Die Welt Des Kaffees Ist Kompliziert Geworden. Kult Oder Kultur? Das „Braune Gold“ Erobert „To Go“ Die Stadtzentren
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SONNABEND / SONNTAG, 14. / 15. NOVEMBER 2009 46 2009 Unterwegs: Ausflug nach Lüneburg › Stadtgespräch: Sasha und sein Leben in der Schanze › Titel-Thema: Die besten Cafés in Hamburg Lokal-Termin: Menü im „Casse-Croûte“ › Gestern & Heute: Die Mutter aller Messen › Handgemacht: Was auch Robbie Williams trägt Aber bitte ohne Sahne Die Welt des Kaffees ist kompliziert geworden. Kult oder Kultur? Das „braune Gold“ erobert „to go“ die Stadtzentren. Zeit für ein Plädoyer auf Bohnen-Kaffee von VANESSA SEIFERT. Ungefiltert. o sieht es also aus, das Kinderzimmer des Kaffees. Seine Wiege ist aus rotem Backstein. Von der Speicherstadt aus ist es in die Welt gekommen. Dieses Getränk, das nach brauner Brühe aussieht, S bestenfalls aber ganz anders schmeckt. Bitte, das ist doch kalter Kaffee, denken Sie jetzt vielleicht. NeinsoabgestandenistdasThemanicht.Schließ- lich liegt es heute am Sandtorkai längst nicht auf der Hand und schon gar nicht mehr in der Luft, dass wir in der Kaffee-Kapitale leben. Längst vergangen ist die Zeit, als der schwere, süßsaure Duft aus den Silos der Kontorhäuser kroch und über die Fleete hinweg in die Altstadt strömte. Säße ich auf dem heißen Stuhl bei Günther Jauch und würde nach der Wiege des Kaffees gefragt, hätte ich bei der 50-Euro-Frage nicht gleich enthusiasmiert gebrüllt: „Zack, die Bohne, das ist natürlich A wie Ham- burg.“ Weil ich bei Kaffee zuerst an Brasilien denke, wo die Pflanzen auf riesigen Plantagen unter der Sonne Südamerikas gedeihen. Dann fällt mir als nächstes Wien ein, mit seinen traditionsreichen Kaffeehäusern, wo Bohnen und Bohème eine ganz eigene Melange ergeben. Dabei hatte hier in Hamburg schon 1677 an den Vorsetzen das Kaffeehaus eröffnet, das erste in Deutschland überhaupt. Gut, dieses gerade angelesene Wis- sen wäre schon die 1000-Euro-Frage wert. Nun einen Bekannten von der Weser als Telefonjoker zu Rate zu zie- hen, wäre natürlich ein grober Fehler. Wie alle Bremer hält er seine Hei- matstadtfürdieKrönungdesKaffees.Dasmagihmjetztbitteraufstoßen, aber die Fakten sprechen für sich. Also für uns: Hamburg ist nach wie vor der größte Kaffeehafen der Welt – und zwar schon seit dem 19. Jahrhun- dert, als der Handel mit dem „braunen Gold“ die Stadt und ihre Kaufleu- te reich gemacht hat. Mehr als 1,2 Millionen Tonnen Rohkaffee werden Kaffee und Milch: hier Jahr für Jahr entladen – auch wenn die Säcke mittlerweile eben Immer eine Geschmacksfrage. nicht mehr in der Speicherstadt lagern, sondern in Hallen auf der ande- FOTO: CHRISTIAN LOHFINK ren Seite der Elbe. Das Reich des Kaffees liegt hier und Albert „Atti“ Dar- boven, der das 1866 gegründete Familienunternehmen in vierter Gene- oder eine „Latte Matschiato“. Darüber kann man dann herrlich reden. ration führt, regiert als ungekrönter „Kaffeekönig“. Beim Kaffee-Klatsch mit der besten Freundin. Aber auch global: Kaffee Seine frohe Botschaft von der Freude am Leben hat er in die entle- ist Völkerverständigung schlückchenweise. In jedem Land der Welt wird gensten Winkel der Republik verbreitet, bis hinein in die wohlig-warme er getrunken, nur eben ganz anders. Küche meiner Großmutter Margerethe im Westerwald. Dort, in meiner Dabei interessiert Darwins Theorie vom „Survival of the Fittest“ auch persönlichen Enklave der Entschleunigung, gilt bis heute hart, aber die Bohne, denn der gute alte Filterkaffee ist vom Aussterben bedroht. herzlich: „Wer Kaffee will, der muss sich setzen.