„…herzlichen Dank für Alles, was Sie unserem Konrad an Güte und Liebe geben“ ‚Kindereuthanasie‘ im Nationalsozialismus

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Lukas HOSCHER

am Institut für Geschichte Begutachter: O. Univ.-Prof. Dr. phil. Dr. h.c. Helmut Konrad

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und mich auch sonst keiner unerlaubten Hilfe bedient habe.

______Datum Unterschrift

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all denjenigen bedanken, die mich während der Anfertigung dieser Diplomarbeit unterstützt und motiviert haben. Zuerst gebührt mein Dank Herrn Dr. Helmut Konrad, der meine Diplomarbeit nicht nur betreut und begutachtet hat, sondern mir auch mit hilfreichen Anregungen und konstruktiver Kritik geholfen hat. Ebenfalls möchte ich mich bei meiner Freundin, Sophie, bedanken, welche mich immer unterstützt und motiviert hat. Ein ganz besonderer Dank gilt der Familie Viertler, allen voran Pater Koloman, welcher mir zahlreiche Informationen über seinen Bruder, Konrad Viertler, zur Verfügung gestellt hat. Vielen Dank auch an meine Geschwister, Verena und Georg, die großes Interesse an dem Fortschritt der Diplomarbeit hatten und mir bei Problemen mit der Formulierung immer zur Seite standen. Abschließend möchte ich mich bei meinen Eltern, Monika und Franz, bedanken, die mich nicht nur finanziell, sondern auch moralisch immer unterstützt und mir den Rücken gestärkt haben. Ohne sie wäre das Studium nie möglich gewesen.

Inhaltsverzeichnis I. Einleitung ...... 6 1.1. Warum dieses Thema? ...... 6 1.2. Kurzüberblick ...... 6 1.3. Quellenlage ...... 7 1.4. Aktueller Forschungsstand ...... 8

II. Der Begriff ‚Euthanasie‘ ...... 9 2.1. Erstmalige Erwähnung ...... 9 2.2. Verschiedene Bedeutungsebenen ...... 10 2.3. ‚Euthanasie‘-Verständnis vom 16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ...... 12 2.4. ‚Euthanasie‘-Verständnis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ..... 16 2.4.1. Sozialdarwinismus und Rassenhygiene ...... 17 2.4.2. Alfred Ploetz´ Auffassung von Rassenhygiene ...... 19 2.5. ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ ...... 21

III. Die Entwicklung und Durchführung der ‚Kindereuthanasie‘ im Nationalsozialismus ...... 25 3.1. Verschmelzung von rassenhygienischen Konzepten mit der NS-Ideologie ...... 25 3.2. Nationalsozialistische Propaganda ...... 26 3.3. ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ ...... 28 3.5. Der ‚Fall Leipzig‘ als Anstoß zur ‚Kindereuthanasie‘ ...... 31 3.6. Planung der ‚Kindereuthanasie‘...... 35 3.7. Umsetzung der ‚Kindereuthanasie‘ ...... 37 3.7.1. Tötungsmethoden ...... 42 3.7.2. Opferzahlen ...... 45

IV. Die ‚Kinderfachabteilungen‘ im Dritten Reich ...... 46 4.1. Errichtung der ersten ‚Fachabteilung‘ in Brandenburg-Görden ...... 46 4.2. Weitere Errichtungen solcher ‚Fachabteilungen‘ ...... 48

V. Das ‚alltägliche Morden‘ am Beispiel der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee ...... 52 5.1. Von der Gründung bis zur NS-Zeit ...... 52 5.1.1. Vom Reichsstift bis zur Kreis-Irrenanstalt ...... 52 5.1.2. Therapie und Heim ...... 53 5.2. Psychiatrie im Dienst der Selektion und Ausmerzung ...... 54 5.3. ‚E-Kost‘ ...... 57 5.4. Tbc-Versuche in der ‚Kinderfachabteilung‘ ...... 60 5.5. Beteiligtes Personal ...... 65 5.6. Letzte ‚Ruhestätten‘ ...... 68 5.7. Ende der NS-‚Euthanasie‘ ...... 70 5.8. Opferzahlen ...... 71 5.9. Dem Gedenken verpflichtet ...... 71

VI. Die Leidensgeschichte des Konrad Viertler ...... 74 6.1. Geburt und die ersten Jahre in der Familie ...... 74 6.2. Verlegung nach Mils ...... 75 6.3. Verlegung nach Kaufbeuren ...... 77 6.4. Briefe und Diagnosen ...... 79

VII. Schlusswort ...... 85

VIII. Bibliographie ...... 87 8.1. Quellenverzeichnis ...... 87 8.2. Literaturverzeichnis ...... 88 8.3. Darstellungsverzeichnis ...... 92

I. Einleitung

1.1. Warum dieses Thema?

Der Haupttitel meiner Diplomarbeit ‚...herzlichen Dank für Alles, was Sie unserem Konrad an Güte und Liebe geben‘ wäre ohne den Untertitel ‚‚Kindereuthanasie‘ im Nationalsozialismus‘ nur schwer zu begreifen. Das Zitat stammt aus einem Brief meiner Urgroßeltern an den Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee. Ihr Sohn und somit mein Großonkel, Konrad Viertler, wurde in dieser bayerischen Anstalt im Zuge der NS-‚Kindereuthanasie‘ getötet. Dieser Brief und weitere vorhandene Dokumente waren schließlich ausschlaggebend dafür, dass ich mich für diese Diplomarbeit entschieden habe. Dies zu lesen war aus emotionaler Sicht zwar nicht einfach, nichtsdestotrotz wollte ich es für mich, aber auch für meine Verwandten mütterlicherseits, umfassend aufbereiten. Außerdem bin ich der Meinung, dass nur durch eine Auseinandersetzung eine Verarbeitung solcher Gräueltaten geschehen kann.

1.2. Kurzüberblick

Durch vorliegende Arbeit soll die NS-‚Kindereuthanasie‘ am Beispiel der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee und der Leidensgeschichte von Konrad Viertler verdeutlicht und erklärt werden.

Vorab werden historische und begriffliche Grundlagen zur NS-‚Kindereuthanasie‘, welche zum Teil aus der Antike und der Neuzeit stammen, geklärt. Ebenfalls wird die Verschmelzung dieser historischen Grundlagen mit der NS-‚Euthanasie‘ beschrieben. Angefangen bei den Vorstufen, wie der nationalsozialistischen Propaganda, dem Gesetz zur Verhütung und dem ‚Fall Leipzig‘, werden im Laufe der Arbeit die tatsächliche Planung und Umsetzung der NS-‚Kindereuthanasie‘ erklärt. Nachdem die verschiedenen Tötungsmethoden der ‚Kindereuthanasie‘ und die damit verursachten Opferzahlen dargelegt wurden, wird ein Überblick über die beteiligten ‚Kinderfachabteilungen‘ im Dritten Reich gegeben. Dabei wird eine genauere Beschreibung der Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee zur Zeit des Nationalsozialismus geboten. Durch die nähere Betrachtung der Anstalt wird gezeigt, welche menschenunwürdigen Maßnahmen, wie etwa die Umstellung der 6

Mahlzeiten auf eine ‚Hungerkost‘ oder die Experimente an Kindern, ergriffen wurden, um dem NS-Staat einen ‚Dienst zu erweisen‘. Weiteres veranschaulicht die vorliegende Arbeit, wie sehr die NS-‚Euthanasie‘ mit dem angestellten Personal, den ÄrztInnen und den PflegerInnen verbunden war. Zudem soll eine möglichst genaue Zahl an Opfern der ‚Euthanasie‘ allgemein, sowie der ‚Kindereuthanasie‘ genannt und ermittelt werden. Als letzter Teil wird schließlich die Leidensgeschichte Konrad Viertlers dargelegt, welche in der ‚Kinderfachabteilung‘ Kaufbeuren-Irsee sein Ende fand. Es wird eine möglichst genaue Schilderung von der Geburt eines womöglich geistig beeinträchtigten Kindes, über die Auswanderung der Familie aus Südtirol nach Deutschfeistritz/Steiermark, bis hin zur Überführung des Konrad Viertlers in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee gegeben.

1.3. Quellenlage

Generell mangelt es beim Thema NS-‚Euthanasie‘ oder auch ‚Kindereuthanasie‘ nicht an Literatur, jedoch ist diese relativ einseitig. Die zentralen Werke, welche vor allem für die Begriffsbestimmung und die Entwicklung der ‚Kindereuthanasie‘ im Nationalsozialismus verwendet wurden, stammen von Klee, Benzenhöfer, Schmuhl und Friedlander. Von diesen von mir am häufigsten zitierten Autoren, muss Herr Udo Benzenhöfer herausgehoben werden. Benzenhöfer hat zahlreiche Werke, die sich im Speziellen mit der ‚Kindereuthanasie‘ beschäftigen, verfasst. Darunter ‚Der Fall Leipzig (alias Fall ‚Kind Knauer‘) und die Planung der NS-‚Kindereuthanasie‘, ‚‚Kinderfachabteilungen‘ und NS- ‚Kindereuthanasie‘‘ und ‚Der gute Tod? Euthanasie und Sterbehilfe in Geschichte und Gegenwart‘, welche für meine Verfassung äußerst wichtig waren. Für das Kapitel über die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee sind in erster Linie die Werke von Ernst Mader und Erich Resch zu nennen. Zusätzlich wurden einige Texte des langjährigen Direktors des Bezirkskrankenhauses (BZK) Kaufbeuren (reg. 1980–2006) Dr. Michael von Cranach und der heute leitenden Archivarin des BZK, Dr. Petra Schweizer- Martinschek verwendet. Da bereits ein Bruder meines Großonkels Nachforschungen angestellt hatte, liegen mir einige Briefe (geschrieben zwischen den Eltern von Konrad Viertler und dem damaligen Direktor von Kaufbeuren), Bilder und auch andere Informationen vor.

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1.4. Aktueller Forschungsstand

Erste Ansätze zur Aufarbeitung der NS-‚Euthanasie‘ finden sich schon im Jahr 1947 mit der Erstausgabe des Dokumentationsbandes ‚Das Diktat der Menschenverachtung‘ von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke. Weitere Forschungen zu diesem Thema blieben danach aber für längere Zeit aus. Auch die Neuauflage dieses Buches mit dem Titel ‚Medizin ohne Menschlichkeit‘ änderte daran nichts. Erst in den 70er und 80er Jahren begann sich eine neue Generation von HistorikerInnen und MedizinerInnen mit dem Thema der ‚Euthanasie‘ intensiv zu befassen. In dieser Zeit entstanden bedeutende Werke, welche bis heute zu den Standartwerken zählen. Darunter Ernst Klee und Hans-Walther Schmuhl, um nur zwei davon zu nennen. Um die Jahrtausendwende beschäftigte sich Udo Benzenhöfer mit dem Thema der ‚Kindereuthanasie‘ am ausführlichsten.

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II. Der Begriff ‚Euthanasie‘

Dieses Kapitel widmet sich der Klärung des Begriffes ‚Euthanasie‘ und dessen weitgespannten Bedeutungsfeld. Die Vielschichtigkeit des Begriffes ist auf die zahlreichen und verschiedenen Bedeutungsebenen, welche sich in der Zeit überlagerten, ohne das ältere Bedeutungsgehalte völlig verdrängt wurden, zurückzuführen.1 Es soll veranschaulicht werden, dass die NS–‚Euthanasie‘ nicht aus dem Nichts entstanden ist. Schon in frühester Zeit war die Tötung von Menschen, welche als zu ‚schwach‘ für die Gesellschaft angesehen wurden, ein Thema.

2.1. Erstmalige Erwähnung

Das Wort ‚Euthanasie‘ stammt vom griechischen Wort ‚euthanatos‘ ab und setzt sich aus ‚eu‘, was ‚gut‘ oder ‚schön‘ bedeutet, und ‚thanatos‘, was ‚Tod‘ bedeutet, zusammen.2 Die frühesten Zeugnisse des Begriffes ‚Euthanasie‘ stammen aus dem antiken Griechenland und Rom. Bereits zu dieser Zeit gab es zweifellos Fälle, in denen ÄrztInnen unheilbar kranke PatientInnen sozusagen aufgegeben haben. Das heißt, sie haben sie bewusst nicht mehr behandelt. Zudem gab es Selbsttötungen, bei denen Krankheiten als Grund für den Suizid angegeben wurden. So sollen sich der Überlieferung nach zwei griechische Philosophen, Speusippos und Zeno, wegen körperlicher Beschwerden selbst getötet haben. Auch hat sich der Römer Tullius Marcellinus wegen einer langwierigen Krankheit zu Tode gehungert. Obwohl es nicht mit letzter Sicherheit nachgewiesen werden kann, so gab es in der Antike sehr wahrscheinlich auch Fälle, in denen ÄrztInnen Kranke auf Verlangen getötet oder zumindest Beihilfe dazu geleistet haben. Dies geschah, obwohl der ‚hippokratische Eid‘ eine solche Durchführung schon damals verboten hat. Ebenfalls eine gängige Praxis in der Antike war die Aussetzung von ‚behinderten‘ oder unerwünschten Kindern. Eine solche Aussetzung bezeichnet man als Infantizid. Einen Sonderfall stellt die Aussetzung in Sparta dar, welche im Folgenden kurz erklärt wird, da sie für die spätere Geschichte der ‚Kindereuthanasie‘ von großer Bedeutung ist.

1 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 25 2 Vgl. Wunder, http://gedenkort-t4.eu/de/gegenwart/was-heisst-euthanasie 9

Der römische Schriftsteller Plutarch (46–ca. 120 n. Chr.) schildert die von Staats wegen beschlossene Aussetzung wie folgt:3

„Bei dem Kinde entschied keineswegs der Wille des Vaters über dessen Aufziehung. Der Vater nahm es nur und brachte es an einen gewissen Ort, der Lesche hieß. Dort saßen die Ältesten seines Stammes und untersuchten das Kind. Wenn es festgebaut und recht kräftig war, so befahlen sie die Aufziehung und teilten ihm eines von den 9000 ‚Losteilen‘ (an Güterbesitz) zu. War es dagegen schwach und mißgestaltet, so schickten sie es in die sogenannten ‚Apothetä‘, einen abgegrenzten Ort am Taygetus. Nach ihrer Meinung war es für ein Wesen selbst, das nicht gleich anfangs eine gesunde, kräftige Organisation besaß, ebensowenig als für den Staat von Nutzen, wenn es am Leben blieb.“4

Diesen Tod bezeichnete Cicero als Sterben im Dienste des Staates.5 Benzenhöfer sieht darin nicht ausschließlich das Interesse des Staates an ‚starken‘ und ‚wehrfähigen‘ Bürgern. Denn diesbezüglich konnte man sich darauf verlassen, dass die auf körperliche Ertüchtigung ausgerichtete Erziehung mit dem harten Lagerleben schon dafür sorgen würde, dass psychisch oder physisch Beeinträchtigte aus der Bürgerschaft ausgeschlossen blieben. Er sieht in dem staatlich kontrollierten Selektionsmodus eher die Furcht des Staates, dass gesunde und starke Kinder ‚verloren‘ gehen, wenn die Väter wegen Rücksicht auf schon vorhandene Söhne, sich für die Aussetzung ‚überzähliger‘ Söhne entschieden. Dadurch könnte es ein gesundes und starkes Kind treffen.

2.2. Verschiedene Bedeutungsebenen

In der Antike findet sich nicht nur die erste Durchführung von ‚Euthanasie‘ bzw. ‚Kindereuthanasie‘, sondern in dieser Zeit wurde ‚Euthanasie‘ auch unterschiedlich verstanden und ausgelegt.6 Der Begriff hatte in der Antike nicht eine Bedeutung allein, sondern mehrere Bedeutungsschichten, welche zum Teil nicht strikt voneinander getrennt sind. Diese werden im Folgenden kurz erläutert.7 Die griechischen Philosophen Kratinos (ca. 500–ca. 420 v. Chr.), Poseidippos (ca. 310–240 v. Chr.) und Philo von Alexandria (ca. 20 v. Chr.–ca. 50 n. Chr.) verstanden

3 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 13–14 4 Ebd., 15 5 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 25 6 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 14–15 7 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 25 10

unter dem Wort den leichten Tod ohne vorübergehende Krankheit.8 Also einen Tod, der ohne lange Krankheit, relativ schnell eintrat.9 Sueton (70–122 n. Chr.) und Josephus (37/38–ca. 100 n. Chr.), zwei römische Philosophen, vertraten im Hinblick auf einen schnellen Tod unterschiedliche Meinungen. Sueton bezieht sich auf Kaiser Augustus, welcher den Begriff ‚Euthanasie‘ selbst verwendete und ihn als einen leichten, schmerzlosen und schnellen Tod verstand. Josephus hingegen sah darunter den schnellen Tod durch Feindeshand. Dazu gab er die Belagerung der Stadt Samaria, in welcher der israelitische König Joram eingeschlossen war, als Beispiel. Vier Männer lebten außerhalb der Stadt und waren von der Belagerung ebenfalls betroffen. Als sie keine Lebensmittel mehr hatten und sie kurz vor dem Hungertod standen, beschlossen sie, sich ihren Feinden zu zeigen. Sie waren nämlich der Meinung, dass ein schneller Tod durch Feindeshand gegenüber einem langsamen und qualvollen Hungertod zu favorisieren war. Übrigens kam es nicht dazu, denn die Belagerung der Stadt war bereits zu Ende.10 Für den griechischen Komödienschreiber Menandros (342/41–293/92 v. Chr.) hatte ‚Euthanasie‘ die Bedeutung, eines rechtzeitigen und frühzeitigen Todes zu sterben, also eines Todes in der Jugend, da das Alter nur von Überdruss und Verfall geprägt war.11 So sagt er: „Wen die Götter lieben, der stirbt jung“.12 Weiteres beschreibt Menandros in einer weiteren Komödie den Tod aus übervollem Überdruss als einen guten Tod. Diese Beschreibung ist wohl ironisch gemeint, denn es ist zu bezweifeln, so Benzenhöfer, dass dies der Idealvorstellung des Dichters selbst entsprach.13 Zudem gibt es noch zwei unterschiedliche Untergruppen eines würdigen Todes, welche den Begriff einerseits als einen Tod ‚nach tugendhafter Art‘ und andererseits als einen ehrenvollen Tod im Kampf beschreiben. Dies zeigt, dass in der Antike mit dem Begriff ‚Euthanasie‘ ein Wunschbild ausgedrückt wurde und nicht im medizinischen Kontext, etwa in Bezug auf die Handlung eines Arztes oder einer Ärztin, gebraucht wurde. Die Beihilfe zur Selbsttötung oder die Tötung auf Verlangen wurde in der Antike somit nicht mit dem Begriff ‚Euthanasie‘ bezeichnet. Der Grund dafür liegt in dem Rechtsverständnis. Nicht nur der ‚Hippokratische Eid‘, wie bereits erwähnt, verbot die Beihilfe zur Selbsttötung, sondern auch das Recht in der Antike. Sowohl

8 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 21 9 Vgl. ebd., 15 10 Vgl. ebd., 21 11 Vgl. ebd., 16 12 Ebd., 15 13 Vgl. ebd., 17 11

in Griechenland als auch im Römischen Reich fiel das Töten eines Menschen, auch wenn er darum gebeten hatte, unter Mord und wurde daher mit Strafe belegt. 14

2.3. ‚Euthanasie‘-Verständnis vom 16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Wie schon in der Antike war auch im christlichen Mittelalter und auch in der Frühen Neuzeit die aktive Tötung eines Schwerkranken, ob durch einen/einer MedizinerIn oder einem/einer Nicht-MedizinerIn, untersagt. Deswegen wird diese Zeit auch nicht näher erläutert. Um die Entwicklung der ‚Euthanasie’ vom 16. Jahrhunderts bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu veranschaulichen, wird im Folgenden nun auf einige Positionen, wie zum Beispiel die von Thomas Morus und Francis Bacon, eingegangen. Zunächst wird Thomas Morus (1477/78–1535), ein englischer Schriftsteller und Diplomat, behandelt. Morus hat 1515/16 ein Werk mit dem Titel ‚Ein wahrhaft herrliches, nicht weniger heilsames denn kurzweiliges Büchlein von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia‘ verfasst. Nun soll natürlich nicht das ganze Werk erklärt werden, sondern lediglich die Passagen, welche mit ‚Euthanasie‘ zu tun haben. Um aber die Textstellen über die ‚Euthanasie‘ besser zu verstehen, muss vorab die Tugend- und Gesundheitslehre der ‚Utopier‘ kurz erklärt werden. Die ‚Utopier‘ bestimmen Tugend als naturgemäßes Leben. Da die Natur dem Menschen ein angenehmes und lustvolles Leben vorschreibt, halten sie es für zulässig, ja sogar für erstrebenswert, sich Lust und Genuss zu verschaffen, wenn andere dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die Grundbedingung für ein lustvolles Leben ist für die ‚Utopier‘ die körperliche Gesundheit.15 Morus beschreibt die Gesundheit folgendermaßen: „Sie allein macht [...] das Leben angenehm und lebenswert, und wo sie fehlt, bleibt nirgends mehr ein Platz für irgendein Vergnügen“.16 Was mit ‚Utopiern‘ geschieht, die, obwohl sie eine gesunde Lebensweise verfolgen, krank werden und die ÄrztInnen diese nicht mehr heilen können, findet sich explizit in zwei Textabschnitten. Der eine nennt sich ‚De aegrotis‘ (‚Über die Kranken‘) und der andere ‚Mors spontanea‘ (‚Freiwilliger Tod‘). Zum einen weist Morus auf die überfürsorgliche Pflege von Kranken im Abschnitt ‚Über die Kranken‘ hin, doch zum anderen beschreibt er im Abschnitt ‚Freiwilliger Tod‘, dass, wenn die Krankheit nicht nur unheilbar, sondern auch schmerzhaft ist, dann werden Behörden und

14 Vgl. ebd., 21ff 15 Vgl. ebd., 61–63 16 Ebd., 63 12

Priester tätig. Wenn dies der Fall ist, dann reden die Vertreter der Behörden und die Priester auf den Kranken ein, dass er nicht länger an dem qualvollen Leben festhalten und auch seinen Mitmenschen nicht mehr zur Last fallen soll. Es wird also nicht der tatsächliche Wille des Kranken festgestellt, sondern es wird ihm sozusagen der Selbsttod eingeredet. Da auch ein Priester anwesend ist und dieselbe Position vertritt, ist es auch kein widergöttlicher Akt und somit mit dem Christentum vereinbar. Daher kann die Bezeichnung von einem ‚freiwilligen Tod‘ nur als Ironie gesehen werden. Dieser ‚freiwillige Tod‘ wird durch ‚freiwilliger‘ Enthaltung von Nahrungsmitteln oder durch Einschläferung dann auch umgesetzt. Auch wenn in dem Werk ein sogenannter ‚Gnadentod‘ befürwortet wird, heißt dies noch lange nicht, dass der gläubige Christ Morus auch diese Position vertreten hat. Es kann auch nur ein Gedankenspiel gewesen sein. Somit wird, nach Benzenhöfer, Thomas Morus noch lange nicht zum ‚frühneuzeitlichen Peter Singer‘ (zu ihm später mehr), denn er selbst war wohl kein Befürworter einer solchen ‚utopischen‘ ‚Euthanasie‘.17 Nun zu einer weiteren Position der Neuzeit und zwar zu der von Sir Francis Bacon (1561–1626), welcher erstmals den Begriff ‚Euthanasie‘ mit ärztlichem Handeln, um unheilbar Kranken qualvolles Leid zu ersparen, verband.18 Die Wirkungszeit von Sir Francis Bacon, ein Jurist, Diplomat und Philosoph, gilt als Beginn der Neuzeit. Am Anfang des 17. Jahrhunderts widmete er sich seinem großen Thema, der Neuordnung der Wissenschaften. Darin behandelte er auch die Entwicklungsmöglichkeiten der Medizin, somit zwangsläufig auch das Problem der unheilbaren Krankheiten und damit der ‚Euthanasie‘. In diesem Abschnitt kritisierte Bacon das voreilige Diagnostizieren von unheilbaren Krankheiten, denn manche als unheilbar krank deklarierte PatientInnen überleben trotzdem und gerade deshalb sollten sich die ÄrztInnen, so Bacon, dem Bereich der Unheilbarkeit intensiver zuwenden. In diesem Kontext kam er auch auf die ‚Euthanasie‘ zu sprechen. Bacon ist der Ansicht, dass es die Pflicht der MedizinerInnen ist, alles Mögliche für die PatientInnen zu tun, um sie wieder zu heilen und sie dadurch von ihren Schmerzen zu befreien. Besteht jedoch überhaupt keine Hoffnung mehr, dann soll der Arzt oder die Ärztin die Schmerzen lindern, um einen sanften Tod zu bereiten. Dahingehend beruft er sich auf die antiken ‚Euthanasie‘-Vorstellungen. Vor allem der Bezug zu Epikur, welcher sich bewusst mit Wein betäubt hat, um einen ‚leichten Tod‘ zu haben, ist erstaunlich. Denn die anderen, welche er als Beispiele nennt, wie Kaiser Augustus und Kaiser Antonius Pius, sind ohne eigenes Zutun gestorben.

