Neue Soziale FORSCHUNGSJOURNAL Bewegungen

POPMODERNE UND PROTEST Musik zwischen Subversion und Aneignung

Heft 3 – Oktober 2006 € 14,- Inhalt Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006 1

EDITORIAL 75 Tagungsankündigung ...... Unbeschreiblich weiblich? 2 Popmoderne und Protest Mädchen und junge Frauen in Musik zwischen Subversion Jugendkulturen und Aneignung 77 Tagungsankündigung ESSAY ...... Bürgergesellschaft – 8 Norbert Seitz Wunsch und Wirklichkeit Eine Art ozeanisches Gefühl 82 Workshophinweis Nachbetrachtung zum neuen Konsumenten und Unternehmen Fußball-Patriotismus als Bürger THEMENSCHWERPUNKT ...... 84 Alte Journalhefte zum Versandkostenpreis 13 Jürgen Reiche TREIBGUT Mythos Rock ...... Politik und Rockmusik 85 Materialien, Notizen, Hinweise

20 Jörg-Uwe Nieland LITERATUR From Music to Politics or from Politics to ...... 89 50 Jahre Bravo – 50 Jahre kommerziali- Music? sierte Jugendkultur 30 Alexander Zollondz (Stephanie Schmoliner) Hip Hop – durch Ausgrenzung zum Erfolg? 90 Eine Kulturgeschichte des Protestes in den Interview mit Hannes Loh und USA (Simon Teune) Murat Güngör 92 Feminismus in der Popmusik (Stephanie 39 Stephanie Schmoliner Schmoliner) Let’s riot – Riot Grrrls zwischen Feminismus, Subkultur und 93 Der Pudding bleibt nicht hängen – sozialer Bewegung Zur Zivilgesellschaft in Südostasien (Jan Rohwerder) 47 Christian Dornbusch/Jan Raabe RechtsRock 96 Soziale Ungleichheit und Geschlechterver- hältnisse im multi-ethnischen Zusammen- 54 Susann Witt-Stahl leben (Anja Löwe) Pop und Krieg – eine hemmungslose Eskapade 98 Gramsci und der Postanarchismus (Jens Kastner) PULSSCHLAG ...... 99 ANNOTATIONEN 62 Rosemarie Reitsamer ...... Who are the ‚Boyz in the Hood‘? Gewalt, 102 LITERATUR ZUM THEMENSCHWERPUNKT Geschlecht und Ethnizität in urban music ...... Videoclips 104 AKTUELLE BIBLIOGRAPHIE ...... 69 Gabriele Rohmann 108 ABSTRACTS Zwischen vielen Grenzen ...... Jugendkulturen in Mexiko 112 IMPRESSUM ...... 2 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Popmoderne und Protest Frage, was das Subversive, das Widerständige Musik zwischen Subversion und in der Musik ausmacht, wurde neu verhandelt. Aneignung Zwar war klar, dass Pop keine homogene Sache ist, die man gleichförmig diskutieren kann, aber Die bekannteste deutsche Jugendzeitung wird die politische Wirkungskraft wurde Pop nicht in diesen Tagen 50 Jahre. Alle feiern die Ju- abgesprochen. Aussagen wie ,Sag mir was du gendzeitschrift mit ihren Erinnerungen zwischen hörst, und ich sag dir wer du bist‘ verdeutlichen Popkultur und Pubertät. Und das Forschungs- den aktuellen Stand. Aber die Frage nach dem journal macht – ohne den Gedanken einer Re- ,Was‘ wurde bereits vor fünfzehn Jahren ge- miniszenz an die ‚Bravo‘ – ein Themenheft zu stellt. Schien die Popmusik der 1970er und Pop und Musik. 1980er Jahre noch eindeutiger politisch, ist die Pop, so lässt sich feststellen, ist heutzutage Frage nach explizit politischen Inhalten heute alles – und alles ist Pop. Überall ist von diesem schwieriger denn je. Aufforderungen im Stil schillernden Begriff die Rede und alles Neue, Bob Marleys mit ,Get up, stand up, stand up for alles kulturell Aufregende soll Pop sein: Von der your rights‘ waren der Soundtrack einer ganzen Harald Schmidt Show über Gerhard Schröders Generation. Musik wurde als ernstzunehmen- Neujahrsrede und Westerwelles Auftritt im Big des Medium in Bezug auf Identitätsgestaltung Brother-Container zur nächsten Kunstausstel- verhandelt. lung und dem neuen Literaturereignis. Und nichts Dass Pop als politisch wahrgenommen wur- scheint mehr ohne das wichtige Präfix auskom- de, hat nicht zuletzt mit damaligen Debatten zu men zu können: Man redet vom ‚Pop-Journalis- tun. Musik war für politische Inhalte attraktiv, mus‘, von ‚Pop-Malerei‘ oder von der ‚Pop- weil sie die herrschenden Diskurse unterstüt- Politik‘ der Berliner Republik. Nach der Post- zen konnte. Politik wurde als unübersichtlich moderne also die Popmoderne? Doch auch wenn und vielfältig verstanden, Musik konnte in sich Pop somit vom ‚musikrevoltierenden Kul- Schubladen eingeteilt werden. Verlässliche Orte, turelement‘ zum allgemeinen Ausdruck gewan- an denen man fand, was man suchte. delt hat und längst nicht mehr ausschließlich mit Der Grund für diese Wahrnehmung lag an musikalischen Mitteln besetzt ist, so soll es in den sich zunehmend etablierenden ,cultural stu- diesem Heft um Pop als musikalische Form ge- dies‘, einem Konzept, ,Kultur als Lebensweise‘ hen. Popmoderne und Protest – die Pop-Musik zu verstehen (Bonz 2002). zwischen Aneignung und Subversion. Die Kritische Theorie mit Adornos und Hork- heimers pessimistischen Thesen zur Kulturin- Cultural Studies vs. dustrie schien ausgedient zu haben, und mit neu- Kritische Theorie? en Ideen sollte die Funktion der Kultur in ge- Die Begriffskreation ‚Popmoderne‘ ist hier je- sellschaftlichen Transformationsprozessen un- doch kein Novum. Bereits in den 1990er Jahren tersucht werden. Bestand die Kritische Theorie machte die Zeitschrift ,links‘ ein gleichnamiges noch auf den Gegensatz Kultur – Ökonomie Heft und setzte bei der Frage nach ,dem Ende und deren Trennung, so wurde dieser Gegen- der Jugendkultur-Debatte‘ an. Sie griff die ge- satz in den cultural studies für untauglich er- rade so populären Diskussionen um die Mög- klärt. Man ging dazu über, alles, auch Kultur, lichkeiten politischer Codierung ästhetischer im ökonomischen, oder besser kapitalistischen Symbole auf. Damals wurden Ausdifferenzie- System zu verstehen. Die Kritik an dem Kultur- rungen in einigen Musikstilen immer deutlicher, verständnis der Kritischen Theorie und deren neue Identitätsmöglichkeiten entstanden und die Vertretern liegt größtenteils in der Theorie selbst. Editorial 3

Der von Adorno und Horkheimer geprägte Be- moderne-Heft‘ soll nicht nur einen Überblick griff ,Kulturindustrie‘ bezeichnet zunächst nur über aktuelle Zusammenhänge zwischen Bewe- die industrialisierte Produktion von Kultur in gungen und musiktheoretischen Auseinander- Form ihrer Güter. Doch der inflationäre Ge- setzungen bieten, sondern auch anschließen an brauch dieses Begriffes und dessen angebliche das Heft Jg. 8, 2/1995: Subkultur und Subver- ,Kampfkraft‘, beispielsweise bei den Studen- sion. Hier wurde der Zusammenhang von sub- tenprotesten der 1970er Jahre, war es, der die kulturellen Kontexten und Mobilisierungspro- Diskussionen zu den cultural studies brachte zessen untersucht und jugendliche Teilkulturen (Klein 1999). Zu Beginn der 1980er Jahre wur- abgebildet. Doch innerhalb der Musik haben de die Debatte um Kulturindustrie an einen lin- sich Stile vielfältiger entwickelt. Klassische ken Pop-Diskurs gekoppelt, was gleichzeitig Subkulturen finden sich kaum noch. Daher war dazu führte, den Ideen und Theorien einen poli- es an der Zeit, der Frage nachzugehen, welche tischen Anstrich zu geben. Es war die Frage Ressourcen für soziale Bewegungen in der Pop- nach dem Subversiven, und ob daraus folgend moderne denn noch zu finden sind? Popkultur nicht doch so große Werte wie Freiheit stehen ist heute eben alles. Underground oder Inde- können, die die Debatte formte. pendent als Gegensatz zum Mainstream greift Die SubkulturforscherInnen verorteten die heute so nicht mehr. Schließlich verkünden Kri- Kultur nicht mehr außerhalb kapitalistischer tikerInnen der Popkultur, dass Massenkultur Verhältnisse, sondern bewerteten diese als Ge- alles Subversive vereinnahmt. genkultur zum Mainstream innerhalb der öko- Und hier gelangen wir zu unserem Ausgangs- nomischen Verwertbarkeit – dort sollte das sub- beispiel. 50 Jahre Bravo zeigt auch die Geschichte versive Potential liegen, welches in Folge zu von 50 Jahren Popkultur, Kultur, die bestens einem besseren Leben führen könne. geeignet ist zur ökonomischen Verwertbarkeit. Doch auch hier schienen sich Hoffnungen, Selbst wenn 2006 der Künstler Peter Licht das die in die Musik gelegt worden sind, nicht zu ‚Lied vom Ende des Kapitalismus‘ als neue Lo- erfüllen. Die aktuellen Debatten um Pop unter- sung ausgibt: Alles wird verkauft. Vorbei sind scheiden daher wieder zwischen beiden Theo- die Zeiten, in denen der Inhalt als das wichtigste rien: Kritische Theorie vs. cultural studies – empfunden wurde und die musikalische Unter- Frankfurt gegen Birmingham. malung im stumpfen Rock ausreichte. Ausdiffe- renzierter und musikstilübergreifend zeigt sich Pop und Subkultur die Musik und bietet für jede Lebens- und Stim- Doch Pop ist durchaus nicht beliebig. Und so mungslage den richtige Soundtrack. war es die Gefahr der Beliebigkeit, die einen gemeinsamen Nenner forderte. Dieser gemein- Subversion same Nenner konnte nur darin liegen, sich in- Während die Theorie der Aneignung von kultu- nerhalb dieses Heftes mit einem der popkultu- rellen Gütern innerhalb der Kultur-Debatten so- rellen Güter auseinander zusetzten. Die Wahl wohl positiv als auch negativ besetzt sein kann, fiel auf Musik. Dass innerhalb der Artikel die wird der Begriff Subversion innerhalb des Pop- Interpretation Mainstream-Musik dominiert und diskurses durchweg positiv gebraucht. Doch nur am Rande subkulturelle Stile sich wieder- so wirkungsmächtig, wie der Begriff Subversi- finden, spiegelt die aktuelle Diskussion wider. on erscheint, so inhaltsleer wirkt er zurzeit in- Bereits 1995 hat das Forschungsjournal sich nerhalb der Pop-Debatte. Diskussionen um ,gut‘ auf den Weg gemacht, mit einem Heft zur ,Sub- (Subkultur) und ,böse‘ (Mainstream) haben sich kultur‘ eben diese zu untersuchen. Das ,Pop- aufgelöst, und zunächst schien es so, als ob der 4 Editorial

subversiven Widerstandskultur der Hauptstreit hältnisse, soziale Lage oder Räume zu verste- genommen wurde. Neuerdings unterstellt man, hen und zu analysieren. Wünschenswertes Er- dass innerhalb der Musik symbolische Wider- gebnis der Aneignung sei die subversive Reak- standsorte zu finden sind. Dass hier erneut Aus- tion. Ein Phänomen, mit dem die Riot Grrrls schlüsse und Machtverhältnisse demonstriert ihre feministischen Forderungen an ihre Höre- werden, fällt in den Diskussionen häufig nicht rInnen weitergeben wollten und sie zu Verände- weiter ins Gewicht (Chalda/Dembowski/Ünlü rung bewegen wollten. In wie weit diese Strate- 2003). gie umgesetzt wurde, ist in dem Beitrag von Ein Beispiel für neue Machtverhältnisse lässt Stephanie Schmoliner zu lesen. Hier findet sich sich derzeit im Hip Hop finden. Die Journalis- auch eine weitere Form der Aneignung, die öko- ten Alexander Zollondz, Murat Güngör und nomische Vereinnahmung von so genannter Hannes Loh führten dazu ein Interview, das im Subkultur zum Mainstream. Diese Aneignung Titel ,Durch Ausgrenzung zum Erfolg‘ zeigt, hatte zur Folge, dass Inhalt und Stil der Riot dass das Widerständige der Musik nicht immer Grrrls ihren rebellischen, subversiven Gestus offensichtlich ist. verloren haben. Geht aber dieser verloren, wird Was also könnte subversiv am Hip Hop die Musik beliebig und verliert ihre Kraft. sein? Subversion wird zunächst als zerstöreri- Unter der Überschrift ‚Alles ist Pop – was sche Aktion definiert. Doch dessen Gebrauch bleibt von der Gegenkultur?‘ erklärt der Grün- wurde nicht zuletzt durch die cultural studies der des Kölner Musikmagazins ‚Spex‘ Died- zunehmend inflationärer. Subversive Aktionen rich Diedrichsen, dass heute alles zu Pop im zeichnen sich aus durch ihre inhaltliche Ausein- Sinne von ‚sexy, flippig, populär‘ definiert wer- andersetzung mit den herrschenden Normen. den kann, während gleichzeitig der reale sub- Diese künstlerisch umzudeuten und damit ge- kulturelle Austragungsort von Popkultur nur sellschaftliche Änderungen hervorzubringen ist noch in winzigen Restformen vorhanden ist. das angestrebte Ziel. John Fiske (1989) sprich Wenn Pop mal als Äußerung von Unten gegol- bei allen radikalen Formen der Kunst, die Nor- ten hat, als Selbstermächtigung, Gegenkultur men bricht und Tabus überschreitet, von sub- oder Repräsentation der Nichtrepräsentierten, versiven Aktionen. Demzufolge könnte Hip dann ist davon außer an ihren Rändern nicht Hop mit rechtsradikalen und nationalistischen mehr viel zu spüren. Der alte Pop-Begriff, der Texten tatsächlich subversiv sein, bricht es etwas mit sexueller Befreiung oder alternativen schließlich die Norm oder besser die Annahme, Lebenskonzepten zu tun hatte, scheint somit es hier mit einem Tabu zu tun zu haben. Fiske endgültig Geschichte geworden zu sein. Und geht noch weiter in seiner Theorie. Die Beliebt- mit dieser Geschichte lässt sich – nicht nur äs- heit und Popularität von kulturellen Formen, in thetisch – heutzutage wunderbar und verkaufs- diesem Falle der Musik, ist darauf zurückzu- trächtig spielen: „Über das Quartett ‚Tokio Ho- führen, dass ZuhörerInnen die identitätsbilden- tel‘ verstreut finden sich alle Symbole und Zei- den Momente der Musik aneignen. Diese An- chen, die in der Popmusik jemals mit Subkultur eignung geschieht durch eigene Interpretation. und Rebellion konnotiert waren: die Lederjacke Im günstigsten Falle wirkt sich das Gehörte aus dem Rock; die zerfetzte Jeans aus dem Punk; dann auch zumindest in einem gewissen Grad die mit Kajalstift umrandeten Augen aus dem auf die Handlungen der ZuhörerInnen inner- New Wave; die Dreadlocks aus dem Reggae. halb der Gesellschaft aus. Die kritische Inter- gehört jedoch zu keiner Subkultur, pretation, die Fiske als Aneignung sieht, be- die Band operiert musikalisch im Mainstream. ginnt damit, kulturelle Unterschiede, Machtver- Auch um eine politische Aussage geht es der Editorial 5

Band nicht. Die subkulturellen Zeichen sind hier sperrige Klangästhetik gegenkulturell äußert all das nicht mehr, was sie einmal waren: sub- (Musiker rund um das Kölner ‚a-Musik‘-Label versiv. Politische und subkulturelle Symbole und ‚Mille Plateaux‘ in Frankfurt). Es gibt werden in einem pubertären radical chic ent- immer wieder Bewegungen, die alte Werte ge- schärft“ (Bunz 2005: 26). gen kulturelle Netzwerke neu entdecken und für sich mit einem emanzipatorischen Anspruch Aneignung nutzen; etwa die seit einigen Jahren in New Vielleicht ist es Aneignung, die die Popmoder- York aktive ‚Anti-Folk‘-Bewegung (wie Mol- ne politisch untermauern kann. Aneignung von dy Peaches), eine Art Neudefinition von Bob Kulturprodukten vollzieht sich im Alltag. Die- Dylan aus dem Geist des Punk heraus (…).“ ser Alltag bestimmt jedoch auch, welche Deu- (Martin Büsser 2002: 30) tungsmöglichkeiten wir einzelnen Ereignissen In diesem Heft geht es also auch darum, zu zukommen lassen können. Geht es also um überprüfen, wo die Wirkungsmacht von Musik Aneignung, muss der Blick immer auch auf die innerhalb der Popkultur dann liegen kann. Es alltägliche Praxis und auf den dort angesiedel- stellt sich heraus, dass auch Subversion als Fa- ten Handlungsspielraum gerichtet werden. Im cette dieser Popkultur erscheint und trotz Ver- Gegensatz zu Adornos Schwerpunkt auf Pro- einnahmung in den Mainstream noch wider- duktionen wird der Fokus heute auf eben diese ständiges Potential beinhalten kann. Aneignung von Kultur gelegt. Es wird folglich Anhand der Frage, wie politisch eigentlich gefragt, wie Kultur erlebt wird und wie der all- der Rock war und ist, unternimmt Jürgen Rei- tägliche Umgang damit ist. Durch diese Rezep- che in seinem Einleitungstext des Themen- tion von Kultur können auch neue Machtver- schwerpunktes eine Reise durch die Zeit der hältnisse produziert werden. Und hier können Rockmusik. Als die Rolling Stones 1965 erst- Aneignungsstrategien ansetzten. Durch die be- mals in Deutschland gastierten, war für politi- wusste Gestaltung der eigenen Lebensbedin- schen Zündstoff gesorgt. Rock, so die vorherr- gung und des eigenen Alltags können politische schende Meinung damals, ist die Musik, die die Ideen auch in den Alltag anderer eindringen. Welt verändern und verkrustete Strukturen auf- Die Veränderung des Alltags stellen Theoreti- brechen konnte. Doch gezielt politisch im ei- kerInnen stetig vor neue Fragen. gentlichen Sinne und politisch aussagekräftig Gehen Pop und politisches Aufbegehren also wurde der Rock erst mit den Auftritten von Bob nun getrennte Wege? Oder muss man die kriti- Dylan. Im Laufe der Zeit zerfiel die populäre schen Elemente der Popkultur an neuer Stelle Musik jedoch schnell in verschiedene Einzel- suchen? teile und Stilrichtungen. Und doch war Rock Hat der lange aufrecht erhaltene Mythos, immer mehr als nur Musik: Er ist ein Lebensge- Popkultur sei per se ‚subversiv‘ oder ‚rebel- fühl, aber auch ein Geschäft. Die Anschläge lisch‘, scheinbar ausgedient, so „ist [es] aber vom 11.09.2001 veränderten noch einmal die immer noch möglich, mit Hilfe einer Gitarre Welt der Rockmusik. Die Zeiten sind für die oder eines Samplers kritische Kultur zu schaf- Akteure des Rock schwerer geworden, Rock- fen. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Sie musik zehrt heutzutage von ihrem Mythos und reichen von explizit politischen Bands in – so Jürgen Reiche – die fetten Jahre seien vorbei. Deutschland (Die Goldenen Zitronen, Tocotro- Ausgehend von der These, dass gesellschaft- nic, Britta) bis hin zu einer experimentellen, liches Engagement und politischer Protest von politisch motivierten Elektronik-Szene, die sich Popkünstlern die Geschichte der Popkultur von nicht explizit durch Worte, sondern durch eine Beginn an begleitet, ist für Jörg-Uwe Nieland 6 Editorial

bei allen Beispielen ein altbekanntes Spannungs- folgreich werden – mit dem von Plattenfirmen feld der politischen Popmusik feststellbar: erfundenen Label ,Deutschrap‘ Mitte der 1990er Einerseits treten politische Popkünstler als Un- Jahre seien aber all jene ausgegrenzt worden, terstützer und Teil einer sozialen Bewegung auf die die deutsche Hip Hop-Szene mit aufgebaut (‚from music to politics‘), anderseits organisie- haben. Alltäglicher Rassismus, Bildungsproble- ren sich Parteien oder Politiker ihr Image und me und Familienstrukturen würden in dem ihre Unterstützung mit Hilfe von Künstlern Gangsta Rap genannten Genre ausgeblendet, (‚from politics to music‘). Auch in Deutschland Frauen auf ihre Rolle als allzeit bereite ,bitches‘ deuten die zahlreichen Treffen von Künstlern reduziert. Trotzdem bieten diese neuen Formen und Politikern eine Verbindung zwischen Poli- genug Anziehungspunkte für Jugendliche. Eine tik und (Pop)Kultur an. Nieland fragt, ob die Zukunft, die vor allem für all jene Jugendlichen Gegenüberstellung ‚From Music to Politics or attraktiv ist, die keinen Job und deshalb keine from Politics to Music‘ die Zustände in der Bun- Perspektive mehr haben. Die Entwicklung von desrepublik noch angemessen abbildet. Als den Anfangstagen der Hip Hop-Kultur in New Quellen werden Äußerungen von zwei politi- York zum heutigen populären Gangsta Rap in schen Künstlern aus dem Bundestagswahl- Deutschland zeichnet das Interview mit Loh und kampf 2002 herangezogen. Güngör nach. Die Autoren Murat Güngör und Hannes Loh, Dass sich feministisches und politisches En- die Alexander Zollondz in einem Interview be- gagement 35 Jahre nach der zweiten Frauen- fragt hat, waren über viele Jahre in der Hip Hop- bewegung in anderen Formen zeigt, stellt Ste- Szene aktiv und haben die Entwicklung in phanie Schmoliner am Beispiel der Riot Grrrls Deutschland von Anfang an beobachtet. Ihre dar. Riot Grrrls ist eine Bewegung, die sich ne- These lautet: Hip Hop in Deutschland konnte ben der Musik insbesondere mit körperpoliti- nur durch eine ,ethnische Komponente‘ so er- schen Forderungen auseinandersetzt, nicht Editorial 7

zuletzt aus dem Bedürfnis heraus, einen neuen sie dient, so Witt-Stahl, als Soundtrack für den Umgang mit Geschlechterdefinitionen herzustel- Krieg als Gesamtkunstwerk. len. Zunächst ist eine Darstellung der Grün- In der Rubrik ‚Pulsschlag‘ analysiert Rose- dung notwendig, denn ohne die gesellschaftli- marie Reitsamer Gewalt, Geschlecht und Eth- chen Hintergründe insbesondere innerhalb der nizität in urban music Videoclips. Wenn über Subkultur des Punk und Hardcore ist eine Ein- sexualisierte und sexuelle Gewaltdarstellungen ordnung kaum möglich. Zudem sollen Einblick in Musikvideos gesprochen wird, stehen Hip- in die vielfältigen theoretischen Schnittstellen Hop und vor allem Gangsta Rap für ihren Se- der Riot Grrrls gewährt werden. In Bezug auf xismus, ihre Homophobie und ihre implizite Ge- soziale Bewegung wird eine Einordnung zwi- waltbereitschaft im Zentrum der Kritik. Diese schen Bewegung, Subkultur und Feminismus Genres afroamerikanischer Musik werden ge- diskutiert. Anschließend wird dargestellt, was meinsam mit anderen Musikstilen unter dem 15 Jahre nach Entstehen der Riot Grrrls geblie- Begriff urban music gefasst. In dem Beitrag ben ist. werden einigen Bedeutungen von urban music Dem Thema RechtsRock widmen sich dargestellt, um daran anschließend die Frage zu Christian Dornbusch und Jan Raabe in ihrem diskutieren, wie Gewalt, Geschlecht und Ethni- Beitrag. RechtsRock wurde in den letzten fünf- zität in urban music Videoclips repräsentiert zehn Jahren vor allem auf die Musik neonazis- werden. tischer Skinheads verkürzt. Doch der Oberbe- griff bezieht sich nicht nur auf ein bestimmtes Alexander Flohé, Kiel/Stephanie Schmoliner, Genre, sondern auf Entwicklungen in verschie- Flensburg denen Musikrichtungen. Die politisch offensi- ven Songs mancher Stilrichtungen sind stark Literatur identitätsbildend und um sie herum hat sich in den letzten Jahren eine eigenständige Szene eta- Bonz, Jochen (Hg.) 2002: Popkulturtheorie. bliert. Beides ist von zentraler Bedeutung für Mainz Ventil Verlag. die scheinbar neue soziale Bewegung von Bunz, Mercedes 2005: Dafür statt dagegen. Rechts: Die Musik schafft die kollektive Identi- Tokio Hotel und der Wandel Popkultureller Zei- tät, die Szene-Infrastruktur (Label, Versände) chen. In: Neue Zürcher Zeitung, 24. November hält die Musik und Symbole (Kleidung etc.) 2005, Nr. 275, S. 26. bereit und unterstützt politische Akteure bei der Büsser, Martin 2002: Das Unpolitische an Mobilisierung. sich ist zum Virus geworden. Interview, Teil 2. Verbindet man seit Woodstock Popmusik mit In: Neue Musik Zeitung, Oktober 2002, 51. Frieden und Freiheit, unterstützten viele Pop- Jahrgang, S. 30. stars nach dem 11. September die Forderung Chlada, Marvin/Dembrowski, Gerd/Ünlü, nach einem Krieg und zeigen einen extremen Deniz (Hg.) 2003: Alles Pop? Kapitalismus und Patriotismus. Hat Popmusik – so die Frage von Subversion. Aschaffenburg Alibri Verlag. Susann Witt-Stahl in ihrem Artikel – die Fron- Diedrichsen, Diedrich 1998: Alles ist Pop – ten gewechselt? Die Verbindung mit Frieden – was bleibt von der Gegenkultur? In: Süddeut- so ihre These – war immer eine von der Kultur- sche Zeitung, 8. August, 1998, Nr.181, S. 14. industrie erfundene Lüge. Es gab immer eine Fiske, John 1989: Understanding Popular Verbindung zwischen Popkultur und Krieg. Culture. Boston Unwin Hyman. Popmusik spielt seit dem 2. Weltkrieg zwar kei- Klein, Gabriele 1999: electronic vibration. Pop ne wichtige Rolle in der Kriegspropaganda, aber Kultur Theorie. Hamburg Rogner & Bernhard. 8 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Norbert Seitz

Eine Art ozeanisches Gefühl Nachbetrachtung zum neuen Fußball-Patriotismus

Auf dem Kopf: texanische Stetsons, Panama- Thomas Kielinger analysierte „den von Hy- hüte, US-Army-Caps, Zylinder, Melonen, Drei- pochondrie gebeugten Deutschen“ als jemand, spitze, Kreissägen, Trilbys, Piratenkopftücher, der das „Gefühl einer neuen Vitalität, eines Auf- Bandanas, Borsalinos, Schirmmützen und Nar- bruchs, einer neuen Zuversicht“ brauche. renkappen; ansonsten Hawaiiketten, Federboas, Noch deutlicher drückte es der Psychiater Leibchen, Perücken und Harry-Potter-Zauber- Fritz Simon aus: „Wir sind eine manisch-dep- mäntel in allen Ausführungen. Dieser neue Fuß- ressive Kultur. Der Jubel ist eine willkommene ball-Nationalismus sei „irgendwie gutgelaunt“ Kompensation des ganzen Gejammeres, das in und von entwaffnend supranationaler Farben- Deutschland geherrscht hat.“ Soviel zum ‚kran- pracht, begeisterte sich ZDF-Morgenmodera- ken Mann in Europa‘, dem zwischen dem 9. tor Cherno Jobatay in der WELT über den „ge- Juni und 8. Juli dieses Jahres eine Mixtur aus brochenen deutschen Gefühlsdamm“. Und Klopfern und Aphrodisiaka zu seiner Genesung Markus Hesselmann teilte seine Freude im ‚Ta- verabreicht wurde. gesspiegel‘ darüber, „wie easygoing wir offen- Vorweg gilt es zweierlei nüchtern festzuhal- bar inzwischen sind“. ten: Zum einen war die Begeisterung im Lande Im Ausland sah man die selbstzerquälten auch deshalb so groß, weil man dem Klins- Nachkriegsdeutschen endlich in der nationalen mann-Team zu Beginn des WM-Turniers nicht Normalität angekommen, ohne sich deshalb vor allzu viel zugetraut hat. Für unfertige Naivlinge ihnen fürchten zu müssen. So bekannte ‚Libé- und mediokre Ewigtalente hatte man die meis- ration‘: „Die Deutschen haben einen Monat an ten Akteure gehalten, das Trainerkonzept als eine der Theke zugebracht und wir mit ihnen. Es Art McKinsey-Laune abgetan, sodass Hinter- war wunderbar“. – „Patriotismus soft“ konsta- bänkler im Deutschen Bundestag noch im Früh- tierte auch die italienische ‚Repubblica‘, „Neu- jahr nach der 1:4-Pleite in Florenz glaubten, den er Stolz ohne Willen zur Macht“. – „Die Deut- gebeutelten Übungsleiter aus Kalifornien vor schen sind uns plötzlich sympathisch“, inter- den Sportausschuss zitieren zu dürfen. Zum pretierte der partygeprellte André Heller wohl- anderen hat nicht erst eine arglose Fußballszene wollend auswärtige Empfindungen. den neuen ‚unverkrampften‘ Patriotismus los- Derweil bescheinigte man sich in der heimi- getreten, wie vielerorts behauptet wurde. Die schen Presse „eines souverän selbstverständli- literarischen Wegbereiter waren Eckhard Fuhr chen Umgangs mit den nationalen Symbolen“ mit seinem Buchessay über die ‚Berliner Repu- (Peter von Becker im ‚Tagesspiegel‘). blik als Vaterland‘, Reinhard Mohr und seine Den superlativsten Adjektivismus lieferte Beschreibung eines neuen, positiven ‚Deutsch- dabei Alfons Kaiser in der F.A.Z. – „Kuschel- landgefühls‘, Florian Langenscheidt oder Wolf- charakter mit Verwöhnaroma“ attestierte er der gang Büscher, der mit ‚In Deutschland. Eine Fanmeilenstimmung, während es der ZEIT vor- Reise‘, eine Art Abschied von der alten Bun- behalten blieb, die ballgeweckte Zeitenwende desrepublik nimmt. Schließlich weitaus weni- zu verkünden: „In diesem Sommer sind wir an- ger sensibel als die Genannten Matthias Matus- dere geworden“. Eine Art ozeanisches Gefühl 9

seks neunationaler Paukenschlag ‚Wir Deut- rungsübungen auf dem Wege zum deutschen schen‘. Mannschaftsmaskottchen. „Es scheint, dass Dabei lässt sich der ‚Patriotismus der Berli- ausgerechnet mit Angela Merkel die Lockerheit ner Republik‘ kaum in politische Lager einord- in Deutschland angekommen“ sei, befand – nen. Denn seit der von SPD-Chef Müntefering wohlwollend bis an die Schmerzgrenze – - eröffneten ‚Heuschrecken‘-Debatte der Linken no Jobatay. wird heftig mit der Keule der ‚vaterlandslosen Rainer Brüderle von den Liberalen nannte Gesellen‘ gegen undeutsche Unternehmer ge- den neuen Fahnenpatriotismus die „größte Stra- prügelt, die zu Hause keine Steuern mehr zah- ßendemonstration gegen die Große Koalition“, len und Arbeitskräfte ins Ausland verlagern. Das während es Parteichef Westerwelle wieder hiesige Patriotismusverständnis scheint mittler- einmal ganz genau wusste: „Da hat sich einfach weile begrifflich so verwässert wie politisch etwas zum Guten gewendet. Das ist aufgeklär- ortlos zu sein. Anders gesprochen: Mit der Glo- ter Patriotismus, das ist europäischer Patriotis- balisierung sind gerade Teile der Linken offen mus“. nationalistisch geworden. Deshalb gelingt es Währenddessen soll sich die Bundestags- auch ohne das Magengrimmen aus den frühen fraktion der Linkspartei auf einer Klausursit- Zeiten eines unverbrüchlichen Antifaschismus, zung in Warnemünde vor dem Halbfinalmatch sich im schwarz-rot-goldenen WM-Zauber auf in altlinker ‚Deutschlandhasser-Manier‘ mit ita- den Fanmeilen wieder zu finden. lienischen Tischfähnchen ausgestattet haben. Der Kein Wunder, dass die Parteien querbeet die „Deutungstrieb, der das Fest nicht auf sich be- Fanbegeisterung innenpolitisch auszuschlach- ruhen lassen will“ (Jens Bisky), schlug in zwei ten versuchten: Grünen-Chefin Claudia Roth Richtungen aus, die Fanbegeisterung wurde sprach von einer wunderbaren Multikulti-Fei- gleichsam patriotisch oder zirzensisch entmischt, er, obwohl – sarkastisch gesprochen – die Tür- entweder als nationales oder als karnevalisti- kei gar nicht mitspielte. Joschka Fischer sches Phänomen. schwärmte von einer gleichsam nostalgisch stimmenden Mixtur aus „Sommernachtstraum Der neue Patriotismus als abgeschlos- und Woodstock“. Sozialdemokraten sahen die sene Deutschwerdung oder nationale Früchte jener Normalisierungspolitik ihres Alt- Normalisierung Kanzlers Schröder aufgehen – die vom Identi- tätsdisput mit Martin Walser im Willy-Brandt- Patriotische Autoren, die alten wie die neuen, Haus (2002) über die Eröffnung der umstritte- von Martin Walser bis Matthias Matussek, wa- nen Flick-Collection, der Teilnahme an den ren flugs dabei, das schwarz-rot-goldene Fah- D-Day-Feiern in der Normandie (2004) bis zum nenmeer als endlich eingetretene flügelübergrei- Gang ans verspätet in Rumänien entdeckte Sol- fende Deutschwerdung der einst von soviel datengrab des gefallenen Vaters reichte. Selbsthass befallenen Landsleute zu begrüßen. Und die Konservativen? Sie sahen Roman Cherno Jobatay gab dazu nationale Entwarnung: Herzogs vormals herbeigesehnten ‚Ruck‘ in sei- Es sei nunmehr vorbei mit den „letzten Ausläu- ner Vollendung. Und wer vor der WM noch fern der 68er-Miesepetrigkeit des ‚manhätte- gerätselt hatte, in welcher Fußballrolle sich wohl könntesolltedochvielleichtvielbesser‘. die eher spröde Kanzlerin – nach Kohls histori- Dabei lief der liberal-konservative Publizist schen Spielerumarmungen und Schröders ewi- Paul Nolte mit seiner spitzen Bemerkung der gen Fachsimpeleien – gefallen würde, der er- Entwicklung hinterher, im neuen Patriotismus lebte die Merkelin bei überraschenden Locke- drücke sich auch eine Art subversive Aktion 10 Norbert Seitz

gegen gängige linksintellektuelle Bedenkenträ- & Co. südländische Begeisterung aufkam, und gerei aus. Weit gefehlt, denn in der F.A.Z. wur- im Stile jubelnder Tifosi Autocorsi und Fah- de längst verkündet, dass das zur Schau gestell- nenmeere zu sehen waren: „Auf deutschen Stra- te nationale Selbst-Bewusstsein nicht einmal ßen ist endlich wieder was los“, freuten sich mehr in den „bedenkenträgerischen Feuilletons damals ergraute Alt-Spontis in der Berliner zu Debatten über die Gefahren der Deutschtü- Kochstraße. Endlich hätten sich die Massen vom melei“ führe. einsamen Besäufnis hinter der Glotze verab- Es fällt auf, dass zur Fußballversöhnung das schiedet und sich „kollektiv im öffentlichen Stigma des ‚Bedenkenträgers‘ längst reihum Raum gefreut.“ Dany Cohn Bendit nannte die verwandt wird und nicht mehr nur gegen den Fahnenschwenker damals „etwas Wunderbares: angeblichen Defätismus des linksliberalen Feuil- So normal sind wir. Wir unterscheiden uns nicht letons. So richtete sich das Klinsmann-Lob von vom Rest der Welt.“ Dagegen standen noch Günter Grass im SZ-Interview am Tag vor dem immer die beißenden Kritiker von Altlinks, die WM-Finale ebenfalls gegen „die bei uns so star- den Jubel über den dritten deutschen WM-Titel ke Fraktion der Bedenkenträger.“ Wen er damit in seine vandalistisch-hooliganistischen Details wohl meinte? zerlegten und darin einen nationalistischen Vor- Die Linke hat ihre Debatte über nationale geschmack auf die nahende Deutsche Einheit WM-Begeisterung längst hinter sich. Erinnert vermuteten. sei an die exemplarische Kontroverse in der TAZ Zur WM 2006 versuchte nur noch einsam 1990 zur WM in Italien, als erstmalig in deut- die GEW in Hessen, sich als Spielverderberin schen Städten nach den Erfolgen von Matthäus in Szene zu setzen und warnte vor der National- Eine Art ozeanisches Gefühl 11

hymne als einem „furchtbaren Loblied auf die seien ein Auslaufmodell, die Zukunft gehöre deutsche Nation“. Wahrscheinlich hätte die Ein- den Global Player Teams im Rahmen einer eu- zelgewerkschaft damit eine Mitgliederkampag- ropäischen Eliteliga. ne starten wollen, wurde eifrig gespottet, wäh- Mittlerweile wissen wir, dass selbst kaum rend in der Auslandspresse Haydns Streichquar- zu leugnende Qualitätsunterschiede zwischen tett – selbst in seiner marschmäßigen Verhun- Ländermatches und Spielen der Champions zung – im internationalen Hymnen-Ranking weit League hingenommen werden, um an der kurz- vorne rangierte. Wen interessierte da noch der zeitig fast schon anachronistisch geratenen In- Text – zumal im Vergleich zu weitaus martiali- stitution ‚Nationalmannschaft‘ festzuhalten. scher formulierten Strophen anderer Teilneh- Der Fußball-Patriotismus hat gewiss viel mit merländer? dem Verdruss des einfachen Fan am globali- Neben den gewerkschaftlichen Sonderlin- sierten Fußballbetrieb zu tun: der FIFA-Total- gen leistete sich zudem noch Albrecht von Lu- herrschaft während der WM und der rückläufi- cke in den ‚Blättern für deutsche und internati- gen Identifikation mit der eigenen Vereinswelt, onale Politik‘ den Negativbefund, die WM wür- wo das auswärtige Schnäppchen noch immer de zum „nationalen Erweckungserlebnis“, ja zum mehr zählt als der einheimische Talentschup- „Initiationsakt des neuen Deutschland“ stilisiert. pen. Auch in der ‚Neuen Zürcher Zeitung‘ fehlte Tissy Bruns schrieb dazu, die über den es nicht an kritischen Untertönen zum „kraft- Sprung in die globalisierte Welt erschrockenen meierischen und bierselig lauten Pop- und Par- Deutschen brauchten zur Orientierung einen ty-Patriotismus“. Denn Deutschland-Korres- Begriff von Nation und Vaterland. Dies gilt ge- pondent Stefan Osterhaus löste dort mit seiner rade auch für den einfachen Anhänger der Welt Polemik gegen Oliver Bierhoffs ziemlich ver- des ökonomisch überdehnten Fußballs. unglückter Parole „Die Welt hat wieder Angst vor uns“ eine Flut von empörten Leserbriefen Der Partycharakter oder das aus. spaßgesellschaftliche Dementi des Nationalen Protestphänomen gegen die Zunächst schien F.A.Z.- Feuilletonchef Frank Globalisierung Schirrmacher mit seiner Vermutung nicht ganz Schließlich gibt es jene, welche die Wiederent- falsch zu liegen, dass man den Fußballtaumel deckung des Nationalen auch als stillen Protest auch als eine hochemotionale Flucht aus der gegen die Tendenzen einer alles verschlingen- ärgerlichen Alltagspolitik interpretieren müsse. den Globalisierung ansehen. Wie schrieb dazu Nicht Fußball und Politik, sondern Fußball statt der amerikanische Soziologe Andy Markowits: Politik lautet hier die Devise: „Das Land erlebt „Der Fußball ist global, der Fan ist es nicht.“ diese Spiele als Befreiung von Politik. Als Be- Der Gefühlshaushalt der Fußball-Anhänger sei freiung von Politik, plus Christiansen plus „total nationalisiert“, auch wenn die Vielfalt der Hans-Olaf Henkel. Es ist wie ein großes Ausat- Farben Supranationalität versprächen. men, wie die Rückeroberung eines öffentlichen Für diesen Befund spricht immerhin, dass Raums.“ sich Ländermannschaften wachsender Popula- Schirrmachers Vermutung steht für die rität erfreuen. Noch in Zeiten der New Economy vielerorts betriebene feuilletonistische Umdeu- um die Jahrtausendwende hatte selbst Trend- tung des nationalen Überschwangs. Manche setter erklärt, Nationalteams waren eifrig um eine analytische Entschärfung 12 Norbert Seitz

bemüht, indem sie den hohen spaßgesellschaft- Psychiater Fritz Simon mochte es lieber ana- lichen Anteil am nationalen Freudentaumel her- lytisch deftig: „In der Masse kann man unterge- vorkehrten oder supranationale Verbrüderungs- hen, mitschwimmen, es entsteht eine Art ozea- szenen auf der Fanmeile priesen. Das Volk habe, nisches Gefühl – im Idealfall, etwa bei einem ganz postmodern, begonnen, mit den nationa- Siegtor von Klose, ist das besser als Sex, ein len Symbolen und Gefühlen spielerisch umzu- Verschmelzungserlebnis, ein öffentlicher Mas- gehen. Nach dieser Interpretation – so England- sen-Orgasmus.“ Dazu schien passend der Korrespondent Jürgen Krönig in der ZEIT – BILD-Balken: „Wir machen weiter! Schwarz- erlebe Deutschland gerade die „Geburt eines rot-geil!“ ironisch-gebrochenen, augenzwinkernden Pa- Auch Kurt Kister wartete in der Süddeut- triotismus“. Partywillen statt Patriotismus? schen Zeitung mit einer höchst originellen Deu- Mancher Betrachter war um keine kalauernde tung jenseits des Patriotischen auf. Das wirk- Wortschöpfung verlegen: ‚Partyotismus‘, ‚Par- lich Neue am „WM-Kirmes“ stelle die Gegen- ty-Patriotismus‘ oder ‚Partykratie‘. bewegung des Public Viewing dar. Sie richte Auch Historiker Hans-Ulrich Wehler wie- sich gegen die vereinsamte Lebensart der Un- gelte ab: Der neue Patriotismus sei nichts ande- terhaltungstechnologie (iPods, Gameboys, Sur- res als eine „Parallelerscheinung zum rheini- fen im virtuellen Netz). Kein neuer Patriotis- schen Karneval“, also eine Form des Hedonis- mus sei hier am Jubeln, sondern das Bedürfnis mus. „mit anderen, auch Unterschiedlichen, eins zu „Vier Wochen Kölner Karneval“, eine schö- sein.“ nere und größere ‚Love Parade‘ habe es in die- Abschließend sei noch Jens Bisky heftig sem Land noch nicht gegeben“, schwärmte ein zugestimmt, der das Wort ‚unverkrampft‘ auf anderer Betrachter. Multikulti, Karneval der den Index haben möchte, bei dem man stets Kulturen und keine Gewalt von Hooligans, Roman Herzogs röhrendes Niederbayerisch im Demos von Neonazis oder polnisch-russische Geiste mithört. Als wenn wir Deutschen ein ‚Prostituiertenflut‘ befand der Zürcher Tages- Volk von lauter frustrierten Trotteln seien, das Anzeiger: „Wunderbare Sommerparty ohne gro- sich permanent in Woody-Allen-Manier Locker- ßen Fußball“. Jens Bisky zitierte sogar den al- heit bescheinigen müsste. ten Goethe. Laut seiner „imponiert sich da die Den schönsten nationalen WM-Satz landete Menge mit sich selbst“. Medienwissenschaftler dagegen – Ehre, wem Ehre gebührt – OK-Chef Norbert Bolz sah darüber hinaus nichts weni- Beckenbauer höchstpersönlich: Jeder solle sich ger als „eine neue Religion der Freude“ herauf- gelegentlich, so wie er, in einen Hubschrauber ziehen. setzen, dann wüsste er endlich, wie schön unser Beim Public Viewing wolle der Mensch sich Deutschland sei. Na also. selbst feiern, kommentierte Fanfest-Initiator Schulke: „Er sucht in einer anonymen, globalen Norbert Seitz, Redakteur und Buchautor zum Gesellschaft das rauschhafte Erlebnis mit einer Thema ‚Fußball und Politik‘. großen Zahl Gleichgesinnter, die alle ein Thema haben. Dann entwickelt sich eine faszinierende Dynamik der Fröhlichkeit.“ Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006 13

Jürgen Reiche

Mythos Rock Politik und Rockmusik

Endlich ist es wieder soweit: Die Rolling Stones tournee in den USA von Philadelphia nach Sta- sind auf Welttournee. Die Fans in Europa, Süd- tesboro/Georgia, von Atlanta nach Florida, als amerika und Asien dürfen sich auf 42 Auftritte das Lied gesungen wurde. Es ist der erste große in 37 Städten freuen. In Boston zahlen die Men- Stones Hit in den USA. ‚Try to make some schen bis zu 400 Dollar, um die legendären women pregnant‘ heißt es in einer Zeile – und Rockopas auf ihrer Tour zu erleben. Neben zahl- die prüde Welt Amerikas bebte. Da ist Protest, reichen alten Songs, neben dem Klassiker ‚You oder man dachte es wenigstens, denn hören konn- Got Me Rocking‘ vom 1993er Voodoo-Lounge- te es niemand so richtig – es war immer vom Album spielen die Stones natürlich auch ‚Hon- Sound überlagert. ‚Cool‘ würde man heute ky Tonk Woman‘ und ‚Jumping Jack Flash‘, vielleicht sagen, denn das Lied insgesamt ist ja aber auch ‚Brown Sugar‘, und ‚Sympathy For auch schon eine gesellschaftliche Anklage ge- The Devil‘ darf nicht fehlen – selbstverständ- wesen, doch irgendwie erinnert alles auch an lich. Mit ‚Sweet Neo Con‘ – Süßer Neokonser- ‚Sweet Neo Con‘ von 2005 – man ist sich of- vativer – macht aber auch vor allem ein neuer fenbar treu geblieben. Aber sind die Stones des- Hit Furore. Es ist sicher ein politischer Song wegen politisch oder unpolitisch oder hat jeder und eindeutig ist er gegen den amerikanischen Protest nicht einfach auch nur seine Zeit? Präsidenten George Bush gerichtet, vielleicht Deutschland erreicht die Rockwelle bereits auch gegen Dick Cheney. ,You call yourself a Mitte der 50er Jahre. Mit Bill Haleys ,Rock Christian/I think you are a Hypocrit‘ heißt es da around the Clock‘ fängt alles an. Legendär sein in einer Zeile. Die Stones auf der Spur von Mi- Auftritt am 26. Oktober 1958 mit seinen Co- cheal Moore? Ist es das, was die Jugend hören mets im Berliner Sportpalast, der die Stimmung will? Öffentlich wurde der Song bislang nicht im Publikum zum Kochen und die Politiker in von den Stones gespielt, aber er kursiert in den Rage brachte. Ein Großeinsatz der Polizei, 50 Medien. Ist der Beitrag deshalb wirklich schon Verletzte und rund fünfzigtausend DM Sach- eine politische Manifestation oder ist alles nur schaden sind die sichtbare Bilanz. Schon 1955 eine billige Public Relation? Waren die Stones hatte die FAZ die rebellischen Jugendlichen als nicht immer Inkarnation des Rebellischen – ‚schlimmer als die Atombombe‘ klassifiziert und Aushängeschild für den frühen politischen Rock der bayerische Innenminister forderte hartes – oder handelt es sich hier um eine gezielte Kam- Durchgreifen, gegebenenfalls ‚mit Brutalität‘ pagne? Wie politisch ist eigentlich der Rock? und ohne ,Humanitätsduselei‘. Dabei hatte sich Es ist schon eine Weile her, da schien Rebel- eigentlich nur Frust und jugendlicher Übermut lion ein eindeutiges Markenzeichen der Stones breit gemacht. Ernsthaft wurde sogar ein radi- zu sein. Die gute alte Vinylschallplatte dreht sich kales Verbot des Rock’n’Roll diskutiert. Die auf dem Plattenteller, die Nadel senkt sich, die Sache aber blieb ohne Ergebnis. Mit Elvis, der Bässe brummen: ‚I can’t get no Satisfaction in Deutschland seinen Wehrdienst absolvierte, (...)‘, das war im Jahr 1965. Die Stones waren hatte die Branche den Deckmantel ihrer schein- seit dem 1. Mai auf ausgedehnter Vorstellungs- baren ,Unschuld‘ bereits auch schon wieder 14 Jürgen Reiche

abgegeben – wenn sie denn überhaupt eine Twist-Hosen. Sie stinken 10 Meter gegen den Unschuld besessen hatte. Legendär ist der Satz Wind. Sie benehmen sich wie die Axt im Walde, des Plattenproduzenten Sam Philips: ‚Könnte als seien sie von der Waldbühne herüber ge- ich doch nur einen Weißen finden, der den Ne- weht worden.“ Erich Honecker erklärte: „Au- gro-Sound und das Negro-Feeling drauf hätte, ßerdem behindern lange Haare den Blick dafür, dann wäre ich bald Millionär‘. Mit Elvis hatte wie sich die Welt entwickelt“ (Rauhut 1993). er ihn gefunden und durch die Militärzeit wurde Offenbar hatte man Angst vor Infektionen. Aber der King of Rock’n’Roll und seine Musik auch auch aus Frankfurt hallte es aus der FAZ herüber für das große Publikum präsentabel. Viele ein- nach Berlin: Typen ‚mit seltsamen affenähnli- gefleischte Fans wandten sich darauf hin von chen ruckweisen Bewegungen‘! Elvis ab. Seiner Popularität und den Umsätzen Interessant auch die Äußerungen linker Ge- der Plattenfirmen hat dieser Coup nicht gescha- sellschaftswissenschaftler, die sich in fragwür- det – im Gegenteil. Rock, Pop, Politik und Wirt- dige Analysen verstiegen. „Ist das die Repres- schaft stehen offenbar in enger Verbindung sion des Alltags innerhalb der Konsumgesell- zueinander. Wenn die Maschine laufen soll, ge- schaft, die Monotonie und Einförmigkeit, auch hören selbst die Krawalle in den Kinos und mangelhafte Bewegungsfreiheit in einer Arbeits- Konzertsälen als ein Stück Marketing dazu. Als welt, die dem noch Einzelnen wenig Möglich- die Rolling Stones erstmals 1965 in Deutsch- keiten zu seiner Entfaltung lässt?“, fragte Klaus land gastierten, war noch einmal für politischen Mollenhauer, Professor der Pädagogischen Zündstoff gesorgt. Nach einem lustlosen kur- Hochschule, vorwurfvoll in die Gesellschaft zen Auftritt am 15. September in der Berliner hinein. Oder ist die Rockmusik und deren Be- Waldbühne explodierte förmlich das Publikum gleiterscheinungen Ausdruck von „Funktions- vor der Freiluftbühne. Frustrierte Fans nahmen verlust, den die Familien in unserer Gesellschaft die Einrichtung auseinender, Steine flogen, ver- erlitten haben“, so sein Kollege Wilfried Gott- einzelte Schlägereien mit der Polizei führten zu schalch. tumultartigen Szenen. Die etablierte Gesellschaft Sicher, die Stones verkörpern die Rebellion fühlte sich bestätigt: Das war keine Kunst, hier der Jugend, gegen die Welt der Erwachsenen – herrschte das Chaos. doch bewusstes politisches Agieren lässt sich daraus nicht ableiten. Zwischen den Grenzen Rock im Wandel Politisch war die Welt damals geteilt, aber in der Abwehr der vermeintlich schleichenden Gefahr Vor 40 Jahren hätten wir glauben können, die destabilisierender Wirkung auf die Jugend in Welt ist eine Scheibe – so stark war die Fixie- Deutschland war man sich einig in Ost und West. rung auf die Musik. Rockmusik kennt keine Bundesrepublikanische Politiker beschwo- Grenzen. Sie ist sinnstiftend, ihre Sprache ist ren drohend den Untergang des Abendlandes international. Rock ist – so war die vorherr- und DDR-Staatschef Walter Ulbricht befand schende Meinung – die Musik, die die Welt lakonisch: „Das mit dem Yeah, Yeah, Yeah, da- verändern und verkrustete Strukturen aufbre- mit muss nun Schluss sein“. Noch im Oktober chen konnte und irgendwie hatten alle Recht. 1965 wetterte das Neue Deutschland gegen die Für viele gilt Rock als musikalische Revoluti- Rockmusik und ihre Fans: „Der Anblick bringt on, aber auch als Katalysator für politisch-ge- das Blut vieler Bürger in Wallungen: verwahr- sellschaftliche Veränderungen, jung gegen alt – lost, lange zottelige, dreckige Mähnen, zerlumpte das ist nachvollziehbar. Provozierend war die Mythos Rock 15

