NEUE CHOR SZENE

Zeitschrift des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf e.V. Konzertchor der Landeshauptstadt Düsseldorf 1/10 12 Nr. 12 NEUE Inhaltsverzeichnis 1/10 7. Jahrgang CHORSZENE Januar 2010 Editorial Georg Lauer 3 Robert Schumann Eine Biografie Dr. Gerd Nauhaus 4 „Wie Schafe, wie Schafe führt er sie“ Erfahrungen von Chormitgliedern nach dem Händel- Projekt „Israel in Ägypten“ mit Prof. Frieder Bernius Udo Kasprowicz 14 G. F. Händels „Israel in Ägypten“ Eine abschließende Nachlese zu den Aufführungen des Oratoriums in der Tonhallle Düsseldorf Erich Gelf 17 Den Damen und Herren des Düsseldorfer Musikvereins Ein Schlusswort zum Händelprojekt 2009 Prof. Frieder Bernius 34 Editha Hackspiel: Ein Portrait aus dem Leben der Düsseldorfer Künstlerin Georg Lauer 37 „Was täten die armen Komponisten, wenn sie keiner spielt“ Zu Besuch bei Jürg Baur Jens D. Billerbeck 46 Niels Wilhelm Gades Dänische Chorsinfonik Selten gehörte Chorwerke Dr. Thomas Ostermann 50 Unterwegs an Rhein und Neckar Bericht über die Kulturreise von Musikvereinsmitgliedern Christa Terhedebrügge-Eiling 54 Neologismen…und was dahintersteckt! Vom „Händelssohn“ zum „Linsengericht“ Udo Kasprowicz 61 Erkrather wird Düsseldorfer des Jahres centert.tv ehrt MV-Vorsitzenden Manfred Hill Jens D. Billerbeck 64 Termine, Termine …Vorschau auf die Konzerte mit dem Städtischen Musikverein im Schumannjahr 2010 66 Literatur 67/68

Impressum / Städtischer Musikverein zu Düsseldorf e.V. Herausgeber: Geschäftsstelle Ehrenhof 1 - 40479 Düsseldorf E-Mail: [email protected] / Internet: www.musikverein-duesseldorf.de V.i.S.d.P.: Georg Lauer - [email protected] Redaktion: Jens D. Billerbeck, Erich Gelf, Georg Lauer, Udo Kasprowicz, Dr. Thomas Ostermann, Konstanze Richter Titelbild: Schumann-Geburtshaus Zwickau - Schumannhaus Bonn-Endenich - Tonhalle Düsseldorf Textbilder: Städtischer Musikverein, Internet ISSN-Nr.: 1861-261X / Erscheineinungsweise: halbjährlich Druck: Druckerei Preuß GmbH - Ratingen Hinweis: Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht die Meinung der Redaktion wieder. Nachdruck - auch auszugsweise - oder sonstige Vervielfältigung nur mit schriftl. Genehmigung der Redaktion.

2 NC 1 / 10 Editorial von Georg Lauer Liebe Leserinnen und Leser! Wenn Sie bereits das nebenstehende Inhaltsver- Willkommen im Schumannjahr 2010! zeichnis überflogen haben, Weltweit wird in diesem Jahr an Robert wundern Sie sich vielleicht, Schumann erinnert, der von 1850 bis 1854 dass wir dem Händel-Mendelssohn-Jahr Düsseldorfs 6. Städtischer Musikdirektor 2009 noch einmal eine Rückschau widmen. war. In den „Schumannstädten“ Zwickau, Das werden am Ende nicht nur die Leserin- Bonn, Düsseldorf - Geburts-, Sterbe- und nen und Leser nachvollziehen können, die Musik-Haus schmücken diesmal unser Ti- im Herbst 2009 die Tonhallen-Aufführungen telblatt - und auch andernorts sind die Vor- des Oratoriums „Israel in Ägypten“ erlebt bereitungen zum Abschluss gekommen und haben. Dabei freut es uns besonders, dass die Festprogramme veröffentlicht. Noch sich auch Prof. Frieder Bernius noch einmal ausführlicher als zum 150. Todestag vor 4 zu Wort gemeldet hat. Jahren werden die Konzertprgramme alles Einer anderen großen Künstlerin, der wir bieten, was Schumann je zu Papier ge- im letzten Jahr besonders oft in der Tonhal- bracht hat. Düsseldorf hat sich da nicht we- le begegnet sind, galt unser Besuch und niger vorgenommen, als alles: „Der ganze die Aufzeichnung des dabei geführten Ge- Schumann“ soll es sein! Die Werke werden sprächs. „Aus Liebe zur Musik“, so hat sie sich von Januar bis Dezember um den Kern - in gleicher Intention wie der Musikverein des eigentlichen Schumannfestes vom seine Chronikbücher 1988 und 2001 - ihr 28.05. bis 14.06.2010 legen, dabei werden jüngstes Buch überschrieben, das sie vor Sie in Düsseldorf „Weltklassik“ erleben! Weihnachten veröffentlichte. Editha Hack- Welche Beiträge aus Schumanns Chor- spiel, von ihr ist die Rede, hat darin die bes- musikschaffen der Musikverein dabei zu be- ten Düsseldorfer Musikerbilder ihres über streiten hat, entnehmen Sie am besten dem 60 Jahre währenden, stets von Musik be- dieser Zeitschrift beiliegenden Faltblatt, das gleiteten künstlerischen Schaffens zusam- Sie mit ein paar geschickten Griffen auf mengetragen. Handtaschenformat bringen oder gleich an Ein weiterer Hausbesuch galt kurz nach Ihre Pinnwand heften können. seinem 91. Geburtstag auch dem Düssel- Besonders gut vorbereitet gehen Sie in dorfer Senior-Komponisten Jürg Baur. Mit die Konzerte, wenn Sie vorher den Beitrag dem Blick in seine Kompositionswerkstatt von Dr. Gerd Nauhaus gelesen haben. Als möchten wir eine kleine Reihe eröffnen, in langjähriger Direktor des Robert-Schu- der wir weitere komponierende Kollegen mann-Hauses Zwickau und seit 2006 Vorsit- aus dem Düsseldorfer Raum vorstellen. zender der dortigen Robert-Schumann-Ge- Mit Schumann wünschen wir Ihnen ein sellschaft ist unser Gastautor ein berufener gutes Neues Jahr 2010, dass Sie viel Zeit Schumannkenner und Buchautor. Übrigens finden für seine Musik wie für unsere Zeit- wird eine Gruppe von Musikvereinsmitglie- schrift und dabei dem Musikverein wie im- dern zur Eröffnung des Schumannfestes in mer gewogen bleiben. Zwickau Anfang Juni die Geburtsstadt sei- Herzlichst grüßt Sie nes ehemaligen Musikdirektors besuchen. Ihr

NC 1 / 10 3 Robert Schumann Eine Biografie von Dr. Gerd Nauhaus

könnten es be- Unser erster Gastautor im Schu- dauern, daß die mannjahr 2010 ist der Musikwis- geplante Selbst- senschaftler Dr. phil. Gerd Nau- biographie Schu- haus. Von 1970-2005 war Dr. Nau- manns unge- haus am Robert-Schumann-Haus schrieben blieb, Zwickau tätig und von 1993-2005 hätte er nicht dessen Direktor. außerdem eine 1986 verlieh ihm die Stadt große Fülle von Zwickau den Robert-Schumann- Aufzeichnungen Dr. Gerd Nauhaus Preis, von 1993 - 2002 war er Mit- über sein Leben glied des Sächsischen Kulturse- in Form von Tagebüchern (einschließ- nats. Seit 2006 ist Dr. Nauhaus lich der gemeinsam mit seiner Frau, der Vorsitzender der Robert-Schu- Pianistin Clara Wieck, geführten „Eheta- mann-Gesellschaft Zwickau e.V. gebücher“, 1840–1844), Reisenotizen, Vorweg Ausgaben- bzw. Haushaltsbüchern so- wie mehrerer autobiographischer Skiz- Im Jahre 1846, während einer längeren zen (darunter ein für die Promotion zum gesundheitlichen Krise, die ihn an seiner Dr. phil. an der Universität ausge- kompositorischen Arbeit hinderte, fasste arbeitetes „Curriculum vitae“, 1840) und Robert Schumann den Plan, seine Le- weiterer Erinnerungshefte der verschie- bensgeschichte aufzuzeichnen. Dieses densten Art hinterlassen. Diese Doku- Vorhaben wurde ebenso wenig verwirk- mente gestatten einen fast lückenlosen licht wie kurz darauf das Projekt einer Er- Überblick über Schumanns Leben und zählung mit autobiographischen Zügen, Schaffen und bieten interessante Ein- in die Schumanns frühere Gedichte und blicke in die Zeit seiner Kindheit und Ju- musikalischen Aufsätze verwoben sein gend wie seiner teils widersprüchlichen sollten. Die Aufsatzsammlung kam – je- künstlerischen Entwicklung. doch ohne poetischen Rahmen – noch zu Schumanns Lebzeiten zustande und Zwickauer Kinder- und Schuljahre erschien als „Gesammelte Schriften über Musik und Musiker“ im Frühjahr Robert Schumann kam als fünftes 1854 in 4 Bänden bei Georg Wigand in und letztes Kind wohlhabender Eltern . Sie legt Zeugnis davon ab, dass in Zwickau zur Welt, wohin die Familie Schumann unter den Komponisten des wenige Jahre zuvor aus dem thüringi- 19. Jahrhunderts ganz sicher der „litera- schen Ronneburg zugezogen war. Der rischste“ war, mochten auch Carl Maria Vater August Schumann (1773–1826) von Weber, Hector Berlioz, Franz Liszt hatte sich als Romanschriftsteller und und nicht zuletzt Richard Wagner gleich- Verfasser kaufmännischer Kompendien falls die Feder zu führen wissen. Wir die Mittel zum Aufbau eines Verlagsun-

4 NC 1 / 10 ternehmens erworben und sich mit der Abend-Unterhaltungen“ im Hause der Herausgabe von Lexika und Sammel- Eltern und begann, noch ehe er regu- werken, volkstümlichen Ausgaben deut- läre Unterweisung erhalten hatte, mit scher und ausländischer Klassiker (für dem Komponieren. So entstanden z. B. die er auch selbst aus dem Englischen Lieder, Opernfragmente und eine Verto- übersetzte) und der vielgelesenen „Er- nung des 150. Psalms „mit Orchester“. innerungsblätter für gebildete Stände“ Der Vater verhandelte mit C. M. von We- einen geachteten Namen gemacht. Sein ber, um Robert seine Ausbildung bei ihm Einfluss und seine hohe literarische Bil- fortsetzen zu lassen, doch zerschlug dung waren prägend für Roberts Kinder- sich der Plan durch Webers und August und Schuljahre, so dass er von sich sa- Schumanns Tod im Sommer 1826. gen konnte, es seien ihm schon damals „die bedeutendsten Dichter ziemlich aller Juristerei oder Musik? Länder … geläufig“ gewesen. Es blieb nicht beim passiven Aufnehmen von Li- Das Lyzeum absolvierte Robert Schu- teratur, sondern kam zu eigenen dichte- mann mit dem zweithöchsten Prädikat rischen Versuchen und zur Gründung ei- „omnino dignus“. Hoffnungen auf eine nes literarischen Schülerzirkels, in dem musikalische Karriere sollte er sich Robert den Ton angab. Starken, fortwir- nun aus dem Kopf schlagen, denn die kenden Eindruck hinterließ ihm gegen Mutter (Christiane geb. Schnabel, um Ende der Gymnasialzeit die Lektüre der 1767–1836) und der zum Vormund Werke Jean Pauls. Ihren Stil kopierte er eingesetzte Kaufmann Rudel bestimm- zunächst in seinen romantischen Erzähl- ten ihn zum Studium der Jurisprudenz. fragmenten, sie wirkten aber auch teils Schumann fügte sich ihren Wünschen, direkt-anregend, teils mehr untergründig obwohl wahrscheinlich sein eigentlicher auf sein späteres Komponieren ein, so Lebensplan unter der Fassade träumeri- dass er scherzhaft-überspitzt bekannte, scher Unentschiedenheit bereits Gestalt von „Jean Paul mehr Kontrapunkt ge- anzunehmen begann. Nur so erklärt lernt zu haben als von seinem Theorie- sich die weitgehende Vernachlässigung lehrer“, und beförderten die poetische der juristischen Studien auf den Univer- Qualität seiner musikschriftstellerischen sitäten Leipzig und Heidelberg während Arbeiten. der folgenden zwei Jahre, anstelle derer Auch die Musik war für den Zwickau- sich Schumann immer ernsthafter und er Lateinschüler Schumann von großer, entschlossener der Musik - Klavierspiel wenngleich zunächst nicht allein aus- und Komposition - widmete. schlaggebender Bedeutung. Bei dem Vor Antritt der „Mulusreise“ nach Süd- Organisten von St. Marien, Johann Gott- deutschland hatte Schumann in Leipzig fried Kuntsch, erhielt er Klavierunterricht bei Friedrich Wieck vorgesprochen, der und erwarb sich namentlich eine „große sein Klavierlehrer werden sollte, und Fertigkeit im prima-vista-Spiel“, die ihn war zum ersten Mal dessen damals zur Mitwirkung bei schulischen und öf- neunjähriger Tochter Clara begegnet. fentlichen Aufführungen prädestinierte. Dann ging es nach Bayreuth, wo er auf Er veranstaltete auch „Musikalische den Spuren Jean Pauls wandelte, und