17 Vgl. ebd., 63–66 18 Vgl. Wunder, http://gedenkort-t4.eu/de/gegenwart/was-heisst-euthanasie 13

Bacon kritisierte wiederum die MedizinerInnen seiner Zeit, weil sie so für ihre PatientInnen sorgen sollten, wie Epikur für sich selbst gesorgt hatte. Er sprach sich somit deutlich dafür aus, dass die MedizinerInnen aktive Sterbehilfe leisten sollen, um den Kranken von seinen Qualen zu befreien. Dahingehend verweist er lediglich auf die Gabe von schmerzstillenden und betäubenden Mitteln, lässt aber die Begleitung des Sterbenden völlig außer Acht.19 Diese ‚euthanasia exterior‘ (äußere ‚Euthanasie‘) kümmert sich also nicht um die Vorbereitung der Seele auf den Tod, sondern meinte zum ersten Mal ärztliche Handlungen, um den Sterbenden den Todeskampf zu erleichtern.20 Jedoch ist Palliativmedizin, modern ausgedrückt, nicht ausschließlich pharmakologische Schmerztherapie, sondern es geht vor allem auch um die Begleitung des Kranken.21 Bacons Verständnis von ‚Euthanasie‘ fand nahezu zwei Jahrhunderte lang keine Beachtung.22 Erst am Beginn des 18. Jahrhunderts widmete sich ein Medizinstudent namens Zacharias Philippus Schulz in seiner Dissertation dem Thema der ‚Euthanasie‘ und somit auch der Auffassung von Bacon. In der Untersuchung von Schulz ging es nicht um die ‚pharmakogene Euthanasie‘, da er diese ablehnte, sondern um das Bereiten eines sanften Todes, ohne Zutun von Medikamenten. Für ihn galt also die Vorbereitung der Seele als zentral. Der/Die MedizinerIn sollte den unheilbar Kranken nicht mit ‚erregenden‘ Mitteln beeinträchtigen, sondern lediglich Pflegemaßnahmen vornehmen.23 Der Grund, warum Schulz die Position der ‚euthanasia medica‘ vertrat, war, weil er den leichten Tod als göttliche Fügung sah und der Arzt oder die Ärztin diesen lediglich zu unterstützen hat.24 Die Positionen von Bacon und Schulz zeigen sozusagen die Grundlinien der Diskussionen um die ‚Euthanasie‘ auf. Das Modell von Thomas Morus, wodurch die Tötung unheilbar Kranker auf Verlangen von MedizinerInnen oder auch Nicht-MedizinerInnen erfolgen konnte, wurde im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert an keiner Stelle legitimiert, so Benzenhöfer. Anders als Morus‘ Modell war Bacons Vorschlag, dass ÄrzteInnen pharmakologische Mittel einsetzen sollten, zunächst umstritten, wurde aber am Ausgang des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts durchaus mehr und mehr akzeptiert. Einer dieser ‚vorsichtigen‘ Befürworter war der Niederländer Nicolaus Paradys (1740–1812). Paradys widmete sich in seiner Rücktrittsrede vom Prorektorat dem Thema der ‚Euthanasie‘. Er war, wie Bacon, der Meinung, wenn man für einen/eine PatientIn mit absoluter Sicherheit

19 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, S. 66–69 20 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 25 21 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 69 22 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 25 23 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 70–71 24 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 26 14

nichts mehr tun kann und dieser auch Schmerzen hat, so sollten die ÄrztInnen keine Medikamente an diese verschwenden, sondern für einen sanften Tod sorgen.25 Eine Rechtfertigung dafür lautet wie folgt: „Um dem Menschen ins Leben hineinzuhelfen, dazu gibt es eine eigene Kunst, die Hebammenkunst, aber dafür, daß man erträglich wieder hinauskomme, ist fast nichts getan.“26 Der berühmte Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) war ebenfalls dafür, einen Menschen, der eine tödliche Krankheit hat, von den Schmerzen zu befreien bzw. sein Dasein zu erleichtern. Diese Aussage ist ein wenig verwirrend, denn in den folgenden Aussagen erscheint er eigentlich als ein Widersacher der ‚Euthanasie‘. Er verwies auf den ‚Hippokratischen Eid‘ und darauf, dass dieser gebrochen werden würde, sollte ein Arzt oder eine Ärztin jemanden vorzeitig vom Leben befreien.27 Der/Die ideale MedizinerIn „soll und darf nichts anders thun, als Leben erhalten; ob es ein Glück oder Unglück sey, ob es Werth habe oder nicht, dies geht ihn nichts an“.28 Sollte ein Arzt oder eine Ärztin einmal diese Linie überschreiten, dann fühlt er/sie sich berechtigt, eine solche Vorgehensweise auch auf andere Fälle anzuwenden, so Hufeland. Dies ist ein interessanter Punkt, da er wohl der Erste war, der das ‚Argument der abschüssigen Bahn‘ anführte. Er war somit der Meinung, dass eine Debatte über angeblich ‚lebensunwertes Leben‘ schon in den Anfängen zu bekämpfen sei. Hufeland erscheint somit eher als ein Gegner der ‚Euthanasie‘. Ein eindeutiger Gegner der ‚Euthanasie‘ war hingegen ein gewisser Herr Dr. Reimann (Vorname leider nicht bekannt). Er veröffentlichte 1843 das Werk ‚Über die Schädlichkeit Euthanasischer Handlungsweise am Krankenbett‘ und vertrat darin eine klare Sonderposition. Er sprach sich dafür aus, dass ÄrztInnen auch bei unheilbaren Krankheiten weiter ein Rettungsmittel für PatientInnen suchen sollten. Reimann wandte sich nicht gegen Sterbebegleitung im Sinne von guter Betreuung, sondern gegen die ‚medikamentöse Euthanasie‘ vor allem durch Narkotika, weil dadurch das Leben des Kranken bewusst verkürzt werden würde. Etwas, das bei Hufeland nicht zu finden ist. Dies zeigt, dass auch im 16. bis ins 19. Jahrhundert über ‚Euthanasie‘ diskutiert bzw. nachgedacht wurde.29 Im 19. Jahrhundert verstand man unter ‚Euthanasie‘ Sterbebegleitung, jedoch ohne Lebensverkürzung. Auffallend ist, dass die bewusste Beschleunigung des Sterbens durch den Arzt oder die Ärztin durchwegs auf Ablehnung stoß. Wenngleich das Problem der Leidensverlängerung durch eine Verlängerung des Lebens durchaus gesehen

25 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 71ff 26 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 26 27 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 73 28 Ebd., 73 29 Vgl. ebd., 74–76 15

wurde. Hufeland und auch einige andere Vertreter seiner Meinung, sprachen dem/der MedizinerIn das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden, kategorisch ab. 30 Für sie ist es „das höchste Ziel der Heilkunde“, „das Leben der Menschen zu erhalten und womöglich zu verlängern“.31 Jedoch scheint sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Auffassung bei ÄrztInnen durchgesetzt zu haben, dass ‚Beruhigungsmittel‘ durchaus verabreicht werden dürfen, da man die Zeit des Leidens nicht noch verlängern wollte. Eine einheitliche Auffassung hierzu bildete sich jedoch nicht.

2.4. ‚Euthanasie‘-Verständnis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

Wie zuvor erwähnt, stimmen die Aussagen zum Thema ‚Euthanasie‘ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert dahingehend überein, dass eine gezielte Lebensverkürzung abgelehnt wurde. Natürlich gab es auch immer wieder Ausnahmen. Jedoch änderte sich diese Grundposition auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht. So steht zum Beispiel in der ‚Realencyglopädie der gesammten Heilkunde‘ (1886) unter dem Begriff ‚Euthanasie‘ geschrieben, dass der/die MedizinerIn lediglich für ein ‚ruhiges und angenehmes‘ Sterben zu sorgen hat. Er/Sie darf jedoch nichts tun, das das Leben des Kranken verkürzen würde. Zahlreiche ähnliche Aussagen sind für diese Zeit nachweisbar. Auch wenn diese Meinungen zur ‚Euthanasie‘ vorherrschten, so heißt das nicht, dass nicht auch andere Einstellungen zu diesem Thema verbreitet waren. Diese sprachen sich für eine Freigabe der ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ aus. Solche Meinungen stammten vor allem von Anhängern des Sozialdarwinismus und der Rassenhygiene bzw. Eugenik. Im Folgenden werden einige bekannte deutschsprachige Autoren vorgestellt, welche sich für die Verkürzung von ‚lebensunwerten Lebens‘ aussprachen.

30 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 26 31 Ebd., 26 16

2.4.1. Sozialdarwinismus und Rassenhygiene

Der große Naturforscher Charles Darwin (1809–1882) widmete sich in seinem 1859 veröffentlichten Werk der ‚natürlichen Auslese‘. Zunächst bezog er sich in seinen Äußerungen ausschließlich auf die Tierwelt. Nur die stärksten Tiere überleben und können sich so auch fortpflanzen. Alle anderen überleben die ‚natürliche Auslese‘ nicht. Auch wenn er sich eigentlich nur auf die Tierwelt bezog, so sind keine großen Gedankenanstrengungen notwendig, um zu erkennen, dass Darwins Entwicklungslehre auch auf die Entwicklungsgeschichte des Menschen zu beziehen war. Darwin wandte seine Theorie aber anfangs nur sehr zurückhaltend auf den Menschen an. Dies war in wissenschaftlicher Vorsicht, jedoch auch aus diplomatischer Sicht begründet, da seine Theorie nicht mit der biblischen Schöpfungsgeschichte in Einklang zu bringen war. Deshalb äußerte er seine Gedanken erst 1871 in seinem Werk ‚Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl‘. Darin sind vor allem die Bemerkungen zum Thema ‚Ausscheidung der Schwachen‘ wichtig. Darwin meinte, dass sich die ‚Schwachen‘ früher nicht fortpflanzen konnten, da dieses Recht ausnahmslos von den ‚Stärksten‘ in Anspruch genommen werden konnte. Die Zivilisation hat aber den ‚Fehler‘ gemacht, dass sie veränderte Bedingungen eingeführt hat.32 Der zivilisierte Mensch verhindere, so Darwin, durch das Erbauen von „Heime[n] für Idioten, Krüppel und Kranke“ und das „[E]rlassen von Armengesetze“ die ‚Ausscheidung der Schwachen‘.33 Darwin ist der Meinung, dass sich durch solche Möglichkeiten, die ‚schwachen‘ Individuen fortpflanzen können und dies für die Rasse des Menschen ‚äußerst nachteilig‘ wäre. Ein weiterer Sozialdarwinist ist Ernst Haeckel (1834–1919). Der deutsche Professor für Zoologie war ein entschiedener Anhänger von Charles Darwin. Jedoch war er ein deutlicherer Befürworter der ‚Euthanasie‘ als Darwin. Haeckel schrieb in seinem Werk ‚Natürliche Schöpfungsgeschichte‘, welches 1870, also ein Jahr vor Darwins´ Buch erschien, dass die ‚künstliche Züchtung‘ durchaus positive Folgen haben könnte. Zudem verwies er auf die bewusste Tötung ‚behinderter‘ Kinder im antiken Sparta und bei den Indianern Nordamerikas. Durch das Gesetz von Sparta, jedes nicht vollkommen gesunde Kind zu töten, wurde jede Generation in ihrer körperlichen Vollkommenheit gesteigert, so Haeckel. Dieselbe Vorgehensweise praktizierten die nordamerikanischen Indianerstämme.

32 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 76–79 33 Ebd., 79 17

Auf die Frage, ob das historische Sparta und die Praktiken der Indianer tatsächlich übertragbare Vorbilder für die ‚zivilisierte Welt‘ sind, lieferte uns Haeckel nur eine doppelbödige Antwort:34

„Wenn jemand [!] vorschlagen würde, die stehenden Heere, von denen doch immer ein mehr oder minder großer Theil zur Ermordung bestimmt ist, aus den schwächlichen und siechen Individuen, statt aus den gesunden und starken zu recrutiren, würde man ihn verhöhnen. Wenn jemand gar den Vorschlag wagen wollte, nach dem Beispiele der Spartaner und der Rothhäute die elenden und gebrechlichen Kinder, denen mit Sicherheit ein sieches Leben prophezeit werden kann, gleich nach der Geburt zu tödten, statt sie zu ihrem eigenen und zum Schaden der Gesammtheit am Leben zu erhalten, so würde unsere sogenannte ‚humane Civilisation‘ in einen Schrei der Entrüstung ausbrechen“.35

Dieser Abschnitt kann auf zwei mögliche Weisen verstanden werden. Zum einen, dass sich Haeckel von so einer Vorgehensweise distanzierte, was eher unwahrscheinlich ist, und zum anderen, dass er sich mit sozusagen vorgehaltener Hand für die ‚Kindereuthanasie‘ aussprach. Deutlicher wird er dazu erst in seinem 1904 erschienen Buch ‚Die Lebenswunder‘..36

„Es kann daher auch die Tötung von neugeborenen verkrüppelten Kindern […] vernünftiger Weise gar nicht unter den Begriff des Mordes fallen, wie es noch in unseren modernen Gesetzbüchern geschieht. Vielmehr müssen wir dieselbe als eine zweckmäßige, sowohl für die Betheiligten wie für die Gesellschaft nützliche Maßregel billigen.“37

Obwohl Haeckel, aufgrund seiner Deutung der spartanischen Kindestötung, es als erwiesen sah, dass eine solche Art von ‚Ausmerze‘ die ‚Menschenzüchtung‘ eröffnete, findet sich in seinen Schriften kein konkreter Aufruf zur ‚Euthanasie‘ der vermeintlich ‚Schwachen‘. Der Grund dafür lag nicht in moralischen Bedenken, sondern in seinem Vertrauen auf die regulativen Mechanismen innerhalb des Evolutionsprozesses. Er vertraute also in die ‚natürliche Auslese‘ und die ‚natürliche Züchtung‘.38 Nur um zu zeigen, dass Haeckel mit seinen Ansichten in Deutschland nicht alleine blieb, sei im Folgenden noch kurz auf Alexander Tille (1866–1912) eingegangen. Tille verfasste zwei Arbeiten, die ihn als ultraradikalen Sozialdarwinisten auswiesen. Auch er bezieht sich in seinem Buch mit dem ominösen Titel ‚Volksdienst‘ auf das antike Sparta. Tille ist der

34 Vgl. ebd., 79–81 35 Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, 155 36 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 82 37 Haeckel, Die Lebenswunder, 23 38 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 32–33 18

Meinung, dass, wo die natürliche Auslese versagt, eine künstliche geschaffen werden muss. Da er, wie schon Haeckel, befürchtete zu wenig Akzeptanz für ein explizites Programm zur Tötung von ‚behinderten‘ Kindern finden würde, forderte er stattdessen ein Fortpflanzungsverbot für die vermeintlich ‚Schwachen‘.39

„Es ist eine soziale Notwendigkeit, daß so lange man die Untüchtigsten nicht töten will, es eine Stufe giebt, auf die sie hinuntersinken können“.40

Tille radikalisierte also in gewisser Weise Haeckels Ansichten, in dem er eine ‚Sozial- Euthanasie‘ der ‚Schwachen und Untüchtigen‘ propagierte.

2.4.2. Alfred Ploetz´ Auffassung von Rassenhygiene

Rassenhygiene, auch als Eugenik bezeichnet, war ebenfalls abseits der Sozialdarwinisten ein Thema. Im England des 19. Jahrhunderts befassten sich unter anderem W. Greg (1809–1881), A. R. Wallace (1823–1913) und F. Galton (1822–1911) mit der Rassenhygiene. Vor allem Galton, ein Vetter Darwins, beschäftigte sich intensiv damit, durch welche Einflüsse die ‚angeborenen Eigenschaften‘ einer Rasse verbessert werden können. Er prägte im Jahr 1883 den Begriff ‚national eugenics‘, zu dem er nicht nur staatliche Fördermaßnahmen zählte, wie beispielsweise die frühe Heirat und die Zeugung vieler Kinder, sondern auch die Einschränkung der Fortpflanzung von ‚Geistesschwachen‘ bzw. ‚Geisteskranken‘.41 Er fasste unter Eugenik all jene Maßnahmen zusammen, die gezielt die Höherentwicklung des Menschen zum Inhalt haben.42 Weiteres machte Galton die Armenfürsorge, Hygiene und Medizin dafür verantwortlich, die ‚natürliche Auslese‘ zu verhindern, was unweigerlich zu einer Degeneration der ‚weißen Rasse‘ führe.43 In Deutschland setzte die Herausbildung der Rassenhygiene etwas später als in England ein. Die in den 1890er Jahren entwickelte Eugenik, vor allem von Wilhelm Schallmayer und Alfred Ploetz, orientierte sich aber in vielerlei Hinsicht an der englischen. Wie schon in den Jahren zuvor wurde auch hier keine direkte Aufforderung zur Tötung der vermeintlich ‚Schwachen‘ postuliert. Jedoch bot die verbreitete Rede von Rassenverfall, Degeneration,

39 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 82–83 40 Ebd., 83 41 Vgl. ebd., 84ff 42 Vgl. Seidler, Rassenhygiene, 37 43 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im Dritten Reich, 19 19

Entartung, Minderwertigkeit und Schwäche natürlich einen großen Nährboden für Gedanken an die ‚Vernichtung von lebensunwerten Lebens‘. Ein einflussreicher Autor, der sich mit seinen Gedanken in der Nähe der bereits dargestellten ‚Ausmerzungspropagandisten‘ Haeckel und Tille findet, ist Alfred Ploetz (1860–1940). Ploetz begründete seinen Ruf als Rassenhygieniker mit der Veröffentlichung seines ersten Buches im Jahre 1895 mit dem Titel ‚Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen‘. Bis zu seinem Tod publizierte er noch zahlreiche weitere Bücher und Artikel, die der Propagierung des rassenhygienischen Gedankens dienten. Im Folgenden soll auf seine Kerngedanken zur Rassenhygiene anhand des bereits erwähnten Buches eingegangen werden. Wie schon Tille kritisierte auch Ploetz die Medizin, welche sich darauf verstand, die ‚Schwachen‘ zu schützen, da es dadurch zu einer ‚Devariation‘ der Masse gekommen war. Für ihn hatte das Rassenwohl eindeutig Vorrang gegenüber dem Einzelwohl. Somit stützte er sich sehr auf den Sozialdarwinismus. Doch war für ihn die Zeit für eine ‚ideale‘ Rassenhygiene noch nicht gekommen. Da dies mit den Idealen der damaligen Gegenwart nicht bzw. noch nicht zu vereinbaren war, strebte er einen Kompromiss an, welcher zwar Nachteile für die Rasse bringe, jedoch immerhin ein Schritt in die ‚richtige‘ Richtung wäre. Seinen Kompromiss beschrieb Ploetz als ‚rassenhygienische Utopie‘, um so zu verhindern, dass sich jemand davor erschreckte.44 Es handle sich ‚nur‘ um „eine Utopie von einem einseitigen, durchaus nicht allein berechtigten Standpunkt“45, so Ploetz. In seiner ‚Utopie‘ wollte er die Zeugung nicht dem Zufall überlassen, sondern nach wissenschaftlichen Grundsätzen über Zeit und sonstige Bedingungen vorgehen. Sollte sich herausstellen, dass das Neugeborene ein schwächliches oder missgestaltetes Kind ist, so wird der Arzt oder die Ärztin dem Kind einen sanften Tod bereiten. Diese Ausmerzung würde bei Zwillingen und allen Kindern, die nach der sechsten Geburt oder nach dem 45. Lebensjahr der Mutter bzw. dem 50. Lebensjahr des Vaters (entgegen einem gesetzlichen Verbot) geboren werden, stattfinden. Kinder, welche die spätere ‚Ehetauglichkeitsprüfung‘ nicht bestehen, verfallen in die Armut. Zudem gibt es in seiner ‚Utopie‘ keine Pflege der Kranken, der Blinden, der Taubstummen und überhaupt alles ‚Schwachen‘, da dies nur die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl hindert oder verzögert. Auch wenn Ploetz ‚nur‘ einen ‚realistischen Kompromiss‘ vorschlug, so stand die ausmerzende ‚ideale Rassenutopie‘ gleichsam als Zeichen für ein kommendes Unheil an der Wand.

44 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 85–87 45 Ebd., 87 20

Ein weiterer Autor, der allerdings geisteswissenschaftlich von ganz anderer Bedeutung ist, war Friedrich Nietzsche (1844–1900). Er sei nur kurz erwähnt, denn auch er wendete sich in seinen zahlreichen Werken immer wieder dem Thema des ‚besten Todes‘ zu und äußerte sich auch positiv demgegenüber. Auch wenn Nietzsche nie die ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ explizit forderte, so bereitete er doch mit seinen Aussagen zusammen mit Autoren wie Haeckel, Tille oder Ploetz den Boden für die NS-‚Euthanasie‘.46

2.5. ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es zu einer großen Ausweitung des Begriffes ‚Euthanasie‘. Es kam im Hinblick auf das Recht des Arztes oder der Ärztin über Leben und Tod nahezu zu einer Wandlung des Begriffes. In den Jahren 1913 bis 1917 wurde hauptsächlich in der Zeitschrift ‚Monistisches Jahrhundert‘ eine Diskussion über einen Gesetzesvorschlag von Roland Gerkan geführt. Gerkans Vorschlag zur Tötung auf Verlangen gebrauchte erstmals ‚Euthanasie‘ im Sinne von ‚Sterbehilfe‘. Dieses Begriffsverständnis wies zwei Unschärfen auf. Zum einen bezog man ihn nicht nur auf Sterbehilfe im Stadium der Agonie (Todeskampf), sondern auch auf unheilbar Kranke und ‚Behinderte‘, welche aber nicht kurz vor dem Tod standen. Zum anderen wurde das Einverständnis des/der zu Tötenden etwa im Falle von Bewusstlosigkeit oder bei Geisteskranken nicht mehr grundsätzlich vorausgesetzt. Durch diese Ausdehnung des Begriffes der Sterbehilfe bzw. der ‚Euthanasie‘ wurden die Grenzen zur ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘, vor allem im Hinblick auf die Schrift ‚Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens; Ihr Maß und ihre Form‘ von Karl Binding und Alfred Hoche, fließend.47 Dieser 1920 veröffentlichten Schrift entstammt der Begriff ‚lebensunwert‘, welcher in den folgenden Jahren inflationär benutzt wurde.48 Binding, ein Jurist und führender Vertreter des Rechtspositivismus, schreibt darin, dass alle ‚unheilbar Blödsinnigen‘ getötet werden dürfen, da sie weder den Willen zu leben, noch zu sterben haben. Es gibt ihrerseits also keine Einwilligung in die Tötung, aber auch keinen Lebenswillen, welcher gebrochen werden müsste. Ihr Leben ist zwecklos, so Binding weiter, und auch wenn sie es nicht als unerträglich empfinden, so reißt ihr Tod nicht die geringste Lücke in die Gesellschaft, außer vielleicht im Gefühl der Mutter oder der Pflegerin.49 Etwas, dass Binding aber von den nachfolgenden ‚Krankenmördern‘ unterscheidet, ist eine

46 Vgl. ebd., 87–91 47 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 27 48 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im Dritten Reich, 22 49 Vgl. Binding/Hoche, Die Freigabe der Vernichtung, 31 21

Einschränkung: Die Tötung eines/einer Dritten muss nämlich für den/der zu Tötenden als Erlösung empfunden werden. Sollte eine geistig ‚schwache‘ Person mit seinem Leben glücklich sein, so kann von einer Freigabe seiner Tötung niemals die Rede sein.50 Über dieses Wohlbefinden sollte eine Kommission, bestehend aus zwei Ärzten und einem Juristen, entscheiden. Sollte es dahingehend zu einem Irrtum kommen, so Binding, ist dies auch nicht weiter schlimm, da durch die großen Verluste der Menschheit, einer mehr oder weniger auch nicht in die ‚Waagschale‘ zu legen ist.51 Alfred Hoche, Direktor der Universitätsnervenklinik in Freiburg, unterschied zwei Gruppen ‚unheilbar Blödsinniger‘. Die erste Gruppe umfasst jene, deren ‚geistiger Tod‘ erst im Verlauf des Lebens eingesetzt hat. Die zweite Gruppe umfasst jene, deren ‚geistiger Tod‘ angeboren oder in früher Kindheit erworben wurde. Es muss also mit unterschiedlichem Maßstab gemessen werden, da beispielsweise bei den Jüngeren noch kein geistiger Rapport stattfand und so hätten sie einen ganz anderen Wert für die Angehörigen.52 Hoche sieht die Allgemeinheit als Leidtragende. Diese ‚Vollidioten‘ erreichten (angeblich) ein Durchschnittsalter von 50 Jahren, was ein ungeheures Kapital in Form von Nahrungsmittel, Kleidung und Heizung, dem Nationalvermögen für einen ‚unproduktiven Zweck‘ entzogen wird, so Hoche weiter.53 Hoche setzte Begriffe, wie ‚Ballastexistenzen‘, ‚Menschenhülsen‘, ‚geistig Tote‘ und ‚Defektmenschen‘, in die Welt, die schon bald wie Todesurteile verwendet wurden. Eine ‚Kindereuthanasie, wie sie 20 Jahre später durchgeführt wurde, hat er aber nicht legitimiert, weil man bei einem zwei- oder dreijährigen Kind noch nicht sagen kann, ob der ‚geistige Tod‘ bestehen bleibt. Zu erwähnen ist bei Hoche, dass er im Jahre 1940 die Asche einer Verwandten, welche durch die ‚Euthanasie‘ starb, zugeschickt bekommen hat. Daraufhin änderte er seine Meinung und sagte, dass er die damaligen Maßstäbe aufs Schärfste missbillige. Ebenfalls sehr zentral für die spätere Umsetzung der ‚Kindereuthanasie‘ und auch der ‚Erwachseneneuthanasie‘ ist das 1921 erschienene Werk ‚Der Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene‘ von den Autoren Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz. Die drei Autoren sprechen sich konkret für ein Fortpflanzungsverbot von ‚Minderwertigen‘ aus.

50 Vgl. ebd., 28–29 51 Vgl. ebd., 40 52 Vgl. ebd., 51–52 53 Vgl. ebd., 55 22

Anders als Hoche sprach sich Lenz für die ‚Kindereuthanasie‘ aus:54

„Selbst die altspartanische Aussetzung mißratener Kinder [...] ist noch ungleich humaner als die gegenwertig im Namen des ‚Mitleids‘ geübte Aufzucht auch der unglücklichsten Geschöpfe.“55

Dieses 800 Seiten lange Werk wurde auch von Hitler während seiner Gefangenschaft in Landsberg ‚studiert‘. Ob es wirklich genauestens gelesen wurde, sei dahingestellt, jedoch zeigen einige Textstellen aus ‚Mein Kampf‘, dass die Rassenhygiene Eingang gefunden hatte. Diese nun näher erläuterten Autoren und deren Meinungen waren bei weitem keine Einzelfälle. Zwischen 1920 und 1929 gab es nahezu eine Flut an Publikationen, welche sich vor allem für die ‚Unfruchtbarmachung‘, aber auch für die ‚Ausmerzung lebensunwerten Lebens‘ von vermeintlich ‚Geisteskranken‘ aussprachen, unteranderem Robert Gaupp, Joseph Mayer und Fritz von Bodelschwingh, um lediglich drei zu nennen.56 Schaut man sich die Lexika dieser Zeit an, so zeigen diese, dass sich der Begriff ‚Euthanasie‘ gegen Ende der 1920er Jahre zum Synonym für schmerzlose Tötung entwickelt hatte. Die Bedeutungsebenen der Antike haben sich somit vollkommen gewandelt und es lassen sich wiederrum vier Ebenen voneinander abheben.

Die beiden älteren Komponenten, welche zusehends in den Hintergrund traten, waren: 1. ‚Euthanasie‘ als leichtes Sterben 2. ‚Euthanasie‘ als Sterbebegleitung ohne Lebensverkürzung

Die jüngeren Komponenten, welche immer mehr Bedeutung gewannen, waren: 3. ‚Euthanasie‘ als Bezeichnung der verschiedenen Formen von aktiver bzw. passiver Sterbehilfe: a) Sterbehilfe durch Sterbenlassen b) Sterbehilfe mit Lebensverkürzung als Nebenwirkung c) Sterbehilfe mit gezielter Lebensverkürzung und d) Tötung auf Verlangen

54 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im Dritten Reich, 26–27 55 Ebd., 28 56 Vgl. ebd., 28–31 23

4. ‚Euthanasie‘ als Bezeichnung der verschiedenen Formen von ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘: a) Tötung von Neugeborenen aus eugenischen Motiven, die an erblichen Krankheiten oder Behinderungen litten b) Tötung von unheilbar Kranken und ‚Behinderten‘ aus utilitaristischen Motiven, soweit sie sich in Anstaltspflege befanden c) Tötung von unheilbar Kranken und ‚Behinderten‘ aus Mitleid.

