Sex Mit Dem Leben
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NEUE BIOSKOP FILM NEUE BIOSKOP Hauptdarstellerin Avelon in „Eight Miles High“: Galionsfigur der Gegenkultur KINO Sex mit dem Leben Uschi Obermaier war eine Pop-Ikone der sechziger und siebziger Jahre: Sie posierte nackt für die Kommune 1, tourte mit den Rolling Stones und probierte alles aus, was Spaß macht. Nun wird das Leben der gebürtigen Münchnerin aufwendig verfilmt. ine Frau steht nackt am Strand und Ein Schlüsselbild ist im Kasten: der Au- te bei Los Angeles wohnt. „Schmerzhaft schaut auf das Meer, während die genblick, in dem ein übertouriges Leben intensiv“ sei die Mitarbeit am Drehbuch EWellen gleichmütig ans Ufer rollen. zum Stillstand kommt. Es wird wohl der gewesen, doch nun freue sie sich auf „das Die Sonne ist schon untergegangen, und mit Abstand ruhigste Moment sein in dem Experiment“. Vielleicht müsse sie dann doch leuchtet am Horizont ein helles Licht. vorläufig „Eight Miles High“ betitelten auch in Zukunft nicht mehr ständig die al- In der Ferne treibt ein Floß, auf dem der Film, der so schnell und so dicht werden ten Geschichten aus den sechziger und Leichnam eines Mannes verbrennt. Für die soll wie das Leben seiner Heldin. „Wir ver- siebziger Jahren erzählen. Wer an ihnen Frau war er der Mann ihres Lebens. Ganz suchen, das Wort ,Exzess‘ von seinem interessiert sei, könne ja ins Kino gehen. allein steht sie nun in der Bucht, da streicht schlechten Ruf zu befreien“, sagt der 37- Tatsächlich wird „Eight Miles High“ die sie sanft mit der Hand über ihren Oberarm, jährige Bornhak, während ein paar quirli- Jahrzehnte wie im Zeitraffer durchmessen: als wolle sie noch ein letztes Mal spüren, ge Inder fröhlich und lautstark das Feuer die sechziger Jahre, in denen Obermaier wie es war, von ihm berührt zu werden. auf dem Floß löschen. „Der Film wird et- als Model ihr Geld verdiente und als Front- In diesem Moment, als die Sinnlichkeit was Rauschhaftes haben.“ frau der Berliner Kommune 1 berühmt über die Endlichkeit siegt, halten gut hun- Acht Jahre hat es den Produzenten Diet- wurde; die Siebziger, als sie Liebesaffären dert Menschen in der Bucht inne. Sie ho- mar Güntsche, 37, gekostet, Obermaiers mit Mick Jagger und Keith Richards hatte cken hinter Felsen, kauern hinter Booten, pralles Leben auf die Leinwand zu bringen. und ihren Lebensgefährten Dieter Bock- verbergen sich in Höhlen. Es sind die Mit- „Es bietet Stoff für zehn Filme“, sagt er horn kennenlernte; und schließlich die glieder des Teams, das hier, an einem ent- und betrachtet den Sand, der durch seine frühen Achtziger, als Bockhorn starb und legenen Strand im südlichen Goa, das Le- Hand rinnt. „Es war ein schwieriger und Obermaier neu anfangen musste. ben von Uschi Obermaier verfilmt. Alle langwieriger Prozess, die entscheidenden Als Galionsfigur der Gegenkultur ver- verharren andächtig still im graublauen Ereignisse herauszufiltern.“ Für eine kon- band sie Pop und Politik. Sie war die Dämmerlicht. Regisseur Achim Bornhak ventionelle Filmbiografie hat Uschi Ober- fleischgewordene Antithese zur deutschen schaut gebannt zu, wie die Hauptdarstel- maier einfach viel zu viel gelebt. Hausfrau, die Mann und Kinder treu um- lerin Natalia Avelon mit dieser kleinen Be- „Es bräuchte wohl mehrere Folgen“, sorgt: ein wildes Mädchen, dessen Körper wegung die Lebenslust dieser Frau spüren sagt die 1946 im Münchner Stadtteil Send- sich von Kopf bis Fuß jeder