NC 1 / 10 5 nach München, wo er Heinrich Heine sich Schumann sein Wissen fortan auf – später einer der bevorzugten Dichter autodidaktischem Wege. seines Liedschaffens – besuchte. In die Pleißestadt zurückgekehrt, begann Musik und/oder Literatur? für den Studenten ein „neues Leben“: Klavierspiel, Kennenlernen guter Musik Zu Beginn der 1830er Jahre erschei- („Franz Schubert und Beethoven gingen nen Schumanns erste gedruckte Wer- mir auf; von Bach dämmerte es“) und ei- ke (Papillons, Toccata, Intermezzi, genes Produzieren füllten einen Großteil Impromptus etc.) und erregen Befrem- seiner Tage. Doch ließ er sich auch in den und Unverständnis, aber auch die das oft feucht-fröhliche Studentenleben Aufmerksamkeit einiger Kenner. Diese und burschenschaftliche Treiben einbe- bleibt der Reihe genialer Klavierwerke ziehen, ohne indes einen Rest kritischer stets erhalten, doch die Masse des Pu- Distanz zu verlieren. Eine Reise in die blikums erreicht Schumann damit eben- Schweiz und nach Oberitalien leitet so wenig wie im folgenden Jahrzehnt Schumanns Heidelberger Zeit (1829/30) mit seinen Liedern. Wie sollte er auch, ein, die mit dem Verkehr im Kreise A. J. geht er doch „als Komponist … vielleicht F. Thibauts einerseits, dem Schlüssel- einen von allen anderen verschiedenen erlebnis der Teilnahme an einem Kon- Weg“, nämlich den einer unerhörten zert Paganinis in andererseits psychologischen Verfeinerung und poe- wichtige musikalische Stimulanzien ent- tischen Vertiefung. Damit erhebt er sich hielt. Wenig später steht der Entschluss, über die meisten Zeitgenossen, eilt er Musiker – Klaviervirtuose – zu werden, der Zeit so weit voraus, dass sich erst so fest, daß sich ihm die Mutter (auch in der zweiten Jahrhunderthälfte allmäh- durch das Votum Wiecks beeinflusst) lich die Kenntnis seiner großen Klavier- nicht länger widersetzt. Schumann geht und Liedzyklen allgemein verbreitet. nach Leipzig zurück. Er ist schon 20 Der 24jährige Schumann findet auch Jahre alt und will sein Ziel rasch – zu seinen, in den nächsten zehn Jahren rasch! – erreichen, verfehlt es aber in- (mit nach und nach abnehmendem folge einer Lähmung der rechten Hand, Elan) betriebenen zweiten Beruf, den zu der übermäßiges und fehlerhaftes des Musikschriftstellers, Redakteurs Üben im Frühjahr 1833 führen. Das und Herausgebers, in dem sich eigene Scheitern des Virtuosenplanes zieht je- Neigung und väterliches (auch durch- doch keinen Schock nach sich, sondern aus merkantiles) Erbe ausdrücken. Sei- setzt eher Kräfte frei, die den jungen ne reiche literarische Bildung und sein Musiker zum Studium der Meister und außergewöhnliches poetisches Talent zum Hervorbringen neuer eigener Kom- prägen den Charakter der „Neuen Zeit- positionen befähigen. Er unterzieht sich schrift für Musik“, die er gemeinsam mit auch für kurze Zeit einem regelrechten Freunden gründet, und lassen ihn sich Kompositionskurs bei dem Leipziger von vergleichbaren Blättern abheben. Kapellmeister Heinrich Dorn, doch fühlt Das Auftauchen der von Schumann sich sein phantasiebestimmtes Schöp- ins Leben gerufenen Davidsbündlerge- fertum dadurch eher eingeengt, erwirbt stalten, deren wichtigste – Florestan,

6 NC 1 / 10 Eusebius und z. T. auch Meister Raro – Spiegelungen von Facetten der eigenen Persönlichkeit sind, gibt dem Journal einen unnachahmlichen Reiz. Ein wei- terer Charakterzug ist der stete Einsatz für das Neue und Zukunftsträchtige bei gleichzeitiger „treuer Verehrung für das Überkommene“ in der Musik. Auf lan- ge Sicht wird die Zeitschrift Schumann dennoch lästig, hindert sie ihn doch am Komponieren, der eigentlich „produkti- ven Tätigkeit“.

Clara! Loslösung und Bindung

Die folgenden Jahre bis zur Hei- rat mit Clara Wieck 1840 sind wohl die bewegtesten und wichtigsten in Schumanns menschlicher und künst- lerischer Entwicklung. Er setzt die Rei- he der Klavierwerke fort mit den drei Robert Schumann, Wien 1839 Sonaten, den Symphonischen Etü- Lithographie von Joseph Kriehuber den, Kreisleriana und Novelletten. Die Freundschaft und Liebe zu der jungen, Dieser ins Stammbuch schreibt er dann begabten Künstlerin Clara wird zuneh- den „Faschingsschwank aus Wien“ mit menden Belastungen ausgesetzt durch einer Reminiszenz der (in der k. und k. den Widerstand ihres Vaters. Wieck un- Monarchie verbotenen) Marseillaise im terbindet zeitweise jeden Umgang der Walzertakt. 1839/40 kommt es zum Pro- Liebenden und versteht es, Zweifel zu zess mit Wieck, in dem Schumann und säen. In desperater Stimmung schreibt Clara die gerichtliche Erlaubnis zur Ehe- Schumann, sich (wie häufig in seinem schließung erzwingen. Im Februar 1840 Leben) durch Arbeit befreiend, die lei- verleiht die Jenaer Universität Schu- denschaftlich-aufbegehrende C-Dur- mann mit einem ehrenden Diplom den Fantasie. Im Sommer 1837 erneuert philosophischen Doktortitel. Am Tag vor Clara das Versprechen, seine Frau zu Claras 21. Geburtstag heiraten sie und werden, und die nun folgenden heftigen Schumann in der Dorfkirche zu Schöne- Kämpfe mit Wieck werden von beiden feld bei Leipzig. mutig bestanden. Schumann will sich sogar ganz vom bisherigen Wirkungs- Vom Lied zum Oratorium kreis lösen: Für ein halbes Jahr geht er nach Wien, um die Zeitschrift dorthin Noch vor dem günstigen Prozessaus- zu verpflanzen, woran ihn jedoch die gang fühlt Schumann neue Schaffen- österreichische Zensurbehörde hindert. simpulse. 1840 wird sein „Liederjahr“, in

NC 1 / 10 7 dem er neben den großen Zyklen und Liederkreisen (nach Heine, Eichendorff, Rückert, Kerner, Chamisso u. a.) die Mehrzahl seiner Sologesänge überhaupt komponiert. In den Jahren 1841/42 eig- net er sich mit geradezu planvoller Be- wusstheit die Genres der Orchester- und Kammermusik (nach vorangegangenen gründlichen Studien der Klassiker) an, schreibt zwei Sinfonien, eine Fantasie für Klavier und Orchester (später zu dem berühmten a-Moll-Klavierkonzert ausgeweitet), drei Streichquartette, ein Klavierquintett (es zählt zu seinen glän- zendsten und erfolgreichsten Werken) und ein Quartett für Klavier und Strei- cher. Was er mit der intimeren Klavier- und Liedkunst nicht erreicht hat, wird mit den „großen Formen“ eher möglich: der Zugang zum breiten Publikum. In der Tat Robert und Clara Schumann 1847 wird die am 31. März 1841 im Leipziger Lithograph J. Hofelich Gewandhaus unter Mendelssohns Lei- tung uraufgeführte „Frühlingssinfonie“ Reise höchst unglücklich abgelaufen, die eine der meistgespielten Kompositionen Schumann nur bis Hamburg mitmachte, Schumanns. Ein gleiches gilt von dem worauf sich die getrennten Ehegatten 1843 vollendeten Oratorium („… nicht in Leipzig und Kopenhagen sehnsüch- für den Beetsaal, sondern für heitere tigen Selbstvorwürfen hingaben? Die Menschen“ geschrieben) „Das Paradies nun angetretene große Russland-Reise und die Peri“ nach einer orientalisieren- von 1844 bringt, obwohl im ganzen ein den Dichtung des Iren Thomas Moore. beträchtlicher künstlerischer und mate- Das Echo dieses schönen, heute zu rieller Gewinn, Schumann auch Demü- wenig bekannten Werkes trug sogar zur tigungen und eine Schwächung seiner Versöhnung zwischen Schumann und Gesundheit ein. Die Diskrepanz zwi- Friedrich Wieck bei. schen dem Komponisten und der durch Hausfrauen- und fast jährlich erneuerte Zwischen Erfolg und Fiasko Mutterpflichten behinderten Interpretin, eine latente Spannungsquelle in der In dieser Phase glücklicher Produkti- sonst so glücklichen Schumannschen vität müssen Schumann die immer drin- Ehe, versucht Clara zu beseitigen und gender werdenden Vorstellungen seiner zugleich ihre eigene Tätigkeit zu legiti- Frau, man möge auf gemeinsame Kon- mieren: Sie ermutigt Schumann, selbst zertreisen gehen, empfindlich irritieren. mehr öffentlich – als Dirigent seiner War nicht bereits 1842 eine Dänemark- Werke – in Erscheinung zu treten. Er tut

8 NC 1 / 10 es mit wechselndem Erfolg – einmal, so zertmeister Franz Schubert regelmäßig 1847 in Wien (die Reise bedeutet auch veranstalteten Kammermusik-Soireen, für Clara ein Fiasko), kühl bis ablehnend in denen viele Schumannsche Werke aufgenommen, dann wieder, wie im glei- aufgeführt wurden. Nur kurzzeitig stand chen Jahr in der Vaterstadt Zwickau an- Schumann dem Männergesangsverein lässich eines Musikfestes ihm zu Ehren, „Dresdner Liedertafel“ vor, desto inten- hoch gefeiert. siver widmete er sich aber dem Anfang 1848 selbstgegründeten „Verein für Dresden Chorgesang“, dessen öffentliche oder halböffentliche Darbietungen zur Be- Nach der Russland-Reise und einer reicherung des Dresdner Musiklebens interimistischen Tätigkeit Schumanns beitrugen und den Komponisten selbst als Lehrer am neugegründeten Leipzi- zu neuem Schaffen anregten. Trotz ger Konservatorium verlegte die kleine schwankender Gesundheit, der er durch Familie (zwei Töchter waren in Leipzig Kuraufenthalte und Erholungsreisen nur geboren worden, ihnen folgten zwei mangelhaft aufhelfen konnte, wurde weitere und vier Söhne!) ihren Wohnsitz Schumann nicht müde im Produzieren Ende 1844 in die sächsische Residenz – vielmehr zeitigten gerade die Dresd- Dresden. Obwohl die Musikstadt Leip- ner Jahre eine staunenswerte Fülle zig Schumanns Werken mehr und mehr und Vielfalt von Werken, die sich, wenn Verständnis entgegenbrachte, war sie nicht in der genialen Ursprünglichkeit, ihm nach Mendelssohns Weggang ver- so doch in der intensiven, tiefsinnigen leidet. Der Zeitschrift hatte er sich bereits Ausarbeitung als ebenso bedeutend entledigt; sie ging an den Musikästheti- wie die früher geschaffenen darstellen. ker Franz Brendel über und öffnete sich Hierzu gehören das in Dresden vollen- bald der „neudeutschen“ Richtung. Mit dete und 1845 uraufgeführte Klavier- dem Ortswechsel befolgte Schumann konzert, die große C-Dur-Sinfonie von auch eine Empfehlung seiner Ärzte und 1845/46, die Klaviertrios von 1847 und erhoffte sich nervliche Kräftigung. Über weitere Kammermusikwerke, die Trias die sechs Jahre des Dresdner Aufent- dramatischer Stoffe – teilweise simultan halts ist Widersprüchliches gesagt wor- geschaffen und in latentem Zusammen- den. Gewiss sehnten sich Robert und hang mit Schumanns Lebensproble- Clara Schumann manchmal nach Leip- matik stehend – der Bühnenmusik zu zig zurück, und Clara spielte dort öfters Byrons „Manfred“, der ein volles Schaf- im Gewandhaus, während das „offiziel- fensjahrzehnt umspannenden „Szenen le“ musikalische Dresden – die Königli- aus Goethes ‚Faust‘“, der nach Vorla- che Kapelle, das Hoftheater – von bei- gen von Tieck und Hebbel gestalteten den wenig Notiz nahm. Doch gab es an- einzigen Oper „Genoveva“. Letztere dererseits reiche Möglichkeiten privater stellt Schumanns wohl ehrgeizigstes Initiative, wie die durch Ferdinand Hiller kompositorisches Vorhaben dar, erzielt ins Leben gerufenen Abonnementskon- aber bei der Leipziger Uraufführung zerte auf der Brühlschen Terrasse und von 1850 nur einen Achtungserfolg. die von Clara Schumann und dem Kon- Mehr Glück hat der Komponist mit so