“ Der muss sich Zeit neh- Plötzlich gibt es Pads und Patronen, Cappuccino und Cortado. Und sogar men wollen für eine Pause mit Porzellangeschirr. Der muss das Aroma Kopi Luwak, für den gern besonders viel Kohle hingeblättert wird, weil von frisch aufgebrühtem Kaffee inhalieren, um zu verstehen, wie sich ausschließlichBohnenverwendetwerden,dieSchleichkatzenausgesch… Ferien auf der Zunge anfühlen. ieden haben. Kaffee war immer schon Kultur, jetzt ist er auch Kult. Mar- Im Alltag sind auf dem Weg ins Büro vielleicht ein paar Minuten für ketingtricks all inclusive. Das mag nicht jedem schmecken – und trotz- einen koffeinhaltigen Kurztrip drin. Dann geht Kaffee nur noch „to go“, dem ist es doch gut, wenn es mehr gibt als lauwarmen Muckefuck von der auch wenn manch einer das mit „zum Davonlaufen“ übersetzen würde. Tankstelle oder die Wahl zwischen Tasse und Kännchen, die ohnehin nie Egal, ich werde manchmal trotzdem gern zur Mitläuferin. Renne hinter- eine war. Weil: „Draußen nur Kännchen!“ her bei diesem täglichen Triathlon des Trends. Was die Disziplinen sind? Drei bis vier Tassen Kaffee kippt der Deutsche durchschnittlich am Ach, Sie sind doch manchmal auch am Start, wenn es heißt: Telefon ans Tag in sich hinein, sagt der Deutsche Kaffeeverband. Das entspricht etwa Ohr, Beine unter den Arm, Pappbecher mit Heißgetränk in die Hand. 148 Litern im Jahr. Morgens zum Wachwerden, nachmittags zur Torte, Bloß so schnell wie man den Inhalt des Bechers getrunken hat, leert abends nach einem opulenten Mahl – Kaffee geht immer. Doch wie ge- sich bei diesem Volkssport auch die Geldbörse. Bis zu vier Euro kann so sund ist sie eigentlich, diese legale Droge des Alltags, dieses günstige Ge- ein Large Mint Chocolate Chip Creme Frappuccino fettarm mit Soja- nussmittel mit aufputschender Wirkung? „Die Dosis macht das Gift“, milch und Erdbeergeschmack schon mal kosten. Dafür kommt der Be- wusste schon Goethe, Kaffeetrinker und auch sonst kein Kostverächter. cher personalisiert daher, mit Filzstift-Gekritzel. Nein, der nette Typ Wer übermäßig konsumiere und plötzlich runter komme vom braunen hinterm Tresen will nicht flirten, wenn er nach dem Namen fragt. Er Stoff, der spüre „Entzugserscheinungen“, sagen Pharmakologen. Doch möchte bloß die Bestellungen „entkoffeiniert“ und „lactosefrei“ ausein- dass Kaffee den Körper entwässere und Blutdruck und Cholesterin indie anderhalten können. Höhe treibe, erfüllt den Tatbestand des Rufmords. „Der Blutdruck steigt Ach, die Kaffeewelt ist komplizierter geworden. Mit Milch und Zu- zwar kurzfristig, aber das tut dem Körper nur gut“, behaupten Forscher cker, nur mit Milch, nur mit Zucker – das war noch übersichtlich. Heute von der TU Braunschweig. „Man fühlt sich wach und der Stress fällt ab.