Musik allemal. Doch war Rock auch Synonym Vietnamkrieg, der mit verstärktem militärischen für Freiheit, Identität und Rebellion? Vielleicht Engagement der USA einen ersten zweifelhaf- ja – unabhängig, authentisch und zielgerichtet ten Höhepunkt erreichte: Die Musik richtete sich politisch war sie jedenfalls nur eingeschränkt. wieder an die Jugend und der Krieg wurde als Bei genauerer Betrachtung ist nicht zu über- Generationenkonflikt interpretiert. ,You are old sehen, das hier auch eine Musik kreiert wurde, enough to kill but not for voting/you don’t be- die sich generationenspezifisch an die jugendli- lieve in war, but what’s that gun you are toting?’ chen Massen richtete und die den Markt zu be- heißt es in , of Destruction‘ von Barry Mc herrschen suchte. Von Anfang an war Rock ein Guirre, dem größten Folkrock Hit der frühen Markenprodukt amerikanischen, später auch Kriegsjahre, und Bob Dylan singt in ,I ain’t britischen Kulturexports, ein Produkt weitrei- marching any more‘ von 1965: ,It’s always a chender merkantiler Interessen. Die Musik war old to lead us to war/and always a young to zunächst ein Angebot an die Zielgruppe Jugend fall.‘ Die Lieder waren nicht ausschließlich ge- in Zeiten des Kalten Krieges. Sie entsprach dem gen den Vietnamkrieg gerichtet, sondern vor al- zunehmenden Tempo der Zeit, dem Einsetzen lem Ausdruck von Jugendlichkeit schlechthin gesellschaftlichen Wandels und dem wachsen- und konnten von jungen Soldaten ebenso wie dem Einfluss vor allem Amerikas. Offensicht- von friedlich in eine psychedelische, weltferne lich rebellisch kanalisierte es die Gefühle einer Inhaltlichkeit abgedriftete junge Hippiegenera- Generation Jugendlicher, die noch im Krieg oder tion gesungen werden. Die Sehnsucht nach Frie- der Nachkriegszeit geboren wurden und in der den beherrschte den Markt. Gleichwohl waren Konfrontation mit einer alten Ordnung neue die Appelle Ausdruck tiefer Überzeugung: ,Give Orientierung suchte. Peace a Chance‘. Rock ist in diesem Sinne immer mehr als Dagegen wurde ‚street fighting man‘ von nur Musik gewesen: Er ist Wertorientierung, den Stones zur Untermalung der Demonstratio- Lebensgefühl, Aufbruch und Lebenshilfe mit nen gegen den Vietnamkrieg verstanden, eben Leitbildern von bis , weil er zum richtigen politischen und gesell- von B.B. King bis zu den Rolling Stones – aber schaftlichen Zeitpunkt veröffentlicht worden auch und vor allem ein Geschäft. Politisch mo- war. In diesem Kontext konnte der Rolling tiviert war vor allem die Reaktion und die Re- Stones Song – alleine aufgrund des Titels – als zeption. Aufstachelung zur Gewalt verstanden werden. Wie sehr der Song als politisch wirksames Mit- tel zumindest von den Gegnern der Proteste Politik mit Rock gegen den Vietnamkrieg begriffen wurde, zeigt Gezielt politisch im eigentlichen Sinne und po- sich daran, dass die amerikanischen Radiostat- litisch aussagekräftig wurde der Rock erst mit ionen das Musikstück boykottierten. Nicht den Auftritten von Bob Dylan. Spätestens im zuletzt aus Angst, es könne eine unkontrollier- Juli 1965, bei seinem Konzert auf dem New- bare Mobilisierungskraft besitzen. Die Times port-Festival, als er Folk und Rock zur Einheit ernannte daraufhin den Frontsänger Mick Jag- verschmolz, mit seinen Texten politisch agierte ger zum Symbol der Rebellion. Diesen Titel und auch den Aufbruch gegen die Kommerzia- behielt er bis zur Gegenwart. lisierung in der Welt des Rock propagierte, be- Als Höhepunkt der Entwicklung muss das gann eine neue Ära. Texte mit Aussage und Woodstock-Festival von 1969 angesehen wer- Anspruch schienen danach Pflicht. Eine politi- den, dessen Mythos allerdings erst im Nach- sche Zäsur markierte ebenfalls im Jahr 1965 der klapp kreiert und beschworen wurde. Es blieb 16 Jürgen Reiche

Jimmy Hendrix vorbehalten, mit seiner Demon- kum“, so Reiser. Als Identifikationsmedium ei- tage der amerikanischen Nationalhymne ‚Star ner rebellischen und frustrierten Generation Spangled Banner‘ den politischen Schlussak- waren Ton, Steine, Scherben auch eine begehrte kord des Festivals zu setzen. Woodstock waren Plattform für die junge Partei Die Grünen, mit drei Tage vom 15.-18. August 1969 – danach der sie nicht nur Claudia Roth, die spätere Bun- zerbrach die Koalition von politischer Jugend- desvorsitzende der Grünen, als Bandmanagerin bewegung und Rock. Die populäre Musik zer- verband. Die Jugend der Bundesrepublik fiel in verschiedene Einzelteile und Stilrichtun- Deutschland war politisiert und wurde von en- gen. Vielleicht war Punk der letzte Versuch, die gagierter Musik begleitet. ‚Musik kann zu einer Kommerzialisierung ‚auszuschalten‘ und die Waffe werden, wenn du auf einer Seite der Leu- Musik in den Alltag herüber zu holen. te stehst, für die du Musik machst! Wenn du mit Texten etwas sagst und eine Situation nennst, die zwar alle kennen, die aber jeder vereinzelt in Berlin Kreuzberg als Drehscheibe sich hineingefressen hat, dann werden alle hö- In Deutschland beginnt die Politisierung der ren, dass sie nicht die einzigen sind, die damit Musik in den 70er Jahren als Replik auf die noch nicht fertig geworden sind, und du kannst politischen Ereignisse der 60er Jahre, mit Bands ihnen eine Möglichkeit der Veränderung zei- wie ‚Ihre Kinder‘, ‚Lokomotive Kreuzberg‘ und gen…‘, so O-Ton der ‚Ton Steine Scherben‘ ‚Floh de Cologne‘, aber auch mit Udo Linden- (Schwarze Protokolle 1972). berg und BAP, später den Toten Hosen, die gegen Wiederaufbereitungsanlagen, den Rüs- Treffpunkt Osten tungswahn und für die Hausbesetzerszene ge- rockt und gesungen haben. Blieb ‚Lokomotive ‚Ostrock hören war dagegen irgendwie, wie sich Kreuzberg‘ eher dem Politrock-Kabarett ver- seine Eltern beim Sex vorzustellen‘, lautete ein pflichtet, so ließ ‚Floh de Cologne‘ auch ernst- witziges, aber auch ungerechtes Bonmot über haftes Bemühen um politisches Engagement die DDR Rockmusik. Politischer war die Mu- erkennen, auf das die FAZ im April 1975 no- sik hier in einem ganz anderen Sinne. tierte: ‚Ein Programm, das witzig, satirisch Anders als im Westen war die Entwicklung mitunter auch zynisch aktuelle gesellschaftliche der Rock-Musik in der DDR immer auch ab- und soziale Probleme beschreibt und engagiert hängig von äußeren politischen Bedingungen. Jugendarbeitslosigkeit, Freizeitgestaltung und Sie war deshalb voller Widersprüche und die sogenannte Tendenzwende anprangert‘. schwankte zwischen pseudoliberal und Re- Kultstatus erlangte in der Szene neben Udo Lin- striktion auf der politischen Seite und zwischen denberg – dessen deutsch-deutsches Engage- Anpassung und Rebellion auf der Seite der ment insbesondere hervorzuheben ist – vor al- musikalischen Akteure sowie ihrer jugendlichen len anderen Rio Reiser mit seiner Band ‚Ton, Fangemeinde. Da gerade auch die Rockmusik Steine, Scherben‘. Ihre Songs ‚Macht kaputt ungehindert über Radio und Fernsehen über die was euch kaputt macht’ und ‚Wir streiken‘ führ- Mauer in die DDR gelangen konnte, war sie ten zur Gründung der Deutschen Politrocker politisch relevant und sensibilisiert die Staats- und waren Schlachtgesang nicht nur der RAF, führung in besonderer Weise. sondern auch einer gewaltbereiten Berliner ‚Musik kennt keine Grenzen‘ wurde hier als Hausbesetzerszene: „Wir wohnten im Arbeiter- Kampfansage verstanden und gerade Beat und viertel Kreuzberg und hatten die gleichen Pro- Rockmusik als ‚Instrument imperialistischer bleme und den gleichen Frust wie unser Publi- Massenbeeinflussung‘ von Ulbricht bis Hone- Mythos Rock 17

cker gebrandmarkt. Deshalb war der Rock hier che versagte, gewann die Musik an Gewicht. politisch und auch die Musikszene der DDR Der Westen inspirierte hier und blieb mit den wusste diese Situation zu nutzen. Wo die Spra- Stones, Beatles, , später Bruce 18 Jürgen Reiche

Springsteen, Joe Cocker und all den anderen zeigen, aber bloß nicht anecken, Gefälligkeit, von unangefochtener Bedeutung. Aber auch eine wo eigentlich der schräge Akkord zu hören sein eigene Szene, die dem Rock ein eigenes Gesicht müsste. verlieh, begann sich selbstbewusst zu etablie- ren. Geld und Macht spielten dabei keine oder Ende eines Mythos eher eine untergeordnete Rolle. Noch heute sind die Renft-Combo, Puhdys, Karat oder City Le- Aus dem kleinen Pflänzchen Tonträgerproduk- gende und Titel wie ‚Wer die Rose ehrt‘, ‚Am tion, das 1954 einen Umsatz von etwa 200 Mil- Fenster‘ oder ‚Über 7 Brücken‘ Hymnen, de- lionen Dollar ausweisen konnte, ist bis heute nen eine ganze Generation verbunden blieb. Ge- ein gigantischen Imperium mit über 50 Milliar- zielte politische Aussagen muss man hier zwi- den Dollar Umsatz geworden, und aus der Ton- schen den Zeilen suchen. Hier zählt das bloße trägerbranche eine High-Tech-Industrie. Schon Erscheinen, die Tatsache an sich, dass Rockmu- sind die Weichen für neue Entwicklungen ge- sik Eingang in den DDR-Kulturalltag gefunden stellt. Handy und iPod haben längst die High- hat, schöne Lieder und intelligente Texte. Die Fi-Anlage überflügelt, Computer und Internet offizielle Politik kapitulierte letztendlich vor der generieren immer neue Inhalte und Formate aus Übermacht des westlichen Angebots. Großver- immer denselben Bausteinen. Mit dieser Ent- anstaltungen auch mit westlichen Interpreten wicklung ist auch die Musikindustrie in seiner waren Zugeständnisse an die Jugend, die sich alten Form in die Krise geraten. War der Rock allerdings wenig dankbar zeigte. Dennoch ver- der 60iger Jahren noch eine Emanzipationsbe- suchte man in den offiziellen Selbstdarstellun- wegung, so ist mit den Generationenwechseln gen noch, die westlichen Einflüsse zu verharm- auch eine Entwicklung von Rock zu Pop und losen. von der Rebellion zur Golf-Generation einher- ‚Die Jugendlichen aber hatten mit ihrer Mu- gegangen. Die Industrie sorgt nun nicht nur für sik den politischen Prozess nur vorweggenom- das Marketing, sondern gibt auch noch den Takt men und sich lange vor dem offiziellen Ende an. Sie hat die Musikszene fest im Griff. Die des Sozialismus auf ein Terrain verabschiedet, Stunde der Wahrheit schlug noch einmal nach das von der Macht der Apparate sowieso nicht den Krisen des letzten Jahrzehnts: Irak, Koso- erreicht wurde, auch wenn die das bis zum vo, 9/11, Afghanistan, Palästina und wieder Schluss nicht wahrhaben wollten‘ (Wicke Irak. Vor allem die Terroranschläge vom 1998). 11.09.2001 veränderten auch die Welt der Rock- Bis Mitte der 80er Jahre waren dem Rock musik. Oder bleibt doch alles beim Alten? Nach im Westen die Utopien bereits gründlich ausge- den 60er Jahren hatte man sich der Illusion hin- trieben und man berauschte sich größtenteils an gegeben, die Rockmusik stehe in einer Traditi- sich selbst bzw. an seiner Oberfläche. Mit der on für den Frieden und gegen den Krieg – trotz Wende 1989 bekam noch einmal die östliche aller kommerziellen Interessen und merkantilen Subkultur mit Bands wie einen star- Strategien. Als Neil Young, Woodstock-Vete- ken Anschub. Doch hatte die Entwicklung längst ran und Vietnamkriegs-Gegner, im November ihre Höhepunkte überschritten. Seit den 1990er 2001 mit ‚Let’s Roll‘ in seiner Musik und Kom- Jahren entpolitisiert sich die Szene zusehends, mentaren zur bewaffneten Aktion gegen den trotz aller Live-8-Konzerte und einiger ver- Terrorismus aufrief, war die Friedenstaube zum sprengter politisierter Songtexter. Aus Hausbe- Falken geworden ‚Let’s roll for freedom‘/,Let’s setzern wurden Hausbesitzer, aus ‚Born to be roll for Love‘/,Going after Satan,/on the wings Wild‘ ist ‚Born to be Kind‘ geworden. Gefühle of dove‘/,Are you ready Guys? Let’s roll‘. In Mythos Rock 19

diesen letzten an Ground Control übermittelten und auch an den Siegeszug der CDs; heute ist Worten, mit denen ein Passagier zum Wider- man eines Besseren belehrt. Die Zeiten sind stand gegen die Entführer an Bord des Fluges schwerer geworden – auch für die Akteure des United Airlines 93 aufrief und bewirkte, dass Rock. die Maschine nicht in das Weiße Haus, sondern Das Publikum wird weiterhin wohl nur die in einen Acker stürzte, „hallt das Idiom des Musik zu hören bekommen, die von den größe- Rock’n’Roll wider“, schreibt Dietrich Helms in ren Plattenlabels unterstützt und hervorgebracht einem Essay ‚Pop Star Wars‘: „Der Geist von wird. Und auch wenn vereinzelt von einem ei- Woodstock, der immer noch in vielen Köpfen genen musikalischen Geschmack gesprochen spukte, die Idee, dass Rock für ein friedliches werden kann, so ist es doch weitgehend nur ein Miteinander steht, war endgültig als weltfrem- Spiegelbild der Interessen der Unterhaltungsin- der Wunschtraum entlarvt“. Markiert die Kata- dustrie. strophe vom 11. September wirklich eine Wen- Hat die Musik vorher die Trends vorgege- demarke im Bezug auf die Rockmusik? Kann ben, so versucht sich heute die Plattenindustrie die Musik nur noch als instrumentalisiert gese- dem Geschmack der Hörer anzupassen. Da- hen werden? durch reduziert sich jede Entwicklung auch in Das Verhältnis der Musikinterpreten zur Bezug auf das Verhältnis von Rock und Politik. Politik und zum Geldverdienen ist ebenso am- Die Rockmusik zehrt von ihrem Mythos – bivalent wie das Verhältnis eines Jeden von uns gleichwohl drängen immer neue Hoffnungen zu Geld und politischem Geschehen. Belege auf den Markt. Vielleicht hat Herbert Gröne- dafür gibt es genug. Keith Richard von den meyer recht, wenn er sagt: ‚Bleibt alles anders‘, Rolling Stones steht mit seiner Meinung aber auch hier gilt in einem ganz andern Sinne: sicherlich nicht allein, wenn er heute sagt: ‚Po- ‚Die fetten Jahre sind vorbei‘. litik ist eine spannenden Angelegenheit, aber in Rock-Songs hat sie meiner Meinung nach nichts Jürgen Reiche, Kunsthistoriker und Histo- verloren‘. Mick Jagger sieht die Sache offenbar riker, seit 1993 Ausstellungsdirektor der Stif- pragmatisch. Wem schadet ein wenig Public tung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Relation durch politische Stellungnahmen, auch Deutschland in Bonn. wenn es als Anbiederung an die Massen (miss)- verstanden werden kann? Der Popularität und Literatur dem Verkauf von Stones Titeln nutzt es allemal. ‚A Bigger Bang‘, so der Titel des neuen Al- Helms, Dietrich 2005: Pop Star Wars. In: bums der Stones, bekommt da eine ganz neue ApuZ (Aus Politik und Zeitgeschichte), Beila- Bedeutung. Vor diesem Hintergrund scheinen ge zur Wochenzeitung Das Parlament, 11/2005, auch die im Juli 2005 gestarteten Live-8-Kon- 14. März 2005, 28-34. zerte im neuen Licht. Die Musik(-industrie) Schäfer, Sebastian 2003: Popmusik in der springt auf den fahrenden Zug. Live-Aid von DDR. In: Testcard #12 – linke Mythen, Ventil 1985 war seinerzeit der Globalisierungsdebatte Verlag, 24-30. voraus, heute ist es ein schaler Abgesang, ein Rauhut, Michael 1993: Beat in der Grauzo- Veteranentreffen und auch eine Anbiederung an ne. DDR-Rock 1964-1972 – Politik und Alltag. die Massen: Public Relation ist auch Geld. Basisdruck. Wo liegt nun die Zukunft der Rockmusik? Wicke, Peter 1998: Rock around Socialism. Vor wenigen Jahren glaubte man noch, Kon- In: Baake, Dieter (Hg.), Handbuch Jugend und zepte via Heimcomputer platzieren zu können, Musik. Leske+Buderich. Opladen, 293-305. 20 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Jörg-Uwe Nieland

From Music to Politics or from Politics to Music? Stellungnahmen deutscher Künstler zum Wandel der politischen Popmusik

‚We have to keep our marching Schuldenerlass der 18 ärmsten afrikanischen boots on and hold our leaders Länder (weiteren 20 Ländern sollen in den to account for the promises nächsten Jahren ebenfalls die Schulden erlas- they have made to Africa – sen werden) über die Erhöhung der Entwick- and get them to promise more. lungshilfe für Afrika auf 20 Milliarden Euro The incredible movement we saw (bis 2010 ist eine weitere Aufstockung um 40 gathering around last year’s G8 Milliarden in Aussicht gestellt) bis hin zu der is what will, in the end, Verbesserung der Bekämpfung von Krankhei- win the day.’ ten wie Aids und Malaria durch die Verbilli- Bono 20061 gung der Medikamente bzw. den Zugang zu ihnen. Die Live 8-Konzerte sind also ein klares In- 1 Einleitung diz für die Rückkehr und die Wirksamkeit der Gesellschaftliches Engagement und politischer politischen Popmusik. Tatsächlich erleben wir Protest von Popkünstlern begleiten die Ge- eine neue Welle von Protestsongs: zunächst aus- schichte der Popkultur von Beginn an (vgl. gelöst von den Terroranschlägen des 11. Sep- Denselow 1991). Aus der langen Tradition kön- tembers 2001 und den Reaktionen der US-Re- nen stellvertretend die Unterstützung für die US- gierung (also insbesondere den Krieg im Irak),4 amerikanische Arbeiter- und Bürgerrechtsbewe- dann im US-Präsidentenwahlkampf 2004 als gung, die Anti-Vietnambewegung und die Anti- Unterstützung für John Kerry (vgl. Osang 2004) Atombewegung sowie der Kampf gegen die sowie die Äußerungen etwa von den Rolling Apartheid und für die Menschenrechte in Erin- Stones5, (der Songs von Pete nerung gerufen werden.2 Die Live 8-Konzerte Seeger neu eingespielt hat6); Neil Young am 2. Juli 2005 lieferten das (bislang) sicht- (neuerdings) und Peaches rufen in ihren aktuel- barste Zeichen der Einmischung von Popkünst- len Produktionen sogar zu einem Amtsenthe- lern: Die neun Konzerte, auf denen über 1.000 bungsverfahren gegen Georg W. Bush auf.7 Künstler auftraten, besuchten zwei Millionen Die genannten Beispiele verweisen gleich- Menschen und die weltweite Übertragung ver- wohl auf ein altbekanntes Spannungsfeld der folgten drei Milliarden Zuschauer.3 Die Forde- politischen Popmusik. Einerseits treten politi- rungen der Aktivisten, Konzertbesucher und Zu- sche Popkünstler als Unterstützer und Teil ei- schauer (die unter www.live8live.com ‚ihre Stim- ner sozialen Bewegung auf (‚from music to me abgaben‘ und sich der Bewegung ‚anschlos- politics‘), andererseits organisieren sich Partei- sen‘) sowie die weltweite Aufmerksamkeit führ- en oder Politiker ihr Image und ihre Unterstüt- ten in Verbindung mit dem Besuch des Organi- zung mit Hilfe von Künstlern (‚from politics to sators der Konzerte, Sir Bob Geldof, und des music‘). Simon Firth und John Street (1992) U2-Sängers Bono auf dem G8-Gipfel in Edin- haben dieses Spannungsfeld anhand der Ge- burg zu ersten Beschlüssen im Kampf gegen genüberstellung der Rolle von Popmusikern in Hunger und Armut in Afrika: Vom sofortigen den Bewegungen Rock Against Racism und Red From Music to Politics or from Politics to Music? 21

Wedge in Großbritannien untersucht. Während kampf 2002 herangezogen. Zunächst gilt es zu bei Rock Against Racism die Musiker und Fans beschreiben, was politische Popmusik ausmacht aus der Punk- und Reggeabewegung deutliche und wie ihre Wirksamkeit zu bestimmen ist. Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit (sowie auch für Arbeiterrechte) setzten und somit ei- 2 Politische Popmusik und ihre nen gewichtigen Teil einer sozialen Bewegun- Wirksamkeit gen darstellten, gelang es Labour mit der 1986 gründeten Kampagne Red Wedge nicht, ausrei- In ihrem Buch ‚Entertaining the citizen‘ hat Lis- chend Unterstützung bei den Jugendlichen im beth van Zoonen (2005) auf die Rolle von Un- Wahlkampf gegen Margret Thatcher zu erzie- terhaltungsangeboten für die politische Kultur len8 – und den die Kampagne begleitenden in modernern Gesellschaften hingewiesen.10 Musikern haftete dann erst Recht der Makel an, Dabei hat sie sich nicht nur mit den US-ameri- sich an eine politische Partei ‚verkauft zu ha- kanischen Verhältnissen befasst, sondern die ben‘. britischen Fernsehsendungen Big Brother und Auch in der Bundesrepublik Deutschland Pop Idol als zentral eingestuft. Van Zoonen iden- deuteten die zahlreichen Treffen mit Künstlern, tifizierte Gemeinsamkeiten im Verhalten der die Gerhard Schröder auch im Bundeskanzler- Fans der Fernsehangebote und der Beteiligung amt durchgeführt hat, sowie die Wahlkampfun- der Bürger am politischen Prozess. Sie leitet terstützung, die die SPD (und auch Bündnis’90/ aus ihren Beobachtungen zu den Unterhaltungs- Die Grünen) von Seiten der Intellektuellen und angeboten die These ab, dass ‚gute‘ Unterhal- Künstler erhielten9, eine Verbindung zwischen tung die Basis für eine neue soziale Bewegung Politik und (Pop)Kultur an, bei der die Initiati- abgeben kann. Andere Autoren gehen noch ei- ve von ‚der Politik‘ ausgeht. Hier lassen sich nen Schritt weiter: Sie erklären politische Pop- erste Anzeichen dafür erkennen, dass die Elite künstler zu den neuen ‚Anführern‘ sozialer Be- der Republik ihre ‚kritische Distanziertheit‘ ge- wegungen (vgl. insbesondere die Beiträge in genüber der Politik – so der Befund bei Wolf- Garofalo 1992). ‚With the decline of mass par- gang Rudzio (2003) zum politischen System ticipation in grassroots political movements, und zur politischen Kultur Deutschlands – ab- popular music itself has come to serve as a cata- legt. Diese Entwicklung kann mit ‚Demokratie- lyst for raising issues and organizing masses of gewinnen‘ einhergehen, denn Popkünstler neh- people.‘ (Garofalo 1992: 16f) men als Teil der intellektuellen und künstleri- Popmusik fungiert also nicht nur für den schen Elite eine Scharnierfunktion zwischen der Einzelnen als ‚Resonanzboden‘ bei der Identi- Positionselite (also Politikern, Medienvertretern, tätsfindung, sondern besitzt auch enorme ge- Experten) und der Wertelite ein. Ihre Beteili- sellschaftliche und gesellschaftspolitische Prä- gung ist dann nicht mehr nur musikalische Be- gekraft. In ihr spiegeln sich gesellschaftliche gleitung, sondern vielmehr Themensetting und und kulturgeschichtliche Phänomene – Popmu- Mobilisierung. sik wird zum Soundtrack des Zeitgeists und des Vor diesem Hintergrund fragt der folgende Zeitgeschehens (bspw. Wagner 1999: 6). Damit Beitrag, ob die von Firth und Street eingeführte ist die Frage aufgeworfen, wo ‚das Politische‘ Gegenüberstellung ‚From Music to Politics or in der Popmusik zu suchen ist. Ob von politi- from Politics to Music‘ die Zustände in der Bun- scher Popkultur gesprochen werden kann (und desrepublik noch angemessen abbildet. Als so die Popmusik zum Teil eine Brückenfunkti- Gegenstand werden Äußerungen von zwei po- on für die intellektuellen und künstlerischen Elite litischen Künstlern aus dem Bundestagswahl- zu den gesellschaftlichen Diskursen wahrneh- 22 Jörg-Uwe Nieland

men kann), hängt von einer Reihe von Faktoren nur als netter Pop‘ auf, sondern setzt sich ,geist- ab. Entscheidend ist nicht nur die Äußerung reich mit politischen und gesellschaftlichen The- eines Künstlers (etwa in einem Song, Text, jour- men auseinander‘ (Büsser 2000: 84)11 – bleibt nalistischen Beitrag oder in einem Interview), eine Auseinandersetzung mit anderen Erschei- sondern auch der Kontext. Zum Kontext zäh- nungsformen der politischen Popkultur in len: die Entstehung, die Präsentation, die Re- Deutschland lückenhaft. Selbst die Initiativen zeption, die politischen Einstellungen und Hand- wie ‚Rock gegen Rechts‘ oder gegen Auslän- lungen der Künstler und die Ziele von Projek- derfeindlichkeit sind (erstaunlicherweise) kaum ten und Programmen (Canaris 2005: 32f; vgl. dokumentiert. Dabei hat Michael Schmidt-Sa- auch van Zoonen 2005: 4). Neben den Song- lomon zu Recht betont, dass die Geschichte der texten selbst finden sich in den Feuilleton von Musik eine politische Geschichte ist (Schmidt- FR, FAZ, SZ, taz und Berliner Zeitung und den Salomon 2003). Beginnend in den 1960er Jah- Wochenzeitungen Der Spiegel und Die Zeit und ren werden für die Bundesrepublik Deutsch- verschiedenen Fachzeitschriften in Interviews land in erster Linie die Band Ton, Steine, Scher- oder Berichten über Veranstaltungen und Pro- ben (vgl. die Beiträge in Seidel 2005) und Lie- jekte zahlreiche Hinweise auf die politische dermacher wie Franz Joseph Degenhardt als Haltung von Künstlern. Ausgangspunkte für die politische Musik ge- Während in den Zeitschriften Spex und test- nannt (vgl. Chlada 2003). Seit den 1970er Jah- card sowie einigen pophistorischen und pop- ren sind Künstler bzw. Bands wie Udo Linden- theoretischen Untersuchungen seit den späten berg, Marius Müller-Westernhagen, BAP/Nie- 1990er Jahren der „Diskursrock: Popmusik von decken; aber auch Konstantin Wecker, Nina links“ (Büsser 2000: 84) ‚gefeiert‘ wird – denn Hagen, Die Ärzte und in Sa- hier tritt deutschsprachige Musik ‚nicht einfach chen gesellschaftliches und politisches Engage- From Music to Politics or from Politics to Music? 23

ment ‚unterwegs‘ (insbesondere bei den Anti- Diese Typologie dient im Folgenden als Folie Atomkraft- und den Friedensdemonstrationen). für die Interpretation der Gespräche, die im Som- Anfang des neuen Jahrtausends äußerten sich mer 2002 mit den deutschen Popkünstlern ge- neben den schon erwähnten Vertretern des Dis- führt wurden. Für den vorliegenden Beitrag kursrock (Blumfeld, Tocotronic, Die Sterne) wurden die Gespräche mit Wolfgang Niedecken auch einige Hip Hopper und Bands der so ge- und mit Konstantin Wecker ausgewählt.12 nannten Neuen Neuen Deutschen Welle (etwa Wir sind Helden) zum ‚Zustand der Republik‘. 3 Wolfgang Niedecken: Unterstüt- In den letzten Jahren sind es aber nicht mehr zung des rot-grünen Projektes nur einzelne Songs oder Künstler, sondern auch Produzenten und (Indie-)Labels, die für ein kri- Wolfgang Niedecken und BAP haben neben tisches Klima und gesellschaftliches Engage- Die Toten Hosen, Die Ärzte, Marius Müller- ment sorgen. Westernhagen und Udo Lindenberg in den letz- Auf zwei konkrete Ereignisse lässt sich das ten 30 Jahren durch ihr soziales, politisches und Wiedererstarken der politischen Popmusik zu- auch künstlerisches Engagement die Verbindung rückführen: Zum einen die ‚Anti- bzw. Gegen- zwischen Popmusik und Popkultur maßgeblich Gipfel-Mobilisierungen‘ und zum anderen die geprägt. Eine ausführliche Darstellung und durch die Terroranschläge des 11. Septembers Würdigung des musikalischen und gesell- 2001 hervorgerufenen Veränderungen. Die schaftspolitischen Werdegangs der Gruppe (und Äußerungen und Aktivitäten der Popkünstler ihrer Mitglieder) würde an dieser Stelle zu weit reichten von der Solidarität mit den Opfern über gehen; verwiesen sei auf den Dokumentarfilm das Bekenntnis zu zentralen Werten (etwa der von Wim Wenders Viel passiert – Der BAP- US-Verfassung und den Menschenrechten) bis Film aus dem Frühjahr 2002 sowie die zahlrei- hin zu Projekten gegen Hass und Gewalt. chen Portraits, die im Jahr 2006 anlässlich des Die hier zu beobachtende Vielfalt an Aus- 30jährigen Bandjubiläums erschienen sind. drucksweisen der politischen Popmusik er- Auf die Frage, für welche Form der politi- schwert eine Bestimmung ihrer Wirksamkeit. schen Popkultur Niedecken steht, sind in der Als Hilfestellung bietet sich eine vielfach ver- Hauptsache zwei Ziele zu nennen – nämlich ,So- wendete Typologie an. Demnach kann zwi- ziale Probleme emotional beschreiben‘ und ,Lö- schen sungen für soziale Probleme herbeisingen durch 1. dem Wecken politischen Engagements und Unterstützung von Aktionen‘. Gefragt nach der der Unterstützung für eine Idee; Einschätzung der bisherigen ,Operation Rot- 2. der Stärkung des Wertesystem von Mitglie- Grün‘ (Greyer/Kurbjuweit/Schnibben 2005) dern einer Bewegung; gab Wolfgang Niedecken im Sommer 2002 ,zu 3. der Erzeugung von Zusammenhalt und Soli- Protokoll‘: darität (und ggf. auch Schutz) innerhalb ei- ,Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass ner Bewegung; die Leute immer noch nicht kapiert haben, was 4. der Rekrutierung neuer Mitglieder; wenigstens durch diese Regierung bisher auf 5. der (emotionalen) Beschreibung von sozia- die Reihe gebracht worden ist! Die Haltung: len Problemen (und Unterstützung von Ak- ‚Ist ja auch nicht cool, wenn man sich jetzt zu tionen); der Regierung bekennt‘ finde ich nicht richtig. 6. dem Entgegenwirken von Verzweiflung bei Also ich werde, wo ich nur kann und wenn ich politischen Niederlagen (zit. n. Canaris 2005: gefragt werde, dafür eintreten, dass die Leute 38) unterschieden werden. Rot-Grün noch eine Chance geben.‘ 24 Jörg-Uwe Nieland

Wolfgang Niedecken hatte sich seit dem Welches Maß die Unterstützung der rot-grü- Regierungswechsel an verschiedenen Stellen als nen Politik durch Niedecken erreicht hat, zeigte ,Fischer-Fan‘ geoutet, d.h. er warb für die Un- sich im Bundestagswahlkampf 2002 bei der terstützung des außenpolitischen Konzeptes von Veranstaltung mit den beiden Spitzenkandida- Rot-Grün. ten der Regierungskoalition am 14. September Sein Anspruch lautet: ,Wir dürfen uns mit 2002. „Ein Konzert am Brandenburger Tor, den augenblicklichen Zuständen einfach nicht Musik gegen gesellschaftlichen Mief, gegen das abfinden!‘. Grundlegend für sein Engagement Spießertum, Musik für Liberalität, für ein offe- ist die politische wie künstlerische Eigenstän- nes Deutschland, Musik für Rot-Grün, gegen digkeit: ,Ich habe mich noch an keine Mode- die Konservativen. Es ist, als würde Helmut welle rangeschmissen, an keine politische Par- Kohl noch immer regieren. 20.000 Leute sind tei und gar nichts. Ich versuche, seit ich zum gekommen, junge zumeist. Niedecken heizt an politischen Menschen geworden bin – und das der E-Gitarre, und tritt als Erlöser auf, Rot-Grün ist schon sehr lange her – mich jeden Tag bekommt Gestalt.“ (Geyer/Kurbjuweit/Schnib- wieder neu einzulassen und dahinter zu kom- ben 2005: 213) Um beurteilen zu können, in men: Was ist passiert? Wie ist es denn jetzt? welchem Gewand die politische Popkultur auf Und ich erkenne auch oft, dass ich mich ver- der rot-grünen Wahlkampfveranstaltung daher- tan habe.’ kam, seien noch einmal die Spiegel-Redakteure Konkret nachgefragt zur Rolle der politi- Matthias Geyer; Dirk Kurbjuweit und Cord schen Unterhaltung fällt Niedecken ein ambiva- Schnibben zitiert: „Dann spielt BAP. Es ist gro- lentes Urteil. Zum einen glaubt er, dass die Zeit ßes Theater, eine perfekte Inszenierung. Sie re- der ‚Agitation durch Popmusik‘ und des akti- den sich besoffen, sie singen sich in einen ven Einmischens (,indem man ein Stück zu ei- Rausch. Da ist es wieder, dieses Woodstock- nem Thema macht und damit das Problem aus Ohnesorg-Brokdorf-Gefühl, dieses semipoliti- der Welt schafft‘) vorbei sei – sie hätte es ei- sche Wir-Gefühl der 68er, an dem schon Franz gentlich auch nie gegeben. Anderseits bestimmt Josef Strauß scheiterte und das letztlich auch der Kölner Rockmusiker das ,Wesentliche‘, ,was Helmut Kohl zum Verhängnis wurde. 1998 hat wir Künstler insgesamt – ob Filmemacher, es gereicht, Gerhard Schröder ins Kanzleramt Maler, Musiker – machen können und sollen, zu schubsen, und auch in diesem Wahlkampf ist, dass wir auf die Veränderbarkeit der Zu- geht es letztlich für viele Wähler darum, wel- stände hinweisen, dass wir immer wieder in chen Stallgeruch die beiden Kandidaten haben. Erinnerung rufen: ,Hey, wir müssen das nicht Stoiber riecht immer noch zu sehr nach Strauß.“ akzeptieren, wie es ist!‘ Aber wir dürfen das, (Geyer/Kurbjuweit/Schnibben 2005: 213f) was wir auf der Bühne machen, nicht mit einem Konfrontiert mit der oben zitierten Typolo- Volkshochschulkurs oder mit einem politischen gie zur politischen Popmusik lässt sich der Seminar verwechseln.‘ Auftritt von Niedecken (bzw. BAP) am 14. Wolfgang Niedecken versteht seine Arbeit September 2002 als Mischung verschiedener also hochgradig politisch; seine Wortmeldun- Typen interpretieren. Im Mittelpunkt stand of- gen zu gesellschaftlichen Missständen sind fenbar der Wunsch, ,Zusammenhalt und Soli- überaus zahlreich. Deutlich wurde dies auch darität zu erzeugen‘ (Typ 3) sowie das ,We- Anfang 2003, als sich Niedecken an Demonst- cken von politischem Engagement und Unter- rationen gegen den drohenden Irak-Krieg betei- stützung für eine politische Idee‘ (Typ 1). An- ligte. Als Medienprominenter konnte er hier gesichts des jungen, für Wahlkampfveranstal- glaubhaft eine Position einnehmen. tungen eher untypischen Publikums ging es From Music to Politics or from Politics to Music? 25

sicherlich auch um die ,Rekrutierung neuer ,In den 80er Jahren haben wir noch riesige Mitglieder‘ – wenn Rot-Grün in diesem Fall Antikriegsgeschichten hingekriegt. Da waren als Bewegung gelten kann. Während BAP eher wir im Frieden. Alle standen Hand in Hand: für die ,Stärkung des Wertsystem‘ (Typ 2) zu- Schriftsteller und Künstler – alle waren sie für ständig waren, zielten die anderen Pop-Acts den Frieden. Und jetzt gibt es Krieg, und keine (vor allem Brothers‘ Keepers und Sofaplanet) Sau ist für den Frieden. Das ist für mich so auf die Rekrutierung ab. ernüchternd. Es haben sich viele zurückgezo- gen, viele merken auch, dass es evtl. einen Pu- blikumsschwund bedeutet, wenn man eindeutig 4 Konstantin Wecker: Engagement Stellung bezieht.‘ aus Enttäuschung über Rot-Grün Eindeutiger als andere Künstler kritisiert Konstantin Wecker kann als der politische Lie- Wecker die Medien und auch an den Politikern dermacher Deutschlands bezeichnet werden. lässt er ‚kein gutes Haar‘: Den Politikern ginge Seit den frühen 1970er Jahren prägt er die poli- es offensichtlich nur noch darum ,an die Macht tische Unterhaltung der Republik. Insbesondere zu kommen, ganz egal mit welchen Inhalten’. in der Friedensbewegung engagierte er sich ak- Der Liedermacher weiter: ,Ich meine, die SPD tiv – kaum eine Demonstration, auf der er nicht ist definitiv keine sozialdemokratische Partei auftrat. In den 1980er Jahren kam auch eine mehr und hat sich bis auf einzelne Leute von gewisse Bildschirmpräsenz hinzu, denn Wecker sozialdemokratischen Grundsätzen verabschie- trat regelmäßig in der Kabarettsendung Schei- det.‘ benwischer (ARD) auf. Wecker steht für die Nach Weckers Aussage haben die veränder- politische Popkultur in der Bundesrepublik, da ten politischen Verhältnisse der letzten Jahre (vor er – mit Blick auf die Typologie – ,soziale Pro- allem aber seit dem 11. September 2001) zu bleme emotional beschreibt’ und für die ,Unter- einer Repolitisierung geführt. Nicht nur seine stützung für einer politischen Idee’ sorgt. Texte seien nun (wieder) weitaus politischer,13 Wecker wurde seit seinem Karrierestart eine auch unterstützte er verstärkt die Demonstratio- Nähe zu den Sozialdemokraten nachgesagt. Er nen der Friedensbewegung – in unserem Ge- trat nicht nur auf Demonstrationen, sondern auch spräch nannte Wecker die Anti-Bush-Demo im auf Wahlkampfveranstaltungen auf. Insbesonde- Sommer 2002 in Berlin. re zu Rudolf Scharping besteht ein enger Kon- takt – so ist die aktive Teilnahme am Wahlkampf 5 Klassische politische Popmusik im 1994 zu erklären. Bundestagswahlkampf 2002 Im Gegensatz zu Wolfgang Niedecken ist Konstantin Wecker kein ‚Anhänger‘ von Außen- Wolfgang Niedecken und Konstantin Wecker minister Joschka Fischer: Im Gegenteil, er gibt können als ,klassische Vertreter‘ der politi- ihm eine Mitschuld an der fehlenden gesell- schen Popkultur in Deutschland gelten. Mit schaftlichen Auseinandersetzung mit Krieg und ihrer politischen Musik unterstützen die bei- Gewalt in der bundesdeutschen Gesellschaft. den die Ideen und Haltungen der Friedensbe- Eine Einschätzung, die aufgrund der Tatsache, wegungen und auch der Aktionen gegen Frem- dass die Grünen (auch) aus der Antikriegsbe- denfeindlichkeit. Gerade ihre Positionierun- wegung entstammen, besonders schwer wiegt. gen im Wahlkampf 2002 machen deutlich, Seine Enttäuschung für die geringe Resonanz dass diese klassische Form der politischen der Anti-Irakkrieg-Proteste bringt er auf den Popmusik weiterhin über große ‚Schlagkraft‘ Nenner: verfügt. 26 Jörg-Uwe Nieland

Bezogen auf die Situation in der heißen Wahl- Dies erhöht ihre Glaubwürdigkeit, schränkt kampfphase 2002 lässt sich sagen: Es besteht allerdings die Aufmerksamkeit für ihre Haltung ein indirekter Zusammenhang zwischen der ein. Solidarität, wie sie beim Widerstand gegen die Kriegsgefahr im Irak sichtbar wurde, und dem 6 Fazit Wiedererstarken der politischen Popkultur. Denn in den zwei hier als Grundlage gewählten Inter- Ziel des Beitrages war es, das Wechselverhält- views mit den politischen Künstlern wurde dies nis zwischen ,der Politik‘ und ,der Popkultur‘ als ausschlaggebendes Ereignis angeführt. Nie- von Seiten der politischen Popmusik zu bestim- decken und Wecker gehören zu der Generation, men. Es wurde der Vermutung nachgegangen, die Rot-Grün herbeigesehnt hat und sich für ihr dass sich in diesem Verhältnis eine neue Quali- Zustandekommen eingesetzt hat. Mit dem Auf- tät eingestellt hat und die strikte Trennung zwi- kommen des so genannten ‚deutschen Wegs‘ – schen ,from music to politics‘ auf der einen Sei- also der Nichtbeteiligung Deutschlands am Irak- te und ,from politics to music‘ andererseits über- krieg – vollzieht sich die Trennung. Niedecken wunden werden konnte. gibt dieser Politik ausdrücklich noch eine zwei- Augenblicklich werden neue Formen getes- te Chance – vor allem als Negativabgrenzung tet, die die Unterhaltungsöffentlichkeiten (re-) gegen Stoiber. Wecker hat Fischer und Schrö- politisieren. Ob es aber bereits zu einer Trans- der die Unterstützung entzogen, bei ihm ist Er- formation kultureller Hegemonie kommt, muss nüchterung eingekehrt. derzeit als offene Frage gelten. Wie eingangs BAP – und vor allem Niedecken – haben vermutet, kommt es in den Foren der Popkultur das Angebot, sich am Wahlkampf zu beteiligen, zu Begegnungen auch mit der Politik – ins- angenommen – so war Niedecken am Wahlab- besondere mit Blick auf den Auftritt Niedeckens end 2002 Gast im Willy-Brandt-Haus und fei- bei der Veranstaltung ,Go on! Schröder & Fi- erte die ‚Verlängerung des rot-grünen Projek- scher‘ lässt sich die Tendenz des ,from politics tes‘. Von einer Vereinnahmung Niedeckens to music’ erkennen. Politische Popkultur wurde durch die Politik – so wie es Firth und Street von den ,einschlägig bekannten‘ Künstlern ge- zahlreichen britischen Popmusikern im Zusam- tragen – wobei die Berichterstattung sich auch menhang mit Red Wedge vorgeworfen haben – auf die prominenten Popkünstler kapriziert. kann nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Der Die Wahlforschung hat als zentralen Grund Auftritt von BAP beim Berliner Live 8-Konzert für die Wiederwahl der rot-grünen Koalition 2005 zeigte, dass Niedecken weiterhin glaub- das Themenmanagement der Regierung identi- haft die Anliegen der Bewegung (gegen Hun- fiziert. Dabei wurde vor allem die Behandlung ger, Krankheiten und unfaire Handelsbeziehun- der Themen ,Flutkatastrophe‘ und ,Kriegsge- gen) vertreten und seinen Beitrag für ‚from fahr im Irak bzw. Beteiligung deutscher Solda- music to politics‘ leisten kann. ten‘ als entscheidend angesehen. Wie aus den Von einem ,entertaining the citizen‘ – im Sin- Interviews mit Wolfgang Niedecken und Kon- ne der von van Zoonen herausgearbeiteten Kon- stantin Wecker hervorgeht, waren die Kriegs- vergenzen zwischen Popkultur und Politik – gefahr im Irak genau das Thema, welches eine aber sind sowohl Niedecken als auch Wecker Positionierung der (pop)künstlerischen Elite weit entfernt. Sie drängen keineswegs auf den hervorrief. Die unterschiedliche Positionierung Boulevard, veranstalten kein Spektakel – wie der beiden Künstler zeigt aber auch, dass die dies teilweise bei Michel Moore zu beobachten Repolitisierung der Popkultur nicht als ge- ist und heftig kritisiert wurde (vgl. Misik 2005). schlossene Bewegung mit einem gemeinsamem From Music to Politics or from Politics to Music? 27

Politikbegriff oder einem gemeinsamen politi- 3Die Konzerte, die Anliegen der Organisa- schen Programm zu beschreiben ist. Erweitert toren und die Reaktionen auf dem G8-Gipfel man den Blick über die ‚klassischen Vertreter wurden ausführlich in den Medien präsentiert der politischen Popkultur‘ hinaus, dann fällt und kommentiert. Außerdem dokumentierten außerdem das Fehlen eines integrierenden The- mehrere DVD-Boxen (erschienen bei EMI) das mas sowie einer durchgängigen künstlerischen Ergebnis. Ausdrucksform auf. Auch hat die Revitalisie- 4Vgl. Osang 2002; Büsser 2004; Phleps rung der politischen Popkultur in Deutschland 2004a; 2004b. nicht die Bedeutung und die Kanäle, wie dies 5In ,Sweet Neo-Con auf dem im Sommer nach dem Kriegsausbruch im Irak zu beobach- 2005 erschienenen Album ,A bigger Bang‘ ten war: Dietrich Helms und Thomas Phleps (EMI) heißt es: ,You call yourself a Christian / (2004: 9) verweisen darauf, dass innerhalb we- I think you are a hypocrite / You say you are a niger Tage des März 2003 Hunderte von Anti- patriot / I think you are crock of shit.‘ Und im kriegessongs im Netz zu finden waren. Ihrer Refrain singt Jagger: ,How come you’re so Meinung nach hatte die Popmusik zu diesem wrong / My sweet Neo-Con?‘ Zeitpunkt einen Weg gefunden, ,der sie an der 6 Der Titel des Albums lautet ,We shall over- Ignoranz der Tonträger produzierenden Medi- came. The Seeger Seesions‘ (Sony/BMG). enriesen und des mainstraimigen Format-Ra- 7Neil Young gab seinem 2006 veröffentlich- dios vorbei zum Publikum führte‘.14 ten Album den Titel ,Living with war‘ (Reprise In der Bundesrepublik Deutschland bewegt Records/Warner Music). Dass Young hier über sich politische Popmusik weiterhin hauptsäch- die Lügen des US-Präsidenten singt, besitzt des- lich auf traditionellen Wegen – trotz der unter- halb eine so hohe Brisanz, da er nach den An- schiedlichen Positionen und Aktionen von Nie- schlägen des 11. September mit ,Lets roll‘ den decken und Wecker. Und weil die Integrität von Passagieren der vierten entführten Maschine ein Künstlern wie Niedecken so hoch ist, steht (musikalisches) Denkmal setzte und daraufhin kaum zu befürchten, dass es zu einer Verein- mit den Kriegsbefürwortern in Verbindung ge- nahmung der politischen Popkultur durch die bracht wurde. Peaches CD aus dem Sommer Politik kommt. ‚From music to politics‘ hat also 2006 trägt den Titel ,Impeach My Bush‘ (XL auch hierzulande eine Zukunft – auch und gera- Recordings). de in Hinblick auf die eingangs von Bono zi- 8Erst knapp zehn Jahre später gelang die tierte Hoffnung. Vereinnahmung von Musikern durch ,die Poli- tik‘: Tony Blair gewann zahlreiche Vertreter des Jörg-Uwe Nieland ist wissenschaftlicher Britpop (z.B. Oasis, Blur) für seinen Wahlkampf. Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. Zwar stellte sich nach der Wahl Blairs bei den Musikern eine große Enttäuschung ein (vgl. Harris 2003), aber der Imagegewinn für Blair Anmerkungen war enorm. Dieses positive Bild trübte sich 1Das Zitat stammt aus Bono’s Kommentar allerdings schnell und nachhaltig, als Blair den der RED-Edition der britischen Tageszeitung Kurs von US-Präsident Bush im Irakkrieg un- The Independent vom 16. Mai 2006 (Titel des terstützte. Kommentars: ,I am a witness. What can I do?‘). 9In den Bundestagswahlkämpfen 2002 und 2Vgl. Denselow 1991, Reebee Garofalo 2005 wurden in zahlreichen Tageszeitung ganz- (1992). Für die 1980er Neal Ullestad (JAHR ), seitige Anzeigen mit den ,Unterstützer-Portraits‘ grundsätzlich Street 1997. von der SPD geschaltet. Außerdem gab es in 28 Jörg-Uwe Nieland

den ,heißen Wahlkampfphasen‘ auf der SPD- Literatur Internetseite jeden Tag ein neues Statement ei- Büsser, Martin 2000: Popmusik. Hamburg: nes Unterstützers bzw. einer Unterstützerin. Rotbuch Verlag. 10In den USA hat die Serie West Wing auf- Büsser, Martin 2004: Der neu erstarkte Un- grund der Vermischung von Fiktionalität und derground. New York-Hype und US-amerika- Bezügen zur (realen) Politik des Landes für eine nische Independent-Strömungen vor dem Hin- neue Qualität der politischen Unterhaltung ge- tergrund des 11. September. In: Helms, Diet- sorgt (vgl. Nieland 2002; van Zoonen 2005) – rich/Phleps, Thomas (Hg.), 9/11 – The world’s mit der Serie Kanzleramt hat das ZDF im Jahr all out of tune. Bielefeld: transcript, 45-56. 2005 (erfolglos) versucht, das Konzept von West Canaris, Ute 2005: Dienerin, Gefährtin oder Wing auf die bundesdeutschen Verhältnisse zu Wegweiserin? Was Musik mit Politik zu tun übertragen (vgl. Dörner 2006). hat. In: Canaris, Ute (Hg.), Musik // Politik. 11Zum Diskursrock werden insbesondere die Texte und Projekte. Bochum: Kamp, 21-48. Vertreter der so genannten ,Hamburger Schule‘ Canaris, Ute (Hg.) 2005: Musik // Politik. (bspw. Die Goldenen Zitronen, Blumfeld, To- Texte und Projekte. Bochum: Kamp. cotronic, Die Sterne) ,gerechnet‘, hinzukommen Chlada, Marvin 2003: Radikal wie Degen- auch HipHop-Bands wie Wahre Schule, Abso- hardt. Im Gespräch mit Hannes Loh/Ex-Anar- lute Beginners (bzw. inzwischen Beginner) und chist Academy. In: Chlada, Marvin/Dembowski, Mastino; vgl. Büsser 2000: 84. Gerd/Ünlü, Deniz (Hg.), Alles Pop? Kapitalis- 12Die hier verwendeten Interviews sind Teil mus & Subversion. Aschaffenburg: Alibri Ver- des empirischen Materials, welches im Rahmen lag: 84-90. meiner Dissertation verwendet wurde (Nieland Denselow, Robin 1991: The beat goes on. 2005). Neben den Interviews mit Niedecken Popmusik und Politik. Geschichte einer Hoff- und Wecker ist in der Arbeit auch ein Gespräch nung. Reinbeck: Rowohlt. mit Christoph Schlingensief enthalten. Da sich Firth, Simon/Street, John 1992: Rock Against der vorliegende Beitrag auf die politische Pop- Racism and Red Wedge. From Music to Poli- musik konzentriert, wurde dieses Gespräch nicht tics, from Politics to Music. In: Garofalo, Ree- berücksichtigt. bee (Hg.), Rockin’ the Boat, Cambridge: South 13In unserem Gespräch nannte Wecker als End Press, 67-79. Beispiel eine weitere Strophe seines ,Willi-Lie- Garofalo, Reebee 1992: Popular Music and des‘: Hier erklärt er (dem ermordeten Freund) the Civil Rights Movement. In: Garofalo, Ree- die Zustände in Afghanistan nach dem Angriff bee (Hg.), Rockin’ the Boat. Cambridge: South der USA. Vgl. außerdem das 2006 von Kon- End Press, 231-239. stantin Wecker veröffentlichte Album ,Politi- Garofalo, Reebee (Hg.) 1992: Rockin’ the sche Lieder‘ (Global Musicon/Sony-BMG). Boat. Mass Music & Mass Movements. Cam- 14 Vgl. zur Diskussion über eine ‚Deutsch- bridge: South End Press. quote‘ im Radio bspw. Nieland 2005. Geyer, Matthias/Kurbjuweit, Dirk/Schnib- ben, Cordt 2005: Operation Rot-Grün. Ge- From Music to Politics or from Politics to Music? 29

schichte eines politischen Abenteuers. München: Phleps, Thomas 2004b: 9/11 und die Fol- DVA. gen in der Popmusik II. O-Töne. In: Helms, Harris, John 2003: The Last Party. Britpop, Dietrich/Phleps, Thomas (Hg.), 9/11 – The Blair and the demise of englisch rock. London/ world’s all out of tune. Bielefeld: transcript, 109- New York: Fourth Estate. 130. Helms, Dietrich/Phleps, Thomas 2004: Edi- Rudzio, Wolfgang 2003: Das politische Sys- torial. In: Helms, Dietrich/Phleps, Thomas tem der Bundesrepublik Deutschland. Opladen: (Hg.), 9/11 – The world’s all out of tune. Biele- Leske+Budrich. feld: transcript, 7-10. Schmidt-Salomon, Michael 2003: Die Ver- Misik, Robert 2005: Genial dagegen. Kriti- hältnisse zum Tanzen bringen … Über Musik sches Denken von Marx bis Michael Moore. & Politik. In: Chlada, Marvin/Dembowski, Berlin: Aufbau-Verlag. Gerd/Ünlü, Deniz (Hg.), Alles Pop? Kapitalis- Nieland, Jörg-Uwe 2002: Fiktionalisierung mus & Subversion. Aschaffenburg: Alibri Ver- der politischen Kommunikation: Zwischen stra- lag, 60-83. tegischem Kalkül und Entleerung der Politik. Seidel, Wolfgang (Hg.) 2005: Scherben. In: Baum, Achim/Schmidt, Siegfried J. (Hg.), Musik, Politik und Wirkung der Ton, Steine, Fiktion und Fiktionalisierung. Konstanz: UVK, Scherben. Mainz: Ventil Verlag. 499-513. Street, John 1997: Politics and Popular Cul- Nieland, Jörg-Uwe 2005: Popkulturpolitik ture. Philadelphia: Temple University Press. als Antwort auf die Krise der Musikindustrie. Street, John 2002: Bob, Bono and Tony B.: In: Friedrichsen, Mike (Hg.), Deutschquote im the polular artist as politician. In: Media, Cultu- Radio. München: R. Fischer, 77-98. re & Society, Vol. 24, Number 3, 433-441. Nieland, Jörg-Uwe 2006: Pop und Politik. Wagner, Peter 1999: Pop 2000. 50 Jahre Zur Annäherung zweier Sphären in der Medi- Popmusik und Jugendkultur in Deutschland. engesellschaft. z.Zt. unveröffentlichte Disser- Das Begleitbuch zur zwölfteiligen Sendereihe tation an der Universität Duisburg-Essen. des WDR in Co-Produktion mit den Dritten Osang, Alexander 2002: Das letzte Aufge- Programmen der ARD. (Hg. und Projektleiter bot. In: Der Spiegel, 48/2002, 106-112. S. Kloss) Hamburg: Ideal Verlag. Osang, Alexander 2004: Der Wahlkampf der Zoonen van, Liesbet 2005: Entertaining the E-Gitarren. In: Der Spiegel 42/2004, 184-188. citizen. When politics and popular culture con- Phleps, Thomas 2004a: 9/11 und die Folgen verge. Lanham u.a.: Rowman & Littlefield Pub- in der Popmusik I. Ton-Spuren. In: Helms, Diet- lishers. rich/Phleps, Thomas (Hg.), 9/11 – The world’s all out of tune. Bielefeld: transcript, 57-66. 30 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Alexander Zollondz