Die Vorstellungen von der ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘, welche im Laufe der 20er Jahre in den Begriff der ‚Euthanasie‘ eingingen, bildeten die Legitimationsbasis des Nationalsozialismus für den begangenen Massenmord an Kranken und ‚Behinderten‘.57

57 Vgl. Schmuhl, Hans-Walter, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, S. 27–28 24

III. Die Entwicklung und Durchführung der ‚Kindereuthanasie‘ im Nationalsozialismus

Dieses Kapitel behandelt den Übergang von der Idee, der Tötung von Kindern und Jugendlichen, wie sie beispielsweise bei Ploetz, Binding und Hoche zu finden ist, bis hin zur Praxis, also der tatsächlichen Umsetzung der Tötung der vermeintlich ‚schwächeren‘ Kinder und Jugendlichen im Dritten Reich. Anders als im vorherigen Kapitel, in dem in etwa 3.000 Jahre Begriffsgeschichte in aller Kürze dargelegt wurde, beschäftigt sich dieses Kapitel mit dem durchaus kurzen Zeitraum von 1929 bis 1945.

3.1. Verschmelzung von rassenhygienischen Konzepten mit der NS- Ideologie

Bereits im Jahr 1929 galt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) als die erste politische Partei, welche die Rassenhygiene als eine zentrale Forderung ihres Programms vertrat.58 Dies verdeutlichte damals die Aussage von auf dem Nürnberger Parteitag der NSDAP, jedoch ließ sie die kommenden Grausamkeiten lediglich erahnen, denn von einer Verwirklichung war noch nichts in Sicht. Er sagte in seiner Schlussrede, dass es für Deutschland, wenn es jährlich eine Millionen Kinder bekommen würde und davon 700.000 bis 800.000 der Schwächsten beseitigt werden würden, am Ende wahrscheinlich sogar eine Kräftesteigerung bedeuten würde.59 Für Hitler war die Pflege der Kranken und ‚Schwachen‘ das Gefährlichste, denn dadurch würde die natürliche Auslese verhindert werden. Wie schon andere vor ihm, verwies Hitler auf den ‚klarsten Rassenstaat der Geschichte‘, nämlich Sparta. Für die Infiltration des rassenhygienischen Gedankenguts in die nationalsozialistische Ideologie war vor allem sein Interesse an sozialdarwinistisch- rassenhygienischen Konzepten verantwortlich. Biologismus und Sozialdarwinismus zogen sich wie ein roter Faden durch die Weltanschauung Hitlers, was unter anderem einige Textstellen in ‚Mein Kampf‘ belegen.

58 Vgl. ebd., 151 59 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 29 25

Darin behandelte er, in Anlehnung an die malthusianische Überbevölkerungstheorie, die Frage nach der drohenden ‚Hungerverelendung‘ und wie dieser vorzubeugen ist:60

„Die Natur selber pflegt ja in Zeiten großer Not [...] zu einer Einschränkung der Vermehrung der Bevölkerung von bestimmten Ländern oder Rassen zu schreiten; allerdings in ebenso weiser wie rücksichtsloser Methode. Sie behindert nicht die Zeugungsfähigkeit an sich, wohl aber die Forterhaltung des Gezeugten, indem sie dieses so schweren Prüfungen und Entbehrungen aussetzt, daß alles minder Starke, weniger Gesunde wieder in den Schoß des ewig Unbekannten zurückzukehren gezwungen wird. [...] Damit ist aber die Verminderung der Zahl eine Stärkung der Person, mithin aber letzten Endes eine Kräftigung der Art.“61

Wie diese und eine weitere, unten angeführte kurze Textpassage aus ‚Mein Kampf‘ veranschaulichen, bildete nicht die ‚Euthanasie‘, sondern die Zwangssterilisation und die Zwangsasylierung das Kernstück seiner rassenhygienischen Programmatik.62

„Die Forderung, daß defekten Menschen die Zeugung anderer ebenso defekter Nachkommen unmöglich gemacht wird, ist eine Forderung klarster Vernunft [...] Sie wird Millionen von Unglücklichen unverdiente Leiden ersparen, in der Folge aber zu einer steigenden Gesundung überhaupt führen.“63

Mit der Machtübernahme der NSDAP im Jänner 1933 war die praktische Durchführung des rassenhygienischen Zukunftsentwurfs möglich geworden. Die Partei versprach die Säuberung des deutschen Erbgutes und nahm zu diesem Zweck eine Umstrukturierung der Gesellschaft vor, die darauf abzielte, ein rassisch homogenes, physisch zähes und geistig gesundes Gemeinwesen zu schaffen.64

3.2. Nationalsozialistische Propaganda

Eine massiv angelegte Propagandakampagne bereitete in den 1930er Jahren den Nährboden für die Durchführung von Sterilisationen. Die nationalsozialistische Propaganda hatte dabei zum einen das Ziel, die Zwangssterilisationen zu rechtfertigen, und zum anderen eine ideologische Legitimation für den Krankenmord zu schaffen. Die ‚Euthanasie‘-Botschaft blieb in den 30er Jahren jedoch eine versteckte und indirekte, denn von der ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ war in der rassenhygienischen Propaganda kaum die Rede. Dies war

60 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 151–152 61 Ebd., 151 62 Vgl. ebd., 152 63 Ebd., 153 64 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 52 26

darin begründet, dass es durch Ministerialerlass untersagt war, die ‘Euthanasie‘-Problematik in den propagandistischen Zeitschriften zu thematisieren.65 Die gegen ‚minderwertige‘ Familien gerichtete Propaganda lässt sich an den Monatsschriften der Zeitschrift ‚Volk und Rasse‘ dieser Jahre gut nachvollziehen. Bereits auf der Titelseite der Aprilausgabe 1933 war die Geburtenrate unterschiedlicher Bevölkerungsschichten verglichen worden. Männliche Verbrecher (4,9 Kinder), kriminelle Ehen (4,4 Kinder) und Eltern von Hilfsschulkindern (3,5 Kinder) werden als die geburtenstärksten Bevölkerungsschichten dargestellt, während die ‚Deutsche Familie‘ im Durchschnitt lediglich 2,2 Kinder hat. Am Ende der Titelseite findet sich die provokante Frage: ‚Wer pflanzte sich im deutschen Volke bisher hinreichend fort?! Soll das unsere Zukunft sein?!‘ Im Oktober des gleichen Jahres widmete sich die Zeitschrift wieder diesem Thema. In diesem Monat wurde ein Artikel mit dem Titel ‚Rückgang der Vollwertigen, Zunahme der Minderwertigen‘ veröffentlicht. Darin zeigt eine Tabelle die prozentuale Zunahme der ‚minderwertigen‘ Bevölkerungsschichten. Es heißt, am Anfang würde ein Verhältnis von 50:50 herrschen. Jedoch bereits in der 5. Generation (nach 120 Jahren) würde die ‚kriminelle‘ Bevölkerungsschicht 94% der Gesamtbevölkerung ausmachen. Ebenfalls werden in diesem Artikel die vermeintlichen Anstaltskosten für Verbrecher/innen, Geisteskranke, ‚Krüppel‘ und Taubstumme im Vergleich zu den Kosten, die ein Beamten-, Arbeiter- oder Angestelltenpaar zum täglichen Leben benötigt, aufgerechnet. Diese plakative Aufmachung der Zeitschrift sollte auch den ‚einfachsten‘ Menschen erreichen.66

Jedoch nicht nur in öffentlichen Zeitschriften wurde die nationalsozialistische Propaganda in Bezug auf ‚minderwertiges‘ Leben gezielt eingesetzt, sondern sie war auch in Schulbüchern präsent. So stellte man ganz ungeniert Rechenaufgaben wie:

„Der Bau einer Irrenanstalt erfordert 6 Mill. RM. [Reichsmark] Wie viele Siedlungshäuser zu je 15.000 RM hätte man dafür erbauen können?“67

Weiteres ist es üblich geworden, BesucherInnen durch psychiatrische Kliniken zu führen, um am lebenden Kranken die Notwendigkeit von Erbhygiene und ‚Euthanasie‘ zu zeigen. Beispielsweise wurde die 1884 gegründete Heilanstalt Emmendingen von den oberen Klassen der höheren Schulen Freiburgs besucht, um jene ‚Kreaturen‘ zu besichtigen, von denen sie

65 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 173–177 66 Vgl. Lorenz-Stromp, https://mediatum.ub.tum.de/doc/1070998/1070998.pdf 67 Dorner, Mathematik im Dienste der nationalpolitischen Erziehung, 175 27

zuvor schon im Rassenunterricht (Biologie) gelernt hatten. Der Direktor der Ludendorffschule in Freiburg ließ daraufhin von den 42 AbiturientInnen einen Aufsatz zum Thema ‚Besuch einer Heil- und Pflegeanstalt‘ schreiben. 35 der 42 AbiturientInnen befürworteten eindeutig eine Säuberung der ‚schwachen‘ Bevölkerungsschichten. Sollte ein/eine SchülerIn jedoch die Ziele der neuen Geisteskrankenpflege noch nicht begriffen haben, so half dahingehend der/die LehrerIn nach.68 Neben Zeitschriften, Schulbüchern und Ausflügen hatte das Medium Film für die rassenhygienische Propaganda einen sehr hohen Stellenwert. Zahlreiche Filme, wie ‚Opfer der Vergangenheit‘, ‚Die Sünde wider Blut und Rasse‘, ‚Sünden der Väter‘ und ‚Paläste für Geisteskranke‘ sollten möglichst viele Menschen für die kommenden ‚Euthanasie‘- Maßnahmen gewinnen.69

3.3. ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘

Nach der Machtübernahme Hitlers wurde jedoch nicht nur Propaganda betrieben, sondern es ließ auch das erste Gesetz nicht lange auf sich warten. Am 1. Jänner 1934 trat das ‚Gesetz zur Verhütung von erbkranken Nachwuchses‘, welches die Sterilisation ermöglichte, in Kraft.70 Im Sinne des Gesetztes galt jeder Mensch als erbkrank, der an folgenden Krankheiten litt: 1. ‚angeborenem Schwachsinn‘, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblicher Veitstanz (Chorea Huntington), 6. erblicher Blindheit (einschließlich erblich bedingter Verminderung des Sehvermögens etwa durch eine Trübung der Augenlinse infolge von Staren oder Katarakten), 7. erblicher Taubheit (einschließlich erblich bedingter, an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit) und 8. schwerer erblicher körperlicher Missbildung (darunter: erbliche Knochenbrüchigkeit, primordialer Zwergwuchs, angeborener Klumpfuß, angeborene Hüftverrenkung und so weiter). Zudem betraf dieses Gesetz jede Person, welche an schwerem Alkoholismus litt.71

68 Vgl. Klee, ‚Euthanasie im NS-Staat, 76–77 69 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 176–177 70 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 29 71 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 156 28

Eine ‚saloppe‘, aber sehr gängige Begründung für das Gesetz war, dass das ‚Deutsche Volk‘ regelrecht von ‚Minderwertigen‘ überwuchert war. Eine weitere Rechtfertigung zur Durchführung des Gesetzes war, dass72 „für Geistesschwache, Hilfsschüler, Geisteskranke und Asoziale jährlich Millionwerte verbraucht werden, die den gesunden, noch kinderfrohen Familien durch Steuern aller Art entzogen werden.“73 In diesem kurzen Zitat ist die propagandistische Formulierung nur unschwer zu erkennen und damit auch klar, warum derart viele Menschen dieses Gesetz für sinnvoll erachteten. Nicht weiter verwunderlich ist, dass beispielsweise Joseph Goebbels, der an einem Klumpfuß litt, nicht unter das Gesetz fiel. Das Sterilisationsgesetz umfasste zwar auch NSDAP-Mitglieder, jedoch musste der Amtsarzt oder die Amtsärztin, bevor er/sie einen Antrag stellte, mit dem NSDAP-Gauleiter sprechen und erst dann wurde entschieden.74 Dies sei lediglich kurz erwähnt, um zu zeigen, dass keine allumfassende ‚Säuberung‘ stattgefunden hatte. Obwohl diese eigentlich vehement gefordert wurde. Eine Statistik aus dem Jahre 1934 zeigt, welche Personengruppen sterilisiert wurden. Mit 52,9 % waren ‚Schwachsinnige‘ (HilfsschülerInnen) am häufigsten betroffen. Es folgten mit 25,4 % Schizophrene und mit 14 % Epileptiker. Weniger betroffen waren Manisch- Depressive (3,2 %), Alkoholiker (2,4 %), Taube (1 %), Blinde (0,6 %), ‚Körperbehinderte‘ (0,3 %) und, die einzige tatsächliche Erbkrankheit, Chorea Huntington (0,2 %). In der Praxis war nicht einmal ein Nachweis der Erblichkeit von Nöten. Beispielsweise galt bei Manisch- Depressiven jeder diagnostisch geklärte Fall als erblich. Sterilisiert wurde ab dem Alter von 14 Jahren.75 Der Sterilisationsantrag konnte zum einen vom Sterilisierenden selbst bzw. von seinem/seiner gesetzlichen VertreterIn oder PflegerIn gestellt werden. Zum anderen waren Amts- und GerichtsärzteInnen sowie LeiterInnen von Heil- und Pflegeanstalten, Krankenanstalten und Strafanstalten berechtigt, einen solchen Antrag zu stellen. Diese Anträge wurden anschließend von den sogenannten Erbgesundheitsgerichten bearbeitet und überprüft.76 War die Unfruchtbarmachung bestätigt, so musste die Sterilisierung innerhalb von zwei Wochen durch einen/einer approbierten Arzt oder Ärztin durchgeführt werden. Dabei ist jedoch zu erwähnen, dass die Erbgesundheitsgerichte einen so weiten Ermessensspielraum hatten und mit derart großen Machtmitteln ausgestattet waren, dass die Sterilisierungspraxis weit vom Prinzip der

72 Vgl. Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 77 73 Ebd., 77 74 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im Dritten Reich, 44 75 Ebd., 40–41 76 Vgl. Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 73–75 29

Rechtsstaatlichkeit entfernt war.77 Die Zeitschrift ‚Deutsche Justiz‘, Jahrgang 97, schrieb 1935, dass seit 14. Juli 1933, als das ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ erlassen wurde, im nationalsozialistischen Deutschland in 56.244 Fällen die Unfruchtbarmachung durch Gerichtsbeschluss angeordnet wurde.78 Am 26. Juni 1935 kam es dann zu einer ersten Änderung des Gesetzes. Diese weiterentwickelte Version erlaubte den Schwangerschaftsabbruch aus eugenischer Indikation vor Ablauf des sechsten Schwangerschaftsmonats.79 Nur etwa sieben Monate später, am 4. Februar 1936, kam es zu einer weiteren Änderung des Gesetzes. Dieses ‚Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ erlaubte dem Reichsminister des Inneren und der Justiz zu entscheiden, ob auch andere Verfahren, außer des chirurgischen Eingriffes, zur Unfruchtbarmachung angewandt werden konnten.80 In der Zeit zwischen Jänner 1934 und Mai 1945 lag die Zahl der gesetzlich vorgenommenen Sterilisierungen bei 400.000. Davon entfielen in etwa 40.000 auf die seit 1938 annektierten Territorien, also unter anderem auch auf Österreich. Drei Viertel aller Sterilisationen fanden im Zeitraum von 1934 bis 1939 statt, also ab Inkrafttreten des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ bis hin zum Kriegsbeginn bzw. dem Start der ‚Euthanasie‘- Aktionen.81 Die Zahl der Männer, welche sterilisiert wurden, war nur geringfügig höher als die Zahl der Frauen. Jedoch starben weitaus mehr Frauen an der Operation, da der Eingriff bei Frauen schwieriger war.82 Insgesamt starben rund 5.000 Personen aufgrund von Komplikationen während des Eingriffs oder an dessen Folgen.83 Etwas, das es ebenfalls noch zu erwähnen gilt ist, dass von den 388.400 Anzeigen, welche in den Jahren 1934 und 1935 erstattet wurden, 75 Prozent von ÄrztInnen stammten. Nachdem auch noch zwei der drei Mitglieder jedes Erbgesundheitsgerichts ebenfalls Ärzte waren, zeigt dies deutlich, dass die Auswahl der Sterilisationsopfer und die Durchführung des Gesetzes eine als Gerichtsverfahren getarnte medizinische Maßnahme darstellte.84 Trotz dieser Maßnahmen schien der NS-Staat, in Bezug auf das angeblich minderwertig geborene Leben, zu dieser Zeit am Tötungsverbot festhalten zu wollen. Dies wurde auch 1935

77 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 158 78 Vgl. Seidler, Rassenhygiene, 123 79 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 7 80 Vgl. Gütt/Rüdin/Ruttke, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, 83 81 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 159 82 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 69 83 Vgl. Resch/Schweizer-Martinschek, Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, 122 84 Vgl. ebd., 67 30

von der amtlichen Strafrechtskommission in einem Berichtband als Ergebnis ihrer Beratungen festgehalten.85 Durch die in Kraft getretenen Gesetze zur Zwangssterilisation und auch zum Schwangerschaftsabbruch kristallisierte sich langsam auch ein zentral geplantes ‚Euthanasie‘- Programm heraus. Ob Hitler schon zu Beginn seiner Machtergreifung zur ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ entschlossen war, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls ergriff er nicht von sich aus die Initiative. Dies hinderte einflussreiche Nationalsozialisten aber nicht daran, über die Zwangs-‚Euthanasie‘ nachzudenken und diese auch anzuregen. So wurde Hitler auf dem Reichsparteitag 1935 in Nürnberg von Reichsärzteführer Gerhard Wagner mit dem Thema konfrontiert.86 Glaubt man der Aussage 1947 von Karl Brandt, ein Begleitarzt Hitlers, so habe Hitler die Durchführung deshalb abgelehnt, weil eine derartige Durchführung in Kriegszeiten wesentlich leichter umzusetzen sei. Hitler habe den Entschluss geäußert, dass er die ‚Euthanasiefrage‘ im bald kommenden Krieg aufgreifen und auch durchführen werde. Auch sagte Prof. Hermann Boehm im Zuge des Heyde-Verfahrens etwas vergleichbares. Jedoch ist der Begriff ‚Entschluss‘ mit Vorsicht zu betrachten, denn die Aussagen von Boehm und Brandt beruhten lediglich auf Hörensagen. Der derzeitige Forschungsstand erlaubt uns nur davon zu sprechen, dass Hitler sich um das Jahr 1935 positiv zur ‚Euthanasie‘ geäußert hatte. Von einem konkreten Entschluss kann aber nicht die Rede sein.

3.5. Der ‚Fall Leipzig‘ als Anstoß zur ‚Kindereuthanasie‘

Es wurden nun genügend Aussagen dargebracht, die beweisen, dass die ‚Idee‘ der ‚Kindereuthanasie‘ bereits vor der NS-Zeit, aber vor allem auch schon vor Kriegsbeginn präsent war. Nun gilt es festzustellen, was der alles entscheidende Anstoß für den Mord an beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen war. Nach der Übernahme des Reichspräsidentenamtes richtete Hitler am 17. November 1934 eine neue Kanzlei in Berlin ein, die Kanzlei des Führers der NSDAP, welche sich von da an unter anderem dem Thema der ‚Kindereuthanasie‘ widmete.87 In den Jahren 1938 und 1939 gingen zahlreiche Bittbriefe und Eingaben zur Sterbehilfe von Seiten Angehöriger unheilbar Kranker und nationalsozialistischer Parteigänger in der Kanzlei des Führers ein. Dies eröffnete für die NS-‚Euthanasie‘ natürlich neue Möglichkeiten zur

85 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 29 86 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 180 87 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 30–33 31

Durchführung, da die Kanzlei des Führers nun dafür eine Rechtfertigung fand. Schließlich war es der ‚Wunsch‘ der Bevölkerung.88 Sehr wahrscheinlich ist, dass ein bestimmter Fall den Anstoß zur konkreten Planung der ‚Kindereuthanasie‘ gab.89 Im Folgenden wird dieser Fall beschrieben.

Im Frühjahr 1938 traten Angehörige eines in der Universitäts-Kinderklinik in Leipzig stationierten Kindes an Hitler heran, mit der Bitte, die Tötung ihres Kindes zu veranlassen.90 Der französische Journalist Ph. Aziz hatte angeblich 1973 mit der betroffenen Familie ein Interview geführt, indem er das Kind mit dem Namen ‚Kressler‘ bezeichnete. Demnach war der Familie vor Kriegsbeginn ein ‚schwerbehindertes‘ Kind geboren worden. Das männliche Kind wurde als blind und geistig ‚zurückgeblieben‘ beschrieben. Zudem fehlte ihm der linke Unterarm und auch das Bein war missgebildet. Als man sich sicher war, dass es geistig beeinträchtigt war, wurde es Prof. Werner Catel in der Leipziger Universitätsklinik vorgestellt. Catel habe der Familie daraufhin mitgeteilt, dass das Kind niemals ‚normal‘ sein werde. Aziz gab in seinem Interview wieder, dass der Vater des Kindes anschließend einen Brief an Hitler geschrieben hatte, in dem er um die Erlaubnis bat, dem Kind den ‚Gnadentod‘ zu geben. Da diese Aussagen, so Benzenhöfer, nicht einfach als wahr angenommen werden können, muss ein genauerer Blick darauf geworfen werden.91

Im Buch ‚Der Fall Leipzig‘ setzt sich Benzenhöfer sehr detailliert mit der Verifizierung des angeblich ausschlaggebenden Falles für die tatsächliche Durchführung der ‚Kindereuthanasie‘ auseinander. Dabei stützt er sich hauptsächlich auf die Aussagen von Karl Brandt, Hans Hefelmann und Werner Catel. Karl Brandt erwähnte im Rahmen des Nürnberger Ärzteprozesses 1947 den Fall eines ‚behinderten‘ Kindes. Hinzu kommen mehrere Aussagen von Hans Hefelmann, dem ehemals zuständigen ‚Sachbearbeiter‘ für die ‚Reichsausschussaktion‘ in der Kanzlei des Führers, zu Beginn der 60er Jahre. Ebenfalls aus den 60ern stammen Aussagen vom NS-Kinderarzt Werner Catel. Benzenhöfer versuchte durch Analysieren der Aussagen einen Konsens zum Fall Leipzig zu finden.92 Obwohl sie zwar im Detail voneinander abweichen und sich auch manchmal widersprechen, so erzählen sie doch tendenziell dieselbe ‚Geschichte‘ zum Fall Leipzig.

88 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 182 89 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 8 90 Vgl. Baader/Schultz, Medizin und Nationalsozialismus, 98 91 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 8–9 92 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 12ff 32

Zunächst zum Namen des Kindes. Während Brandt 1947 keinen Namen des Kindes genannt und nur von einem ‚Fall Leipzig‘ gesprochen hatte, gebrauchten Hefelmann und Catel den Namen ‚Knauer‘. Hefelmann gab jedoch an, dass er sich dahingehend auch irren konnte. Bei Catel ist es durchaus möglich, dass er sich auf die Aussage von Hefelmann stützte, dies aber nicht seiner Erinnerung entsprach. Somit ist der Name ‚Knauer‘ zwar wahrscheinlich, kann jedoch nicht als absolut gesichert nachgewiesen werden. In keiner der Benzenhöfer vorliegenden Aussagen wurde eine genaue Angabe zum Alter des Kindes gemacht. Trotzdem lässt sich sagen, dass das Kind ziemlich sicher unter zwei Jahre alt war, als es in der Kinderklinik in Leipzig vorgestellt wurde. Zum Geschlecht wurden eigentlich keine Angaben gemacht.93 Jedoch glaubt man dem Interview von Aziz, so war das Kind männlich.94 Zur Art der Behinderung liegen mehrere Aussagen vor. Brandt sagte dahingehend folgendes:95 „Es handle sich um ein Kind, das blind geboren war, idiotisch schien und dem ausserdem ein Bein und ein Teil eines Armes fehlte“.96 Hefelmann blieb etwas ungenauer in seiner Beschreibung als Brandt:97 „Meiner Erinnerung nach fehlten dem Kind Knauer 3 Gliedmaßen und das Augenlicht“.98 Um welche Gliedmaßen es sich dabei handelte, gab er nicht an. Catel beschrieb das Kind etwas anders:99

„Der Vater dieses Kindes suchte mich in der damals von mir geleiteten Universitäts-Kinderklinik Leipzig auf mit dem Ersuchen, sein hochgradig mißgebildetes und meiner Erinnerung nach auch mikrozephales Kind von seinem Dasein zu befreien“.100

Es schien also ein ‚Euthanasie‘-Musterkind zu sein: körperlich schwer ‚behindert‘, blind und zudem noch geistig ‚zurückgeblieben‘.101 Die Frage, wer das ‚Gnadentodgesuch‘ abschickt hat, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Brandt und Catel verwiesen dahingehend auf den Vater des Kindes. Hefelmann war aber überzeugt, dass dieses Gesuch von der Großmutter des Kindes kam. Festhalten lässt sich, dass es aus dem Kreis der Familie stammte.102

93 Vgl. ebd., 52 94 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 8 95 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 52 96 Ebd., 52 97 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im Dritten Reich, 81 98 Ebd., 81 99 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 52 100 Ebd., 52 101 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im Dritten Reich, 81 102 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 53ff 33

Friedlander schreibt in seinem Buch ‚Der Weg zum NS-Genozid‘, dass der Vater zunächst Werner Catel in der Universitätskinderklinik konsultierte, mit der Bitte, das Kind zu töten. Catel lehnte jedoch ab, mit der Begründung, es sei gesetzeswidrig. Kurz nach Catels Ablehnung, wandte sich die Familie Knauer mit ihrem ‚Gnadentodgesuch‘ direkt an Hitler. Angeblich häuften sich solche Gesuche bereits in der Kanzlei des Führers. Die Kanzlei des Führers legte daraufhin Hitler den Brief vor und dieser beschloss, in diesem Fall einzugreifen. Hitler beauftragte seinen Begleitarzt Karl Brandt nach Leipzig zu fahren, das Kind zu untersuchen und sich mit den Leipziger MedizinerInnen zu bereden. Sollte seine Diagnose mit dem im Gesuch beschriebenen Befund übereinstimmen, so durfte er die Erlaubnis zur Tötung geben. Als dies alles geschah und auch die Diagnose übereinstimmte, genehmigte Brandt die ‚Euthanasie‘ und das Kind wurde getötet.103

Nun zum schwierigsten Teil des Falles Leipzig: Der exakten zeitlichen Einordnung. Eine genaue Datierung der Ereignisse ist nämlich auf der Grundlage der Aussagen von Brandt, Hefelmann und Catel nicht möglich. Sowohl das Jahr 1938 als auch das Jahr 1939 kommen in Frage. Allerster Wahrscheinlichkeit nach trug sich dies aber gegen Ende des Jahres 1938 und Anfang 1939 zu. Dies ist die genaueste Angabe, die anhand der Hinweise und Aussagen gemacht werden kann. Die von Benzenhöfer getätigten Nachforschungen, ob in Leipzig ein Kind mit dem Namen Knauer in den Jahren 1938 oder 1939 ‚gestorben‘ war, blieben ebenfalls erfolglos. Zwar konnte er zwei Kinder mit dem Namen Knauer ausfindig machen, jedoch gab es bei beiden Unstimmigkeiten in Bezug zu den Aussagen von Brandt, Hefelmann und Catel. Ein Kind verstarb bereits am fünften Tag nach der Geburt (9. Juni 1938) in der Wohnung der Eltern und kann somit ausgeschlossen werden. Das andere Kind mit dem Namen Knauer wurde laut Einwohnermeldekartei am 12. Februar 1938 geboren und verstarb am 3. März 1938. Dieses Kind, ein Mädchen, starb im Kinderkrankenhaus Reudnitz, welches mit der Universitätskinderklinik verbunden war. Ob dieses Kind das gesuchte ist, kann nicht beantwortet werden, jedoch erscheint die Lebenszeit dafür zu kurz. Immerhin musste das ‚Gnadentodgesuch‘ von Leipzig nach Berlin in die Kanzlei des Führers und danach noch zu Hitler gelangen. Schließlich musste Karl Brandt nach Leipzig reisen, sich mit den ÄrztenInnen besprechen und selbst eine Diagnose erstellen. Somit scheidet mit größter Wahrscheinlichkeit auch dieses Kind aus.

