichen in „Kinderfachabteilungen“ ............................. 33 2.6. Die Rolle der Kinderkliniken und der Kinderärzte ........................................................... 38 2.7. Die Reaktionen der Angehörigen ...................................................................................... 40 2.8. Offene Fragen .................................................................................................................... 44 3. Zielsetzung und Fragestellung der vorliegenden Arbeit ...................................................... 46 4. Quellen und Methoden ......................................................................................................... 48 4.1. Die Krankenakten der Opfer ............................................................................................. 48 4.2. Auswertungsmethoden ...................................................................................................... 52 4.3. Methodenkritik .................................................................................................................. 57 5. Die Entstehung und ärztliche Leitung der „Kinderfachabteilung“ in Eglfing-Haar ............ 60 6. Ergebnisse ............................................................................................................................ 72 6.1. Wer waren die Opfer? ....................................................................................................... 72 6.1.1. Die Kollektivbiographie der „Reichsausschußkinder“................................................... 73 6.1.2. Individuelle Biographien .............................................................................................. 120 6.2. Selektionskriterien ........................................................................................................... 126 6.3. Diagnostische Verfahren und Forschung in der „Kinderfachabteilung“ Eglfing-Haar .. 152 6.4. Haltung und Reaktionen der Angehörigen ...................................................................... 159 7. Diskussion .......................................................................................................................... 182 8. Zusammenfassung .............................................................................................................. 188 3 9. Anhang ............................................................................................................................... 197 9.1. Voraufenthalte ................................................................................................................. 197 9.2. Auswertungsschema zur Erschließung des Krankenaktenbestandes .............................. 199 10. Referenzen ........................................................................................................................ 221 10.1. Unveröffentlichte Quellen ............................................................................................. 221 10.2. Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 221 11. Lebenslauf ........................................................................................................................ 238 12. Danksagung ...................................................................................................................... 240 4 1. Einleitung „Fixiert nicht, kann nicht sitzen, gehen oder stehen, ist unrein, kein Sprachverständnis, keinerlei Sprachvermögen, tiefstehender Idiot, hochgradig pflegebedürftig.“ Die dreijährige Therese B. wurde durch den Anstaltsarzt Dr. Gustav Eidam in einer Krankenakte auf diese Worte reduziert. Laut damaliger Diagnose litt Therese an Cerebraler Kinderlähmung. Am 22. Februar 1943 verstarb sie an einer Lungenentzündung, welche durch die Verabreichung des Medikamentes „Luminal“ induziert wurde und einen natürlichen Tod vortäuschen sollte.1 Das Mädchen war eines von 332 Kindern, das unter der Leitung des Anstaltsdirektors Hermann Pfannmüller (1886 – 1961) in der zwischen 1940 und 1945 eigens zur Beobachtung und Tötung von geistig und körperlich behinderten Kindern eingerichteten „Kinderfachabteilung“ der Heil- und Pflegeanstalt in Eglfing-Haar bei München im Rahmen der sogenannten „Kindereuthanasie“ getötet wurde.2 Im Mittelpunkt der vorliegenden medizinhistorischen Dissertation stehen die Schicksale und Lebenswege dieser psychisch und/oder körperlich behinderten Kinder. Die Arbeit stützt sich auf die Untersuchung der erhaltenen, im Archiv des Bezirks Oberbayern einsehbaren Krankenakten der „Kinderfachabteilung“. Mit Hilfe eines standardisierten, operationalisierten Auswertungsschemas werden die Patientenakten analysiert. Die somit generierte Statistik ermöglicht es, die Patientenschicksale als Kollektiv zu betrachten. Durch den Vergleich der Gruppe der überlebenden Kinder mit der Gruppe der getöteten Kinder können neue Ergebnisse zu den im Rahmen der „Kindereuthanasie“ angewandten Selektionskriterien gewonnen werden. Dabei wird auch ein Blick auf die Motive der Täter und deren Forschungsinteressen geworfen. Bei der Aufarbeitung der „Euthanasiemorde“ muss einer wie in Thereses Fall durch die Täter vorgenommenen Stereotypisierung und Stigmatisierung der Opfer entgegengewirkt werden. Die statistische Auswertung der Krankenakten muss durch die Nachzeichnung von Lebensgeschichten ergänzt werden, da den einzelnen Opfern sonst abermals ihre Individualität aberkannt wird. Weiterhin wird anhand der Analyse von Aktennotizen und Korrespondenzen ein Beitrag zum Verhalten und zur Rolle der Angehörigen im Kontext der gesellschaftlichen, politischen und kriegsbedingten Lebensumstände der betroffenen Familien geleistet. 1 Archiv des Bezirks Oberbayern, Bestand Eglfing-Haar, Patientenakte Nr. 6230, Krankengeschichte aus der „Kinderfachabteilung“, Akteneinträge des Anstaltsarztes. 2 Vgl. Schmidt, G. (1965): Selektion, S. 113. 5 2. Stand der Forschung 2.1. Der geschichtliche Wandel des „Euthanasie“-Begriffes Der Begriff „Euthanasie“ führt bis in die Antike zurück und erfuhr im Laufe der Geschichte eine starke Wandlung. Erstmals nachzuweisen ist er in den Werken von griechischen Komödiendichtern wie Kratinos (um 500 – um 420 v. Chr.), Menandros (342/341 – 293/292 v. Chr.) und anderen.3 In der epikureischen Philosophie wurde er im Sinne eines leichten und schmerzlosen Sterbens, bei den Stoikern als Inbegriff für einen guten und ehrenvollen Tod gebraucht. „Euthanasie“ im Zusammenhang mit ärztlicher Sterbebegleitung und der Hilfe zum Sterben ist als eine Ausdehnung des Begriffes anzusehen.4 Schon im 17. Jahrhundert plädierte Francis Bacon (1561 – 1626) für die Erleichterung des Sterbens Todkranker durch die Verabreichung von Schmerz- und Betäubungsmitteln im Sinne der sogenannten „Äußeren Euthanasie“. Hiervon zu unterscheiden ist die „Innere Euthanasie“, welche laut Bacon die Vorbereitung der Seele auf den Tod erfordert. Erste öffentliche Bekenntnisse einzelner Ärzte zur aktiven Lebensverkürzung sind um 1800 zu verzeichnen, fanden jedoch wenig Beachtung. Überlagert durch ältere Begriffsbestimmungen der „Euthanasie“, wurde Bacons Forderung nach Euthanasia exterior erst am Übergang zum 19. Jahrhundert wieder aufgenommen und fand schließlich Einzug in die therapeutische Vorgehensweise am Lebensende. Gab es hinsichtlich der Auslegung des „Euthanasie“-Begriffes noch unterschiedliche Meinungen in der Ärzteschaft, war man sich weitestgehend einig, dass eine Anwendung von lebensverkürzenden Maßnahmen nicht stattfinden dürfe.5 Darüber hinaus warnte Christoph Wilhelm Hufeland (1762 – 1836) schon im Jahr 1806