Hip Hop – durch Ausgrenzung zum Erfolg? Interview mit Hannes Loh und Murat Güngör

Es gibt wohl kaum eine andere Jugendkultur, Kunsttanz, weil die auf extreme Körperbeherr- die sich so großer Popularität erfreut wie Hip schung, Akrobatik und Training angelegten Hop. Andere Jugendkulturen wie die Punks, Bewegungen der Breakdancer Achsen und Zen- Hippies oder Mods haben ihre Hochphasen tren überall im Körper vorstellbar machten.2 längst hinter sich gelassen, sie erreichen Besondere Bedeutung hatte auch der Hip Hop- lediglich durch regelmäßige Revivals noch die Film Wild Style. Der Film, der die Geschichte Massen, während sich Hip Hop als globale des puertoricanischen Writers Zoro in der Bronx Popkultur dauerhaft etabliert hat. Was macht erzählt, wurde zum Dokument für den Lebens- den Erfolg dieser Kultur aus und wie hat sie stil Hip Hop, obwohl er eine rein fiktive Ge- sich seit ihren Anfängen verändert? schichte darstellt. Hip Hop, heißt es von nun In einem Interview standen die Autoren an, ist nicht nur eine neue Art zu tanzen, Musik Murat Güngör und Hannes Loh diesen Fragen zu machen oder zu malen. Hip Hop ist Pop und Rede und Antwort. Güngör und Loh haben sich Pop ist Leben. Hip Hop ist keine Scheinwelt, in vor allem mit der deutschen Hip Hop-Szene die man abtaucht, um das eintönige Leben zu beschäftigt. In ihrem Buch ,Fear of a Kanak vergessen, sondern ,realworld‘, so Klein und Planet‘ zeichnen sie die Erfolgsgeschichte des Friedrich.3 deutschen Hip Hops nach und beschreiben, wie Es sind Filme wie ‚Wild Style‘ oder auch sich die Rapkultur in Deutschland von einer ‚Beat Street‘4, die Hip Hop als Straßenkultur offenen, grenzübergreifenden, migrantisch ge- zeigen, in der das Ghetto zentralen Stellenwert prägten Szene in Aufbruchstimmung in eine einnimmt. Seitdem ist es zur schier unerschöpf- Mittelstandskultur verwandelt hat, ausgedrückt lichen Bildfigur geworden, die für Angst, Hoff- im kommerziell erfolgreichen und von der nungslosigkeit, Gewalt, aber auch für Erfolg, Musikindustrie erfundenen Konzept des Befreiung und neue Möglichkeiten stehen kann.5 Deutschraps. Für Loh und Güngör steht Im kommerziell wohl erfolgreichsten Genre des Deutschrap für eine Ausgrenzung jener Stim- Raps, dem Gangsta Rap, wird das Ghetto zen- men, die Hip Hop in Deutschland mitgeprägt traler Ort der Inszenierung des Rappers als haben. In ihrem Buch sind sie sogar noch wei- Kämpfer, der von Drogenkriegen, rassistischen ter gegangen und behaupten: Nationalistische Polizei-Übergriffen, dem harten Leben im Ghetto Töne sind im Hip Hop keineswegs tabu mehr, berichtet, Drogenkonsum glorifiziert und Frau- wenn linke und multikulturelle Inhalte und Ver- en als reine Objekte sexueller Vorlieben ansieht, weise nicht mehr anzutreffen sind. als allzeit bereite ‚bitches‘.6 Vor dem Siegeszug des deutschen Sprech- Nach dem kommerziellen Boom, den Hip gesangs wurde Hip Hop hierzulande aber zu- Hop hier in Deutschland erlebt hat, hat sich auch nächst als Breakdance Anfang der 1980er Jah- eine Form von deutschem Gangsta-Rap entwi- re infolge der Kommerzialisierung der ameri- ckelt, der sich neben und den Sport- kanischen Rapmusik angeeignet. Wie die Wand- freunden Stiller ganz oben in den Charts findet. malereien des Graffiti1 die bildende Kunst re- In seinem Song ,Mein Block‘ definiert der Ber- volutionierten, revolutionierte Breakdance den liner Rapper das Märkische Viertel, eine Hip Hop – durch Ausgrenzung zum Erfolg? 31

Berliner Trabantenstadt, als Ghetto, das all jene gung der einzelnen Elemente, so dass die Triade ausschließt, die nicht Teil seines Viertels voller Rap, Breakdance und Graffiti, die wir in den ,Drogen, Nutten und seiner Gang sind‘, sprich: Filmen Wild Style und Beat Street hatten, so Jene, die ein nicht so ,hartes‘ Leben führen wie deutlich heute nicht mehr vorhanden ist. der Gangsta-Rapper, der um Authentizität kämpft. Auch um diese neue Entwicklung in Güngör: Spannend ist daran, dass Hip Hop der deutschen Hip Hop-Szene drehte sich das eine sehr offene Kultur ist, also von Anfang Gespräch. andere Elemente mit aufgenommen hat. Hip Hop ist zu verstehen als eine Collage, in der unter- Zollondz: Rappen, Djing (Musik auflegen), schiedliche kulturelle Traditionen aufgenommen Breakdance und Graffiti sind die vier Säulen werden und daraus etwas Neues entsteht. des Phänomens Hip Hop. Wie hat sich Hip Hop seit seinen Anfängen in Bezug auf diese Be- Loh: Einerseits drückt sich Hip Hop lokal, standteile verändert? sehr individuell aus und andererseits benutzt er eine Form, die in New York entstand und eben Güngör: Das entscheidende Merkmal ist, ein globales Phänomen ist. Im Rock’n’Roll da- dass sich Hip Hop innerhalb dieser 20 Jahre gegen drückt sich in England, in Amerika, in von einer Sub- zu einer Mainstream-Kultur ent- Deutschland überall ein sehr ähnliches Lebens- wickelt hat. Hip Hop-Hochglanzmagazine oder gefühl aus, aber nicht mit dem postmodernen Reportagen, die man im Fernsehen verfolgen Potential, patchwork-artig zu arbeiten wie Hip kann, das gab es in den Anfängen nicht. Infor- Hop. Das macht es zum Beispiel möglich, dass mationen über die Kultur musste man sich in türkischer Rap in Deutschland entsteht und nicht mühseliger Arbeit über Kontakte beschaffen. in der Türkei. Gleichzeitig trifft Hip Hop immer Über Leute in den Plattenläden oder auf Partys, wieder auf die sozialen, kulturellen Umstände Jams (Wettbewerbe) oder in Jugendhäusern hat des Landes oder die speziellen Minderheiten in man all die Informationen bekommen, die not- diesem Land. Hip Hop wurde immer zuerst von wendig waren, um in dieser Kultur überhaupt Leuten aufgenommen, die am Rande der Ge- aufgehen zu können. Heutzutage ist es dagegen sellschaft standen. In der Bronx haben die Leu- ganz einfach, über die Hip Hop Zeitschrift Juice, te alles selber gemacht, den Strom von der Lei- VIVA und MTV an Information zu gelangen. tung gezapft, die Anlage gebastelt und Musik Der Kontakt zur Kultur hat sich komplett ge- gemacht, das war attraktiv und neu. Danach wandelt. haben sich die Leute die Originale nach Man- hattan geholt. Ein ähnliches Phänomen ist diese Loh: Wir haben eine große Rap-Szene, aber Situation mit diesem Straßenrap oder Gangsta- auch eine sehr große autonome Breakdance- Rap um Berliner oder Frankfurter Rapper, wo Szene, die sich selbst organisiert, die auch mit Mittelstandsjugendliche aus einem bürgerlichen den Strukturen der Rap-Szene gar nicht mehr Viertel in Köln nach Berlin in einen sozialen so viel zu tun hat. Dasselbe ist im Graffiti der Brennpunkt wandern, weil das attraktiv ist. Das Fall, wobei man vielleicht auch sagen kann, dass ist natürlich eine interessante Entwicklung – die ähnlich wie Rap sehr in den Mainstream diese Faszination, die Hip Hop immer wieder eingegangen ist, wenn man sich die Schriftzüge auslöst. anschaut, die inzwischen auf jedem C&A-Pull- over zu finden sind. Es gibt einen kommerziel- Güngör: In vielen Jugendkulturen ist immer len Boom und gleichzeitig eine Verselbständi- das Moment der Bewegung drin, das Infrage- 32 Alexander Zollondz

stellen von herrschenden Strukturen, wie zum Loh: Es gibt im Hip Hop diesen starken Beispiel bei den Halbstarken oder im Punk. Im Diskurs um einen bewussten Umgang mit pa- Hip Hop ist das anders. Nicht die Infragestel- triarchalen, kapitalistischen, ausbeuterischen lung der Gesellschaft steht im Vordergrund, son- Strukturen, der ist aber von außen heran getra- dern genau das Gegenteil: das Ankommen und gen und unglaublich marginal. Was eben damit die Teilhabe an der gesellschaftlichen Partizipa- zu tun hat, dass Hip Hop eine Kultur ist, die tion. Erfolgreicher Rap ist die Eintrittskarte zu einen Teil vom Kuchen haben will. Kapital, Anerkennung und Konsum. In Zeiten von Hartz IV und fehlenden Aufstiegschancen Zollondz: Hip Hop entstand also in Ameri- für Jugendliche stellt Rap eine Möglichkeit des ka, als ganze Stadtteile verarmten und einer Aufstieges dar. Ghettoisierung zum Opfer fielen. Aus diesem Zustand heraus entstand Hip Hop, indem Afro- Loh: In den Videos fahren die Leute mit di- amerikaner ihre eigene Kultur organisierten. Wie cken Autos, tollen Frauen und Klamotten her- hat sich Hip Hop in Deutschland entwickelt, um, schmeißen mit Geld um sich. Wo der Un- vor allem vor dem Hintergrund, dass Migran- derdog aus dem Märkischen Viertel, Sido, rappt: ten daran einen großen Anteil haben? ,Ich leb’ noch im Loch, doch bald im Loft‘, ist das keine Rebellion mehr, es ist ein Ausdruck Güngör: Vor zwanzig Jahren, als diese Sze- von: ‚Ich will Konsum, ich will Partizipation, ne hier aufgebaut wurde, gab es ein Gefälle ich will das, anders als der Sohn vom Arzt oder zwischen Stadt und Land. Es gab keine Kon- Rechtsanwalt, der sagt: Ich bin der Punk, weil takte untereinander. Viele Migranten, die in den dieser ganze großbürgerliche Luxuskram mir Städten lebten, haben diese Kultur erst einmal auf den Sack geht. Ich wasche mich nicht mehr, publik gemacht. Aber jetzt darf man nicht den färbe mir die Haare, saufe Bier und höre Terror- Fehler machen und denken, dass das nur Mig- gruppe‘. ranten waren und keine Deutschen. Man hat auf diese ethnische Unterscheidung erst einmal kei- Zollondz: Gibt es denn ähnlich wie im Punk nen Wert gelegt. Allerdings: Ein sehr großer eine Subkultur, die noch nicht im Mainstream Anteil waren Migranten. Man konnte das auch aufgegangen ist? an den Breakdancern in den Fußgängerzonen sehen: Das waren in erster Linie Migranten. Loh: Hip Hop hat nie was gegen den Main- Die ersten Gehversuche, in Form der deutschen stream gehabt, Hip Hop wollte immer in den Sprache zu rappen, wurden von Afrodeutschen Mainstream. Es gab mal eine Mainstream-De- unternommen. Torch8 aus Heidelberg, der der batte Anfang der 1990er Jahre, die auch schnell Hip Hop-Gruppe Advanced Chemistry ange- zu Ende war. Wenn Du Rapper heute fragst: hörte, war der Erste, der in Deutsch freestylte. ,Was ist dein größtes Ziel?‘ kommt als Antwort: Das war vorher nicht möglich gewesen. Rap- ,Mal in der Bravo zu sein.‘ Das Subkultur-Ver- sprache war in Deutschland nämlich zuerst Eng- ständnis im Hip Hop ist ein ganz anderes als im lisch. Es hat sich niemand an die deutsche Spra- Punk. che herangetraut, weil sie als uncool galt. Von Seiten der Afrodeutschen und Migranten war Güngör: Hip Hop war von Anfang im Main- das Deutsche die Sprache, mit der man Rassis- stream drin. Einer der ersten Hip Hop-Songs mus und Unterdrückung in Verbindung brach- von Sugarhill Gang7 war ein weltweiter Mega- te. Damit wollte man erst einmal nichts zu tun hit. haben. Hip Hop – durch Ausgrenzung zum Erfolg? 33

Zollondz: ist der Anteil der Migranten in Kategorie nicht mehr vorkamen und kommerzi- der Hip Hop Kultur heute geringer? ell keinen Erfolg hatten. Meine Theorie ist, dass die spätere Generation – Sido oder B-Tight9 – Güngör: Es gab immer unterschiedliche nicht mehr die Chance hatten, Hip Hop auch Strömungen, die diese Kultur verändert haben. historisch als ihr Ding zu sehen, sondern nur Die Szene, die ich eben beschrieben habe, fiel dadurch Aufmerksamkeit bekommen konnten, in die Zeit der rassistischen Ausschreitungen in vermeintliche Tabus zu brechen, sprich: Homo- Rostock-Lichtenhagen. Danach gab es eine phobie, Sexismus, Rassismus. Dadurch haben Welle der Kommerzialisierung, die Mitte der sie den Fuß in die gutbürgerlichen Kinderzim- 90er Jahre erst richtig losging. Zu dem Zeit- mer gekriegt, sind aber einer Geschichtslosig- punkt wurde das Produkt Deutschrap auch rich- keit anheim gefallen. tig groß; so groß, dass es die Szene massiv veränderte. Gruppen wie Advanced Chemistry, Güngör: Es gibt auch einen Grund, warum die davor tonangebend waren, gingen infolge viele Rapper ihre Herkunft nicht mehr themati- der Kommerzialisierung unter. Es gab heftige sieren, zum Beispiel Bushido10 oder Kool Sa- Auseinandersetzungen innerhalb der Szene, vas11. Ich glaube, das hat auch damit etwas zu zwischen dem Kunstprodukt Die Fantastischen tun, dass Rapper, die ihre Herkunft thematisier- Vier und Advanced Chemistry, die den Fantas- ten, frustriert waren, keine Plattenverträge zu tischen Vier Ausverkauf vorwarfen. Diese Aus- bekommen. Dafür wurden dann aber Tabus ge- einandersetzung raubte der Szene viel Energie. brochen. Spätestens Mitte der 1990er Jahre haben die großen Plattenlabels dann Wind davon bekom- Loh: Die Rollen sind dann aber sehr fest men, dass man mit Hip Hop auch Geld verdie- geschrieben. Du musst dann eben wie nen kann. Das hat dazu geführt, dass das Pro- den ,bösen Araber‘ spielen. dukt Deutschrap auf einmal eine ethnische Komponente bekam. Die Plattenfirmen dach- Güngör: Es sind rassistische Zuschreibun- ten: Gut, wir haben jetzt etwas, das sich ver- gen, wie man sich den ,Kanaken‘ vorstellt: ge- kaufen lässt. Das muss aber mit einer bestimm- fährlich, aggressiv, gewalttätig, drogensüchtig. ten Ästhetik verbunden werden und es müssen Es sind die gleichen rassistischen Strukturen wie ganz bestimmte Rapper sein. Bürgerliche Mit- in Amerika beim Rollenmodell des Pimps12 oder telstandsjugendliche, die aus gutsituierten El- des Gangsters. Man wird zwar sichtbar, aber ternhäusern kamen und spätpubertäre Texte nur in der rassistischen Zuschreibung des Main- schrieben, die beim Publikum ankamen. Kriti- streams. scher oder politischer Hip Hop war nicht mehr maßgebend. Er wurde zurückgedrängt. Es gab Loh: Der große Unterschied zu Amerika ist, zum Deutschrap natürlich eine andere Katego- dass es die selben Klischees und Rollenmodelle rie, das war Oriental Hip Hop. Darunter wur- in der weißen Mehrheitsgesellschaft auch gibt, den dann alle eingemeindet, die eben nicht in aber gleichzeitig gibt es einen starken Diskurs diese Kategorie Deutschrap reingepasst haben. in der afroamerikanischen Diaspora, wo diese Figuren des Pimps oder des Gangsters in den Loh: Beim Deutschrap hat es auch tolle politischen, kulturellen Kontext des Widerstands Gruppen gegeben, das steht außer Frage. Aber eingebunden sind. Das heißt: Sie sind nicht ge- es hatte den Ausgrenzungseffekt, dass Leute, schichtslos. Ein Rapper wie ist nicht die migrantischen Hintergrund haben, in dieser geschichtslos. Die produzieren Videos, wo auf 34 Alexander Zollondz

einmal die Black Panther13 vorkommen, Public Loh: Aber diese Verbindungen und Ausein- Enemy14 zitiert wird oder Martin Luther King andersetzungen haben dazu geführt, dass sich erscheint. Sie reihen sich also bewusst in die die Linken enttäuscht zurückgezogen haben. Wir Erzählung einer afroamerikanischen Wider- haben das mit Anarchist Academy auch erlebt – standstradition ein. In Amerika gibt es also eine die Linken haben Hip Hop nicht verstanden. reaktionäre, aber auch emanzipatorische Ebe- Für die war Hip Hop erst einmal Widerstand. ne, in Deutschland nicht. Deshalb erscheinen Die hatten den kulturellen Background nicht und einem Bushido, B-Tight – wer auch immer – deswegen war oft auch Enttäuschung da. auch so hilflos. Die müssen dieses Ding be- dienen, und wenn sie es nicht machen, sind sie Zollondz: Wie erklärt ihr euch die Populari- draußen. tät des Genres Gangsta-Raps?

Güngör: Sie sind angekommen im ganzen Güngör: Es gibt ein ganz gutes Zitat von Kulturapparat, aber als Individuen, überhaupt Günther Jacob16, dass dieser ganze Drang und nicht als Gruppen-Community. Das Einzige, die Sucht nach Authentischem, nach dem realen womit Du dort andockst, ist das Leistungsprin- Erleben auch mit der Medienlandschaft, mit dem zip. Es geht darum, anzukommen, was zu leis- ,Trash‘, ,Reality-TV‘ und Soaps zu tun hat, die ten und kommerziellen Erfolg zu haben. Das man tagtäglich sieht. Das ist der Nährboden für Problem ist dabei, dass die Linke keinen An- die Suche nach dem Authentischen. Der Gang- schluss mehr an die Jugendkultur hat. Das war starrapper ist ein ,Alphatier‘, der Macht über noch anders in den 1980er Jahren, als man den das Viertel, Frauen und Kapital hat. Er kanali- Jugendlichen und Migranten noch etwas ange- siert die Allmachtsphantasien einer Gesellschaft boten hat. Das siehst Du daran, dass sehr viele im Abstieg. Der voyeuristische Blick auf Macht Hip Hop-Konzerte auch in besetzten Häusern und Sex steht im Vordergrund bei der Populari- stattfanden, es eine Schnittmenge zwischen Punk tät von Gangsta-Rap. und Hip Hop und linker Politik gab. Loh: Die Leute können ihr Leben nicht mehr Loh: Einspruch. Erstmal stimmt es, was Du als spannend und authentisch empfinden und sagst. Aber da fängt das Missverständnis schon suchen den Kick dann in solchen Inszenierun- an. Es gab Verbindungen, aber die standen auf gen. wackligen Füßen, weil sie aufgrund von Miss- verständnissen zusammengekommen sind. Die Güngör: Und gleichzeitig ist das auch ein Linken haben ja zuerst gedacht, NWA15 seien Zeichen für die Verschiebung der Medieninhal- links – was nicht stimmt. Dann dachten sie, te. Man kann auch sagen, dass nicht mehr das Public Enemy seien links – stimmt irgendwie bürgerliche Publikum über diese Inhalte ent- auch nicht. Public Enemy waren antisemitisch. scheidet, also dieses klassische Bildungsfern- Die Linken haben immer gedacht, Ausdrücke sehen, sondern die so genannte Unterschicht afroamerikanischer Künstler seien irgendwie die Inhalte der Medien verändert. erst mal Widerstand. Das war zum Teil richtig, zum Teil war es aus dieser europäisch linken Zollondz: Das Ghetto ist der soziale Ort, Perspektive völlig falsch betrachtet. der im Gangsta-Rap inszeniert wird. Andere Gruppen werden ausgeschlossen. Spielen ei- Güngör: Aber es gab ja trotzdem Verbin- gentlich soziale Marginalisierungen noch eine dungen und Auseinandersetzungen. zentrale Rolle, wenn man ein Rollenmodell Hip Hop – durch Ausgrenzung zum Erfolg? 35

vorleben kann, dem keine Realität gegenüber gefühl holen. Ich habe keinen Job, eigentlich steht? bin ich ökonomisch kastriert, aber ich benutze meine patriarchalische Gewalt, um mir ein Über- Güngör: Was heißt keine Realität gegenü- legenheitsgefühl zu verschaffen, indem ich ber steht? Wenn du dir mal das Video von Azad17 Schwächere verprügele, mich zusammenrotte, ,Phoenix‘ anschaust, wo es um Hierarchien, Gangs bilde, weil ich da stärker bin, vielleicht körperliche Auseinandersetzung und Männlich- auch Familienstrukturen ersetzen kann. keitsdarstellungen geht, das ist die Realität von vielen Kids. Güngör: Diese Jungs können die Vorstel- lungen, die sie oft in sich haben – Familie, Er- Loh: Auch in Sidos ,Mein Block‘ werden nährer zu sein – nicht verwirklichen, weil sie bestimmte Realitäten gezeigt, nämlich die archi- nach der Hauptschule keinen Job bekommen tektonische Realität. Es wird auch eine gewisse und für Frauen als Ernährer gar nicht attraktiv Verrohung gezeigt. Es wird auch indirekt ge- sind. Die Gewalt, die ich dann auslebe, ist ein zeigt, was die Freizeitbeschäftigung der Jugend- Ausdruck totaler Hilflosigkeit. lichen in solchen Vororten wie dem Märkischen Viertel in Berlin ist. Damit wird die Existenz Zollondz: Es gibt aber auch ganz normale solcher sozialer Brennpunkte in den medialen Mittelschichtsangehörige, die diese Musik hö- Diskurs eingespeist. Gleichzeitig wird auch et- ren. Glaubt ihr, dass diese Hörer eher spiele- was ausgeblendet, zum Beispiel der alltägliche risch mit dem Identitätsangebot umgehen? Rassismus, Bildungsprobleme oder Familien- strukturen. Frauen kommen nur als Nutten vor. Güngör: Das ist eher die Projektion davon. Die durchs Schlüsselloch schauen, aber nie Teil Güngör: Es bedient Allmachtsphantasien. davon sein wollen. Die Phantasie, auch Sex, Geld oder eine geile Party haben zu wollen, das, was man eben nicht Loh: Die wollen auch Abitur machen. Die hat, aber in seiner Phantasie ausleben möchte. wollen nicht die Schule schmeißen und sagen, cool, ich bin jetzt wie Bushido. Das ist eine Zollondz: Ist das ein Identitätsangebot, das Phase, die vielleicht ganz normal ist. Irgend- bei vielen Jugendlichen auf Interesse stößt? wann guckst du nämlich, wie du deine Eltern schocken kannst. Und Aggro Berlin-Texte sto- Loh: Gerade für Jungs ist es das ideale Vor- ßen bei so einer 68er-Generation besonders auf. bild. Rede mal mit einem Hauptschullehrer und Da kannst du dich abgrenzen. frag’ ihn mal, was die Schüler für eine Motiva- tion haben. Die wissen alle, dass sie mit einem Zollondz: Wie findet die Aneignung von Hauptschulabschluss keine Perspektive haben. Ghettorap hierzulande denn im Vergleich zu Frankreich statt? Kann man diese als deutschen Güngör: Aber sie wissen: Wenn ich geil rap- Sonderweg beschreiben? pen kann, kann ich auch etwas erreichen, kann ich damit Kohle machen. Loh: Die Community-Strukturen sind hier ganz andere. Du hast eben keine starke migran- Loh: Oder mal vom Rap weg: Ich kann als tische Community, die gleichzeitig auch franzö- Mann immer noch Frauen unterdrücken. Ich sische Staatsbürgerechte hat, sondern eine tür- kann mir über Sex und Gewalt ein Selbstwert- kische, griechische, spanische, kroatische, ma- 36 Alexander Zollondz

rokkanische Community. Diese Communities Loh: Das ist so eine Strategie des Lum- sind untereinander nur ganz lose verbunden. penproletariats, was Marx schon ganz gut ana- Die Communities sind auch nicht geschlossen. lysiert hat. In dem Moment, wo ich auch aus Das ist ein großer Unterschied zu Frankreich den Arbeitsstrukturen raus bin, wo ich verwahr- oder den USA und vielen anderen Ländern. Was lost, arm bin, keine Familienstrukturen mehr aber auch mit der speziellen Einwanderungspo- habe, der Staat mich aufgegeben hat, ich in ei- litik in der Bundesrepublik in den 1950er, 1960er nem Heim oder Viertel auf mich allein gestellt und 1970er-Jahren zu tun hat. Amerika war von bin, da ist man anfällig für reaktionäre Ideen. Beginn an ein Einwanderungsland. Das typi- Da gibt es dann ein politisches Bewusstsein im sche Modell Amerikas ist: Ankommen und Auf- Sinne von: Ich bin hier zusammen mit anderen bauen. In Deutschland ist es eigentlich das Leuten, die in einer ähnlichen Funktion in der Modell: Sesshaft sein, Blut und Boden. Verwertungskette stecken wie ich und noch weiter nach unten treten. Ich gucke dann, was Zollondz: Inwiefern sind neue Formen des ich noch habe. Ich habe meine Hautfarbe, meine Gangsta-Raps vereinbar mit nationalistischer Nationalität. Und dann sage ich, ‚Ich bin stolz Provokation? Ist das das letzte Tabu, was es im Deutscher zu sein‘. Diese ,Rütli-Generation‘ hat Hip Hop noch zu brechen galt? ja nicht mal mehr die Chance, in einem proleta- rischen Arbeitermilieu anzukommen, was von Loh: Fler18 ist eigentlich ein sehr aktueller seiner politischen Bedeutung her ohnehin ob- Trend, da braucht man nur Spiegel TV zu gu- solet geworden ist. Früher war es so: Haupt- cken oder FAZ lesen, also diese Empörung schule, da machst du eine Lehre, oder du lan- darüber, dass wir uns als Deutsche in manchen dest in der Fabrik. Dort konnte man immerhin Gegenden nicht mehr sicher fühlen können. Das einiges Geld verdienen. Aber heute ist nicht mal ist ja genau die Empörung von Fler: Ich bin das mehr drin. Deutscher und Migrant, ich muss mich auch behaupten. Ich bin hier Ausländer, ich muss Güngör: Aber viel eher ist doch das Ent- stolz sein auf Deutschland, das sagt er ja. Und scheidende: Für all die Leute, die vor Über- warum soll er das nicht dürfen? Die dürfen das fremdung Angst haben, kann Fler ein Rollen- ja auch. modell sein. Die können sagen: ,Ey, ich als Deut- scher, ich kann mich hier behaupten.‘ Güngör: Das Verrückte bei Fler ist ja: Auf der einen Seite hat er das Nationalgeschwätz Zollondz: Man übernimmt also ein neues voll drauf, auf der anderen Seite ist es in seinen Rollenmodell und distanziert sich von den El- Texten aber auch gebrochen. Es verweist ja tern? immer darauf, dass er schon immer mit Migran- ten zusammen war, die ihn sehr stark geprägt Loh: Im Straßen-Hip Hop gibt es keine Vä- haben. ter. Wenn, dann gibt es die Mutter und die Mut- ter wird als Heilige stilisiert. Das ist das Mo- Zollondz: Bei den Ausdrucksformen, die er dell, da gibt es keine Abgrenzung gegenüber benutzt – spiegelt sich darin vielleicht auch der den Eltern. Wunsch, in der Mitte der Gesellschaft anzu- kommen? Dieser aufgesetzte Nationalismus, das Güngör: Das ist ja der Wunsch, eine Fami- weiße-männlich-heterosexuelle Geschlechter- lie zu haben. Letztendlich sind die Cliquen nur bild? ein Familienersatz. Das merkst du ganz häufig, Hip Hop – durch Ausgrenzung zum Erfolg? 37

wenn Du mit den Leuten einmal redest, wofür Güngör: Diese Fixierung auf Statussym- die Clique eigentlich steht. Dann hörst du häu- bole, das sitzt einfach. fig: Das ist meine Familie! Zusammenhalt, Stärke und Anerkennung bietet die Clique in Zeiten, Loh: Und es ist auch einfach vom Modell wo sich familiäre Strukturen auflösen. her am attraktivsten für Leute, die keine Pers- pektive haben. Loh: Die Mutter ist immer die Heilige. Die einzige Ausnahme ist in der Geschich- Alexander Zollondz ist Politikwissenschaft- te des Hip Hops. Der einzige Rapper, der seine ler und Journalist. Er lebt und arbeitet in Flens- Mutter beleidigt und begraben hat, ist Eminem. burg. Natürlich hast Du recht: Wenn ich aus gutbür- Hannes Loh arbeitet als Journalist und Leh- gerlichem Elternhaus mit sexistischem Hip Hop rer, war bis 1998 bei der politischen Hip Hop schocke, dann ist Hip Hop mein Punk, aber es Gruppe Anarchist Academy. Er lebt in Köln. ist nicht mein Lebensmodell. Die inszenieren Murat Güngor arbeitete von 1990 bis 1999 ihre Rolle. als MC und Produzent in der deutschen Hip Hop-Szene. Zuletzt tätig als wissenschaftlicher Güngör: Noch eine Sache zu Fler. Was ich Mitarbeiter bei DOMiT (Dokumentationszen- sehr spannend fand, als ich mal die Bravo gele- trum und Museum für Migration) in dem Aus- sen habe, war diese ganze Nationalismus-Dis- stellungs-Projekt „Projekt Migration“. Er lebt kussion im Hip Hop. Da gab es mal eine Leser- in Köln. befragung. Da haben die Jungs und Mädels ganz interessante Leserbriefe geschrieben, um Fler Anmerkungen zu verteidigen: ,Ja, man kann doch mal sagen, dass man stolz auf Deutschland ist; man kann 1Als Graffiti werden alle Bilder oder Schrift- doch mal sagen, dass man Deutscher ist. Das züge im öffentlichen Raum bezeichnet. Graffiti muss man doch nicht immer verbergen.’ Ich glau- ist eine der zentralen Ausdrucksformen des Hip be, dass Fler vielen aus der Seele sprechen kann, Hops. um endlich mal in voller Inbrunst zu sagen: ,Ich 2Klein/Friedrich 2003: Is this real?, S.31f. bin Deutsch‘. Und dadurch vielen Jungs und 3Klein/Friedrich 2003: Is this real?, S.21. Mädels auch ein Vorbild sein kann, endlich mal 4,Beat Street‘ ist ein Breakdance-Film, der stolz auf Deutschland sein zu können. Die Dis- die Geschichte eines Breakdancers aus der kussion hast du im gesamten Pop. Das hast du Bronx in New York City schildert. mit MIA19 im Diskurspop. Es gibt eine breite 5Klein/Friedrich 2003: Is this real?, S.23. Diskussion darüber, einen positiven Bezug auf 6Engl. für Hündin. In der Umgangssprache die deutsche Identität herstellen zu können. Ich eine abschätzige Bezeichnung für ‚Frau‘, im glaube, dass Flers Erfolg auch darauf beruht, Deutschen wird dafür häufig das Wort ‚Schlam- daran anknüpfen zu können. pe‘ verwendet. Im Englischen wird das Wort auch verwendet, um jemand als zickig zu be- Zollondz: Ist der deutsche Gangsta-Rap eine zeichnen. Welle, die irgendwann abebbt? 7Hip Hop-Retortenband, die mit ihrer Sing- le ,Rapper’s Delight‘ einen internationalen Hit Loh: Ich glaube, dieses Straßenmodell Hip landete. Hop wird das Dominierende bleiben. 38 Alexander Zollondz

8Deutsch-haitianischer Hip Hop-Pionier aus Auswahl-Discographie Heidelberg. Mit bürgerlichen Namen Frederik Advanced Chemistry 1992: Fremd im eige- Hahn. nen Land, MZEE. 9Deutsch-amerikanischer Rapper, der beim Afrika Bambaataa & The Soul Sonic Force Berliner Hip Hop Label Aggro Berlin unter Ver- 1983: Looking For The Perfect Beat, Tommy trag steht. Aggro Berlin ist auch das Plattenla- Boy. bel von Sido. Anarchist Academy 1994: Anarchophobia, 10Deutsch-tunesischer Rapper aus Berlin. Tribehaus. 11Deutsch-türkischer Rapper aus Berlin. A Tribe Called Quest 1990: Peoples’s In- 12Der Pimp (engl. = Zuhälter) ist eine Stilfi- stinctive Travels And The Paths Of Rhythm, gur der afroamerikanischen Popkultur. Zuhälte- Jive. rei und Prostitution wurden infolge fehlender Azad 2006: Game Over, Universal. Aufstiegsmöglichkeiten der schwarzen Bevöl- Beastie Boys 1989: Paul’s Boutique, Capi- kerung exzessiv zur Schau gestellt, was sich tol. u.a. in teurem Schmuck, Pelzmänteln und in der Boogie Down Productions 1988: By All Kleidung ausdrückte. Der Lebensstil des Pimp Means Necessary, RCA. ist frauenverachtend. De La Soul 1989: 3 Feet High And Rising, 13Afroamerikanische Bürger- und Selbst- Tommy Boy. schutzbewegung in den USA. Die Fantastischen Vier 1991: Jetzt geht’s ab, 14Bedeutende politische Hip Hop-Gruppe Sony. aus New York. 1995: Auf einem Auge blöd, Yo 15NWA (Niggaz’with Attitude) waren eine Mama. Hip Hop-Band aus Compton (Los Angeles). Fresh Familee 1991: Coming from Ratinga, 16Autor, Hip Hop- und Soul DJ aus Ham- Ratinga. burg. Grandmaster Flash & The Furios Five 1983: 17Aus der Nordweststadt Frankfurts stam- The Message, Sugarhill. mender Rapper iranischer Herkunft. Murat G & DJ Mahmut 1997: Garip Dü- 18Berliner Rapper. Für sein Debutalbum nya, Looptown Records. ,Neue Deutsche Welle‘ wurde er mit dem Vor- Niggers With Attitude (N.W.A.) 1988: wurf konfrontiert, rechtsradikales Gedanken- Straight Outta Compton, Priority. gut in seinen Texten zu verbreiten. Ice T 1988: Power, Sire. 19Deutsche Pop-Band aus Berlin, die 2003 Islamic Force 1992: My Melodie, 1st Class mit ihrem Song ‚Was es ist‘ einen neuen Um- Records. gang mit der deutschen Identität einforderte. Public Enemy 1988: It Takes A Million Of Nations To Hold Us Back, Def Jam. Literatur Run DMC 1986: Raising Hell, Def Jam. Sido 2004: Maske, Aggro Berlin. Klein, Gabriele/Friedrich, Malte 2003: Ist his real? Die Kultur des Hip Hop. Frankfurt: Suhrkamp. Loh, Hannes/Güngör, Murat 2002: Fear of a Kanak Planet. HipHop zwischen Weltkultur und Nazi-Rap. Höfen: Hannibal-Verlag. Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006 39

Stephanie Schmoliner

Let´s riot Riot Grrrls zwischen Feminismus, Subkultur und sozialer Bewegung

1 Einleitung leiser. Feministische Ideen bekamen in den fol- genden Jahren offenbar ein zunehmend schlech- Das Knurren der Grrrls ist leiser geworden. Es teres Image. Jedoch zeigt der Blick in die Ver- gibt nur noch wenige junge Frauen, die das gangenheit, dass gerade feministische Ideen zu Phänomen der Riot Grrrls 15 Jahre nach ihrem keiner Zeit besonders attraktiv waren. Auch in Entstehen überhaupt kennen. Viele erinnern sich der Zweiten Frauenbewegung waren viele Ideen nur noch an das medial inszenierte Phänomen nicht geeignet, die Massen zu bewegen. Vorur- der Girlies. Hier sollte erwachsenen, jungen teile und abschätzige Bemerkungen bekamen Frauen nahe gelegt werden, dass es ,chic‘ ist, die Frauen damals auch. Und doch stellt sich wie eine Mischung aus Schulmädchen und der die Frage, warum doch wesentlich mehr Frauen anarchischen Comic-Figur Tank Girl auszuse- von damaligen Ideen und Forderungen angezo- hen. Das Frauenbild zwischen Heilige (in die- gen und mobilisiert werden konnten. Insbeson- sem Fall Schulmädchen) und Hure funktionier- dere junge Frauen fühlen sich bereist seit eini- te auch Mitte der 1990er Jahre noch. Im Falle gen Jahren davon kaum noch angesprochen. von Tank-Girl ist die Zuschreibung sogar noch Deren Lebensrealität hatte sich, nicht zuletzt vielschichtiger. Faszination und Abscheu spei- durch die Zweite Frauenbewegung, insofern sen sich aus den gleichen Attributen: anarchisch, gewandelt, als dass eine Identifikation mit femi- gewalttätig und sexy. Im Folgenden will ich nistischen Ideen nicht attraktiv erschien (Ger- anhand des Phänomens der Riot Grrrls zeigen, hard 2006). Oberflächlich schien die Gleichbe- dass es trotz stagnierender Frauenbewegung rechtigung erreicht zu sein und feministische einen Versuch in der Musik gab, feministische Ideen schienen bedeutungslos geworden zu sein. Inhalte innerhalb einer Jugendkultur zu trans- Doch längst nicht alle Bereiche wurden als portieren. gleichberechtigt wahrgenommen. Insbesondere Insgesamt scheint 2006 in Deutschland nicht in der Hardcore- und Punk-Subkultur regte sich viel übrig von der aktiven Frauenbewegung. Anfang der 1990er Jahre die Kritik junger Frau- Die Zweite Frauenbewegung hatte ihren Höhe- en. Die Punk- und Hardcoreszene bot sich zu punkt Mitte der 1970er Jahre. ,Das Private ist dieser Zeit an, feministische Forderungen Politisch‘, so lautete eine der großen Forderun- wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Auf gen. In der Folge wurden auch Aktivitäten dar- bestehende Netzwerke konnte zurückgegriffen auf ausgelegt: Frauenhäuser und Frauenbuch- werden. Beiden Szenen wurde ein subversiver läden wurden gegründet, die Neuregelung des Kontext nachgesagt und es war das kulturelle §218 gefordert und Nischen zur Selbstverwirk- Milieu der ersten Aktivistinnen. Aber im Ge- lichung eingerichtet. Trotz dieser Erfolge nahm genteil zur Subkulturforschung, die davon aus- diese Bewegung seit den 1980er Jahren immer geht, dass die Punk-Subkultur einen Raum zur weiter ab (Weingarten/Wellersdorf 1999), be- Emanzipation bietet, stellt dieser subkulturelle ziehungsweise wurden integriert und institutio- Ort keinesfalls die gleichen Möglichkeiten für nalisiert. Die Kämpfe um Selbstbestimmung, Frauen und Männern bereit. So machten sich gleiche Löhne oder Ausbildung wurden immer zunächst Frauen in den USA selbst daran, „Fe- 40 Stephanie Schmoliner

minismus wieder cool zu machen“( Baldauf/ 3. Nach der Ermordung der Musikerin Mia Weingartner 1998). Dabei sollte auf bestehende Zapata 1991 diskutierten Frauen in Seattle, eine kulturelle Formen, wie Punk und Hardcore, Selbstverteidigungsgruppe einzuführen. Dabei zurückgegriffen werden. sollten alle Formen der Verteidigung erlaubt sein. Weil der Aufruf zur Selbstverteidigung wie der Aufruf zur Gründung einer Mädchen-Guerilla 2 Zur Entstehung der Riot Grrrls wirkte, entstand der Name Riot Grrrls (www. Die Umdeutung des Begriffs Girl in Grrrl bein- homealive.org). haltet bereits eine Kritik am herrschenden Sys- Dass gerade die Kultur des Punks attraktiv tem. Der Begriff Girl wird meistens für sehr für die Frauen erscheint, hat mehrere Gründe. junge Frauen benutzt. Wird er auf ältere Mäd- Zum einen ist dieser in den Lebensräumen der chen und Frauen angewandt, beinhaltet er eine Frauen auszumachen, zum anderen ist Wider- Abwertung. Die Angesprochene wird als kind- stand zwar prinzipiell in jeder Kultur möglich, lich eingestuft, ihr werden Attribute wie Albern- im Punk fanden die jungen Frauen jedoch einen heit oder Naivität zugeschrieben, die die jewei- äußerst flexiblen und dynamischen Raum, in lige Person abwerten sollen. Der Begriff Riot denen die Möglichkeit zur Widerständigkeit Grrrl konnte sich als Aktionsaufruf und als Be- auch eingeräumt wird. schreibung eines rebellischen Zustandes durch- setzen (Kailer/Bierbaum 2002). 3 Theoretische Schnittstellen Die Riot Grrrl-Bewegung ist eine Bewegung junger, feministisch orientierter Frauen, die sich Riot Grrrls nutzen bewusst die bestehenden 1991 in Olympia, Washington aus der Punk- subkulturellen Zusammenhänge für ihre politi- und Hardcoreszene heraus gebildet hat. Durch schen Forderungen. Sie brauchen dafür zunächst die Kritik, die man an der eigenen Musikszene die Herausbildung einer kollektiven Mädchen- hatte, sollten hier eigene Formen des feministi- identität. Diese Mädchenkultur verwendet so schen Widerstandes einfließen. genannte maskuline Mittel. Dazu gehören Wi- Im Falle der Riot Grrrls werden drei Grün- derstand, Protest und Revolte gegen gesell- dungsmomente genannt. Jede dieser Erzählun- schaftliche Normen (Angerer 1995). Und den- gen spiegelt jedoch spezifische Ansatzpunkte noch wollen sie keine Frauengruppe sein. Auf wider, die uns in der Theorie und Praxis der einer anderen diskursiven Ebene wird die Kate- Riot Grrrls begegnen werden: gorie Geschlecht nämlich in Frage gestellt. Die 1. Die Musikerin und Schriftstellerin Tobi Homogenität, die hier nur oberflächlich vorhan- Vail sagte: ,We need a girl riot now!‘ Darauf hin den ist, bietet zunächst die Möglichkeit des Aus- haben mehrere Frauen ein Magazin gegründet schlusses für Männer und Jungen, um eigene mit dem Titel ‚Riot Grrrl‘ (Juno 1996). Freiräume entstehen zu lassen. 2. Im August 1991 fand in Olympia das ers- Es wird deutlich, dass sich die Riot Grrrls te Subkultur-Festival, das International Pop eines Potpourris an aktuellen Theorien bedie- Underground statt. Der erste Abend trug den nen, beispielsweise bei den Ideen Judith But- Namen ‚Love, Rock, Riot Revolution Girl Sty- lers: Wenn dieses ‚Wir‘, also die kollektive Iden- le now‘. Es traten ausschließlich Frauenbands tität, die bei den Riot Grrrls offensichtlich vor- auf. An diesem Abend soll nicht nur das erste handen ist, in Frage gestellt wird, nehmen die Frauennetzwerk im Musikgeschäft, sondern Riot Grrrls Bezug auf Butlers Theorien. Sub- auch der Name Riot Grrrl entstanden sein (Kai- versive Strategien der Dekonstruktion, der Ins- ler/Bierbaum 2002). zenierung und der Parodie werden als Instru- Let´s riot – Riot Grrrls zwischen Feminismus, Subkultur und sozialer Bewegung 41

mente auf der Bühne und innerhalb der Kom- sprochen wird, sondern von Wave als ein wel- munikation benutzt, um die Geschlechterkon- lenförmiges Phänomen. So wird die zweite Frau- zepte aus dem Rhythmus zu bringen und die enbewegung als Second Wave betitelt und For- Starrheit dieser Kategorien als falsch zu identi- scherinnen wie Garrison diskutieren, ob es sich fizieren (Butler 1991). bei der Riot Grrrls nicht um die Third Wave, Auf Gestaltungsmöglichkeiten für die Indi- also die dritte Welle der Frauenbewegung han- viduen, weitere Entwicklung und individuelle delt (Garrison 2000). Somit lassen sich ameri- Anpassung für jede Einzelne wurde von Be- kanische Analysen über die Riot Grrrls, die auf ginn an großen Wert gelegt. So entstand früh dieses ,Wave-Konzept‘ aufbauen, für eine Ein- das so genannte ‚Riot Grrrl Manifest‘, eine Auf- ordnung in ,Bewegung‘ nicht übertragen. zählung unterschiedlichster Argumente und Jedoch zeigen sich auch Eigenschaften er- Gründe, warum man ein Riot Grrrl werden soll- füllt, die die europäische Bewegungsforschung te. Anders als bei dogmatischen Gruppen wur- sozialen Bewegungen zuspricht. Joachim Rasch- de aber von vorne herein darauf gedrängt, die- ke definiert Bewegungen wie folgt: „Soziale ses so genannte ,Manifest’ nicht als ein solches, Bewegung ist ein mobilisierender, kollektiver in sich starres, zu sehen. Innerhalb des ,Mani- Akteur, der mit einer gewissen Kontinuität auf festes‘ wird dazu aufgefordert, eigene Ideen und der Grundlage hoher symbolischer Integration Forderungen einzubringen. Somit hatte diese und geringer Rollenspezifikation mittels vari- Bewegung von Beginn an die Möglichkeit, sich abler Organisations- und Aktionsformen das Ziel zu verändern und sich den jeweiligen Lebenssi- verfolgt, grundlegenderen sozialen Wandel her- tuationen der Frauen anzupassen. Jedoch spiel- beizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu ten sich diese Veränderungen in sozial sehr be- machen“ (Raschke 1987:77). Aber der Zugang grenzten Räumen ab. Es handelte sich um wei- zu dieser Bewegung erfolgt im subkulturellen ße, mittelständige Frauen, deren Lebensrealität Milieu. Das heißt, der Zugang ist nur ausge- und Ausgestaltung die Riot Grrrls bestimmten. sprochen eingeschränkt möglich. Eine Rollen- Ein Merkmal, was ihnen immer wieder Kritik spezifikation sollte jedoch möglichst vorhan- einbrachte. Ausschlussmechanismen über sozi- den sein, was innerhalb einer Subkultur vor- ale Räume waren von den Riot Grrrls nicht the- liegt. Gesellschaftlicher Wandel wird gewollt matisiert worden, lediglich die Frage um Macht- und variable Organisations- und Aktionsformen verhältnisse und dessen Verteilung stand im werden benutzt. Diese Eigenschaften sozialer Mittelpunkt der Diskussionen. Bewegungen lassen sich auch in Subkulturen wieder finden. Subkulturen wurden als Gegenbegriff do- 4 Zwischen Bewegung, Subkultur und minanter Kulturen verstanden. Es ist der Zu- Feminismus sammenschluss einer gesellschaftlichen Grup- Aber wie ist dieses Phänomen einzuordnen? pe, dessen Basis gemeinsame Interessen und Können wir von einer Bewegung sprechen oder Werte sind und die sich als Reaktion auf die zeigte sich hier nur ein feministischer Teil einer Massengesellschaft gebildet hat (Clarke 1981). Subkultur? Subkulturen befinden sich schließlich nicht in Das Begriffsverständnis von Bewegung, so unantastbarer Opposition zu hegemonialen Ver- wie wir sie bei neuen sozialen Bewegungen hältnissen, sondern zeichnen sich eher durch benutzen, ist insofern problematisch, da in Tei- eine tendenzielle Verschiebung, durch Über- len der U.S.-amerikanischen Forschung nicht schneidung sowie permanente Umschichtungs- von Movement im Sinne von Bewegung ge- und Rekodierungsprozesse aus (Miller 1995). 42 Stephanie Schmoliner