103 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 84–85 34

Da aber das Namensregister der Leipziger Sterbebücher nicht vollständig ist, kann nicht vollkommen ausgeschlossen werden, dass nicht noch ein weiteres Kind mit dem Namen Knauer 1938 oder 1939 in Leipzig verstorben ist.104

Nach den Aussagen von Hans Hefelmann und Karl Brandt fiel die Planungsphase der NS- ‚Kindereuthanasie‘ in die erste Hälfte des Jahres 1939. Es muss hier also darauf hingewiesen werden, dass, falls sich der Fall Leipzig 1938 abgespielt hat, eine zeitliche Lücke zu konstatieren ist. Dies würde den Fall Leipzig nicht als ‚direkten Anstoß‘ für die Planung der NS-‚Kindereuthanasie‘ zulassen.105 Von Hegeners und Hefelmanns Aussagen aus den 60er Jahren lassen zwar zusammenfassend sagen, dass schon vor dem Fall Leipzig in der Kanzlei des Führers und in ihrem Umfeld Diskussionen zum Thema ‚Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ stattfanden und entsprechende Überlegungen angestellt wurden. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte für die Existenz eines Vernichtungsprogramms oder für den konkreten Planungsbeginn der ‚Kindereuthanasie‘ (oder auch der ‚Erwachseneneuthanasie‘) vor dem Fall Leipzig.106

3.6. Planung der ‚Kindereuthanasie‘

Traut man den Aussagen von Brandt, Hefelmann und Catel, so ermächtigte Hitler unmittelbar nach dem Fall Leipzig, die Reichsleiter Bouhler und Brandt mündlich, in ähnlichen Fällen gleich zu verfahren. Zuvor musste jedoch noch eine organisatorische Grundlage für die weitere Durchführung solcher Maßnahmen geschaffen werden. Deswegen wurde der ‚Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden‘ in der ersten Hälfte des Jahres 1939 gegründet.107 Diese zentrale Planungs- und Leitungsinstanz wurde von der Kanzlei des Führers und der Abteilung Erb- und Rassenpflege im Reichsministerium des Inneren (RMdI) unterstützt.108 Die Kanzlei des Führers, wie schon erwähnt, 1934 von Hitler eingerichtet, wurde von Reichsleiter Philipp Bouhler geleitet. war der Vorsteher des Hauptamts 2, das für die Gesuche an Hitler zuständig war, und Hans Hefelmann war der leitende Sachbearbeiter im Amt 2b, das die ‚Gnadengesuche‘ im Speziellen bearbeitete. Sein Stellvertreter war der Sachbearbeiter Richard von Hegener.

104 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 54–60 105 Vgl. ebd., 65 106 Vgl. ebd., 50 107 Vgl. Dörner, Der Krieg gegen die psychisch Kranken, 91–92 108 Vgl. Ebbinghaus/Dörner, Vernichten und Heilen, 301 35

Brandt erteilte Hefelmann, nach der Ermächtigung von Hitler, den Auftrag, ein ‚beratendes Gremium‘ für die ‚Kindereuthanasie‘ zusammenzustellen. Neben Hefelmann gehörten diesem Gremium auf jeden Fall der Ministerialrat Dr. Herbert Linden und Viktor Brack an.109 Nachdem sich die drei Hauptbeauftragten über die Vorgehensweise geeinigt hatten, erweiterten sie ihre Gruppe um eine Reihe ausgesuchter Ärzte: Brandt, Catel, Heinze, Unger und Wentzler. Karl Brandt, der einzige von den Ärzten, der unter 40 Jahre war, war eine naheliegende Wahl. Zum einen war er seit 1932 Mitglied der NSDAP und seit 1934 auch der SS und zum anderen hatte er bereits im Fall Kind Knauer entschieden. Eine logische Wahl war auch Werner Catel, der seit 1937 Parteimitglied war. Schließlich wurde in seiner Klinik das Knauer-Baby getötet. Ebenfalls Mitglied wurde Hans Heinze, ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, der die Landesanstalt Brandenburg-Görden leitete und seit Mai 1933 in der Partei war. Er wurde auf Lindens Empfehlung in die Gruppe aufgenommen. Weiteres wurde Hellmuth Unger, ein Augenarzt, aufgenommen. Er war noch nicht Mitglied der NSDAP, jedoch hatte er bereits einen Antrag gestellt. Hefelmann bekam Unger von von Hegeners Schwester empfohlen. Auch machte ihn sein Roman ‚Sendung und Gewissen‘, in dem er für die ‚Euthanasie‘ plädierte, welcher später als Vorlage für den ‚Euthanasie‘- Propagandafilm ‚Ich klage an‘ diente, für die Planungsgruppe empfehlenswert. Das letzte Mitglied der Gruppe war Ernst Wentzler. Er war seit 1934 in der Partei und ein erfolgreicher Berliner Kinderarzt. Reichsärzteführer Leonardo Conti hatte ihn empfohlen. Auffallend ist natürlich, dass alle Mitglieder der Planungsgruppe der Partei NSDAP angehörten und sich bereits positiv der ‚Euthanasie‘ gegenüber geäußert hatten bzw. bereits im Fall Leipzig verwickelt waren. Dies gestaltete die Planung und Durchführung der ‚Kindereuthanasie‘ klarerweise erheblich einfacher.110

Der ‚Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden‘, kurz Reichsausschuss, diente nicht bloß als organisatorische Grundlage, wie zuvor erwähnt, sondern war vor allem ein Deckmantel. Diese ‚Behörde‘ existierte nur auf dem Papier und fungierte lediglich als Tarnorganisation für die Aktivitäten der Kanzlei des Führers. Auch unterzeichneten die Vorsteher, Hefelman und von Hegener, Dokumente niemals mit ihrem wirklichen Namen, sondern benutzten dafür ebenfalls Decknamen. Dies

109 Vgl. Benzenhöfer, Kinder-‚Euthanasie‘, 1015 110 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 90–91 36

gilt jedoch auch für alle anderen Mitarbeiter der Kanzlei des Führers im Zusammenhang mit dem ‚Euthanasie‘-Programm. All das diente dazu, den Uneingeweihten den Massenmord an den vermeintlich ‚Schwächeren‘ zu verheimlichen. Im Frühjahr 1939 arbeitete die Gruppe von Ärzten und anderen Mitgliedern das ‚Euthanasie‘- System aus. Das Selektionsverfahren sollte auf der Erfassung von Meldebögen beruhen, wodurch Gutachter anschließend die gewonnenen Daten beurteilen und danach entscheiden konnten. Im Sommer 1939 war die Planung abgeschlossen und es konnte mit der Durchführung begonnen werden.

3.7. Umsetzung der ‚Kindereuthanasie‘

Die ursprüngliche Zielgruppe des ‚Reichsausschussverfahrens‘ waren zunächst alle Säuglinge und Kleinkinder, die sich nicht in Anstaltspflege, sondern in häuslicher Pflege befanden.111 Da weder die Kanzlei des Führers noch der Reichsausschuss das geplante Mordprogramm in Gang setzen und ausführen konnte, benötigten die Planer das Ministerium. Folglich verordnete das RMdI am 18. August 1939 mittels Runderlass eine Meldepflicht für alle112 „missgestaltete usw. Neugeborene“113. Dieser Runderlass markiert den Beginn der Erfassung der Opfer für die ‚Kindereuthanasie‘. Der Erlass richtete sich jedoch nicht an die Öffentlichkeit, sondern er wurde als Abschrift und als ‚streng vertraulich‘ den AmtsärztInnen zugeschickt. Diese setzten daraufhin die jeweiligen Hebammen, ärztlichen LeiterInnen von Entbindungsanstalten, geburtshilflichen Abteilungen von Krankenhäusern und AllgemeinärztInnen in Kenntnis. Der Zweck der verpflichtenden Meldung wurde nicht genannt. Folgende Leiden mussten an den Reichsausschuss gemeldet werden: 114

„1. Idiotie sowie Monogolismus (besonders Fälle, die mit Blindheit und Taubheit verbunden sind), 2. Mikrozephalie (abnorme Kleinheit des Kopfes, besonders des Hirnschädels), 3. Hydrozephalus (Wasserkopf) schweren bzw. fortgeschrittenen Grades, 4. Mißbildungen jeder Art, besonders Fehlen von ganzen Gliedmaßen, schwere Spaltbildungen des Kopfes und der Wirbelsäule usw., 5. Lähmungen einschl. Littlescher Erkrankung.“115

111 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 271 112 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 91 113 Klee, Dokumente zur ‚Euthanasie‘, 239 114 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 78–79 115 Klee, Dokumente zur ‚Euthanasie‘, 239 37

Sollten solche Leiden an Kindern bis zum dritten Lebensjahr beobachtet werden, so mussten sie unverzüglich gemeldet werden.116 Dies geschah durch die dem Runderlass beigelegten Meldebögen. In denen sollten Name, Alter, Geschlecht, Krankheitsverlauf mit Art und Dauer der Behandlung und Entwicklungsverlauf sowie eine Familienanamnese des Kindes angegeben werden. Dies hört sich sehr viel an, jedoch war das Formular nur eine Seite lang, somit blieb nicht viel Platz für ausführliche Beschreibungen. Das von den jeweiligen Ärztinnen und Hebammen ausgefüllte Formular wurde von den zuständigen AmtsärztInnen überprüft und danach an den Reichsausschuss, Postfach 101, Berlin W 9, weitergeleitet. Der Runderlass und die auszufüllenden Meldebögen erweckten bei den Menschen den Eindruck, es diene der wissenschaftlichen Untersuchung, um den Kindern zu helfen oder lediglich eine statistische Erhebung durchzuführen. Die wahren Gründe für die Pflicht, ‚behinderte‘ Kinder zu melden, wurden zu keinem Zeitpunkt offengelegt.117 Auch wurde nicht erwähnt, was mit den Kindern geschehen sollte, wenn sie erfasst waren. Erst in einem Erlass vom 7. Juli 1940 hieß es, dass in Görden eine ‚Jugend-Psychiatrische Fachabteilung‘ zur ‚Behandlung‘ der gemeldeten Kinder eingerichtet worden war und, dass weitere solcher ‚Fachabteilungen‘ errichtet werden.118 Anfangs erfolgten die Meldungen wohl noch recht zögerlich. Die Amtsärztinnen leiteten die Formulare meist ohne Überprüfungen bzw. Nachuntersuchungen an den Reichsausschuss weiter.119 Deswegen erhielten die ab Oktober 1939 ausgegebenen Meldebögen zur Erfassung der ‚behinderten‘ Kinder im Juni 1940 einen neue Fassung, da die alten nicht mehr ausreichend waren. Zusätzlich dazu, unterzeichnete Conti am 20. September 1941 einen weiteren Runderlass des RMdI, welcher die AmtsärztInnen mit Nachdruck aufforderte, sich zu vergewissern, ob die Hebammen der Meldepflicht auch tatsächlich nachkamen. Die Meldungen wurden zunächst in der Kanzlei des Führers von Hefelmann und seinem Mitarbeiter von Hegener, also zwei medizinischen Laien, gesichtet.120 Die Tätigkeit der beiden bestand darin, die eingegangen Meldungen nach Krankheitsbildern zu sortieren. Laut Hefelmann konnte dabei aus der Sicht eines Laien bereits Aussortierungen vorgenommen werden. Unter schwerste Krankheitsbilder fielen Klumpfüße, Blindheit, Wolfsrachen, Hasenscharte und Fehlen von Gliedmaßen. Zweifelsfälle wurden an die Gutachter weitergeleitet.121 Von den etwa 100.000 bis 1945 eingegangenen Meldebögen wurden wohl

116 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 15 117 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 92–93 118 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 16 119 Vgl. Benzenhöfer, Der gute Tod?, 117 120 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 183–184 121 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 82 38

etwa 20.000 an die drei Gutachter des Reichsausschusses, Hans Heinze, Ernst Wentzler und Werner Catel, weitergeleitet. Die Meldebögen wurden von ihnen im Umlaufverfahren begutachtet, das bedeutet, dass der nachfolgende über die Beurteilung des vorigen Gutachters Bescheid wusste. Laut der Aussage von Hefelmann entschieden die drei Gutachter allein durch Ankreuzen einer von drei Kategorien über Leben und Tod der Kinder:

– Ein ‚+‘ bedeutete ‚Behandlung‘ (also die Freigabe zur Tötung des Kindes). – Ein ‚-‘ bedeutete Ablehnung der Freigabe (das Kind war kein ‚Reichsausschusskind‘ und soll nicht getötet werden). – Ein ‚vorläufige Zurückstellung‘ oder ‚Beobachtung‘ bedeutete, dass der Gutachter zurzeit zu keinem sicheren Ergebnis gelangte.122

Der Meldebogen war die einzige Unterlage, die die Gutachter für ihre Entscheidung heranzogen. Dieser Meldebogen wurde meist von einer Hebamme ausgefüllt, ohne, dass im Laufe des Verfahrens ein Arzt oder eine Ärztin eine Untersuchung des Kindes durchführte. Anfangs entschieden sich die Gutachter noch dafür, in Zweifelsfällen bei den AmtsärztInnen nachzufragen. Später wurde in solchen Fällen das Kind einfach zur Beobachtung in die zur Tötung bestimmten ‚Kinderfachabteilungen‘ eingeliefert.123 Es wurden somit nicht nur die ‚+-Fälle‘ in ‚Fachabteilungen‘ aufgenommen, sondern auch die ‚Beobachtungsfälle‘. Die negativ beurteilten Fälle wurden abgelegt. Die Einweisung der Kinder erfolgte nach der schriftlichen Verständigung des Reichsausschusses, der das zuständige Gesundheitsamt informierte, wann welche Kinder in welche Anstalt einzuweisen waren. Parallel dazu erhielt die entsprechende Anstalt ebenfalls eine Benachrichtigung. In dem Schreiben an die Amtsärzte hieß es lediglich, dass nach fachärztlicher Überprüfung das Kind zur Aufnahme in die ‚Fachabteilung‘ bestimmt worden ist, denn dort kann124 „auf Grund der durch den Reichsauschuss getroffenen Einrichtungen die beste Pflege und im Rahmen des Möglichen neuzeitliche Therapie durchgeführt werden“125. Außerdem, so das Schreiben, würde der Reichsausschuss gegebenenfalls einen Teil der entstehenden Kosten übernehmen.126

122 Vgl. Benzenhöfer, Kinder-‚Euthanasie‘, 1016 123 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 184 124 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 17 125 Ebd., 17 126 Vgl. ebd., 17 39

Zusammenfassend ergibt sich also folgendes Schema:

Meldung des Arztes oder der Ärztin an den Amtsarzt oder die Amtsärztin – Meldung des Amtsarztes oder Amtsärztin an den Reichsausschuss – Vorauswahl durch ein Mitglied des Reichsausschusses – Begutachtung durch die drei Gutachter des Reichsausschusses – Vorbereitungen für die Aufnahme der ‚Behandlungsfälle‘ und der ‚Beobachtungsfälle‘ in eine ‚Kinderfachabteilung‘ durch Schreiben an den Amtsarzt oder die Amtsärztin und an den/die LeiterIn der ‚Kinderfachabteilung‘.

Das Verfahren erscheint klar, doch zeigt sich, dass nicht alles nach diesem Schema ablief. Dies veranschaulicht folgendes Beispiel: ‚Offiziell‘ wurde die erste ‚Kinderfachabteilung‘ am 1. Juli.1940 in Görden eröffnet. Nun hätte das erste Kind natürlich erst nach diesem Zeitpunkt in Görden ‚verzeichnet‘ sein dürfen. Jedoch ist es so, dass zwei Kinder bereits Monate zuvor in dieser Abteilung aufgenommen wurden. Dies zeigt deutlich, dass nicht ausschließlich nach diesem Schema vorgegangen wurde, denn, diese zwei Kinder wurden erst nachdem sie in Görden aufgenommen wurden, mit dem Reichsausschuss in Verbindung gebracht. Hinweise darauf, dass diese Kinder das vorgesehene Meldeverfahren durchliefen, gibt es zumindest nicht. Das erste Kind, welches sozusagen nach dem vorgesehenen Schema und somit vom Reichsausschuss ‚eingewiesen‘ wurde, wurde am 2. Juli 1940 aufgenommen und starb am 29. August 1940.127

Laut einer Aussage von Karl Brandt war der Ermächtigung zur Tötung der Kinder jeweils eine Einverständniserklärung der Eltern vorausgegangen. Diese Einwilligungen erfolgten jedoch nicht immer schriftlich, sondern wurden zum Teil auch mündlich eingefordert, so Brandt weiter. Es gab auch Einzelfälle, in denen die Eltern von sich aus den Tod ihrer Kinder forderten, jedoch bereiteten solche Gesuche dem Reichsauschuss besondere Schwierigkeiten.

127 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 84–86 40

Dies zeigt ein Brief des Reichsausschusses an das württembergische Innenministerium, nachdem ein Vater den Tod seines Kindes gefordert hatte:128

„Der Fall liegt insofern nicht ganz leicht, als [...] die Kindeseltern um eine entsprechende Behandlung gebeten haben, die ihnen selbstverständlich im Hinblick auf die bestehenden Gesetze verweigert werden muß. Ich bezweifle nicht, daß Sie die Eltern in diesem Sinne unterrichtet haben, da bekanntlich keineswegs zugegeben werden darf, daß staatlicherseits entsprechende Maßnahmen betrieben werden [...] [Außerdem] wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch [...] [den zuständigen Amtsarzt] entsprechend unterrichten würden, daß keine Krankenanstalten oder Heime existieren, wo einem derartigen Wunsch entsprochen wird.“129

Es darf hier jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass alle Eltern für ihr beeinträchtigtes Kind ‚Euthanasie‘ als richtig erachteten. Anfangs waren die AmtsärztInnen dazu angehalten, gegenüber den Eltern von Zwangsmaßnahmen abzusehen.130 Auf Seiten der Eltern mussten jedoch auch erhebliche Widerstände gebrochen werden, wie aus dem Erlass des RMdI vom 20. September 1941 hervorgeht:131

„Die Sorgeberechtigten sind oft nicht gern bereit, das Kind in eine Anstalt zu geben. Sie stützen sich dabei oft auf die Angabe des Hausarztes, daß auch eine Anstaltsbehandlung an dem Zustand nicht[s] ändern könne, oder sie glauben, eine fortschreitende Besserung im Zustand des Kindes zu bemerken, was in Wirklichkeit aber meist keine Besserung des Zustandes des Kindes als vielmehr eine Anpassung der Beobachter an diesen Zustand darstellt. Erfahrungsgemäß ist dies bei Kindern mit monogoloider Idiotie besonders häufig der Fall, zumal die Angehörigen die Anhänglichkeit, Freundlichkeit oder Musikfreude darartiger Kinder oft falsch werten, sich unerfüllbare Hoffnungen vortäuschen und daher von Anstaltspflege nichts wissen wollen.“132

In Anbetracht der elterlichen Widerstände versuchten der Reichsausschuss und die AmtsärztInnen die Angehörigen zu täuschen. Den Eltern und Verwandten wurde erzählt, dass durch die Einweisung in ein solches Heim auch ‚hoffnungslose Fälle‘ wieder Chancen hätten, da die Kinder nur in diesen eigens errichteten Anstalten die ‚beste Pflege‘ erhalten würden. Durch diese ‚verschleierte‘ Form wurde die Einwilligung der Eltern erreicht bzw. erschlichen.133 Half dies alles nichts, so waren die AmtsärztInnen von nun an befugt, den

128 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 184 129 Ebd., 184 130 Vgl. Dörner, Der Krieg gegen die psychisch Kranken, 92 131 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 185 132 Ebd., 185 133 Vgl. ebd., 185 41

Eltern im Falle der Weigerung mit der Sorgerechtsentziehung zu drohen. Außerdem konnte durch das Arbeits- und Gesundheitsamt eine Dienstverpflichtung eingeleitet werden. Dies traf vor allem alleinerziehende Mütter hart. Im Übrigen mussten die Eltern wegen der ‚neuzeitlichen‘ Behandlungsmethoden, also der Tötung ihrer Kinder, eine beträchtliche Summe selbst bezahlen.

3.7.1. Tötungsmethoden

Die komplette Durchführung der ‚Kindereuthanasie‘ blieb bis zum Ende des Krieges geheime Reichssache und wurde nie unterbrochen.134 Ganz im Gegenteil, es wurde 1941, mit Ende der ‚Erwachseneneuthanasie‘ (auch ‚‘ genannt), sogar das Mindestalter von drei Jahren auf acht, zwölf und schließlich auf siebzehn Jahre angehoben. Zudem konnten ‚Sonderermächtigungen‘ für die Tötung von Erwachsenen in den jeweiligen ‚Fachabteilungen‘ erwirkt werden.135 Ebenfalls muss erwähnt werden, dass es Universitäten und Professoren und Professorinnen gab, die eine Einweisung von für sie wissenschaftlich interessanten ‚Fällen‘ in die Tötungsabteilungen bewerkstelligten und sich die Leichen anschließend schicken ließen.136 Im Folgenden wird auf die Tötungsmethoden in den ‚Kinderfachabteilungen‘ eingegangen. Die Entscheidung über die Art und Weise, wie die Kinder getötet wurden, oblag einzig und allein den ÄrztInnen der Anstalten. Die bevorzugte Methode zur Tötung waren Medikamente. Die MedizinerInnen tauschten sich bei Treffen und gegenseitigen Besuchen darüber aus, welche Medikamente sie einsetzen sollten, denn nicht in jeder Anstalt wurden dieselben Mittel verabreicht. Die meisten ÄrzteInnen verwendeten in erster Linie das Barbiturat Luminal oder auch Veronal (Schlaftabletten). Bestand gegen diese Medikamente eine Residenz, so fiel ihre zweite Wahl auf Morphium-Skopolamin (ein Sedativum). Auch wurde Brom von einigen MedizinerInnen verabreicht. Wie die Auswahl, so stand den ÄrztInnen auch die Art der Verabreichung dieser tödlichen Medikamente frei. Üblich waren Tabletten, manchmal wurde jedoch auch eine flüssige Form verwendet. Gewöhnlich wurden die Tabletten in Flüssigkeiten gelöst (beispielsweise in Tee), sodass das Kind das Mittel mit der normalen Nahrung einnahm. Konnte (was selten vorkam) oder wollte ein Kind nicht schlucken, so erhielt es eine Injektion.