NC 1 / 10 9 liebenswürdig-„kleinformatigen“ Werken wie dem Klavier- und Liederalbum für die Jugend, während seine anspruchs- vollen Goethe-Vertonungen (Lieder und Requiem für Mignon aus „Wilhelm Mei- ster“) wiederum unbemerkt bleiben – al- lerdings erklingt die Schlussszene aus Goethes „Faust II“ zu den Säkularfeiern des Dichters 1849 in Dresden, Leipzig und Weimar (unter Franz Liszt). Zum Dresdner Freundes- und Bekannten- kreis Schumanns gehört neben bilden- den Künstlern wie Eduard Bendemann, Julius Hübner und Ernst Rietschel, Lite- raten wie Robert Reinick, Berthold Auer- bach und Karl Gutzkow sowie den Mu- sikern Reissiger und Hiller auch Richard Wagner, mit dem Schumann sowohl künstlerischen als auch politischen Mei- nungsaustausch pflegt. Denn der Kom- ponist steht den bürgerlich-liberalen Robert und Clara Schumann - Daguerreotypie 1850 Bestrebungen der Zeit aufgeschlossen gegenüber, verhehlt nicht seine Sympa- Musikdirektor wird. Den Anforderungen thien für den „Völkerfrühling“ von 1848, dieses Amtes, das die Leitung eines gro- seine Enttäuschung über das Fehlschla- ßen Chorvereins und eines Orchesters gen eines demokratischen Umbruchs in sowie die Durchführung von zehn Kon- Deutschland, mag er auch selbst ein Re- zerten und mehreren Kirchenmusiken volutionär mehr auf dem angestammten pro Saison einschließt, ist Schumann Felde der Kunst sein. von Anfang an so wenig gewachsen, dass ihm schon nach halbjährigem Auf- Düsseldorf enthalt „Bedenken wegen längeren Blei- bens in Düsseldorf“ kommen. Dabei ist Wenn Schumann im Herbst 1850 die künstlerische und menschliche Atmo- Dresden und seine sächsische Heimat sphäre dort recht günstig, das bürgerli- für immer verlässt, so ist das weniger che Musikleben hat schöne Traditionen auf allgemeinen Überdruss an den dort wie die Niederrheinischen Musikfeste herrschenden Verhältnissen zurückzu- ausgeprägt, das Komitee des Düsseldor- führen, als auf den Wunsch, sich einen fer Musikvereins ist – mit wenigen Aus- festen öffentlichen Wirkungskreis und nahmen – Schumann wohlgesonnen und gesicherte Einnahmen zu verschaffen. sich, ebenso wie das Konzertpublikum, Beides findet er in Düsseldorf, wo er in der Ehre, ein so berühmtes Künstlerpaar der Nachfolge von Mendelssohn, Julius „sein eigen“ zu nennen, durchaus be- Rietz und Ferdinand Hiller Städtischer wusst. Die sich häufenden, jedoch vom

10 NC 1 / 10 Konzertkomitee meist mit großer Nobles- stimmten Schlussworten so etwas wie se zugunsten Schumanns gelösten Kon- Schumanns Vermächtnis: „Schließt, die flikte rühren hauptsächlich von einem ihr zusammengehört, den Kreis fester, Defizit an kommunikativen Fähigkeiten daß die Wahrheit der Kunst immer kla- und dirigentischer Energie her, das der rer leuchte, überall Freude und Segen Komponist entweder nicht selbst be- verbreitend.“ merkt oder – durch Clara verhängnisvoll Solchen hohen Zielen weiß sich die bestärkt – sich nicht einzugestehen wagt. kompositorische Arbeit Schumanns Die tiefere Ursache liegt in dem sich im- gerade auch in der Düsseldorfer Zeit mer mehr ankündigenden Nervenleiden, mit ihren gravierenden persönlichen dessen Auswirkungen sich von Abspan- Problemen und – nicht zu vergessen nung zu tiefer Depression steigern und – der allgemeinen gesellschaftlichen Schumann im Frühjahr 1854 zu seinem Stagnation nach der gescheiterten Selbstmordversuch treiben. Revolution von 1848/49 mehr denn je verpflichtet, und es gelingt ihm ein er- Schaffen in Vielfalt staunlicher Schaffensaufschwung, be- ginnend bereits in der allerersten Zeit Unabhängig von Schumanns Schei- seines dortigen Aufenthalts mit dem tern im praktischen Musikleben, das Violoncellokonzert und der (der Entste- in der Aufgabe seiner Dirigententätig- hung nach letzten) Es-Dur-Sinfonie, der keit im Oktober 1853 gipfelt (formell „Rheinischen“, deren kühne Architektur bleibt er bis Ende 1854 im Amt und vom symbolbefrachteten Eindruck des wird auch dementsprechend hono- Kölner Doms inspiriert ist. Der Öffent- riert), sind seine Absichten und Ziele lichkeitscharakter, den bereits dieses als Musikorganisator hoch einzuschät- großartige Orchesterwerk atmet, setzt zen, was insbesondere die Förderung sich fort in einer Reihe von Balladen- des zeitgenössischen Musikschaffens, kompositionen für Soli, Chor und Or- aber auch die Propagierung vernach- chester nach Dichtungen von Uhland lässigter Großwerke der Vergangen- und Geibel, aber auch in Konzertouver- heit anlangt. So führt Schumann beide türen nach Schillers „Braut von Messi- Bachsche Passionen, mehrere Händel- na“, Goethes „Hermann und Dorothea“ Oratorien sowie Kirchenmusiken von und Shakespeares „Julius Cäsar“. Auch Beethoven, Cherubini und Haydn auf. schreibt Schumann in Düsseldorf ne- Dem Kontakt mit den Jüngeren, Kom- ben hochwertiger Kammermusik wei- ponisten wie Interpreten, ist er stets tere konzertante Werke für Klavier und zugewandt, so dass er dem Freundes- Violine, von denen das zuletzt entstan- kreis mit Albert Dietrich, Joseph Joach- dene Violinkonzert d-Moll allerdings im und Johannes Brahms mit spürbarer exemplarisch das Schicksal vieler die- Freude präsidiert, erblickt er doch hier ser späten Werke Schumanns verkör- die Fortsetzung eigener Bestrebungen. pert: Es wird von Clara Schumann aus Seine letzte schriftstellerische Arbeit, ängstlicher Sorge, dass man ihm Spu- die Würdigung Brahms’ in dem Aufsatz ren der schweren Erkrankung seines „Neue Bahnen“ ist mit ihren hochge- Schöpfers anmerken könne, ganz von

NC 1 / 10 11 einer Veröffentlichung ausgeschlossen Endenich - aber nicht das Ende! (Publikation und Uraufführung erfolgen erst 1937!). Manch andere Kompositi- In den Jahren 1852/53 stellt Schu- on der Düsseldorfer Zeit verfällt nach mann eine Sammlung seiner früheren Schumanns Tod der Missachtung und musikalischen Aufsätze und eine An- Fehldeutung, denen die musikwissen- thologie literarischer Zeugnisse über schaftliche Forschung und musikali- Musik („Dichtergarten für Musik“, veröf- sche Interpretationspraxis erst in jüng- fentlicht 2007 durch Gerd Nauhaus und ster Zeit zunehmend entgegentreten. Ingrid Bodsch1) zusammen. Ende 1853 Früher weitgehend unbekannte Kom- unternimmt er zusammen mit Clara eine positionen der Schumannschen Spät- Konzertreise nach Holland, die sich zu zeit sind heute durch Aufführungen einem triumphalen Erfolg gestaltet. An- und Klangaufnahmen wieder präsent fang 1854 reisen beide zu einem Be- geworden und finden ihr Publikum. So such bei Joseph Joachim nach Hanno- wird es möglich, beispielsweise die ver. Mitte Februar 1854 verschlechtert subtile Poesie des Märchen-Oratori- sich Schumanns Gesundheitszustand, ums „Der Rose Pilgerfahrt“ zu würdigen treten quälende Gehörshalluzinationen oder den gefassten Ernst der kirchen- auf und versucht er durch einen Sprung musikalischen Schöpfungen von 1851, in den Rhein am 27. Februar Selbst- der Messe und des Requiems. So kann mord zu begehen. Am 4. März wird er man Unterschiede wie Gemeinsamkei- in die Privatheilanstalt des Dr. Richarz ten der drei großen Violinsonaten (de- nach Endenich bei Bonn gebracht, wo ren dritte, Schumanns letztes Kammer- er nach qualvollen Leiden zweieinhalb musikwerk, sogar erst ein Jahrhundert Jahre später, am 29. Juli 1856, stirbt. nach seinem Tode im Druck erschien) Die Zeit in Endenich lag bisher weit- besser verstehen. So lässt sich die er- gehend im Dunkeln, sieht man von we- greifende Schlichtheit der Kulmann- und nigen Äußerungen der Ärzte oder der Maria-Stuart-Gesänge in Beziehung zum Besuch zugelassenen Personen setzen zu Schumanns „aufwendige- ab. Die Wiederauffindung der Kranken- ren“ früheren Liedkompositionen, wird protokolle (1994) und ihre Veröffentli- die unglaubliche poetische Verdichtung chung (2006, durch Bernhard R. Appel) des Klavierwerks „Gesänge der Frühe“ lässt die ganze Schwere des Krank- als eine kühne, zukunftsweisende Visi- heitsbildes, vermutlich einer progres- on deutlich, und vor allem: Erst aus der siven Paralyse, deutlich werden, das umfassenden Kenntnis von Schumanns dennoch mit „geistiger Umnachtung“ Spätwerk wird deutlich, dass sich hier unzutreffend umschrieben wäre, treten weder ein Abstieg noch ein absolu- doch bis in die letzten Lebenstage im- tes Ende abzeichnen, sondern dass mer wieder Bewusstseinszustände auf, Schumanns Weg – im Sinne der Be- versucht der Kranke auch lange Zeit, titelung des Brahms-Aufsatzes „Neue mittels geistiger Beschäftigung wie Bahnen“ – weitergeführt hätte, wäre er Lektüre seiner Depression wie der Mo- nicht durch ein tragisches persönliches 1 Direktorin StadtMuseum Bonn, Mitherausge- Schicksal abrupt beendet worden. berin des Kalenders zum Schumann-Jahr 2010

12 NC 1 / 10 Literatur Jugendbriefe von Robert Schumann. Nach den Originalen herausgegeben von Clara Schumann, Leipzig 1885 u.ö. Robert Schumanns Briefe. Neue Folge, hg. von F. Gustav Jansen, Leipzig 2.Aufl. 1904 Robert Schumann’s Leben. Aus seinen Briefen geschildert von Hermann Erler, 2 Bde., Berlin 1886 Robert Schumann, Gesammelte Schriften über Musik und Musiker, 2 Bde. (Reprint der Erstausgabe von 1854), Leipzig 1985, mit Nachwort von Gerd Nauhaus Dasselbe, vervollständigt und hg. von Martin Kreisig, Leipzig 5.Aufl.1914, 2 Bde. Robert Schumann, Tagebücher (Krit. Gesamtausgabe, enthaltend die Tage- und Haushaltsbücher sowie Ehetagebücher), 3 Bde., hg. von Georg Eismann und Gerd Ehrengrab von Robert und Clara Schumann Nauhaus, Leipzig 1971–1987, Neuauflage Alter Friedhof Bonn Basel/Frankfurt a. M. 1988 Clara und Robert Schumann, Briefwechsel, notonie des äußeren Lebens entgegen- Bd. 1 bis 3, hg. von Eva Weissweiler, zusteuern. Die weitgehend repressi- Basel/Frankfurt a. M. 1984, 1987 und 2001 onsfreie Art der ärztlichen Behandlung (Bd. 4 in Vorbereitung) Wilhelm Joseph von Wasielewski, Robert schließt auch die Isolation des Kranken Schumann. Eine Biographie, Dresden von den nächsten Angehörigen ein, so 1858, 4. Auflage, hg. von Waldemar von dass Clara Schumann ihren Mann erst Wasielewski, Leipzig 1906 in seinen letzten Lebenstagen wieder- Arnfried Edler, Robert Schumann. Sein sieht. Leben und seine Zeit, Laaber 3. Aufl 2008 Robert Schumann, Neue Ausgabe sämtlicher Werke, hg. von der Robert- Endet Schumanns persönliches Schumann-Gesellschaft Düsseldorf d. Akio Schicksal in tiefer Tragik, so wird sei- Mayeda und Klaus Wolfgang Niemöller in Verbindung mit dem Robert-Schumann- nem künstlerischen Schaffen immer Haus Zwickau, Mainz etc. 1990 ff. mehr Interesse und Zuwendung zuteil, Helmut Loos (Hrsg.), Robert Schumann. je tiefer es in seiner aktivierenden, le- Interpretationen seiner Werke, 2 Bände, benssteigernden Kraft erkannt wird. Die Laaber 2005 so kaum wieder erreichte Verbindung Bernhard R. Appel (Hrsg.), Robert Schumann in Endenich 1854-1856: von Poesie und Intellekt, die seine Mu- Krankenakten, Briefzeugnisse und sik charakterisiert, spricht auch heute zeitgenössische Berichte (= Schumann Interpreten wie Zuhörer unvermindert Forschungen Bd. 11), Mainz etc. 2006 an, was anhand von Konzerten, Mu- Ulrich Tadday (Hrsg.), Schumann Handbuch, Stuttgart/Weimar und Kassel sikfesten und -wettbewerben nicht nur 2006 an Schumanns Lebens- und Wirkungs- Ulrich Tadday (Hrsg.), Der späte orten Zwickau, Leipzig, Dresden, Düs- Schumann, Musik-Konzepte Sonderband seldorf und Bonn, sondern in aller Welt (XI/2006), München 2006 deutlich wird. weiterführende Literatur s. S. 67

NC 1 / 10 13 „Wie Schafe, wie Schafe führt er sie!“ Erfahrungen von Chormitgliedern nach dem Händel-Projekt „Israel in Ägypten“ mit Prof. Frieder Bernius zusammengetragen von Udo Kasprowicz