Mutterrolle lässt, dann sagt er das böse Wort: Cut. ling geborene Obermaier lachend, die heu- zu verweigern schien. Im Gegensatz zu 144 der spiegel 18/2006 Kultur den üppigen Schönheiten der fünfziger und wird von Rainer Langhans, dem von Jahre hatte sie kein gebärfreudiges Becken, Matthias Schweighöfer verkörperten Mit- sondern schmale Hüften, und ihre kleinen begründer der antibürgerlichen Lebensge- Brüste schienen nicht dafür geschaffen, meinschaft, nackt und zart begrüßt. Brüs- Kinder satt zu machen, sondern nur die kierten Langhans und Co. das Establish- Männer unendlich hungrig. ment, indem sie ihm auf dem berühmten Sie war die Frau, die sich nahm, was sie Foto den Arsch zeigten, so verkörperte wollte, und nicht darauf wartete, dass die Obermaier bald die schöne Vorderseite der Männer es ihr gaben. „Was Alice Schwar- Kommune: Mit blankem Busen posierte zer gelehrt hat, hat Uschi Obermaier ge- sie auf den Titelblättern. lebt“, sagt Eberhard Junkersdorf, 67, der Sie blieb in der Kommune, weil sie sich „Eight Miles High“ mit seiner Firma Neue in die Locken von Langhans verliebt hatte Bioskop Film für ein Budget von 6,5 Mil- – Schweighöfer spielt ihn als wandelnde lionen Euro produziert. „Ich wollte ganz Sanftmut. Wenn in der Kommune über harmlos, aber bestimmt nur das tun, was Politik diskutiert wurde, schlief Obermai- mich interessierte“, sagt Obermaier heute. er oft ein. Deshalb galt sie einigen Kommu- „Nicht mehr und nicht weniger.“ narden als konterrevolutionär. Gegen ihren Sie erdreistete sich, ein Leben jenseits urwüchsigen Hedonismus halfen keine Ar- der Pflichterfüllung zu führen und al- gumente. In dem Film „Rote Sonne“ von les auszuprobieren, was Spaß machte. Sie 1970 spielt sie eine somnambule Amazone, war das aus der Art geschlagene Wirt- die dem einzigen Mann, den sie mag, einen schaftswunderkind, das auf Tugenden wie Schlips bindet. So war wohl auch die Ober- Fleiß pfiff und die Dreifaltigkeit von Sex, maier: Sie hatte grundsätzlich erst mal Drugs and Rock’n’Roll vergötterte. „Vie- nichts gegen das bürgerliche Emblem – so- le Menschen hatten vor ihr Angst“, sagt lange an der Krawatte nur der richtige Bornhak. „In einem früheren Jahrhun- Mann dranhing. dert wäre sie vielleicht als Hexe verbrannt Sie war also ein kleinbürgerliches Ver- worden.“ suchstier im Experimentallabor einer neu- en Gesellschaft: In der Kommune 1 wurde freie Liebe praktiziert, manchmal auch zwanghaft, und der Einzelne von den Fol- gen sozialer Repression geheilt, notfalls mit kollektivem Druck. Protestantisch karg wirken die Räume am Drehort in Treptow, durch die weiten Fenster fällt ein inquisi- torisches Licht auf die Gesichter. Irgendwie hatte man sich das Leben in Freiheit anders vorgestellt. Doch Obermaier war viel zu sehr Bauchmensch, um sich das Gehirn waschen zu lassen. Am Ende floh sie aus der Kommune wie aus einem Gefängnis. „Sie war in der Kommune 1, aber keine Intellektuelle“, sagt Bornhak „Sie ist mit den Stones getourt, war aber kein Groupie. Sie nahm Drogen, war aber kein Junkie. Ich habe noch nie einen Menschen getrof- fen, der allen Schubladen, in die man ihn steckte, so leicht entkam.“ Anderthalb Jahre lang gingen Junkers- dorf und Güntsche auf die Suche, um für sie die Idealbesetzung zu finden. In einem Besetzungsmarathon testeten sie 500 Schauspielerinnen. „Seit ich in den siebzi- ger Jahren die Verfilmung der ,Blechtrom- mel‘ vorbereitet und nach einem Darsteller BOKELBERG für den Oskar Matzerath gesucht habe, Obermaier, Langhans (1969) habe ich so etwas nicht mehr erlebt“, er- Die schöne Vorderseite der Kommune zählt Junkersdorf. „Wir hatten die Hoff- nung schon fast aufgegeben.