Der Unterschied zwischen Subkulturen und 5 Alte Bewegungsmuster – Bewegungen stellt sich wie folgt dar: Subkultu- neue Widerstandsformen ren müssen im Gegensatz zu sozialen Bewe- gungen keine politischen und sozialen Aktivitä- Aktionen, die kollektive Identität bilden, kon- ten in den Mittelpunkt ihrer Zielsetzung stellen. struieren und bestärken den Zusammenhalt ei- Seit Beginn der Cultural Studies wird den Sub- ner Bewegung. Mit ihrem feministischen Be- kulturen jedoch durch ihre Abgrenzung vom wusstsein sind die Riot Grrrls einer subkultu- Mainstream eine Praxis des sozialen Widerstan- rellen Szene zugehörig, bilden also ein Kollek- des unterstellt. tiv. Der Schwerpunkt wird auf informelle Zu- Die Riot Grrrls bilden hier eine Schnittstel- sammensetzung gelegt. Der freiwillige und le. Aus der Punk-Subkultur heraus, von deren selbstbestimmte Charakter der Riot Grrrls wird Charakter man sich nicht lösen wollte, sollte durch den locker organisierten Charakter ver- mit einer gewissen Kontinuität sozialer Wandel, stärkt. insbesondere innerhalb der Geschlechterverhält- So lassen sich Riot Grrrls außerhalb einer nisse herbeigeführt werden. Bei den Riot Grrrls kulturellen Szene – hier Musik – nicht denken. geht es um die Widerstände, die in der patriar- Gerade die Musik ist ein wichtiges Instrument chal geordneten Subkultur des Punkrocks aus- zur Identitätsbildung. Über diese gemeinsame gehalten und verändert werden müssen. Ge- Identität werden auch Forderungen nach selbst- schlechterkonzepte sollen diskutiert werden, ei- bestimmten Leben möglich. Die Riot Grrrls stel- gene Konzepte, mit denen man sozialisiert wur- len somit eine subkulturelle, feministische Ge- de, müssen gegebenenfalls überwunden wer- genbewegung dar, die eine Vorstellung von den. Machtstrukturen werden in Frage gestellt Oppositionsgemeinschaft, eindeutige Lust an und Alternativen müssen in eigenen Netzwer- Stilisierung, eine provozierende öffentliche Iden- ken umgesetzt werden. Alle diese Themen fin- tität und viele kollektive Phantasien vereint den sich in den Texten der Bands und in den (McRobbie 1991). Das Problem bei einer Mo- Publikationen wieder. bilisierungsstrategie, die sich musikalisch im Aber ist die Praxis der Riot Grrrls wirklich Punk wieder findet, ist jedoch der Ausschluss als subversiv zu verstehen? Nach Dick Hebdi- derjenigen, die sich über eine solche Musik nicht ge, Subkulturforscher des ehemaligen ‚Centre angesprochen fühlen. for Contemporary Culture‘ in Birmingham, fin- Ein weiteres wichtiges Kriterium in der Be- det das zerstörerische und verändernde, also wegungsforschung ist die Bildung von Res- subversive Potenzial, in der Kraft der Umdeu- sourcen. Die Bewegungsforschung geht davon tung statt. Bei den Riot Grrrls findet sich diese aus, dass soziale Bewegungen sich nur dann Umdeutung in der Dekonstruktion der Verhält- erfolgreich entwickeln können, wenn ausreichen- nisse wieder. Ihre Kleidung setzt sich zusam- de Ressourcen vorhanden sind. Dies gilt insbe- men aus übertriebenen Mädchenkleidern und sondere für die Organisation und die Verbrei- groben Armeestiefeln. Sie nennen sich Hole tung der Forderungen. Dabei sollte die Bewe- (Loch) oder Bitch (Hure) und deuten die Be- gung durch Aktionen bekannter werden, mehr griffe so um, dass sie nicht mehr als verletzend, Menschen ansprechen und zur Vergrößerung diskriminierend und hierarchisch wahrgenom- der Gruppe führen. Durch die Nutzung des men werden müssen. Diese Namensaneignung Mediums Internet ist es wesentlich leichter ge- findet sich, wie oben gezeigt, auch im Namen worden, auch mit einer kleineren Zahl an Akti- Riot Grrrl wieder (Hebdige 1990; Gottlieb/Wald vistinnen Informationen zu verteilen. Weiterhin 1994). kann zur Mobilisierung auch die Durchführung Let´s riot – Riot Grrrls zwischen Feminismus, Subkultur und sozialer Bewegung 43

von kulturellen Erlebnissen – wie Konzerten – schenden Geschlechterrollen Frauen nicht in gezählt werden, um dort Anwesende zu infor- Erscheinung treten lassen. Sie zeigt an einer mieren und zu mobilisieren. Anders als bei vie- Vielzahl von Beispielen auf, dass Mädchen grö- len neuen sozialen Bewegungen wird jedoch ßeren und höheren Sanktionen ausgeliefert wa- wenig Wert auf starre Organisation gelegt. Das ren und sind als Jungen (McRobbie 1991). Un- Interesse liegt vielmehr in der permanenten ter Sanktionen wird auch verstanden, dass Weiterentwicklung der Ideen. Durch diese Wei- beispielsweise jungen Frauen und Mädchen der terentwicklung und offene Struktur wird es Zugang zu Instrumenten wie Schlagzeug und möglich, dass sich Frauen individuell einbrin- E-Gitarre wesentlich schwerer gemacht wird als gen und die Idee der Riot Grrrls auf sich übertra- jungen Männern. Im Weiteren ist die Freizeitge- gen können. Die Öffnung und der Verzicht auf staltung eine andere, eine häuslicher orientierte starre Strukturen begünstigen die Weiterentwick- als bei jungen Männern, deren Platz der öffent- lung. Im Gegensatz zu den ,klassischen‘ sozia- liche Raum ist (Gottlieb/Wald 1994). len Bewegungen werden Bündnisse nicht mit Bei den Riot Grrrls bleibt ein Spagat beste- politischen Institutionen angestrebt. Bündnisse hen. Sie benutzen ein Massenmedium wie Mu- werden vorwiegend in der Subkultur des ‚Punk- sik, um auf der einen Seite politischen Wider- rock‘ gesucht. stand gegen die herrschenden Geschlechterver- Ressourcen wie Geld, Wissen oder Zeit kön- hältnisse zum Ausdruck zu bringen. Auf der nen durch flexible Strukturen individuell einge- anderen Seite müssen sie, um diese Kritik anzu- setzt werden. Auch hier bringen die neuen bringen, möglichst auch Gehör bekommen, um Technologien (wie das Internet) enorme Vortei- überhaupt sichtbar zu werden. Musik stellt hier, le mit sich. Es ist wesentlich kostengünstiger, wie in anderen Bewegungen auch, ein politi- Informationen zu verteilen. Jedoch haben wir sches Medium dar. es auch mit anderen Anforderungen zu tun. Vor- Die Musik hat zunächst Mobilisierungscha- kenntnisse zur Herstellung von Internetseiten rakter. Man kann andere Menschen anspre- müssen ausreichend vorhanden sein. Diesem chen, mit ihnen kommunizieren. Feministische Technikverständnis diametral entgegenstehend Botschaften und Forderungen lassen sich in ist die musikalische Verortung im Punkrock. den Texten wieder finden, und Ideen können Kennzeichen dieser Kultur ist eine deutliche einem größeren Publikum vermittelt werden. Distanzierung zu technischem Können. Dilet- Durch ein größer werdendes Publikum kön- tantismus und DIY (Do-It-Yourself-Prinzipi- nen sich Netzwerke entwickeln und es kann zu en) bestimmen die Punkkultur. Und trotz feh- Aktionen aus diesem Publikum heraus kom- lender Vorbilder oder Identifikationsmöglichkei- men. Musik kann hier auch die Möglichkeit ten in Form von Künstlerinnen bietet gerade der schaffen, patriarchale Strukturen ins Wanken Dilettantismus für Frauen zunächst einen leich- zu bringen. Wenn Konzertsäle und Bühnen als teren Einstieg. öffentliche Räume wahrgenommen werden, in Ein gleichberechtigter Zugang zu Instrumen- denen Frauen nur beschränkt Zugang finden, ten, gerade innerhalb der Jugend, ist zu dieser ist es eine Strategie, sich diese Räume durch Zeit nicht zu erkennen. Und so stellt Angela die Musik anzueignen. McRobbie fest, dass Frauen und Mädchen nie Diese Strategie ist nicht neu. Bereits die ers- in gleichem Maße Teilnehmerinnen einer Sub-/ te Frauenbewegung erklärte es zum Ziel, selbst- Jugendkultur waren wie Jungen und Männer. bestimmte Räume zu schaffen. Diese Freiräu- Diese so genannte Unsichtbarkeit im Musikbe- me bieten den Frauen eigene Handlungsmög- reich führt sie darauf zurück, dass die vorherr- lichkeiten außerhalb patriarchaler Kräfteverhält- 44 Stephanie Schmoliner

nisse. Mit der Besetzung von Konzertbühnen Frauen noch weiter voranzutreiben, wurden ei- werden eben jene Freiräume erkämpft. Dies gene Musiklabels gegründet. konnte in unterschiedlicher Weise geschehen. Die Bühne als Ort der Präsentation, des Einige Konzerte waren ausschließlich dem weib- Spiels, der Parodie, gab den Frauen die Mög- lichen Publikum vorbestimmt, Männer hatten lichkeit einer eigenen Selbstinszenierung. Klas- keinen Zutritt. In diesem ,geschützten Raum‘ sische Elemente einer vorgelebten ‚weiblichen schien es möglich, sich selbst als Frau anders Identität‘ konnten hier in politische Forderun- darzustellen und eine andere, wechselseitige gen umgewandelt und parodiert werden. Durch Kommunikation mit dem anwesenden Publi- Bühnenaccessoires und Verkleidung konnte man kum zu erreichen. Doch wollten die Frauen Stereotype von Frauen präsentieren und entlar- nicht durchgängig für Männer geschlossene ven. Dieses ‚self-labeling‘ findet sich bereits Räume. Auch innerhalb geschlechtlich hetero- auch in der Zweiten Frauenbewegung als Mit- gener Gruppen sollte langfristig erreicht wer- tel, politische Forderungen zu verdeutlichen. den, dass Frauen die nötige und gleichberech- Abwertende Zuschreibungen werden aufgenom- tigte Anerkennung erfahren konnten. Ebenso men, umkodiert und neu verhandelt. konnten Gestaltungsspielräume nur in wech- Die Besonderheit der Riot Grrrl Bewegung selseitiger Interaktion gewonnen werden. liegt in ihrer Scharnierfunktion zwischen femi- Aber ich möchte noch mal auf die Bühne als nistischer Theorie und Subkultur. Feministische Ort der Subversion zurückkehren. Dort besteht Inhalte werden innerhalb der Punkmusik trans- die Möglichkeit, das Publikum aktiv mit einzu- portiert. Es wird ein Milieu für Künstlerinnen binden. Viele Musikerinnen kritisieren die strikte geschaffen, indem die Bühne ein Ort der Mög- Trennung zwischen aktiven Star und passiven lichkeiten wird, sich als Frau darzustellen. Iden- Konsumentinnen. Wenn der eigene Körper Ort tität und Sexualität werden in Frage gestellt und der Handlungsstrategie wird, um zu zeigen, in gegen männlich vorgegebene Normen kann ver- welchen Machtverhältnissen Frauen leben, ist stoßen werden. es leichter, dies in einem nicht von Männern besuchten Raum zu tun. Verhaltensregeln kön- 6 Vom Grrrl zum Girlie oder zur Lady nen gebrochen und parodiert werden: Frauen können wild tanzen, aggressiv schreien, sprin- Insgesamt zeigen sich die Riot Grrrls als eine gen und sich ihrer Kleider entledigen – Attribu- Form der ‚Bedrohung‘ in Hinblick auf die te, die sonst lediglich Männern zugesprochen bestehenden hegemonialen Geschlechterord- werden. Diese Geschlechterparodien können zu nungen. Aber wie bei anderen Jugendkultu- einer Wahrnehmungsveränderung führen, die ren werden solche Stilformen schnell kultur- Konstruktionsprozesse von Zweigeschlechtlich- industriell vereinnahmt. Da der Kapitalismus keit sichtbar werden lassen. in der Lage ist, selbst diejenigen Elemente zu Die Riot Grrrls bedienten sich der ,Punk- integrieren, die ihn negieren, stellen Wider- Netzwerke‘. Dort bereits erfolgreich getestete sprüche für ihn keine Bedrohung dar (Deleu- Vertriebs- und Kommunikationswege wurden ze/Guattari 1992). übernommen. Fanzines, eigens hergestellte Hef- Aber die Ideen und Aktionen der Riot Grrrls te und Internetforen dienten als Plattformen, um konnten so nicht übernommen werden. Zu groß sich zu vernetzen und politische Aktivitäten zu und verstörend war die Kritik an den herrschen- fördern. Um Fanzines zu verteilen, wurde die den Verhältnissen. Es war also nötig, eine Tri- bestehende Infrastruktur genutzt. Um diese Ver- vialisierung herbeizuführen und gleichzeitig eine triebsmöglichkeiten und die Vernetzung der Eingliederung in den bestehenden Ordnungs- Let´s riot – Riot Grrrls zwischen Feminismus, Subkultur und sozialer Bewegung 45

rahmen zu erschaffen. Dass die Bedeutung da- Aber mit dem Abklingen der Riot Grrrls bleibt mit minimiert wurde, war ein gewollter Effekt. außer eventueller Enttäuschung auch immer ein In Deutschland kreierte die Medienwelt das Phä- Erinnern an die Erfolge. Neue Inspirationen nomen des Girlie. So konnte ein modernes Frau- können zu einer Fortführung im neuen Gewand enbild, um das politische Programm bereinigt, führen. Die Riot Grrrls haben in Folge ihr La- bedient werden. bel ‚Grrrls‘ abgelegt. Sie sind älter geworden ,Niedlich‘ und weniger gefährlich als die und der Begriff des Girls war durch Aufkom- Riot Grrrls wurde ein spaßbetonter Mädchen- men der Girlies nicht mehr attraktiv. So ent- typ in der bürgerlichen Presse gezeigt. Aussa- schieden sich einige der Akteurinnen, ein neues gen über die eigene Identifikation als Girlie Label zu benutzen: das der Ladies. Ein Vorteil von der konstruierten Zielgruppe finden sich des Begriffes Lady war, dass er noch nicht in- zu dieser Zeit jedoch nicht (Kailer/ Bierbaum nerhalb des feministischen Kontextes besetzt 2002). In allen medialen Abbildungen so ge- war. Alleine der Begriff ermöglichte eine hohe nannter Girlies gehen die dekonstruierenden Flexibilität an Interpretation und Performanz. Ideen der Kategorie Geschlecht verloren. Sämt- Als Fortführung des ersten Ladyfestes, das liche Darstellungen werden durch Klischees im Sommer 2000 in Olympia, Washington or- aufgeladen. Girlies werden als Frauen darge- ganisiert wurde und das an die politischen For- stellt, denen selbstbestimmter Spaß solange derungen der Riot Grrrls anknüpfte, begann zugeschrieben wird, wie sie das angestrebte man auch 2003 in Deutschland mit der Organi- Ziel – die herrschenden Frauenrollen – nicht sation von Ladyfesten. auflösen. Die Bezeichnung Girlie negiert die Forderungen der Riot Grrrls, geht es doch bei 7 Resümee Girlies um eine Verniedlichung. Der Ursprung des Begriffes zeigt sich im Begriff ‚girlie-mag‘, Fünfzehn Jahre nach der Gründung lässt sich der Bezeichnung von Pornoheften. Die Be- zusammenfassend sagen, dass die Riot Grrrl zeichnung Girlie unterstellt somit eine Redu- Bewegung aus ihrem subkulturellen Milieu zierung im Hinblick auf sexuelle Wirkung. Der nicht entfliehen konnte. Der Erfolg bleibt Bezug zu den Riot Grrrls zeigt sich nur margi- lediglich für eine marginalisierte Gruppe sicht- nal, so dass für KonsumentInnen keine Zu- bar. Ladyfeste und Diskussionen um die Be- sammenhänge auszumachen sind. deutung von Feminismus in der Popkultur In einer Spiegelausgabe (50/1992) werden werden nur eingeschränkt wahrgenommen. An Riot Grrrls als Frauen mit aggressiver Musik den patriarchalen Strukturen, insbesondere in und ruppigen Texten dargestellt. Ein Bezug auf der politischen Punkrockszene, in der sich die den feministischen Background findet sich Riot Grrrls verorteten, haben sie nur wenig nicht. gerüttelt. Es wurde der Versuch gestartet, fest- Dazu kommt, dass noch immer ein Negativ- geschriebene Formen von Weiblichkeits- und image von Feministinnen in den Zeitungen vor- Schönheitsidealen als gesellschaftliches Kon- herrscht. strukt zu entlarven. Um das Verhältnis zwi- Die Riot Grrrls sind, wie gezeigt wurde, im schen Musik, Kultur und Gesellschaft lang- Gegenteil zum Girlie eine feministische Jugend- fristig zu beeinflussen, bedarf es noch vieler subkultur, die durch symbolische Praktiken ih- Anstrengungen. Aber am Beispiel der Riot ren Widerstand gegen herrschende Verhältnisse Grrrls sieht man, dass die Schaffung einer artikuliert und provokativ eine hegemoniale eigenen, feministischen girl culture möglich Ordnung in Frage stellt (Kailer/Bierbaum 2002). ist, wenn vielleicht auch im kleinen Rahmen. 46 Stephanie Schmoliner

Der Wunsch nach einer politischen, feministi- Gottlieb, Joanne/ Wald, Gayle 1994: Smells schen Kultur, gekoppelt an ästhetische Praxen, like teen spirit. Riot Grrrls, Revolution und Frau- lässt sich bis heute finden1. en im Independent Rock. In: Eichhorn, Corne- lia/Grimm, Sabine (Hg.): Gender Killer. Berlin/ Stephanie Schmoliner, Gewerkschaftssekre- Amsterdam: Edition ID Archiv, 167-189. tärin und Sozialwissenschaftlerin, lebt und ar- Hall, Stuart 1976: Resistance Through Ri- beitet in Hamburg. tuals. Youth subcultures in post-war Britain. Birmingham: Routledge. Hebdige, Dick 1990: Subculture. The mea- Literatur ning of style. London: Routledge. Angerer, Marie-Luise (Hg.) 1995: The body Juno, Andrea 1996: Angry Women in Rock. of gender. Körper. Geschlechter. Identitäten. New York: Juno Books. Wien: Panagen. Kailer, Katja/Bierbaum, Anja 2002: Girlism. Baacke, Dieter 1987: Jugend und Jugend- Feminismus zwischen Subversion und Ausver- kulturen. Darstellung und Deutung. Weinheim: kauf. Berlin: Logos. Juventa. McRobbie, Angela 1991: Feminism and Baldauf, Anette 2000: Feminismus und Pop- Youth Culture. From Jackie to Just Seventeen. kultur. In: Mouffe, Chantal (Hg.):Feministische Hamshire: Macmillian. Perspektiven. Wien/Bozen: Turia&Kant. Melucci, Alberto 1995: The process of coll- Baldauf, Anette/Weingartner, Katharina ective Identity. In: Johnson, Hank/Klandermans, 1998: Lips. Tits. Hits. Power? Popkultur und Bert (Hg.): Social Movements and Culture. Feminismus. Wien/Bozen: Folio. London: Mineapolis, 41-63. Butler, Judith 1991: Das Unbehagen der Raschke, Joachim 1987: Soziale Bewegun- Geschlechter. Frankfurt: Suhrkamp. gen. Ein historisch-systematischer Grundriß. Clarke, John 1981: Jugendkultur als Wider- Frankfurt/Main: Campus. stand. Frankfurt: Syndikat. Rosenberg, Jessica 1998: Riot Grrrl: Revo- Deleuze, Gilles/Guattari, Felix 1992: Tau- lution from within. In: Signs: Journal of Women send Plateaus. Kapitalismus und Schizophre- in Culture and Society, Jg. 23, Heft 1, 809-841. nie. Berlin: Merve. Weingarten, Susanne/Wellershoff, Marian- Garrison, Ednie Kaeh 2000: U.S. Feminism ne 1999: Die widerspenstigen Töchter. Für eine – grrrl style! Youth (sub)culture as the techno- neue Frauenbewegung. Köln: Kiepenheuer & logics of the thrid wave. In: Feminist studies, Witsch. Jg. 26, Heft1, 141-170. Gerhard, Ute 2006: Nachfolge in der Frau- enbewegung – Generationen und sozialer Wan- Anmerkung del. In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewe- 1Ich danke Andrea Papst für die kritische gungen, Jg. 18, Heft1, 24-37. Lektüre und ihre Tipps. Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006 47

Christian Dornbusch/Jan Raabe

RechtsRock

RechtsRock war in den letzten Jahren ein wich- dient der politischen Agitation, indem gesell- tiger Faktor in der Formierung und Moderni- schaftliche Probleme diagnostiziert und mögli- sierung der extremen Rechten. Aber war diese che Lösungsstrategien artikuliert werden (Dorn- Musik nur kulturelles Beiwerk der Entwick- busch/Raabe: 2002). Bands des Genre sind: lung oder treibendes Moment? Welche Bedeu- Oidoxie, Kraftschlag, Landser. tung hat sie in der sich teilweise als neue soziale Nationale Liedermacher stehen einerseits in Bewegung formierenden extremen Rechten? Tradition der bündischen Jugend, orientier(t)en RechtsRock ist ein Sammelbegriff für ver- sich aber auch an linker Protestmusik (Franz schiedene Musikstile, deren verbindende Ele- Josef Degenhardt, Hannes Wader). Ihre Texte mente rassistische, nationalistische, antisemiti- sind in der Regel politisch geprägt, teilweise sche oder neonazistische Textinhalte sind. hoch ideologisch. Immer wieder lebt in diesem RechtsRock bezeichnet keine eigenständige Spektrum klassisches NS-Liedgut neu auf bzw. Musikrichtung, sondern lediglich eine Klassifi- wird aufgrund von NS-Verboten in leicht abge- zierung für den politischen Inhalt der Lieder. wandelter Form dargeboten. Die Liedermacher Und dieser unterscheidet sich wiederum in der der 1970er / 1980er Jahre entstammten fast aus- Art der Vermittlung gegenüber den jeweils um schließlich neonazistischen Organisationen. die einzelnen Stile herum entstandenen Szenen. Prominentestes Beispiel ist Frank Rennicke, Exploratorisch soll anhand der für das Genre dessen politischer Werdegang bei der Wiking entscheidenden Stilrichtungen deren jeweiliger Jugend begann. Zwischen diesem Spektrum der politischer Gehalt bzw. die Form der Vermitt- nationalen Liedermacher und dem von Skin- lung skizziert werden und die Bedeutung der heads geprägten RechtsRock kam es erst im Stile für eine neue soziale Bewegung von Rechts Verlauf der ersten Hälfte der 1990er Jahre zur aufgezeigt werden. Verbindung. Einerseits bedingt durch eine mu- sikalische Annäherung über Balladen, die ver- mehrt von Skinhead-Bands eingespielt wurden, RechtsRock – eine stilistische Vielfalt andererseits in Folge einer zunehmenden Diszi- In folgenden musikalischen Stilen, die teilweise plinierung der Szene im Zuge ihrer voranschrei- szenebildend sind, werden extrem rechte Inhal- tenden Politisierung. Spätestens ab Mitte der te vermittelt: 1990er Jahre gehören nationale Liedermacher Klassischer RechtsRock entstand Ende der wie selbstverständlich zur RechtsRock-Szene. 1970er/Anfang der 1980er Jahre aus dem Street- Bekannteste Interpreten sind: Frank Rennicke, Punk/Oi in Großbritannien und wird bis heute Annett Moeck, Michael Müller. vorwiegend von extrem rechts eingestellten National-Socialist-Hardcore (NS-HC) hat Skinheads repräsentiert. Ihre Musik fungiert als seinen Ursprung im Hardcore, der sich zu An- Ausdrucksform persönlicher Sichtweisen, in fang der 1980er Jahre in den USA aus dem dessen Rahmen sowohl über eigene Erlebnisse Punk entwickelte. Die Musik ist schneller, lau- und Geschichten gesungen als auch der Hass ter und härter als Punk. Während ein Teil der auf Ausländer, Juden, politische Gegner und Songs der Hardcore-Bands vom eigenen Sze- die Gesellschaft heraus geschrieen wird, und ne-Mikrokosmos handelt, sind andere sozial- 48 Christian Dornbusch/Jan Raabe

kritisch bis linksradikal, getreu dem Motto: als eigenständiger musikalischer Stil heraus. ,Hardcore – more than music‘. Die Härte der Inhaltlich werden okkulte, satanistische, neu- Musik und beim Tanz (Pogo) vor der Bühne heidnische und apokalyptische Motive verar- faszinierte schnell auch rassistische Skinheads, beitet. Brandstiftungen, Gewaltdelikte und die Ende der 1980er Jahre erste eigene musika- Morde von Musikern und Fans des Genres lische Gehversuche unternahmen. Neonazisti- trugen dazu bei, die propagierten Inhalte au- sche Harcore-Bands tragen ihre Texte wesent- thentisch erscheinen zu lassen. Dezidiert poli- lich hasserfüllter vor als klassische RechtsRock- tische Positionen werden im Sub-Genre des Bands, dabei sind diese häufig selbst für Mut- National Socialist Black Metal (NSBM) ver- tersprachler kaum verständlich. Musiker und treten. Antisemitismus ist indes in weiten Teil Fans der NS-HC-Bands unterscheiden sich mit der allgemeinen Black-Metal-Szene verbreitet. ihrem Lifestyle kaum von linken oder unpoliti- Die Texte neu-heidnischer Gruppen, die sich schen Angehörigen der Hardcore-Szene. Die- selbst häufig als Pagan-Metal-Bands verste- ses ermöglicht ihnen Grenzgänge zur linken hen, basieren ferner auf einem völkisch-biolo- bzw. alternativen Hardcore-Szene. Bekannte gistischen Gesellschaftsbild. Antiquierte Ge- Interpreten des NS-HC sind: Blue Eyed Devils, schlechterrollenbilder sowie Wertvorstellungen Path of Resistance, Moshpit. werden über die Musik reproduziert und sind Black Metal entstand Anfang der 1980er in der Szene weit verbreitet. Im Gegensatz zum aus dem Heavy Metal in Großbritannien und normalen Heavy Metal pflegen Szenegänger erlebte eine Renaissance ein Jahrzehnt später des Black Metal einen elitären Habitus (Dorn- in Norwegen. Dabei bildete sich Black Metal busch/Killguss 2005). Bekannte Interpreten des RechtsRock 49

extrem rechten Flügels sind: Burzum, Absurd, den sozialen Wandels. Zielvorstellung ist dabei Totenburg. eine ethnisch homogene, hierarchisch geglie- Rechtsorientierter Neo-Folk nahm seinen derte Gesellschaft bzw. eine nationalsozialisti- Ausgang im Apocalyptic Folk des Darkwave- sche Diktatur. Ähnliches gilt für die Rezipien- Genres der 1980er Jahre, dessen an Folk erin- ten der Musik. Die Hörer bzw. Szenegänger nernde Musik vor allem auf esoterisch-okkulte von Neo-Folk, Industrial und Black Metal se- Motive basierte. Im darauf folgenden Jahrzehnt hen sich zuvorderst als Musikliebhaber, Ästhe- wurden diese zunehmend durch neu-heidnische ten, Individualisten oder verstehen sich in ir- Motive abgelöst, die heute im Genre dominant gendeiner Weise als religiös gebunden. Sie emp- sind. Auch hier werden völkische Motive ver- finden die Musik also als einen reinen privaten arbeitet und germanophile Autoren des ausge- und kulturellen Ausdruck, während sich die henden 19. Jahrhunderts revitalisiert. Teilweise Angehörigen der RechtsRock-Szene oftmals als existiert bei den Bands ein ideologischer Über- politische Aktivisten verstehen, die sich eine bau, der auf der Ideenwelt von Julius Evola, andere Gesellschaft wünschen und bereit sind, René Guénon als auch auf Autoren des Prä- an einer konkreten Umgestaltung teilzuhaben. Faschismus, der so genannten ‚Konservativen Revolution‘, gründet. Die Inhalte der Bands Die RechtsRock-Szene spiegeln sich zumeist auch in ihrer ästhetischen Präsentation (Speit 2002). Bekannteste Bands Die RechtsRock-Szene, die ihren Ursprung in vom extrem rechten Rand des Genre sind: Blood der diffusen Skinhead-Subkultur der frühen Axis, Waldteufel, Orplid. 1980er Jahre hatte, kann heute indes nicht mehr Industrial Music entstand Mitte der 1970er auf diese allein verkürzt werden. Sie entspricht Jahre aus dem Spektrum der experimentellen der Szene-Definition von Hitzler, Bucher und Musik und Aktionskunst und ist eine teilweise Niederbacher. Mit dem Fokus auf die Musik sehr brachiale ,Maschinenmusik‘. Sound und des klassischen RechtsRock, der nationalen Lie- Performance bilden zumindest bei Konzerten dermacher und dem NS-HC haben sich bereits eine Einheit und setzen idealerweise auf Schock in den 1990er Jahren kulturelle Netzwerke her- und Provokation. Eine Reihe von Bands sind ausgebildet, „die bestimmte materiale und/oder jedoch in diesem Prozess erstarrt und verarbei- mentale Formen der kollektiven Selbststilisie- ten affirmativ politische Inhalte wie Militaris- rung teilen und Gemeinsamkeiten an typischen mus, Sozialdarwinismus, Elitarismus und die Orten und zu typischen Zeiten interaktiv stabili- Ablehnung der Demokratie. Bekannteste Inter- sieren und weiterentwickeln“ (Hitzler/Bucher/ preten des rechten bis extrem rechten Flügel Niederbacher 2001 20). Sie verfügen, um mit sind: NON, The Grey Wolves, Genocide Or- der Sprache der Bewegungsforschung zu spre- gan. chen, über gemeinsame ideologische Vorstel- Im Unterschied zum Black Metal, Neo Folk lungen, einen kollektiven Symbolapparat, der und Industrial, bei denen politische Motive sich nicht zuletzt im Kleidungsstil ausdrückt, zumeist in mehr oder weniger chiffrierter Form und eine gemeinsame Lebenspraxis. Die Szene vermittelt werden, sprechen die klassischen weist also bewegungsförmige Elemente auf und RechtsRock- und NS-HC-Bands sowie die nati- hat damit in den letzten fünfzehn Jahren konti- onalen Liedermacher Klartext. Sie vertonen nuierlich und maßgeblich zur Modernisierung nicht nur kulturkritische Sichtweisen oder set- der bundesdeutschen extremen Rechten beige- zen auf Schockelemente, sondern formulieren tragen. Im Zusammenspiel mit dem Spektrum sehr deutlich ihre Vorstellung eines grundlegen- des militanten Neonazismus, organisatorisch 50 Christian Dornbusch/Jan Raabe

vor allem in Form der so genannten Freien Ka- gung‘ hinweisen. Auf solchen Veranstaltungen meradschaften in Verbund mit jenen Teilen der zeigt sich anhand des Outfits der teilnehmenden NPD, für welche die klassischen Ziele einer Personen zumeist ihre Herkunft aus der Rechts Wahlpartei sekundär sind, erreicht die Rechts- Rock-Szene. Die Hörer der Musik haben in die- Rock-Szene einen bewegungsförmigen Charak- sen Fällen also die mobilisierenden Botschaften ter. verstanden und sind vom bloßen Rezipienten Die nach Raschke bestimmenden Bedingun- zum politischen Akteur geworden. Zudem ist gen Sozialer Bewegung, „ein mobilisierender eine rein passive Teilnahme am sozialen Mit- kollektiver Akteur, der mit einer gewissen Kon- einander der Szene kaum vorstellbar. Erstens tinuität auf der Grundlage hoher symbolischer sind Aufrufe zu politischen Aktionen selbstver- Integration und geringer Rollenspezifikation ständlicher Bestandteil der Musik und Szene mittels variabler Organisations- und Aktions- und zweitens ist die Schnittmenge zwischen formen das Ziel verfolgt, grundlegenderen so- Szeneangehörigen und Demonstrationsteilneh- zialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern mern/politischen Akteuren enorm hoch, so dass oder rückgängig zu machen“ (Raschke 1988 die Berührungspunkte allgegenwärtig sind (all- 77), finden sich zum Teil direkt in der Rechts gemein zu Musik und sozialen Bewegungen Rock-Szene und komplettieren sich im Zusam- siehe: Eyerman/Jamison 1998). menspiel mit Teilen der extremen Rechten (sie- he auch: Hellmann/Koopmans 1998). Bedeutung der Musikveranstaltungen Mindestens 255 Konzerte und Musikveranstal- Bewegungsmomente tungen der RechtsRock-Szene wurden 2005 Der ‚kollektive‘ Akteur wird über die Texte des organisiert. Einen solchen Umfang erreichte die- RechtsRock generiert, in denen es stets um ein ser Teil der extrem rechten Erlebniswelt noch ‚sie‘ und ein ‚wir‘ geht. Dieses ‚wir‘ bezieht nie. Neben dem Anlass zum Besuch, eine ge- sich zumeist diffus auf eine ‚nationale Bewe- schätzte Band live zu sehen, verfügen diese Ver- gung‘. Fast initiatorisch erlebt wird diese Ge- anstaltungen über einen starken sozialen Cha- meinschaft spätestens auf den Konzerten, deren rakter für die Szene (Bekannte/Freunde/Kame- Besucher auf Grund des staatlichen oder antifa- raden treffen), stellen ein Gemeinschaftsgefühl schistischen Verfolgungsdruck eine exklusive her und bieten noch dazu die Gelegenheit, sich Gemeinschaft bilden. Das gemeinsame Erleben mit meist illegalen Tonträgern oder Schriftma- und nicht zuletzt das gemeinsame Singen und terial zu versorgen. Um überhaupt zu einem sol- Skandieren von Parolen trägt dort zur Bildung chen ,Event‘ zu gelangen, müssen die Besucher eines Kollektivgefühls bei, das im Alltag über mit den Mobilisierungstechniken vertraut sein, Kleidung und Symbole fortlebt. die zum Grundrepertoire der extremen Rechten Dass es beim RechtsRock nicht nur um das gehören. Diese bestehen aus: konspirativer Vor- einfache Rezipieren geht, sondern auch darum, bereitung und Durchführung, unter falschem aktiv zu werden, spiegelt sich in konkreten Auf- Anlass angemieteten Räumen und Schleusungs- rufen in den Liedern, in der Verbindung von punkten bei der Anreise sowie der potentiell Musik und politischen (Aktions-) Berichten in gegebenen Gefahr einer Auseinandersetzung mit den Magazinen der Szene und teilweise in den der Polizei. Entsprechend verfügen derartige Newslettern der Szenelabel und Versände wi- Konzerte über einen gewissen internen Charak- der, die auf Neuerscheinungen wie auch auf ter. Für Jüngere bzw. Szene-Neulinge stellt der Demonstrationen etc. der ‚nationalen Bewe- Besuch eines Konzertes mehr oder weniger die RechtsRock 51

Aufnahme in diesen engen Kreis der Szene dar Für die Polizei überraschend erschienen hin- und kann einen ersten Schritt in Richtung öf- gegen 1.300 Besucher am Ende eines NPD- fentlicher Artikulation der eigenen politischen Parteitages in Pößneck am 2. April 2005. Sie Vorstellungen und (Veränderungs-) Wünsche waren angereist zum Abschiedskonzert des im Rahmen von Demonstrationen, Kundgebun- Landser-Sängers Michael Regener aka Luni- gen oder Aktionen sein. Erleichtert wird der koff samt seiner neuen Band Die Lunikoff Ver- Zugang zum dezidiert politischen Spektrum der schwörung, bevor der seine Haftstrafe einige extremen Rechten durch deren zumeist jugend- Tage später antrat. Beworben wurde das Kon- liches Auftreten und der Verbindung von Rechts- zert chiffriert ohne nähere Angaben als ‚Ab- Rock und politischen Akteuren. Immer wieder schiedskonzert der Verschwörung in Mittel- wurden von letzteren in den vergangenen Jah- deutschland‘ lediglich über die Homepage des ren Demonstrationen für die Freiheit der Kunst/ W&B Versand von Thorsten Heise. Die Stär- Meinungsfreiheit, insbesondere im Anschluss ke der RechtsRock-Szene liegt in ihrer hohen an Konzertverbote organisiert. Es spielten Bands informellen Vernetzung, die derartiges ermög- und/oder Liedermacher auf politischen Veran- licht. In der Szene besteht zwar eine Rollen- staltungen und Demonstrationen, wie spezifikation, allerdings ist diese nur gering beispielsweise Oidoxie im Rahmen eines Auf- ausdifferenziert und formale Festschreibungen marsches gegen die so genannte Wehrmachts- spielen kaum eine Rolle. Es zählen vielmehr ausstellung am 8. Juni 2002 in Leipzig, organi- Erfahrung, szenespezifisches Wissen und/oder siert vom Bewegungsunternehmer Christian besondere Fähigkeiten. Worch (Erb 2006). Selbst der einzig an dem Es sind gerade diese erfahrenen Aktivisten kostenlosen Auftritt der Band interessierte Be- des RechtsRock, die heute in großem Umfang sucher wird zum Teilnehmer der Demonstrati- die Produktion und den Vertrieb des Rechts- on und zu einem politischen Akteur. Rock organisieren. In der BRD ansässige Label produzierten im Jahr 2005 ca. 160 CD’s. Die ca. 80 Versände und mindestens ein Dutzend Strukturelle Komponenten Läden, die den Vertrieb der Musik, der szenety- Die entwickelten netzwerkartigen Strukturen pischen Bekleidung und des Merchandising der RechtsRock-Szene ermöglichen ferner eine organisieren, stellen einen strukturellen Faktor zentrale sowie dezentrale Mobilisierung. De- als Netzwerkknotenpunkte und als finanzielle ren Umfang und Qualität lässt sich anhand von Ressource in diesem ansonsten an Ressourcen zwei Ereignissen illustrieren: Zu dem seit eini- armen Bewegungsteil dar. Die großen Händler gen Monaten angekündigten, am 5. August setzen jährlich um die 500.000,– Euro um. Dabei 2006 stattfindenden Pressefest der Deutsche(n) entstehen Arbeitsplätze und Verdienstmöglich- Stimme, dem Organ der NPD, führten eine keiten, die einen Anreiz zum Verbleib in der zentrale Buskoordination der Partei ebenso wie Szene darstellen. Zumindest ein kleiner Teil der unabhängig davon existierende Fahrgemein- erwirtschafteten Gelder fließt direkt in die Ar- schaften. Zu dem letztmalig 2004 durchgeführ- beit der ‚Nationalen Bewegung‘. Beispielsweise ten Pressefest waren mehr als 6.000 Besucher bedankte sich die Kameradschaft Dortmund angereist. Die Veranstaltung bestand aus Kon- nach dem Kauf einer neunen Beschallungsanla- zerten von RechtsRock-Bands und nationalen ge für Demonstrationen bei den Konzertveran- Liedermachern, Vorträgen und Dutzenden staltern von Blood & Honour Vlaanderen, die Info- und Verkaufsständen und glich mit den dieses durch eine Spende aus Konzertgewinn Bier- und Bratwurstständen einem Volksfest. ermöglicht hatten. 52 Christian Dornbusch/Jan Raabe

Bewegungsorganisationen germanischen Kampfgemeinschaft, Die Van- dalen‘ und ist seit Herbst 2004 Mitglied der In Liedern beziehen sich RechtsRock-Bands mal NPD. diffus auf eine ‚Nationale Bewegung‘, mal spe- Die 1964 gegründete Partei hat spätestens zifisch auf bestimmte Organisationen. Ähnli- mit dem 1997 veröffentlichten ,Drei Säulen ches gilt für die Musiker, die sich in Interviews Konzept‘ ihren Charakter als reine Wahlpartei häufig als politische Aktivisten im weitesten aufgegeben und sich zu einer Bewegungsorga- Sinne verstehen, teilweise aber auch sehr deut- nisation entwickelt. Zwar lautet eine Säule lich herausstellen, dass sie Mitglied einer Orga- ‚Kampf um die Parlamente‘ und ist damit auf nisation sind oder über andere Zusammenhän- das eigene parlamentarische Vorgehen bezogen, ge versuchen, eine politische Veränderung in bewegungsförmiger formuliert sind die zwei ihrem Sinne voranzutreiben. anderen Säulen: ‚Kampf um die Köpfe‘ und Aus der Skinhead-RechtsRock-Szene ‚Kampf um die Straße’. Die NPD verlegte ihre heraus haben sich in der Vergangenheit verschie- Aktivitäten zunehmend, wie vom Konzept be- dene Organisationen (Blood & Honour, Ham- absichtigt, auf die Straße als auch in die Rechts merskin Nation, Skinheads Sächsische Schweiz Rock-Szene, d. h. einerseits begann die NPD etc.) mit der Absicht entwickelt, einen festeren zunehmend Demonstrationen und Kundgebun- verbindlicheren Rahmen für einen Teil der Sze- gen durchzuführen, organisierte andererseits ne herzustellen, um als Organisationseliten in- aber auch Konzerte bzw. führte sie unter der nerhalb dieser Szene bestimmte Aufgaben und Obhut und dem Schutz parlamentarischer Ab- Interessen professioneller wahrzunehmen und geordneter durch. um teilweise über einen organisatorischen Rah- Zu den Bewegungsorganisationen zählen men für das eigene politische Handeln zu verfü- ferner die ‚Freien Kameradschaften‘. Deren In- gen. itiierung resultierte aus den Verboten neonazis- Von größerer Bedeutung als diese Organi- tischer Organisationen in der ersten Hälfte der sationsansätze ist indes das Zusammenspiel der 1990er Jahre. Um derartiger Repression zukünf- RechtsRock-Szene mit der NPD sowie mit den tig zu entgehen, wurde das Konzept eben jener ,Freien Kameradschaften‘. Eine Reihe von ,Freien Kameradschaften‘ entwickelt, die zwar Musikern oder Organisationseliten der Rechts jeweils regional und autonom agieren, aber un- Rock-Szene sind selbst eng mit diesen verwo- tereinander, über die Aktionsbüros und persön- ben: Thorsten Heise betreibt beispielsweise das liche Netzwerken vernetzt sind. Rechtlich gese- Label samt Versand W&B-Records, ist Anfüh- hen gleichen die Kameradschaften nicht einge- rer der Kameradschaft Nordheim und Mitglied tragenen Vereinen. Meist im Verbund mehrerer des NPD-Bundesvorstand. Enrico Marx ist In- solcher Kameradschaften und durch Vermitt- haber des Label/Versand Barbarossa Records, lung sowie Unterstützung der Aktionsbüros betreibt in Sottershausen eine ehemalige Gast- konzipieren sie Demonstrationen und Kampag- stätte, die als Szene-Treff fungiert, ist feder- nen wie beispielsweise die derzeitige ‚bundes- führend in die Kameradschaft Ostara invol- weite Antikapitalismuskampagne‘, die unter dem viert, organisiert RechtsRock-Konzerte und Kürzel ‚antikap‘ läuft. gibt das Szenemagazin Ostara heraus. Michael Aus diesem Spektrum wurde 2004 auch die Regner war Sänger der gerichtlich als krimi- CD-Rom ‚Anpassung ist Feigheit – Lieder für nelle Vereinigung eingestuften RechtsRock- den Untergrund‘ veröffentlicht, auf der kurze Kultband Landser, trat danach unter seinem Texte in die grundlegenden politischen Aktions- Spitznamen Lunikoff auf, gehört zur ‚Ario- felder einführen, flankiert von 18 Bands, deren RechtsRock 53

Liedtexte diese Infotexte unterstützen (bspw. Literatur ‚Fuck the USA‘ von Noie Werte und der antia- Dornbusch, Christian/Raabe, Jan (Hg.) merikanische Text ‚Amerika‘). Auch auf orga- 2002: RechtsRock. Bestandsaufnahme und nisatorischer Basis verschmolzen bei diesem Gegenstrategien. Hamburg/Münster: Unrast. Projekt die beiden Spektren, die gemeinsam die- Dornbusch, Christian/ Killguss, Hans-Pe- se CD-Rom entwickelten und veröffentlichten. ter 2005: Black Metal zwischen Satanismus, Dem neonazistischen Spektrum in Deutsch- Heidentum und Neonazismus. Hamburg/Müns- land ist aufgegangen, dass die Vermittlung ihrer ter: Unrast. Inhalte leichter möglich ist mit dem Medium Erb, Rainer 2006: Protestorganisation und RechtsRock als Transporteur. Die Musik stellt Eventmanagement: Der Typus des rechtsextre- quasi ein rechtes ,Infotainment‘ dar und ist weit men Bewegungsunternehmers. In: Klärner, über den Rand der Szene hinaus in ein relativ Andreas/Kohlstruck, Michael (Hg.), Moderner heterogenes Publikum hinein verbreitet. Ent- Rechtsextremismus in Deutschland. Hamburg: sprechend kann das ,nationale‘ Spektrum über Hamburger Edition, 142-176. ihren eigentlichen Adressatenkreis hinaus für Eyerman, Ron/Jamison, Andrew 1998: ihre politischen Ideen werben und versuchen zu Music and Social Movements. Mobilizing Tra- mobilisieren. Dabei sind eine Reihe von Lie- ditions in the Twentieth Century. Cambridge: dern, bestimmte Zeilen oder der jeweilige Re- Cambridge University Press. frain teilweise deckungsgleich mit den Forde- Hellmann, Kai-Uwe/Koopmans, Ruud 1998 rungen der extremen Rechten. (Hg.): Paradigmen der Bewegungsforschung: Dieses Verhältnis besteht aber nicht nur ein- Entstehung und Entwicklung von neuen sozia- seitig: Während der nationale Liedermacher len Bewegungen und Rechtsextremismus. Op- Andre Lüders mit der CD ‚Frei, sozial und na- laden: Westdeutscher Verlag. tional‘ eine der Hauptparolen der ‚Freien Ka- Hitzler, Ronald/Bucher, Thomas/Niederba- meradschaften‘ vertonte, nahm die NPD-Par- cher, Arne 2001: Leben in Szenen. Formen ju- teizeitung Deutsche Stimme mit ihrer Schlag- gendlicher Vergemeinschaftung heute. Opladen: zeile vom April 2002 ‚Republik der Strolche‘ Leske + Budrich. Bezug auf das gleichnamige 1995 veröffent- Raschke, Joachim 1988: Soziale Bewegun- lichte Landser-Album. gen. Ein historisch-systematischer Grundriss. Festzuhalten bleibt, dass RechtsRock bzw. Frankfurt am Main/New York: Campus. dessen Szene die Bildung bewegungstypischer Speit, Andreas 2002 (Hg.): Ästhetische Mo- Momente und Strukturen in der extremen Rech- bilmachung. Dark Wave, Neofolk und Industri- ten förderte und heute maßgeblichen Anteil an al im Spannungsfeld rechter Ideologien. Ham- Inhalten, Mobilisierungsfähigkeit, finanziellen burg/Münster: Unrast. Ressourcen und Größe dieser Bewegung hat.