134 Vgl. Dörner, Der Krieg gegen die psychisch Kranken, 92–93 135 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 189 136 Vgl. Dörner, Der Krieg gegen die psychisch Kranken, 92–93 42

Der Vorteil dieser Tötungsart war, dass in allen medizinischen Einrichtungen diese Substanzen regelmäßig verabreicht wurden, jedoch nur in höherer Dosierung tödlich waren. Die Kinder wurden somit nicht durch ein ungewöhnliches und fremdes Gift getötet, sondern mit einer Überdosis eines sowieso verabreichten Medikaments. Darüber hinaus führten Überdosen von Barbituraten und anderen Medikamenten nicht sofort zum Tod, sondern zu medizinischen Komplikationen, vor allem Pneumonie, die schließlich innerhalb von zwei bis drei Tagen tödlich waren.137 Die von den Medikamenten völlig benommenen Kinder wurden immer wieder aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt, um Luminalgaben zu empfangen. Dabei litten sie an starken Schmerzen.138 Um diese grausame Vorgehensweise nochmals zu verdeutlichen, sei hier die Zeugenaussage von Hermann Pfannmüller, dem Vorsteher der Anstalt Eglfing-Haar, vor dem US-Militärgericht angeführt:139

„Das Kind schläft dann in einigen Tagen absolut ruhig ein, und es stirbt nicht an einer Vergiftung, das möchte ich noch einmal sagen, ich habe das schon einmal zurückgewiesen. Es stirbt lediglich an dem Eintreten einer Stauung in den Lungen, als Kreislauf- und Lungenstörung, daran stirbt es.“140

Nach dem Aufbau der Gaskammern für die ‚Aktion T4‘ wurden auch Kinder aus den Anstalten der ‚Kindereuthanasie‘ vergast. So wurden beispielsweise insgesamt rund 100 acht- bis zwölfjährige Kinder aus der ‚Fachabteilung‘ Brandenburg-Görden in das benachbarte ehemalige Zuchthaus Brandenburg geschickt, welches zu einer Vergasungsanlage umgebaut wurde. Zudem starben viele Kinder bereits beim Transport in die jeweiligen ‚Fachabteilungen‘, da sie während der Fahrt nur unzureichend versorgt wurden.141

Eine weitere mögliche Tötungsart war die Kinder verhungern zu lassen. Es gilt als gesichert, dass Nahrungsrationen immer mehr reduziert wurden, bis der Hungertod unausweichlich war.142 Diese, noch brutaler Vorgehensweise kam vor allem in den bayerischen ‚Fachabteilungen‘ vor.143 Gegen Ende des Krieges waren in vielen Anstalten sogenannte ‚Hungerhäuser‘ sogar üblich.144 Das menschenunwürdige Vorgehen sei auch hier durch einen Bericht über einen Besuch in der Anstalt Eglfing-Haar beschrieben. Der Name der Person,

137 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 105–106 138 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 187 139 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 105–106 140 Platen-Hallermund, Die Tötung Geisteskranker, 46 141 Vgl. Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 187 142 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 105 143 Vgl. Ebbinghaus/Dörner, Vernichten und Heilen, 302 144 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 105 43

welche den Bericht verfasste, ist nicht bekannt. Da der Bericht den Umgang in einer solchen Anstalt sehr gut beschreibt, wird er in der vollen Länge wiedergegeben:145

„Im Herbst 1939 wurde ich Zeuge eines Verbrechens, das insbesondere in der Art seiner Durchführung sogar mich erschütterte, obwohl ich damals schon viel gewöhnt war, kam ich doch erst wenige Monate vorher aus dem Konzentrationslager Dachau. Das öffentliche Publikum hatte damals die Gelegenheit, Irrenhäuser zu besuchen. Da ich 1934/1935 in meiner Berufsausbildung Psychologie studierte und somit einige Fachkenntnisse besitze, interessierte mich natürlich der Betrieb eines Irrenhauses besonders. [...] Nach dem Besuch einiger anderen Krankenstationen führte uns der Anstaltsleiter mit Namen Pfannmüller in eine Kinderstation. Dieser Raum machte einen sauberen, gepflegten Eindruck. In ca. 15–25 Kinderbetten lagen ebenso viele Kinder zwischen dem Alter von ca. 1–5 Jahren. Pfannmüller explizierte in dieser Station besonders eingehend seine Absichten. Folgende zusammenfassende Ansprache durch Pfannmüller ist mir dem Sinne gemäß erinnerlich: Diese Geschöpfe (gemeint waren besagte Kinder) stellen für mich als Nationalsozialisten natürlich nur eine Belastung unseres gesunden Volkskörpers dar. Wir töten [...] nicht durch Gift, Injektionen usw. [...] Nein, unsere Methode ist viel einfacher und natürlicher, wie Sie sehen. Bei diesen Worten zog er unter Beihilfe einer mir der Arbeit in dieser Station betrauten Pflegerin ein Kind aus dem Bettchen. Während er dann das Kind wie einen toten Hasen herumzeigte, konstatierte er mit Kennermiene und zynischem Grinsen: Bei diesem wird´s noch 2–3 Tage dauern. Der Anblick des fetten, grinsenden Mannes, in der fleischigen Hand das wimmernde Gerippe, umgeben von anderen hungernden Kindern ist mir noch immer deutlich vor Augen. Weiterhin erklärte der Mörder dann, daß nicht plötzlicher Nahrungsentzug angewandt werde, sondern allmähliche Verringerung der Rationen. [...]“146

Dies ist jedoch bei weitem kein Einzelfall. Als Todesursache wurde in solchen Fällen ‚allgemeiner Erschöpfungszustand‘ oder ‚akute Herzschwäche‘ angegeben.147 Als häufigste Todesursache wurde aber meist ‚natürlicher Tod‘ durch Lungenentzündung (also einer Überdosis von Luminal) angegeben.148 Die Aushungerung und Verwahrlosung der Kinder in den bayrischen ‚Fachabteilungen‘ erfolgte später auch nach administrativem Schema.149 Ab 1942 wurde jede Behandlung körperlicher Erkrankungen eingestellt. Anschließend wurden die Kinder laut Verfügung vom 30. November 1942 auf Hungerkost gesetzt und nach einer Fürsorgerechtsverordnung vom

145 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im NS-Staat, 88 146 Ebd., 88 147 Vgl. ebd., 89 148 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 19–20 149 Vgl. Schmuhl, Rasenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 188 44

9. November 1944 wurde allen minderjährigen AnstaltsinsassInnen jegliche Erziehung und Ausbildung verwehrt.150 Eltern, die Wünsche eines möglichen Besuches und andere Fragen zu ihren Kindern äußerten, wurden durch lange Briefwechsel, in denen die angebliche Erkrankung ihrer Kinder ausführlich beschrieben wurde, so lange hingehalten, bis die Kinder im Sterben lagen oder bereits tot waren. Auch wurden Entlassungsgesuche immer wieder verschleppt, indem man angeblich zur Vervollständigung der Krankengeschichte schriftliche Erkundigungen bei den Eltern einholte. Manchmal nutzen die energischen Proteste der Eltern jedoch auch etwas und ihr Kind wurde entlassen. Dabei mussten die Eltern einen Revers unterschreiben, durch den sie bestätigten, dass sie wiederholt auf die Gefahren und Bedenken der Entlassung hingewiesen wurden und, dass sie sich verpflichteten, für die geeignete Aufsicht und Pflege des Kindes Sorge zu tragen. Dies bedeutete aber nicht, dass die Eltern die Kinder für immer zurück hatten, denn es wurden Jugendämter beauftragt, die entlassenen Kinder zu beaufsichtigen und, falls notwendig, eine erneute Einweisung zu veranlassen. Zudem sollten die Arbeitsämter die Mütter der entlassenen Kinder in den Arbeitsdienst vermitteln, um sie so zu einer erneuten Einweisung ihres Kindes zu zwingen, da sie in diesem Falle das Kind nicht ausreichend pflegen konnten.151

3.7.2. Opferzahlen

Die Zahl der ermordeten Kinder, der sogenannten ‚Reichsausschusskinder‘, ist nicht bekannt. In einer Aussage sagt Hefelmann, dass er von von Hegener erfahren habe, dass von Ende 1939 bis Anfang 1945 etwa 3.000 Kinder behandelt und somit getötet wurden. Dies ist jedoch als Minimalzahl anzusehen. Die in der Literatur am häufigsten zu lesende Zahl von 5.000 ist, so Benzenhöfer, eine durchaus angemessene. Zu bedenken ist, dass dies nur für die Kinder und Jugendlichen gilt, welche im Zuge der ‚Kindereuthanasie‘ umgebracht wurden. Jedoch wurden vor allem ältere Kinder, wie bereits erwähnt, auch im Rahmen der ‚Erwachseneneuthanasie‘ ermordet. Nachdem die ‚Aktion T4‘ im August 1941 gestoppt wurde, wurden weitere Kinder in bestimmten Anstalten ohne vorherige Meldung an den Reichsausschuss durch ‚Verhungernlassen‘ oder gezielte Nichtbehandlung getötet. Bezieht man diese große Anzahl an getöteten Kindern mit ein, so liegt die Opferzahl weit über 5.000, wahrscheinlich sogar über 10.000.152

150 Vgl. ebd., 92–93 151 Vgl. ebd., 188–189 152 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 20–21 45

IV. Die ‚Kinderfachabteilungen‘ im Dritten Reich

Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, wie eine sogenannte ‚Kinderfachabteilung‘ aussah. Zudem werden die verschiedenen Standorte der ‚Kinderfachabteilungen‘ in Deutschland, Österreich und Polen aufgelistet.

4.1. Errichtung der ersten ‚Fachabteilung‘ in Brandenburg-Görden

Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, erfolgte die Tötung der Kinder in eigens dafür eingerichteten ‚Kinderfachabteilungen‘, was lediglich eine Tarnbezeichnung war, um die Eltern von der Notwendigkeit der Einweisung zu überzeugen. Die neuen Einrichtungen wurden als ‚Erweiterung des ärztlichen Behandlungskatalogs‘ und als ‚Endstation zur Ausmerze‘ nach ergebnislos gebliebener Behandlung in jugendpsychiatrischen Kliniken konzipiert.153 Am 1. Juli 1940 gab das RMdI mittels Runderlass die Schaffung der ersten ‚Kinderfachabteilung des Reichsausschusses‘ in Brandenburg-Görden, nahe Berlin, bekannt. In Wirklichkeit erfolgte die Einrichtung jedoch schon früher. Der wahre Zweck wurde wiederum verschleiert, in dem erklärt wurde, dass in der Landesanstalt Görden eine Jugend- Psychiatrische Fachabteilung eingerichtet wurde, in welcher, unter fachärztlicher Leitung, sämtliche therapeutische Möglichkeiten angeboten und durchgeführt werden. Das System der Meldung der Kinder und der anschließenden Aufnahme in eine ‚Kinderfachabteilung‘ beruhte auf der Kooperation von BürokratInnen, ÄrztInnen sowie Eltern. Die BürokratInnen und MedizinerInnen bemühten sich darum, die Zustimmung der Eltern für die Aufnahme ihrer Kinder zu gewinnen. Wichtig für die Errichtung der ‚Kinderfachabteilungen‘ war, die vom RMdI geförderte Mitarbeit der lokalen Beamten aus dem Gesundheitswesen. Als die Meldung der Kinder und die anschließende Begutachtung ins Rollen kam und die Landesanstalt Görden nicht in der Lage war, sämtliche erwarteten Kinder aufzunehmen und schließlich zu ‚behandeln‘, wurden weitere Mordstationen eingerichtet und mit Personal besetzt. Die Kanzlei des Führers rekrutierte daraufhin ÄrztInnen, PflegerInnen und anderes Personal, welche bereit waren, die Morde in den jeweiligen Anstalten auszuführen. Die meisten von Hefelmann, von Hegener und Linden ausgewählten Personen waren mit der Mordaktion einverstanden. Nur wenige weigerten sich und wurden somit von

153 Vgl. Scharsach, Die Ärzte der Nazis, 75 46

der Teilnahme freigestellt.154 Alle Personen, die an den Morden beteiligt waren, wurden von Berlin aus zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet. In den Krankenberichten durfte nicht der kleinste Hinweis auf ‚Euthanasie‘ zu finden sein.155 Die ÄrztInnen, welche in den Anstalten für die Morde verantwortlich waren, hatten jedoch nicht die Ausbildung oder Erfahrung, solche Entscheidungen überhaupt zu treffen. Dies bestätigte sogar der Heidelberger Professor Carl Schneider, der an der Aktion selbst aktiv mitarbeitete. Dennoch waren sie ehrgeizig und bemüht, ihre Quoten zu erfüllen. Zudem beklagten sie sich, wenn ihnen nicht genügend Kinder geschickt wurden, da der Reichsauschuss das Morden mit einer Prämie honorierte.156 In den ‚Kinderfachabteilungen‘ beschränkte man sich ‚nur‘ auf das Morden, jedoch dienten die ‚Euthanasie‘-Morde auch als Forschungsfeld zur ‚Förderung der Wissenschaft‘. Davon profitierten schließlich zahlreiche sozusagen externe Wissenschaftsinstitute, wobei zwei besonders eng mit der ‚Kindereuthanasie‘ verbunden waren: Die Psychiatrisch-Neurologische Universitätsklinik in Heidelberg unter der Leitung von Carl Schneider und die Beobachtungs- und Forschungsabteilung in der Landesanstalt Brandenburg-Görden. Diese und auch andere Forschungszentren untersuchten ausgewählte Kinder bevor sie getötet wurden. Anschließend führten sie Autopsien durch, wobei sie zu Studienzwecken Organe (vor allem Gehirne) entnahmen.157 Es darf nicht vergessen werden, dass keineswegs sämtliche ermordeten Kinder unter unheilbaren Krankheiten oder lebenslangen Missbildungen litten. Viele wurden wegen geringeren Krankheiten eingeliefert oder einfach deshalb, weil sie langsamer lernten und ‚verhaltensauffällig‘ waren, wie man heute wahrscheinlich sagen würde.158 In den jeweiligen ‚Fachabteilungen‘ existierten in der Regel keine separaten ‚Abteilungen‘, in welchen ausschließlich ‚Reichsausschusskinder‘ untergebracht waren. Sollten jedoch die ‚Reichausschusskinder‘ auf eine Station konzentriert worden sein, so konnte es noch immer sein, dass auch andere Kinder oder Minderjährige untergebracht waren. Dies bedeutet, dass es auf solchen Abteilungen auch natürliche Todesfälle gab bzw., dass auch Kinder oder Jugendliche ohne ‚Reichsausschussverfahren‘ getötet wurden.159 Im Gegensatz zu den Ermordungen von Erwachsenen im Rahmen der ‚Aktion T4‘, wo die Menschen in Gruppen

154 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 96–97 155 Vgl. Scharsach, Die Ärzte der Nazis, 79 156 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 111–112 157 Vgl. Klee, Dokumente zur ‚Euthanasie‘, 247–250 158 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 116 159 Vgl. Benzenhöfer, Der Fall Leipzig, 94–95 47

vergast wurden, fand bei der ‚Kindereuthanasie‘ die Tötung der Kinder in der Regel einzeln statt.160 Nach und nach wurden somit in psychiatrischen Anstalten und Kinderkrankenhäusern, deren LeiterInnen und ChefärztInnen als politisch zuverlässige Befürworter der ‚Kindereuthanasie‘ galten, ‚Kinderfachabteilungen‘ eingerichtet und so entstand ein Netz von Tötungszentren in Deutschland, Österreich und Polen.161

Die Frage, warum gerade in Görden die erste ‚Kinderfachabteilung‘ errichtet wurde, kann anhand mehrerer Gründe beantwortet werden. Zum einen war die Entfernung von Görden nach Berlin nicht weit, somit konnte rasch mit der Kanzlei des Führers Kontakt aufgenommen werden. Weiteres bestand bereits ein großer Klinikkomplex, welcher als öffentliche Anstalt diente. Sowieso wurde so gut wie keine ‚Fachabteilung‘ neu erbaut, sondern lediglich als Abteilung in eine bereits bestehende Anstalt eingegliedert. Ein weiterer Grund, welcher für Görden sprach war, dass der Anstaltsleiter Hans Heinze einer der drei Gutachter für die ‚Kindereuthanasie‘ war. Ebenfalls konnte Görden das nahegelegene Mordzentrum in Brandenburg nutzen, um die rasche Tötung ganzer Gruppen von Kindern sicherzustellen. Die Kinderstation in Görden und ihre Methoden dienten als Modell für andere Anstalten und somit wurde bald nach der Gründung ein Ausbildungszentrum für ÄrztInnen, die für die Durchführung der Kindermorde vorgesehen waren, in der Landesanstalt geschaffen.162

4.2. Weitere Errichtungen solcher ‚Fachabteilungen‘

Es existieren verschiedene Angaben über die Anzahl der ‚Kinderfachabteilungen‘ im Dritten Reich. Die Zahlen schwanken zwischen 19 und 37.163 Es wurden somit einige errichtet, wobei viele von ihnen vermutlich verhältnismäßig klein waren.164 Für Benzenhöfer gibt es zwei sichere Kriterien für die Existenz einer ‚Kinderfachabteilung‘: Zum einen geben die ‚Sonderzuwendungen‘ (Bezahlungen für das Durchführen der Tötungen) für das Personal der Abteilungen, welche vom Reichsausschuss genauestens verzeichnet wurden, Auskunft. Dahingehend kam er auf 25 ‚Kinderfachabteilungen‘. Zum anderen gibt es in Kranken- oder Verwaltungsakten direkte Hinweise auf Zusammenhänge mit dem Reichsausschuss. Dadurch konnten fünf weitere

160 Vgl. Aly, Die Belasteten, 117 161 Vgl. ebd., 76 162 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 97–98 163 Vgl. Benzenhöfer, Kinder-‚Euthanasie‘, 1017 164 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 102 48

‚Kinderfachabteilungen‘ nachgewiesen werden. Bislang gelten also 30 ‚Kinderfach- abteilungen‘ als gesichert.165 Viele von diesen wurden auch von Hans Hefelmann in seinen Aussagen vom 7./9./11. November 1960 als Zeuge im Verfahren gegen Werner Hyde und anderen vor der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt erwähnt.166 Seine Aussagen enthalten jedoch auch einige falsche bzw. noch zu prüfende Angaben.167

Die nachstehende Tabelle entstand auf der Grundlage der Nachforschungen von Benzenhöfer. Die ‚Kinderfachabteilungen‘ sind in alphabetischer Reihenfolge angeführt. Bei insgesamt 25 sind die Jahre angegeben, in denen ‚Sonderzuwendungen‘ (abgekürzt durch ‚SZW‘) gezahlt oder angeboten wurden. Zu diesen sind noch fünf weitere angegeben, welche, wie bereits erwähnt, als gesichert gelten (beispielsweise durch Hefelmanns Aussagen).168

Ansbach, Heil- und Pflegeanstalt Berlin-Wittenau, Städtische Nervenklinik für SZW 1943, 1944 Kinder und Jugendliche (‚Wiesengrund‘) SZW 1942, 1943, 1944 Breslau, Krankenhaus Nord, Institut für Conradstein (auch: Konradstein), Heil- und praktische Psychiatrie und psychiatrische Pflegeanstalt Erbforschung SZW 1942, 1943, 1944 SZW 1943, 1944 Dortmund-Aplerbeck, Heil- und Eglfing-Haar, Heil- und Pflegeanstalt Pflegeanstalt SZW 1941, 1942, 1943, 1944 SZW 1942 Eichberg, Landesheilanstalt Görden (bei Brandenburg), Landesanstalt SZW 1941, 1942, 1943, 1944 SZW 1941, 1942, 1943, 1944 Graz, Heil- und Pflegeanstalt ‚Am Feldhof‘ Großschweidnitz (bei Löbau), Landesanstalt SZW 1944 , Heil- und Pflegeanstalt Hamburg, Privates Kinderkrankenhaus Langenhorn Rothenburgsort SZW 1942? (wohl nur angeboten) SZW 1942

165 Vgl. Benzenhöfer, Kinder-‚Euthanasie‘, 1017 166 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 21 167 Vgl. Benzenhöfer, Kinder-‚Euthanasie‘, 1017 168 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 63–76 49

Kalmenhof, (Idlstein im Taunus), Kaufbeuren, Heil- und Pflegeanstalt Heilerziehungsanstalt SZW 1942, 1943, 1944 SZW 1941, 1943, 1944 Leipzig, Universitätskinderklinik Leipzig-Dösen, Landes-Heil- und SZW 1941, 1942, 1943, 1944 Pflegeanstalt SZW 1941, 1942, 1943 Loben (auch: Lublinitz), Heil- und Lüneburg, Heil- und Pflegeanstalt Pflegeanstalt SZW 1942, 1943, 1944 SZW 1943, 1944 (immer abgelehnt) Marsberg (auch: Niedermarsberg), Sachsenberg (bei Schwerin), Heil- und Provinzialheilanstalt Pflegeanstalt SZW 1941 SZW 1942, 1943 Schleswig, Heil- und Pflegeanstalt Stadtroda, Thüringer Landesheilanstalt Schleswig-Stadtfeld SZW 1943, 1944 Stuttgart, Städtische Kinderheime Tiegenhof (bei Gnesen), Landesheilanstalt SZW 1943, 1944 Uchtspringe, Landesheilanstalt Ueckermünde, Heilanstalt SZW 1941, 1942, 1943, 1944 Waldniel, Heil- und Pflegeanstalt Wien, Städtische Jugendfürsorgeanstalt SZW 1941, 1942 ‚Am Spiegelgrund‘ SZW 1941, 1942, 1943, 1944 Wiesengrund, Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch, Heil- und Pflegeanstalt SZW 1942, 1943

Tabelle 1: ,Kinderfachabteilungen'

Die berüchtigtsten der soeben aufgelisteten ‚Fachabteilungen‘ waren Görden-Brandenburg, Eglfing-Haar, Eichberg, Kalmenhof, Kaufbeuren und ‚Am Spiegelgrund‘.169

Die ‚Sonderzuwendungszahlen‘ geben womöglich nicht den tatsächlichen Beginn der Durchführung der ‚Kindereuthanasie‘ und die Errichtung der jeweiligen ‚Kinderfachabteilung‘ wieder, sondern weisen lediglich daraufhin, dass in diesen Jahren Zahlungen erfolgten oder zumindest angeboten wurden. Es sei jedoch angemerkt, dass

169 Vgl. Freytag/Marte/Stern, Geschichte und Verantwortung, 278 50

spätestens in diesen Jahren die Praxis der Kindestötung angewandt wurde, in einigen ‚Kinderfachabteilungen‘ jedoch auch früher (wie zum Beispiel in Eglfing-Haar und Görden) und länger. Mit diesen 30 als gesichert geltenden ‚Kinderfachabteilungen‘ sind jedoch vermutlich noch nicht alle erfasst. Es ist zu klären, ob die widersprüchlichen Aussagen von Hefelmann über die Existenz solcher Abteilungen in Berlin-Frohnau (Privatklinik Dr. Wentzler), Klagenfurt, Königsberg und Posen als wahr angenommen werden können bzw., ob es dort ‚Kinderfachabteilungen‘ im Sinne des Reichsausschusses gegeben hat oder, ob hier Kinder eventuell ohne ‚Reichsausschussverfahren‘ getötet wurden. Als unwahrscheinlich erscheinen Benzenhöfer die Aussagen Hefelmanns, wonach es in Bremen, Braunschweig, Meseritz- Obrawalde und in der Nähe von Oldenburg ‚Kinderfachabteilungen‘ gegeben habe. Mit absoluter Sicherheit kann er die Existenz solcher Abteilungen in Blankenburg im Harz und in Bonn ausschließen. Somit kann beim derzeitigen Forschungsstand zusammenfassend gesagt werden, dass in mindestens 30 Anstalten, Kliniken oder Heimen ‚Kinderfachabteilungen‘ eingerichtet wurden. Davon existierten jedoch mindestens vier (Leipzig-Dösen, Marsberg, Waldniel, Wiesloch) nicht bis zum Ende des Krieges.170

Selbst als sich bis 1944 bereits herumgesprochen hatte, was in den ‚Fachabteilungen‘ vorging, dachte man noch an Neuerungen zur besseren Tarnung. Erst zu dieser Zeit wurden die Mordzentren in ‚Heilanstalten‘ umbenannt.171

170 Vgl. Benzenhöfer, ‚Kinderfachabteilungen‘ und ‚NS-Kindereuthanasie‘, 82–84 171 Vgl. Dörner, Der Krieg gegen die psychisch Kranken, 92 51

V. Das ‚alltägliche Morden‘ am Beispiel der Heil- und Pflege- anstalt Kaufbeuren-Irsee

In diesem Kapitel wird die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee näher beschrieben. Von dessen Gründung, über die Tbc-Versuche, bis hin zum letzten ermordeten Kind durch die NS- ‚Euthanasie‘. Warum genau diese Anstalt ausgewählt wurde, fand bereits in der Einleitung Erwähnung.

5.1. Von der Gründung bis zur NS-Zeit

5.1.1. Vom Reichsstift bis zur Kreis-Irrenanstalt

Eine Gruppe von frommen Männern schloss sich 1182, unter der Obhut von Markgraf Heinrich von Ronsberg, zusammen und gründete auf der ehemaligen Stammburg Ursin ihre erste klösterliche Gemeinschaft. Über die Lautverschiebung von Ursin über Yrrsee zu Irsee erklärt sich der heutige Name, welcher nichts mit ‚Irren‘ oder einem ‚See‘ zu tun hat, sondern wohl eher mit dem dort heimischen Bärlauch-Gewächs (lat. allium ursinum). Der leichtere Zugang zu Wasser zwang die Mönche jedoch nur wenige Jahre später zu einem Neubau am heutigen Standort am Fuße des Berges. Über die Jahrhunderte wurden die Klosterbauten mehrmals zerstört und mussten immer wieder aufgebaut werden. Zahlreiche Krisen, resultierend aus Krieg und Misswirtschaft, wechselten sich mit hoher Blüte ab. Das mit bis zu 24 Mönchen doch recht kleine Kloster versuchte über die Jahre immer mehr Unabhängigkeit zu erlangen und wurde schließlich 1692 Reichsstift. Damit unterstand Irsee nun nur noch dem Kaiser selbst. Durch die erlangte Unabhängigkeit konnte, trotz finanzieller Belastungen, ein Neubau der Klosteranlage (1699 stürzte der Turm ein) bewältigt werden, welcher 1754 vollendet wurde. Das Benediktiner Kloster erlebte die nächsten 50 Jahre bis zu ihrer Säkularisierung einen religiösen und kulturellen Aufschwung. 1802/3 wurden jedoch im Zuge der Säkularisierung alle Klöster in Bayern, somit auch das Kloster Irsee, aufgelöst und ihr Besitz dem Staat zugeschlagen. Nach der Auflösung des Klosters wurden die Räume der Anlage für eine Zeit lang als ‚Königlich-bayrisches Rentamt‘ verwendet.