“ Nackt stehen sie an der Wand, die Hän- Und dann kam sie: Natalia. Junkersdorf de erhoben, bereit für eine Leibesvisita- betrachtet die Schauspielerin mit Ent- tion. In einer stillgelegten Fabriketage im deckerstolz. Avelon sieht der Obermaier Berliner Bezirk Treptow wird für den Film zum Verwechseln ähnlich, bewegt sich vor jenes Foto nachgestellt, mit dem 1967 die der Kamera mit der gleichen katzenhaften Kommune 1 die Öffentlichkeit erregte. Anmut. „Sie ist“, findet die Obermaier, Aufgereiht stehen die Mitglieder der Kom- „wie meine kleine Schwester.“ mune nebeneinander und recken der Ka- „Uschi war immer total gelassen und nie mera ihre Hinterteile entgegen. Dann tritt verbissen“, sagt die 26-jährige Avelon, die Natalia Avelon als Uschi Obermaier hinzu neben einem Kurzauftritt in „Der Schuh der spiegel 18/2006 145 Kultur des Manitu“ in zahlreichen Fernsehpro- duktionen zu sehen war. „Sie hat es nicht darauf angelegt, ein Star zu werden. Es war ein dauernder Flirt mit der Öffent- lichkeit, der gerade deshalb so aufregend war, weil er kein Ziel verfolgte.“ Und während Avelon dies sagt, streicht sie sich kokett die Haare aus der Stirn. Knapp ein Jahr lang hat sie sich auf die- se Rolle vorbereitet und mehrere Wochen mit der Obermaier verbracht. „Ich will Uschi so spielen, dass sie selbst in ihren tragischen Momenten ihre Lebenslust nicht verliert“, sagt Avelon. „Denn sie hatte ein ganz und gar erotisches Verhältnis zur Welt, der sie sich mit allen Sinnen geöffnet hat. Sie hatte Sex mit dem Leben.“ Solche Sätze hauen rein, vor allem bei 30 Grad im Schatten. Doch Avelon sitzt gut gekühlt unweit des Strandes in einem Palmenhain. Sobald sie ihren Kopf auch nur für Sekunden in einen Sonnenstrahl streckt, springt ein indischer Helfer herbei und hält einen Regenschirm über sie. Denn gestern hat sie sich die Stirn verbrannt, FILM NEUE BIOSKOP trotz hohen Sonnenschutzfaktors. Nun Darstellerin Avelon kräuselt sich die Haut. Großaufnahmen „Uschi war immer total gelassen“ sind heute nicht drin, der Drehplan muss umgeworfen werden. ner schmucken Royal Enfield. Er ist An- So filmt Bornhak nun auf einem Plateau fang 60, arbeitet auf dem Frankfurter Flug- oberhalb des Strandes eine Szene, in der hafen und macht Urlaub in Goa. Er hat Uschi Obermaiers langjähriger Lebensge- gehört, dass hier ein Film über Uschi Ober- fährte Dieter Bockhorn einem Bauern ein maier gedreht wird, und schaut deshalb Zicklein abkauft, um es zu schlachten. Die vorbei. Er hat sie schon Ende der sechziger Szene spielt in den frühen Achtzigern in Jahre bewundert, auch in die Kommune 1 Mexiko, doch weil das Team ohnehin nach hat er mal kurz reingeschnuppert und da- Indien reisen musste, um im Norden des mals mit seiner Ente heroisch einen Konvoi Landes die Hochzeit zwischen Bockhorn von Wasserwerfern gestoppt. und Obermaier zu drehen, bot sich Goa als Ehrfürchtig nähert sich Zaschke dem ideales Double für Baja California an. Wohnmobil, mit dem Obermaier durch Das kleine Gehöft steht in der prallen Nordamerika gereist ist. Die Filmproduk- Sonne, die so heiß brennt, dass man fürch- tion hat es ihr abgekauft, um die halbe Welt tet, das Strohdach könnte sich von selbst verschiffen und komplett überarbeiten las- entzünden.