Im Oktober 2009 war Frieder Bernius in Düsseldorf und erarbeitete mit dem Chor des Städt. Musikvereins Händels Oratorium „Israel in Ägypten“. Die Redaktion ging auf Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Projekt zu und bat nach den drei Konzerten um schriftliche Rückmeldungen zur Veröffentlichung in dieser Zeitschrift. Der Schreibimpuls war bewusst sehr offen gehalten und lautete wie folgt: Prof. Bernius hingegen nahm sich fast 3 Wochen Zeit und arbeitete an 5 Tagen Die letzten Wochen vor dem Hän- mit dem Chor allein und an weiteren 6 Ta- delkonzert wurden von allen Be- gen mit Chor und Orchester gemeinsam, teiligten als sehr anstrengend insgesamt etwa 25 Stunden! Die penible empfunden, auch wenn wir dafür Vorbereitung von Frau Rossetto und die im Konzert mit großem Beifall be- frühzeitige Ankündigung seiner Absicht lohnt worden sind. verraten den Perfektionisten, der nicht auf Uns interessiert, welche Erfah- der Grundlage eines bequemen Kompro- rung Sie neben der zeitlichen und misses konzertiert, sondern hohe künst- körperlichen Belastung aus die- lerische Ansprüche stellt. Wie empfanden ser Phase mitgenommen haben. die Mitwirkenden des Musikvereins diese ungewohnte Konzertvorbereitung? Die letzte Woche vor einem Konzert Die Redaktion wollte sich nicht auf läuft immer nach dem gleichen Muster Pausenkommentare verlassen, son- ab, so dass man geradezu von einem dern hat Zettelchen verteilt, um Raum Ritual sprechen kann: in der Klavierpro- für Betrachtungen zwischen 50 und be am Montag lernt der Chor den Diri- 200 Wörtern zu bieten. genten kennen und präsentiert ihm stolz Unsere Mitsängerinnen und -sänger die Früchte wochenlangen Probens. Je reichten uns kleine musikpädagogische nach dem wie intensiv sich der Dirigent Essays zurück. Ihnen allen gemeinsam mit der Chorleiterin abgestimmt hat, er- ist, dass sie die als kollektive Erfahrung füllen sich seine Erwartungen. Viel Zeit, unterstellte Anstrengung der Proben- um Missverständnisse auszuräumen fülle von sich weisen oder wenigstens oder schwerwiegende Auffassungsun- relativieren. terschiede auszugleichen, bleibt nicht So schreibt Doris Stüttgen: „Mit jedem mehr. In den beiden Orchesterproben Probenbeginn waren für mich ‚zeitliche gehört uns der Chef nur halb. Und dann und körperliche Belastungen` verges- wird´s ernst! sen.“

14 NC 1 / 10 Renate Heinzig-Keith und Johannes Eine gewinnbringende `kostenlose Ge- Keith pflichten ihr bei: „Nein, nicht alle sangsschulung.‘ (Stimme aus dem Alt) haben die Vorbereitung und die Kon- „Die Vermittlung von rhetorischem zerte als anstrengend empfunden. Wir Singen, deutlichen Akzentuierungen, a zumindest waren einfach in erhöhter cappella Einstudierungen und bildhaf- Aufnahmebereitschaft.“ Allerdings ge- tem Singen gefiel mir sehr“ (Todt) stehen die beiden zu, dass „der zeitli- Mit „a cappella“ fällt ein Stichwort, che und physische Aufwand für die voll zu dem Christof Wirtz weiter ausholt: berufstätigen Sängerinnen und Sänger „Beachtenswert aber auch lehrreich enorm (war) (…) Vermutlich mussten und „neu“ empfand ich, dass fehler- auch Angehörige besänftigt werden.“ hafte Teile nicht immer wieder mit Kla- Die von beiden besonders gewürdig- vierbegleitung wiederholt, sondern die te engagierte Mitarbeit des Chores ist eigentliche Ursache des Mangels ge- nach Jochen Schink auch ein Verdienst sucht und dem Chor erklärt und nahe von Prof. Bernius: „Angenehm über- gebracht wurde. Für zukünftige Proben rascht war ich dann von seiner Geduld würde ich mir wünschen, dass der Chor und seinen didaktischen Fähigkeiten.“ des Öfteren a cappella singen würde Als ein „Mammutprogramm“ emp- und die einzelnen Stimmen noch viel fand das Konzert auch Ulrich Viehoff. mehr ein Gespür für den Klang zu- und „(Es) war“ - so fährt er fort - „nur zu untereinander entwickeln könnten. ertragen, weil wir sehr viel über Aus- Man läuft Gefahr, sich zu sehr an die druck und Textverständlichkeit gelernt Stütze des Instrumentes (Klavier) zu haben…“ gewöhnen. Dass diese Methode auch Diesen Aspekt betont auch Angelika bei einem Chor mit über 100 Sängern Liedhegener, wenn sie als Erfahrung durchführbar ist, hat uns Herr Prof. Ber- aus den Berniusproben „natürliche Um- nius bei den Proben bewiesen.“ setzung von Sprache im Singen, Beto- Diese Methode, die sich nicht allein nungen und Artikulation“ aufzählt. darin erschöpft, Herrn Kaufmann eine Genau davon waren Christof Wirtz, Pause zu gönnen, beobachtete Jochen eine Altistin1 und Georg Todt fasziniert: Schink genau: „Bernius´ Ansatz, nicht „Er (Bernius) verstand es ausgezeich- nur über betonte/unbetonte Silben zu net während der Chorproben auf die In- gehen, sondern auch über die Vokalfär- tonation, also die Feinabstimmung von bung (hell – dunkel, offen – geschlos- Tonhöhen, Lautstärke und Klangfarbe sen), half dem Chor nicht nur bei der zu achten und dem Chor durch viele Ausdruckskraft, sondern auch bei der praktische Beispiele des Vorsingens Intonation.“ Der Gewinn dieser Pro- das rhetorische Singen nahe zu brin- benarbeit weist seiner Meinung nach gen.“ (Wirtz) weit über das aktuelle Konzert hinaus: „Seine bis ins kleinste gehende Ein- „Wenn man die hier gelernten Dinge studierung war überaus lehrreich in dauerhaft umsetzt, hat man viel ge- puncto Textvermittlung, Phrasierung, lernt!“ Vokalansatz und Ensemblesingen uvm. Ein Satz unserer ungenannten Altistin lässt uns aufhorchen: „Der Erfolg der 1 Name der Red. bekannt

NC 1 / 10 15 Aufführung ist nicht zuletzt der intensi- Dirigenten: „(E)s (war) sicherlich gut, ven und unnachgiebigen Probenarbeit dass der Konzertermin feststand, sonst von Prof Bernius zu verdanken.“ würden wir wahrscheinlich noch heute Waren nicht der Chor und Frau Ros- proben. Das ist das Los der Perfektio- setto überzeugt, sich, von Kleinigkeiten nisten. Im Übrigen verfährt er vermut- abgesehen, aufführungsreif zu präsen- lich nach dem Motto 150% fordern, um tieren? 80% zu bekommen.“ Wenn die Chorleiterin und die Sänger Allen Stellungnahmen ist die große und Sängerinnen nach monatelanger Freude über den Erfolg des Konzertes Probenarbeit hier irrten, stünde unser zu entnehmen, wenngleich die Erfah- Selbstverständnis als semiprofessio- rungen mit Bernius als Dirigent uns vor neller Konzertchor auf dem Spiel. der Aufführung etwas verzagen ließen. Angelika Liedhegener legt den Finger Angelika Liedhegener vermerkt lako- in die Wunde: „In 40jähriger Chorerfah- nisch: „Selbständigkeit wurde gestärkt rung erlebt man in gewisser Weise im- durch mangelnde Einsätze des Diri- mer wieder, dass letztlich offenbar die genten bzw. ungenaue Schlagführung.“ Abstimmung zwischen Chorleitung und Ulrich Viehoff bekennt: „Ich war über ltd. Dirigenten nicht eins zu eins trans- meine eigene Leistung sehr erstaunt, portiert werden. kann. Dieses Erlebnis so dass ich mehr Vertrauen in meine ist mehr oder weniger schmerzlich und Mitarbeit gefunden habe.“ dabei neben den Akteuren auch abhän- Bei allen Unterschieden in der Wahr- gig vom Schwierigkeitsgrad des Wer- nehmung von Einzelheiten waren sich kes bzw. seiner Interpretation.“ alle Beteiligten einig, dass die Konzerte Axel Gülich äußert sich zu dieser für den Chor ein großer Erfolg gewesen Erfahrung frei von jeder Resignation: sind. Einige Male klingt verhalten an, „Nur hätte ich mir gewünscht, dass alle was Doris Stüttgen in die Worte fasst: die Feinheiten, die uns vom Dirigenten „Schade, dass wir nicht erfahren ha- „eingeschliffen“ wurden, bereits vorher ben, mit welchem „Gefühl“ Herr Bernius mit unserer Chorleiterin abgesprochen zurück nach Stuttgart gefahren ist.“ worden wären. Dann hätte es nicht zu Überlassen wir den Keiths und Axel dem Aufwand an Proben (…) kommen Gülich das letzte Wort, dem zumindest müssen (…).Dass wir „geschliffen“ die Redaktion nichts hinzuzufügen hat: wurden, hat dem Konzert und unserer „Nach dem Konzert ist vor dem Kon- Leistung gut getan. Mehr Konzentration zert. Das Tolle ist diese ständige Neu- bei der Probe in den einzelnen Stimm- ausrichtung. Die Erfahrung aus dieser lagen, das vom Dirigenten Vorgegebe- Zeit ist eigentlich keine neue: Aus Liebe ne umzusetzen, hätte sicherlich zu we- zur Musik und um ein gutes Konzerter- niger Anspannung geführt.“ lebnis zu erreichen, auf das man stolz Eine andere Antwort auf die Frage, ob sein kann, sind wir alle bereit zu Ein- wir denn nicht ausreichend vorbereitet schränkungen und Belastungen.“ gewesen sind, geben Renate Hein- Und: zig-Keith und Johannes Keith. Ihrer „Für all das sind wir da und haben uns Meinung nach lag es am Naturell des dazu verpflichtet.“

16 NC 1 / 10 G. F. Händels „Israel in Ägypten“ Eine abschließende Nachlese zu den Aufführungen des Oratoriums am 30.10., 1. und 2.11 2009 in der Tonhallle Düsseldorf von Erich Gelf

Die Themen dieser Nachlese: kenlose Information über die musikhistorischen Fakten, er- 1. In unserer Sonderausgabe zum fordert weitere Ausführungen Händeljahr (Nr. 2a/2009) haben wir zur Rezeption des Oratoriums uns bemüht, unseren Leserinnen „Israel in Ägypten“. und Lesern umfassende Informa- tionen zu dem Oratorium „Israel 2. Chronistenpflicht ist es, von in Ägypten“ von Georg Friedrich den letzten Vorbereitungen des Händel und zu dessen Auffüh- Chores auf das Konzert und rung im 3. Abonnementskonzert über die Aufführungen zu be- der Düsseldorfer Symphoniker richten. zu liefern. Diesem Anspruch wird aber das Gebotene nicht voll ge- Die hier gebotene Nachlese ver- recht. Bei Redaktionsschluss un- sucht beiden Intentionen gerecht serer Zeitschrift Ende Juli 2009 zu werden. war nicht vorherzusehen, dass Auch die direkt am Projekt Be- in dem Konzert eine an Men- teiligten dürften nach der Lektüre delssohns Düsseldorfer Auffüh- noch besser verstehen, warum bis rungsversion von 1833 orientier- zuletzt durch Striche, Textverbes- te Fassung rekonstruiert werden serungen oder Rezitativeinschübe würde. Somit konnten wir auf die um die „richtige“ Fassung für ein zur Aufführung gelangte Version besonderes Konzertereignis im in unserer Veröffentlichung nicht „Händels-sohn-Jahr 2009“ gerun- hinreichend vorbereiten. Die lüc- gen wurde.

1. Weitere musikhistorische Fakten selnden Aufführungsbedingungen an. über die Entstehung und Rezep- Um die Erarbeitung einer gültigen Fas- tion der Händelschen Oratorien, sung ging es ihm dabei nicht. unter besonderer Berücksichti- Dies war im übrigen im 18. Jahrhun- gung von „Israel in Egypt“ dert eine häufig angewendete übliche Bearbeitungspraxis.1 Standen die er- Annäherung an die Urfassung forderlichen Instrumente oder Sänge- Georg Friedrich Händels rinnen und Sänger nicht zur Verfügung, reichten die Fähigkeiten der Instrumen- Die Festlegung auf eine bestimmte Fassung eines Werkes ist bei Händel 1 Zur Entstehung, Uraufführung u. a. siehe: Erich Gelf, „Händel – sohn“ – Ein Beitrag zum oft unmöglich. Händel passte seine Händeljahr - Teil 2: Georg Friedrich Händel’s Kompositionen problemlos den wech- „Israel in Egypt“ in „NeueChorszene“ Nr. 2a/09, Seiten 38 ff.

NC 1 / 10 17 talisten oder Sänger einschließlich der Nummern und begleitet die Solisten bei Chormitglieder für die Schwierigkeiten zwei weiteren Nummern. In den Teilen der Komposition nicht aus oder aber II und III kürzte oder strich er Chöre waren plötzlich andere Instrumente und fügte Arien aus seinen anderen oder bessere Instrumental- und Vokal- Oratoren ein. Dieser Befund ist durch musiker verfügbar, konnte die Partitur die musikwissenschaftliche Forschung insbesondere von dem Komponisten gesichert.3 selbst geändert werden. Die musikali- „Israel in Egypt“ wurde bald nach schen Kompositionen dieser Zeit sind Händels Tod (1759) inhaltlich von sei- keine autonomen Kunstwerke im spä- nem Schüler John Christoph Smith jun. teren klassischen Sinne, die sich durch (dem Sohn seines Sekretärs J. Ch. Unvergleichlichkeit und Originalität aus- Smith sen.) weiter bearbeitet. Er gilt zeichnen.2 Das erklärt im übrigen auch heute als der Urheber der Rezitativ- die unangefochtene Praxis, in neue Einschübe im zweiten Teil.4 Kompositionen Teile älterer Werke aus Bei Einspielungen auf Datenträgern der eigenen Feder oder von anderen wird fast ausschließlich auf die Erstfas- Komponisten einzuarbeiten. sung bei der Uraufführung am 4. April Die ersten Aufführungen seines Ora- 1739 zurückgegriffen. In öffentlichen toriums „Israel in Egypt“ hatte Händel Konzerten werden allerdings sehr häu- für den 4., 11. und 17. April 1739 und fig nur die Teile II und III dargeboten. den 1. April 1740 vorgesehen. Vermut- In unseren Tagen kann das als Tribut lich, weil die Uraufführung am 4. April an die Hörgewohnheiten des Konzert- nicht den erwünschten Erfolg beim publikums gelten, dem man die 40 breiten Publikum hatte, veränderte Minuten Chorgesang des ersten Tei- Händel sein Werk schon für die beiden les, dem ja noch eineinhalb Stunden folgenden Aufführungen. Er kürzte oder Musik der Teile II und III folgen, nicht strich Chöre und fügte für eine mitwir- „zumuten“ möchte. Bis zur endgültigen kende berühmte Sopranistin vier Arien musikwissenschaftlichen Klärung der ein. Die Aufführung am 1. April 1740 Entstehungsgeschichte von „Israel in ist wahrscheinlich wieder in der Ur- Egypt“ gegen Ende des 20. Jahrhun- aufführungsversion musiziert worden. derts stand - wegen eines Irrtums bei Danach blieb das Werk erst einmal in den Druckausgaben seit dem späten der Schublade. Für Aufführungen in 18. Jahrhundert - gedrucktes Auffüh- den Jahren 1756, 1757 und 1758 über- rungsmaterial für Teil I gar nicht zur arbeitete Händel sein Oratorium noch Verfügung.5 einmal. Er verwarf den ursprünglichen, 3 Annette Landgraf, Halle, Dezember 1999, nur aus Chornummern bestehenden al- Vorwort zum Klavierauszug „Israel in Egypt“ bei ten ersten Teil und stellte einen neuen Bärenreiter Teil I mit Sätzen aus drei anderen eige- 4 Thomas Synofzik, in: Nach dem „Originalma- nuskript“? ... in Göttinger Händel-Beiträge XI, nen Werken zusammen. Darin hat der 2006, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, Chor nur noch eine der insgesamt zwölf Seite 56, dort auch Anm. 29 im Folgenden zitiert 2 Hans Joachim Marx, Händels Oratorien, als: Synofzik Oden und Serenaden, S.XXI ff., Vandenhoeck & 5 siehe auch: Erich Gelf, a.a.O. Seite 42 Sp.2 Ruprecht, Göttingen, 1998 Abs.2