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5.1.2. Therapie und Heim

Am 1. September 1849 wurde schließlich im früheren Irseer Kloster die erste stationäre Psychiatrie in Schwaben eröffnet.172 Die Kreis-Irrenanstalt in Irsee, so die Bezeichnung, war anfangs nur sehr klein und hatte in etwa für 80 psychisch kranke Personen Platz.173 Unter dem ärztlichen Gründungsdirektor Dr. Wilhelm Hagen (reg. 1849–1959) wurden die psychisch Kranken nicht nur verwahrt, sondern auch andere Maßnahmen, wie das Arbeiten in verschiedenen Werkstätten, Unterricht in schulischen Elementarfächern, Musik und Gesang sowie Theateraufführungen, sind überliefert. Da die Zahl der PatientInnen in kürzester Zeit auf über 300 Personen anstieg, wurde unter dem zweiten Direktor Dr. Johann Michael Kiderle (reg. 1859–1891) entschlossen, in Kaufbeuren eine zusätzliche, noch größere Anstalt zu errichten.174 Der Baubeginn der neuen Kreis-Heil- und Pflegeanstalt in Kaufbeuren war schließlich das Jahr 1872. Die neue Anstalt war für eine Zahl von 200 Kranke ausgelegt.175 Durch die Fertigstellung der Kreis-Irrenanstalt Kaufbeuren bzw. ‚Bayerische Heilanstalt für Geisteskranke in Kaufbeuren‘ am 1. August 1876 verlor die Kreis-Irrenanstalt in Irsee ihre Eigenständigkeit.176 Seitdem galt sie als Zweigstelle der Kaufbeurer Einrichtung und wurde auch von dort aus geleitet. Trotzdem gab es einen für die Außenstelle Irsee verantwortlichen Arzt. 1908 und 1924 kamen Gespräche über die Auflösung der Anstalt Irsee auf, diese wurden jedoch nicht weiterverfolgt.177 Die Heilanstalt hatte zur Zeit des Ersten Weltkrieges eigene Versorgungbetriebe, wie beispielsweise eine Bäckerei, Metzgerei, Gärtnerei, Milch- und teilweiser Fleischversorgung aus genehmigten Hausschlachtungen, und konnte durch Vorratshaltung die Sterbeziffer relativ niedrig halten (11,7 %). Andere Anstalten hatten während des Krieges zum Vergleich eine Sterbequote von 37 %.178 Vermutlich bestanden diese eigenen Versorgungsbetriebe nur zur Zeit des Ersten Weltkrieges, denn bereits 1931 musste die Kost auf ein einfaches Maß herabgesetzt werden. Damit entfielen Zwischenmahlzeiten, was nicht gerade förderlich für die zu behandelnden Kranken und auch für PflegerInnen war.179

172 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 16–19 173 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 258 174 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 19–20 175 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 261 176 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 20 177 Vgl. Resch, Max Maier, 194–195 178 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 265–266 179 Vgl. Resch, Park- und Gartenanlangen, 189 53

Die Zustände in den überfüllten Krankenhäusern, die Erfahrung der Armutsjahre während und nach dem Ersten Weltkrieg, vor allem aber die Charakterisierung von ‚unheilbaren‘ PatientInnen als ‚lebensunwert‘ in der Zwischenkriegszeit führten zu einer Annäherung an das nationalsozialistische ‚Euthanasie‘-Gedankengut.180

5.2. Psychiatrie im Dienst der Selektion und Ausmerzung

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurden umgehend einschneidende Verordnungen ‚Zum Schutz des Deutschen Volkes‘ erlassen. Dies betraf nicht nur psychisch kranke und ‚behinderte‘ Menschen, sondern auch die Angestellten der Heilanstalt unterlagen politischem Zwang. So wurden beispielsweise die zwei Krankenpfleger Georg Riedel und Wilhelm Rudhart wegen ihrer Weltanschauung als politische Gegner sofort verhaftet.181 Da sie der ‚Sozialdemokratischen Partei Deutschlands‘ (SPD) angehörten, wurden sie wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und trotz Beweismangel 1936 in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Während Riedel dort den Tod erlitt, durfte Rudhart, trotz der Einwände von Direktor Faltlhauser, wieder bis zu seiner Pensionierung in der Anstalt arbeiten.182

Ein kurzer Exkurs zeigt uns hingegen, dass es auch Ausnahmen hinsichtlich der Stigmatisierung gab: Der damalige Anstaltsarzt von Irsee, Dr. Max Maier, war jüdischer Abstammung und legte diese auch offen dar. Nach korrekter Rechtsauslegung, der strengen und eng gefassten ‚Ariergesetze‘, hätte er eigentlich als ‚jüdisch versippt‘ gelten müssen, wurde aber, wie es scheint, als Arier anerkannt. Als Dr. Maier schwer erkrankt am 1. Februar 1939 in den Ruhestand versetzt wurde, wollte ihm das Ministerium, weil er ein jüdischer Mischling war, keinen Dank für seine teuren Dienste aussprechen. Dies wurde jedoch nicht umgesetzt. Vor seinem tatsächlichen Eintritt in den Ruhestand starb Dr. Max Maier am 11. Jänner 1939 im Alter von 55 Jahren.183

Die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee war zwischen 1939 und 1945 aktiv an der Tötung psychisch und physisch beeinträchtigter Personen beteiligt. Ihre Bedeutung für die

180 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 20 181 Vgl. Resch, Max Maier, 195–199 182 Vgl. Resch/Schweizer-Martinschek, Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren, 117–118 183 Vgl. Resch, Max Maier, 195–199 54

‚Euthanasie‘ lag vor allem darin, dass die Anstalt mit 1.200 Betten in den 1930er Jahren bereits die größte Einrichtung dieser Art in ganz Schwaben war. Während in der Hauptstelle Kaufbeuren vor allem diejenigen PatientInnen untergebracht waren, welche wieder geheilt werden sollten bzw. konnten, war die Zweigstelle Irsee mehr als ‚letzte Station‘ anzusehen. Seit September 1939, also dem Beginn der tatsächlichen Umsetzung, wurden aus ganz Bayern, vor allem aus Schwaben, Menschen nach Kaufbeuren verlegt. Die meisten kamen zu dieser Zeit aus den Anstalten Ursberg, Holzen, Pfaffenhausen, Glött, Lauingen, Lautrach, Schweinspoint, Günzburg und aus den Kinderheimen Möhren und Stein. Die Ende 1939 eingetroffenen Meldebögen wurden ausgefüllt und den Gutachtern nach Berlin zugesandt. Wie bereits erwähnt, entschieden diese anschließend, ob der ‚Kranke‘ getötet werden sollte oder nicht. Anfang 1940 erhielt der Direktor Valentin Faltlhauser erstmals eine Liste mit den Namen jener PatientInnen, die zur Verlegung und damit zur Ermordung in eine Reichsanstalt bereitzuhalten seien.184 Die ‚Kranken‘ wurden daraufhin im Zuge der ‚Aktion T4‘ mit den sogenannten ‚Grauen Bussen‘, einer eigens dafür gegründeten Transportgesellschaft, in festgelegte Reichanstalten überführt und dort mittels Gas getötet.185 Eine Pflegerin schilderte das Abholen der Frauen, Männer und womöglich vereinzelt auch Kinder in einem Protokoll 1948:186

„Das Begleitpersonal der Omnibusse der gemeinnützigen Krankentransportgesellschaft aus Berlin bestand aus rohen und unheimlichen Gestalten, teils Männer, teils Frauen. Sie packten die Kranken grob an und schnallten sie in den Wagen teilweise sogar mit Ketten fest. Ich hatte den Eindruck, daß es sich hier um verkappte SS-Leute handelte. Die Omnibusse fuhren nicht vor dem Hauptportal der Anstalt vor, sondern kamen bei Dämmerung an, nahmen die Kranken im Innenhof des sog. Landhauses frühmorgens auf und verließen die Anstalt noch vor Tagesanbruch.“187

184 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 272 185 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 266–267 186 Vgl. Von Cranach, Die Ermordung, 7 187 Ebd., 7 55

Die genauen Opferzahlen können anhand von Klinikakten folgendermaßen belegt werden:188

„26. August 1940 75 Männer 27. August 1940 75 Frauen 5. September 1940 75 Männer 8. November 1940 90 Frauen 25. November 1940 61 Männer 9. Dezember 1940 35 Frauen 4. Juni 1941 70 Männer 5. Juni 1941 71 Frauen 8. August 1941 133 Frauen und 7 Männer 5 Rückstellungen“189

Dies ergibt eine Gesamtzahl von 687 PatientInnen, welche von 26. August 1940 bis 8. August 1941 in die Tötungsanstalten Grafeneck und Hartheim transportiert und dort ermordet wurden. Die fünf ‚zurückgestellten‘ Personen wurden wieder in Kaufbeuren aufgenommen, weil sie Kriegsveteranen des Ersten Weltkriegs waren. Später spielte diese Tatsache wohl keine Rolle mehr. Drei der fünf Männer wurden durch Nahrungsentzug und/oder durch Medikamente getötet. Die anderen Beiden überlebten die NS-Zeit.190 Da sich die Totentransporte auch in der Öffentlichkeit allmählich herumsprachen, wurde das ‚Euthanasie‘-Programm (‚Aktion T4‘) schließlich eingestellt.191 Erst dann nahm die Anstalt Kaufbeuren-Irsee eine aktivere Rolle in der Ermordung geistig und körperlich Kranker ein, indem eine Tötungsabteilung für Erwachsene und eine ‚Kinderfachabteilung‘ eingerichtet wurden.192 Die ‚Kinderfachabteilung‘ mit insgesamt 50 Betten nahm Kinder bis zum 14. Lebensjahr auf. Die ärztliche Betreuung dieser Abteilung übernahm Direktor Faltlhauser mit drei Pflegerinnen. Als 1942 das Alter auf das 16. Lebensjahr angehoben wurde, kamen noch mehr Kinder in die Abteilung. Viele dieser wurden, vom Reichsausschuss angeordnet, direkt aus den Anstalten Ursberg, Lautrach, Wiesloch, Eglfing-Haar, Ansbach, Mils/Tirol und Pergine/Norditalien nach Kaufbeuren transportiert. Aufgrund der hohen Zahl an Kindern

188 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 272 189 Ebd., 272 190 Vgl. ebd., 272–273 191 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 267 192 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 273–274 56

wurden 1942 zusätzliche Räume in der Hauptstelle Kaufbeuren, aber auch in der Zweigstelle Irsee, eingerichtet.193 In den jeweiligen Abteilungen wurden geistig und körperlich Beeinträchtigte, darunter Männer, Frauen und eben auch Kinder, mittels Medikamenten (vor allem Luminal wurde verwendet) und einer sogenannten ‚E-Kost‘ ermordet. Am 6. September 1944 wurde ein Gesetz erlassen, um nicht mehr arbeitsfähige ausländische Arbeiter in Heil- und Pflegeanstalten einzuweisen und sie dort schließlich im Rahmen des ‚Euthanasie‘-Programms zu ermorden. Damit wurde Kaufbeuren ab dieser Zeit auch zu einer Sammelstelle für psychisch und physisch beeinträchtigte OstarbeiterInnen.194

5.3. ‚E-Kost‘

Die gezielt eingesetzte sogenannte ‚E-Kost‘ (‚Entzugs-Kost‘) war die Fortführung der abgebrochenen ‚T4-Aktion‘.195

Die Landesfürsorgeverbände von Bayern drängten bereits seit Ende der 1920er Jahre immer mehr auf eine Reduzierung der Unterbringungskosten. Die Direktoren der Heil- und Pflegeanstalten in Eglfing-Haar, Hermann Pfannmüller, und in Kaufbeuren, Valentin Faltlhauser, setzten sich bereits vor Beginn des Krieges für eine nach Arbeitsleistung aufgeteilte Ernährung der PatientInnen ein.196 In Irsee wurde diese Art des Tötens bereits seit August 1942 und in der Hauptanstalt Kaufbeuren seit Oktober 1942 eingesetzt. Der Hauptgrund dafür war, dass die Verlegungsaktionen immer mehr das Aufsehen der Bevölkerung erregten und so konnte das Morden in den eigenen Wänden still und heimlich erfolgen.

193 Vgl. Resch/Schweizer-Martinschek, Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, 129 194 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 273–274 195 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 267 196 Vgl. Jenner/Klieme, Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen, 124 57

Der folgende Speiseplan zeigt die Mahlzeiten, welche die PatientInnen der Anstalt Kaufbeuren-Irsee erhielten:

Abbildung 1: Speiseplan197

Es gab kein Frühstück, sondern nur Mittag- und Abendessen. Dabei wechselte sich Blaukraut, mit Kartoffeln, gelbe Rüben und Weißkraut ab. Alles in Allem eine überaus unzureichende Kost.

Mit diesem Speisezettel fuhr Faltlhauser auf eine Konferenz der Anstaltsdirektoren der bayerischen Heil- und Pflegeanstalten, um seine erzielten Ergebnisse der Hungerkost vorzustellen.198 Seine Erklärungen waren anscheinend sehr überzeugend gewesen, denn auf der Konferenz wurde schließlich die Minderernährung unheilbar Kranker gegenüber heilbaren Kranken in Form eines Erlasses angeordnet.199

197 Mader, Das erzwungene Sterben, Anhang 198 Vgl. Mader, Das erzwungene Sterben, 27–28 199 Vgl. Jenner/Klieme, Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen, 124 58

Am 30. November 1942 kam es dann zum sogenannten ‚Hungerkost-Erlass‘ des Bayerischen Innenministeriums:200

„Im Hinblick auf die kriegsbedingten Ernährungsverhältnisse und auf den Gesundheitszustand der arbeitenden Anstaltsinsassen läßt es sich nicht mehr länger verantworten, daß sämtliche Insassen der Heil- und Pflegeanstalten unterschiedslos die gleiche Verpflegung erhalten ohne Rücksicht darauf, ob sie einerseits produktive Arbeit leisten oder in Therapie stehen oder ob sie andererseits lediglich zur Pflege in den Anstalten untergebracht sind, ohne eine nennenswerte nutzbringende Arbeit zu leisten. Es wird daher angeordnet, daß mit sofortiger Wirkung sowohl in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht diejenigen Insassen der Heil- und Pflegeanstalten, die nutzbringende Arbeit leisten oder in Therapeutischer Behandlung stehen, ferner die noch bildungsfähigen Kinder, die Kriegsbeschädigten und die an Alterspsychose Leidenden und Lasten der übrigen Insassen besser verpflegt werden. Auf die am 17.11.1942 beim Staatsministerium des Innern stattgefundene Besprechung mit den Anstaltsdirektoren wird Bezug genommen. Die Anstaltsdirektoren haben unverzüglich die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen.“201

Mit dem Inkrafttreten des Erlasses erhielten alle arbeitsunfähigen PatientInnen so wenig zu essen, dass sie völlig unterernährt und entkräftet waren. Der Großteil starb an den dadurch entstandenen Mangelerscheinungen oder an entsprechenden Folgeerkrankungen.202 Die Aussagen eines Pflegers geben Aufschluss über die Umsetzung der von da an verordneten Hungerkost:203

„Sie bestand darin, daß den Kranken am Morgen leerer Kaffee oder Tee und zu Mittag und abends in Wasser gekochtes Gemüse, z. B. Brennesselspinat, Dotschen oder Weißkraut oder Kartoffel verabreicht wurden. Zwischendrein gab es auch für die E-Köstler wieder viel zu essen [...] Die E-Köstler mußten also einerseits schwer Hunger leiden, bekamen aber andererseits plötzlich wieder den Magen überfüllt, so daß sie notwendig nicht nur infolge der völlig unzureichenden E-Kost, sondern darüber hinaus auch noch infolge des Kostgegensatzes an der Gesundheit Schaden nehmen mußten.“204

Die verabreichte Kost enthielt somit keine Kohlenhydrate, kein Fett, kein Fleisch und nur wenig Brot.205

200 Vgl. Klee, Dokumente zur ‚Euthanasie‘, 287 201 Ebd., 287 202 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 274 203 Vgl. Von Cranach, Die Ermordung, 10 204 Ebd., 10 205 Vgl. Klee, Dokumente zur ‚Euthanasie‘, 286 59

Die Umstellung der Mahlzeiten zeigte sofort seine Wirkung: In der Anstalt Kaufbeuren stieg die Zahl der Toten 1942 gegenüber dem Vorjahr um 300 % an. Auch im darauffolgenden Jahr blieb die Zahl in dieser Höhe. In der Zweigstelle Irsee stieg sie um 43 %. Der niedrigere Anstieg ist damit begründet, dass einige Schwestern in Irsee den mörderischen Speiseplan umgingen, indem sie Mehl, Fett oder Fleischbrühe ohne Wissen des Verwaltungsinspektors in das ansonsten wertlose Essen mischten.206 Im Jahre 1944 stieg die Sterblichkeitsrate aber auch in Irsee bedeutend an und zwar um 245 % gegenüber 1943.207

Aufgrund der Umsetzung des sogenannten ‚Hungererlasses‘ in den bayrischen Anstalten und damit auch in Kaufbeuren-Irsee, starben in der zweiten Kriegshälfte eine Vielzahl von Männern, Frauen und Kindern.208

5.4. Tbc-Versuche in der ‚Kinderfachabteilung‘

Im Jahre 1987 erhielt das Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren den Nachlass eines ehemaligen ärztlichen Mitarbeiters, welcher Briefe zwischen Dr. Valentin Faltlhauser und Dr. Georg Hensel, von 1939 bis 1946 Oberarzt in der Kinderheilstätte Mittelberg, beinhaltete. Diese 14 Briefe brachten medizinische Versuche, um einen Impfstoff gegen Tuberkulose zu finden, ans Licht, die zwischen 1942 und 1944 an ‚behinderten‘ Kindern in der Anstalt Kaufbeuren- Irsee durchgeführt wurden. Die genaue Zahl der Kinder, an denen in der Anstalt Impfversuche vorgenommen wurden, ist bis heute nicht bekannt, jedoch kann von mindestens 13 aktenkundigen Fällen ausgegangen werden. Davon endeten für sechs von ihnen die Medizinversuche tödlich.

Bereits im März 1939 hatte die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater beschlossen, bei allen verstorbenen PatientInnen von Heil- und Pflegeanstalten eine Obduktion zu veranlassen. Dadurch sollten bestimmte ‚Behinderungen‘ verhütet oder sogar geheilt werden. Dazu wurde enge Zusammenarbeit mit Universitätskliniken oder Forschungsanstalten betrieben. Im April 1940 schlugen verschiedene WissenschaftlerInnen bei einer Sitzung in Berlin vor, den Leichen der ermordeten ‚Behinderten‘ zumindest die Gehirne und Organe zu entfernen und sie der Forschung zur Verfügung zu stellen. Dies wurde

206 Vgl. Mader, Das erzwungene Sterben, 29–30 207 Vgl. ebd., 45 208 Vgl. Jenner/Klieme, Nationalsozialistische Euthanasieverbrechen, 124 60

von Prof. Walther Schultze im Jänner 1941 dann auch umgesetzt. Nach dem Stopp der ‚Aktion T4‘ wurden viele ‚Kinderfachabteilungen‘ in das Forschungsvorhaben einbezogen. Im Laufe der Zeit fanden nicht nur Sektionen an den Leichen der ermordeten Kinder statt, sondern auch Untersuchungen und Versuche an Lebenden.209 Tuberkulose war die am weitesten verbreitete Volkskrankheit des 20. Jahrhunderts und forderte, bis zur Entwicklung eines Impfstoffes in den 1960er Jahren, zahlreiche Menschenleben.210 Die Tuberkuloseforschung bildete daher einen der wichtigsten Schwerpunkte des nationalsozialistischen Regimes. Insgesamt fanden in drei Heil- und Pflegeanstalten, Kaufbeuren-Irsee, Berlin-Wittenau und Wien, sowie im Konzentrationslager Neuengamme derartige Versuche statt.211 Aus Hensels Habilitationsschrift geht hervor, dass er bereits 1938 an der Berliner Universitäts-Kinderklinik Versuche an ‚behinderten‘ Kindern durchgeführt hatte. Dort verabreichte er zwei Säuglingen einen selbstentwickelten Impfstoff, welchen er zuvor in Tierversuchen erprobt hatte. Eines der Säuglinge starb, nach Aussage von Hensel, schon nach acht Wochen aufgrund schwerer Missbildungen. Das andere Kind verlor er nach fünf Monaten aus den Augen.212 Hensel begründete seinen Entschluss dazu folgendermaßen:213

„Da mit dieser Art der Schutzimpfung beim Menschen ein Neuland betreten wurde, erscheint es selbstverständlich, daß für die Vaccination [Impfung] vorläufig nur Säuglinge in Frage kommen, die schwere körperliche und geistige Mißbildungen aufweisen, und deren Lebenserhaltung für die Nation keinen Vorteil bedeutet. Es ist begreiflich, daß derartige lebensunwichtige, mißgebildete Säuglinge zur Ausprobierung einer Schutzimpfung nur recht selten zur Verfügung stehen.“214

Die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren gab dem Tuberkulose-Spezialisten Hensel nun die Möglichkeit, an den dortigen Kindern weitere Versuche durchzuführen. Über die Hintergründe und den genauen Ablauf der Tests geben vor allem die Briefe zwischen Faltlhauser und Hensel, aber auch die Krankenakten der betroffenen Kinder, Aufschluss. Diese Krankenakten enthalten Angaben über den zeitlichen Rahmen sowie über

209 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 231–235 210 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 277 211 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 235 212 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 277–278 213 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 240 214 Ebd., 240 61

den Krankheitsverlauf der einzelnen Kinder.215 Ebenfalls aufschlussreich ist ein Aufsatz, den Hensel vermutlich unmittelbar nach dem Abschluss der Versuche schrieb und noch 1944 veröffentlichte.216

Nachdem Hensel am 26. Oktober 1942 Faltlhauser um die Erlaubnis für solche Versuche bat, antwortete Faltlhauser am 29. Oktober 1942 folgendes:217

„Die hiesige Kinderfachabteilung hat jetzt rund 130 Kinder, im Alter von 1–14 Jahren, die wohl freilich nicht alle für ihre Zwecke verwendbar sind. Jedenfalls findet sich aber eine genügende Zahl für ihre Versuche.“218

Am 13. November kam Hensel zu einem vereinbarten Termin mit Faltlhauser in Kaufbeuren zusammen, um sich die Kinder genauer anzusehen und zu entscheiden, welche für die Versuche geeignet waren. Vor der Impfung wurden die Versuchskinder untersucht und geprüft, ob sie ‚tuberkulinnegativ‘ waren.219 Die genaue Anzahl der infrage kommenden Kinder ist bis heute nicht bekannt. Jedoch konnte die Zahl von mindestens 13 Kindern aufgrund der vorliegenden Quellen ermittelt werden.220 Hensel begann anschließend an elf Kindern mit seinen Tbc-Versuchen.221 Aufschlüsse über die Kriterien der Auswahl gibt eine Sozialanamnese der Kinder hinsichtlich der Aspekte Alter, Geschlecht, familiäre Verhältnisse, Art der Behinderung und Gemeinsamkeiten. Weder das Alter (das jüngste Kind war fünf Jahre und das älteste war zwölf Jahre) noch das Geschlecht (drei Mädchen und sieben Jungen) konnten eine Rolle gespielt haben.222 Warum genau diese Kinder für die Untersuchungen ausgewählt wurden, kann einzig und allein darauf zurückzuführen sein, dass sich alle erst seit kurzem in der Anstalt Kaufbeuren-Irsee befanden. Neun der bekannten zehn Kinder litten an einer geistigen ‚Behinderung‘, ein Junge war taubstumm. Voraussetzung für die Teilnahme an den Versuchen war mit Sicherheit, dass die Kinder an keinen körperlichen Schädigungen litten.223

215 Vgl. ebd., 238–242 216 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 278 217 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 243 218 Ebd., 243 219 Vgl. ebd., 243–244 220 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche an behinderten Kindern, 45 221 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 243–244 222 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 279 223 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 247–249 62

Die Kinder wurden, laut Krankenakten, am 20. November 1942 mit abgetöteten Tuberkuloseerregern geimpft. Durch den in den Glutäus (Gesäß) injizierten Impfstoff sollte eine Bildung von Antikörpern angeregt werden und eine Immunisierung in Gang gesetzt werden. Am 12. Dezember 1942 und am 14. Jänner 1943 lieferte Faltlhauser Hensel detaillierte Informationen über den Krankheitszustand der geimpften Kinder: Bei vier Kindern (G. Agnes, R. Alois, S. Josef und W. Rudi Albert) hatte sich ein Abszess gebildet, der die Größe einer Kinderfaust erreichte und somit operativ entfernt werden musste. Die Kinder reagierten auf diese Entzündungen mit Fieber, welches bei manchen bis auf 40 Grad anstieg. Hensel bedauerte die Nebenwirkungen, schlug Faltlhauser aber einen weiteren, anderen Versuch an den bereits geimpften Kindern vor. Wenige Tage nach Hensels Anfrage schrieb Faltlhauser am 8. Februar 1943, dass nun bei fast allen anderen Kindern ebenfalls Abszesse aufgetreten waren. Diese Abszesse verursachten bei den Kindern große Leiden. Das Kind R. Alois litt beispielsweise unter enormen Schmerzen, da durch den Eiter die Knorpelbeschichtung des Kniegelenks zerstört wurde und somit das Bein seine Funktionsfähigkeit verlor und steif blieb. Trotzdem impfte Faltlhauser, im Auftrag von Hensel, die Kinder erneut. Welche Kinder dies waren, kann nicht geklärt werden. Als Hensel am 19. Mai 1943 wieder in die Anstalt kam, führte er einen zweiten Versuch an den dreien, vom 20. November 1942 bereits schutzgeimpften Kindern (H. Anton, H. Hans und U. Rosa) mit aktiven Tuberkelbazillen durch. Trotz der vorher verabreichten ‚Henselschen Schutzimpfung‘ verstarben bis auf Anton H. alle bis jetzt namentlich genannten Kinder an Tuberkulose. Die beiden Kinder, Max P. und Ida S., welche als ‚Kontrollkinder‘ keine Schutzimpfung erhielten und nur aktive Tuberkelbazillen injiziert bekamen, verstarben ebenfalls an Tuberkulose.224 Warum ausgerechnet die drei Kinder, Anton H., Hans. H. und Rosa U., ausgesucht wurden, um an ihnen auch die zweite Versuchsreihe durchzuführen, bleibt ebenso unklar, sowie die Wahl der beiden Südtiroler ‚Kontrollkinder‘. Ein möglicher Grund dafür könnte die weite Entfernung der Eltern sein, da diese dadurch nicht genau erfahren konnten, wie es den Kindern ging.225 Zu den vorher erwähnten elf ausgewählten Kindern kamen somit zwei weitere Kinder dazu, womit an insgesamt 13 Kindern Tests durchgeführt wurden. Von diesen 13 verstarben nach

224 Vgl. ebd., 244–245 225 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 281 63

der ersten und zweiten Versuchsreihe insgesamt sechs Kinder.226 Die bei der Sektion entnommenen Organe und Gehirne wurden anschließend zur histologischen Untersuchung an die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie in München geschickt.227 Bisher konnten nur diese zehn Kinder namentlich Kinder ermittelt werden. Max P., Hans H., Rosa U., Ida S., Agnes G. und Josef S. überlebten die durchgeführten Versuche nicht. Die vier namentlich bekannten, überlebenden Jungen verließen kurz nach den Versuchen die Anstalt Kaufbeuren-Irsee. Konrad G., Alois R. und Rudi W. wurden in eine Einrichtung für ‚Behinderte‘ nach Ursberg verlegt. Anton H. wurde entlassen.228 Die nachfolgende Grafik zeigt nochmal, wann welches Kind geimpft wurde und wann es schließlich auch verstarb. Ebenfalls listet sie die, vermutlich von Faltlhauser und Hensel angegebenen, Todesursachen auf:

Abbildung 2: Liste der Tbc-Versuchskinder229

In den 1946 durchgeführten Entnazifizierungsverfahren wurde untersucht und gleichzeitig durch die amerikanische Militärregierung überprüft, ob die Vorwürfe gegen Georg Hensel, er habe Tbc-Versuche an Kindern durchgeführt, stimmten. Die erhobenen Anschuldigungen

226 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 246 227 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 281 228 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 246–247 229 Ebd., 259 64

wurden jedoch aus Mangel an Beweisen fallen gelassen und Hensel wurde freigesprochen. Am 18. November 1946 wurde er in die Gruppe der ‚Mitläufer‘ eingereiht und zu einer Zahlung von 1.500 RM (Reichsmark) ‚verurteil‘.230 Im Jahre 1960 wurde das Verfahren zwar überprüft, jedoch änderte sich am Ergebnis nichts.231

5.5. Beteiligtes Personal

Der Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee war seit 1929 der Arzt Valentin Faltlhauser. Er war schon vor seinem Eintritt in die NSDAP 1935 ein Verfechter der ‚Euthanasie‘ an Erwachsenen, wie auch an Kindern. 232 Faltlhauser errichtete zwischen 1943 und 1945 zwei Tötungsstationen für Erwachsene und eine Kinderfachabteilung und arbeitete zudem noch ehrenamtlich als ‚T4‘-Gutachter.233 Faltlhauser besaß eine Generalvollmacht und konnte so in eigener Verantwortung bestimmen, wer sterben musste und wer nicht.234 Dies zeigt auch die Schilderung einer Schwester der Anstalt Kaufbeuren:235

„Ich habe in der Folgezeit Kinder nur auf Anweisung des Direktors Faltlhauser euthanasiert. Dr. Faltlhauser bezeichnete mir jeweils genau die Kinder, die ‚behandelt‘ werden mußten, und die Dosis, die ich den Kinder zu verabreichen hatte. Als Tötungsmittel kam fast nur Luminal in Tablettenform, selten in flüssiger Form, und nur vereinzelt zusätzlich Morphium-Scopolamin in Frage. Die Luminaltabletten wurden im Tee aufgelöst und so eingegeben. Luminalspritzen wurden nur da angewandt, wo ein Kind Schluckbeschwerden hatte. Die Kinder bekamen meistens früh und abends Luminal, bis sie verschieden. Die ganze ‚Behandlung‘ dauerte durchschnittlich zwei bis drei Tage. Eine Spritze mit Morphium-Scopolamin neben dem Luminal wurde nur den Kinder verabreicht, bei denen das Luminal nicht schnell genug zum Tod führte, weil diese Kinder – es handelte sich dabei um unruhige – bereits an Luminal gewöhnt waren. Direktor Faltlhauser verordnete für jedes Kind genau die Dosis, die es zu bekommen hatte. Er sagte mir dabei offen, daß dieses und jenes Kind euthanasiert werden müsse und daß er die Verantwortung dafür übernehme.“236

Seine Überzeugung der ‚Euthanasie‘ gegenüber zeigte sich auch darin, dass er sogar nach Kriegsende, also der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, noch Kinder tötete. Dazu aber später mehr.237