Christian Dornbusch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsstelle Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf. Jan Raabe ist Referent bei Argumente und Kultur gegen Rechts e.V. Bielefeld. 54 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Susann Witt-Stahl

Pop und Krieg – eine hemmungslose Eskapade

Als die Popstars sich nach dem 11. September Irak-Krieg der USA propagiert, zumindest ge- 2001 reihenweise mit dem Feldzug der USA rechtfertigt wird, endet nahezu ergebnislos: gegen Afghanistan aktiv solidarisierten und sich Außer ‚Let’s Roll‘ von dem strammen Republi- zumindest für die Mobilisierung der Heimat- kaner Neil Young – übrigens einem Protagonis- front zur Verfügung stellten, zeigte sich die kri- ten der Protestbewegung gegen den Vietnam- tische Pop-Fachwelt erstaunt über den militan- krieg – Charlie Daniels’ ‚This Ain’t No Rag It’s ten Westliche-Welt-Patriotismus, vor allem aber A Flag‘ oder Darryl Worleys ,Have You For- alarmiert durch den unverhohlen performativen gotten‘ (‚how it felt that day to see your home- Bellizismus der Popmusik-Szene – gemeint ist land under fire and her people blown away?‘) – hier der Mainstream. aus der Sparte Country ist man von jeher patri- Bis zum 11. September genoss die Popmu- otische bis chauvinistische Töne gewöhnt – sik den Ruf des Friedensbotschafters, der im können kaum Titel angeführt werden, die sich Stande war, Massenproteste gegen das ‚Töten positiv auf den Krieg beziehen. Das ist kein in Haufen‘ – wie Elias Canetti in Masse und neues Phänomen: Popmusik als Kriegspropa- Macht 1960 den Krieg nannte – wenn auch nicht ganda hat von jeher nur in seltenen Fällen dezi- auszulösen, so doch mindestens ästhetisierend diert, manifest für den Krieg geworben. Aus zu unterstützen. Spätestens seit Vietnam und dieser Tatsache lässt sich jedoch nicht ableiten, Woodstock wurde Pop als Befreiungskultur, als dass Popmusik in der Reklame für den Krieg Sprache der Schwachen und Verlierer oder gar keine Rolle mehr spielt. als Refugium für das widerständige Subjekt ge- würdigt. Stellt sich die Frage: Hat Pop nach Mobilisierung an der Front dem 11. September die Seiten gewechselt – von einer Massenkultur des Friedens zur Kultur der Schauplatz ist irgendeine Militärbasis in Pakis- Macht und Gewalt? Oder ist das legendäre En- tan: ‚Let’s get loud‘, appelliert gagement der Popmusik für den Frieden eine an die tobende Meute und tänzelt im Combat- Lüge aus dem schier unerschöpflichen Mas- Oufit über die Bühne. Sie fordert die US-ameri- senbetrugsrepertoire der Kulturindustrie? Mehr kanischen Soldaten zum rhythmischen Klat- noch: Sind Pop und Krieg nicht sogar genuin schen auf: ‚Life is meant to be big fun, / You’re miteinander verbunden? not hurting anyone.‘ Kriege machen Spaß, und Wenn bisher von Mobilisierung von Pop für Soldaten tun niemandem etwas zu Leide. den Krieg die Rede war, dann assoziierte man Superstars des Vulgär-Pop, wie Mariah Ca- die Propagandaschlager der Weltkriege, Front- rey oder Geri Halliwell, setzten nach dem 11. unterhaltung und Soldatensender. Das ist natür- September wieder auf Mobilisierung und lie- lich – die Monate nach dem 11. September, eine ßen sich in den Armen von stiernackigen Elite- Zeit totaler Hysterie, bilden eine Ausnahme – Fightern ablichten. Während bundesdeutsche weitgehend Vergangenheit. Die Suche nach Soldaten im Feldlager zu Prizren noch Mach- Popstars, die als Frontunterhalter auftreten, und werke wie ‚Es steht ein Haus im Kosovo‘ von nach Musiktiteln, in denen beispielsweise der dem Trucker- und Malocher-Barden Gunter Pop und Krieg – eine hemmungslose Eskapade 55

Gabriel über sich ergehen lassen mussten, wur- er eigentlich der ‚greatest democracy on earth‘ den ihre amerikanischen Kameraden von den gewidmet hat, ist ein hervorragendes Beispiel Stars aller Sparten der Unterhaltungsindustrie für die integrative Kraft des Mainstream-Pop. regelrecht hofiert. Rapper Coolio, Hardrocke- Der Text lässt nämlich keine Außenseiter zu, rin Joan Jett, Reggae-Sänger Shaggy, Soul-Le- bietet Identifikationsfläche gleichermaßen für gende Ruth Pointer tourten im November 2001 Kriegsbefürworter und Kriegsgegner – kein von Stützpunkt zu Stützpunkt. Die australische unwichtiger Aspekt, bedenkt man, dass die Sängerin trat bei den britischen Harmonisierung von Zwangsgemeinschaften, Soldaten in der Golfregion auf. Zur Jahreswen- eine möglichst stabile Heimatfront, für die er- de veranstaltete die Agentur der United Service folgreiche Durchführung von Kriegen noch Organizations (USO), gesponsert von Multis unabdingbar ist und die Kulturindustrie wie Coca Cola und Yahoo, zusammen mit dem schließlich primär ökonomische Interessen Sender MTV das Mega-Spektakel ‚For the Tro- verfolgt. ops‘. Jennifer Lopez, und Kid Rock Deutlicher wurde die Kulturindustrie am 21. waren als Top-Acts angekündigt. Oktober, einen Tag nach McCartneys Konzert, „I’ve always considered myself to a be a beim ‚United We Stand‘-Konzert in Washing- pretty patriotic guy, I don’t know if you’ve been ton. Veranstalter und Clear Channel Entertain- living in a cave or not‘, Kid Rock said. I feel ment-Vorstand Brian Becker versprach Präsi- that it’s my part as an American [to participate]. dent Bush offiziell die Unterstützung der Mit- If they needed me to pick up a gun, I’m happy wirkenden für die Militärs, weil die ‚are risking to do that too, but I think this is my place. So their lives for our safety‘. right now, I’m ecstatic to go over and entertain Der Schauspieler , bekennen- the people who are fighting for my freedoms, der Buddhist, hatte es schwer. Mit seinem vor- because I do take advantage of my freedoms.‘ sichtig geäußerten Wunsch nach ‚Peace‘ han- For his performance, Kid Rock said he’s got a delte er sich deftige Flüche und Buhrufe von medley of classic American rock tunes planned. der revanchegeilen und unentwegt ‚USA! ‚I’m going to bring them a show that’s going to USA!‘ skandierenden Jubelmeute im Auditori- peel their wig back,‘ he boasted. ‚Those guys um der Heroes-Gala ein. Die Rubrik ‚dona no- are going to forget we’re at war.“ (Vineyard bis pacem‘ war nach dem 11. September nahezu 2001) getilgt aus dem Programm der Kulturindustrie. Die Platzierung einer HipHop-Version von Country Joe McDonalds ‚I-Feel-Like-I’m-Fi- Zwischen Gegnern und Befürwortern xin’-To-Die Rag‘ in den höheren Rängen der Zehn Tage nach der WTC-Tragödie konnte man Charts war nicht zu erwarten und vor allem nicht schon erste Mobilisierungs-Signale von der erwünscht. Denn die westliche Welt kämpfte Pop-Prominenz wahrnehmen. Während der ‚A gegen das reine Böse. Tribute to Heroes‘- Gala am 21. September in Frontunterhaltung, nach Vietnam verpönt New York boten die Troubadoure der ‚freien und bestenfalls von zweitklassigen Country- Welt‘ den bärtigen Terroristen musikalisch die Bands oder ausgemusterten Models zum Ein- Stirn und versicherten aufrichtigen Durchhal- spielen ihres Gnadenbrots genutzt, erstrahlte tewillen. Der von Paul McCartney einen Mo- wieder im Glanz vergangener Tage, als noch nat später zum von ihm selbst im Madison Marlene und Marilyn ‚for the boys‘ sangen. Square Garden organisierten ‚Concert For New Pop’s coming home, in den Schoß des Krie- York City‘ beigesteuerte Titel ‚Freedom‘, den ges. 56 Susann Witt-Stahl

Pop als Waffe? nommen. Der Militärmarsch spielte als Genre eine nebengeordnete Rolle, militärische Zeichen- Pop wäre ohne die enge Verflechtung von Kom- qualitäten jedoch waren in der Popmusik in gro- munikationstechnik und Kriegsführung, ohne ßer Fülle vorhanden. Der Swing, die populärste die gigantischen Technisierungsschübe des ,Va- U-Musik des Zweiten Weltkriegs, enthält viele ters aller Dinge‘ nicht möglich gewesen. Pop Stilelemente der Militärmusik: Beispielsweise ist Abfallprodukt und Waffe des Krieges die Dominanz der Bläser, das Schlagzeug als zugleich. Ende des 19. Jahrhunderts, als Pop Präzisionsmaschine oder die disziplinierte Tren- anfing, Pop zu sein – das heißt als industriell nung von melody section und rhythm section. gefertigte und standardisierte Ware erhältlich – Der feste Tritt der Nagelstiefel war dem Off- , war Pop mit der Militärmusik noch vielfältig beat der großen Schau-Orchester von Teddy verwoben. Militärmusikkultur und zivile Un- Powell oder Teddy Stauffer gewichen. Der terhaltung erwiesen sich zumindest als wech- Swing mit seinen sensualistischen Reizen, hek- selseitig durchlässig. Der Marsch war aus sei- tischem Drive und seinen implantierten Gim- nem militärisch-funktionalen Bereich heraus- micks ließ den Krieg als spaßige touristische getreten, zur Darbietungs- und Unterhal- Attraktion erscheinen. Bing Crosby und die tungsmusik gereift und zum Crossover mit zi- Andrew Sisters versprachen eine ,Hot Time In vilen Genres – von der Oper bis zum Gassen- The Town Of Berlin‘. In anderen Sparten sah es hauer – angetreten. Militärmusiktrainer wie nicht anders aus. Schnulzen-Sänger Little Jack Geoffrey O’Hara schrieben Kriegshits, in de- Little wünschte sich: ‚I’ve Always Wanted To nen alle möglichen Sujets verarbeiten wurden, Dance In Berlin‘ oder Country-Swinger Ozzie nur nicht der Krieg. Es waren dann auch Mili- Waters träumte von einem ,Rodeo Down In tärbands, die die Vorboten des Jazz nach Euro- Tokyo‘. Der berühmteste Kriegsheld trug zwar pa brachten und Musiken jeglicher Provenienz Uniform, war aber kein Soldat, sondern Do- ad usum populi servierten. Im Gegenzug ver- nald Duck. Er bekämpfte seinen Kontrahenten banden zivile Komponisten wie der deutsche Adolf Hitler nicht nur in Comic-Heften und Paul Lincke das genuin europäische Genre -Filmen, sondern auch in überaus albernen Pop- Marsch mit afro-amerikanischen Synkopen, Songs wie beispielsweise in Johnny Bonds ,Der pentatonischen Wendungen und Polyrhythmik. Führer’s Face‘ von 1942. Die Unterhaltungsindustrie transportierte den Im nationalsozialistischen Deutschland do- Starkult des gleichzeitig heroischen und bonvi- minierten nicht die berüchtigten Kampflieder vanten Leutnants als ,Offizier und Gentleman‘, von Hans Baumann oder Heinrich Spitta den der zum Vorbild der männlichen und zum Ob- Kriegsalltag, sondern vorwiegend Schlager, die jekt erotischer Fantasien der weiblichen Puber- hohe Schule der Tendenzlosigkeit und Anpas- tierenden wachsen sollte. Ob Marsch oder Ope- sung. Insgesamt war in deutschen Schlagern rette, Couplet oder Schlager, Cake Walk oder ein – wie Lothar Prox (1979: 76) es nennt – Ragtime: Die Stilisierung, Banalisierung und „zupackender Gestus“ einer Party-Gute-Laune- vor allem Verkitschung des Krieges war unauf- Musik verbreitet. Durch diesen Gestus (‚Wir haltsam. Krieg sollte so lustig werden wie noch machen Musik, da geht euch der Hut hoch. Wir nie. machen Musik, da geht euch der Bart ab‘) wur- Das änderte sich auch während des Zweiten de Spontaneität suggeriert – nicht kulturelle Ar- Weltkriegs nicht, mit einem wichtigen Unter- beit, sondern des Menschen Naturzustand, wo- schied: Pop, mit all seinen Sparten, hatte die rin er ungespalten mit Geist und Sinnen aufgeht Führung in den Propagandaschlachten über- und einen göttergleichen, verwandelten Status Pop und Krieg – eine hemmungslose Eskapade 57

erreicht: ‚Mit Musik ist ja das ganze Leben nur seiner Behauptung, dass Pop eigentlich nur in noch halb so schwer‘, und ‚Willst du einmal zwei Typen vorkomme: Rhythmische Musik und glücklich sein, dann hilft nur sie allein‘ (zit. n. sentimentale Musik (vgl. Adorno 1941: 40ff). ebd.). Die Heerschauen fanden nicht mehr auf Zu diesen Typen, so der Musiksoziologe, gebe dem Zeppelinfeld, sondern auf den Showtrep- es korrespondierende Verhaltensweisen: Eine, pen der Revuefilme statt. Diese fungierten als die sich dem Rhythmus unterwerfe, (also ‚slave Dressurschau der formierten Kriegsmasse: to the rhythm‘) und sich dem autoritären Kol- „Wenn die Girls in ‚Wir tanzen um die Welt‘ in lektivismus der Ganzheitsmaschine unterord- triumphaler Siegespose allabendlich im Stech- ne, und eine weitere, die das verwehrte, uner- schritt die Treppe heruntermarschieren, treten füllte Glück realisiert und in der Musik die Li- sie in lackierten Stiefeln den noch unsichtbaren zenz zum Weinen findet. Adornos Fazit lautet: Aufstand nieder. Das ist Tanz im Dienste; die „One who weeps does not resist any more than einen reiten für Deutschland, die anderen tan- one who marches“ (ebd.: 42). zen und exerzieren im Bereich der Unterhaltung Pop fand nicht zu einer Sprache des Wider- eine Form vor, die ihren Ausdruck im Krieg stands gegen den Krieg, auch nicht zu einer des findet.“ (Witte 1979: 8). Leidens und Schmerzes. Nicht einmal als Mo- Das Bedürfnis nach vitaler, flotter, swingen- bilisierungsmusik klagte er die unmenschlichen der Tanzmusik war auch im Nazi-Deutschland Verbrechen des Feindes an, sondern beschränkte groß. Die Musikfilme wurden entsprechend sich auf ein Banalisieren oder maximal auf ein aufgelockert. Sogar im ‚Wunschkonzert für die irrationales Perhorreszieren. Wehrmacht‘ tauchten ab und zu gemäßigte Jazz- Mit den immer gleichen Mitteln lässt Pop Titel auf. das Irrationale triumphieren, vor allem durch Die Kriegsprodukte der Kulturindustrie des eine rauschhaft-sinnliche Rhetorik, die ein glück- Zweiten Weltkriegs kennzeichnen sich jedoch liches Jetzt-Erlebnis verspricht. Treffen Pop und nicht ausschließlich durch hysterische Tanzwut Krieg zusammen, erscheint das ästhetische Leit- und trotzige Fröhlichkeit, sondern auch durch motiv dieser massenkulturellen Ereignisse in sehnsuchtsvolle Weltflüchtigkeit, Sentimentali- bemerkenswerter Dichte. Die Intensität des tät und Schicksalsergebenheit. Die Beliebtheit Augenblicks erfährt eine hedonistische Huldi- des Weltkrieg-Hits ‚Lili Marleen‘, über alle Fron- gung. Sein exzessives Erleben verspricht die ten hinaus, ist auf die vielen semantischen Be- Befreiung von dem lästigen Regelwerk der Ver- züge zum Soldatenalltag, besonders aber auf nunft und Fluchthilfe aus der kulturellen Enge, seine starke Abschiedsmetaphorik zurückzufüh- den Fesseln der Moral und ihren kategorischen ren. Ähnliches gilt für das Chanson ‚J’attendrai‘, Imperativen. Der Rock’n’Roll sollte in seinen das in Deutschland unter dem Titel ‚Komm zu- vielfältigen Erscheinungsweisen den Beweis rück!‘ erschienen war – die Nazis spielten es dafür antreten. gern zu den Hinrichtungen von Häftlingen, die In seiner Schrift Feuer und Blut von 1929 Fluchtversuche aus Konzentrationslagern un- entwarf Ernst Jünger bereits das Drehbuch für ternommen hatten (Kuna 1993: 33). Coppolas Apokalypse Now, diesem obszönen Ob als scheinbar tendenzlose Begleitmusik, Thriller über die Faszination des Schreckens, Ornamentierung und Kompensator des Kriegs- der später zu einem ästhetischen Leitmotiv von alltags oder als Propagandawaffe: Theodor W. Metal-Bands wuchern sollte. Bei Jünger heißt Adorno, der die Kulturindustrie bezichtigte, die es: „Und laßt das Bild der großen Schlacht aus Musik zum „Naturschutzpark der Irrationalität“ dem Rausch aufschießen wie eine blutrote Blu- verkommen lassen zu haben, hatte Recht mit me, mit goldenen Feuerstreifen geflammt. Das 58 Susann Witt-Stahl

ist ein Kunstwerk, wie es Männern Freude like drugs, and often joining in tribe-like com- macht. Hier, wo die Leiden dunkler, aber auch munes. They were taking on the guise of the die Lüste brennender und wilder sind, während Indian, the natural man who in the popular cul- des Tanzes über dem Abgrunde, lernt man das ture of their childhoods had been presented as Blut schätzen und die dürftigen Geister verach- the savage or noble Other confronting the white ten, wenn man der Feuerprobe gewachsen ist. American on the frontier“ (Hellman 1986: 76). Und das ist auch ein Auf- und Untergang. Aber In diesem Klima entstanden vorwiegend vorher wollen wir ein Fest aus unserem Unter- kulturfossile irrationale Anschauungen. Der gange machen, ein Fest, zu dem das Geschütz Krieg erstrahlte als metaphysische Größe, als der ganzen Welt einen brüllenden, noch niemals letztmögliches menschliches Abenteuer. gehörten Salut schießen soll“ (Jünger 1929: Der Vietnamkrieg, der diese Wandlung des 28f). Lebensgefühls erst ermöglichte, lieferte eine geeignete Kulisse für die Inszenierung des kol- lektiven Deliriums: Vom naiven Sommer-Hit Inszenierung des Krieges ‚San Francisco‘ (1967) von Scott McKenzie Die Regression auf Trieb und Rausch, das oze- mit seichten Textstellen wie ‚Be sure to wear anische Gefühl bis zur bedingungslosen Hin- some flowers in your hair‘ bis zu den zahllosen gabe an den dionysischen Exzess sollte dann Songs über Drogen und Sex von Jimi Hendrix, den ‚ersten Rock’n’Roll-Krieg‘ (Herr 1979) in den Doors, Byrds usw., in denen heute allzu Vietnam dominieren. gerne semantische Verweise auf eine Anti- Die meisten Produkte der Kulturindustrie Kriegshaltung gesucht und gefunden werden, dieser Zeit thematisierten das intensive Lebens- obwohl sie in der Regel nichts als den trotzigen gefühl einer Jugend, die ihre gähnende Lange- Gestus einer egozentrischen, sich unverstanden weile in rauschhafte oder berauschte Fantasien und im Stich gelassen fühlenden Jugend ent- umgewandelt hatte. Wie John Hellman (1986) hielten. Die ekstatischen Hippie-Tänze von The in seiner Abhandlung American Myth and the Grateful Dead standen zwar oberflächlich im Legacy of Vietnam ausführlich darlegt, gehörte Gegensatz zum militärischem Drill, sie indizier- dazu auch der aufrichtige Glaube an eine neue ten eine intensive Körperlichkeit, archaische Spielart des ‚New-Frontier‘-Mythos, der von Wildheit, sinnliches Jetzt-Erleben – eine schein- Drogen-Gurus wie Timothy Leary oder Acid- bare Autonomie des Individuums. Aber abge- Rock-Bands wie Jefferson Airplane und Quick- sehen davon, dass das Grundmetrum nie ver- silver repräsentiert wurde. Das zentrale sinn- lassen, die betonten Taktteile getanzt wurden, stiftende Ideal der ‚New Frontier‘, das zu Be- symbolisierte Psychedelic, die Musik der Hip- ginn des Kalten Kriegs aufgefrischt worden war, pies, eine Freiheit, die nicht politisch begriffen, zeichnete den Green Beret als Nachfahren des sondern losgelöst von jeglicher historischer Trappers Daniel Boone, als unschuldig-naiven Verantwortung primär im Zusammenhang mit Primitiven, aber technisch versierten Krieger intensiven emotionalen Erlebnissen assoziiert (vgl. Hellmann 1986). Präsident Johnson hatte wurde. Nur in wenigen Songs wurde eindeuti- die Mythenpflege grob vernachlässigt. Der ger Protest laut und die machtpolitischen Im- Mythos wandte sich gegen das herrschende pulse des Krieges enthüllt. Die Urheber und System. Die US-amerikanische Jugend trat die Interpreten der Antikriegs-Songs waren aller- Flucht in archaisch-paradiesische Welten an: dings Musiker, die schon vor Vietnam der ame- „They ‚dropped out‘, growing long hair, wea- rikanischen Linken angehört hatten, beispiels- ring buckskin and headbands, sharing peyote- weise Pete Seeger oder Joan Baez. Pop und Krieg – eine hemmungslose Eskapade 59

In Vietnam waren Pop und Krieg zu einer der Swingbands, dem Auftrumpfen der Kollek- hemmungslosen Eskapade akkumuliert. Am tivmacht in den Refrains der Rock- und Gos- Ende resümiert der Vietnam-Korrrespondent pel-Songs, über die gekünstelte Vitalität der Michael Herr in seinem Buch Dispatches noch Disco-, Techno- und Salsa-Beats bis hin zur sichtlich benommen von diesem Trip: „Draußen Koketterie mit dem Grauen: Zugunsten der auf der Straße konnte ich die Vietnamveteranen Huldigung des ‚carpe-diem‘-Prinzips haben Pop und die Rock’n’Roll-Veteranen nicht auseinan- und Krieg die Grübler, Zweifler und Moralisie- derhalten. Die Sechziger hatten so viele Verletz- rer in die Randständigkeit verbannt. te hervorgebracht, ihr Krieg und ihre Musik so Wenn Pop eine Protesthaltung gegen den lange Energie aus derselben Leitung gezapft, Krieg einnimmt, wächst er selten über niveau- daß sie sich nicht einmal zusammenzutun vollen Kitsch hinaus. Die meisten Versuche brauchten. Der Krieg machte sich auf lahme münden in ein falsches Pathos, in fatale Höllen- Jahre gefaßt, während der Rock’n’Roll gruseli- trips oder schlichtweg in die Lächerlichkeit. ger und gefährlicher als Stierkampf wurde, Wenn Pop trauert, dann bleibt er meist in der Rockstars fielen mit einem Mal wie die Leut- Sphäre des Sentimentalen und Fatalistischen nants, Rausch und Tod und (natürlich und ge- stecken. Ein aktuelles Beispiel aus dem Main- wiß) Leben, aber damals sah’s nicht so aus. stream ist der melancholische Ground-Zero- Was ich für zwei Verrücktheiten gehalten hatte, Soundtrack ‚Only Time‘ mit dem Motiv der war in Wirklichkeit bloß eine, ich weiß nicht, traurigen Schönheit, das den Gestus des Ak- wie ich klarmachen soll, wie kompliziert das zeptierens ‚Ja so ist es’ beinhaltet. Das medial mein Leben machte. Eisig und glühend und verordnete Rührstück der irischen Sängerin Enya wieder in den beschissenen Modder der Kultur sollte über Wochen ‚die Betroffenheit der Zu- runtersteigen: halt durch und mach schön lang- schauer über die Katastrophenbilder vom 11. sam weiter“ (Herr 1979: 281). September ausdrücken‘ – so hatte jedenfalls die Redaktion der SAT1-Nachrichtensendung ‚die nacht‘ entschieden. Nahezu in der gesamten Ästhetik des Krieges westlichen Welt klangen die abendlichen Sen- Auch nach dem Vietnamkrieg wurde die Ver- deblöcke mit diesen visuell-akustischen Impres- bindung Pop und Krieg, das Verschmelzen von sionen vom Ground Zero aus. Die Medien prä- Eros und Thanatos, als lustvoll erlebt, die sentierten das terroristische Attentat als hochäs- Kriegstoten als Statisten eines Schauspiels wahr- thetische Bildercollage – hier wurde nach allen genommen oder schlichtweg in den Soundmas- Regeln filmerischer Inszenierungskunst zu Wer- sakern der Metal-Bands verheizt. Die Band Slay- ke gegangen: Zeitlupe, Überblendtechnik, Ein- er machte dabei nicht einmal vor den Lagertoren spielung von pixeligen Handkamera-Wackelbil- von Auschwitz halt und bettete den Holocaust dern, die das Publikum spätestens seit Steven in ihrem Titel ‚Angel Of Death‘ in eine Ästhe- Spielbergs ‚Der Soldat James Ryan‘ erwartet. tik schwarzer Messen, dekadenter Nekrophilie Irak-Krieg, ein Tag vor Kriegsbeginn im und orgiastischer Gewaltfantasien ein. Persischen Golf: Vize-Admiral Timothy Kea- Pop und Krieg ästhetisieren sich wechsel- ting, Kommandeur der 5. Flotte, betritt eine seitig, stehen in einem symbiotischen Verhält- Bühne auf dem Flugzeugträger USS Constella- nis zueinander. Krieg liefert Pop nicht nur die tion. Die kitschige Inszenierung – ein weinen- Sujets, sondern vor allem eine Schaubühne, auf der Weißkopfadler mit der Überschrift ‚We Will der sich große Dramen inszenieren lassen. Vom Always Remember 9-11-01‘ als Kulisse, dazu deftigen Schunkelschlager, hektischem Drive der Queen-Hit ‚We Will Rock You‘, der aus 60 Susann Witt-Stahl

überdimensionalen Lautsprechern dröhnt und mediale Darstellung des Krieges durch ein un- Tausende von Soldaten zum Stampfen und Klat- mittelbares Live-Erleben von Action in Echtzeit schen animiert – beseitigt nicht nur letzte Zwei- charakterisiert. fel, dass die gedemütigte Supermacht Genugtu- Während die Bilder Nähe suggerieren, ung am irakischen Menschenmaterial eintrei- schafft Musik Abstand zum Geschehen auf den ben will, sondern indiziert: Der moderne Krieg Schlachtfeldern. Musikhören kann eine Regres- wird zusehends als gesamtkunstwerkliches sion bewirken, die bis zur Erfahrung der Spal- Spektakel rezipiert. tung des Raumes reicht. Die Welt, die aus der In der Gesellschaft des Spätkapitalismus, die scheinbaren, ‚sicheren‘ Distanz des Draußen bis in den tiefsten Winkel durch Kulturindust- geschaut wird, ist eine andere. Rainer Schön- rie durchwirkt ist, die kein Außerhalb mehr zu- hammer beschrieb dieses Phänomen am Ex- lässt und zu einem Element gewuchert ist, das trem-Beispiel des Walkman-Hörens: „Man ist wir – wie der Kulturwissenschaftler Michael ‚draußen‘, was man sieht, wird eigentümlich Denning (1991: 267) es ausdrückt – alle ‚at- fern, damit aber nicht schlicht negiert, abgeblen- men‘, scheint eine nachrichtliche Präsentation det, sondern zum Spektakel, das man in gewis- des Krieges obsolet. „Man könnte denken, daß ser Weise aufmerksamer betrachtet als ohne die die langweiligen Filme des Pentagon und von Distanzierung, die ineins aus dem Nicht-Hören CNN irgendwie zum Opfer von Regisseuren der gewohnten Geräuschewelt und der Gebor- wie Jean-Luc Godard oder denjenigen gewor- genheit in der musikalischen Stimmung resul- den sind, die Kino mit Video-Überwachung tiert. In Befragungen schlägt sich dieses Zum- verwechselt haben“, beschrieb 1991 Paul Viri- Spektakel-Werden nicht zuletzt in der Aussage lio (Virilio 1996: 86) seine Eindrücke aus dem nieder: ‚Das ist wie Kino‘“ (Schönhammer ersten Golfkrieg der USA. Der Schriftsteller 1991: 43). hatte bereits Mitte der 1980er Jahre in seinem Musik verstärkt die Aura des Krieges. Die Essay Krieg und Kino auf die Osmose von Illusion des Krieges wird als angstfreie, lust- Kriegs- und Kameratechniken aufmerksam ge- volle und berauschende Erfahrung affirmiert. macht (vgl. Virilio 1986). Es verwundert kaum, dass sogar die Kombat- Es scheint, als hätten die Kriegsherren den tanten der High-Tech-Kriege ihr Kriegserleb- Regisseur gewechselt und die Inszenierung des nis – beispielsweise im Vietnamkrieg oder Irak-Krieges Steven Spielberg überantwortet. Golfkrieg – oftmals als Film wahrnehmen. Die Bildermaschinen produzierten unentwegt Durch die Einnahme von Drogen, zum Teil semantische Verweise auf Schlüsselszenen des von der militärischen Führung verabreicht, und Zweiten Weltkriegs, den Krieg, der sich aus die Dauerbeschallung via Transistorradio – verständlichen Gründen als gerechter in das später auch Walkman –, durch die Software Kollektivgedächtnis der Menschheit einge- Rockmusik entsteht nicht nur der Eindruck ei- schrieben hat: Die Stars and Stripes werden von nes ‚schönen‘ Krieges, sondern ein gefährli- Iwo Jima über Ground Zero zum Paradies-Platz cher Taumel zwischen Fiktion und Realität. von Bagdad durchgereicht: Dort stülpte ein Sol- Michael Herr schildert diese Wahrnehmung dat der 1. US-Marineinfanteriedivision dem folgendermaßen: „[Es] war, wie esoterischer bronzenen Schurken schließlich jenes Fahnen- Musik zu lauschen, du hörtest sie nicht wirk- tuch über, welches ihm, so versichert der Krie- lich all die Male, die sie wiederkam, bis dein ger, am 11. September im brennenden Penta- Atem in sie eingedrungen und ein zusätzliches gon ausgehändigt worden war. Aber viel wich- Instrument geworden war, und dann wars nicht tiger: Wie in Spielbergs Band of Brothers ist die mehr nur Musik, sondern Erfahrung. Leben- Pop und Krieg – eine hemmungslose Eskapade 61

als-Film, Krieg-als-(Kriegs-) Film, Krieg-als- Jeckell, Barry A. 2001: „Top Stars ‚Unite‘ Leben“ (Herr 1979: 75). For D.C. Benefit Concert.“ In: Billboard Dai- ly Music News, 9. Oktober, http:// www.billboard. com /billboard/ daily/article Alles Propaganda? _display.jsp? vnu_content_id=1075962 (Stand Und Pop liefert die Tonspur für den Krieg als v. 7.5.2004). Film-Schauspiel oder das Gesamtkunstwerk Jünger, Ernst 1929: Feuer und Blut. Ein klei- Kriegs-Film. Richard Wagners totalitäres Kon- ner Ausschnitt aus einer großen Schlacht. Ham- zept des Gesamtkunstwerks mit seiner extremen burg: Hanseatische Verlagsanstalt. Ausrichtung auf Publikumswirksamkeit scheint, Kuna, Milan 1993: Musik an der Grenze wie der Kulturwissenschaftler Moshe Zucker- des Lebens. Musikerinnen und Musiker aus mann (2002: 85ff) ausführt, erst im multimedia- böhmischen Ländern in nationalsozialistischen len Zeitalter verwirklicht, denn nun können die Konzentrationslagern und Gefängnissen. Frank- Sinne optimal stimuliert werden. Die manipulati- furt a.M.: Zweitausendeins. ve Massen-Suggestionskraft des Gesamtkunst- Prox, Lothar 1979: „Melodien aus deut- werks habe sich, so Zuckermann, im Monumen- schem Gemüt und Geblüt.“ In: Wir tanzen um talismus der Hollywood-Traumfabrik erst so rich- die Welt. Deutsche Revuefilme 1933-1945; Zu- tig entfaltet. Das Gesamtkunstwerk schweißt das sammengestellt v. Helga Belach. München, Publikum zur Gemeinschaft zusammen. Es hat Wien: Hanser, 73-86. in besorgniserregender Weise die Entindividua- Schönhammer, Rainer 1991: „Walkman-Er- lisierung des Menschen beschleunigt und ist fahrungen.“ In: Musik als Droge? Zu Theorie schon allein daher pure Ideologie. und Praxis bewusstseinsverändernder Wirkun- gen von Musik, Hg. v. Helmut Rösing (= Par- Susann Witt-Stahl, freie Journalistin und lando. Schriften aus der Villa Musica 1). Mainz: Autorin, arbeitet in dem Netzwerk stahlpress Villa Musica, 39-47. Medienbüro (www.stahlpress.de). Sie studierte Witte, Karsten 1979: „Gehemmte Schau- Musikwissenschaften und Philosophie an der lust. Momente des deutschen Revuefilms.“ Universität Hamburg. In: Wir tanzen um die Welt. Deutsche Re- vuefilme 1933-1945, Zusammengestellt v. Helga Belach. München, Wien: Hanser, 7- Literatur 52. Adorno, Theodor W. 1941: „On Popular Vineyard, Jennifer 2001: „J. Lo, Kid Rock, Music.” In: Zeitschrift für Sozialforschung 9, Ja Rule To Entertain Overseas Troops.“ In: MTV 17-48. News: Archive, 12. März, http://www.mtv.com/ Denning, Michael 1991: „The End of Mass news/articles/1451274/20011203/ kid_rock. Culture.“ In: Modernity and Mass Culture, Ed. jhtml (Stand v. 7.5.2004). by James Naremore and Patrick Brantlinger. Bloo- Virilio, Paul 1986: Krieg und Kino. Logistik mington: Indiana University Press, 253-268. der Wahrnehmung. München, Wien: Hanser. Hellman, John 1986: American Myth and Virilio, Paul 1996: Krieg und Fernsehen. the Legacy of Vietnam. New York: Columbia München, Wien: Hanser (4. Aufl.). University Press. Zuckermann, Moshe 2002: Kunst und Pu- Herr, Michael 1979: An die Hölle verraten. blikum. Das Kunstwerk im Zeitalter seiner ge- Dispatches. München: Rogner & Bernhard (5. sellschaftlichen Hintergehbarkeit. Göttingen: Aufl.). Wallstein. 62 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

ANALYSE mit popularer afroamerikanischer Musik aus ...... urbanen Zentren wie New York City, Detroit oder Chicago assoziiert. Who are the ‚Boyz in the Hood‘? Als mit den 1990er Jahren der Begriff ur- Gewalt, Geschlecht und Ethnizität in ban music im Mainstream auftaucht, erfährt er urban music Videoclips eine Erweiterung um hybride Musik wie Wenn wir über sexualisierte und sexuelle Ge- Drum’n’ Bass oder UK Garage. Urban Music waltdarstellungen in Musikvideos sprechen, ste- scheint die neue und für manche auch die poli- hen HipHop und vor allem Gangsta Rap für tisch korrektere Bezeichnung für afroamerika- ihren Sexismus, ihre Homophobie und ihre im- nische und hybride Musik zu sein – allerdings plizite Gewaltbereitschaft im Zentrum der Kri- weist dieser angeblich ,race‘-neutrale Begriff tik. Diese Genres afroamerikanischer Musik eine Reihe von rassistischen Untertönen auf. werden gemeinsam mit R&B und anderer hyb- Urban music ist für Musikindustrie, Plattenla- rider Musik unter dem Begriff urban music bels und MusikjournalistInnen die geeignete gefasst. In diesem Artikel greife ich einige Be- Bezeichnung, um jede Art von afroamerikani- deutungen von urban music auf, um daran scher und hybrider Musik, die seit den 1990ern anschließend die Frage zu diskutieren, wie Ge- in europäischen und us-amerikanischen Groß- walt, Geschlecht und Ethnizität in urban music städten entstand, für weiße HörerInnen neu zu Videoclips repräsentiert werden. Dabei schlage vermarkten.1 Darüber hinaus ist das Labeling ich vor, die stereotypen Repräsentationen von afroamerikanischer Musik unter urban für Schwarzer Männlichkeit als gewalttätige und weiße und nicht-Schwarze Musikerinnen will- frauenfeindliche in einem breiteren historischen kommen, um diese Musikrichtungen aufzugrei- und gesellschaftspolitischen Kontext zu veror- fen, ohne mit den politischen Aussagen von afro- ten. amerikanischer Musik in Berührung zu kom- men. Auf dem ,Black Music Congress‘ an der Urban Music London City University 2004 kamen die Teil- Der Begriff urban music lässt sich auf die us- nehmerInnen zu dem Schluss: „(...) Urban mu- amerikanischen urban contemporary Radio- sic has no compulsion to express the serious stationen zurückführen, die sich in den 1970er black experience or struggle. (…) It perpetuates und 1980er Jahren der Vermarktung von Hip- the excesses within our culture by glamorising Hop, Rap, Reggae und zeitgenössischem R&B the materialistic bling-bling, disrespect the verschrieben hatten. Erstmals tauchte der Be- womanhood, use of profanity, crass dancing, griff urban contemporary mit dem New Yorker etc“.2 Radio-DJ Frankie Crocker Mitte der 1970er Jah- Der Begriff urban music sollte die multikul- re auf, der sein Programm aus HipHop und turelle Atmosphäre in us-amerikanischen, briti- R&B-Hit-Singles zusammenstellte und vor al- schen oder französischen Großstädten reflek- lem afroamerikanische Frauen zwischen 18 und tieren und afroamerikanische wie hybride Mu- 34 Jahren ansprechen wollte. ,Mainstream ur- sikstile vereinen, die ethnische und kulturelle ban‘ und ,Urban Top 40‘, zwei weitere ,urban‘- Minderheiten entwickel(te)n. Dieses Vorgehen Radiostationen, erweiterten ihr Programm ab- zielt auf einen diskursiven Richtungswechsel in seits von Hit-Singles mit dem Ziel, das Publi- den Diskussionen über ‚Race‘/Ethnizität und kum um männliche Afroamerikaner, aber auch Musik ab: Populare Musik von People of Co- Latinos, Asian-Americans und Weiße zu ver- lour3 wird unter urban gefasst, und an die Stelle größern. Seit damals wird urban vorwiegend der Verbindung zwischen ‚Race‘, Ethnizität und Pulsschlag 63

Musik, wie diese beim Begriff ‚Black Music‘ Angeles, in denen vor allem MigrantInnen und offensichtlich ist, tritt der Konnex zwischen People of Colour leben bzw. leben sollten. Hier AfroamerikanerInnen und Urbanität. Dieser werden Fragen nach Machtregimen und rassis- Versuch, eine neue Begrifflichkeit mit einer neu- tischen stadtplanerischen Maßnahmen im Zu- en Vermarktungsstrategie einzuführen, ignoriert sammenhang mit minorisierten Gruppen viru- und dethematisiert die strukturellen und indivi- lent. Birgit Rommelspacher (1995) prägte den duellen rassistischen Ausgrenzungen von Begriff der Dominanzkultur, um zu beschrei- KünstlerInnen mit migrantischem Hintergrund ben, wie die Zugehörigkeit zur Dominanzkultur oder Schwarzen KünstlerInnen. mit ökonomischen, sozialen und kulturellen Pri- Zugleich rekurriert urban music auf zwei vilegien für Angehörige der Mehrheitsgesell- unmittelbar miteinander verbundene Phänome- schaft verbunden ist, die Menschen nicht-wei- ne, die in den Entstehungsgeschichten von afro- ßer Hautfarbe und/oder ohne EU- bzw. us-ame- amerikanischer und hybrider Musik eine zen- rikanischer Staatsbürgerschaft verwehrt bleiben. trale Rolle spielen: Erstens auf die Migrations- In Los Angeles zeigte sich die Zugehörigkeit bewegungen in westeuropäischen und us-ame- zur Dominanzkultur lange Zeit u.a. durch das rikanischen Großstädten sowie den generellen Verbot für AfroamerikanerInnen, in die Vororte Einfluss von MigrantInnen auf die Entwick- zu ziehen und als die ,blue-collar‘-Industrie, die lung von Popularmusik, und zweitens auf den traditionell AfroamerikanerInnen und Migran- Verweis im Begriff urban music auf die Le- tInnen beschäftigte, auf eine ökonomische Kri- bens- und Arbeitsbedingungen von People of se zusteuerte, blieb eine arbeitslose und immo- Colour und MigrantInnen in us-amerikanischen bile Schwarze Bevölkerung im Stadtzentrum und europäischen urbanen Zentren. zurück, die weitere Abwanderungsbewegungen Wesentlicher Motor für die Entwicklung von von Weißen aus dem Stadtkern nach sich zog. afroamerikanischer und hybrider Musik waren In europäischen Großstädten wie beispiels- und sind die Migrationsbewegungen von Afro- weise Paris oder London leben People of Co- amerikanerInnen, OsteuropäerInnen oder Inder- lour und MigrantInnen vor allem am Stadtrand Innen von einer vermeintlich territorial und eth- und in den Vororten, die durch schlechte Wohn- nisch festgeschriebenen und scheinbar authen- qualität, Arbeitslosigkeit und mangelnde Ver- tischen ,Dritte-Welt-Kultur‘ hin zu westlichen kehrsverbindungen charakterisiert sind. In Wien Metropolen während und nach dem Zweiten hingegen zeigt sich durch den städtischen Ge- Weltkrieg (vgl. Aydogdu/Frketic 2006). Obwohl meindebau und durch die so genannten ,Arisie- diese Migrationsbewegungen unterschiedliche rungen‘ von Wohnungen und Häusern durch (Hinter-)Gründe und Auslöser haben, wurde vor die Nazis und ihre MitläuferInnen (die sich bei- allem in den ehemaligen Kolonialländern Frank- de zum Großteil bis heute weigern, den Besitz reich und Großbritannien der Einfluss von mig- an ihre ursprünglichen EigentümerInnen zu re- rantischer Kunst- und Musikproduktion als fran- tournieren) ein migrantInnenfeindlicher Woh- zösischer Rap, Bhangra, Bollywood Film oder nungsmarkt. Viele HausbesitzerInnen weigern die jamaikanische Sound System Kultur sicht- sich, Wohnungen an MigrantInnen zu vermie- bar, die erfolgreich im Mainstream landeten. ten, und bis vor kurzem war es MigrantInnen Die zweite Verbindung, die der Begriff ur- nicht erlaubt, Gemeindewohnungen zu mieten. ban music vorschlägt, ist der Rekurs auf die Diese Beispiele illustrieren, wie urbane Räu- verarmten, mit schlechter Infrastruktur ausge- me politisch organisiert werden. Der Begriff statteten Stadtviertel in us-amerikanischen Groß- urban music verweist daher abhängig von der städten wie New York City, Detroit oder Los historischen Entwicklung so genannter ,Ghet- 64 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

tos‘ einmal auf die Zentren der Städte, ein ande- migrantischem Hintergrund, angeeignet wurde, res Mal auf die Stadtränder und Vororte. bleibt das Ghetto als symbolischer Ausdruck Urbane Räume fungieren als eine ‚soziale für ein verarmtes und von Gewalt geprägtes Geografie‘ (Rommelspacher 1995), die sich in Leben eines der zentralen Themen in Rap Lyrics der Trennung der Lebenssphären von People und HipHop Videoclips. Urban music Video- of Colour und MigrantInnen auf der einen Seite clips, die Street Crime, Sex und Gewalt (Poli- und Mehrheitsangehörigen auf der anderen zeigewalt sowie Gewalt gegen Frauen) themati- Seite herstellt. ‚Soziale Geografien‘ lassen An- sieren, zählen heute zu den am häufigsten ge- gehörige der Dominanzkultur glauben, in ei- spielten Musikvideos auf MTV Germany und ner völlig homogenen Umwelt zu leben, wäh- VIVA. Für diese, ständig wiederkehrenden, Vi- rend alle so genannten ‚Anderen‘ in ‚Ghettos‘ deoclips werden häufig zwei unterschiedliche ihre Heimat finden (sollten). Ein Großteil der Bühnenbilder eingesetzt: Erstens der Stadtbe- unter urban music subsumierten Musikrich- zug zur Visualisierung von Armut, Gewalt und tungen entstand und entsteht in so genannten Arbeitslosigkeit und zweitens Clubs als Ort für ‚Ghettos‘, die People of Colour und Migran- die Demonstration männlicher sexueller Potenz. tInnen zugewiesen sind bzw. werden. Urban Diese Bühnenbilder bilden zwei der zentralen music kann daher als ein Produkt der ‚sozialen Kategorien. Geografien‘ und als eine vehemente Gegenre- de gegen diese verstanden werden; gleichzei- ,Boyz in the Hood‘ tig zeigt sich an vielen Gangsta-Rap-Lyrics und Charakteristisch für Gangsta Rap Videoclips ist Videoclips Frauenfeindlichkeit, Sexismus und der Stadtbezug, der die globalisierte Symbolik Homophobie. des HipHop ausdrückt und einen lokalen Be- zug herstellt. Bei diesem zirkulären Prozess fun- Urban Music Videoclips giert die Stadt mit ihrer urbanen Architektur als Für meine Analyse von urban music Videoclips „ein theatrales Mittel zur medialen Produktion habe ich HipHop, Rap und R&B Musikvideos von Lokalität“ (Klein/Friedrich 2003: 122). von MTV Germany und VIVA von Januar bis Umgesetzt wird die Bezugnahme auf die Stadt April 2006 aufgenommen. Ich fand drei Kate- mit Bühnenbildern wie Parkdecks, Hochhäu- gorien4 von urban music Videos, in denen se- sern, Bahnhöfen oder Basketballplätzen, die zu xistische und sexualisierte (Gewalt-)Darstellun- Tanzflächen oder Räumen werden, in denen gen von Frauen zur Visualisierung der Lyrics Gangs miteinander rivalisieren. eingesetzt werden. Im Mittelpunkt dieser Insze- Videoclips wie ‚Hustler Ambition‘ von 50 nierungen steht der ‚Schwarze Musiker‘ als Cent oder ‚Made You Look‘ von NAS zeigen Rapper. Er repräsentiert eine Schwarze Männ- den Rapper als Hauptdarsteller, der sich als lichkeit in einer Mischung von politischem Gangsta, Pimp oder Hustler inszeniert. Der Empowerment, maskuliner Härte und Sexis- Rapper erzählt Geschichten, wie er gemeinsam mus. mit seiner Gang den öffentlichen Raum als ein Seit dem Beginn von HipHop existiert eine Terrain für aggressive Auseinandersetzung, Ri- Vielzahl von unterschiedlichen Ausdrucksfor- valität und männerbündisches Verhalten erobert. men, die vom Crime Rap über den Party und Er präsentiert ein Universum der ‚harten Män- Sex Rap bis zum Nonsense Rap sämtliche Spiel- nerwelt‘, in dem Frauen, wenn überhaupt, nur arten abdecken. Und obwohl HipHop durch die am Rande Platz finden wie auf den Beifahrer- Musikindustrie und die Medien globalisiert und und Rücksitzen von monströsen Angeberautos. kommerzialisiert und durch Teenager, oft mit Beispielsweise werden im 50 Cent Video ‚Hust- Pulsschlag 65

ler Ambition‘ Frauen zur Gänze ausgeschlos- Potenz und die Ausübung sexueller Gewalt ge- sen, während sie in ‚Made you look‘ als genüber Frauen (und Männern) deutlich. schmückender Aufputz von Parkplätzen, Bas- Diese ‚Black Macho‘ Attitüde führte in den ketball-Feldern und verlassenen U-Bahnstatio- afroamerikanischen Befreiungsbewegungen nen eingesetzt werden. Diese Repräsentationen immer wieder zu heftiger Kritik, denn, wie bell sind typische Darstellungen für Schwarze Män- hooks (1994) feststellt, auch die meisten ner und für (Schwarze wie weiße) Frauen im Schwarzen Männer des 19. Jahrhunderts kämpf- Gangsta Rap. ten nicht für die Gleichberechtigung der Frau. Kobena Mercer und Isaac Julien argumen- Sie erkannten zwar die wesentliche Rolle der tieren, dass die Repräsentation Schwarzer Männ- Schwarzen Frau als Freiheitskämpferin in der lichkeit durch die Geschichte der Sklaverei, des Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei, hiel- Kolonialismus und des Imperialismus geformt ten aber dennoch daran fest, dass Frauen sich wurde: Der weiße männliche Sklavenhalter ver- den Männern unterordnen und damit der von weigerte den männlichen Schwarzen Sklaven der weißen Gesellschaft festgeschriebenen Ge- zentrale männliche Attribute wie Autorität, fa- schlechterideologie und den vorgeschriebenen miliäre Verantwortung und den Besitz von Pri- Geschlechterrollen entsprechen sollten. Diese vateigentum. Durch diese kollektiven histori- Geschlechterordnung wurde auch von der Black schen Erfahrungen, die sich bis ins Heute tra- Power Bewegung kaum in Frage gestellt, ob- dieren, haben Schwarze Männer patriarchale gleich Schwarze Feministinnen beharrlich dar- Werte wie physische Stärke, sexuelle Potenz an Kritik übten. und die Ausübung der Kontrolle als Mittel des Die Vorstellung, durch die Aneignung von Überlebens gegen das repressive und gewalttä- Normen und Werten hegemoniale Männlich- tige System der Unterordnung angenommen keit zu erlangen, setzt sich bis heute in ver- (vgl. Mercer/Julien 1994). schiedenen stereotypen Repräsentationen In einem von Rassismus geprägten Reprä- Schwarzer Männlichkeit in der Popularkultur sentationsregime wie jenem der Popularkultur fort. Im Gangsta Rap zeigt sich eine Form der dient der Ansatz von Mercer und Julien zur Er- Schwarzen Männlichkeit, die durch den Ein- klärung der stereotypen Darstellung Schwarzer satz typischer Ghetto-Architektur unterstrichen Männlichkeit im Gangsta Rap. An Rappern wie wird. 50 Cent, Ice Cube, Snoop Dogg oder Ice T, als Vorreiter des glorifizierten Pimp-Lebensstils, Club Live zeigt sich überspitzt die Rebellion gegen die Das zweite Bühnenbild in urban music Video- Unterwerfung Schwarzer Männer durch Ver- clips ist das des Clubs. Auch hier steht der Rap- sklavung, Kolonisierung und Imperialismus. per im Mittelpunkt, der mit seiner Gang und der Beispielsweise kritisiert Ice T mit seinem Song tanzenden Menge, den Fans, den Rap-Text dia- ‚Cop Killer‘ (1992) mit dem Refrain ‚F**k the logisch inszeniert. Wie in den Gangsta Rap Vi- Police!‘ die Polizeigewalt gegen Rodney King deos sind Männer als aktive Protagonisten in und äußerte sich zu den Riots in Los Angeles in der Überzahl und ihre Körper- und Bewegungs- den 1990ern. sprache ist stereotyp mit aufrechtem Oberkör- Gleichzeitig wird durch die Exklusion von per, direktem Blick in die Kamera, gestischem Frauen in den Videoclips und durch ihre Er- Einsatz der Hände, Finger und Arme. im niedrigung als ‚Bitches‘ in den Lyrics die An- Videoclip ‚Hot in Here‘ oder Pharaohe Monk eignung und Inkorporierung typischer Werte im Video ‚Simon Says‘ rappen, kommunizieren ‚hegemonialer Männlichkeit‘5 wie die sexuelle mit der tanzenden Crowd und taxieren Frauen, 66 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

deren Aufgabe es ist, Respekt zu zollen und seln im Sekundentakt zwischen den Großauf- halbnackt mit lasziven Körperbewegungen zu nahmen des Rappers und den nunmehr verding- tanzen. lichten Protagonistinnen und den Weitwinkel- Durch diese sexualisierten Posen und den aufnahmen des tanzenden Publikums. aggressiv-sexuellen Habitus des Rappers wird Diese Videoclips bilden einen Kontrast zu im Musikvideo eine Stimmung erzeugt, die es den journalistischen und akademischen Diskur- erlaubt, dass Frauen zu Objekten von sexuel- sen der 1990er Jahre über Clubkultur, in denen lem Verhalten werden. Die Verfügungsgewalt der Club als ein hedonistischer sozialer Raum über den weiblichen Körper wird von der tan- zur Überwindung hegemonialer Vorstellungen zenden Menge gebilligt und unterstützt. Sie gilt von Männlichkeit und Weiblichkeit porträtiert daher nicht als Normverletzung, sondern als wird. Angela McRobbie (1999) oder Maria Pini Norm. „Frauen sind verdinglichte Ornamente (1997) illustrieren mit ihren empirischen Studi- in einer gefährlich-luxuriösen Männerwelt“, en, wie der Club von Mädchen und jungen Frau- beschreiben Klaus Neumann-Braun und Lother en als Terrain für einen größeren Handlungs- Mikos (2006: 60) die weibliche Position. Un- und Bewegungsspielraum, als ihn andere Ju- terstützt werden diese Inszenierungen durch die gendkulturen bieten, erobert wird. Tanzen als auf den männlichen Rezipienten ausgerichtete eine weibliche Strategie des Empowerments Kameraführung, für den die verhüllten Körper- spielt bei diesen Aneignungsprozessen von rea- teile der spärlich bekleideten Frauen leicht zu lem und symbolischem Raum eine zentrale Rol- erahnen sind. Die Kameraeinstellungen wech- le. Allerdings finden wir Repräsentationen von Pulsschlag 67

tanzenden Frauen als einen Akt kollektiver In Ne-Yo’s Video ‚So Sick‘ sehen wir ein Selbstermächtigung in den Videoclips nicht, glückliches Paar verliebt durch den Park spa- denn der Club fungiert zur Inszenierung von zierend und einander küssend, bis die ersten Hyper-Maskulinität und Machismo. Meinungsverschiedenheiten auftreten und es zur Die Idee von Clubkultur als Jugend- und Auseinandersetzung kommt. Die Bilder erzäh- Popularkultur mit einem größeren Spielraum für len den Verlauf des Disputs, während die alternative Inszenierungen von Männlichkeit und männliche R&B-Stimme von der großen Liebe Weiblichkeit geht auf Disco zurück. Disco als und den bitteren Enttäuschungen singt. Die frühe Form der Clubkultur entstand in den Bühnenbilder verändern sich mit dem Stim- 1970er Jahren in einem homosexuellen und afro- mungswechsel der beiden ProtagonistInnen: amerikanischen Umfeld und war für viele Das glückliche, verliebte Paar bewegt sich im Schwarze, Latinos, Queers und Transgender ein öffentlichen Raum wie Parks oder Einkaufs- urbaner Raum, um den homophoben und ras- strassen, während der Streit in einer bürgerlich sistischen Attacken im Alltag zu entfliehen. Für eingerichteten Wohnung mit großen Fenstern, Richard Dyer (1979/1990) wird mit den Disco- die einen imposanten Blick auf die nächtliche Hits von , Gloria Gaynor oder Di- Stadt erlauben, inszeniert wird. Am Höhepunkt ana Ross und dem exzessiven Tanzen als kol- der Auseinandersetzung packt Ne-Yo die Frau lektive Erfahrung eine spezifische Erotik und an den Oberarmen und stößt sie (nicht zu fest) Romantik generiert, die sich von jener der Rock- gegen die Wand. Er verlässt wütend die Woh- kultur unterscheidet. Disco evoziert eine ‚Ganz- nung, bevor er die Fassung gänzlich verliert. körpererotik‘ für beide Geschlechter, während Die Frau bleibt allein in der Wohnung zurück. Rock auf eine Erotisierung des Phallus abzielt, R&B-Videos wie ‚So Sick‘ verpacken den die Frauen wie Männer ausschließt, denen der traditionellen abendländischen Dualismus von Zugang zu phallozentristischem Denken durch öffentlicher, männlicher und privater, weibli- ihre Hautfarbe, ihre Sexualität oder ihre Klas- cher Sphäre in einem heterosexuellen Bezie- senzugehörigkeit verwehrt bleibt. hungsdrama. Die glückliche Romanze scheint Die Möglichkeit, den Club als einen urba- eine für die Öffentlichkeit zumutbare Angele- nen Raum zu nutzen, der die hegemoniale Ge- genheit zu sein, während der Disput tunlichst schlechterideologie aushebeln könnte, wird in hinter verschlossenen Türen im Privaten statt- kommerziellen HipHop Videoclips auf MTV finden sollte. und VIVA negiert, vielmehr bewirken die sexu- Die dahinterliegende, ursprünglich für Wei- alisierten und sexistischen Rollen von Frauen ße konstruierte Geschlechterideologie verweist und die Anwesenheit implizierter Gewalt(an- auf die festgeschriebenen Rollen für weiße Frau- drohung) durch den Rapper eine ‚Reifizierung‘6 en als Hausfrauen und Mütter und Männer als (Gildemeister/Wetterer 1992) der Geschlechter- Familienoberhaupt und Ernährer. Von dieser differenz. Geschlechterideologie mit ihren angeblichen Vorzügen waren Schwarze Männer wie Schwar- The Lovestory ze Frauen ausgeschlossen, denn Schwarzen Die dritte Kategorie der urban music Video- Männern wurden die zentrale Attribute von clips sind R&B Lovestories. Für die Inszenie- Männlichkeit verweigert und von Schwarzen rung der Liebesgeschichte zwischen einer Frauen wurde erwartet, dass sie sich als Skla- Schwarzen Frau und einem Schwarzen Mann vinnen auf dem Feld ebenso hart abrackerten werden öffentliche und private urbane Räume wie die männlichen Sklaven (Spelman 1988: als Bühnenbilder herangezogen. 123ff). 68 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Die Durchsetzung der dominanten weißen fährt in unterschiedlichen Genres der Popular- Geschlechterideologie für alle gesellschaftlichen kultur eine Neuauflage. Mit der Einführung des Gruppen unabhängig ihrer ethnischen oder kul- Begriffs ‚Urban Music‘ für afroamerikanische turellen Zugehörigkeit spiegelt sich in den R&B- (vor allem HipHop, Rap und R&B) und hybri- Videos wider, in denen vor allem afroamerika- de Musik wurde eine bestimmte Repräsentation nische MusikerInnen vertreten sind. Die Video- Schwarzer Männlichkeit im Zusammenhang mit clips dienen der Verfestigung von fixierten Ge- urbanen Räumen in einen neuen Terminus ge- schlechterrollen, obwohl sich in der Popkultur hüllt, der auf den ersten Blick die kommerzielle immer wieder Praxen zur Auflösung von tradi- Vermarktung afroamerikanischer MusikerInnen tionell festgeschriebener Männlichkeit und Weib- unter gleichbleibenden rassistischen Vorzeichen lichkeit finden wie Parodie, Fake oder Andro- verschleiern sollte. gynität. Für Angela McRobbie (1994) führen diese Praxen und ein neues Selbstbewusstsein Rosa Reitsamer ist Soziologin und DJ in von Mädchen und jungen Frauen zu ,changing Wien. modes of femininity’ und zu einer Unsicherheit bei Jugendlichen darüber, was es heute in einer Anmerkungen westlichen Gesellschaft bedeutet, eine Frau oder 1In seinem Buch ‚Agit-Pop. Schwarze Mu- ein Mann zu sein. Das Resultat dieser Aufbrü- sik für weiße Hörer‘ beschreibt Günther Jacob, che könnte ein neuer Habitus in Bezug auf Ge- wie HipHop und Raggamuffin für weiße Höre- schlechterbeziehungen sein. rInnen vermarktet und von dieser Zielgruppe Solche positiven Entwicklungen finden sich angeeignet wurden und werden. weder in kommerziellen R&B-Musikvideos 2Siehe hierzu: http://www.bbm-on.net/ noch in HipHop, Rap, Rock oder Pop-Video- genre_report.htm (Stand 02.07.2006). clips auf MTV und VIVA. In Mainstream-R&B- 3People of Colour ist ein selbstgewählter Videos ist die Aneignung hegemonialer Wert- Begriff von Menschen nicht-weißer Hautfarbe vorstellungen über Männlichkeit und Weiblich- zur Beschreibung und Verortung ihrer gesell- keit als Eintrittskarte zu phallozentristischem schaftlichen Positionen. Denken vorrangig. Eine Ideologie, von der 4Ich verwende diese drei Kategorien als Schwarze Menschen lange Zeit ausgeschlossen Hilfskonstruktionen; sie sind zweifelsohne nicht waren, und die mit R&B vor allem von afroa- trennscharf, weisen Überschneidungen und merikanischen MusikerInnen in den Lyrics und Ausreißer auf. Videoclips zelebriert wird. 5Robert W. Connell definiert hegemoniale Männlichkeit „(...) als jene Konfiguration ge- Fazit schlechtsbezogener Praxis (...), welche die mo- Die drei beschriebenen Kategorien von urban mentan akzeptierte Antwort auf das Legitima- music Videoclips zielen in je unterschiedlicher tionsproblem des Patriarchats verkörpert und Inszenierung und mit dem Einsatz verschiede- die Dominanz der Männer sowie die Unterord- ner Bühnenbilder urbaner Architektur auf eine nung der Frauen gewährleistet (oder gewähr- monolithische, homogene Darstellung Schwar- leisten soll)“ (Connell 2000: 98). zer Männlichkeit als ‚groß, stark, schlecht, ge- 6Regine Gildemeister und Angelika Wette- walttätig, aufbegehrend, sich austobend und rer beschreiben mit dem Begriff ‚Reifizierung‘ voller schwarzer Wut‘ (Bogles 2004) ab. Die- gesellschaftliche Prozesse, die die Geschlech- ses Stereotyp Schwarzer Männlichkeit geht auf terdifferenz verfestigen (vgl. Gildemeister/Wet- die Sklaven- und Kolonialzeit zurück und er- terer 1992). Pulsschlag 69