18 NC 1 / 10 Die Druckausgaben von Händels 1765 wurde das Oratorium darum fast „Israel in Egypt“ nur noch in einer zweiteiligen Fassung gegeben.9 Der Erstdruck bei W. Ran- Händel ließ zur Uraufführung am 4. dall, London 1771, enthielt nur diese April 1739 nur für die neu komponier- beiden Teile und auch keine Posau- ten Teile II und III aus seinen Kom- nenstimmen. Auch in der später viel positionsaufzeichnungen (Kompositi- verwendeten, in London bei Samuel onspartitur) von Kopisten eine Auffüh- Arnold 1791 gedruckten Partitur fehl- rungspartitur schreiben. Den ersten ten der erste Teil und zum Erstaunen Teil dirigierte er wahrscheinlich aus auch die Posaunen, während sie sich der Partitur des Funeral Anthems. sonst an das „Händelsche Partiturau- Eine Besonderheit besteht zudem in tograph“ (Kompositionspartitur) der der Mitwirkung von drei Posaunen bei Uraufführung hielt.10 Spätere Druck- diesem Oratorium. Händel verwende- ausgaben - z.B. Simrock, Bonn 1826/ te diese Instrumente außer in „Israel Haslinger, Wien nach 1830/ Novel- in Egypt“ nur noch bei seinen Kom- lo, London 1842/ Schlesinger, Berlin positionen „Saul“ und „Samson“, also 1861- übernahmen diese Irrtümer; zwischen 1739 und 1741. In diesem ebenso die von Felix Mendelssohn Zeitraum weilten vermutlich vorüber- Bartholdy 1845 für die Londoner Hän- gehend ausländische Posaunisten in delgesellschaft besorgte Ausgabe des London, während sonst diese Instru- Werkes. Selbst in der alten Leipziger mente nicht zur Verfügung standen.6 7 Händel-Gesamtausgabe von Friedrich Die drei Posaunenstimmen sind nicht Chrysander von 1863 besteht Israel in in die Aufführungspartitur integriert, Ägypten nur aus zwei Teilen. Auf die sondern befinden sich nur im Kompo- dreiteilige Urfassung wird zwar im sitionsexemplar als Anhang.8 Vorwort verwiesen, der originale erste So fanden sich nach seinem Tode Teil wurde aber nicht veröffentlicht.11 in der gut zu lesenden Aufführungs- Damit war eine Aufführungsversion partitur nur die Teile II und III. Die festgeschrieben, die Händel so weder Posaunenstimmen blieben ebenfalls vorgesehen noch je aufgeführt hatte. zunächst unentdeckt, offenbar weil Die Posaunenstimmen werden von niemand sich die Mühe machte, sich Chrysander allerdings 1863 erstmals durch die Kompositionspartitur in der gedruckt, worauf er im Vorwort beson- Handschrift Händels zu quälen. Seit ders hinweist.12 6 Mitgeteilt von Till Reinighaus - ohne Quellen- angabe - im Booklet zu den beiden CDs mit G. F. Händel, Israel in Egypt, unter Leitung von 9 Hans Joachim Marx, Händels Oratorien, Oden Holger Speck, Aufnahme 2008, Carus-Verlag und Serenaden, 1998, Vandenhoeck & Rup- 83.423 recht, Göttingen, Seite 105, Absatz 3 7 Auch bei Hans Joachim Marx, a.a.O, S.XXXI, 10 Synofzik, a. a. O., Seite 251 Fußn. 61 11 G. F. Händel’s Werke, Lieferung XVI, Israel in 8 G. F. Händel’s Werke, Lieferung XVI, Israel in Ägypten. Ausgabe der Deutschen Händelgesell- Ägypten. Ausgabe der Deutschen Händelgesell- schaft, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1863: Vorwort schaft, Breitkopf & Härtel, Leipzig 1863: Vorwort von Friedrich Chrysander, Absatz 1 von Friedrich Chrysander, Absatz 3 12 wie Fußnote 6

NC 1 / 10 19 Die Aufführungsversionen von Händel-Oratorien vor dem Hintergrund Händels „ Israel in Egypt“ im spä- zeitpolitischer Ereignisse verstanden ten 18. und frühen 19. Jahrhundert wurden. Schon bei den Erstaufführun- gen bestand eine innenpolitische Di- In England mension, in der sich das Publikum mit dem bedrängten Volk Israel gleichsetzte Schon zu Lebzeiten Händels wurde und die meist alttestamentlichen Texte seine Musik in England in einer großen auf sich bezog. Im Viktorianischen Zeit- Zahl von Konzerten ohne seine eigene alter steigerte sich die Nationalisierung Beteiligung aufgeführt. Das war ein Er- der Händelschen Musik durch die Nach- gebnis seiner großen Berühmtheit insbe- wirkungen des Puritanismus in evangeli- sondere in London. Mit den Werken an- kalen Strömungen noch. Händels Orato- derer zeitgenössischer Komponisten war rien galten als erhabener Ausdruck einer das durchaus nicht üblich. Die Werke der führenden Nation, deren Wohlstand sich meist in einer festen Stelle angestellten aus der (calvinistischen) Vorstellung er- Zeitgenossen waren für die Bedürfnisse gab, in einem besonderen Bündnis mit der Stelle (z.B. Kantor, Hofkapellmei- Gott zu stehen und das „neu erwählte ster) vorgesehen. Woanders erklangen Volk Israel“ zu sein.14 Mit dem „Messiah“ sie nicht. Und wenn ein Nachfolger kam, und „Israel in Egypt“, die Beginn und Ab- schrieb dieser seine eigene Musik. schluss jeden Händelfestes waren, feier- Der freie Konzertunternehmer Händel te man Händel und sich selbst. In immer verdiente dank königlichen Privilegs an größeren Sälen stieg auch die Zahl der der Verbreitung seines Aufführungsma- Mitwirkenden. terials. Das Vorhandensein dieses Mate- Der zahlenmäßige Höhepunkt dieser rials war eine der Voraussetzungen für kulturellen Überheblichkeit war die musi- die ununterbrochene Fortsetzung von kalische Machtdemonstration des Hän- Händel-Aufführungen nach dem Tode delfestes 1883, bei dem sich 500 Or- des Komponisten. chestermitglieder, 4000 Chorsänger und Nach der 1784 ein Jahr zu früh an- 87769 Briten im Crystal Palace zu Lon- gesetzten Feier zum 100. Geburtstag don versammelten15. Solche monumen- Händels13 wurden große Händelfeste in talen Händelfeste wurden in England England und besonders in London Tra- - allerdings mit unterschiedlich großer dition. Beteiligung - alle drei Jahre bis 1926 ge- Die Händel-Forschung hat herausge- feiert. Es versteht sich von selbst, dass arbeitet, dass die biblischen Texte der bei solchen Gelegenheiten die ursprüng- liche Instrumentation Händels nicht nur 13 Man hatte sich um ein Jahr vertan, weil im Geburtsjahr Händels in England noch der Julia- 14 Heinz Schilling, Nationale Identität und nische Kalender galt, nach dem das Jahr erst Konfession in der europäischen Neuzeit, in: am 25. März begann. Nach dieser Rechnung Nationale und kulturelle Identität, Studien zu war an Händels Geburtstag am 23.2. noch 1684. Entwicklung des kollektiven Bewusstseins Nach dem Gregorianischen Kalender, der in in der Neuzeit, hrsg, von Bernhard Giesen, Deutschland schon galt und der den Jahresbe- Frankfurt/M. 1991, S. 231 ff. ginn auf den 1 Januar festlegt, war an Händels 15 Christian Hogwood, Georg Friedrich Händel, Geburtstag schon 1685. Quelle: wikipedia.org Stuttgart–Weimar 1992 S. 329

20 NC 1 / 10 vergrößert, sondern durch die Hinzunah- „neu einkleidet“. Mozart stellt sich damit me von Instrumenten, die Händel noch als Mittler hinter Händel, wissend, dass gar nicht kannte, erweitert wurde. Händels Instrumentierung zwei Genera- tionen später den Menschen dieser Zeit In Deutschland „zu karg, zu asketisch, ja zu langweilig erschienen wäre“.16 In Deutschland vollzog sich die Händel- Nach dem Tode Mozarts (1791) setzt rezeption nicht unter nationalen, sondern Ignaz von Mosel in Wien die Reihe der unter ästhetischen Vorzeichen. Schon Bearbeitungen von Händel Oratorien bis aus geographischen Gründen nimmt sie in die 1830er-Jahre fort; darunter auch in Norddeutschland ihren Ausgang. Als „Israel in Ägypten“, (das allerdings erst erste Aufführung eines Händel-Oratori- später 1836 aufgeführt wurde). Von Mo- ums in Deutschland wird in Berlin 1766 sel folgt dabei der Arbeitsweise Mozarts das „Alexanderfest“ auch aus Interes- und überträgt Händels Instrumentierung se an englischer Ästhetik und Literatur auf das klassische Orchester mit durch- dargeboten. Weitere Aufführungen des gängigen Klarinetten, Hörnern, Posau- „Alexanderfestes“, des „Judas Makkabä- nen, unter Verzicht auf das Cembalo. Er us“ und des „Messias“ finden in den Jah- „verbessert“ die Libretti durch Streichun- ren bis 1778 in dem sog. Händel-Dreieck gen, Kürzungen und Hinzunahme von Berlin-Braunschweig-Hamburg statt. Nummern aus anderen Oratorien, um Dann wird durch Baron Gottfried van die Werke „publikumswirksamer“ wer- Swieten, der in vielen kulturpolitischen den zu lassen.17 Ähnlich verfuhren an- Ämtern in Wien in der Art eines Kul- dere Zeitgenossen, u. a. C. Ph. E. Bach tusministers tätig war, dort und über in Hamburg, der Thomaskantor J. A. Hil- Wien hinaus die Händel-Rezeption in ler in Berlin, Leipzig und Breslau sowie Deutschland beeinflusst und beschleu- Ernst Wilhelm Wolt in Weimar. nigt fortgesetzt. Baron van Swieten, der als österreichischer Gesandter in Berlin Felix Mendelssohn Bartholdy - ein von 1770-1777 die Oratorien Händels Pionier der Händelrenaissance? kennen lernte, beauftragte W. A. Mozart in den Jahren 1788 und 1789 Oratorien Neue Veröffentlichung zu Men- Händels in seinen Oratorienserien für delssohns Auseinandersetzung geladene adlige Gäste aufzuführen. Mo- mit „Israel in Ägypten“ zart - ein begeisterter Händel-Anhänger - sah seine Aufgabe nicht in der Wieder- Nach Redaktionsschluss unse- herstellung der originalen Aufführungs- rer Sonderausgabe Nr. 2a/2009 praxis, sondern in einer weitgehenden (Ende Juli 2009) ist eine weitere Anpassung der „alten Werke“ an den 16 Helmut Rilling, Interview mit Der Musikverein eigenen Zeitgeschmack. Mozart bear- Monatszeitung, Dezember 2002, www.musik- beitete „Acis und Galathea“, „Messias“, verein.at „Alexanderfest“ und „Ode auf den St. 17 Christine Blanken, Franz Schuberts „Laza- rus“ und die Wiener Oratorien zu Beginn des Cäcilientag“, indem er die Werke mit sei- 19.Jahrhunderts, Steiner Verlag, Stuttgart 2002, nem kompositorischen Instrumentarium Abschnitt D - Händel-„Renaissance“ 3. Mosels Händel-Bearbeitungen, Seite 56