230 Vgl. ebd., 250 231 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 282 232 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 102 233 Vgl. Schweizer-Martinschek, Tbc-Versuche, 241 234 Vgl. Mader, Das erzwungene Sterben, 47 235 Vgl. Klee, ‚Euthanasie‘ im NS-Staat, 306 236 Ebd., 306–307 237 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 102 65

Gerade bei seiner ‚Arbeit‘ mit Kindern ist ein widersprüchliches Verhalten festzustellen: Zum einen führte er die modernsten Behandlungsmethoden ein und förderte die Kinder durch Intelligenztests, Berufseignungsprüfungen und Sprachunterricht. Zudem suchte er Personal für eine ‚Schwachsinnigenhilfsschule‘. Zum anderen war er verantwortlich für die Tötung von mindestens 210 Kindern. Dieses Verhalten spiegelte sich auch in seinem Umgang mit Erwachsenen wider: Den PatientInnen bei denen, seiner Meinung nach, Hoffnung auf Heilung bestand, ließ er die bestmögliche Behandlung zukommen. Diejenigen aber, welche ‚therapieunfähig‘ oder ‚therapieunwillig‘ waren, benachteiligte er stark und tötete sie während der Kriegszeit schließlich auch.238

Der bis 1945 vorstehende ärztliche Direktor war bereits am 18. Juni 1945 wegen Parteizugehörigkeit von der Besatzungsmacht verhaftet und im Lager Moosburg, später in Garmisch-Partenkirchen, interniert worden. Nach 34 Monaten wurde der 71-Jährige im März 1948 aufgrund von Haftunfähigkeit entlassen.239 Am 30. Juli 1949 verurteilte man Faltlhauser wegen ‚Anstiftung zur Beihilfe zum Totschlag in mindestens 300 Fällen‘ zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren. Wegen erneuter Haftunfähigkeit wurde diese jedoch wiederholt verschoben, bis er schließlich 1954 begnadigt wurde.240 Er rechtfertigte seine Begnadigung damit, dass er es nicht als Verbrechen, sondern als Erlösung des Leidens sah und somit nach bestem Wissen dem Menschen gegenüber geholfen hatte. Zudem wurde er als Staatsbeamter mit 43-jähriger Dienstzeit dazu erzogen, den jeweiligen Anordnungen und Gesetzen Folge zu leisten. Weiteres wies er daraufhin, dass die Frage der ‚Euthanasie‘ keine nationalsozialistische Idee war, sondern schon seit Jahrzehnten die Menschheit beschäftigte.241 Eine weitere Begründung, mit der er sein Verbrechen rechtfertigte war, dass er selbst zwei ‚behinderte‘ Enkel gehabt habe und sich gewünscht habe, dass diese von ihren Leiden erlöst werden.242

Pauline Kneissler, als ‚Todesengel‘ bekannt, war eine Krankenschwester der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee.243 Zuvor war sie schon im Mordzentrum Grafeneck tätig gewesen und wurde erst danach von der Berliner ‚T4‘-Zentrale nach Kaufbeuren geschickt,

238 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 275–276 239 Vgl. ebd., 282 240 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 23 241 Vgl. Von Cranach, Die Ermordung, 16–18 242 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 275 243 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 23–24 66

um dort PatientInnen durch Giftspritzen zu töten.244 Im sogenannten ‚Landhaus‘ oder ‚Haus für unruhige Frauen‘, einer etwas abgesonderten Station, tötete sie innerhalb eines Jahres mit Hilfe von Medikamenten mehr als zweihundert PatientInnen.245 Sie wurde dafür lediglich zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Drei weitere Pflegekräfte, Olga Rittler, Paul Heichele und die in der Kinderfachabteilung tätige Mina Wörle, erhielten Haftstrafen zwischen zwölf und 21 Monaten.246 Auch wurde niemand der Angeklagten mit einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und eines Berufsverbots belegt, womit sie auch danach noch in diesem Beruf tätig sein konnten.247 Um die schreckliche Beteiligung der Pflegerin Pauline und des Pflegers Paul an den Tötungen in der Anstalt zu verdeutlichen, ist hier zu erwähnen, dass, als Pauline im September 1944 für vier Wochen im Urlaub war, die Zahl der Toten von 51 auf 17 sank. Dasselbe war auch beim Urlaub von Paul der Fall, hier kam es zu einer Halbierung der Sterbeziffer im Juni 1944.248 Dies zeigt, wie eng die Umsetzung der ‚Euthanasie‘ mit dem jeweiligen Pflegepersonal verbunden war.

Einen maßgeblichen Beitrag zu den milden Urteilen der Nachkriegszeit hatten die vom damaligen Justizminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Wilhelm Hoeger von 1948 bis 1951 in Bayern eingeführten Schwurgerichte. Hoeger hatte eigentlich gehofft, dass die Einbindung der BürgerInnen zu härteren Strafen gegen NS-VerbrecherInnen führen würde. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Neben BerufsrichterInnen saßen zwölf Laien im Gericht, welche über Schuld oder Nicht-Schuld der Angeklagten zu urteilen hatten. Ein weiterer Grund, warum die Verantwortlichen der Krankenmorde nicht entsprechend verurteilt wurden war, dass die Verantwortlichkeit dafür auf den einzelnen hierarchischen Ebenen der Mordorganisation so lange nach oben verlagert wurde, bis die Täter nur noch Hitler, Bouhler, Brandt, Brack, Brandenburg, Heyde und Nitsche heißen konnten. Diese waren entweder bereits tot oder von den Alliierten schon verurteilt worden (eine Doppelbestrafung war vom Gesetz her verboten). Das Resultat war, dass FunktionärInnen, ÄrztInnen sowie PflegerInnen lediglich als GehilfInnen angesehen wurden. Dies führte zu weitaus milderen Strafurteilen.249

244 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 273 245 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 17 246 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 23–24 247 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 284 248 Vgl. Mader, Das erzwungene Sterben, 58 249 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 283–285 67

5.6. Letzte ‚Ruhestätten‘

Von 1876 bis in die Zeit des 2. Weltkrieges wurden die PatientInnen der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren auf dem Stadtfriedhof beerdigt.250 In Irsee beerdigte man die Verstorbenen während dieser Zeit am Gemeindefriedhof.251 Mit den zahlreichen Toten durch die ‚Euthanasie‘-Maßnahmen gingen die Beerdigungsplätze auf dem Städtischen Friedhof und dem Gemeindefriedhof jedoch rapide zu Ende. Deshalb wurde in beiden Anstalten beschlossen, jeweils einen Anstaltsfriedhof zu errichten. Das in Kaufbeuren errichtete Friedhofsgelände wurde eingezäunt und der Zugang war nur mehr Berechtigten erlaubt. Der Friedhof konnte ab dem 1. Februar 1943 in Betrieb genommen werden.252 Auf dem für 180 Kinder- und 680 Erwachsenengräber kalkulierten Gebiet wurden bis Ende des Jahres 1943 bereits 450 Verstorbene beigesetzt.253 In der Zweigstelle Irsee fanden Bestattungen zunächst noch auf dem Gemeindefriedhof St. Stephan statt, jedoch wurde dieser, wie erwähnt, ebenfalls bald zu klein. Deshalb wurde aufgrund des dringend benötigten Platzes und trotz bedenklicher Bodenbeschaffenheit am schrägen Hang der Klosteranlage ein Friedhof angelegt. Die Errichtung des Friedhofes gestaltete sich durch die ungünstigen Bodenverhältnisse als äußerst schwierig. Auch füllten sich ausgehobene Gräber aufgrund des Regens immer wieder sofort mit Wasser. Trotzdem musste der Friedhof sofort in Verwendung genommen werden, denn es starben allein im Monat April 1944 in Irsee 30 PatientInnen. Auch im Keller unter der Sakristei lagen schon mehrere Tote mit spürbarem Leichengeruch. Somit wurden die Särge und später nur mehr die nackten Leichen, um Holz und Kleider zu sparen, in die mit Wasser gefüllten Gräber gelegt. Die kirchliche Beerdigung durfte erst vorgenommen werden, wenn die Leichen mit einer dünnen Humusschicht überdeckt waren. An den Beerdigungen nahmen gewöhnlich nur ein paar Patientinnen und Pflegerinnen teil.254 Eine 1944 eingeschleppte Typhusseuche forderte ebenfalls zahlreiche Opfer und zudem mussten die Toten woanders begraben werden als bisher, um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen. Dies geschah unterhalb des Schindwaldes, dem sogenannten ‚Seuchenfriedhof‘. Trotz der neu angelegten Friedhöfe reichten die Plätze bald nicht mehr aus und so mussten im Verlauf des Jahres 1944 Verstorbene in Massengräbern bestattet werden.255

250 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 262 251 Vgl. Resch/Schweizer-Martinschek, Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, 130 252 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 268 253 Vgl. Resch/Schweizer-Martinschek, Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, 130–131 254 Vgl. Resch, Begräbnisstätte, 272–273 255 Vgl. Resch/Schweizer-Martinschek, Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee, 132 68

Aufgrund der überdurchschnittlichen Sterberate und den dadurch auftretenden Problemen sprach sich Faltlhauser für eine Feuerbestattungsanlage aus, woraufhin in der Hauptanstalt Kaufbeuren ein Krematorium erbaut wurde.

Abbildung 3: Leichenhaus mit Krematorium 1944256

Am 9. November 1944 fand schließlich die erste Feuerbestattung im hauptsächlich von Kranken und Pflegepersonal errichteten Ofen statt. Ab Frühjahr 1945 kamen auch alle Verstorbenen der Anstalt Irsee ins Krematorium nach Kaufbeuren. Die Urnen kehrten nach Irsee zurück und wurden, wie in Kaufbeuren auch, auf dem Anstaltsfriedhof beigesetzt. Spätestens mit der Besetzung der Anstalten durch amerikanische Truppen im Juli 1945 wurden die Feuerbestattungen eingestellt und es fanden ausschließlich wieder Erdbestattungen statt. In den 1960er Jahren wurden das Krematorium und das Leichenhaus in Kaufbeuren abgetragen und ein neues Gebäude mit pietätvollem Aufbahrungsraum geschaffen. Mit der Auflassung der psychiatrischen Einrichtung in Irsee im Jahre 1972 endeten ebenfalls die Erdbestattungen.257

256 Resch, Begräbnisstätte, 270 257 Vgl. ebd., 269–275 69

5.7. Ende der NS-‚Euthanasie‘

Ende April besetzten amerikanische Truppen Kaufbeuren, griffen aber nicht in die Vorgänge der Anstalt ein.258 Erst zwei Monate später, am 1. Juli 1945, gelangten die Gerüchte über die Kindestötungen bis zur militärischen Dienststelle durch. Daraufhin drangen drei Soldaten und ein Fotograf in die Anstalt ein und entdeckten die ‚Anlage zur Massenvernichtung‘.259 Der Irseer Abteilungsarzt Dr. Lothar Gärtner hatte anscheinend davon erfahren und sich in der Nacht vorher erhängt.260 „Die amerikanischen Ermittler waren entsetzt über das Bild, das sich ihnen nun bot: ‚Krätze, Läuse und andere Parasiten waren überall zu finden, die Laken waren schmutzig, und es gab keinerlei Quarantänemaßnahmen, als die Ermittler eintrafen.‘“261

In den Monaten nach Kriegsende beschrieben die alliierten Truppen die befreiten Anstalten und die beteiligten ÄrztInnen. Der Bericht des amerikanischen Nachrichtendienstes trägt die handschriftliche Überschrift ‚Medizinisches Vernichtungslager in Kaufbeuren, Bayern‘ und war von der Wahrheit vermutlich nicht weit entfernt, wie die folgende Beschreibung zeigt:262

„nahezu jeder Einwohner wußte genau, daß dort Menschen als Versuchskaninchen mißbraucht und systematisch abgeschlachtet wurden. Die Täter oder passiv Mitwirkenden waren sich ihrer Verbrechen in keiner Weise bewußt, sie waren Deutsche, keine Nazis. Unter ihnen waren auch katholische Schwestern. Die Oberschwester, die von sich aus zugab, in zwei Jahren ‚ungefähr‘ 210 Kinder durch intramuskuläre Injektionen getötet zu haben, fragte bloß: ‚Wird mir etwas geschehen?‘ [...] In einem ungekühlten Leichenschauhaus wurden die stinkenden Leichen von Männern und Frauen gefunden, die zwölf Stunden bis drei Tage zuvor gestorben waren. Sie wogen zwischen 26 und 33 Kilo. Unter den noch lebenden Kindern war ein zehn Jahre alter Junge, der weniger als 10 Kilo [!] wog und dessen Beine am Fußknöchel einen Durchmesser von 6 Zentimetern hatten [...] Dr. Valentin Faltlhauser, 69 Jahre, seit 1919 Obermedizinalrat [...], war der Leiter und ist festgenommen worden. Sein Stellvertreter Dr. Lothar Gärtner, 43 Jahre, und dort seit dem 1. Januar 1930 beschäftigt, beging Selbstmord, indem er sich mit dem Kabel einer Nachttischlampe erhängte. Ferner wurden drei weitere Ärzte festgenommen [sowie] die Hauswirtschaftleiterin Franziska Vill, Sekretärin von Dr. Faltlhauser und Geliebte von Dr. Gärtner.“263

258 Vgl. Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 266–267 259 Vgl. Von Cranach, Die Auseinandersetzung, 34 260 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 282 261 Friedlander, Der Weg zum NS-Genozid, 267 262 Vgl. ebd., 352–353 263 Ebd., 353 70

Das letzte ermordete Kind wurde ganze 33 Tage nach der Eroberung Kaufbeurens durch amerikanische Truppen von Faltlhauser um 13:10 Uhr beurkundet. Der erst vier Jahre alte Richard Jenne war das letzte Opfer der ‚Euthanasie‘-Mörder. Angegebene Todesursache war Typhus.264

5.8. Opferzahlen

Insgesamt wurden in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee in den Jahren 1940 bis 1945 im Rahmen des Nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Programms 1.573 Männer, Frauen und Kinder durch die Verabreichung von Medikamenten (vor allem Luminal) oder durch Nahrungsentzug/Hungerkost getötet.265 Davon wurden in etwa 780 in der Irseer Anstalt ermordet.266 Insgesamt wurden im Zuge der ‚Aktion T4‘ aus Kaufbeuren-Irsee 685 PatientInnen in sogenannte Vernichtungs- oder Tötungsanstalten, wie Grafeneck/Württemberg und Hartheim in Österreich, deportiert.267 In diesen beiden Jahren wurden 176 Männer und 224 Frauen aus der Zweigstelle Irsee abtransportiert. Das jüngste Opfer war hier erst neun Jahre alt.268 Von den mindestens 209 Kindern starben 49 davon in der Anstalt Irsee und 156 in Kaufbeuren. Bei vier von ihnen ist man sich nicht vollkommen sicher, in welcher Einrichtung sie umkamen. Insgesamt starben somit 37 % aller eingewiesenen Kinder. Das schrecklichste Jahr war 1943 als 73 % starben. Ein gewaltsamer Tod kann nur in 16 Fällen sicher ausgeschlossen werden, weitere elf sind zweifelhaft.269 Erst im Jahr 1946 sank die Zahl der Toten wieder auf das Vorkriegs-Niveau.270

5.9. Dem Gedenken verpflichtet

Auf dem heutigen Gelände des Schwäbischen Bildungszentrums Irsee befinden sich drei Gedenkorte, die den Opfern der NS-‚Euthanasie‘ gewidmet sind. Am 22. November 1981 wurde auf dem zwischen 1944 und 1972 genutzten Anstaltsfriedhof, welcher sich direkt neben der ehemaligen Klosterkirche befindet, das Monument ‚Lass mich

264 Vgl. ebd., 267 265 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 22 266 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 24–25 267 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 22 268 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 24–25 269 Vgl. Mader, Das erzwungene Sterben, 28 270 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 28 71

Deine Leiden singen‘ eingeweiht.271 Dies ist die Anfangszeile eines Kirchenliedes, welches die AnstaltsinsassInnen angeblich vor ihrer Verlegung in die Tötungsanstalten gesungen hatten.272 Das Monument des Allgäuer Künstlers Martin Wank ist ein bewusstes Zeichen für die barocke Kulturtradition des Klosters Irsee und dessen politische Verantwortung für die Geschehnisse des Dritten Reiches. Während die beigestellte Kupferplatte mit der Aufschrift ‚Den stummen Opfern politischer Gewaltherrschaft zum Gedenken‘ mehr allgemein gewidmet ist, spricht die auf dem früheren Anstaltsfriedhof errichtete Texttafel eine klarere Sprache:273

„Euthanasie-Aktionen in Irsee 1939–1945. Die unmenschliche Rassenideologie des Nationalsozialismus und die daraus folgenden Aktionen zur ‚Vernichtung unwerten Lebens‘ betreffen auch Irsee: Über 2000 Patienten (Erwachsene und Kinder) aus Kaufbeuren/Irsee werden in Vernichtungsanstalten deportiert, sterben nach Verordnung fettloser Hungerkost (E-Kost) oder werden mittels Spritzen und Überdosen von Medikamenten direkt umgebracht. Ein Teil der Opfer liegt auf dem Friedhof, der an dieser Stelle im Krieg errichtet wurde“274

Eine weitere Gedenktafel, welche 2009 angebracht wurde, befindet sich am Eingang zur Prosektur (pathologisch-anatomische Abteilung eines Krankenhauses) und versucht so einen Brückenschlag in die Gegenwart:275

„Das Schicksal der Opfer sei uns Mahnung: Die Würde und das Leben der Kranken, Ausgegrenzten und Hilfsbedürftigen verdienen besonderen Schutz!“276

Ebenfalls im Jahr 2009 und damit 70 Jahre nach dem sogenannten ‚Euthanasie‘-Erlass wurden drei ‚Stolpersteine‘ vor dem Kloster Irsee eingelassen. Stellvertretend für alle in Irsee Getöteten werden dadurch erstmals Namen der Opfer öffentlich sichtbar. Erinnert wird namentlich an Maria Rosa Bechter (1935 bis 1943), an Anna Brieger (1909 bis 1944) und an Ernst Lossa (1929 bis 1944). Auf Initiative des Autors Robert Domes findet seit 2010 jährlich an Allerheiligen am ehemaligen Patientenfriedhof die Gedenkveranstaltung ‚Lichter gegen das Vergessen‘ statt.277

271 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 28–29 272 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 286 273 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 28–29 274 Ebd., 29 275 Vgl. ebd., 30 276 Ebd. 30–31 277 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 286 72

Zusätzlich zu diesen befinden sich in der Marktgemeinde Irsee zwei weitere Gedenkorte, welche an die ‚Euthanasie‘-Morde erinnern sollen.278

Auch in Kaufbeuren befinden sich drei Denkmäler, welche den Opfern der NS-Herrschaft gewidmet sind. MitarbeiterInnen des heutigen Bezirkskrankenhauses initiierten im Jahre 1989 die Errichtung eines drei Tonnen schweren Findlings vor der krankenhauseigenen Thomas-Kirche. Auf diesem Mahnmal sind die Initialen und Vornamen von einigen ‚Euthanasie‘-Opfern eingraviert. Seit 2006 befindet sich zudem am ehemaligen Anstaltsfriedhof ein Mahnmal mit der Inschrift ‚Zum Gedenken an die Toten und Opfer der NS-Euthanasie‘. Dieses Monument erstellte der Irseer Künstler Peter R. Müller auf Veranlassung des Bezirkskrankenhauses. Im Jahr 2008 wurde von einer Gruppe von SchülerInnen aus Kaufbeurer Schulen ein Denkmal vor dem Jugendzentrum in Kaufbeuren errichtet, welches sich unter anderem dem Gedenken an die Opfer der NS-Herrschaft widmet.279

278 Vgl. Raueisen, Kloster Irsee, 31 279 Vgl. Von Cranach/Schweizer-Martinschek, NS-‚Euthanasie‘, 287 73

VI. Die Leidensgeschichte des Konrad Viertler

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der chronologischen Aufbereitung des Leidensweges meines Großonkels Konrad Viertler.

6.1. Geburt und die ersten Jahre in der Familie

Im Oktober 1939 kam es zum sogenannten Hitler-Mussolini-Abkommen. Das nationalsozialistische Deutsche Reich und das faschistische Königreich Italien einigten sich darauf, dass alle deutschsprachigen SüdtirolerInnen ihre Heimat verlassen konnten und nach Deutschland bzw. Österreich einreisen durften. Daraufhin verließen über 70.000 SüdtirolerInnen das Land und übersiedelten vor allem in die Ostmark (Österreich) und nach Bayern. Unter den Umsiedlern befand sich auch die Familie Viertler mit ihrem Sohn Konrad.280 Konrad wurde am 12. Februar 1933 in der Gemeinde Gsies, im Ortsteil Pichl, in Südtirol geboren.281 In Abbildung 4 sieht man ein in Südtirol aufgenommenes Familienfoto. In der hinteren Reihe von links nach rechts befinden sich Peter, der älteste Sohn Simon, Paul, die älteste Tochter Anna und Maria. In der vorderen Reihe von links nach rechts befinden sich Konrad, der Vater Simon, mein Großvater Josef, Michael, die Mutter Anna und der jüngste Sohn Anton (Pater Koloman).

Abbildung 4: Familie, aufgenommen um 1941282

280 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 400 281 Vgl. Ortspolizeiliches Zeugnis, Privatsammlung 282 Familienfoto, Privatsammlung 74

Die Schwangerschaft verlief größtenteils normal. An einem Tag aber setzten die Wehen aus und die Mutter hatte das Gefühl, als wäre283 „alles hinunter gesunken“284. Was dies aus medizinischer Sicht bedeutet, kann hier nicht erklärt werden. 14 Tage nach Einsetzen der Wehen lief die Geburt völlig normal und ohne außergewöhnliche Schmerzen ab. Konrad war nach der Geburt ganz blau, was jedoch nur anfangs der Fall war und nach kurzer Zeit verging. Über Konrads körperliche und geistige Entwicklung geben uns nur Aussagen der Geschwister und ein Brief der Mutter Auskunft. Seine Entwicklung dürfte nur langsam verlaufen sein, da die Mutter schreibt, dass er erst sehr spät laufen lernte.285 Bei seinen Geschwistern ist lediglich sein Nicht-Sprechen in Erinnerung geblieben. Wenn Konrad beispielsweise etwas aus der Küche wollte, wo er sich am meisten aufhielt, dann nahm er jemanden an der Hand und führte denjenigen oder diejenige zu der Sache. Eine weitere Erinnerung ist, dass er genau wusste, wenn Leute am Heimathaus vorbeigingen, von welchen er ein ‚Zuckerl‘ bekam. An mehr konnten sich die Geschwister nicht mehr erinnern, denn grundsätzlich wurde über eine mögliche Beeinträchtigung Konrads auch später in der Familie nie gesprochen.286 Die Mutter beschrieb als seine größte ‚Untugend‘, dass er häufig davonlief. Zudem zitterte er, wenn er Angst hatte. Ansonsten nannte die Mutter keine Auffälligkeiten. Weitere Beschreibungen, welche seine Entwicklung in Pichl betreffen, sind nicht bekannt.287 Alle eventuellen körperlichen und geistigen Einschränkungen waren für die Familie sowieso kein Hindernis. Die Geschwister und die Eltern nahmen Konrad so, wie er war.288 Hier möchte ich besonders auf das oben angeführte Familienfoto verweisen, auf dem Konrad unauffällig und entspannt neben seinem Vater lehnt.