Literatur Culture. London/New York: Routledge, 155- Aydogdu, Fatih/Frketic, Vlakta 2006: „Türk-“ 176. und „Jugo-Pop“: The Sound of ... Migrantische Mercer, Kobena/Isaac, Julien 1994: Black Musik und ihr Labeling durch die Popindustrie. Masculinity and the Politics of Race. In: Dies. In: Reitsamer, Rosa/Weinzierl, Rupert (Hg.), (Hg.), Welcome to the Jungle. London/New Female Consequences. Wien: Löcker, 93-101. York: Routledge. Bogles, Donald 2004: Toms, Coons, Mulat- Neumann-Braun, Klaus/Mikos, Lothar tos, Mammies and Bucks: an Interpretative His- 2006: Videoclips und Musikfernsehen. Eine tory of Blacks in American Film, 1973. zit. Hall, problemorientierte Kommentierung der aktuel- Stuart: Das Spektakel des „Anderen“. In: Ders., len Forschungsliteratur. Berlin: VISTAS. Ideologie. Identität. Repräsentation, Ausgewählte Pini, Maria 1997: Women and the early Bri- Schriften 4, Hamburg: Argument, 108-166. tish rave scene. In: McRobbie, Angela (Hg.). Connell, Robert W. 2000: Der gemachte Back to Reality? Social Experience and Cultural Mann. Konstruktion und Krise von Männlich- Studies. Manchester/New York: Manchester keiten. Opladen: Leske + Budrich. University Press. Dyer, Richard 1990: In Defense of Disco. Reitsamer, Rosa/Weinzierl, Rupert (Hg.) (1979). In: Frith, Simon/Goodwin, Andrew 2006: Female Consequences. Feminismus, An- (Hg.): On Record. Rock, Pop, and the Written tirassismus, Popmusik. Wien: Löcker Verlag. Word. London/New York: Routledge, 410-418. Rommelspacher, Birgit 1995: Dominanzkul- hooks, bell 1994: Die Wiederherstellung tur. Texte zu Fremdheit und Macht. Berlin: Or- schwarzer Männlichkeit. In: Dies.: Black Looks. landa. Popkultur – Medien – Rassismus. Berlin: Or- Spelman, Elizabeth V. 1988: Inessential landa Verlag, 111-144. Woman. Problems of Exclusion in Feminist Jacob, Günther 1993: Agit-Pop. Schwarze Thought. Massachusetts: Bacon Press. Musik für weiße Hörer. Texte zu Rassismus und Nationalismus, HipHop und Raggamuffin. Berlin/Amsterdam: Edition ID-Archiv. ANALYSE Klein, Gabriele/Friedrich, Malte 2003: Is this ...... real? Die Kultur des HipHop. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Zwischen vielen Grenzen: Gildemeister, Regine/Wetterer, Angelika Jugendkulturen in Mexiko 1992: Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlich- ‚Ich bin Anarchist, bin Neonazi / bin ein Skin- keit und ihre Reifizierung in der Frauenfor- head und ein Ökologe. / Ich bin Peronist, bin schung. In: Knapp, Gudrun-Axeli/Wetterer, Terrorist, Kapitalist / und auch Pazifist. Ich bin Angelika (Hg.), Traditionen Brüche. Entwick- Aktivist / Gewerkschafter, bin aggressiv und / lungen feministischer Theorie. Freiburg: Kore, sehr alternativ. Ich bin Sportler / Polytheist und 201-254. nebenbei ein sehr guter Christ. / Fetze ich auf McRobbie, Angela 1999: In the Culture So- Parties den Slam, / stehe ich zu Hause auf tropi- ciety. Art, Fashion and Popular Music. London/ cal... / ich werfe gerne Steine und / hebe sie New York: Routledge. wieder auf / ich schmiere gern Graffiti an die McRobbie, Angela 1994: Shut Up and Dance: Wand und / wische sie später auch ab.‘, heißt es Youth Culture and Changing Modes of Femini- in einem Songtext der auch hierzulande bekann- nity. In: Dies., Postmodernism and Popular ten mexikanischen Band Café Tacuba. 70 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Mit diesem Text bringt die Band unterschwel- zwischen Mexiko, den USA und Kanada, das lig provokant zum Ausdruck, welche Hürden seit dem 1. Januar 1994 in Kraft ist, hat die eine Forschung über Jugendkulturen in Mexi- Sozialstruktur des Landes verändert. Seither ko zu nehmen hat, will sie den widersprüchli- hat sich die Schere zwischen Arm und Reich chen und ambivalenten Phänomenen der Jugend weiter auseinander entwickelt, gibt es einige annähernd gerecht werden. wenige sehr reiche MexikanerInnen, denen die In den letzten zwanzig Jahren hat sich in Mehrheit der sehr armen, bis unter der Ar- Mexiko eine Jugendforschung entwickelt, die mutsgrenze lebenden Menschen gegenüberste- den vielfältigen Ausdrucksformen der jungen hen. In den 22 Zwillingsstädten, den Twin Menschen, die in Mexiko und auch auf dem Towns, entlang der Grenze, aber auch in der gesamten südamerikanischen Kontinent die Mega-Stadt Mexiko City und kleineren Städ- Mehrheit der Bevölkerung bilden, jenseits von ten im Landesinneren spiegeln sich diese poli- Kriminalisierung oder Stigmatisierung begeg- tischen und soziokulturellen Hintergründe auch nen will. Diese neue Generation von Forscher- in der Jugend und ihren Kulturen wider. innen und Forschern hat eine Reihe von span- nenden Studien erstellt, die die immer noch über- Grenzkulturen: wiegend eurozentristisch orientierte Jugendfor- Die Anfänge – Pachucos schung erkenntnisreich ergänzen.1 Danach er- Eine zuerst bekannt gewordene, aber vermutli- gibt sich ein sehr facettenreiches Bild der mexi- che nicht die erste Jugendkultur in Mexiko und kanischen Jugend. Hier finden sich sowohl im Süden der USA ist die der Pachucos der weltweit verbreitete Jugendkulturen wie Tech- vierziger Jahre. Oktavio Paz beschrieb die in no, Graffiti-Sprüher, sog. Tagger, Punks oder übergroßen Anzügen und Filzhüten gekleideten Rockmusik-Fans, sog. Rockeros, als auch im Jugendlichen in seiner berühmten Essaysamm- direkten Kontext der mexikanischen Kultur ste- lung ‚Das Labyrinth der Einsamkeit‘ (Paz 1969, hende Erscheinungsformen wie die Pachucos 1998) etwas verächtlich als „junge Burschen, bzw. deren Nachfolger, die Cholos, Rancholos, die in Banden zusammenleben. Im Allgemeinen Cholombianos und schließlich die Raztecas, die mexikanischer Herkunft, leben sie in den Städ- sich auf aztekische und afroantillanische Wur- ten der Südstaaten [der USA, Anm. d. Autorin] zeln berufen. und fallen ebenso durch Besonderheiten ihrer Jugendliche in Mexiko sind gleich einer Kleidung wie ihres Verhaltens und ihrer Spra- ganzen Reihe von Grenzen ausgesetzt, die sie che auf. Vor allem sind sie Rebellen aus In- zu überwinden suchen. Mexiko ist das Grenz- stinkt, gegen die der nordamerikanische Ras- land zwischen den USA und dem südamerika- sismus sich mehr als einmal erhoben hat. Doch nischen Subkontinent. Ein fast 3000 Kilome- dem Pachuco liegt nichts an seiner Rasse noch ter langer Zaun, den die USA gezogen haben, an der Nationalität seiner Vorfahren. Und ob- trennt die so genannte Erste von der so ge- wohl seine Haltung einen hartnäckigen und fast nannten Dritten Welt. Im Süden des Landes fanatischen Lebenswillen bekundet, äußert sich verschärft die mexikanische Regierung in Ko- dieser Wille nicht konkret, sondern in dem wi- operation mit den USA außerdem die Grenz- dersprüchlichen Entschluss (...) nicht wie die kontrollen nach Guatemala und Belize, um die übrige menschliche Umwelt zu sein. Der Pa- Migration mittel- und südamerikanischer Men- chuco will gar nicht zu seinen mexikanischen schen ‚nach Norden‘ schärfer zu kontrollie- Ursprüngen zurückkehren, aber ebenso wenig ren. Das North American Free Trade Agree- (...) mit dem nordamerikanischen Leben ver- ment (NAFTA), das Freihandelsabkommen schmelzen“ (Paz 1998: 24). Pulsschlag 71

Paz verdeutlicht in seiner Typisierung die chen Kulturen durchlässiger geworden (Guer- Besonderheit der meisten mexikanischen Ju- rero 2006: 50ff). gendkulturen: Sie leben mit Grenzen, Grenz- Direkter Ausdruck dieser Migrationsbewe- überschreitungen und den damit einhergehen- gungen sind die Rancholos und die Cholombi- den Widersprüchen. Die Pachucos waren eine anos. Rancholos kopieren zwar einen Teil des Migrationskultur. Weder in der einen noch in Cholo-Aussehens wie Baseballcaps, weite der anderen Kultur zu Hause, verkörperten sie Hemden und Hosen sowie Turnschuhe, tragen bereits in den vierziger Jahren des letzten Jahr- dazu aber oft Schnurrbart und längere Haare hunderts einen Zusammenschluss, der negati- und hören eher folkloristische Musik, was sie ven Zuschreibungen ausgesetzt war – wie heute von den Cholos, die eher auf Evergreens ste- die Barrio-Gangs in den USA. hen, unterscheidet. Cholombianos wiederum mischen den Cholo-Stil mit kolumbianischen Fortsetzungen: Cholos, Rancholos, Rhythmen wie Kumbia oder Vallenato. Cholombianos Cholos, Rancholos oder Cholombianos begrei- Zwischen Stadt und Land: fen sich als die direkten Nachfolger der Pachu- Gruperos und Gruperas cos und erinnern in placazos acholados, der Eine weitere Kultur, die sich zwischen Stadt Cholo-Graffiti, und Songtexten an die Zoot Suit und Land bewegt, sind die Gruperos oder Gru- Riots im Jahr 1943, als in Los Angeles viele peras, die sich oft an konservativen Vorstellun- mexikanische Einwanderer von weißen US- gen orientieren, gerne zu Rodeos oder auf po- Bürgern verfolgt und misshandelt wurden. Der pulare2 Tanzfeste gehen und eher folkloristi- Cholismo ist Mitte der siebziger Jahre vor al- sche Musik aus aller Welt hören und singen. lem in Los Angeles sowie in Tijuana, Mexcali, Viele von ihnen kommen aus den popularen Ciudad Juárez und Culiacán, einigen der 22 Schichten, geben sich nationalistisch3, vereh- ,Twin-Towns‘ entlang der Grenze, entstanden. ren die Madonna von Guadalupe, interessieren Er ist ebenfalls eine Migrationskultur, die sich sich mehr für Fußball als für Politik und sind als Folge der Migrationsbewegungen zwischen trotzdem auf ihre Weise, „konservativ und re- Nord- und Südamerika immer mehr in den Sü- bellisch zugleich“ (Guerrero 2006: 52). Wegen den Lateinamerikas ausbreitet. ihrer meist friedlichen Zusammentreffen sind Der Jugendforscher Antonio Guerrero aus sie auch bei vielen Mädchen beliebt, während dem mexikanischen Aguascalientes hat sich bei den Cholos, Cholombianos und Rancholos intensiv mit städtischen und ländlichen Ju- die Männer dominieren. gendkulturen befasst und kommt zu dem Schluss, dass diese in einer engen Wechsel- Auf der Suche nach den Ursprüngen: wirkung zueinander stehen. Gerade die Ma- Raztecas quiladora-Industrie, die seit Inkrafttreten des Ganz anders zeigen sich die Raztecas, die den NAFTA einen sprunghaften Anstieg erlebte, städtischen Einflüssen zu entfliehen suchen und trägt dazu bei, dass junge MexikanerInnen, sich als Nomaden auf die Suche nach den indi- aber auch viele andere junge Menschen aus genen Ursprüngen begeben. Raztecas verbin- Mittel- und Südamerika, entlang der Grenze den dabei aztekische und afroantillanische kul- USA-Mexiko arbeiten. Sie siedeln sich ent- turelle Elemente, leben oft vom Verkauf von weder dort oder in den USA an oder kehren artesanas wie der Herstellung von Schmuck oder wieder zurück. In jedem Fall sind dadurch Naturalien. Sie bevorzugen die Rastafarian-Far- die Grenzen zwischen städtischen und ländli- ben rot, grün und gelb oder Naturfarben und 72 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

huldigen dem Konsum von Ganja, dem Mari- in der so genannten Ersten Welt inzwischen huana, so in dem Songtext der Ska-Punk-Reg- meist apolitschen Vorbildern. gae-Band Todos tus muertos – Alle deine Toten: Schon in den achtziger Jahren gab es in „In Liebe lebt Rasta auf dieser Erde / wie der Mexiko City und Nezahualcóyotl, einer Vor- Tiger durch das Gras streift / Rasta liebt Gras, stadt von Mexiko City, die überwiegend von sie ist die Heilung der Nationen / das beste Ge- südamerikanischen MigrantInnen bewohnt schenk, das du ihm machen kannst / Rastas ver- wird, eine sehr lebendige und politische Punk- letzen niemanden, berauben keinen / sie möch- Szene, in der auch die Frauen mit eigenen Fan- ten nur von allen angreifenden und / verwirren- zines wie dem CHAP’s – Chavas Activas den Sorgen frei sein / Prophetische Kultur / Punks –, eigenen Bands und Kommunikati- Aus der Mutter Erde nehme ich ihre Frucht / onsräumen vertreten waren. Die Anthropolo- schmelze sie auf der steinernen Glut / ich atme gin und Soziologin Maritza Urteaga aus Pueb- den Bewusstseinsrauch ein und / gebe dem lo begleitete und beobachtete diese Jugendli- Wind ein weißes und dichtes Gebet ... Und sie chen über einen längeren Zeitraum und zeigte wagen noch, uns Ganja, die Frucht der Erde / zu sich beeindruckt, mit welcher Vehemenz die verbieten“ (zitiert nach Reguillo 2006: 80). Frauen sich in der Szene behaupteten: „Diese Die Jugendforscherin Rossana Reguillo aus Mädchen organisierten sich (...) kreierten Per- Guadalajara unterscheidet drei ,Razteca-Profi- formances, stellen Video-Produktionen auf die le‘: Raztecas aus mittleren oder oberen Schich- Beine, luden zu Workshops über Sexualität ein ten, die sich allein für die Musik interessieren; usw. All diese Ideen und ihr fieberhafter Akti- städtische Raztecas aus popularen Schichten, vismus, getragen von anarchischen Prinzipien die vor einem politisch-ideologischen Hinter- des Punk wie ,es gibt keinen Boss‘, ermög- grund in den Städten in selbstverwalteten lichte ihnen, untereinander eher horizontale Kommunen versuchen, von Subsistenzwirt- Beziehungen zu entwickeln und Mädchen, die schaft zu leben, und schließlich die Öko-Raz- zu anderen bandas und Gruppen in der mexi- tecas, die aus dem städtischen Leben ausge- kanischen Hauptstadt und Nezayork [Kurz- stiegen sind, meist am Meer leben und aus form von Nezahualcóyotl, Anm. d. Autorin] popularen, aber auch mittleren oder oberen gehörten, um das Projekt CHAP’s zu scharen“ Schichten kommen (Reguillo 2006: 81). Raz- (Urteaga 2006: 91). Auch wenn sich das Pro- tecas stehen für eine facettenreiche Kultur, die jekt CHAP’s Ende der achtziger Jahre aufge- sich aus sub- und jugendkulturellen Elemen- löst hat, so sind ihm viele andere politische ten und aus indigenen und religiösen Aspek- Punk-Projekte gefolgt. Auf Punk- und Hard- ten zusammensetzt. Ihre politischen und reli- core-Festivals sammeln Bands und Zuschauer giösen Ansichten sowie die Alters- und Mili- regelmäßig Geld für die Zapatistas im südme- eumischung geben ihnen außerdem den An- xikanischen Chiapas und für andere indigene strich einer sozialen Bewegung. Gruppen, von denen es in Mexiko noch sehr viele4 und vor allem sehr arme gibt. Importe, aber viel politischer: Aber nicht nur die Punks engagieren sich Punks, Tagger und Raver politisch, Gesellschafts- und Globalisierungs- Auch in Mexiko sind die in ihren Ursprüngen kritik gibt es auch bei den Techno hörenden angloamerikanischen Jugendkulturen Punk, Ravern und den Taggern, den Graffiti-Sprüh- Graffiti und Techno längst angekommen. Doch ern, die oft harten staatlichen Repressionen aus- unterscheiden sich die mexikanischen Pendants gesetzt sind. Halten sich beispielsweise in in ihren Inhalten deutlich von ihren zumindest Deutschland die meisten Raver und Tagger po- Pulsschlag 73

litisch eher bedeckt, so finden sich in Mexiko gensatz zu den Parteien gelang es Marcos, Ju- viele Graffiti mit Sprüchen wie ‚Den Hass or- gendliche sowohl aus unterprivilegierten ganisieren!‘ oder ‚Eine Spraydose für den Sub Schichten als auch Studenten der Mittelschicht Marcos!‘ anzusprechen, nicht zuletzt, weil sie sich dazu Überhaupt weiß der Subkommandante Mar- aufgerufen fühlten und die Möglichkeit hatten, cos, der Star der Zapatistas5, die Jugend und ihre Solidarität mit einem konkreten Anderen zu viele Jugendkulturen zu faszinieren. So rappte erleben, der nicht mehr Militanz von ihnen er- der ‚Sub‘ in MTV-Latino im ‚Canción del Sup‘ wartete, als sie zu geben bereit waren“, schreibt das zapatistische Motto ‚für alle alles‘ und er- Rossana Reguillo, „der Zapatismus hat für die reichte auf diese popkulturelle Weise viele tau- mexikanische Jugend die Rolle einer integrati- send ZuschauerInnen. ven, klassenübergreifenden Bewegung gespielt“ (Reguillo 2006: 59). Kulturübergreifend, subversiv, verbin- Das Auftreten und die Geschichte der auch dend: Der Zapatismus in Deutschland bekannten Band Panteón Ro- ,Eine weitere Überraschung für uns ist die cocó ist dafür ein illustratives Beispiel. Seit Jugend. Wir dachten, sie werde vollkommen 2002 ist die Band, die unter anderem Ska, skeptisch, widerspenstig, zynisch, wenig Punk, Reggae, Folk, Rock, Salsa, Merengue, empfänglich für irgendeine (soziale) Bewe- Kumbia und Reggaemuffin spielt, bei dem gung sein, egoistischer, mehr in sich ver- großen Plattenkonzern Bertelsmann Music schlossen. Aber nein, es ist eine großzügige, Group (BMG) unter Vertrag. Trotzdem tritt offene Jugend, mit Lust zu lernen und Lust, sie sowohl in den Texten als auch in Videos sich einer gerechten Sache hinzugeben.‘ So und Interviews radikal politisch in Erschei- äußerte sich der Sub in einem Interview mit nung. Auf ihren CDs, zuletzt ,Compaòeros der Zeitschrift Rebeldía und der Tageszeitung musicales‘ aus dem Jahr 2002 und ,Tres Veces La Jornada im September 2003 (zitiert nach Tres‘ aus dem Jahr 2005, ist auch die Stimme Liebel 2004: 19). Der Sprecher der EZLN6, des Subkommandante zu hören, der so ein der stets mit einer Wollmaske auftritt, ist seit zusätzliches Sprachrohr für seine politischen den neunziger Jahren zum politischen Pop- Botschaften und kulturellen Ansichten nut- star avanciert und dürfte in seiner charismati- zen kann. Dennoch versteht sich Panteón schen Ausstrahlung und mit seinem poetisch- Rococó vordergründig nicht als politische politischen Diskurs über ‚eine Welt, in der Band, sondern, so zwei Bandmitglieder ge- viele Welten möglich sind‘, dem Kultstatus genüber der Zeitschrift iz3w im September eines Ernesto ‚Che‘ Guevara schon recht nahe 2002, eher als sozialen Kommentar: „Wir sa- gerückt sein. Sein ‚Canción del Sup‘ ist nur gen in unseren Texten, was wir fühlen und eine seiner vielen popkulturellen Erscheinun- kommentieren, was wir sehen. Wir stellen die gen. Eine andere Facette ist seine Vorliebe für Politiker und ihr Handeln in Frage, ohne uns Krimis, die ihn zu einem intensiven Korres- näher mit ihrer Politik zu beschäftigen. Wir pondenten mit dem spanischen Schriftsteller sind ein Haufen Unzufriedener, die das Maul Manuel Vásquez Montalbán (Vázquez Mon- nicht halten wollen.“ talbán 2000) und jüngst selbst zum Krimiau- tor machte (Subcommandante Marcos/Paco Gabriele Rohmann ist MA für Sozialwis- Ignacio Taibo II: 2005). senschaften und Journalistin. Sie lebt in Berlin. Marcos beeindruckt international, aber vor Kontakt: [email protected] allem auch die mexikanische Jugend: „Im Ge- 74 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Anmerkungen Literatur 1Eine Auswahl mit von Dora de la Vega und Guerrero, Antonio 2006: Von den Gruperos Verónica Lencinas erstmals ins Deutsche über- zu den Cholombianos. Städtische und ländliche setzten Texten mexikanischer ForscherInnen Einflüsse in mexikanischen Jugendkulturen. In: nebst reichhaltiger Bebilderung sowie umfang- Liebel, Manfred/Rohmann, Gabriele (Hg.), Entre reichem Glossar haben Manfred Liebel und Fronteras. Berlin: Verlag Archiv der Jugend- Gabriele Rohmann in dem 2006 herausgegebe- kulturen, 48-57. nen Band ‚Entre Fronteras. Grenzgänge. Ju- Köhler, Stephan/Riaskov, Ina 2002: Com- gendkulturen in Mexiko‘ veröffentlicht. paòeros musicales. Interview mit der mexikani- 2Popular ist eine spezielle Eins-zu-Eins- schen Band Panteón Rococó. In: Zeitschrift iz3w, Übersetzung des spanischen popular ins Deut- Heft 263, 24-25. sche und meint weder populär noch ‚völkisch‘, Liebel, Manfred/Rohmann, Gabriele (Hg.) sondern die Herkunft oder die Treffpunkte oder 2006: Entre Fronteras. Grenzgänge. Jugendkul- Feste der ärmeren Schichten, die auch in Mexi- turen in Mexiko. Berlin: Verlag Archiv der Ju- ko die Mehrheit der Bevölkerung bilden. gendkulturen. 3Auch der Begriff ‚nationalistisch‘ hat in der Liebel, Manfred 2004: Cholos und Grupe- Übersetzung eine andere Bedeutung als im Deut- ros. In: Journal der Jugendkulturen Nr. 10, 18- schen. Prägend für Mexiko ist, gerade im Post- 30. kolonialismus, die Mexikanidad, die Suche nach Paz, Octavio 1998 [1969]: Das Labyrinth den kulturellen Identitäten, die von Spanien und der Einsamkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp. nun vor allem von den USA überformt wurden Reguillo, Rossana 2006: Punks, Tagger, und werden. Nationalismus steht hier in diesem Raver und Raztecas. Globale Prozesse, Lokale engen Zusammenhang und zielt weniger auf die Identitäten. In: Liebel, Manfred/Rohmann, Gab- Nation oder nationale Grenzen. riele (Hg.), Entre Fronteras. Berlin: Verlag Ar- 4Im Land werden neben dem Spanischen chiv der Jugendkulturen, 58-82. noch 56 autochthone Sprachen gesprochen. Subcommandante Marcos/Paco Ignacio 5Der Zapatismus ist eine sozialrebellische Taibo II 2005: Unbequeme Tote. Roman, vier- Bewegung im südmexikanischen Chiapas, die händig. Berlin: Assoziation A. sich nach Emiliano Zapata (1879-1919) nennt, Urteaga, Maritza 2006: Asphaltblumen. einem der Führer der mexikanischen Revoluti- Mädchen in Jugendkulturen. In: Liebel, Man- on von 1910 gegen die Diktatur von Porfirio fred/Rohmann, Gabriele (Hg.), Entre Fronte- Diaz. Die Zapatistas gelten seit ihrem weltweit ras. Berlin: Verlag Archiv der Jugendkulturen, bekannt gewordenen Aufstand gegen die 83-94. NAFTA am 1. Januar 1994 sowie dem von ih- Vásquez Montalbán, Manuel 2000: Marcos: nen organisierten ‚internationalen Treffen für Herr der Spiegel. Berlin: Verlag Klaus Wagen- eine menschliche Gesellschaft und gegen den bach. Neoliberalismus‘ in Chiapas im Jahr 1996 im Westen als Avantgarde der globalisierungskriti- schen Bewegung. 6Partei der Zapatistas: Ejército Zapatista de Liberación Nacional, deutsch: ‚Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung‘. Pulsschlag 75

TAGUNGSHINWEIS turen will sich mit einer interdisziplinären Fach- ...... tagung damit eingehender beschäftigen und diese politisch und gesellschaftlich relevante und bri- Unbeschreiblich weiblich? sante Lücke schließen helfen. Mädchen und junge Frauen in Jugendkulturen ZIELGRUPPEN Tagung des Archiv der Jugendkulturen in Koo- Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen, Sozi- peration mit der Europäischen Jugendbildungs- alpädagogInnen, JournalistInnen, LehrerInnen, und Jugendbegegnungsstätte Weimar (EJBW) MultiplikatorInnen in der politischen Erwach- vom 5. bis 7. Januar 2007 in Weimar. senenbildung, KünstlerInnen, PolitikerInnen, interessierte junge Frauen und Männer, Vertre- Auch wenn sich in den neunziger Jahren eigene terInnen aus diversen Jugendkulturen. Mädchenszenen wie die poppigen Girlies oder die punkigen Riot Grrrls als Ausdruck eines TAGUNGSLEITUNG neuen Selbstbewusstseins von jungen Frauen Silke Baer und Gabriele Rohmann entwickelt haben: Die meisten Jugendkulturen sind auf den ersten Blick Jungenkulturen ge- Programm blieben. Jungen und junge Männer dominieren die Szenen der HipHoper, Metaler, Skins, Freitag, 05.01.07 Punks, Skater und Techno-DJs. Dennoch gibt es zahlreiche Mädchen und junge 13.45 Uhr Frauen in diesen und allen anderen Szenen. Wie Begrüßung, Infos zur Tagung verteilen sie sich auf die Szenen? Wie erleben VertreterIn der Bildungsstätte sie ihre Szene? Werden sie genauso akzeptiert wie die Jungs? Müssen sie anderen Rollener- THEMENBLOCK I: wartungen genügen als die männlichen Szene- HISTORISCHER EINSTIEG: Angehörigen? Auf welche Weise finden sie ih- FORSCHUNG, POPKULTUR UND P ÄDAGOGIK ren Weg in die Szenen? Was schreckt sie an einer aktiven Teilnahme ab? Haben Mädchen 14.00 Uhr Kurze Einführung: Gibt es eine Cul- und junge Frauen andere Einstellungen zu ture of feminity? Zum Stand der Forschung über Drogen, Gewalt, Sex und Beziehungen als die Mädchen und junge Frauen in Jugendkulturen jungen Männer? Welche Rolle spielt politisches Silke Baer, Gabriele Rohmann und gesellschaftliches Engagement? Wo sind die jungen Mädchen und Frauen mit Migrati- 14.30 Uhr Famous Women: onshintergrund? Und schließlich: Welche Per- Frauen, Girls, Mädchen in der Popkultur spektiven eröffnen sich in der Beschäftigung Stephanie Schmoliner (Uni Flensburg) mit Jugendkulturen und der Arbeit mit Mäd- chen und jungen Frauen an Schulen, in Ju- 15.30 Uhr Kaffeepause gendzentren und in der politischen Erwachse- nenbildung? 16.00 Uhr Lebenswege von Mädchen und jun- Diesen Fragen wurde bisher sowohl in der so- gen Frauen aus verschiedenen Jugendkulturen zialwissenschaftlichen Forschung als auch in im Kontext informeller pädagogischer Arbeit. Medien und im Bildungsbereich zu wenig Be- Ergebnisse einer aktuellen Studie deutung geschenkt. Das Archiv der Jugendkul- Prof. Dr. Elke Josties (ASFH Berlin) 76 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

THEMENBLOCK II: 12.00 Uhr Körperlos und Körperkult in der MÄDCHEN IN JUGENDKULTUREN Techno-Szene: Gender-Konstruktionen im Cy- 16.45 Uhr Another way of masculinity? berspace und Szeneakteurinnen Mädchen und junge Frauen in der Skin-, Prof. Dr. Barbara Stauber (Institut für Sozial- Psycho- und Rockabillyszene wissenschaften, Tübingen) Dr. Susanne El-Nawab (Hannover) 12.45 Uhr Mittagspause kurze Pause 15.00 Uhr Manga-Girls, 17.45 Uhr Mädchensache: N.N. Von den Riot Grrrls zu den Ladyfesten Melanie Groß (TU Hamburg) 15.45 Uhr Kaffeepause

18.30 Uhr Queercore 16.00 Uhr Parallele Workshops: Andrea Rick (Bremen) 1. Hartes Brot? Female Acting im Hip Hop Laura Sevenich, angefragt, Nadja Madlener 19.30 Uhr Abendessen (Uni Wien) 21.00 Uhr Konzert mit Frauenpunkband, N.N. 2. Mädchen und Politik Jule Pomierski, Dr. Michaela Köttig, Gabriele Rohmann Samstag, 06.01.07 3. Black magic women: Mädchen und Frauen 7.30 Uhr Frühstück in der Gothic-Szene Aline Blanchot (Nürnberg) FORTSETZUNG THEMENBLOCK II: MÄDCHEN IN JUGENDKULTUREN 4. Ganz schön tough – Mädchen im Sport 9.15 Uhr Not just boys fun? Ester Vonplon (Boarderszenen), Growing up female in Hardcore und Punk Tanja Walter (Fußball) Marion Schulze (Uni Basel) 5. Jugendkulturen und Mädchenarbeit Ursula Bachor (SPI, Berlin), 10.00 Uhr Obskure Welten: Silke Baer, Barbara Stauber Mädchen in der schwarzen Szene und junge Hexen 18.30 Uhr Abendessen Dunja Brill (Berlin) (angefragt) 20.30 Uhr MC Pyranja, Züricher MC, danach 10.45 Uhr Kaffeepause Party mit DJane Stephanie Wächter, angefragt 11.15 Uhr Sexismus sells vs. female HipHop: Repräsentationen von Weiblichkeit im HipHop Laura Sevenich (angefragt) Pulsschlag 77

Sonntag, 07.01.07 TAGUNGSHINWEIS ...... 7.30 Uhr Frühstück Bürgergesellschaft – Wunsch und Wirklichkeit THEMENBLOCK III: GENDER UND RASSISMUS Fachtagung am 19. und 20. Oktober 2006 im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor- 9.15 Uhr Lebensgeschichten von rechtsextrem schung (WZB). orientierten Mädchen Dr. Michaela Köttig (Uni Göttingen) Wenn heute in Deutschland von Bürgergesell- schaft die Rede ist, dann verbindet sich damit 10.00 Uhr Interkulturelle Mädchenarbeit ein breites, mitunter sogar widersprüchliches Ulla Bachor (SPI und Mädea, Berlin) Spektrum von Befunden und Perspektiven. Die Feststellung, dass Gesellschaft und Politik mehr 10.45 Uhr Pause individuelle Eigenverantwortung brauchen, ist hier ebenso eingeschlossen wie die Aufwertung 11.00 Uhr Abschlussdiskussion mit Wissen- von bürgerschaftlichen Initiativen, Stiftungen schaftlerinnen und Szeneakteurinnen und NGOs. Entsprechendes gilt für das verän- derte Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft und 12.30 Uhr Mittagessen, Abreise Gesellschaft: Mit Verweis auf ‚mehr Bürgerge- sellschaft‘ fordert man einerseits, den Menschen Außerdem: mehr Spielräume zur Selbstorganisation zu über- Streetart-Ausstellung, Möglichkeit, Poster mit lassen. Andererseits wird aber auch die Frage Projekten, Initiativen etc. zu präsentieren gestellt, wie verhindert werden kann, dass ‚mehr Bürgergesellschaft‘ schlicht ‚weniger Sozial- Nähere Informationen über Kosten und Anmel- staat‘ bedeutet. dung: Archiv der Jugendkulturen In der wissenschaftlichen Debatte haben diese Fidicinstraße 3 Themen de utlich an Bedeutung gewonnen – in 10965 Berlin der Diskussion zur Zivilgesellschaft, zur Rolle Tel.: 030-6942934 des ‚Dritten Sektors‘ sowie zur Relevanz ge- Fax: 030-6913016 meinnütziger Formen des Wirtschaftens. Ins- Email: [email protected] besondere in den Sozialwissenschaften werden mit dem Konzept der Bürgergesellschaft weit reichende Erwartungen einer Erneuerung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verbunden. Die reformpolitische Diskussion hingegen schenkt den genannten Themen nach wie vor wenig Beachtung; sie kümmert sich kaum um eine nachhaltige Förderung bürgerschaftlichen Engagements oder die Schaffung neuer Bewe- gungsspielräume für demokratische Selbstor- ganisation und sozialwirtschaftliche Innovati- on. 78 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Noch immer liegen Welten zwischen Zukunfts- ORT vision und Alltagsrealität, zwischen konzeptio- Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor- nellen Entwürfen und sozialwissenschaftlicher schung gGmbH (WZB) Reflektion, zwischen der reformpolitischen Reichpietschufer 50 Agenda und den Handlungsbedingungen der D-10785 Berlin Initiativen und Organisationen vor Ort. Wenn Telefon: (030) 25 491-0 ‚Wunsch‘ und ‚Wirklichkeit‘ so weit auseinander Internet: www.wz-berlin.de klaffen, ist es Zeit für eine Bestandsaufnahme und kritische Reflektion des ‚Gewünschten‘ und ‚Erreichbaren‘: Wie ist es um die Bürgergesell- Programm schaft in Deutschland bestellt? Sind die aktuell Donnerstag, 19.10.2006 diskutierten wissenschaftlichen und gesell- schaftspolitischen Konzepte einer ‚aktiven Bür- Ab 10.30 Uhr Empfang, Einschecken gergesellschaft‘ überhaupt tragfähig und realis- tisch? Kann die Bürgergesellschaft das leisten, 11.30 Uhr Begrüßung plenar was sie laut Politik und Wissenschaft leisten Dr. Ansgar Klein soll? Oder aber: Dient ‚Bürgergesellschaft‘ nur als billiger Jakob und Munition für Sonntagsre- 12.00 Uhr den? 1. FORUM PLENAR: BÜRGERGESELLSCHAFT UND STAATLICHE POLITIK KONFERENZKOORDINATION Dr. Ansgar Klein (Moderation) Dr. Ansgar Klein und Prof. Dr. Dieter Rucht Prof. Dr. Thomas Olk (Universität Halle, Vor- sitzender des Sprecherrats des BBE) Veranstalter Dr. Michael Bürsch (MdB, Vorsitzender des Arbeitskreis Nonprofit-Organisationen (AK - Unterausschusses ‚Bürgerschaftliches Engage- NPO) ment‘) Arbeitskreise ‚Soziale Bewegungen‘ und ‚Ver- Thomas Knöbelspies (Diakonisches Werk der bände‘ der Deutschen Vereinigung für politi- EKD, Stuttgart) sche Wissenschaft (DVPW) Dr. Warnfried Dettling (Publizist, Autor, Poli- Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engage- tikberatung) ment (BBE) Prof. Dr. Felix Ekardt (Forschungsstelle für Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen Europäisches Umweltrecht) (FJNSB) Sektion Sozialpolitik in der DGS 13.30 Uhr Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor- Mittagspause – Catering / Cafeteria des WZB schung (WZB) 14.30 Uhr DIE V ERANSTALTUNG WIRD GEFÖRDERT DURCH ERSTE RUNDE DER VIER ARBEITSGRUPPEN Hans-Böckler-Stiftung (PARALLEL) Heinrich-Böll-Stiftung Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialfor- AG 1: SOZIALE BEWEGUNG UND BÜRGERSCHAFTLI- schung (WZB) CHES ENGAGEMENT: NEUE FORMEN, NEUER SINN? Sektion Sozialpolitik in der DGS Prof. Dr. Rudolph Bauer Die ‚Bertelsmannisierung‘ der Bürgergesellschaft Pulsschlag 79

Yvonne Schwartz 16.30 Bürgerstiftungen als Organisationen im kultu- ZWEITE RUNDE DER VIER ARBEITSGRUPPEN rellen Bereich (PARALLEL)

AG 2: WIRTSCHAFTEN FÜR GUTE ZWECKE AG 1: SOZIALE BEWEGUNG UND BÜRGERSCHAFTLI- Prof. Dr. Adalbert Evers/Dr. Stefan Nährlich CHES ENGAGEMENT: NEUE FORMEN, NEUER SINN? Einleitung in die Thematik der AG Prof. Dr. Sigrid Baringhorst/Veronika Kneip/ Dr. Andreas Eisen Johanna Niesyto Genossenschaften: Mittel zum (guten) Zweck Wandel und Kontinuität von Protestkulturen seit im Dritten Sektor? den 1960er Jahren – Eine Analyse ausgewähl- Holger Backhaus-Maul ter Anti-Corporate Campaigns Die Gesellschaft von Unternehmen Dr. Sebastian Haunss Neue Themen – neue Koalitionen? (Proteste auf AG 3: GOVERNANCE IM WANDEL: EU-Ebene) WENIGER STAAT, MEHR ZIVILGESELLSCHAFT? Dr. Matthias Heyck – GRUNDSATZFRAGEN Abkehr vom Protest? Neue Aktionsformen so- PD Dr. Ingo Bode zialer Bewegungen (Umweltschutzbewegung Einleitung Chemnitz) Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt Governance in der Arbeits(losen)gesellschaft: AG 2: WIRTSCHAFTEN FÜR GUTE ZWECKE Staatliche Aktivierungspolitik und das Dilem- Dr. Martina Wegner ma der Zivilgesellschaft Kleine und mittelständische Unternehmen und Dr. Michael Haus ihre Einbettung in Zivilgesellschaft und lokales Governance zwischen Depolitisierung und Re- Umfeld politisierung – Zur Rolle der Zivilgesellschaft Judith Polterauer in Governance-Prozessen Bürgerschaftliches Engagement von mittelstän- Dr. Nicole Burzan/Dr. Jürgen P. Rinderspacher dischen Unternehmen in Deutschland – er- Zeitkonflikte und Engagement in der Bürgerge- wünschte und beobachtbare gesellschaftliche sellschaft Wirkungen Prof. Dr. Gerd Mutz AG 4: ‚MÄNNLICHE‘ BÜRGERGESELLSCHAFT? CSR und CC und die Rolle der Gewerkschaften GENDER MAINSTREAMING IN BÜRGERSCHAFTLICHEN ORGANISATIONEN AG 3: GOVERNANCE IM WANDEL: Dr. Chris Lange WENIGER STAAT, MEHR ZIVILGESELLSCHAFT? Begrüßung und Einleitung SOZIALE FRAGEN Gaby Schambach Dr. Susann Burchardt/Dr. Heike Förster Gender Mainstreaming. Umsetzung in der Hein- Zivilgesellschaftliche Aktivierung durch Bun- rich-Böll-Stiftung desprogramme? Das Bundesprogramm ‚Ent- Monika Götsch wicklung und Chancen benachteiligter Jugend- Geschlecht und freiwilliges Engagement zwi- licher in sozialen Brennpunkten‘ im Kontext schen Öffentlichkeit und Privatheit neuer kommunalpolitischer Strategien Oliver Fehren 16.15 Kaffeepause Agenten der Zivilgesellschaft: Intermediäre Instanzen im Quartiermanagement 80 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Dr. Hans Hoch Freitag, 20.10.2007 Zivilgesellschaft in Pflegeheimen! Anzeichen für ein neues Bündnis der Generati- 9.00 Uhr onen am Beispiel bürgerschaftlichen Engage- 3. FORUM PLENAR: ments in Pflegeheimen BAUSTELLE ORGANISATIONSENTWICKLUNG: Peter Friedrich BERICHTE AUS DEN VERBÄNDEN Öffnung deutscher Schulen – ein Wechsel in PD Dr. Ingo Bode; PD Dr. Christiane Frantz neue Abhängigkeiten? (Moderation) Dr. Sabine Groner-Weber (Ver.di Hauptvor- AG 4: ‚MÄNNLICHE‘ BÜRGERGESELLSCHAFT? stand) ERWERBSARBEIT UND GESELLSCHAFT Stephan Jentgens (Geschäftsführender Direk- AUS DER GENDERPERSPEKTIVE tor der Jugendhaus Düsseldorf e.V. und der Dr. Felizitas Pokora Bundeszentrale für katholische Jugendarbeit, Patchwork. Annäherungen an einen erweiterten Geschäftsführer der BDKJ-Bundesstelle e.V.) Arbeitsbegriff Truda Ann Smith (Geschäftsführerin – BAG- Dr. Lydia Schambach Arbeit) Organisationaler Umbruch als Integrationschan- ce für Frauen – Der Vereinigungsprozess zu 10.45 Uhr ver.di aus der Gender-Perspektive DRITTE RUNDE DER VIER ARBEITSGRUPPEN M. A. Annette von Alemann (PARALLEL) Gibt es eine weibliche Corporate Citizenship? Gesellschaftliche Leitbilder und soziale Verant- AG 1: SOZIALE BEWEGUNG UND BÜRGERSCHAFTLI- wortung von Männern und Frauen in Spitzen- CHES ENGAGEMENT: NEUE FORMEN, NEUER SINN? positionen der Wirtschaft Dr. Andreas Hadjar/Prof. Dr. Rolf Becker Bildungsexpansion und politisches Engagement 18.15 Uhr – Politisches Interesse und politische Partizipa- 2. FORUM PLENAR: ENGAGEMENT IM ABSEITS? tion im Zeitverlauf BEFUNDE AUS VERSCHIEDENEN POLITIKFELDERN Achim Goerres Prof. Dr. Adalbert Evers (Moderation) Die neuen Alten. Ältere Protestaktivisten am Stadterneuerung und Stadtpolitik: Beispiel der englischen ‚Council Tax Protests‘ Prof. Dr. Hartmut Häussermann (Institut f. So- zialwissenschaften. Stadt- und Regionalsozio- AG 2: WIRTSCHAFTEN FÜR GUTE ZWECKE logie an der HU Berlin) Prof. Dr. Michael Meyer Pflegepolitik: Prof. Dr. Thomas Klie (Leiter des Wie viel Wirtschaft verträgt die Zivilgesell- Zentrums für Zivilgesellschaftliche Entwicklung schaft? Über Möglichkeiten und Grenzen wirt- an der EFH Freiburg) schaftlicher Rationalität in NPOs Schulpolitik: Sybille Volkholz (Bürgernetzwerk Dr. Patricia Siebert Bildung im VBKI) Ökonomisierung des Sozialen: Möglichkeiten Lokale kulturelle Einrichtungen und Kulturpo- und Grenzen ökonomischer Steuerung von litik: Prof. Dr. Bernd Wagner (wissenschaftli- Wohlfahrtsverbänden cher Leiter des Instituts für Kulturpolitik und Prof. Dr. Theo Wehner/Gian-Claudio Gentile stellvertretender Geschäftsführer der Kulturpo- KMUs in intersektoralen Partnerschaften: So- litischen Gesellschaft) ziale Handlungsorientierungen als Indikatoren für die Kooperation und den Erfolg? Pulsschlag 81

AG 3: GOVERNANCE IM WANDEL: 12.30 Uhr WENIGER STAAT, MEHR ZIVILGESELLSCHAFT? 4. FORUM PLENAR: – STEUERUNGSFRAGEN BÜRGERGESELLSCHAFT UND DRITTER SEKTOR: Prof. Dr. Thomas Klie/Prof. Paul-Stefan Roß WO BLEIBEN F ORSCHUNGSFÖRDERUNG UND AUSBIL- Regieren in der Bürgerkommune. Eckpunkte DUNGSANGEBOTE? für Governance in lokalen Kontexten: Begrün- Prof. Dr. Annette Zimmer (Moderation) dung und Konkretisierung Prof. Dr. Hans-Gerd Ridder (BWL und Perso- Dr. Hans-Liudger Dienel/Dr. Heike Walk nalmanagement) Kooperationsnetze und lokale Governance-For- Dr. Volker Then (ehemaliger Mitarbeiter bei der men als Erfolgsfaktoren für ostdeutsche Kom- Bertelsmann-Stiftung im Bereich Philanthropie, munen Geschäftsführer des Instituts für gesellschaftli- Dr. Jens Newig che Innovation an der Universität-Heidelberg) Zwischen Machtabgabe und Rhetorik. Zivilge- Dr. Erika Mezger (Leiterin der Abteilung For- sellschaftliche Akteure und die Effektivität um- schungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung) weltpolitischer Partizipationsprozesse in Edelgard Bulmahn (Kuratoriumsmitglied der Deutschland Volkswagen-Stiftung) Anja von Stein/Andreas D. Schulz Dr. Herbert Amman/Dr. Peter Farago (Schwei- Lokale Partnerschaften als Verhandlungsarenen. zerische Gemeinnützige Gesellschaft) Plädoyer für ein produktives ‚Spannungsma- Dr. Jürgen Nautz (Geschäftsführender Leiter nagement‘ der ARGE ‚Wege zur Civil Society in Öster- reich‘ der Österreichischen Forschungsgemein- AG 4: ,MÄNNLICHE‘ BÜRGERGESELLSCHAFT? schaft; Förderprogramm Zivilgesellschaft der VERGANGENHEIT, GEGENWART – ZUKUNFT? Österreichischen Forschungsgemeinschaft) Prof. Dr. Rudolph Bauer Frauen im Verein. Zur Sozialgeschichte und - 14.00 Uhr Schluss der Tagung psychologie des Weiblichen in der Bürger/innen/ gesellschaft TEILNAHMEGEBÜHR Petra Krüger/Torsten Poppek/Dr. Chris Lange 80 Euro (für Studierende und Arbeitslose gegen Bürgergesellschaft ‚männlich‘ – ‚weiblich‘? Vorlage einer gültigen Bescheinigung 40 Euro) Plädoyer für eine Analyseperspektive jenseits der Geschlechterdifferenz ANMELDUNG Dr. Gisela Notz Tagungsbüro ‚Auf diese einsatzfreudigen Damen greifen wir Regina Vierkant gerne zurück‘ Bürgerschaftliches Engagement Email: [email protected] im Bereich von Kultur und Soziokultur 82 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

WORKSHOPHINWEIS Inszenierungsformen wie für die Vernetzung der ...... Protestakteure.