NC 1 / 10 21 wichtige Veröffentlichung über die sens erstmals in einer periodischen Zeit- Mendelssohn’schen Aufführungen von schrift. Händels „Israel in Ägypten“ ab 1833 in Düsseldorf, Leipzig und Berlin erschie- Wer gab 1833 den Ausschlag zur nen. Ab September 2009 war auf dem Aufführung von Israel in Ägypten in allgemeinen Markt eine beim Label cpo Düsseldorf? erschienene und vom WDR produzierte Aufnahme „Georg Friedrich Händel, Is- Anfang Dezember 1831 kam Felix rael in Ägypten, Version 1833 by Felix Mendelssohn Bartholdy im Verlaufe sei- Mendelssohn Bartholdy“ auf zwei CDs ner Bildungsreisen von 1829 bis 1832 erhältlich.18 Hierbei handelt sich um eine nach Düsseldorf. Hier verhandelte er Live-Aufnahme vom 26. September 2001 mit dem Dramatiker und Operndirektor bei den Festlichen Tagen Alter Musik in Karl Immermann über ein Opernlibretto Knechtsteden. Ausführende sind, neben nach Shakespeares „Sturm“. Danach den sechs Solistinnen und Solisten, die erlebte der junge Komponist in Paris Rheinische Kantorei und Das Kleine Kon- und vor allem in London große Erfolge. zert unter der Leitung von Hermann Max. In der Tradition, erfolgreiche Musiker Der Kassette ist ein Begleitheft mit einem auf dem inzwischen renommierten Nie- kenntnisreichen Text beigefügt, der durch derrheinischen Musikfest vorzustellen, Hinzunahme bisher nicht ausgewerteter gab das Festkomitee am 7. März 1833 Quellen insbesondere aus den Bestän- bekannt, die 15. Folge werde vom 26. den Düsseldorfer Archive eine neue Be- bis 27. Mai 1833 unter der Leitung Men- urteilung von Mendelssohns Auseinan- delssohns in Düsseldorf stattfinden und dersetzungen mit dem Oratorium „Israel nicht, wie im Vorjahr in Köln geplant , in in Ägypten“ erforderlich macht. Der Autor . Auch gemäß der Tradition soll- des Begleitheftes, Dr. Thomas Synofzik, te am ersten Tage wie immer ein größe- Zwickau, hatte die Rekonstruktion der res Oratorium aufgeführt werden. Ganz „Düsseldorfer Fassung 1833“ von Israel eindeutig hatte das Festkomitee dafür in Ägypten durch Hermann Max in des- Händels „Israel in Ägypten“ vorgese- sen Auftrag und im Auftrag des Förder- hen, da es diese Werkauswahl Men- vereins des Festivals durch Forschungen delssohn schon in seinem ersten Brief wissenschaftlich begleitet. mit dem Leitungsangebot vorgab.20 Seine Erkenntnisse sind in die Gestal- An dieser Auswahl war Mendelssohn tung der Aufführungsversion in Knecht- entgegen anderer Behauptungen also steden eingeflossen. Wissenschaftlich nicht beteiligt. Nach späteren Verhand- ausgearbeitet wurden sie in seinem Auf- lungen wurde allerdings auf Wunsch satz ‚Nach dem „Originalmanuscript“? Mendelssohns statt der 4. Sympho- Felix Mendelssohns Düsseldorfer Auffüh- nie die 6. Symphonie von Beethoven rungen von Händels Israel in Egypt‘.19 Im Folgenden veröffentlichen wir die 20 Briefentwurf im Düsseldorfer Stadtarchiv, XX 104, 1833, Brieftext auch bei M. Hill, Chronik neuen Erkenntnisse über Mendelssohns des Städt. Musikvereins zu Düsseldorf, im Fol- Arbeit an Israel in Ägypten unseres Wis- genden jeweils als Chronik zitiert www.musik- 18 cpo 777 222 – 2 verein-duessldorf.de Link zu Der Chor / Link zu 19 Synofzik a.a.O Lebenslauf/Chronik / dort Suchmaschine

22 NC 1 / 10 auf das Programm des zweiten Tages in Deutschland nur in Berlin aufgeführt gesetzt. (Wegen des großen Erfolges worden sei. Auch dies ist ein Irrtum. Am von Israel in Ägypten wurde ein drit- 9. März 1833 unterrichtete der Bonner ter Festtag angehängt, bei dem Teile Musikwissenschaftsprofessor und Uni- des Oratoriums wiederholt und andere versitätsmusikdirektor Karl Breidenstein Solo-Arien dargeboten wurden.) das Komitee, dass das Oratorium 1826 oder 1827 schon in Frankfurt am Main, Welches Aufführungsmaterial wurde vermutlich allerdings nur in Klavierbe- bei der Düsseldorfer Aufführung am gleitung, von Mendelssohns anderem 26. Mai 1833 benutzt? Mentor Johann Nepomuk Schelble „mit großem Beifall“ aufgeführt worden Eine große Schwierigkeit für die war.22 Breidenstein selbst hatte im Jah- Aufführungen von Händels Werken re 1826 Chorstimmen und Klavieraus- bestand zu jener Zeit darin, dass in zug bei Simrock in Bonn veröffentlicht Deutschland kein gedrucktes Auffüh- und Karl Friedrich Zelter gewidmet.23 rungsmaterial, ja nicht einmal eine ge- Auch die Textübersetzung stammte von druckte Partitur vorlag. Dieser Umstand Breidenstein. Mendelssohn kannte die- herrschte auch bei dem Oratorium Isra- sen Klavierauszug. Vergleiche aus den el in Ägypten. Das Festkomitee wusste, Programmheften ergaben, dass Men- dass die Berliner Singakademie unter delssohn für die Texte in allen seinen der Leitung von Mendelssohns Mentor Aufführungen von Israel in Ägypten die Carl Friedrich Zelter am 8. Dezember Übersetzungen Karl Breidensteins von 1831 Israel in Ägypten aufgeführt hatte. 1826 benutzte.24 Darum bat es Mendelssohn, der Ehren- Zelter benutzte für seine Berliner mitglied der Singakademie war, eben- Aufführung 1831 eine im Mozartschen falls in demselben Brief, in dem es ihm Geiste ausgeführte Bearbeitung mit die Leitung des Festivals antrug, um Arieneinschüben aus anderen Hän- Vermittlung bei der Singakademie, für delkompositionen von J.O.H. Schaum, Düsseldorf die Partitur und die Orche- einem Mitglied der Berliner Singaka- sterstimmen leihweise zur Verfügung demie. Aus Zeitungsberichten über die zu stellen. Mendelssohn nahm das En- Berliner Aufführung von 1831 geht her- gagement an. Wegen des Aufführungs- vor, dass Schaum bei der Instrumentie- materials verhandelte er erfolgreich rung näher am Händelschen Original mit der Singakademie, erbat sich aber blieb, als Ignaz von Mosel.25 Ein Re- noch ein Schreiben des Komitees für zensent urteilt über die Textfassung, sie die Vorsteherschaft mit der Angabe der sei „treu und gewissenhaft, wenn auch Ausleihedauer.21 nicht überall poetisch schön“.26 Das Komitee schrieb in seiner Ein- 22 Brief im Düsseldorf Stadtarchiv XX 103 ladung an die Nachbarstädte, dass 23 K.Breidenstein Hrsg.,G. F. Händel, Israel in das ausgewählte Oratorium bis jetzt Ägypten, N. Simrock, Bonn/Cöln 1826 - British Library Music Collections E.146.bb 21 Brieftext in Chronik / DerText widerlegt die 24 Synofzig, a.a.O. Seite 250 Auffassung von Synofzik, Mendelssohn habe 25 Thomas Synofzik, Beiheft zur CD-Kassette die Verhandlungen dem Komitee überlassen: cpo 777 222 - 2 im Folgenden ziitiert als: Beiheft Synofzik, a.a.O. Seite 250 26 Synofzik, a.a.O. Seite 250

NC 1 / 10 23 Aus einem noch in anderer Beziehung Eine solche Partitur mit handschrift- denkwürdigen Brief Mendelssohns aus lichen Eintragungen und handschriftli- London an den Vorsitzenden des Fest- chen Einlagen befindet sich heute (mit komitees, Ferdinand von Woringen, vom anderen Teilen des Nachlasses Men- 30. April 183327 geht unmissverständ- delssohns) in der Bodleian Library in lich hervor, dass er mit der Partitur von Oxford. Sie trägt auf der Seite 1 den Ver- Schaum gearbeitet hat. Das gesamte merk Mendelsohns „bezeichnet zur Auf- Aufführungsmaterial, das laut Bestands- führung in der Pauliner Kirche zu Leip- verzeichnis der Berliner Singakademie zig, 7. Nov. 1836“, einige Einlegeblätter aus der Partitur und 36 einzelnen Orche- waren aber eindeutig für die Aufführung sterstimmen bestand28, war nach Düssel- von 1833 in Düsseldorf bestimmt. Es dorf gesandt worden. Aus dem Vergleich handelt sich dabei um zusätzliche Blä- der Kopiatur-Rechnungen zum Düssel- serbegleitstimmen, zusätzliche Rezitati- dorfer Musikfest 183329 mit der im Pro- ve und eine zusätzliche Arie. grammheft überlieferten Orchesterbeset- Dies alles schließt die Annahme in ei- zung kann man schließen, dass die Ber- nigen Veröffentlichungen der Sekundär- liner Orchesterstimmen vielleicht nicht literatur, der Düsseldorfer Aufführung in jedem Falle direkt verwendet wurden. habe die Bearbeitung von Ignaz von Wegen der Kürze der Zeit konnte Men- Mosel zu Grund gelegen, definitiv aus. delssohn selbst keine Orchesterstimmen für die Düsseldorfer Aufführungsversion Mendelssohns Bemühungen um mehr schreiben. So werden die Schaum- eine Aufführung „nach dem schen Stimmen als Vorlagen für die Ko- Originalmanuskript“31 pisten gedient haben und Grundlage der Düsseldorfer Aufführung gewesen sein. In der Sekundärliteratur und vor allem Das Düsseldorfer Festkomitee be- in den Chroniken zu verschiedenen Ju- mühte sich auch um den Besitz der ein- biläen des Städtischen Musikvereins zigen gedruckten Partiturausgabe des zu Düsseldorf, des Veranstalters der Oratoriums, die bei Samuel Arnold in Düsseldorfer Musikfeste, wird mitge- London im Jahre 1791 erschienen war. teilt, Israel in Ägypten sei am 26. Mai Es fand sie schließlich bei dem Ham- 1833 „nach dem Originalmanuskript“ burger Musikalienhändler Cranz, der aufgeführt worden. Diese Behauptung am 16.3.1833 aus Hamburg schrieb, er hat folgende Geschichte: habe durch Zufall eine solche Partitur Mendelssohn reiste nach seinen er- aus einer Privatsammlung erstanden.30 sten Besprechungen mit dem Festko- Als Mendelssohn vom 18. bis 20. April mitee in der Zeit vom 18. bis 20. April zu vorbereitenden Gesprächen in Düs- 1833 in Düsseldorf zu Konzertverpflich- seldorf war, dürfte ihm diese Partitur tungen nach London. In dem oben ausgehändigt worden sein. schon zitierten Brief vom 30. April 1833 27 Abdruck des Briefes in der Chronik an den Vorsitzenden des Festkomitees 28 Synofzik a.a.O. Seite 255 schrieb er folgendes: 29 Düsseldorfer Stadtarchiv XX 103 31 Soweit nichts anders vermerkt, wurden die 30 Brief von Cranz im Düsseldorfer Stadtarchiv Fakten in diesem Abschnitt der Arbeit Synofzik XX 103 entnommen

24 NC 1 / 10 „Es hat sich hier nämlich ein Textbuch ten für die ersten Aufführungen 1739 zu Israel in Ägypten gefunden, das un- wie für die Wiederholungen 1756 und ter Händel selbst gebraucht worden ist; 1757 als Bestandteil der von King Geor- da stehn eine Menge fehlender Stücke ge III. angesammelten King’s Library im drin, und bei weiterer Nachsuchung hat Britischen Museum in London. Keines sich auch seine Partitur in der Bibliothek davon enthält zusätzliche Rezitative. des Königs Georg III. gefunden, die Auch die Behauptung, in einer aufge- eine Menge fehlender Stücke enthält. fundenen, zu dem Textbuch passenden Diese habe ich mir verschafft und we- Partitur Händels wären „eine Menge nigstens die Recitative, die nur mit Bäs- fehlender Stücke“ gibt Rätsel auf. sen begleitet sind, können und müssen Außer in seinem Brief vom 30. April wir mitmachen, denn sie erklären erst muss Mendelssohn noch weitere Ein- das Ganze und sind aus mir unbegreif- zelheiten über seinen „Fund“ in London lichen Gründen in der gedruckten Par- mitgeteilt haben. Ein Bericht der Düs- titur ausgelassen. Auch wunderschöne seldorfer Zeitung vom 21. Mai 1833 Arien in Menge sind drin, wenn also die zum bevorstehenden Musikfest führt Arie und e-moll aus dem Psalm noch auf eine andere Spur. Dort wurde ge- nicht ausgeschrieben ist, so lassen Sie schrieben: „Sir Smart fand unter alten es auch nicht geschehen. Ich schicke Textbüchern aus der Zeit Händels ei- Ihnen diese Partitur mit der Schaum- nes, welches bei der Aufführung des schen zurück, lege auch gleich eine „Israel“ unter des großen Komponisten Übersetzung bei, die ich hier machen eigener Leitung gedient hatte. In die- lasse.“ sem Textbuche standen viele, in der zu Mendelssohns Verdienst ist sein Be- London im Druck erschienenen Partitur mühen um „historisches“ Aufführungs- des Oratoriums nicht enthaltene Stüc- material. Er steht damit am Beginn der ke. Bei den hierdurch veranlassten „historisierenden Musikpraxis“, wenn er Nachforschungen ward endlich jenes die vorhandenen Editionen mit Original- Manuscript ermittelt, worin im ersten quellen vergleichen will. Sein Bericht Theile sich viele Arien und Recitative, aus London bietet zwar die Grundlage ein großer Chor als Einleitung des Gan- für die Behauptungen, es sei nach dem zen und Recitative zwischen den übri- Originalmanuskript musiziert worden. ge Chören befinden. ... Leider hat die Er ist aber bei näherer Untersuchung Kürze der Zeit es nicht gestattet, den leider kein Beweis dafür, dass Mendels- ausgezeichneten Fund ganz zu nutzen. sohn selbst Originalquellen eingesehen ... Nur die wichtigsten Recitative und hat; auch nicht dafür, dass nach einem Arien waren noch einzulegen.“32 von Mendelssohn entdeckten „Original- Sir George Smart war als Komponist manuskript“ musiziert wurde. und Dirigent eine Zentrale Figur des Welches „Textbuch“ Mendelssohn tat- Londoner Musiklebens. Schon 1829 sächlich vorfand, konnte bis heute nicht geklärt werden. 32 Julius Alf, Geschichte und Bedeutung der Schon 1833 (und noch heute) befan- Niederrheinischen Musikfeste in der ersten Hälf- te des neunzehnten Jahrhunderts, Düsseldorf den sich die Libretti von Israel in Ägyp- 1987, S. 164