6.2. Verlegung nach Mils

Am 2. September 1941 verließ die Familie Viertler schließlich Südtirol in Richtung der Gemeinde Deutschfeistritz/Steiermark. Im Zuge des Einbürgerungsprocederes in Innsbruck kam es dann am nächsten Tag zur Unterbringung Konrads im St. Josef Institut in Mils bei Hall/Tirol.289

283 Vgl. Brief von Anna Viertler an Faltlhauser am 25.10.1942, Privatsammlung 284 Ebd. 285 Vgl. ebd. 286 Vgl. Aussagen der Geschwister, Privatsammlung 287 Vgl. Brief von Anna Viertler an Faltlhauser am 25.10.1942, Privatsammlung 288 Vgl. Aussagen der Geschwister, Privatsammlung 289 Vgl. Dokument, Privatsammlung 75

Das St. Josef Institut wurde im Zuge der Errichtung sozialer Institutionen um die Jahrhundertwende für die Pflege von ‚Geistesschwachen‘ errichtet. Während der NS-Zeit wurde das Heim als Tarnung vieler ‚Sonderbehandlungen‘ missbraucht. Zeitweilig wurden bis zu 300 PatientInnen aufgenommen und unüberschaubare Transporte dienten zur Vertuschung der ‚Euthanasie‘-Vorhaben. Für 32 der südtiroler PatientInnen bedeutete das Ausfüllen der Meldebögen seitens des Pflegepersonals das Todesurteil.290

Warum es zur Einweisung in dieses Institut gekommen war, gilt als nicht völlig sicher, jedoch gibt es zwei sehr nahe gelegene Theorien:291 Zum einen schreibt Heuvelmann in ihrem Buch ‚Das Irseer Totenbuch‘, dass Konrads Krankheit oder ‚Behinderung‘ während der Einbürgerung auffiel, bei der alle UmsiedlerInnen eingehend medizinisch untersucht wurden. Mit ‚Krankheit‘ dürfte wohl nicht eine kurzweilige Erkrankung, wie Fieber, sondern eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung gemeint sein.292 Zum anderen schilderte eine Schwester Konrads, Maria (geb. 30. Juni 1927), dass er wegen einer Erkrankung (hier ist vermutlich eine kurzweilige gemeint) ins Spital bzw. ins Heim gekommen war. Dort wurde er von seiner Mutter und seiner ältesten Schwester Anna hingebracht.293 Zuständig für die von Heuvelmann erwähnten medizinischen Untersuchungen war die bei der Gauleitung für Tirol und Vorarlberg eingerichtete Dienststelle ‚Umsiedlung Südtirol‘.294 Die Umstände der Einweisung in die konfessionelle Einrichtung und damit der Trennung Konrads von seiner Familie erscheinen jedoch äußerst merkwürdig. Einer Notiz im Krankenblatt des St. Josef Instituts zufolge kam295 „die Mutter [...] zwar mit dem Kind, entfernte sich aber sofort mit dem Auto wieder, so daß die Anstaltsleitung mit ihr gar nicht in Verkehr kam“296. Diese Angabe kann auch als Rechtfertigung bzw. Ausrede angegeben worden sein, um nicht näher darauf eingehen zu müssen. Der Aussage seiner Schwester Maria zufolge, wurde Konrad während seines Aufenthaltes auch besucht. Wann diese Besuche stattfanden ist jedoch nicht bekannt. Es ist aber sehr

290 Vgl. Hinterhuber, Ermordet und Vergessen, 98–99 291 Vgl. Dokument, Privatsammlung 292 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 400 293 Vgl. Dokument, Privatsammlung 294 Vgl. Hinterhuber, Ermordet und Vergessen, 50 295 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 400 296 Ebd., 401 76

wahrscheinlich, dass sie nur während des Aufenthaltes der Familie in Innsbruck stattfanden, da der Weg von Deutschfeistritz nach Mils knapp 500 km beträgt.297

6.3. Verlegung nach Kaufbeuren

Nach beinahe einem Jahr Aufenthalt im St. Josef Institut wurde Konrad, ohne Information an die Eltern, mit neun anderen Kindern, welche alle aus Südtirol stammten, in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee verlegt.298 Wann genau diese Verlegung erfolgte kann nicht sicher gesagt werden, jedoch ist die Abmeldung bei der polizeilichen Meldebehörde auf den 27. August 1942 datiert, was vermuten lässt, dass diese an diesem Tag erfolgte.299 Bereits am 20. Juli 1942 schrieb die Auslandsabteilung der Reichsärztekammer Berlin an den Reichsstatthalter und Gauleiter Degischer nach Innsbruck folgenden Brief:300

„Wie uns heute der Herr Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren/Schwaben mitteilt, kann die Aufnahme der ihm durch uns angemeldeten acht Südtiroler minderjährigen Schwachsinnigen jederzeit erfolgen. Der genaue Ankunftstermin muß bekannt gegeben werden. Wir bitten Sie, unter Bezugnahme auf unseren Schriftwechsel die Überstellung der Mj. zu veranlassen und uns abschriftlich von dem Veranlaßten Kenntnis zu geben. Sollten Sie auf Grund dieser Abmachung weitere Mj. in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren einweisen können, bitten wir zur statistischen Erfassung unterrichtet zu werden.“301

In der Anstalt Kaufbeuren wurden die Kinder schließlich einen Tag nach der Abmeldung, am 28. August 1942, aufgenommen. Dies belegt ein genau an diesem Tag geschriebener Brief der Anstalt Kaufbeuren an Degischer:302

„Auf Veranlassung des Reichsausschusses zur wissenschaftlichen Erfassung für erb- und anlagebedingte schwere Leiden in Berlin wurden am 27. August 1942 die nachstehende aufgeführten Kinder aus dem St. Josefs-Institut Mils, Lkr. [Landeskrankenhaus] Innsbruck in die Kinderfachabteilung der hiesigen Anstalt überstellt.“303

297 Vgl. Dokument, Privatsammlung 298 Vgl. Beilage 1, Privatsammlung 299 Vgl. Abmeldung bei der polizeilichen Meldebehörde, Privatsammlung 300 Vgl. Hinterhuber, Ermordet und Vergessen, 100 301 Ebd., 100 302 Vgl. ebd., 100 303 Ebd., 100 77

Es gilt als nicht sicher, so Von Cranach, ob diese Verlegung im Rahmen der üblichen Verlegung in ‚Kinderfachabteilungen‘, mit dem Zweck der Tötung erfolgte oder, ob sie gezielt zur Durchführung medizinischer Versuche erfolgte. Etwas, das für den zweiten Grund spricht ist, dass zwei Monate nach Eintreffen der Südtiroler Kinder, Direktor Faltlhauser von Hensel bezüglich der Tbc-Versuche kontaktiert wurde. Ob auch Konrad diesen medizinischen Tests unterzogen wurde, kann nicht beantwortet werden, da, wie bereits erwähnt, nur zehn Namen der 13 Kinder bekannt sind.304

Um zu zeigen, wie Konrads körperliche und geistige Entwicklung von den ÄrztInnen der Anstalt Kaufbeuren beurteilt wurde, ist im Folgenden die ganze Diagnose vom 28. August 1942 angeführt:305

„Auf sehr niedriger geistiger Stufe stehender Junge. Sitzt für gewöhnlich stumpf da. Wenn man sich mit ihm beschäftigt, fängt er am ganzen Körper zu zittern an. Zur Untersuchung ausgezogen, wird er plötzlich munter, läßt gurrend Laute vernehmen, lacht, schlägt stereotyp mit der rechten Hand auf die Matratze, vollführt mit dem Oberkörper wiegende Bewegungen. Dann verfolgt er ängstlich den Untersuchungsvorgang. Läßt keine Bewegung des Arztes aus den Augen. Wenn man sich ihm mit einem Instrument, etwa dem Tasterzirkel nähert, wehrt er hastig ab. Läßt dabei schreiende Laute vernehmen. Der Junge hört. Versteht offenbar auch allereinfachste Aufforderungen. Gibt z. B. auf Aufforderung die Hand. Aufgefordert mitzugehen, faßt er die Hand des Arztes und läßt sich willig mitführen. Auf die Aufforderung seine Nase zu zeigen, seine Augen, seine Ohren, erfolgt keine Reaktion. Der Junge kann nicht sprechen. Es sind nur, wie oben schon erwähnt, gackerartig gurrende und schreiende Laute zu vernehmen. Aufgefordert, seine Kleider wieder anzuziehen, nimmt er erst die Kleider, zieht sie aber nicht an, macht auch keinen Versuch hierzu, sondern hält sie der Pflegerin hin offenbar als Aufforderung, ihn anzuziehen. Läßt Urin und Kot in das Bett und in die Hose, wenn er nicht abgefangen wird. Das Essen muß ihm löffelweise gereicht werden. Sucht keinen Anschluß an die anderen Jungen. Für eine exogene Ursache des erheblichen Schwachsinns finden sich keine Anhaltspunkte. Vorgeschichte kann nicht erhoben werden, da Adresse der Mutter nicht bekannt, wenigstens vorerst nicht.“306

Diese Diagnose deckt sich überhaupt nicht mit den eingangs erwähnten Schilderungen der Mutter und der Geschwister. Entweder hat sich Konrads Verhalten während des einjährigen Aufenthaltes im Spital in Mils derart verändert oder die Verantwortlichen der Kaufbeurer

304 Vgl. Von Cranach, Schicksal Südtiroler Patienten, 4–7 305 Vgl. Beilage 4, Privatsammlung 306 Ebd. 78

Anstalt haben absichtlich Dinge dazu erfunden, um eine mögliche Entlassung Konrads sofort vom Tisch zu haben.

Wie oben bereits erwähnt, wurden die Eltern über Konrads Verlegung in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee nicht informiert, was auch der Grund dafür war, dass die Anstalt die Adresse der Familie nicht kannte. Vermutlich kam ihre Post, welche sie nach Mils schickten, mit einem Verlegungsvermerk zurück, denn der Brief vom 21. September 1942 von Simon Viertler beginnt mit dem Satz:307 „Habe erst jetzt erfahren, dass unser Sohn Konrad Viertler sich bei ihnen befindet.“308

6.4. Briefe und Diagnosen

Abbildung 5: Anstaltsfoto, Kaufbeuren309

Im Brief vom 21. September erkundigte sich Simon Viertler ebenfalls über Konrads Befinden.310 Eine am 22. September durchgeführte Diagnose brachte keine Veränderung. Der Junge311 „brütet meist stumm vor sich hin, zeigt keinerlei Interessen. [...] [und] Muß in allem besorgt werden.“312

307 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 401 308 Brief von Simon Viertler an Faltlhauser am 21.09.1942, Privatsammlung 309 Anstaltsfoto, Privatsammlung 310 Vgl. Brief von Simon Viertler an Faltlhauser am 21.09.1942, Privatsammlung 79

Direktor Faltlhauser antwortete zehn Tage später, am 1. Oktober, dass die Ursache des geistigen Zustandes Konrads noch nicht völlig geklärt ist. Zudem stellte Faltlhauser Fragen über Geburt und Entwicklung von Konrad. Die Familie sollte im nächsten Schreiben alle eventuellen Krankheiten, die er bisher gehabt hat, angeben. Weiteres gibt Faltlhauser der Familie Viertler einen kurzen Überblick über dessen Diagnose. Dieser erste Bericht der Anstalt deckt sich im Prinzip mit der vom 28. August. Eine ‚definitive‘ Beurteilung, so Faltlhauser, kann erst nach Beantworten der Fragen bzw. weiterer Untersuchungen gegeben werden.313 Die Antwort der Mutter, Anna Viertler, folgte am 25. Oktober, in dem sie die Fragen zu Konrads Geburt und Entwicklung beantwortete. Ergänzend zu der oben bereits erwähnten Schilderung der Mutter, welche aus diesem Brief entnommen wurde, ist anzumerken, dass Konrad immer alleine gegessen hatte. Anna wusste jedoch nicht, wie das im Spital in Mils war. Vermutlich verlor Konrad zu dieser Zeit seine Selbstständigkeit. Weiteres ersuchte die Mutter Faltlhauser, sie am Laufenden zu halten, sollte sich etwas an Konrads Situation oder Zustand ändern.314 Nur wenige Tage später, am 31. Oktober, antwortete der Direktor wortkarg und empathielos:315

„Geehrter Herr Viertler!

Auf Ihre Anfrage teile ich Ihnen mit, dass seit meinem letzt[en] Bericht eine Änderung im Befinden Ihres Jungen nicht eingetreten ist. Heil Hitler! gez.[gezeichnet] Dr. Faltlhauser. Direktor.“316

Bis zu einer weiteren Untersuchung am 2. Dezember änderte sich wenig. Einzig die Formulierungen ‚immer gleich stumpf‘ und ‚vegetiert eigentlich nur‘ lassen vermuten, dass keine wirkliche Beschäftigung mit Konrad erfolgte.317

Zwei Monate nach Faltlhausers Brief wendete sich die Familie, drei Tage nach Weihnachten, erneut an die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt. In diesem Brief wünschte die Familie dem

311 Vgl. Beilage 4, Privatsammlung 312 Ebd. 313 Vgl. Brief von Faltlhauser an Herr Viertler am 1.10.1942, Privatsammlung 314 Vgl. Brief von Anna Viertler an Faltlhauser am 25.10.1942, Privatsammlung 315 Vgl. Brief von Faltlhauser an Herr Viertler am 31.10.1942, Privatsammlung 316 Ebd. 317 Vgl. Beilage 4, Privatsammlung 80

Direktor alles Gute für das neue Jahr und erkundigte sich, ob Konrad das Weihnachtspäckchen erhalten habe. Die Familie schickte Konrad Äpfel, weil er diese mit Vorliebe aß, andere Süßigkeiten mochte er hingegen nicht besonders. Wieder wollte sie auch über den Zustand ihres Sohnes berichtet werden.318 Die Antwort auf diesen Brief kam am 5. Jänner 1943. Der Direktor bestätigte den Empfang der Äpfel und die Aushändigung dieser an Konrad. Ob er sie auch gegessen hat, was die Familie ebenfalls wissen wollte, erwähnt Faltlhauser nicht. Auch schrieb er, dass es in seinem Befinden bisher zu keiner Änderung gekommen ist, jedoch wird er allmählich zutraulicher und kommt auf einen zu. Weiteres dürfte Konrad körperlich gesund gewesen sein, denn dahingehend, so Faltlhauser, bestehen keine Klagen.319 In etwa einem Monat vor Konrads zehntem Geburtstag, am 14. Jänner 1943, wurde eine weitere Diagnose gestellt. Die Formulierung im Krankenblatt, Konrad ‚schaut etwas munterer‘, lässt auf Besserung hoffen. Jedoch verschwindet die Hoffnung in der Beschreibung, er ist manchmal zu ‚täppisch anschmiegend und gurrt und brummt dabei‘. In der am 26. März durchgeführten Untersuchung war von einer festgestellten Besserung seines Zustandes nicht mehr die Rede:320

„Zu täppisch. Sonst gleich plump, schwerfällig. Kein Ansatz zu irgend einer vernünftigen Leistung, wenn auch noch so einfachen Spiel oder dergleichen. Kein Kontakt mit anderen Jungen. Vegetiert im wesentlichen nur.“321

Sieben Monate nach Konrads Aufnahme in der Anstalt Kaufbeuren wandte sich die Direktion an die Ortsgemeinde Deutschfeistritz bezüglich einer Vervollständigung ihrer Akten. Am 14. April 1943 ersuchte die Anstalt in einem Schreiben an den Bürgermeister von Deutschfeistritz um ein ortspolizeiliches Zeugnis und um das Ausfüllen des dem Brief beiliegenden Formblattes. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Anstalt angenommen, Konrad wäre am 12. Februar 1932 in Piel/Gsies geboren, anstatt 1933 in Pichl.322 Erst die am 20. April zugesendeten Angaben der Gemeinde veranlassten die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee zu einer Erkundigung bei Simon Viertler, in welchem Jahr Konrad nun tatsächlich geboren wurde. So wandte sich Faltlhauser am

318 Vgl. Brief von Familie Viertler an Faltlhauser am 27.12.1942, Privatsammlung 319 Vgl. Brief von Faltlhauser an Familie Viertler am 05.01.1943, Privatsammlung 320 Vgl. Beilage 4, Privatsammlung 321 Ebd. 322 Vgl. Brief von Faltlhauser an den Bürgermeister von Deutschfeistritz am 14.04.1943, Privatsammlung 81

6. Mai 1943 an die Familie, um herauszufinden, ob Konrad 1932, wie vom St. Josef Institut angegeben, geboren wurde oder 1933, wie vom ortpolizeilichen Zeugnis.323

Abbildung 6: Ortspolizeiliches Zeugnis von Konrad Viertler324

Die Familie beantwortete den Brief am 10. Mai 1943:325

„An die Direktion der Heil und Pflegeanstalt in Kaufbeuren

Ihr wertes Schreiben vom 6. 5. mit Dank erhalten, und will gleich Antwort geben. Wie diese Unstimmigkeiten gekommen ist, weiß ich nicht, unser Sohn Konrad Viertler ist am 12. Februar 1933 geboren. Weiter möchte ich sie wieder einmal fragen, wie´s mit ihm steht, spricht er nie ein Wort, wie geht er mit seinen Pfergerinnen [Pflegerinnen] um, macht er noch ständig Versuche fortzulaufen? Hat er noch dieses Zittern in sich, wie Se [Sie] uns einmal mitgeteilt haben? Auch bitte ich Sie wiederum, wenn das Kind versetzt wird, in eine andere Gegend, in ein anderes Heim, dass es von ihnen fortkommt, uns früher zu verständigen. Viele tausend Grüße, und herzlichen Dank für alles was Sie unserem Konrad an Güte und Liebe geben sendet die ganze

Familie Viertler“326

323 Vgl. Brief von Faltlhauser an Herr Viertler am 06.05.1943, Privatsammlung 324 Ortspolizeiliches Zeugnis, Privatsammlung 325 Vgl. Dokument, Privatsammlung 82

Obwohl die Familie immer nur kurze und wenig informative Antworten seitens der Direktion der Anstalt Kaufbeuren erhielt, änderte dies nichts an der Freundlichkeit und dem Vertrauen der Familie in Faltlhausers Können und Einsatz. Dieser letzte Brief seitens der Familie Viertler wurde elf Tage später, also am 21. Mai 1943, von der Direktion beantwortet. Trotz der zahlreichen Fragen der Familie wurde lediglich geschrieben, dass weder im geistigen, noch im körperlichen Befinden Konrads eine Änderung eingetreten ist.327 Seit der letzten Untersuchung vom 26. März sind keine Diagnosen bezüglich Konrads Befinden gestellt worden. Erst am 22. Juni, somit drei Monate später, findet sich im Krankenblatt die Nächste. Konrads Zustand wird darin als unverändert beschrieben, jedoch falle er in letzter Zeit dadurch unangenehm auf, dass er die anderen Jungen beißt. Deswegen wurde er in die Zweigstelle Irsee verlegt. Trotz der Bitte über eine mögliche Verlegung informiert zu werden, wurden die Eltern davon nicht in Kenntnis gesetzt. Die letzte dokumentierte Diagnose wurde am 15. August 1943 gestellt:328

„Idiot ohne Sprachäußerung, öfters triebhaft unruhig, ganz pflegebedürftig, ißt immerhin selbst, unrein, vor allem nachts. Vegetiert ziellos leer.“329

Konrad war das einzige Kind der zehn, von Mils nach Kaufbeuren verlegten SüdtirolerInnen, welches schließlich in die Anstalt Irsee verlegt wurde.330 Während des gesamten zehnmonatigen Aufenthaltes in der Anstalt Kaufbeuren ist nicht eine einzige medizinische Betreuung oder Therapie für Konrad dokumentiert.331 Im Gegensatz zu den Diagnosen der Anstalt Kaufbeuren wurde in Irsee erstmals das Wort ‚Idiot‘ verwendet. Dies lässt vermuten, dass in der Zweigstelle durchaus anders mit den Kindern und somit mit Konrad umgegangen wurde.

Über zwei Jahre nach der Einweisung in das St. Josef Institut in Mils bei Hall starb Konrad am 12. Oktober 1943 in der Zweigstelle Irsee. Die Sektion ergab eine Entzündung und Infiltration des linken Unterlappens und des rechten Unter- und Mittellappens. Weiteres wurde ein kleines schlaffes Herz, sowie Stauungsorgane festgestellt. Diese Symptome resultierten zum einen aus der, in diesen Jahren üblichen, verabreichten ‚E-Kost‘ und zum

326 Brief von Familie Viertler an Faltlhauser am 10.05.1943, Privatsammlung 327 Ebd. 328 Vgl. Beilage 4, Privatsammlung 329 Ebd. 330 Vgl. Hinterhuber, Ermordet und Vergessen, 101 331 Vgl. Heuvelmann, Das Irseer Totenbuch, 401 83

anderen aus überdosierten Medikamenten. Sein Gehirn ging für weitere Untersuchungen und medizinische Tests in die Anstalt Eglfing-Haar bei München. Die angegebene Todesursache war Bronchopneumonie.332

Simon und Anna Viertler wurde anscheinend der Tod ihres Sohnes, Konrad, mitgeteilt, dies kann zumindest der Aussage einer Bekannten entnommen werden. Demnach nahmen die Mutter und Konrads älteste Schwester Anna am Begräbnis teil. Wo und zu welcher Zeit dies stattfand, ist nicht bekannt.333

332 Vgl. ebd. 333 Vgl. Dokument, Privatsammlung 84

VII. Schlusswort

In meiner Diplomarbeit habe ich mich zunächst mit der Entwicklung des Begriffes ‚Euthanasie‘ beschäftigt. Der vom griechischen Wort ‚euthanatos‘ abstammende Begriff durchlief vor allem in der Antike verschiedene Bedeutungsebenen. Die zahlreichen Philosophen der Antike hatten in ihrer Auffassung gemeinsam, dass sie unter ‚Euthanasie‘ einen ‚guten Tod‘ verstanden, welcher frei von Schmerzen ist. Zu dieser Zeit finden sich einzig bei den Spartanern bewusst durchgeführte Kindestötungen. In der Neuzeit wurde von Thomas Morus eine utopische Welt erdacht, in der kranke und beeinträchtigte Menschen von den ÄrztInnen getötet werden. Vor allem im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam immer mehr der Gedanke zu einer Vernichtung ‚lebensunwerten Lebens‘ auf. Die Befürworter, darunter Haeckel und Ploetz, bezogen sich immer wieder auf die Vorgehensweisen der Spartaner, jedoch forderte keiner von ihnen konkret eine solche Ausmerzung der vermeintlich ‚Schwachen‘. Erst mit der Veröffentlichung der ‚Freigabe zur Vernichtung lebensunwerten Lebens‘ von Alfred Hoche und Karl Bindung kam es dazu. Sie forderten die Vernichtung aller geistig und körperlich beeinträchtigten Menschen, um die ‚Deutsche Rasse‘ zu ‚reinigen‘. Als die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei an die Macht kam, wurde zwar an eine Umsetzung der ‚Euthanasie‘ gedacht, jedoch wurde sie von Hitler bewusst auf den kommenden Krieg verschoben. Hitler wusste, dass eine derartige Durchführung viel leichter umzusetzen war, wenn sich die ganze Welt im Krieg befand. Auch wenn das tatsächliche Morden noch nicht stattfand, so wurde doch dahingehend Propaganda betrieben. Der deutschen Bevölkerung wurde in Zeitungen und sogar in Schulen mittels Rechenaufgaben vermehrt vor Augen geführt, wie viel die Pflege der geistig und körperlich ‚Schwachen‘ dem Reich kosten würden und wie wenig im Vergleich die ‚normale‘ Bevölkerung erhielt. Das 1934 in Kraft getretene ‚Gesetz zur Verhütung erkranken Nachwuchses‘, welches Zwangssterilisationen erlaubte, verdeutlichte noch mehr die Einstellung der Nationalsozialisten gegenüber den beeinträchtigten Männern, Frauen und Kindern. Da ab 1938 zahlreiche Gnadentodgesuche in der Kanzlei des Führers eintrafen, beauftragte Hitler Brandt mit der genaueren Betrachtung des sogenannten ‚Fall Leipzigs‘. In diesem Fall geht es um ein Kind, welches sozusagen ein ‚Euthanasie‘-Musterkind war und schließlich von den ÄrztInnen, im Auftrag von Brandt, getötet wurde. Daraufhin erteilte Hitler Brandt und Bouhler die Erlaubnis in ähnlichen Fällen gleich zu verfahren. Da die Erlaubnis zur Durchführung der ‚Kindereuthanasie‘ nun erteilt wurde, musste zunächst eine

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Tarnorganisation gegründet werden. Der ‚Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden‘ verteilte an alle ÄrztInnen und Hebammen Meldebögen, welche zur Erfassung der Kinder diente. Anschließend wurden die ausgefüllten Meldebögen von drei Gutachtern nochmals beurteilt. Diese entschieden dann, ob ein Kind in eine ‚Kinderfachabteilung‘ verlegt werden musste oder nicht. Eine Verlegung in eine solche Abteilung bedeutete einen nahezu sicheren Tod für das Kind. Insgesamt können 30 solcher ‚Kinderfachabteilungen‘ als sicher nachgewiesen werden. In den jeweiligen Abteilungen wurden im Grunde dieselben Tötungsmethoden angewendet. Neben einer vor allem in den bayerischen Anstalten eingesetzten ‚Hungerkost‘ wurde vermehrt mittels einer überdosierten Verabreichung von Medikamenten getötet. Die Opferzahlen der ‚Kindereuthanasie‘ können nicht genau dargelegt werden, da viele Kinder bereits auf den Transporten zu den Anstalten bzw. im Zuge der ‚Aktion T4‘ starben. Insgesamt wurden in den Jahren 1939 bis 1945 über 5.000 Kinder getötet. Anhand der aufbereiteten Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee wurde gezeigt, wie sich von einem Benediktinerkloster in Irsee über eine in Kaufbeuren und Irsee gegründeten Kreis- Irrenanstalt eine Anstalt entwickelte, welche sich auf das Töten von PatientInnen spezialisiert hatte. Das letzte Kapitel umfasst die Leidensgeschichte meines Großonkels Konrad Viertler. Die Familie Viertler wanderte im Zuge des Hitler-Mussolini-Abkommen 1941 nach Österreich aus. Da in Innsbruck alle UmsiedlerInnen medizinisch untersucht wurden und es dahingehend bei Konrad zu Auffälligkeiten gekommen war, wurde er schließlich in das St. Josef Institut nach Mils bei Hall eingewiesen. Nach einem einjährigen Aufenthalt in diesem Heim wurde er 1942, ohne Wissen der Eltern, in die Anstalt Kaufbeuren verlegt. Konrad starb schließlich am 12. Oktober 1943 in der Zweigstelle Irsee wahrscheinlich an den Folgen der ‚Hungerkost‘ bzw. der überdosierten Medikamenten. Trotz der vielen Arbeiten zum Thema NS-‚Euthanasie‘ muss weiterhin intensive Aufarbeitungs- und Aufklärungsarbeit geleistet werden, um der Gesellschaft immer wieder das Grauen des Nationalsozialismus vor Augen zu führen. Dies ist deshalb so wichtig, damit es nicht wieder in Vergessenheit und Verschwiegenheit gerät und kranke Menschen vielleicht bald wieder als ‚lebensunwert‘ angesehen werden. Viele Menschen unserer Zeit können nichts mit dem Thema NS-‚Euthanasie‘ anfangen. Trotz vieler Anstrengungen und öffentlichem Erinnern in den letzten Jahren wird dieser Teil der Vergangenheit oftmals noch immer totgeschwiegen. Auch die damalige Gesellschaft hat nach 1945 geschwiegen und die ‚Euthanasie‘-Mörder größtenteils nicht bestraft. Allein diese Tatsache zeigt, dass die Menschen noch viel mehr für dieses Thema sensibilisiert werden müssen.

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VIII. Bibliographie

8.1. Quellenverzeichnis

Privatsammlung der Familie Viertler:

Abmeldung bei der polizeilichen Meldebehörde Anstaltsfoto von Konrad Viertler Aussagen der Geschwister Beilage 1, Überblicksdaten der Kinder aus Südtirol Beilage 4, schriftliche Diagnosen der Anstalt Kaufbeuren Brief von Simon Viertler an Faltlhauser am 21.09.1942 Brief von Faltlhauser an Herr Viertler am 1.10.1942 Brief von Anna Viertler an Faltlhauser am 25.10.1942 Brief von Faltlhauser an Herr Viertler am 31.10.1942 Brief von Familie Viertler an Faltlhauser am 27.12.1942 Brief von Faltlhauser an Familie Viertler am 05.01.1943 Brief von Faltlhauser an den Bürgermeister von Deutschfeistritz am 14.04.1943 Brief von Faltlhauser an Herr Viertler am 06.05.1943 Brief von Familie Viertler an Faltlhauser am 10.05.1943 Dokument, chronologische Auflistung der Ereignisse Familienfoto in Südtirol, etwa 1941 Ortspolizeiliches Zeugnis der Gemeinde Deutschfeistritz

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8.2. Literaturverzeichnis

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VON CRANACH, Michael: Die Ermordung psychisch Kranker in Kaufbeuren-Irsee zwischen 1939 und 1945. Vortrag im Max-Plank-Institut für Psychiatrie in München am 26.06.1984, In: Broschüre ‚150 Jahre Psychiatrie in Bayern‘, o. O., 1987

VON CRANACH, Michael: Das Schicksal Südtiroler Patienten in Kaufbeuren-Irsee von 1939–1945. Vortrag bei der Tagung ‚Wahnsinn und ethnische Säuberung‘ in Bozen am 10.03.1995

VON CRANACH, Michael / SCHWEIZER-MARTINSCHEK, Petra: Die NS- ‚Euthanasie‘ in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee. In: Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Beiträge zur Stadtgeschichte, Stefan Dieter [Hrsg.], Band 14, S. 270–387, Bauer-Verlag, Thalhofen, 2015

WUNDER, Michael: Was heißt Euthanasie?. Berlin. verfügbar unter: http://gedenkort- t4.eu/de/gegenwart/was-heisst-euthanasie [letzter Abruf: 24.03.2016]

8.3. Darstellungsverzeichnis

Tabelle 1: ,Kinderfachabteilungen' ...... 50 Abbildung 1: Speiseplan ...... 58 Abbildung 2: Liste der Tbc-Versuchskinder ...... 64 Abbildung 3: Leichenhaus mit Krematorium 1944 ...... 69 Abbildung 4: Familie, aufgenommen um 1941 ...... 74 Abbildung 5: Anstaltsfoto, Kaufbeuren ...... 79 Abbildung 6: Ortspolizeiliches Zeugnis von Konrad Viertler...... 82

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