Konsumenten und Unternehmen In der Sphäre des Marktes reagieren multina- als Bürger. Bürgerschaft als tionale Unternehmen auf Forderungen, ent- politische Dimension des Marktes? sprechend ihres Machtgewinns, indem sie in Bildungs- und Gesundheitsprogramme inves- Workshop des Forschungsprojekts ‚Protest- und tieren, mit staatlichen und nichtstaatlichen Or- Medienkulturen im Umbruch‘, SFB/FK 615 ganisationen kooperieren und sich so als ‚Cor- ‚Medienumbrüche‘ in Siegen am 9. November porate Citizens‘ positionieren und ‚Corpora- 2006. te Social Responsibility‘ demonstrieren. Durch freiwillige Investitionen und Partner- Während (trans-)nationale Protestakteure in öf- schaften sowie durch deren (massen-)media- fentlichkeitswirksamen Kampagnen Verbrau- le Darstellung sollen positive Effekte für die cher als Konsumbürger ansprechen und Kauf- Unternehmensreputation und damit für den akte moralisch und politisch aufladen, inszenie- wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ren sich Wirtschaftsunternehmen mit Konzep- erzielt werden – häufig auch als Reaktion auf ten wie ‚Corporate Citizenship‘ und ‚Corporate vorangegangene Konflikte und Proteste. So- Social Responsibility‘ als gesellschaftlich ver- ziales Engagement wird Teil der Markenstra- antwortliche unternehmerische Wirtschaftsbür- tegie; das Unternehmen zum ‚Citizen Brand‘ ger. Mit fortschreitender ökonomischer Globa- (Willmott). lisierung im Zeichen neoliberaler Reformpolitik haben multinationale Konzerne zwar gegenüber Die sich in der Politisierung des Konsums (Mi- nationalen Regierungen und internationalen cheletti) und der Selbstinszenierung von Unter- Organisationen an Macht gewonnen. Doch in nehmen als sozial verantwortliche Bürger ma- dem Maße, in dem Politik gewissermaßen in nifestierende gegenseitige Durchdringung von die Sphäre des ‚Subpolitischen‘ (Beck) unter- Zivilgesellschaft und Markt wirft grundlegende nehmerischer Entscheidungen abwandert, rich- Fragen zur Neubestimmungen des Bürger- tet sich politischer Protest zunehmend gegen schaftskonzepts und zur Erweiterung des indi- einzelne Unternehmen oder ganze Unterneh- viduellen und kollektiven Handlungsrepertoires mensbranchen. Unternehmen haben nicht nur von Bürgern in spätmodernen Konsumgesell- an Einfluss gewonnen, sie sind zugleich ver- schaften auf. Der Workshop ‚Konsumenten und wundbarer und Opfer eigener Marketingstrate- Unternehmen als Bürger – Bürgerschaft als gien geworden. Boy- und Buykott-Aktionen so- politische Dimension des Marktes?‘, initiiert wie Kampagnen, die sich wie etwa die Lidl- vom Forschungsprojekt „Protest- und Medien- Kampagne von Verdi oder Attac primär gegen kulturen im Umbruch“ im Rahmen des DFG Unternehmen bzw. Branchen richten, verdeutli- finanzierten SFB/FK 615 Medienumbrüche, chen die auch in Deutschland gewachsene Ten- versucht durch Zusammenführung von Wissen- denz zur Politisierung der Verbraucheröffent- schaftlern unterschiedlicher Disziplinen, von lichkeit und Mobilisierung zivilgesellschaftli- Praktikern aus NROs und Wirtschaftsunterneh- cher Akteure als ‚Consumer Citizens‘. Dabei men die Übertragung des Bürgerschaftskon- spielen auch die neuen Medien eine zentrale zepts auf Verbraucher- und Unternehmerver- Rolle für die Ausbildung (neuer) Aktions- und halten zu problematisieren und inhärente Vor- Pulsschlag 83

und Nachteile systematisch zu erfassen und ab- Programm zuwägen. 10.00 Uhr Begrüßung und Eröffnung So ist vor allem der Modus dieser gegenseiti- Prof. Dr. Sigrid Baringhorst (Universität Sie- gen systemischen Interpenetration (Münch) gen) oder strukturellen Kopplung (Luhmann) genauer zu bestimmen. Welche Rolle spielen darüber CONSUMER CITIZENSHIP hinaus die Medien bei der Vermittlung der neu- en Typen von Bürgerschaft und welche demo- 10.30 Uhr kratietheoretischen Implikationen sind mit dem VERBRAUCHERÖFFENTLICHKEIT UND BÜRGERSCHAFT oben beschriebenen Modus verbunden? Kri- Dr. Michael Beetz (Universität Jena) tisch ist dabei zu hinterfragen, ob das Bürger- schaftskonzept im Kontext der Politisierung des 11.30 Uhr Konsums seine Allgemeinwohlorientierung be- POLITISCHE MACHT VON VERBRAUCHERN hält und auf welche Legitimationsbasis sich der Svenja Koch (Greenpeace) ‚Citizen Consumer‘ bezieht. Fragen ergeben sich auch bei einer politikwissenschaftlichen Betrach- 12.30 Uhr Mittagspause tung von Corporate Citizenship. Wie kann das Bürgerschaftskonzept für transnational operie- CORPORATE CITIZENSHIP rende und nicht territorial gebundene Unterneh- men fruchtbar gemacht werden? Welche Rolle 13.30 Uhr spielen Vorstellungen einer Weltregierung (Zürn, UNTERNEHMEN ALS KOLLEKTIVE (WELT-)BÜRGER Lutz-Bachmann) bzw. Weltgesellschaft (Beck, Janina Curbach (Universität Bamberg) Castells) für die Betrachtung von Unternehmen als Bürger und welche Bedeutung haben Nicht- 14.30 Uhr regierungsorganisationen und globalisierungs- WIRTSCHAFT UND MENSCHENRECHTE kritische Bewegungen als Initiatoren, Unterstüt- Karin Lukas (Ludwig Boltzmann Institut für zer und Prüfer des bürgerschaftlichen Engage- Menschenrechte Wien) ments von Unternehmen? 15.30 Uhr Die Beiträge des Workshops sollen im Rahmen CORPORATE CITIZENSHIP IN DER P RAXIS eines Sammelbandes veröffentlicht werden. In- Lars Rademacher (Wissensfabrik Deutschland) formationen zum Forschungsprojekt finden sich unter: www.protest-cultures.uni-siegen.de. 16.30 Uhr ABSCHLUSSDISKUSSION ORT Prof. Dr. Sigrid Baringhorst (Universität Sie- Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg 615 gen) ‚Medienumbrüche‘ Am Eichenhang 50 17.30 Uhr Ende des Workshops 57076 Siegen ANMELDUNG Anmeldungen bitte bis zum 22.10.2006 an Veronika Kneip. Kontakt: [email protected]. 84 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Alte Journalhefte zum Versandkostenpreis

Hefte des Forschungsjournals aus den Jahrgängen 1989 bis 1993 sind kostenfrei gegen Übernahme der Versandkosten – auch in mehreren Exemplaren/Gruppensätzen – abzuge- ben:

Hefte aus dem Jahr 1993 Heft 1/93: Europa im Umbruch Heft 2/93: Osteuropa in der Krise Heft 3-4/93: Die herausgeforderten Kirchen – Religiosität in Bewegung

Hefte aus dem Jahr 1992 Heft 2/92: Perspektiven der Bewegungsforschung Heft 3/92: Gewerkschaften zwischen Morgen und Grauen Heft 4/92: Zwischen Markt und Staat

Hefte aus dem Jahr 1991 Heft 1/91: Zukunft der Reformpolitik Heft 2/91: Bewegung, Gegenbewegung und Staat Heft 3/91: Triumph der Verbände? Heft 4/91: Power in der Provinz

Hefte aus dem Jahr 1990 Heft 1/90: Gegenexperten in der Risikogesellschaft Heft 2/90: Soziale Bewegungen und politischer Wandel im Osten Europas Heft 4/90: Großstadt und neue soziale Bewegungen

Hefte aus dem Jahr 1989 Heft 3/89: Institutionalisierungstendenzen der NSB

Nähere Angaben zu den einzelnen Heften im Internet unter: http://www.fjnsb.de/frameJahrgang.htm

Es können auch mehrere Hefte einer Ausgabe angefordert werden. Wir liefern, so lange der Vorrat reicht. Bestellungen per Post unter Beifügung von 2 Euro in Briefmarken (für jedes weitere bestellte Heft bitte jeweils 1 Euro zusätzlich) an:

Ansgar Klein, Mahlower Straße 25, 12049 Berlin Treibgut 85

Musiker gegen Rechts mit bestehenden gesellschaftlichen Verhältnis- „Kein Bock auf Nazis“ heißt das Filmprojekt, sen auseinanderzusetzen und vor allem denjeni- das von der Berliner Band ZSK produziert wur- gen ein Forum zu bieten, die keinen oder nur de. Der 80-minütige Film enthält Interviews mit begrenzten Zugang zu herkömmlichen Medien Musikern wie den Ärzten, den Toten Hosen, haben. Auf der Homepage des Bundesverban- Donots, Muff Potter, Julia Hummer, Culcha des kann die Charta mit dem Selbstverständnis Candela und Madsen. Darüber hinaus gibt es und den Zielen eingesehen werden; außerdem eine Dokumentation über rechte Strukturen in findet sich hier eine Auflistung der freien Ra- Deutschland und Portraits von vier erfolgrei- dioinitiativen mit Frequenzen, Homepages und chen Jugend-Initiativen gegen Rechtsextremis- teilweise Live-Stream-Angeboten. Kontakt: mus. www.freieradios. de. Der Film soll als DVD kostenlos auf Konzer- ten oder über Musikzeitschriften verteilt wer- Sexy Kapitalismus den. Über die Homepage www. Ein besonderes Angebot unterbreiten die Urhe- keinbockaufnazis.de können weitere Infomate- ber des Freien Radios für Stuttgart, Querfunk – rialien, ein Trailer oder auch der gesamte Film Freies Radio Karlsruhe und Radio Dreyeck- herunter geladen werden. land Freiburg. Auf ihrer Homepage www. sexykapitalismus.de bieten sie eine Mischung Künstlernetzwerk aus „50% Musik für arrogante Subkulturen, Auf der Homepage www.rotekulturlinks.de 30% Theorie Sampling, 10% Namedropping, präsentiert sich ein Netzwerk von linken, fort- 5% Retrophänomene, 3% dialektischer Materi- schrittlichen KünstlerInnen. Es sind Einzel- alismus und Psychoanalyse, 2% Besserwisse- künstlerInnen und Gruppen vertreten, die bei rei“ an. Es lohnt sich, in diesem Potpourri aus Demonstrationen, Protestaktionen oder Streiks gesammelten Radiobeiträgen, politischen und auftreten. Die Homepage bietet weitere Infor- wissenschaftlichen Texten, Playlists, Links, ak- mationen über die MusikerInnen und die Mög- tuellen Beiträgen und dem ‚phrasomatischen lichkeit, mit ihnen in Kontakt zu treten. Tagebuch‘ zu stöbern, quer zu lesen und zuzu- Darüber hinaus gibt es auf der Homepage die hören. Möglichkeit, Texte von politischen Liedern on- line zu stellen und einzusehen. Damit wollen Kulturkoordination die Betreiber der Homepage an den ‚Textdienst’ Der Verein Exile-Kulturkoordination e.V. setzt der Zeitschrift Eiserne Lerche anknüpfen. sich für einen internationalen und interkulturel- Zurzeit sind Texte von fast 20 politischen Lie- len Austausch ein. Dabei beruht die Arbeit von dern online abrufbar unter www. Exile auf der Überzeugung, „dass Medien wie rotekulturlinks.de/lerche.htm. Musik, Theater, Literatur oder Bilder besonders geeignet sind, einen Zugang zu anderen Pers- Freie Radios pektiven und Lebenserfahrungen zu ermögli- Freie, nichtkommerzielle Radioinitiativen sind chen, die für einen bewußteren Umgang mit der inzwischen in elf Bundesländern aktiv. Sie ver- eigenen und mit anderen Kulturen sensibilisie- stehen sich als selbstbestimmte, offene Medien, ren“. Zur Arbeit des Vereins gehören die Aus- die Alternativen zum herkömmlichen, kommer- richtung von Ausstellungen und Workshops, zialisierten Radioprogramm bieten. Über drei- Lesungen und Konzerten. Darüber hinaus hat ßig Initiativen sind im Bundesverband Freier der Verein einen Pool von MusikerInnen und Radios engagiert. Ihr Ziel ist es, sich kritisch Musikgruppen versammelt, die vielfältige mu- 86 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

sikalische Richtungen aus aller Welt vertreten ger/innen für Europa“ durchführen. Ziel ist die und mit ihrer Musik einen Beitrag zu interkul- Förderung einer aktiven Bürgerschaft. Unter an- turellen Begegnungen leisten möchten. Über den derem sollen Städtepartnerschaften, EU-weite Verein kann der Kontakt zu den KünstlerInnen Projekte und öffentlichkeitswirksame Maßnah- hergestellt werden. men gefördert werden. Kontakt: EXILE-Kulturkoordination e.V., Wan- Weitere Informationen unter: http://ec.europa.eu/ dastr. 9, 45136 Essen. Tel.: (0201) 747 988 0, dgs/education_culture/activecitizenship/ Fax: (0201) 747 988 80, eMail: info@exile- new_programme_de.htm. ev.de, www.exile-ev.de. „Wir sind die Gegenwart“ Mehr Widerstand wagen? Im Rahmen des Projekts „mitWirkung!“ Der neue Direct-Action-Kalender 2007 ist da. (www.mitwirkung.de), welches die Bertels- Der Kalender, der in der Projektwerkstatt Saa- mann-Stiftung gemeinsam mit UNICEF und sen entstanden ist, versammelt Tipps und Tricks dem Deutschen Kinderhilfswerk durchführt, ist für Protestaktionen sowie Texte und Materia- eine neue Studie zur Partizipation von Kindern lien zu Direct-Action-Methoden. Der knapp 200 und Jugendlichen erschienen. Unter dem Titel Seiten lange Kalender kann über die Bestellsei- „Ihr nennt uns die Zukunft, wir sind aber auch te der Projektwerkstatt bezogen werden. Auf die Gegenwart. Begründung für eine verstärkte dieser Seite finden sich noch viele weitere Ma- Partizipation von Kindern und Jugendlichen“ terialien, so z.B. die CD „Abwehr der Ordnung. setzen sich die Wissenschaftler Roland Roth 18 Songs gegen Law and Order“, die Protest- und Thomas Olk für eine stärkere Einbindung songs von KünstlerInnen verschiedener Stil- von Heranwachsenden in kommunale Politik- richtungen enthält. prozesse ein. Neben einer ausführlichen Herlei- Bestellung über www.aktionsversand.de.vu oder tung des Themas bieten die Autoren einen Über- per Post: Projektwerkstatt Saasen, Ludwigstr. blick über aktuelle politische Begründungszu- 11, 35447 Reiskirchen-Saasen, Tel.: (06401) sammenhänge für eine Erweiterung der Partizi- 903283. pationsmöglichkeiten für Kinder und Jugendli- che. Der gesamte Beitrag kann herunter geladen The Sound of Europe werden unter www.bertelsmann-stiftung.de/bst/ Nach den gescheiterten Verfassungsreferenden de/media/xcms_bst_dms_17027_17028_2.pdf. in Frankreich und den Niederlanden versucht die Europäische Union auf vielfältige Weise, Steuergerechtigkeit das Verhältnis zu ihren Bürgerinnen und Bür- Das ‚Tax Justice Network‘ (www.taxjustice.net) gern zu verbessern. Unter dem Titel „The Sound ist ein unabhängiger Zusammenschluss von of Europe“ veranstaltete die EU zu Beginn die- ForscherInnen und AktivistInnen, die sich kri- sen Jahres eine Konferenz, auf der KünstlerIn- tisch mit den Phänomenen der Steuerflucht und nen und MusikerInnen mit europäischen Spit- Steueroasen auseinandersetzen. Nun ist die vom zenpolitikerInnen zusammentrafen, um über die Tax Justice Network herausgegebene Broschü- Zukunft Europas zu beraten. Damit sollte ein re „Tax us if you can – Wie sich Multis und Startschuss gegeben werden für eine weiter- Reiche der Besteuerung entziehen und was da- führende Debatte über Ziele und Zukünfte der gegen unternommen werden kann“ zum ersten EU. mal auf deutsch erschienen. Diese Ausgabe, Gleichzeitig wird die Europäische Kommission verantwortet von Share e.V. unter Mitarbeit von von 2007 bis 2013 ein neues Programm „Bür- Attac, dem Kirchlichen Dienst in der Arbeits- Treibgut 87

welt, der Erklärung von Bern und AllianceSud, zung der Kerne gestellt hatte. Mit Hilfe kreati- erläutert allgemeinverständlich die durch Glo- ver Proteste gelang es schließlich, auf Antrag balisierung verstärkten Steuerungerechtigkeiten der brasilianischen Regierung den Namens- und stellt einen zwölfteiligen Maßnahmenkata- schutz vom Europäischen Patentamt zurückneh- log vor, mit dem eine internationale Steuerge- men zu lassen. rechtigkeit erlangt werden soll. Bestellt oder Die „BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie“ hat herunter geladen werden kann die Broschüre nun ein Buch zum Thema herausgegeben, in im Internet unter www.attac.de/service/ dem über die Hintergründe der Biopiraterie, materialbestellung/shop/ über Strategien und Gegenstrategien sowie wich- product_info.php?products_id=393. tige Akteure informiert wird: „BUKO-Kampa- gne gegen Biopiraterie“ (Hrsg.): Grüne Beute. Verhaltenskodex für NGOs Biopiraterie und Widerstand, Trotzdem Verlag, Elf der weltweit größten internationalen Nicht- 160 Seiten, 12 Euro. ISBN 3-931786-40-4. regierungsorganisationen des Menschenrechts-, Weitere Informationen zu Biopiraterie und zur Umwelt- und Entwicklungssektors haben ge- BUKO-Kampagne gibt es unter www. meinsam einen Verhaltenskodex für NGOs (‚ac- biopiraterie.de und www.gruene-beute.de. Dort countability charter‘) entwickelt. Mit dem Ko- kann auch das Buch, welches unter einer Crea- dex sollen gemeinsame Werte und Verhaltens- tive Commons License veröffentlicht worden regeln z.B. für den Bereich des Managements, ist, eingesehen werden. des Fundraisings oder der Kooperation mit an- deren Organisationen und Einrichtungen fest- Bürgerhaushalts-Einführung gelegt werden. Zu den Erstunterzeichnern der Eine leicht verständliche Einführung in das The- Charta gehören Amnesty International, Green- ma Bürgerhaushalt bietet der „Wegweiser Bür- peace, Terre des Hommes oder auch Oxfam In- gergesellschaft“ der Stiftung MITARBEIT. Die ternational. Die Charta kann unter http:// Zusammenstellung enthält erläuternde Texte und news.amnesty.org/index/ENGPOL306062006 Beschreibungen zum Thema und verweist auf eingesehen werden. aktuelle Beispiele und weiterführende Literatur. Zudem werden verschiedene Modelle für Bür- Biopiraterie gerhaushalte erläutert. Immer häufiger werden Nutzpflanzen durch Weitere Infos unter www.wegweiser- Patente von Konzernen, Agrarunternehmen oder buergergesellschaft.de/politische_teilhabe/buer- auch Hochschulen geschützt und die freie Nut- gerhaushalt/index.php zung der Pflanzen damit eingeschränkt. Dabei wird auch oftmals jahrhundertealtes Wissen Ein- Kritische Kampagnenarbeit heimischer über die Verwendung dieser Pflan- Am 23. und 24. November 2006 findet in der zen mit geistigen Eigentumsrechten belegt. Ge- Evangelischen Akademie Bad Boll eine Tagung gen einen solchen „Schutz“ geistigen Eigentums zum Thema „Was tun? Kritische Kampagnen- wendet sich die „BUKO-Kampagne gegen Bio- arbeit in Zeiten der Globalisierung“ statt. Auf piraterie“. Bekannt geworden ist der Fall der der Tagung sollen Handlungsoptionen von tropischen Cupuaçu-Frucht, aus deren Samen Nichtregierungsorganisationen zwischen Lob- sich nach einem alten Verfahren die schokola- bying, Kampagnenarbeit und Massenmobilisie- denartige Cupulate herstellen lässt. Deren Name rung ausgelotet werden. war von einer japanischen Firma geschützt wor- Die Tagung mit ReferentInnen aus drei Konti- den, die zudem einen Patentantrag auf die Nut- nenten wird ausgerichtet von Medico Internati- 88 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

onal, die Teilnahmegebühr beträgt 30 Euro (ohne Responsibility‘ Möglichkeiten für eine Teilnah- Unterkunft und Verpflegung). Nähere Informa- me an dem weiteren Prozess genannt. Die Bro- tionen unter http://www.medico- schüre ist im Internet zugänglich unter http:// international.de/kampagne/fatal/tagung_11- isotc.iso.org/livelink/livelink/fetch/2000/2122/ 2006.asp, Anmeldungen per eMail an irmgard. 830949/3934883/3935096/02_news/ [email protected]. Participating%20in%20ISO%2026000- LD%2027%20April%202006.pdf. Gesellschaft für Informationsfreiheit Am 21. Juni diesen Jahres ist in Berlin die Deut- Materialien zu Umwelt sche Gesellschaft für Informationsfreiheit ge- und Entwicklung gründet worden. Die Gesellschaft, zu der Bun- Die neue Internetpräsenz des Ökoprojektes destagsabgeordnete, Mitglieder von Vereinen Mobilspiel e.V. bietet vielfältige Anregungen für und Stiftungen sowie der Bundesbeauftragte für Projekte in der Umwelt- und Nachhaltigkeits- Datenschutz und Informationsfreiheit gehören, bildung. LehrerInnen und MultiplikatorInnen will sich für die Umsetzung des Gesetzes zur können aus einem reichhaltigen Angebot Mate- Informationsfreiheit einsetzen und versuchen, rialien für Workshops, Spiele, Bastelanleitun- Transparenz als Handlungsgrundlage auch für gen sowie Tipps und Checklisten oder Projekt- die Verwaltung einzufordern. beschreibungen herunter laden. Für die The- men Ernährung, Freizeit, Gesundheit und Klei- Preis für Engagement dung stehen bereits viele Materialien und Anre- von MigrantInnen gungen zum Download zur Verfügung. Die „Stiftung Bürger für Bürger“ hat einen Preis Kontakt: www.praxis-umweltbildung.de. für das Engagement von Migrantinnen und Migranten ausgelobt. Damit will sie die aktive Rüstungsexporte Teilhabe und Integration von MigrantInnen för- Das Internationale Konversionszentrum Bonn dern. Prämiert werden vorbildhafte und inno- (BICC) bietet einen neuen Internetservice an. vative Projekte und Initiativen. Vorschläge kön- Unter www.ruestungsexport.info findet sich eine nen bis zum 30.11.2006 eingereicht werden. Datenbank, die Informationen über 170 Länder Weitere Informationen und Modalitäten: sammelt. Verschiedene Daten zu Rüstung, Mi- www.buerger-fuer-buerger.de, Menüpunkt För- litär, Sicherheit, Menschenrechten und Regie- dermöglichkeiten/Wettbewerbe. rungsführung, angelehnt an die Kriterien des EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte, sol- ISO-Norm Soziale Verantwortlichkeit len dabei helfen, eine fundierte und kritische Die Arbeiten an dem International Standard Bewertung von Rüstungsexporten vorzuneh- ISO 26000 on Social Responsibility gehen wei- men. Die vom Bundesministerium für wirtschaft- ter. Hier sollen allgemeingültige Leitlinien zur liche Zusammenarbeit und Entwicklung geför- sozialen Verantwortung von Unternehmen und derte Datenbank, die hauptsächlich für die Poli- anderen Organisationen niedergelegt werden. tikberatung der Bundesregierung entwickelt Die International Organization for Standardiza- wurde, ist öffentlich zugänglich. tion (ISO) hat nun eine 16-seitige Broschüre veröffentlicht, in der die bisherigen Ergebnisse der Arbeit beschrieben sind. Darüber hinaus werden in der Broschüre ,Participation in the future International Standard 26000 on Social Literatur 89

REZENSIONEN fig einen Schritt weiter, jedoch ist sie nie wirk- ...... lich radikal gewesen. In den 1970er und 1980er Jahren wurde den 50 Jahre Bravo – 50 Jahre gesellschaftlichen Ansprüchen gemäß auch über kommerzialisierte Jugendkultur Themen wie Atomkraft und Waldsterben berich- Mit 50 noch Teil einer Jugendbewegung zu sein, tet. Häufig jedoch mit einem moralischen Zeige- ist eine Leistung. Geehrt wird diese vom Archiv finger und ohne politisch zu mobilisieren oder der Jugendkulturen, die zum 50. Geburtstag der gar zum Protest aufzurufen. Die Bravo war nie Zeitschrift Bravo ein Buch herausbrachte. Sprachrohr einer Jugendsubkultur, sondern fest Die Bravo gehört zu den Phänomenen, die in der Mitte der Gesellschaft verankert. jedeR kennt und bei denen zugleich niemand so So war es seit den 1980er Jahren durchaus wirklich zugibt, auch zur LeserInnenschaft zu eine Abwertung für KünstlerInnen, Star in der gehören. Doch die Bravo, und das wird nach Bravo zu sein. Insbesondere die Punkszene sah einem ersten Durchblättern schnell deutlich, ist einen Auftritt in der Bravo als ein Label, was mehr als nur irgendeine beliebige Jugendzeit- bedeutete, nicht mehr „real“ zu sein, nicht mehr schrift. Sie ist ein Spiegel der Zeit, der gesell- der eigentlichen Punkszene anzugehören. An- schaftlichen Veränderungen, der Möglichkeiten dreas Kuttner zeigt diese Haltung auch an Aus- und der Jugendbewegungen, die seit den ver- sprüchen wie: ,...damit wir niemals in die Bra- gangenen 50 Jahren in Deutschland stattgefun- vo kommen!‘ Doch trotz dieser abwehrenden den haben. Dementsprechend gibt es einen aus- Haltung mancher Jugendlicher kommt immer gewogenen Anteil an Bildern und Artikeln. Star- wieder zum Vorschein: Ohne die Bravo hätte schnitte von Musikgrößen gehören ebenso dazu man vieles nicht gewusst. Ohne sie wäre Punk wie die Abbildungen der am häufigsten ver- vielleicht auch nicht im Sauerland angekommen. wendeten Titelgesichter. Trotz dieser Fülle an Themen besticht der Sammelband des Archivs Das Rätsel um Doktor Sommer der Jugendkulturen durch seine Themenauswahl, Und das Rätsel um Doktor Sommer wird end- die den LeserInnen einen Blick hinter die Ku- lich aufgelöst. Dr. Martin Goldstein alias Dr. lissen erlauben. Sommer erzählt aus 15 Jahren Aufklärungsar- beit. Auch hier haben wir es mit einem Phäno- Wertewandel geschickt vermarktet men zu tun. Niemand wollte Bravo lesen, doch Kasper Maase beleuchtet die Bravo als Medi- jedeR wusste, wer Doktor Sommer ist und wel- um der 1950er Jahre, einer Zeit, in der Freizeit che Tipps die Aktuellsten waren. In der Retro- gerade erst zum Massengut avanciert. Brigitte spektive zeigt sich auch hier, inwieweit die Ge- Bardot in einem Badeanzug als Starschnitt em- sellschaft neue moralische Werte angenommen pörte damals gleichermaßen Eltern wie auch hat, aber auch, wo noch immer an alten Denk- Lehrerinnen und Lehrer. Heute würde dieses mustern festgehalten wird. Und so liest man Badeanzugfoto sicher keine Entrüstungsstürme schmunzelnd über Zeiten, beispielsweise den mehr hervorbringen. Und genau darin liegt der 1970er Jahren, in denen die Bundesprüfstelle Reiz dieses Buches: Uns am Medium Bravo zu für jugendgefährdende Schriften die Bravo- verdeutlichen, wie schnell sich Werte, Normen Aufklärung durchaus für beanstandbar hielt. und moralische Ansichten ändern können. Die Kein Zweifel, die Bravo versuchte früh über Bravo versteht es, zeitgemäß den neuen Um- Themen wie Homosexualität oder Selbstbefrie- gang mit der Gruppe der „Teenager“ für sich zu digung zu informieren. Und oft genug war es vermarkten. Dabei wagt sich die Zeitschrift häu- auch die einzige Möglichkeit für Jugendliche, 90 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Fragen zu stellen, die sie sonst nirgendwo be- der Bravo gibt es noch Neues zu entdecken, antwortet bekommen hätten. Doch der Autor was nicht zuletzt an der detailreichen Aufma- geht noch einen Schritt weiter und reflektiert chung des Buches liegt. seine Rolle als Dr. Sommer durchaus selbstkri- Ein paar Kleinigkeiten fehlen jedoch. Man tisch. Trotz einer gewissen Anonymität ist Auf- vermisst beispielsweise einen Artikel zu den klärung in diesem Stil, mit Frage und Antwort, Foto-Love-Stories, der Vorgängerin der Vor- immer auch Belehrung. Es ist, so Goldstein, abend-Soap-Unterhaltung. Aber schnell wird eine ,einbahnstraßige gefilterte Wissensvermitt- klar, dass die Auswahl der Themen vor allem in lung‘. Er rät zum Misstrauen, auch mit dem der Kommerzialisierung der Jugendkulturen Wissen, das eben jener Dr. Sommer oft der ein- liegt. Untersucht wird dabei, welchen Anteil die zige war, den Jugendliche befragen konnten und Bravo an einzelnen Veränderungen hatte. Klaus sie keine zweite Meinung bekamen. Farin, Leiter des Archivs der Jugendkulturen kommt in seiner Einführung zu folgendem Fa- Die Bravo steuert Karrieren zit: ,So verändert nicht die Bravo die Gesell- Es ist ein durchgängiges Merkmal dieses Bil- schaft, sondern die Trends in der Gesellschaft derLeseBuches, sowohl die guten als auch we- verändern die Bravo‘. Behält er Recht, werden niger guten Themen in Frage zu stellen. Kai wir in 50 Jahren den 100. Geburtstag einer Ju- Kolwitz berichtet in seinem Artikel über die gendzeitschrift feiern. Macht, die Bravo im Laufe der Jahre im Medi- endschungel bekommen hat. Als Jugendsprach- Stephanie Schmoliner, Flensburg rohr hat die Zeitschrift die Möglichkeit, Stars und Sternchen aufzubauen oder an ihrem Image Besprochene Literatur zu drehen. Boybands und Girlgroups hätten Archiv der Jugendkulturen (Hg.) 2005: 50 Jah- ohne eine so weit verbreitete Zeitschrift kaum re Bravo. Berlin: Archiv der Jugendkulturen Gehör in der Medienlandschaft gefunden. Durch Verlag und Tilsner-Verlag. Umfragen, wer der beste Künstler/ die beste Künstlerin ist, wer den Bravo-Otto des Jahres  bekommt oder wer gefloppt ist, wurden schon seit den Beatles Stars reproduziert und ihre Kar- Eine Kulturgeschichte des Protestes rieren gesteuert. in den USA Antje Pfeffer beleuchtet in ihrem Artikel da- her auch die Erfahrungen mit Bravo im „Lese- Seit Mitte der 1990er Jahre wird die Analyse land DDR“, das ja von der westlichen Starma- kultureller Formen in der Bewegungsforschung schinerie wenig bis gar nichts hielt. Die Bravo diskutiert. Zwar besteht weitgehend Einigkeit war in der DDR heimlicher Informant über die darüber, dass die Ausdrucksformen von politi- westliche Jugendkultur. Bekam man eine, ver- schem Engagement und deren Wechselwirkun- schlang man sie, ,in der Regel mehr oder weni- gen mit ihrem kulturellen Umfeld eine zentrale ger unkritisch gegenüber den DDR-Zeitschrif- Stellung bei der Untersuchung sozialer Bewe- ten‘, wie die Autorin feststellte. gungen haben sollten. Beiträge, die über pro- grammatische Schriften und Fallstudien hinaus- Detailreich, aber mit Lücken gehen, waren bislang allerdings Mangelware. Zusammenfassend finden wir ein reiches Sam- T.V. Reed will mit seinem Buch ,The Art of melsurium an Bildern und Themen aus 50 Jah- Protest‘ diese Lücke füllen. Die Ansprüche sei- ren Jugendgeschichte. Auch für KennerInnen ner Arbeit finden sich im Vorwort: Zum einen Literatur 91

will Reed das Buch nicht allein für Bewegungs- sind. So bietet Reed eine umfassende Analyse forscher schreiben, sondern ebenso für ein ge- der Musik der Bürgerrechtsbewegung, die über- neigtes Publikum, das mit der Diskussion über zeugend vermittelt, wie über dieses Medium Kultur in sozialen Bewegungen nicht vertraut Menschen mobilisiert und Unterschiede zwi- ist. Zum anderen strebt er erstmals einen Ver- schen ihnen überwunden wurden. Verglichen gleich der kulturellen Dimension in verschiede- damit kann die eher oberflächliche Besprechung nen historischen Bewegungen der USA an. dreier Hollywoodfilme über die indigene Be- wegung wenig überzeugen. Insgesamt gelingt Mehr als Folklore es Reed aber, die Geschichte der sozialen Be- In den einzelnen Kapiteln konzentriert sich Reed wegungen in den USA in einer Form neu zu jeweils auf ein kulturelles Phänomen im Kon- erzählen, die deutlich macht, wie mit der Analy- text einer Bewegung. Unter anderem beschäf- se von Kultur entscheidende Aspekte in sozia- tigt er sich mit Musik in der Bürgerrechtsbewe- len Bewegungen sichtbar gemacht werden kön- gung, Poesie in der Frauenbewegung und mit nen – sowohl was ihre innere Dynamik angeht, der Bedeutung von Grafik im Kampf mit der als auch die Beziehung zu ihrem gesellschaftli- Ignoranz gegenüber Aids. Dass es dem Autor chen Umfeld. Gerade hier, an der Schnittstelle nicht um Folklore geht, zeigt sich sowohl in von Bewegung und Populärkultur, zeigt Reed, den kenntnisreichen Analysen dieser Kapitel als dass politische Ideen über kulturelle Medien in auch an der Einbeziehung der Populärkultur in einen breiten Diskurs einfließen können, dass seine Untersuchung. Mit dem Engagement von aber dieser Absorptionsprozess einer eigenen MusikerInnen gegen Hunger und Apartheid in Dynamik folgt. In seiner Kulturgeschichte rückt Afrika, sowie der Repräsentation der indigenen Reed aber auch einige falsche Annahmen über Bewegung in Hollywoodfilmen sind zwei Ka- die beschriebenen Bewegungen gerade, indem pitel explizit diesem Zusammenhang gewidmet. er zum Beispiel immer wieder auf die zentrale Den wissenschaftlich orientierten LeserInnen Bedeutung von Frauen verweist, die im kollek- verspricht der Autor im letzten Kapitel die Ein- tiven Gedächtnis marginalisiert wird. bindung seiner Arbeit in die Diskussion über Kultur in sozialen Bewegungen. Anspruch und Wirklichkeit Bei viel Lob über die positiven Aspekte des Kultur in sozialen Bewegungen Buches ist jedoch auch Kritik angebracht, wenn Reeds Ziel ist die Formulierung eines Ansatzes man sich die eingangs erwähnten Ansprüche zu „cultural studies of social movements“. Er des Autors in Erinnerung ruft. Reeds Ankündi- betrachtet Kultur in sozialen Bewegungen mit gung, das erste vergleichende Buch über Kultur Bezug auf drei Dimensionen: (1) als Sub- oder in sozialen Bewegungen vorzulegen, kann im Gegenbewegung zur dominanten Kultur, (2) als Verlauf der Lektüre nur allzu leicht in Verges- Ort der Produktion von Text, der unterschied- senheit geraten. Auf andere Kapitel verweisen- lich gelesen werden kann und (3) als Ausgangs- de Bemerkungen finden sich zwar immer wieder, punkt für Wirkungen im gesellschaftlichen einen systematischen, an einheitlichen Kriteri- Umfeld. en orientierten Vergleich sucht man aber Die Berücksichtigung dieses Rahmens ist in vergebens. Wäre der komparative Aspekt zen- den einzelnen Abschnitten uneinheitlich. Und tral, hätte die Wahl der Fälle sicher anders aus- auch der analytische Gehalt der Kapitel variiert fallen müssen. Wenn man sich zum Beispiel an stark. Ein Grund dafür mag sein, dass einige den Dimensionen orientiert, die Reed selbst der Texte zuvor an anderer Stelle erschienen vorschlägt – Subkultur, Textproduktion, Wir- 92 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

kung –, fällt es schwer, nach innen gerichtete Besprochene Literatur Formen wie die Lieder der Bürgerrechtler mit Reed, Tim V. 2005: The Art of Protest. Culture der Entstehung eines neuen akademischen Fel- and Activism from the Civil Rights Movement des, des ,environmental justice ecocriticism‘, in to the Streets of Seattle. Minneapolis: Universi- Beziehung zu setzen. ty of Minnesota Press.

Für Laien oder Fachleute?  Die Lektüre zeigt auch, dass der Spagat zwi- schen Fachpublikum und einem größeren Leser- Feminismus in der Popmusik Innenkreis deutlich auf Kosten der ersten Gruppe geht. Als wissenschaftlich interessierter Leser Aktuelle Diskussionen um Populärkultur ha- hätte man sich eine stärkere Einbindung von ben auch das Thema Musik wieder auf die Agen- Bewegungstheorien in die Analyse kultureller da gesetzt. Im vorliegenden Sammelband „Fe- Phänomene gewünscht. Auch wenn sich eine male Consequences“ wird in 16 Artikeln der Diskussion im Licht der vorhandenen Ansätze, Frage nach Feminismus und Antirassismus in zum Beispiel zu kollektiver Identität oder Mo- der aktuellen Popmusik-Debatte nachgegangen. bilisierungsbedingungen, häufig angeboten hät- Am Anfang steht die Frage nach der männli- te, bleibt es bei kursorischen Anmerkungen; zum chen Dominanz innerhalb der Musik. Die Her- Teil findet man sogar eine gewisse Distanz zur ausgeberInnen Rosa Reitsamer und Rupert Bewegungsforschung. Diesen Eindruck relati- Weinzierl beschreiben, dass es jedoch nicht in viert auch das letzte, theoretische, Kapitel nur erster Linie um die Schlüsselbegriffe wie Gen- zum Teil. Theorien über Kultur in sozialen Be- der und Geschlechterverhältnisse geht, sondern wegungen werden hier aneinander gereiht und dass in den vorliegenden Aufsätzen die Gleich- mehr oder weniger in Beziehung gesetzt. Dabei rangigkeit von Gender und Ethnizität im Mittel- blitzen einige brauchbare Konzepte auf, ohne punkt steht. So findet sich unter anderem ein dass der große Wurf sichtbar wird, der den Rah- Interview mit Fatih Aydogdu und Vlakta Frke- men für „cultural studies of social movements“ tic in diesem Band. Ethnische Vermarktungs- abgeben könnte. Immerhin mag das Theorieka- strategien machen auch vor der österreichischen pitel jenen, die sich den Fokus auf Kultur zu Musikgemeinde keinen Halt. Und so geht es Eigen machen, als Steinbruch dienen, in dem hier vor allem um Labeling und Verkaufs- be- sich durchaus zentrale Reflexionen finden las- ziehungsweise Vermarktungsstrategien mit Be- sen. Aber selbst wenn die hohen Ansprüche am zeichnungen wie „Jugo- und Türkpop“. Ende nicht eingelöst werden, bietet das Buch eine lohnenswerte Lektüre, da es einen Über- Körperinszenierung auf der Bühne blick über die neuen sozialen Bewegungen in Der starke Praxisbezug dieses Bandes wird in den USA gibt und beispielhaft vermittelt, dass weiteren Interviews erkennbar. Stephanie Kies- der Fokus auf Kultur unabdingbar ist, um diese sling und Nina Stastný beschreiben die unter- Bewegungen zu verstehen. Sehr hilfreich sind schiedlichen Körperinszenierungen, die Frauen dabei das Register und eine eigene Internetsei- auf der Bühne möglich sind. Dabei ist auffal- te, die auch ein zusätzliches Kapitel zu Plakaten lend, dass es eben verhältnismäßig wenig Frau- gegen Vietnam- und Irakkrieg enthält (www. en sind, denen der Zugang zu einer Bühne upress.umn.edu/artofprotest). überhaupt ermöglicht wird. Daran anschließend erfahren die LeserInnen Simon Teune, Berlin in Anette Baldaufs Weiblichkeitsausführungen, Literatur 93

wie unterschiedlich diese Inszenierungen auch litische Gegenkultur zu ermöglichen und der in Bezug auf die Vermarktungsmöglichkeiten gesellschaftlichen Hegemonie etwas entgegen eingesetzt werden können. Gerade in den aktu- zu setzen. ellen Charts spiegeln sich Geschlechterbilder und Grenzen wieder. Doch es wird nicht nur in Begrenzt auf den Wiener Horizont möglich oder unmöglich eingeteilt. Auch die Female Consequences bietet einen sehr guten längst überholt gedachte Dichotomie zwischen Überblick über aktuelle Diskussionen in Bezug gut und böse kommt zum Vorschein. Frauen im auf Popmusik und Feminismus. Ein Wermuts- Hip Hop und Punkrock, so die Autorin, kon- tropfen bleibt am Schluss des Buches dennoch struieren ihre Identität häufig über ein ,being bestehen. Zwar wird eine Vielzahl interessan- bad‘. So genannte Teeniestars legen die Beto- ter, spannender Möglichkeiten aufgezeigt. nung ihres Images auf das ,being good‘. Bald- Allerdings ist der Fokus auf Wien zu stark. Wien auf kommt dabei zum Fazit, dass noch immer als Hauptstadt von Österreich hat eine längere Sexualität der Gradmesser für die soziale Posi- feministische Tradition. Orte, Netzwerke und tionierung junger Frauen ist. das Wissen sind vorhanden, um diese politisch subversive Popstrategie möglich werden zu las- Feministische Strategien entwickeln sen. In anderen Städten oder kleineren Zusam- Dass Sexualität nicht der einzige Ausschluss- menhängen wären viele aufgezeigte Wege da- mechanismus ist, zeigt Wolfgang Fichna am gegen nicht oder nur schwerlich möglich. Beispiel afroamerikanischer Hip Hop-Musiker- Sicherlich hat das Internet den Austausch un- innen. Für sie gibt es eine Vielzahl unterschied- tereinander auf extra dafür eingerichteten Inter- lich gelagerter Ausschlusskriterien. Innerhalb netseiten einfacher gemacht. Doch die Aus- der Black Community müssen sich viele Frau- schlussmechanismen in kleineren Zusammen- en mit Sexismus und patriachalen Machtver- hängen werden hier leider kaum betrachtet. hältnissen auseinandersetzten. Dazu kommt eine rassistische Konstruktion des Anderen, des Stephanie Schmoliner, Flensburg Exotischen, was häufig mit Erotik gleichgesetzt wird. Umso wichtiger scheint es, diese Kon- Besprochene Literatur struktionen aufzudecken, zu benennen und Stra- Reitsamer, Rosa / Weinzierl, Rupert (Hg.) 2006: tegien zu entwickeln. Female Consequences. Feminismus, Antiras- Doch wenn feministische Strategien verbrei- sismus, Popmusik. Wien: Löcker-Verlag. tet werden müssen, sind Netzwerke von großer Bedeutung. Christiane Erharter und Elke Zobl  betiteln ihren Artikel passend mit ,Mehr als die Summe der einzelnen Teile‘ und geben einen Der Pudding bleibt nicht hängen – guten Überblick über heute gebräuchliche Ver- Zur Zivilgesellschaft in Südostasien netzungsstrukturen innerhalb der Musikszene. Von schon fast klassisch anmutenden Fanzines Viel zitiert ist die Aussage Ulrich Becks, Glo- über extra ins Leben gerufene Netzwerke bis balisierung zu definieren sei so Erfolg verspre- hin zu den so genannten Ladyfesten gibt es chend wie der Versuch, einen Pudding an die mittlerweile Ebenen, auf denen Strategien ge- Wand zu nageln. In dem von der Heinrich-Böll- gen patriachale, sexistische Strukturen disku- Stiftung herausgegebenen Tagungsband wird tiert werden können. Insgesamt bewerten die diese Einschätzung gleich mehrfach auf die Dis- Autorinnen diese Möglichkeiten als Mittel, po- kussionen über die Zivilgesellschaft übertragen 94 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

(u.a. 206). Das englischsprachige Buch doku- Pfennig nimmt die Entstehungsgeschichte von mentiert die Beiträge und Diskussionen des Zivilgesellschaften in ehemaligen Kolonialge- Workshops „Südostasien – Auf dem Weg zu bieten Asiens in den Fokus seines Beitrages. Er einer ‚guten Gesellschaft‘?“. Vor allem stark zeigt auf, dass die zivilgesellschaftlichen Akti- normativ aufgeladene Vorstellungen von Zivil- vitäten in den Kolonien – im Gegensatz zu de- gesellschaft erschweren die Analyse häufig – nen der Heimatländer – stark transnational aus- und provozieren eben jenen Pudding-Vergleich. gerichtet waren und fast ausschließlich von den Aus diesem Grund versuchen die Autoren, die (kolonialen) Eliten ausgeübt wurden. Letzteres einfache Übertragung westlich-normativer Vor- trifft auch auf die postkoloniale Zeit zu: Zwar stellungen von Zivilgesellschaft zu vermeiden. lässt sich eine ‚Nationalisierung‘ („Asianizati- Vielmehr wird die Frage nach den Akteuren der on“ [39]) der Eliten gerade im südostasiatischen Zivilgesellschaft in Thailand, Indonesien und Raum aufzeigen, was auch eine Veränderung Vietnam in den Mittelpunkt der Analyse gestellt der transnationalen Ausrichtung der Zivilgesell- und deren Rolle in der demokratischen und de- schaft nach sich zieht. Die zivilgesellschaftli- mokratisierenden Gestaltung von Politik unter- chen Aktivitäten aber blieben, so Pfennig, sucht. größtenteils eine elitäre Angelegenheit.

Variationen von Zivilgesellschaft Drei Fallbeispiele Die Zielsetzung der Tagung wird in einem Kon- Nach diesen einleitenden Beiträgen werden die zeptpapier von Jörg Wischermann dargelegt, in Fallbeispiele Thailand, Indonesien und Vietnam dem auch der erwartete Analyserahmen der ein- dargestellt. Schnell zeigt sich, dass es keine ein- zelnen Beiträge abgesteckt wird. Es ist nicht heitliche Form einer asiatischen Zivilgesellschaft ersichtlich, warum die Herausgeber des Ta- gibt, sondern dass sich Variationen finden, die gungsbandes diesen Beitrag an das Ende des sich aufgrund der jeweiligen historischen Ge- Buches stellen, vor allem, weil in vielen Beiträ- gebenheiten, Akteurskonstellationen und aktu- gen auf den aufgezeigten Analyserahmen zu- ellen Umstände unterscheiden. Für Thailand rückgegriffen wird. Wischermann macht deut- konstatieren Juree Vichit-Vadakan und Surichai lich, dass es nicht um eine Kontrastierung asia- Wankaew in ihren Beiträgen ein starkes Fest- tischer und westlicher Vorstellungen von Zivil- halten an traditionellen Werten, vor allem an ei- gesellschaft gehe, auch nicht um die Herausbil- ner vertikalen, patronalen Gesellschaftsstruk- dung eines asiatischen Idealtypus. Vielmehr gehe tur – mit Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft. es um die ‚dichte Beschreibung‘ der Variatio- Der Staat nehme starken Einfluss auf alle ge- nen von Zivilgesellschaft und der unterschied- sellschaftlichen Bereiche und auf zivilgesell- lichen Verwendung zivilgesellschaftlicher Kon- schaftliche Aktivitäten; eine begriffliche Tren- zepte in den untersuchten Ländern. Mit Hilfe nung in die drei Sektoren Staat, Markt und Zi- der daraus gewonnenen Ergebnisse sollen in vilgesellschaft sei in Thailand nicht zu finden einem zweiten Schritt die Erfahrungen der De- (Wankaew). mokratisierungs- und Öffnungsprozesse in den Ein wenig anders stellt sich die Situation der drei Ländern analysiert werden. Zivilgesellschaft in Indonesien dar. Diese ist Bevor in den Fallbeispielen die Variationen stark von islamischen Organisationen geprägt. asiatischer Zivilgesellschaft untersucht werden, In Zukunft, so Ulil Abshar-Abdallah, werde es warnt Dieter Gosewinkel nochmals eindring- darauf ankommen, ob konservativ-islamische lich vor einer normativ aufgeladenen Engfüh- Gruppierungen sich mit ihren Wertevorstellun- rung der Zivilgesellschaftsdiskussion. Werner gen durchsetzen könnten, oder ob es moderate- Literatur 95

ren islamischen Gruppen gelänge, offenere ge- litischen Führung ab – auch was die politische sellschaftliche Strukturen zu implementieren. Kultur und damit die zivilgesellschaftliche Ein- Hiervon hinge in hohem Maße der weiterge- bindung betrifft (Azyumardi Azra). hende Demokratisierungsprozess ab. Eep Sae- Adam Fforde beschreibt eine Stagnation der fulloh Fatah argumentiert in seinem Beitrag, dass seit den 1980ern erfolgten vorsichtigen Öffnung in den vergangenen Jahren durchaus positive der Kommunistischen Partei Vietnams. Zwar Fortschritte zu verzeichnen seien. So habe es eine gebe es auch in Vietnam schon seit längerer Zeit Veränderung des politischen Bewusstseins bei eine Proto-Zivilgesellschaft auf lokaler Ebene; der aktiven Wählerschaft in Indonesien gegeben: allerdings verhindere kurioserweise die Schwä- von hauptsächlich affektiv-affirmativen Wahlent- che der Kommunistischen Partei eine stärker scheidungen bei den Parlamentswahlen im Jahre emanzipatorische Wirkung dieser ‚zivilgesell- 1999 zu einer kritischeren und stärker an rationa- schaftlichen‘ Organisationen. Gerade dies er- len Beweggründen ausgerichteten Wählerschaft mögliche es lokalen Eliten, selbige für ihre pri- bei den Wahlen 2004. Eine solche politische Ver- vaten Interessen zu nutzen. änderung werde sich auch positiv auf die weitere Insgesamt zeichnet sich also ein sehr hetero- Entwicklung der Zivilgesellschaft auswirken. genes Bild der Demokratisierungsprozesse und Die Situation in Vietnam stellt sich, so Joe der Zivilgesellschaften in den untersuchten Län- Hannah in seinem Beitrag, aufgrund der politi- dern ab. Dabei vermag es der vorliegende Ta- schen Ausgangssituation anders dar. Hier wer- gungsband trotz der oben beschriebenen un- den Assoziationen in ‚offizieller’ leninistischer voreingenommenen Herangehensweise nicht Lesart als Teil der Gesellschaftssphäre verstan- immer, genau zwischen der Analyse zivilgesell- den, und diese steht unter der Vorherrschaft der schaftlicher Prozesse und normativen Vorstel- kommunistischen Partei: „Pluralism is not an lungen von Zivilgesellschaft zu trennen – und option.“ (109) Eine auch nur ansatzweise kon- damit die konzeptionellen Unklarheiten des Zi- frontative Politik zivilgesellschaftlicher Orga- vilgesellschaftsbegriffes zu beseitigen. Auch hier nisationen werde nicht geduldet und auch von bleibt der Pudding nicht an der Wand. Erwähnt den ansässigen Organisationen nicht in Betracht werden muss überdies die teilweise schlechte gezogen. (und falsche!) sprachliche Gestaltung, die den Anschein einer wörtlichen Übersetzung deut- Zivilgesellschaft im Demokratisierungs- scher Idiome ins Englische weckt. Dennoch prozess schaffen es die Beiträge, einen guten Einblick Auch die Rolle der Zivilgesellschaften und ih- in die unterschiedlichen Vorstellungen von Zi- rer Organisationen in den Demokratisierungs- vilgesellschaft, von Akteuren und Arbeitswei- prozessen der drei untersuchten Staaten fällt sen in den vorgestellten Ländern zu vermitteln. unterschiedlich aus. Für Thailand konstatiert Somit ist das Buch interessant für jeden, der Kasian Tejapira eine wellenförmige Bewegung einen außereuropäischen Blick auf Zivilgesell- der Demokratisierung, in der auch immer wieder schaftsdebatten werfen möchte. gewalttätige Repression durch den Staat zu ver- zeichnen ist. In Indonesien kann man mit der Jan Rohwerder, Aachen Absetzung Suhartos und der Einführung freier, kompetitiver Wahlen einen starken Demokrati- Besprochene Literatur sierungsschub innerhalb des politischen Sys- Heinrich Böll Stiftung (Hg.) 2005: Towards tems verzeichnen. Allerdings hänge immer noch Good Society. Civil Society Actors, the State, sehr viel vom Regierungsstil der jeweiligen po- and the Business Class in Southeast Asia – Fa- 96 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

cilitators of or Impediments to a Strong, Demo- menbereichen Familie, Bildung, Ausbildung und cratic, and Fair Society?, Berlin: Heinrich Böll Freizeit junger MigrantInnen in Deutschland. Stiftung. Theorien zum Verhältnis von  Ethnizität und Geschlecht Aus der US-amerikanischen Kritik an einer ur- Soziale Ungleichheit und sprünglich ethnieblinden Geschlechterfor- Geschlechterverhältnisse im multi- schung, deren Subjekt Mittelschichtsfrauen ethnischen Zusammenleben – sind, ging eine Perspektive auf das Geschlecht Zur Lebenssituation junger als soziales Phänomen im größeren Zusammen- MigrantInnen hang hervor. Insbesondere Frauen ethnischer Minderheiten seien nicht allein von einem Pa- Vom europäischen Ministerrat wurden in den triarchat, sondern von komplexen Herrschafts- vergangenen Jahren verschiedene Richtlinien verhältnissen betroffen, so auch der Ungleich- zur Gleichstellung von Menschen unterschied- heit unter Frauen. licher ethnischer Herkunft und unterschiedli- Zwei Ansätze werden vorgestellt: Die addi- chen Geschlechts unter anderem in den Berei- tive Theorie zum Verhältnis von Rasse, Klasse chen Beschäftigung, Bildung und soziale Si- und Geschlecht betrachtet die Faktoren als cherheit formuliert, die national beispielsweise gleichrangig und eng verbunden. Geschlecht über das Anti-Diskriminierungsgesetz umge- und Rasse werden als askriptive Kategorien setzt werden sollen. betrachtet, die Klassenverhältnisse darstellen Auf der anderen Seite kann im Zusammen- oder konstituieren (1). hang der Folgen der demographischen Entwick- Im Rahmen des Sozialkonstruktionsansat- lung der Bundesrepublik für den Arbeitsmarkt zes gelten Geschlecht und Ethnizität/Rasse als und den Generationenvertrag von einem gesell- soziale Strukturkategorien (2). Aus den zwei schaftlichen Interesse an der verstärkten Ein- zunächst getrennten Forschungszweigen wur- bindung junger BildungsinländerInnen in den de ein kombinierter relationaler Ansatz entwi- Arbeitsmarkt ausgegangen werden. Faktisch ckelt, der die Ethnisierung/Rassisierung von finden junge MigrantInnen bisher nur unzurei- Geschlecht und die Vergeschlechtlichung von chenden Zugang zu Bildung und Ausbildung Ethnizität/Rasse in ihrer prozesshaften Herstel- als Voraussetzung beruflicher Integration. lung analysiert. Langfristig erwarten die Autorinnen jedoch durchaus Wandlungsprozesse im ethnischen Daten zur Lebenssituation von Zusammenleben und in den Geschlechterver- MigrantInnen hältnissen. Diese Veränderungen untersuchen Interessant wird es im empirischen Teil. Hier sie anhand der Lebenssituationen und -chancen bieten die Autorinnen in den vier Bereichen Fa- junger MigrantInnen. Unter Verwendung der milie, Bildungs- und Ausbildungssituation so- analytischen Kategorien Ethnie und Geschlecht wie Freizeit von MigrantInnen eine Darstellung fragen sie nach tatsächlich vorfindbaren Un- des Forschungsstands, der durch eigene Aus- gleichheitslagen. Der Band gliedert sich in eine wertungen der Daten des Statistischen Bundes- kurze Einführung in Theorien zum Verhältnis amtes ergänzt wird. Die Auswertung ist nach von Ethnizität und Geschlecht, gefolgt von ei- nationaler Herkunft differenziert, denn ausge- ner detaillierten Aufarbeitung des For- prägte quantitative Unterschiede unter den Grup- schungstands und statistischer Daten zu den The- pen lassen Rückschlüsse auf ursächliche Fak- Literatur 97

toren zu – beispielsweise den heterogenen Bil- Jahre wieder gesunken. Ursächlich sei eine dungsstand der Eltern. Aufgrund der Datenlage Mischung aus demographischen (verstärkte bleiben die Aussagen zum Teil auf nicht einge- Nachfrage deutscher Jugendlicher) und kon- bürgerte Zugewanderte beschränkt. junktureller Faktoren (weniger Lehrstellen). Weitere Erklärungen betreffen unzureichende Konstanter Abstand zu den deutschen Schulbildung, Sprachbarrieren und Kommuni- Jugendlichen kationsprobleme in der Bewerbungssituation, Generell wird eine Verbesserung der schulischen das Nicht-Anerkennen ausländischer Schulab- Beteiligung und der Bildungsabschlüsse von schlüsse und unqualifizierte Berufsberatung. MigrantInnen festgestellt; der Abstand zu den Auf betrieblicher Seite gelten unter anderem nied- deutschen SchülerInnen hat sich jedoch nicht rige Ausbildungsbereitschaft und kulturunsen- verringert. Als (empirisch noch zu überprüfen- sible Eignungstests als relevante Gründe. Auf- de) Gründe gelten Faktoren des Herkunftsmili- grund geringer sozialer Vernetzung der Eltern eus wie die beabsichtigte Verweildauer und As- im Arbeitsfeld kann dieses für die Kinder kaum similierung, Bildungsabschlüsse und Deutsch- nutzbar gemacht werden. Hier sind es die Frau- kenntnisse der Eltern, Sprachdefizite sowie In- en und insbesondere die Migrantinnen, die trotz formationsdefizite der Eltern über das Bildungs- besserer Bildungsabschlüsse und größerer An- system. Auf der anderen Seite werden die Ursa- strengungen weniger Zugang zu einem ohnehin chen in institutioneller Diskriminierung und stark eingeschränkten Ausbildungsmarkt finden. insbesondere in Defiziten des Bildungssystems Während sich in der bundesrepublikanischen im unteren Leistungsbereich gesehen. Forschung Erklärungen vor allem auf normati- Wie Frauen insgesamt erzielen auch weibli- ve Orientierungen der Migrantinnen fokussie- che Migrantinnen deutlich bessere schulische ren – wie einer Lebensplanung, die geschlechts- Abschlüsse als ihre männlichen Altersgenossen. spezifisch auf eine Vereinbarkeit von Familie Gründe werden in der geringeren Lesekompe- und Beruf ausgerichtet ist –, geht die angel- tenz und in ungünstigeren Gruppenstrukturen der sächsische Forschung eher von Ausschlussme- jungen Männer gesehen. Es finden sich Hinwei- chanismen der Betriebe durch Rekrutierungs- se auf spezifische Anreize für die Migrantinnen, strategien aus. Eine frühe Familiengründung die Leistung als Mittel nutzen, familiäre Aner- könne umgekehrt auch Effekt einer erfolglosen kennung zu erlangen und frühe Ehen zu vermei- Lehrstellensuche sein. den. Neben der durchgehend besseren Bildungs- beteiligung der jungen Frauen läßt sich im natio- Analytischer Rahmen für eine Gesell- nalen Vergleich eine große Heterogenität beob- schaftsanalyse? achten. So zeigen französische und polnische Dieses Buch bietet eine informative und gut Jugendliche ein höheres Bildungsniveau als ihre verständliche Einführung in die theoretische deutschen MitschülerInnen. Dies wird auf den Diskussion um das Verhältnis der Kategorien Bildungsstand der Eltern (im Falle der Franzo- Ethnizität und Geschlecht. Diesen analytischen sen auf Expertenmigration) zurückgeführt. Rahmen kann es in seiner Sekundäranalyse für Ausschnitte der bundesrepublikanischen Ver- Mehr Konkurrenz um weniger hältnisse fruchtbar machen. Das Verdienst der Lehrstellen Autorinnen ist die Aufarbeitung und Neuord- Bei einem Ausbildungssatz von einem Drittel nung vorliegender Studien, die Diskussion der der migrantischen Jugendlichen ist ihr Anteil an Erklärungsmuster, die ergänzende Nennung von den Gesamtauszubildenden seit Mitte der 1990er Vermutungen/Hypothesen und insbesondere die 98 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Formulierung vieler Forschungsdesiderate im lichkeit und vertiefter Unterwerfung der Indivi- Schnittpunkt der Geschlechter- und Migrations- duen auszeichnet. Den Hegemonie-Begriff ent- forschung. lehnt Day beim italienischen Kommunisten Den Anspruch der Relationalität kann die Antonio Gramsci. Er betont, dass Herrschaft Analyse nicht immer voll einlösen: Deutsche nicht nur auf dem Zwang politischer Institutio- Jugendliche dienen methodisch eher als Kon- nen beruht, sondern auch auf zivilgesellschaft- trastfolie, denn als Subjekt der Untersuchung. lichen Konsens. Das Streben nach diesem Kon- Auf diese Weise werden weniger gesamtgesell- sens hat er als Kampf um Hegemonie begriffen. schaftliche Veränderungen herausgearbeitet, als vielmehr die Situation von MigrantInnen unter- Gegen-Hegemonie funktioniert nicht schiedlicher nationaler Herkunft vermittels des Doch die Folgerungen Gramscis und seiner kom- kategorialen Rahmens betrachtet. So wirkt auch munistischen und poststrukturalistischen Ge- der Titel der Publikation inhaltlich irreführend, folgsleute vollzieht Day nicht mit: ,Gramsci is denn unklar bleibt, weshalb auf die generelle dead‘ verkündet schließlich auch der Titel seines Fragestellung eine thematische Einschränkung Buches über anarchistische Strömungen in den auf junge Erwachsene folgt. Thematisch wäre neusten sozialen Bewegungen. Die neogramsci- zudem die Einbeziehung des Feldes der Arbeits- anischen Bemühungen, Gegen-Hegemonien zu marktintegration wünschenswert gewesen. etablieren, verbleiben laut Day letztlich in einer staatlichen Logik. Gramsci selbst hatte die Zivil- Anja Löwe, Berlin gesellschaft als Teil des „erweiterten Staates“ bezeichnet. In dieser Staatsbezogenheit macht er Besprochene Literatur auch theoriegeschichtlich die wesentliche Ge- Bednarz-Braun, Iris/Heß-Meining, Ulrike 2004: meinsamkeit zwischen marxistischer und libera- Migration, Ethnie und Geschlecht. Theoriean- ler Tradition aus. Day selbst sieht sein Buch hin- sätze – Forschungsstand – Forschungsperspek- gegen als Beitrag zu „a small but growing body tiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen- of work in postanarchism and autonomist mar- schaften. xism“ (10). Anstatt Einfluss in staatlichen Insti- tutionen zu erlangen oder über sie, geht es diesen  postanarchistischen und postoperaistischen Strö- mungen – in der Theorie ebenso wie im Aktivis- Gramsci und der Postanarchismus mus – vielmehr darum, Verknüpfungen herzu- stellen. Oder, in den Worten Foucaults und De- Ökonomisch gesehen leben wir in Zeiten neoli- leuzes: „relays“ zu schaffen. beraler Hegemonie. Was das Soziale betrifft, so ist Kontrollgesellschaft eine plausible Bezeich- Logik der Affinität nung für die meisten Gegenwartsgesellschaf- Day schreibt eine kleine Theoriegeschichte der ten. So sieht es jedenfalls Richard J. F. Day, anti-hegemonialen Entwürfe. Und das nicht nur, Soziologie-Professor in Kingston/Kanada und um diese Geschichte um ein Buch zu verlän- Anarchist. Von Gilles Deleuze und Michel Fou- gern, sondern auch mit einem recht praktischen cault greift Day das Label der Kontrollgesell- Anliegen: In den Protesten gegen die neolibera- schaft auf. Demnach wird Herrschaft vor allem le Globalisierung sieht er Aktionen und Subjek- durch die Machttechnik der Kontrolle ausge- te, denen es nicht um Gegen-Hegemonie geht. übt. Diese ergänzt die Disziplinarmacht, die sich Um sie zu verstehen, bedürfe es also auch ande- durch die Verbindung von gesteigerter Taug- rer theoretischer Herangehensweisen. Ohne Literatur 99