NC 1 / 10 25 hatte Mendelssohn bei seinem ersten Handel Collection beim The Foundling Londoner Aufenthalt dessen Bekannt- Museum in London besitzt diese Parti- schaft gemacht und seine Protektion tur. Es ist ebenfalls ein Druckexemplar genossen.33 1836 leitete Smart die von Samuel Arnold in London aus dem englische Erstaufführung von Paulus in Jahre 1791. In dieses hatte Smart be- Liverpool. Smart galt als Händel-Autori- reits 1815 handschriftliche Nachträge tät. Mendelssohn fragte ihn um Rat für vorgenommen. Diese Nachträge, eine seine Händel-Aufführungen. Arie und sechs Rezitative, sind in die Eine mögliche Auflösung des Rät- Düsseldorfer Aufführungsversion über- sels, das uns Mendelssohn in seinem nommen worden. Die Vorlage für Smart Briefe aufgibt, wäre, dass er nicht von wiederum dürfte ein Aufführungspar- eigenen, sondern von den „Quellenfor- titur von John Christopher Smith jun. schungen“ Smarts berichtet. Möglicher- gewesen sein, der wenige Jahre nach weises hatte Smart das „Textbuch zu Händels Tod - in der Zeit ab etwa 1764 Israel in Ägypten“ schon vor längerer - als dessen Nachlassverwalter Hän- Zeit „gefunden“ und daraufhin „weite- dels Oratorien aufführte und dabei zum re Nachsuchungen“ angestellt, schon besseren Verständnis der Handlung bevor Mendelssohn ihn, den Exper- die Rezitative in die Komposition ein- ten, nach den Originalquellen befragte. schob. Smart kann bei seinen „Nachsuchun- So wäre nach der Ergänzung des gen“ nicht bis zu den Uraufführungs- Mendelssohn-Berichtes vom 30. April partituren von Israel in Ägypten vorge- 1833 durch den Zeitungstext festzu- drungen sein, denn auch die enthalten stellen: Mendelssohn ist bei seiner Mit- keine zusätzlichen Rezitative. teilung, das Textbuch sei „von Händel Die in Oxford und in Düsseldorf über- selbst gebraucht worden“ einem Irrtum lieferten Aufführungsmaterialien von oder einer Täuschung Smarts zum Op- 1833 lassen erkennen, dass Mendels- fer gefallen. Aber auch die Chronisten sohn die zusätzlich aufgenommenen irrten, wenn sie berichten, es sei nach Nummern nicht einer originalen Hän- dem Originalmanuskript musiziert wor- delpartitur entnahm, sondern aus einer den. Mendelssohn schreibt: „Ich schic- Partitur von Sir George Smart. Dieser ke Ihnen diese Partitur mit der Schaum- Sachverhalt wird auch in der Vorre- schen (Partitur/Die Red.) ...“ Man kann de zu einem Klavierauszug von Julius sich schlecht vorstellen, dass das Briti- Stern, Berlin 1861, ganz unmissver- sche Museum eine Händelsche Origi- ständlich mitgeteilt.34 Die Gerald Coke nalpartitur zum Versand nach Deutsch- land herausgegeben hat. Mendelssohn 33 Dr. Lieselotte Sauer-Kaulbach, wird die Smartsche Partitur geschickt www.mendelssohnpark-koblenz.de haben. Dass sich Dirigenten und Kom- 34 Israel in Egypten, Oratorium von Händel. Vollständiger Clavier-Auszug mit Text nach der ponisten untereinander Aufführungs- Dirigir-Partitur Felix Mendelssohn-Bartholdy’s material ausliehen, war üblich. unter Hinzufügung der in dessen Nachlasse auf- gefundenen Zusätze (...) bearbeitet von Julius Stern, Eigenthum der Schlesiger’schen Buch- u. Musik-Handlung (Rob.Lienan), Berlin, Linden 34 – Ohne Jahrgangsaufdruck / aus Internet- Recherche

26 NC 1 / 10 Die Verwendung der Orgel bei den die Orgel durch zugefügte Blasinstru- Händelaufführungen Mendelssohns mente zu ersetzen.“ Bei den in Köln unter der Leitung In Düsseldorf kam es also am 26. Mai Mendelsohn stattfindenden Niederr- 1833 nicht zu einer Aufführung nach einer heinischen Musikfesten von 1835 und von Händel gebrauchten Originalpartitur. 1838 wurde dem Wunsche Mendels- Wegen der besonderen Aufführungsum- sohns nach dem Händelschen Original- stände war eine Aufführung „nach der klang weitgehend Rechnung getragen. Originalpartitur“ - und wenn auch nur Hier wurden „Solomon“ und „Josua“ nach der Arnoldschen Druckfassung - mit der ausdrücklichen Ankündigung überhaupt nicht darzustellen, im Programm „nach der Originalpartitur An dem Aufführungsort der Festkon- mit der Orgelbegleitung von Felix Men- zerte, dem Beckerschen Gartensaal am delssohn-Bartholdy“ aufgeführt. (Ein Flinger Steinweg war keine Orgel vorhan- solcher oder ähnlicher Hinweis findet den. In dem „Brettersaal“ war auch die sich in den Programmheften und Be- vorübergehende Installation einer Orgel kanntmachungen in Düsseldorf 1833 unmöglich. So musste die Orgelstimme und 1842 übrigens nirgendwo.) Für die gegen Mendelssohns eigentliche Inten- Aufführung des „Solomon“ wurde ei- tion notgedrungen auf die vorhandenen gens eine Orgel aus St. Kunibert in den Blasinstrumente übertragen werden. Gürzenichsaal transportiert. Dass Mendelssohn die Neu-Instru- Auch bei den Aufführungen von Israel mentierung anstelle der Orgel nur un- in Ägypten am 7. November 1836 in der ter dem Zwang der Verhältnisse wähl- Leipziger Paulinerkirche und 1844 in te und nicht für eine dem klassischen Berlin, bei denen Orgeln zur Verfügung Klang geschuldete Verbesserung der standen, verzichtete Mendelssohn auf Instrumentation Händels hielt, geht zusätzliche Blasinstrumente. In einer aus einem Schreiben vom 26. März Rezension zu der Leipziger Auffüh- 183635 an von Woringen bei den Vor- rung von 1836 wird berichtet: „Die In- bereitungen zu dem 18. Musikfest (mit strumentierung ist in diesem Werke so der Uraufführung des „Paulus“ am er- sorgfältig gearbeitet, dass jeder neuere sten Tag!) eindeutig hervor. Er schreibt: Zusatz für überflüssig zu halten wäre. „Der Psalm von Händel (Oh, preist den Die Instrumente sind, außer dem Sai- Herrn / Red.) bedarf allerdings notwen- tenquartett, 2 Hoboen, 2 Fagotte, Trom- dig der verstärkten Instrumentierung, peten Pauken und Orgel und bieten zur wenn es nicht möglich ist, in den Saal Abwechslung hinreichend Stoff.“36 Da- eine Orgel zu bringen, wie voriges Jahr mit war Mendelssohn auf dem Weg zu- in Köln. Dies ist allerdings die würdig- rück zur Instrumentation Händels. ste oder einzig rechte Art den Händel Wie ernst ihm der Weg zur Quelle aufzuführen. Geht es aber nicht, wie ich war, beweist auch, dass er keine Po- fast fürchte, so werde ich versuchen, saunen einsetzte. Selbst in den Düs- 35 Julius Alf, Über Mendelssohns Wirken im seldorfer Aufführungen erklangen die Rheinland, in: 150 Jahre Städtischer Musik- verein Düsseldorf (Festschrift), Eigenverlag, 36 Neue Zeitschrift für Musik 5-41: 18.11.1836, Düsseldorf 1968 Seite 62 Seite 164

NC 1 / 10 27 Posaunen seltener als in Händels Ori- Kürzungen und Umstellungen am ginal. Er verfällt damit allerdings wie- Libretto bei der Aufführung vom 26. der einem Irrtum beim Druck nach der Mai 1833 Aufführungspartitur, die, wie oben aus- geführt, die Posaunenstimmen nicht Aber auch in anderer Hinsicht mus- enthielt. Selbst als Mendelssohn bei ste sich die Düsseldorfer Aufführungs- der von ihm betreuten Ausgabe von version an praktischen Gesichtspunk- Israel in Egypt 1845 für die englische ten orientieren. Händel-Gesellschaft von dem Komitee Während der langen Tradition des gedrängt wurde, die offensichtlich feh- Musikfestes seit 1818 war die Zahl lenden Posaunenstimmen zu rekon- der Mitwirkenden Instrumentalisten struieren, lehnte er das strikt ab. und Chormitglieder stetig gestiegen. Die Rekonstruktion der Orgelstimme, 1833 betrug die Gesamtzahl 419 Mit- die bei Händel häufig aus der Partitur ge- wirkende: 134 im Orchester und 275 spielt wurde, führte er für diese Edition im Chor. Nicht nur der Chor bestand aus. aus Laien, sondern auch der größte Die Bezeichnung „Orgelstimme“, ist Teil des Orchesters; bezahlt waren an sich irreführend. Dazu erklärt Men- nur einige Bläser. Diese sogenannten delssohn in einem Brief an den Verleger Dilettanten versammelten sich in Düs- Simrock folgendes: „Ich hatte mir ge- seldorf seit dem 21. April zu sieben dacht, ich würde dann zu dem Zwecke Streicherproben. In den an dem Mu- die Orgelstimme machen. Die müsste sikfest beteiligten Städten gab es zu- aber mit kleinen Noten oder mit Noten vor für die Chorsängerinnen und -sän- von einer anderen Farbe in der Partitur ger Einzelproben. Für die Fähigkeiten stehen, so dass man 1) den ganzen pu- dieses Klangkörpers stellte Händels ren Händel hätte, wenn man wollte,37 2) Israel in Ägypten eine große, vielleicht meine Orgelstimme dabei, wenn man zu große Herausforderung dar. wollte und eine Orgel hätte und 3) in ei- Jedenfalls führte Ferdinand von nem Anhang etwa die Orgelstimme für Woringen in seiner Ansprache zum Clarinetten, Fagotten und andere Blas- Musikfest folgendes an: „Über die instrumente des jetzigen Orchesters ar- Anordnung, in welcher das Oratorium rangirt, in Ermangelung einer Orgel.“38 hier zur Aufführung kommt, über die Synofzik arbeitet anhand der schon Gründe, welche die Weglassung eini- anderweitig früher gesichteten hand- ger Chöre und das Einschieben von schriftlichen Quellen und des von ihm Solostücken veranlassten, bedürfen neu hinzugenommenen Archivmaterials wir näherer Angabe nicht. Die Ab- genau heraus, in welcher Aufführung sicht, das große Werk in möglichster von Israel in Ägypten unter der Leitung Vollkommenheit darzustellen und die Mendelssohns die Orgel erklang und Ausführung nicht unter der Anstren- welche Stücke sie begleitete. gung leiden zu lassen, welche für den 37 (mit dem Orgelspiel aus der Partitur) Chor erfordert wird, mag sich selber 39 38 Felix Mendelssohn Bartholdy, Briefe an deut- rechtfertigen“. sche Verleger, Hrsg. Rudolf Elvers, Berlin 1968 Seite 219 ff. 39 Beiheft, Seite 12

28 NC 1 / 10 Das erhaltene Programmheft von Die Händel-Ausgabe von Friedrich 1833 zeigt die Kürzungen, die in Lon- Chrysander und ihre Fortsetzung in don entdeckten Einschübe und den der Hallischen Händel-Ausgabe (HHA) Austausch eines Sopran-Duettes („Der Herr ist mein Heil und mein Zwischen 1858 und 1901 gab Fried- Lied“) gegen ein Alt/Bass-Duett („Die rich Chrysander, anfangs im Verlag Himmel sind Dein“). Breitkopf & Härtel (Bände 1-18), spä- In einem Brief „nach Hause“ von ter auf eigene Rechnung mit einer in Abraham Mendelssohn, dem Vater seinem Gartenhaus in Bergedorf bei von Felix, berichtet dieser von einem Hamburg eingerichteten kleinen Druc- Zwischenapplaus bei einem Duett kerei unter schwierigsten finanziellen zweier Sopransolistinnen. Das kann Bedingungen, eine fast vollständige nur das Duett „Der Herr ist mein Heil Edition der Werke Händels in 96 Bän- und mein Lied“ gewesen sein. Offen- den und 6 Supplementen heraus. Er sichtlich hat Mendelssohn nach der gründete mit Gottfried Gervinius 1856 Drucklegung noch eine Änderung die Deutsche Händel-Gesellschaft, die vorgenommen. Der Nachfolger von als Herausgeber der Ausgabe fungie- Mendelssohn, Julius Rietz, bemerkt ren sollte. Die Gesellschaft löste sich in einem Schreiben an Mendelssohn aber nach vier Jahren wieder auf. Die- vom 7. Februar 1842, dass in der Auf- se Edition war eine außergewöhnliche, führungspartitur von 1833 das Bass- gigantische Leistung. Duett „Der Herr ist der starke Held“ Chrysander ist der Begründer der gestrichen sei. Wahrscheinlich wurde modernen, wissenschaftlichen Hän- diese Nummer am 26. Mai weggelas- delforschung. Er reiste regelmäßig sen und nicht das erwähnte Sopran- nach London um in der Royal Music Duett.40 Collection im Buckingham Palace Hän- Bei den Chornummern verzichtete dels Autographe zu studieren. Er kauf- Mendelssohn vor allem auf fugierte te auch wertvolle Händel-Autograpen Sätze, die den Chor überfordert ha- aus Privatsammlungen, die er jedoch ben könnten. Im ersten Teil strich er später zur Regelung seiner finanziel- gleich vier Chöre: len Verhältnisse an die Stadt Hamburg „Sie wollten nicht trinken“, „Froh sah übertragen musste. Ägypten“, „Und Israel schaute das Seine editorische Arbeit bedeutete Werk“ und „Und sie glaubten an Gott“. das Ende der Bearbeitungen und berei- Auch im zweiten Teil entfielen die bei- teten den Weg zu historisch informier- den Fugen „Und ich will ihn preisen“ ten Aufführungen vor. Alle namhaften und „Du sandtest Deinen Zorn“.41 (Bei deutschen Musikverlage brachten auf der Aufführung 1842 variierten die dieser Grundlage Werke von Händel Kürzungen etwas.) heraus. Nachdem in den späten 1930er Jah- 40 Beiheft Seiten 12/13 ren Bemühungen Halles zur Profi- 41 Synofzik, .a.O. Seite 259 / Die Textanfänge lierung als Händel-Stadt einsetzten, sind zitiert nach der Bärenreiter-Ausgabe von schloss die Stadt Halle 1943 mit dem 1999