“ bestellen entspannte Frauen einen Milchkaffee und besonders unent- Na gut, das ist jetzt echt kalter Kaffee, weiß man schließlich aus Tau- S. 4/5 – Cafés & Kaffee satt: spannte einen Espresso, behaupten jedenfalls selbst ernannte Küchen- senden von Selbstversuchen. Ich setze übrigens, an diesem herbstlichen Ein „koffeinhaltiger“ Stadtplan psychologen. Tja, und manch einer fordert auch mal zwei „Expressos“ an Sonnabend, gerade wieder zu einem an. Die Kaffeemaschine läuft schon. mit Tipps und Shopping-Service. II Sonnabend / Sonntag, 14. / 15. November 2009 › WOCHENENDE Kunsthandwerk erleben mit Silberschmied Idrissa Girir (l.) und Ausflug nach Lüneburg dem Südkoreaner Jong-kook Lee (u.) auf dem Markt der Völker. Stadtring P KARTE: GRAFIKANSTALT 2 6 Nandini Stadtring Mitra 3 FOTO: JOHNNY & BENNY DB Die 34-jährige Moderatorin („Fit For Fun TV“) freut sich auf Pilates, 5 Elefanten-Kinder und Apfeltee. NeueSülze AmSande Mein perfekter P Sonntag 8 Uhr Ausgeschlafen! Meine innere Uhr entscheidet, dass 1 Ilmenau es Zeit ist aufzustehen. Mit Stadtring dem linken Fuß bin ich noch nie in einen Tag gestartet. Ich STADTLEBEN mache immer einen dynami- P schen Satz aus dem Bett und 4 lande stets auf beiden Füßen STADTBESUCH gleichzeitig. Nach einer Tasse Viele Völker und Farben Früchtetee beginne ich mit Süß, salzig und festlich! meinem Guten-Morgen-Pila- tes-Training. Danach gibt es „Residenz der Langeweile“ nannte Heinrich Heine einst Lüneburg. Er war wohl Mandel-Müsli, Espresso und zur falschen Zeit dort. Davor und danach sah das anders aus: Lüneburg war leise kubanische Klänge von Das Museum für Völkerkunde verwandelt sich in einen bunten Marktplatz der Kunst im Mittelalter eine der reichsten Hansestädte und ist heute Universitätsstadt „Omara Portuondo“. und Kultur. Mehr als 70 internationale Kunsthandwerker, Spezialitäten-Hersteller mit der höchsten Kneipendichte Deutschlands. In der Adventszeit wirken die Gebäude der Altstadt im festlichen Lichterglanz wie Lebkuchenhäuschen … 9.30 Uhr Ganz bewusst lese und Händler laden die Besucher zu einer abwechslungsreichen Weltreise ein. ich keine E-Mails, schalte das Lüneburg hat „Schwein gehabt“: Der Legende nach ist einer Wildsau die Entdeckung BlackBerry aus, lerne keine des Salzstocks zu verdanken, Lüneburgs Reichtum. Vor über tausend Jahren, so sagt Moderationstexte. Alles, was man, gingen zwei Jäger in der Ilmenauniederung auf Wildschweinjagd. Auf einer ich für die kommende Woche TEXT: FRIEDERIKE ULRICH Völker“organisierthat.IhnenwirdFlugreiseundUn- Lichtung erlegten sie eine Sau, die sich in einem Tümpel gesuhlt hatte. Die Borsten vorbereiten musste, habe ich terkunft finanziert, damit sie den Menschen fern ih- des Tieres glitzerten schneeweiß in der Sonne – sie waren voller Salzkristalle. Der bereits gestern erledigt. o bunt und sinnlich wie ein Basar aus 1001 rer Heimat über ihr Volk und dessen Geschichte be- Tümpel war die spätere Solequelle der Lüneburger Saline. Ein Schulterknochen der SNacht präsentiert sich an diesem Wochen- richten können. Den Besuchern wird so die Möglich- berühmten Salzsau ist heute noch im Rathaus zu besichtigen. Das Salz, als Konser- 10 Uhr Ich kann es kaum ende das Völkerkundemuseum an der Ro- keit geboten, auch die besonderen Kulturen weit vierungsmittel begehrt, machte Lüneburg zu einer der wichtigsten Städte der Hanse. erwarten, mein Patenkind zu thenbaumchaussee. Im großen Foyer, in den Gängen entfernter