Zweifel zeichnen sich viele der gegenwärtigen gen eines freiheitlichen Sozialismus vor ihrer Protestbewegungen vor allem durch ihre sozia- drohenden Verstaubung bewahren. Die These, len Forderungen und Effekte aus. Indem sich dass Gustav Landauer, der Aktivist der Mün- Day genau diesen widmet, verleiht er zugleich chener Räterepublik, mit seinem relationalen dem anarchistischen Beharren auf der sozialen Staatsverständnis poststrukturalistische Theorie Revolution, statt der politischen, neuen Sinn. antizipiert hat (16), ist dabei überzeugender als Inhaltlich plädiert er, gestützt auf eine Re-Lek- die Erweiterung der von Giorgio Agamben auf- türe anarchistischer Klassiker – ,in the light of gebrachten Idee der „kommenden Gemeinschaft“. poststructuralist, feminist, postcolonial, queer, In die Diskussionen der Bewegungen gegen die and indigenous critiques‘ (18) – für eine Logik neoliberale Hegemonie einzufließen, hat der so der Affinität. Die Zapatistas, Reclaim the Streets, genannte Postanarchismus allemal verdient. die brasilianische Landlosenbewegung MST, Peoples Global Action, Pink and Silver, Indy- Jens Kastner, Münster media-Netzwerke, all diese in den vergangenen Jahren aufgekommenen Zusammenschlüsse Besprochene Literatur begreift Day als Vorboten der kommenden Ge- Day, Richard J. F. 2005: Gramsci is dead. An- meinschaften. Dies sind nicht-hierarchische archist Currents in the Newest Social Move- Organisierungsformen, die es auf die Zerschla- ments, London: Pluto Press. gung gegenwärtig bestehender Knotenpunkte von Macht und Bedeutungsgebung abgesehen ANNOTATIONEN haben (44). Weil der Neoliberalismus zwar glo- ...... bal präsent ist, sich aber für verschiedene Iden- titäten, Orte und Zeiten unterschiedlich auswirkt BRATFISCH, RAINER (184), lässt sich auch die Logik der Affinität Freie Töne. nicht einheitlich bestimmten. Zwei Grundprin- Die Jazzszene in der DDR zipien macht Day allerdings für sie aus: ,ground- Berlin: Ch. Links Verlag, 2005 less solidarity‘ und ,infinite responsibility‘ (186). Die neue Form der Solidarität hat nicht mehr Improvisation ist das Grundprinzip des Jazz. Und vergleichbares Leid zur Grundlage, sondern fußt Improvisation lässt sich nicht steuern. So liegt es auf der Einsicht in den Zusammenhang von ei- eigentlich auf der Hand, dass der Jazz in Diktatu- genen Privilegien mit der Unterdrückung ande- ren eine ganz besondere Funktion hat. In ihm ent- rer. Und in der Offenheit für den/die Andere/n lädt sich die Opposition und der Widerstand besteht das wesentliche Merkmal der von Day gewissermaßen in Tönen. So kommt es nicht von beschriebenen Verantwortlichkeit. ungefähr, dass Rainer Bratfisch seinen Sammel- band zur Jazzszene in der DDR „Freie Töne“ ge- Postmoderne Ansätze und nannt hat. Denn diese lassen sich weder einsper- anarchistische Ideen ren noch einmauern. Und auch die Reaktionen auf Die Verknüpfung postmoderner Ansätze mit an- die Musik sind nur bedingt steuerbar. Der Sam- archistischen Ideen ist im deutschsprachigen melband geht in seiner Gliederung zum einen chro- Raum noch nicht sehr verbreitet. Einerseits nimmt nologisch vor. Er beschreibt die fünfziger Jahre sie die postkolonialen und feministischen Debat- als „Heißen Jazz im Kalten Krieg“. In den sechzi- ten der vergangenen 20 Jahre erneut für radikale ger Jahren spricht der Herausgeber vom „Jazz in Praxis in Beschlag, andererseits kann sie im 19. der (ein)geschlossenen Gesellschaft“. In den sieb- Jahrhundert entwickelten, utopischen Vorstellun- ziger Jahren ist dann die Internationalisierung der 100 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Szene zu beobachten. Und die achtziger Jahre tativer … und direkt demokratischer Willensbil- schließlich zeichnen sich durch die „Konsolidie- dung … auf lokaler Ebene.“ (S. 13) Vom norma- rung vor dem Absturz“ aus. Mindestens ebenso tiven Konzept der ‚Bürgerkommune‘ grenzt sich spannend wie der zeitliche Abriss ist der letzte das Konzept ab, weil dieses, so die Autoren, ein Abschnitt, der sich mit den regionalen Entwick- harmonisches Zusammenspiel suggeriert, wo es lungen des Jazz beschäftigt. Denn hier finden sich viele fördernde als auch hemmende Faktoren stär- neben den Hochburgen in Sachsen auch verges- ker zu berücksichtigen gelte (S. 107). senere Städte wie Treptow, die Ostseeküste oder Teil eins enthält Theorien und Konzepte aus Eisenach. Insgesamt besticht das Buch durch de- der Beteiligungsrolle des Bürgers als Auftrag- tailreiche und quellengesättigte Beiträge, die ein geber (Steuerungsdebatte von politischer Pla- buntes Bild der Musik-Opposition in diesem Genre nung bis Governance, Korporatismus und Po- liefern. Denn in vielen Fällen sind die Autoren litiknetzwerken; Legitimitätsdiskussion von Zi- selbst Musiker oder waren Teil der Jazz-Szene als vilgesellschaft, partizipativer Demokratie, De- Beobachter und Zuhörer. Der Herausgeber selbst liberation bis E-Democracy) wie auch als Mit- hat zudem einige Zeitzeugen selbst interviewt. Und gestalter (aktivierender Staat, Wohlfahrtsplura- als besonderes Bonbon liegt noch eine CD des lismus, Krise der Arbeitsgesellschaft und Bür- DDR-All-Stars-Jazzkonzerts vom 8. und 9. De- gerarbeit, Kommunitarismus, Sozialkapital, zember 1965 im Kongress-Saal des Hygienemu- neues Ehrenamt). Teil zwei erörtert das Zusam- seums Dresden bei. menspiel von repräsentativer, direkter und koo- perativer Demokratie auf kommunaler Ebene Karin Urich, Mannheim im Rückgriff auch auf empirische Erhebungen. Teil drei bietet die Darstellung und Diskussion  von Praxisbeispielen. Die gewählten Beispiele aus Sicht der Auftraggeberrolle sind instruktiv HOLTKAMP, LARS / BOGUMIL, JÖRG / KIß LER, LEO und bedeutend: Sie reichen von dem Programm Kooperative Demokratie. ‚Soziale Stadt‘, der ‚lokalen Agenda‘ oder der Das politische Potenzial von Bürgerengagement ‚Kriminalprävention‘ bis zu ‚alternativen Be- Frankfurt/M.-New York: Campus 2006. teiligungsverfahren. Aus Sicht der Mitgestal- terrolle werden die verschiedenen Formen der Die ‚kooperative Demokratie‘ verbindet vor al- kommunalen Förderung erörtert und im An- lem in den Kommunen die Beteiligung der Bür- schluss daran Empfehlungen für die kommuna- ger an der politischen Willensbildung (Beteili- le Praxis gegeben. gungsrolle: der Bürger als Auftraggeber) mit sei- Der Band besticht durch klare Sprache und ner Beteiligung als Mitgestalter des Gemeinwe- schnörkellose Argumentation. Es ist für Lehre sens. Beide Aspekte gehen über die Debatte der (erprobt in der Fernuniversität Hagen) und auch Verwaltungsmodernisierung hinaus, die den für die Praxis sehr zu empfehlen, da er eine sehr Bürger vor allem als Kunden der Leistungser- gut lesbare, komprimierte Aufarbeitung sowohl stellung im Blick hat. „Unter kooperativer De- der demokratietheoretischen als auch der um das mokratie werden freiwillige, dialogisch orientierte bürgerschaftliche Engagement kreisenden Dis- und auf kooperative Problemlösungen angelegte kussionen der vergangenen Jahre ebenso enthält Verfahren der Bürger- und Verbändebeteiligung wie zahlreiche, auf Empirie und Praxisauswer- an der Politikformulierung und an der Politik- tung beruhende Berichte und Einschätzungen. umsetzung auf kommunaler Ebene verstanden. Sie ergänzen die bestehenden Formen repräsen- Ansgar Klein, Berlin Literatur 101

STERNSTEIN, WOLFGANG Leser, die lediglich an der autobiografischen Mein Weg zwischen Gewalt und Erzählung interessiert sind, abschreckend wir- Gewaltfreiheit. ken könnte. Das Beste, was über das Buch ge- Norderstedt: Books on Demand GmbH 2004. sagt werden kann, hat Horst-Eberhard Richter im Vorwort auf den Punkt gebracht: „Dieses Mahatma Gandhi nannte seine Autobiografie Buch ist ein großartiges Dokument, wie ein eher im Untertitel ,Die Geschichte meiner Experi- stiller, introvertierter Mensch einfach aus sei- mente mit der Wahrheit‘. Sternstein hätte seine nem Glauben an die Menschlichkeit und an die Autobiografie in Anlehnung an sein großes Vor- Verantwortlichkeit Einzelner für das Ganze zu bild mit dem Untertitel versehen können ,Die einem Vorbild für viele werden könnte, die in Geschichte meiner Experimente mit der Gewalt- einer Zeit der Duckmäusigkeit und des Verdrän- freiheit‘, denn darum handelt es sich. Er berich- gens wieder das Standhafte lernen könnten und tet über zahlreiche gewaltfreie Aktionen, an de- sollten.“ nen er teilgenommen hat und aus denen er die Summe seiner Erfahrungen in Form von Emp- Erich Schneider, Berlin fehlungen und Lehren zieht. Wyhl, Brokdorf, Gorleben, Großengstingen Mutlangen, Büchel NEWSLETTER BEWEGUNGSFORSCHUNG und das EUCOM bei Stuttgart sind die Statio- ...... nen dieser ungewöhnlichen Lebensreise. Das Forschungsjournal Neue Soziale Bewegun- Sie ist aber noch mehr. Sie ist die Geschichte gen informiert in einem Newsletter einen Über- eines Abstiegs in die Hölle familiärer Gewalt blick über laufende Forschungsvorhaben zum und – dank persönlicher Anstrengung und Bereich Neue Soziale Bewegungen. Deshalb glücklicher Umstände – des Aufstiegs in den sind alle Forscherinnen und Forscher, Studen- „Himmel“ der Gewaltfreiheit. Diese individuel- tinnen und Studenten sowie Forschungseinrich- le Geschichte setzt der Autor in Beziehung zur tungen aufgerufen, entsprechende Projekte an Menschheitsgeschichte, die, von Ausnahmen das Forschungsjournal zu melden. Sie werden abgesehen, nur den Abstieg in die Hölle der dann auf der Internet-Seite des Forschungsjour- personalen und strukturellen Gewalt kennt. Er nals (www.fjnsb.de) veröffentlicht. wird nach Meinung des Autors im atomaren Benötigt werden folgende Angaben: 1. Titel Holocaust sein Ende finden. Ungeachtet der des Vorhabens, 2. Zeitraum, auf den sich das düsteren Zukunftsprognose ist es dennoch kein Projekt bezieht, 3. Name und Anschrift des Be- pessimistisches Buch, denn Sternstein ist mit arbeiters/der Bearbeiterin, 4. Name und An- Gandhi überzeugt, dass alles, was Gutes in der schrift der Institution, an der die Arbeit entsteht, Welt geschieht, bedeutsam bleibt, während al- 5. Name und Anschrift des Betreuers/der Be- les, was Böses geschieht, verloren ist. Die all- treuerin, 6. Art und Stand der Arbeit (Abschluss- täglichen Triumphe der Gewalt und der Unge- arbeit, Projekt, Dissertation etc), 7. Laufzeit des rechtigkeit in der Welt sind folglich, unter dem Forschungsvorhabens, 8. Art der Finanzierung. Gesichtspunkt der Ewigkeit betrachtet, lauter Diese können per Post (Karin Urich, Hoher Pyrrhussiege, denn das Böse ist seinem Wesen Weg 15, 68307 Mannheim oder per E-Mail nach nichtig. So lautet zumindest das Glaubens- ([email protected]) an die Rubrikverant- bekenntnis des Autors. wortliche übermittelt werden. In der zweiten Hälfte gerät das Buch gele- gentlich zum Sachbuch, fast könnte man sagen zum Lehrbuch für gewaltfreie Aktion, was auf 102 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

LITERATUR ZUM THEMENSCHWERPUNKT Musik und Politik ...... Bendikowski, Tillman u.a. (Hg.) 2003: Die Einführungen Macht der Töne. Musik als Mittel politischer Identitätsstiftung im 20. Jahrhundert. Münster. Adorno, Theodor W. 1968: Einleitung in die Blaukopf, Kurt 1984: Musik im Wandel der Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesun- Gesellschaft. Grundzüge der Musiksoziologie. gen. München. München. Adorno, Theodor W. 1972: Philosophie der Denslow, Robin 1991: The beat goes on. neuen Musik. Frankfurt a. M. Popmusik und Politik. Geschichte einer Hoff- Benjamin, Walter 1981: Das Kunstwerk im nung. Rowohlt. Reinbek. Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit: Eyerman, Ron/Jamison, Andrew 1998: 3 Studien zur Kunstsoziologie. 12. Aufl. Frank- Music and social Movements. Mobilzing Tra- furt a. M. ditions in the Twentieh Century. Cambrigde. Blaukopf, Kurt 1972: Musiksoziologie. Eine Farin, Klaus 1998: Jugendkulturen zwischen Einführung in die Grundbegriffe mit besonde- Kommerz und Politik. Archiv der Jugendkultu- rer Berücksichtigung der Soziologie der Ton- ren. Berlin. systeme. 2. erg. Aufl. Niederteufen. Garman,Bryan 2000: A Race of Singers: Kneif, Tibor 1971: Musiksoziologie. Köln. Whitman’s Working-Class Hero from Guthrie Kneif, Tibor (Hg.)1975: Texte zur Musikso- to Springsteen. North Carolina. ziologie. Köln. Lanza, Joseph/Longhurst, Brian 1995: Kneif, Tibor/ Halbscheffel, Bernhard 1992: Popular Music and Society. Cambridge. Sachlexikon Rockmusik: Instrumente, Stile, Malm, Krister/ Wallis, Roger 1992: Media Techniken, Industrie und Geschichte. Neube- Policy and Music Activity. London, New York. arb. Ausg. Reinbek bei Hamburg. Mitchell, Tony 1997: Popular Music and Manuel, Peter 1998: Popular Musics of the Local Identity. London, New York. Non-Western World. An Introductory Survey. Sakolsky, Ron; Ho, Fred Wei-Han (Hg.) New York, Oxford. 1995: Sounding Off! Music as Suversion/Re- Rösing, Helmut (Hg.) 1987: Zur Tradition, sistance/Revolution. Brooklyn, New York. Rezeption und Produktion von populärer Musik. Salzinger, Helmut 1982: Rock Power oder Arbeitskreis Studium Populärer Musik (ASPM). wie musikalisch ist die Revolution? Reinbek. Beiträge zur Popularmusikforschung 2. Spiegel Spezial 1994: Pop und Politik. Ham- Rösing, Helmut (Hg.) 1992: Stationen po- burg: Der Spiegel Spezial 2. pulärer Musik: vom Rock’n’Roll zum Techno. Sternek, Wolfgang 1995: Der Kampf um die Arbeitskreis Studium Populärer Musik (Beiträ- Träume. Musik, Gesellschaft und Veränderung. ge zur Popularmusikforschung 12. Hanau. Schoenebeck, Mechthild von 1987: Was Taylor, Timothy 1997: Global Pop. World macht Musik populär? Untersuchungen zur Music, World Markets. New York, London. Theorie und Geschichte populärer Musik. Weinzierl, Rupert 2000: Fight the Power! Frankfurt a.M. Eine Geheimgeschichte der Pokultur und die Shepherd, John et al. 1999: Popular Music Formierung neuer Substreams. Wien. Studies: A Selected International Bibliography. Wicke, Peter 1998: Von Mozart zu Madon- London-Washington. na: eine Kulturgeschichte der Popmusik. Leip- Shepherd, John/Wicke, Peter 1997: Music and zig. Cultural Theory. Cambridge u.a.: Polity Press. Literatur 103

Pop und Rock Musik und Feminismus und Gender

Büsser, Martin 2004: On the wild side. Die Baldauf, Anette/Weingartner, Katharina wahre Geschichte der Popmusik. Hamburg. (Hg.) 1998: Lips.Hits.Tits.Power? Wien. Diedrichsen, Diedrich 1993: Freiheit macht Farin, Klaus/Kuckuck, Anke 1987: proE- arm. Das Leben nach Rock’n’Roll 1990-1993. motion. Frauen im Rockbuisness. Reinbek. Köln. Gaar, Gilian 1994: Rebellinen. Die Ge- Flender, Reinhard/Rauhe, Hermann 1989: schichte der Frauen in der Rockmusik. Ham- Popmusik, Geschichte, Funktion, Wirkung und burg. Ästhetik. Darmstadt. Greig, Charlotte 1991: Will you still love Frith, Simon 1981: Sound Effects. Youth, me tomorow? Mädchenbands von den 50er Jah- Leisure, and the Politics of Rock’n’Roll. New ren bis heute. Reinbek. York. Grimm, Stephanie 1998: Die Repräsentati- Geuen, Heinz/Rappe Michael 2001: Pop & on von Weiblichkeit in Punk und Rap. Tübin- Mythos. Pop-Kultur. Pop-Ästhetik. Pop-Mu- gen. sik. Schliengen. Jansen, Meike (Hg.) 2005: Gendertronics. Holert, Tom/Terkessidis, Mark 1996: Main- Der Körper in der elektronischen Musik. Frank- stream der Minderheiten. Berlin. furt. Kemper, Peter/Langhoff, Thomas(Hg.) Kailer, Katja/Bierbaum Anja 2002: Girlism. 1999: Alles so schön bunt hier. Die Geschichte Feminismus zwischen Subversion und Ausver- der Popkultur von den Fünfzigern bis heute. kauf. Berlin. Stuttgart. McDonell, Evelyn/Powers, Ann 1995: Klein, Gabriele 2004: Electronic Vibration. Women write about Rock, Pop and Rap. New Pop Kultur Theorie. Wiesbaden. York. Marcus, Greil 2005: Like a Rolling Stone: Bob Dylan at the Crossroads. Köln. Urbanes und Hip Hop Chambers, Iain 1985: Urban Rhythms. Pop Rechtsrock Music and Popular Culture. New York. Annas, Max/Christoph, Ralph (Hg.)1994: Georg, Nelson 2002: XXX-Drei Jahrzehnte Neue Soundtracks für den Volksempfänger: Hip Hop. Freiburg Nazirock, Jugendkultur und rechter Mainstream. Jacob, Günther 1994: Agit-Pop. Schwarze Berlin. Musik und weiße Hörer. Berlin. Dornbusch, Christian/Raabe, Jan 2002: Klein, Gabriele 2003: Ist his real? Die Kul- RechtsRock. Bestandaufnahme und Gegenstra- tur des Hip Hop. Frankfurt. tegien. Münster. Loh, Hannes/Güngör, Murat 2002: Fear of Searchlight u.a. (Hg.) 2004: White Noise. a Kanak Planet. HipHop zwischen Weltkultur Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood&Ho- und Nazi-Rap. Höfen. nour- Einblicke in die internationale Neonazi- Scharenberg, Albert/Bader, Ingo (Hg.) 2005: Musik-Szene. Münster. Der Sound der Stadt. Musikindustrie und Sub- Speit, Andreas (Hg.) 2002: Ästhetische kultur in Berlin. Münster. Mobilmachung. Dark Wave, Neofolk und In- Verlan, Sascha/Loh, Hannes 2006: 25 Jahre dustrial im Spannungsfeld rechter Ideologien. HipHop in Deutschland. Höfen. Münster. 104 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Musik und Krieg Ausland Helms, Dietrich/Phlebs, Thomas (Hg.) Alfred, Taiaiake/Corntassel, Jeff 2005: Be- 2004: 9/11-the world’s all out of tune. Populäre eing Indigenious: Resurgences against Contem- Musik nach dem 11.September 2001. Beiträge porary Colonialism. In: Government and Op- zur Popularmusikforschung 32. Bielefeld. position, Vol. 49, Is. 4, 597-615. Firme, Annemarie/Hocker, Ramona (Hg.) Armbruster-Sandoval, Ralph 2005: Is Ano- 2006: Von Schlachthymnen und Protestsongs. ther World Possible? Is Another Classroom Zur Kulturgeschichte des Verhältnisses von Possible? Radical Pedagogy, Activism and So- Musik und Krieg. Bielefeld. cial Change. In: Social Justice, Vol. 32, No. 2, 34-52. AKTUELLE BIBLIOGRAPHIE Becker, Ruth/Münst, A. Senagata 2005: Si- ...... grid Metz-Göckel – drei Jahrzehnte Frauen- Popmoderne und Protest forschung. In: Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien, Jg. 23, No. 1/2, 141- Kubrin, Charis E. 2005: Gangstas, Thugs, 154. and Hustlas: Identity and the Code of the Street Casanova, Pablo Gonzàlez 2005: Soziale in Rap Music. In: Social Problems, Vol. 52, No. Bewegung geht vor Linksregierung. Für die 3, 360-378. große Diskussion der mexikanischen Zapatis- Martin, Denis-Constant 2005: Musique tas. In: Das Argument, Vol. 262, No. 4, 539- dans la rue et contrôle de l’espace urbain: Le 543. Cap (Afrique du Sud). In: Cahiers Internati- Dongfang, Han 2005: Chinese Labour onaux De Sociologie, Vol. 52, Juil.-Déc., 247- Struggles. In: New Left Review 34, Jul./Aug., 267. 65-87. Gobille, Boris 2005: Les mobilisations de l’avant-garde litéraire française en mai 1968. Soziale Bewegungen und Protest Capital politique, capital littéraire et conjoncture National de crise. In: Actes de la recherche en sciences sociales, No. 158, 30-61. Eckart, Gabriele 2005: The German Gothic Luks, Samatha/Elms, Laurel 2005: African- Subculture. In: German Studies Review, Vol. American Partisanship and the Legacy of the 28, No. 3, 547-563. Civil Rights Movement: Generational, Regio- Hofbauer, Ines/Ludwig, Gundula 2005: nal, and Economic Influences on Democratic Gender Mainstreaming – Geschlechtergerech- Identification: 1973-1994. In: Political Psycho- tigkeit limited? Eine politische Strategie auf logy, Vol. 26, Is. 5, 735-755. dem Prüfstand. In: femina politica, No. 2, 32- Minkoff, Debra C./McCarthy, John D. 2005: 42. Reinvigorating the Study of Organizational Pro- Pollack, Detlef 2005: Die ausländerfeindli- cesses in Social Movements. In: Mobilization, chen Ausschreitungen im September 1991 in Vol. 10, No. 2. Hoyerswerda. In: Berliner Debatte Initial 16, Rootes, Christofer 2005: Rethinking Social No. 3, 15-33. Movements: Structure, Meaning and Emotion. Ramelsberger, Annette 2005: Erkundungen In: The British Journal of Sociology, Vol. 56, in Ostdeutschland. In: ApuZ, No. 42, 3-8. Is. 4, 670-671. Literatur 105

Sitrin, Marina 2005: Book Review: The Demokratisierung Zapatista Movement in Local and Global Con- Ausland text. In: International Journal of Comparative Sociology, Vol. 46, No. 3, 266-269. Andrew, Jordan et. al. 2005: Deliberative Smith, Jackie 2005: Building Bridges or Democracy and the Politics of Regognition. In: Building Walls? Explaining Regionalization Political Studies, Vol. 53, No. 3, 497-515. Among Transnational Social Movement Orga- Bruun Jensen, Caspar et. al. 2005: Citizen nizations. In: Mobilization, Vol. 10, No. 2. Projects and Consensus-Building at the Danish Stephan, Anke 2005: Zwischen Ost und Board of Technology: On Experiments in De- West. Die unabhängige Frauenbewegung in mocracy. In: Acta Sociologica, Vol. 48, Is. 3, Leningrad 1979-1982. In: Archiv für Sozialge- 221-237. schichte, Bd. 45, 407-427. De Zeeuw, Jeroen 2005: Projects Do Not Uba, Katrin 2005: Political Protest and Po- Create Institutions: The Record of Democracy licy Change: The Direct Impacts of Indian Anti- Assistance in Post-Conflict Societies. In: De- Privatization Mobilizations, 1990-2003. In: mocratization, Vol. 12, No. 4, 481-505. Mobilization, Vol. 10, No. 3. Wittner, Lawrence S. 2005: About the Peace Internationale Zivilgesellschaft Movements and their Relations. A Comparison und Internationale Beziehungen of their Development and Impact in East and West. In: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 45, Boli, John 2005: Contemporary Develop- 373-407. ments in World Culture. In: International Jour- nal of Comparative Sociology, Vol. 46, No. 5/6, International 383-404. Brabant, Heike 2005: Peking plus 10. Zehn Murphy, Gillian 2005: Coalitions and the Jahre nach der Vierten Weltfrauenkonferenz – Development of the Global Environmental Eine Bilanz. In: femina politica, No. 2, 105- Movement: A Double-Edged Sword. In: Mobi- 110. lization, Vol. 10, No. 2. Darrow, Marc/Amparo, Tomas 2005: Po- Kesselman, Mark 2005: The New Transna- wer, Capture, and Conflict: a Call for Human tional Activism, by Tarrow, Sidney. In: PS: Po- Rights Accountability in Developmnt Coopera- litical Science Quarterly, Vol. 120, No. 4, 686- tion. In: Human Rights Quarterly, Vo. 27, No. 688. 2, 471-539. Vanderheiden, Steve 2005: Eco-terrorism or Goulet, Denis 2005: Global Governance, Justified Resistance? Radical Environmentalism Dam Conflicts, and Participation. In: Hu- and the ‚War on Terror‘. In: Politics & Society, man Rights Quarterly, Vo. 27, No. 3, 881- Vol. 33, No. 3, 425-447. 908. Haney, Mary P. 2005: Women’s NGOs at UN Conference: The 1992 Rio Conference on the Environment as s Watershed Event. In: Jour- nal of Women, Politics and Policy, Vol. 27, No. 1/2, 181-187. Heristchi, Claire 2005: The Politics of Dis- possession, Belonging, and Hope: Remembe- ring Edward W. Said. In: Alternatives. Global, 106 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Local, Political. Vol. 30, No. 3, July-Sept., 251- Höffe, Ottfried 2005: Soziale Gerechtigkeit: 275. Ein Zauberwort. In ApuZ, No. 37, 3-6. Kiely, Ray 2005: Globalization and Poverty, Nolte, Paul 2005: Soziale Gerechtigkeit in and the Poverty of Globalization Theory. In: neuen Spannungslinien. In ApuZ, No. 37, 16- Current Sociology, Vol. 53, No. 6, 895-914. 23. Leonhard, Jörn 2005: Gewalt und Partizi- pation. Die Zivilgesellschaft im Zeitalter des Ausland Bellizismus. In: Hamburger Institut für Sozial- forschung, Jg. 14, No. 4, 49-70. Bode, Ingo 2005: Desorganisation mit Sys- McAuley, Denis 2005: The ideology of Osa- tem. Die Neuordnung der ‚governance of wel- ma Bin Laden: Nation, tribe and world econo- fare‘ in Westeuropa. In: Berliner Journal für my. In: Journal of Political Ideologies, Vol. 10, Soziologie, No. 2, 219-241. No. 3, 269-287. Campbell, Andrea Louise/Morgan, Kimber- Midigal, Joel 2005: State-Building: Gover- ly J. 2005: Federalism and the Politics of Old- nance and World Order in the Twenty-first Cen- Age Care in Germany and the United States. In: tury, by Francis Fukuyama. In: American Jour- Comparative Political Studies, Vol. 38, No. 8. nal of Sociology, Vol. 111, No. 2, 654-656. Chang, Tieh-Chih 2005: Joseph Wong, Srinivas; Nidhi 2005: Contrasting Visions Healthy Democracies: Welfare Politics in Tai- of Global Civil Society for Organization and wan and South Korea. In: PS: Political Science Policy. In: Public Administration Review, Vol. Quarterly, Vol. 120, No. 4, 714-716. 65, No. 6, 743-747. Hradil, Stefan 2005: Werden die Reichen Tilly, Charles 2005: Terror as Strategy and immer reicher und die Armen immer ärmer? Zur Relational Process. In: International Journal of Verschärfung der Einkommensungleichheit in Comparative Sociology, Vol. 46, No. 1/2, 11- entwickelten Ländern. In: Gesellschaft Wirt- 32. schaft Politik, Jg. 54, H.3, 367-389. Zald, Mayer N. 2005: Global Civil Society: Jepsen, Maria/Pascual, Amparo Serrano An Answer to War, by Mary Kaldor. In: Ameri- 2005: The European Social Model: an exercise can Journal of Sociology, Vol. 111, No. 1, 296- in deconstruction. In: Journal of Euripean So- 298. cial Policy, Vol. 15, No. 3, 231-245. Navarro, Vicente/Schmitt, John 2005: Eco- nomic Efficiency versus Social Equality? The Dritter Sektor und Wohlfahrtsstaat U.S. Liberal Model versus the European Social National Model. In: International Journal of Health Ser- vices, Vol. 35, No. 4, 613-630. Beckmann, Sabine 2005: Die andere Seite Taylor-Gooby, Peter 2005: Is the Future der Arbeitsteilung. Die Bedeutung von Ge- American? Or, Can Left Politics Preserve Eu- schlechterbeziehungen und Care für die femi- ropean Welfare States from Erosion through nistische Wohlfahrtsstaatsforschung. In: femi- Growing ‚Racial‘ Diversity? In: Journal of So- na politica, No. 2, 42-52. cial Policy, Vol. 34, Is, 4, 661-672. Berger, Peter A. 2005: Deutsche Ungleich- Thursten, Wilfreda E. et. al. 2005: Public heiten – eine Skizze. In ApuZ, No. 37, 7-16. participation in regional health policy: a theore- Forst, Rainer 2005: Die erste Frage der Ge- tical framework. In: Health Policy, Vol. 73, Is. rechtigkeit. In ApuZ, No. 37, 24-31. 3, 237-252. Literatur 107

Demokratietheorie und Mitzen, Jennifer 2005: Reading Habermas Politische Philosophie in Anarchy: Multilateral Diplomacy and Global Public Spheres. In: American Political Science Denord, FranÇois/Zunigo, Xavier 2005: Review, Vol. 99, Is. 3, 401-417. „Révolutionairement vôtre“. Economie marxis- Saage, Richard/Heyer, Andreas 2005: te, militantisme intellectuel et expertise politique Rousseaus Stellung zum utopischen Diskurs der chez Charles Bettelheim. In: Actes de la recher- Neuzeit. In: Politische Vierteljahresschrift, Jg. che en sciences sociales, No. 158, 8-29. 46, No. 3, 389-406. Habermas, Jürgen 2005: Eine politische Schubert, Hans-Joachim 2005: Fünf sozio- Verfassung für die pluralistische Weltgesell- logische Theorien der Demokratie. In: Archives schaft? Im: Kritische Justiz, Jg. 38, No. 3, 222- Européennes de Sociologie, Tome XLVI, N. 1, 248. 3-45. Hereth, Michael 2005:: Alexis de Tocque- Zurn, Christopher F. 2005: Anerkennung, ville: Die ‚Sitten‘ und die Exportfähigkeit der Umverteilung und Demokratie. Dilemmata in Demokratie. In: Politische Vierteljahresschrift, Honneths Kritischer Theorie der Gesellschaft. Jg. 46, No. 3, 377-389. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jg. 53., Martin, Robert 2005: Between Consensus No. 3, 435-461. and Conflict: Habermas, Post-Modern Agonism and the Early American Public Sphere. In: Poli- ty, Bd. 37, No. 3, 365-388. 108 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

Jürgen Reiche: Mythos Rock. Politik und Rockmusik, FJ NSB 3/2006, S. 13-19 Anhand der Frage, wie politisch eigentlich der Rock war und ist, unternimmt der Autor eine Reise durch die Zeit der Rockmusik. Als die Rolling Stones, immer noch ‚on Tour‘, 1965 erstmals in Deutschland gastierten, war für politischen Zündstoff gesorgt. Rock, so war die vorherrschende Meinung, ist die Musik, die die Welt verändern und verkrustete Strukturen aufbrechen konnte. Doch gezielt politisch im eigentlichen Sinne und politisch aussagekräftig wurde der Rock erst mit den Auftritten von Bob Dylan. Danach zerfiel die populäre Musik in verschiedene Einzelteile und Stilrichtungen, in Deutschland auch in Ost- und West-Musik. Rock war immer mehr als nur Musik: Er ist ein Lebensgefühl sowie auch und vor allem ein Geschäft. Die Anschläge vom 11.09.2001 veränderten noch einmal die Welt der Rockmusik. Die Zeiten sind für die Akteure des Rock schwerer geworden. Die Rockmusik zehrt von ihrem Mythos – gleichwohl drängen immer neue Hoffnungen auf den Markt. Festzustellen ist: Es bleibt alles anders, aber sind die fetten Jahre sind vorbei.

Jürgen Reiche: Myth Rock. Politics and rockmusic, FJ NSB 3/2006, pp. 13-19 Asking in how far rockmusic has been and still is political the author deals with the history of rockmusic. In 1965, when played their first concert in Germany, there was political trouble guaranteed. Rock is mainly considered as the kind of music which was able to change the world. But only when Bob Dylan appeared it has become political in the strict sense. Afterwards it fell apart in different. Rock has been always more than just music: It’s lifestyle as well as a business. The attacks of 11.09.2001 changed again the world of rockmusic. But it’s harder for the protagonists by now. Rockmusic lives by a myth – but there are also new hopes. Everything stays different – but the great years are gone.

Jörg-Uwe Nieland: From Music to Politics or from Politics to Music? Stellungnahme deutscher Künstler zum Wandel politischer Popmusik, FJ NSB 3/2006, S. 20-29 Gesellschaftliches Engagement und politischer Protest von Popkünstlern begleiten die Geschichte der Popkultur von Beginn an. Beispielhaft kann man die Bürgerrechtsbewegung, die Anti-Viet- nambewegung, den Kampf gegen Armut (Live 8) oder aktuell 9/11 und seine Folgen nennen. Festzustellen ist bei allen Beispielen ein altbekanntes Spannungsfeld der politischen Popmusik: Einerseits treten politische Popkünstler als Unterstützer und Teil einer sozialen Bewegung auf (‚from music to politics‘), anderseits organisieren sich Parteien oder Politiker ihr Image und ihre Unterstützung mit Hilfe von Künstlern (‚from politics to music‘). Auch in Deutschland deuten die zahlreichen Treffen von Künstlern und Politikern eine Verbindung zwischen Politik und (Pop)Kultur an. Der Beitrag fragt, ob die Gegenüberstellung ‚From Music to Politics or from Politics to Music‘ die Zustände in der Bundesrepublik noch angemessen abbildet. Als Gegenstand werden Äußerun- gen von zwei politischen Künstlern aus dem Bundestagswahlkampf 2002 herangezogen.

Jörg-Uwe Nieland: From Music to Politics or from Politics to Music? German Artists comment the change in politcal pop music, FJ NSB 3/2006, pp. 20-29 Civic engagement and political protest have been always connected. The civic rights movement, the anti-Vietnam movement, fighting poverty (Live 8) or the impacts of 9/11 are only examples. In all cases you can find the tension in pop music: on the one hand pop artists are part of social Abstracts 109

movements(‚from music to politics‘), on the other hand parties and politicians create their image by using popartists(‚from politics to music‘). Also in Germany there are connections between politics and (pop)culture. Analyzing statements of two politically engaged artists in the election campaigns in 2002 the article asks if ‚From Music to Politics or from Politics to Music‘ is an appropriate description.

Alexander Zollondz: Hip Hop – durch Ausgrenzung zum Erfolg? Interview mit Hannes Loh und Murat Güngör, FJ NSB 3/2006, S. 30-38 Welchen Einfluss haben MigrantInnen an der Hip Hop-Kultur? Die Autoren Murat Güngör und Hannes Loh waren über viele Jahre in der Hip Hop-Szene aktiv und haben die Entwicklung in Deutschland von Anfang an beobachtet. Ihre These lautet: Hip Hop in Deutschland konnte nur durch eine ,ethnische Komponente‘ so erfolgreich werden – mit dem von Plattenfirmen erfundenen Label ,Deutschrap‘ Mitte der 90er Jahre seien aber all jene ausgegrenzt worden, die die deutsche Hip Hop-Szene mit aufgebaut haben. Dieses Bild hat sich gewandelt, eine Ausgrenzung findet trotzdem statt. Alltäglicher Rassismus, Bildungsprobleme und Familienstrukturen würden in dem Gangsta Rap genannten Genre ausgeblendet, Frauen auf ihre Rolle als allzeit bereite ,bitches‘ reduziert. Trotzdem bieten diese neuen Formen genug Anziehungspunkte für Jugendliche. Eine Perspektive, die vor alle für all jene Jugendlichen attraktiv ist, die keinen Job und deshalb keine Perspektive mehr haben. Die Entwicklung von den Anfangstagen der Hip Hop-Kultur in New York zum heutigen populären Gangsta Rap in Deutschland zeichnet das Interview mit Loh und Güngör nach.

Alexander Zollondz: Hip-Hop – success by exclusion? Interview with Hannes Loh and Murat Güngör, FJ NSB 3/2006, pp. 30-38 How do immigrants influence the culture of hip-hop? Murat Güngör and Hannes Loh observe German hip-hop from beginning. Their thesis: Hip Hop in Germany has become successful only due to an ‚ethnic component‘ – but creating the label ‚Deutschrap‘ in the midnineties excluded those, who built the scene. Though this has slightely changed there is still exclusion. Racism, poor education and family structures are no subject in the so called Gangstarap, women are reduced to bitches. Nevertheless it’s quite attractive for young people. The interview shows the development from the early days of hip-hop to Gangsta Rap.

Stephanie Schmoliner: Let’s riot-Riot Grrrls zwischen Feminismus, Subkultur und sozialer Be- wegung, FJ NSB 3/2006, S. 39-46 Feministisches und politisches Engagement zeigt sich 35 Jahre nach der zweiten Frauenbewegung in anderen Formen. Stephanie Schmoliner zeigt am Beispiel der Riot Grrrls eine Bewegung, die sich neben der Musik insbesondere mit körperpolitischen Forderungen auseinandersetzt, nicht zuletzt aus dem Bedürfnis heraus, einen neuen Umgang mit Geschlechterdefinitionen herzustellen. Zunächst ist eine Darstellung der Gründung notwendig, ohne die gesellschaftlichen Hintergründe insbesondere innerhalb der Subkultur des Punk und Hardcore ist eine Einordnung kaum möglich. Zudem sollen Einblick in die vielfältigen theoretischen Schnittstellen der Riot Grrrls gewährt werden. In Bezug auf soziale Bewegung wird eine Einordnung zwischen Bewegung, Subkultur 110 Forschungsjournal NSB, Jg. 19, 3/2006

und Feminismus diskutiert. Neue kulturelle Praxen werden parallel zu alten Widerstandformen benutzt und ausprobiert. Anschließend wird dargestellt, was 15 Jahre nach Entstehen der Riot Grrrls geblieben ist.

Stephanie Schmoliner: Let’s riot – Riot Grrrls between feminism, subculture and social move- ment, FJ NSB 3/2006, pp. 39-46 Feminist and political engagement appears in different forms 35 years after the second feminist movement. Using the Riot Grrrls as an example Stephanie Schmoliner describes a movement, which is especially concerned about body politics in order to create a new way to deal with definitions of gender. Starting with the founding and classifying you have to analyze the societal background, especially within the subculture of hardcore and punk. Referring to social movements a classification between movement, subculture and feminism is discussed. New cultural practices are used parallel to old forms of protest. In the end you have to take a look what is left 15 years after the foundation of the Riot Grrrls.

Christian Dornbusch/Jan Raabe: RechtsRock, FJ NSB 3/2006, S. 47-53 RechtsRock wurde in den letzten fünfzehn Jahren vor allem auf die Musik neonazistischer Skin- heads verkürzt. Doch der inhaltlich definierte Oberbegriff bezieht sich nicht auf ein bestimmtes Genre, sondern auf Entwicklungen in verschiedenen Musikrichtungen. Die politisch offensiven Songs mancher Stilistiken sind stark identitätsbildend. Um sie herum hat sich in den letzten Jahren eine eigenständige Szene etabliert. Beide sind von zentraler Bedeutung für die neue soziale Bewe- gung von Rechts: Die Musik schafft die kollektive Identität, die Szene-Infrastruktur (Label, Ver- sände), hält die Musik und Symbole (Kleidung etc.) bereit und unterstützt politische Akteure bei der Mobilisierung. Mit dieser werden die Rezipienten vertraut gemacht durch die klandestine Durchführung von Konzertveranstaltungen, die den Mobilisierungstechniken der Bewegung ent- lehnt ist.

Christian Dornbusch/Jan Raabe: RechtsRock, FJ NSB 3/2006, pp. 47-53 ‚RechtsRock‘ has been reduced to music of nazi-skinheads within the last 15 years. But this term, which is defined by content, does not refer to a certain genre but the development within different types of music. Politically offensive several styles help to form an identity. There has grown an independent scene around these styles within the last years. Both are pivotal for social movements from the radical right: The music creates collective identity while the infrastructure of the scene supports political protagonist’s mobilization. Recipients become familiar with this, since there is a clandestine realization of concerts, which is similar to techniques of mobilisation used by move- ments. Abstracts 111

Susann Witt-Stahl: Pop und Krieg – eine hemmungslose Eskapade, FJ NSB 3/2006, S. 54-61 Seit Woodstock verbindet man Popmusik mit Frieden und Freiheit. Nach dem 11.September unter- stützten viele Popstars die Forderung nach einem Krieg und zeigten einen extremen Patriotismus. Hat Popmusik die Fronten gewechselt? Die Verbindung mit Frieden war immer eine von der Kulturindustrie erfundene Lüge. Es gab immer eine Verbindung mit Popkultur und Krieg. Popmu- sik spielt seit dem 2. Weltkrieg zwar keine wichtige Rolle in der Kriegspropaganda, aber sie dient als Soundtrack für den Krieg als Gesamtkunstwerk.

Susann Witt-Stahl: Pop and War – an escapade without restraints, FJ NSB 3/2006, pp. 54-61 Ever since Woodstock popular music has been considered a culture of freedom and peace. After September 11th, however, a lot of mainstream pop stars supported calls for war and showed an extreme patriotism. Has popular music changed sides? The commitment of pop to peace has always been a lie of the culture industry. There is a genuine link between pop culture and war. It is true that since World War II popular music has not played an important role in manifest war-propaganda but it still serves as soundtrack for a staging of war as Gesamtkunstwerk. 112 Impressum

Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen Gegründet 1988, Jg. 19, Heft 3, September 2006 Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft m.b.H. • Gerokstraße 51 • 70184 Stuttgart Fax 0711/242088 • e-mail: [email protected] • www.luciusverlag.com Für die Forschungsgruppe NSB herausgegeben von Dr. Ansgar Klein; Jupp Legrand; Dr. Thomas Leif Redaktion: Alexander Flohé, Kiel; Dr. Ansgar Klein, Berlin; Dr. Ludger Klein, St. Augustin/Frankfurt; Peter Kuleßa, Berlin; Jupp Legrand, Wiesbaden; Dr. Thomas Leif, Wiesbaden; Markus Rohde, Bonn; Dr. Jochen Roose, Berlin; Dr. Rudolf Speth, Berlin; Dr. Karin Urich, Mannheim Redaktionelle Mitarbeiter: Anja Löwe, Berlin; Stefan Niederhafner, Berlin; Tobias Quednau, Berlin; Jan Rohwerder, Aachen; Elmar Schlüter, Marburg; Gabi Schmidt, Berlin; Lars Schmitt, Marburg; Stephanie Schmoliner, Flensburg Verantwortlich für den Themenschwerpunkt dieser Ausgabe: Stephanie Schmoliner, Alexander Flohé (v.i.S.d.P.); verantwortlich für Pulsschlag: Alexander Flohé, Schönberger Str. 2, 24148 Kiel, e-mail: [email protected]; für Treibgut: Jan Rohwerder, Hubertusplatz 8, 52064 Aachen, e-mail: [email protected]; für Literatur: Dr. Karin Urich, Hoher Weg 15, 68307 Mannheim, e-mail: [email protected] Beratung und wissenschaftlicher Beirat: Dr. Karin Benz-Overhage, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Andreas Buro, Grävenwiesbach; Volkmar Deile, Berlin; Dr. Warnfried Dettling, Berlin; Prof. Dr. Ute Gerhard-Teuscher, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, Frankfurt/M.; Prof. Dr. Robert Jungk (†); Ulrike Poppe, Berlin; Prof. Dr. Joachim Raschke, Hamburg; Prof. Dr. Roland Roth, Berlin; Prof. Dr. Dieter Rucht, Berlin; Wolfgang Thierse, Berlin; Dr. Antje Vollmer, Berlin; Heidemarie Wieczorek-Zeul, Berlin Redaktionsanschrift: Forschungsgruppe NSB, c/o Dr. Ansgar Klein, Mahlower Straße 25/26, 12049 Berlin, e-mail: [email protected] Homepage: www.fjnsb.de Förderverein: Soziale Bewegungen e.V., c/o Dr. Ludger Klein, Im Erlengrund 1, 53757 St. Augustin, e-mail: lepus.lk@t- online.de: Spendenkonto: Sparkasse Kölnbonn, BLZ: 370 501 98, Konto-Nr: 751 460 7 Bezugsbedingungen: Jährlich erscheinen 4 Hefte. Jahresabonnement 2006: ‡ 39,-/ sFr 66,70,-, für Studierende gegen Studienbescheinigung ‡ 29,-/ sFr 50,70, Einzelheft ‡ 14,-/ sFr 25,30, jeweils inkl. MwSt. (Versandkosten Inland ‡ 4,-/Ausland ‡ 8,-/ sFr 14,80.) Alle Bezugspreise und Versandkosten unterliegen der Preisbindung. Abbestellungen müssen spätestens 3 Monate vor Ende des Kalenderjahres schriftlich beim Verlag erfolgen. Abonnentenverwaltung (zuständig für Neubestellungen, Adressänderungen und Reklamationen) bitte direkt an die Verlagsauslieferung: Brockhaus/Commission • Postfach • 70803 Kornwestheim Tel. 07154/1327-37 • Fax 07154/1327-13 Anzeigenverwaltung beim Verlag (Anschrift wie oben) Es gilt die Anzeigenpreisliste vom 1. Januar 2006. © 2006 Lucius & Lucius Verlagsges. mbH, Stuttgart Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Vorbehalt fällt insbesondere die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronischen Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM und allen anderen elektronischen Datenträgern. Das Forschungsjournal wird durch SOLIS, IPSA (International Political Science Abstracts), IBSS (International Bibliography of the Social Sciences), sociological abstracts und BLPES (International Bibliography of Sociology) bibliographisch ausgewertet. Karikaturen: Gerhard Mester, Wiesbaden Umschlag: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Satz: com.plot Klemm & Leiby, Mainz Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISSN 0933-9361