NC 1 / 10 29 Bärenreiter-Verlag einen Vertrag über Cello und Kontrabass, wenn eine Orgel eine Neuedition. 1955 wurde die Ge- zur Verfügung stand. (In Israel in Ägyp- org-Friedrich-Händel-Gesellschaft e.V., ten gibt es in der Uraufführungspartitur die zunächst in Zusammenarbeit zwi- in Teil II und Teil III je zwei (Original-) schen dem Deutschen Verlag für Musik, Rezitative.)42 Händel hat gelegentlich Leipzig, und dem Kasseler Bärenreiter- Rezitative nicht mit Noten ausgesetzt, Verlag - nach der Wende und der Priva- weil diese nach der Übung seiner Zeit tisierung des DVfM mit dem Bärenrei- selbstverständlich auch von Orgel oder ter-Verlag allein -, die Hallische Händel- Cembalo frei begleitet werden konnten. Ausgabe (HHA) herausgibt. 2023 soll Mendelssohn und seine Zeitgenossen die Ausgabe, die wegen ihrer unüber- hielten den Einsatz von meist zwei Celli troffen sorgfältigen wissenschaftlichen und einem Kontrabass für die historisch Vorarbeit und der mustergültigen, pra- korrekte Begleitung. Ein Korrespondent xistauglichen Druckausgaben als unbe- der Allgemeinen Musikalischen Zeitung strittene Autorität in Sachen Händel gilt, beschreibt diese Version und verurteilt abgeschlossen sein. das „leidige Geklimper des Clavicym- bels zur linken Seite des Dirigenten“; Beurteilung der Aufführung am 26. auf eine Orgelbegleitung der Rezitative Mai 1833 in Düsseldorf innerhalb geht er überhaupt nicht ein.43 der Händel-Rezeption Neben Mendelsohns ad hoc Auffüh- rungsversion von Israel in Ägypten Die Aufführung von Händels Oratori- stehen die bewussten Bearbeitungen um „Israel in Ägypten“ am 26. Mai 1833 Händelscher Oratorien. Bei diesen Be- in der Version von Felix Mendelssohn arbeitungen gibt es zwei Qualitäten: Bartholdy war eine Momentaufnahme zum Einen die Bearbeitungen Mozarts in der Rezeption dieses Werkes. für die Konzerte van Swietens in Wien Sie kam unter musikhistorischen Irrtü- und zum Anderen solche Bearbeitun- mern und unter den aufführungs-prak- gen der „alten“ Werke nach der Pra- tischen, unveränderbaren Bedingungen xis des frühen 19. Jahrhunderts den des 18. Niederrheinischen Musikfestes, „Kapellmeistern“ vor Ort (z.B. Hiller, welches in diesem Jahre in Düsseldorf Schaum, von Mosel) für ihre aktuellen stattfand, zustande. Im Vorstehenden ist Aufführungen. diese Beurteilung hinreichend belegt. Die Mozart-Version des Messias ist Möglicherweise hätte Mendelssohn in unserer Zeit relativ oft zu hören. Ei- unter anderen Bedingungen eine dem nesteils ist es Geschmacksache, ob die Händelschen Original nähere Version heutigen Hörer das originale Klangbild gewählt. Seine späteren Aufführungen nach den Regeln des Kontrapunktes dieses Werkes gehen in diese Rich- oder den klassischen Harmonieklang tung. Allerdings zeigt er sich auch hier als eine Gestalt des Übergangs auf dem 42 Diese Teile wurden als Teil I und Teil II auf- geführt. Wege zu mehr historischer Treue. Bei 43 Heinrich Dorn, Original oder Bearbeitung, den Rezitativen wählte Mendelssohn in: Allgemeine Musikalische Zeitung XLVI33 auch dann eine Begleitung allein mit 14.8.1844, Sp. 548 / nach Synofzik a.a.O. Seite 258

30 NC 1 / 10 Mozarts „schöner“ finden. Andererseits sik wie in Knechtsteden 2001 dem kun- ist es auch sicherlich die Prominenz digen Hörerkreis einmal diese Version Mozarts, die die Veranstalter veranlas- von Israel in Ägypten vorzustellen. sen, seine Bearbeitung des Messias auf Insbesondere machte es Sinn, im das Programm zu setzen. Kenner des Händel- und Mendelssohn-Jubiläums- Originalklangs in englischer (Original-)- jahr 2009 am „Ort des Geschehens“ Sprache werden von Mozarts souverä- und mit den „Nachfolgeensembles“ der ner Anwendung des kompositorischen Düsseldorfer Erstaufführung von 1833 Instrumentariums auf Händels Werk diese Version zu rekonstruieren und ebenso überrascht wie vom Klangbild, sie einem größeren Hörerkreis in den das sich daraus entfaltet. Möglicher- Abonnements-Konzerten der Tonhalle weise erleben sie „ihren“ Messias wie zu präsentieren: Es war ein festliches ein neues Stück, auf jeden Fall farbi- Erlebnis für das Publikum ... und für die ger, vielleicht sogar interessanter. Mu- Ausführenden. sikhistorisch gibt die Mozart-Version in künstlerisch hervorragender Form ein Beispiel für die Händel-Rezeption in der Zeit Mozarts. Auch das kann ein Grund sein, dem Publikum diese Versi- on anzubieten. Die Kapellmeister-Bearbeitungen können getrost vernachlässigt werden. Als historisches Hörerlebnis der zeitbe- dingten Händeldarbietung können sie bei Jubiläen des Bearbeiters oder am Ort ihrer Erstaufführung als „Event“ in- teressant sein. Der Komponist und Dirigent Felix 2. Berichte zur Aufführung von Mendelssohn Bartholdy ist über die Händels „Israel in Ägypten“ in Zeiten hinweg viel bekannter geblie- der Aufführungsversion des Jah- ben als seine genannten Kollegen, die res 1833 von Felix Mendelssohn auch Werke Händels bearbeiteten. Es Bartholdy am 30.10., 1. und 2.11. besteht sicher auch Einigkeit, dass sei- 2009 in der Tonhalle Düsseldorf ne Werke deshalb überdauert haben, weil sie von ungleich höherer Qualität Vorab ist festzuhalten, dass der Gast- sind. Seine in vielen Teilen von anderen dirigent Frieder Bernius der gesam- Bearbeitern stammende Düsseldorfer ten Veranstaltung dieser Konzerte ein Aufführungsversion des Händel-Orato- künstlerisches Gepräge von höchster riums Israel in Ägypten aus dem Jahre interpretatorischer Verantwortung auf 1833 ist eigentlich aber auch nur aus hohem Ausführungsniveau gegeben musikhistorischen Gründen als Hörbei- hat. Als profunder Händel-Kenner und spiel interessant. So war es sicher an- ausgewiesene Mendelssohn-Interpret gebracht, auf einem Festival Alter Mu- war er die „Ideal-Besetzung“ für das

NC 1 / 10 31 Vorhaben, Mendelsohns Version des che durchgeprobt, ab Anfang August Händel-Oratoriums Israel in Ägypten hätte dann der „Feinschliff“ erfolgen vom 26. Mai 1833 in dieser Jubiläums- sollen. Da kam zur Wiederaufnahme veranstaltung zu rekonstruieren. der Probenarbeit die Mitteilung, das Werk sei in deutscher Sprache einzu- Die Probenarbeit mit dem Chor studieren, da die Mendelssohnversion des Städtischen Musikvereins rekonstruiert werde. In Etappen bis zur Aufführungswoche wurde dann mit- Professor Frieder Bernius hatte sich geteilt, dass insgesamt sechs (schon bei seinem Engagement ausbedungen, einstudierte) Chornummern entfallen, mehr als die üblicherweise einem Gast- weil Mendelssohn sie 1833 wegen der dirigenten zugestandenen Proben mit Schwierigkeiten mit dem Chor gestri- Orchester und Chor zur Verfügung zu chen hatte. Diese späten Mitteilungen haben. Für den Chor ergaben sich vier hatten unter den Chormitgliedern „kei- zusätzliche Proben mit dem Chor allein ne gute Presse“. (insgesamt somit fünf Proben) und drei In den Proben machte Frieder Berni- Zusatzproben mit dem Orchester (ins- us seine in einem Interview ausgespro- gesamt also auch fünf Proben, außer chene „Drohung“, er werde bei Gastdi- der Generalprobe). rigaten den Chor so umbiegen, dass er Auf Anfrage der Chorleitung hatte „seine Sprache“ spricht, in jeder Bezie- Frieder Bernius Anfang des Jahres mit- hung wahr.44 Der Chor konnte die Töne. geteilt, die Teile II und III der Urauffüh- Bernius probte höflich, aber unerbittlich rungsversion vom 4. April 1739 sollten in Tempo, Dynamik, Sprache und Intonati- englischer Sprache in der Fassung der on des gesamten immer noch sehr um- Bärenreiter-Ausgabe von 1999 gesun- fangreichen Chorpensums. Er tat dies gen werden. Auf Nachfrage nach der mit den Methoden, die er bei den klei- nicht ganz eindeutigen Ankündigung im nen Ensembles, mit denen er üblicher- Programmbuch der Tonhalle für die Sai- weise arbeitet, anwendet, um seinen son 2009/2010 „Israel in Egypt „(in Felix an dem Originalklang-Ideal der Kom- Mendelssohn Bartholdys Aufführungs- position orientierten, unverwechselbar version von 1833)“ blieb es zunächst bei prsönlichen Chorklang zu erreichen. dieser ersten Auskunft. Nach und nach Der Chor hatte seit langem kein Werk schien aber der Mendelssohn-Interpret der „alten“ Musik mehr aufgeführt. So Bernius bei den weiteren Vorbereitun- war diese Arbeitsweise (z. B. Betonung gen auf seine Aufgabe in Düsseldorf und Dynamik nach der Sprachmelodie Gefallen daran gefunden zu haben, im eines Satzes, a-capella Passagen, In- Doppeljubiläumsjahr am Ort des Ge- tonationsübung ohne Klavier) für Sän- schehens die Mendelssohn-Fassung gerinnen und Sänger teisl neu, teils ge- des Niederrheinischen Musikfestes wöhnungsbedürftig. Das war auch für 1833 zu rekonstruieren. Bernius nicht einfach. Dennoch wurde Der Chor hatte den vollständigen Original-Händel vor der Sommerpause 44 Stuttgarter Nachrichten 17.7.2008 anlässlich einmal insgesamt in englischer Spra- des 40. Geburtstages des Stuttgarter Kammer- chors

32 NC 1 / 10 die Arbeit diszipliniert und willig durch- ten, ergab sich eine besseres Hören geführt. Im großen Saal mit dem Or- der Klangkörper und Stimmgruppen chester wurde es etwas leichter. Letzt- untereinander und miteinander. Die endlich konnte die Probenphase erfolg- Maßnahme erwies sich für die ange- reich abgeschlossen werden. Für den strebte Präzision des Zusammenspiels Chor hatte die Arbeit mit Bernius den als außerordentlich hilfreich. Ingesamt Charakter eines Workshops, bei dem ergab sich daraus auch ein präsente- die Teilnehmer viele neue und nachhal- rer Chorklang und ein geschlossenerer tige Erfahrungen sammeln konnten. Gesamtklang. Bernius Dirigat ist frei von unnötiger Die Aufführungen Selbstdarstellung und kapellmeisterli- chem Gehabe. Er verlässt sich auf seine Mitgliedern unserer Redaktion gab präzise Probenarbeit und entwickelt sei- Frieder Bernius bereitwillig Gelegenheit ne Hilfen für die Ausführenden aus den zum fachlichen Gespräch. Dabei erläu- von ihm gehörten musikalischen Abläu- terte er, dass er bei der Mendelssohn- fen. Im Blick auf den Chor hält der Autor Fassung an soviel Händel wie möglich seine gestenreiche Zuwendung für hilf- festhalten wolle. Er strebe auch keine reicher, als fordernde metronomische „museale Aufführungsversion“ an und Einsätze mit dem Taktstock, die den werde bei der Rekonstruktion der Fas- musikalischen Fluss einengen können. sung von 1833 nicht „päpstlicher als Die Aufmerksamkeit des Publikums der Papst“ vorgehen. während der Aufführungen war außer- So setzte er im Orchester die Orgel ordentlich präsent. Es wurde entgegen ein, obwohl diese 1833 umstände- häufigen anderen Beobachtungen in halber nicht zur Verfügung stand, von den kurzen Unterbrechungen zwischen Mendelssohn aber eigentlich für erfor- den einzelnen Nummern nicht gehü- derlich gehalten wurde. stelt! Der Applaus war dankbar und an- Die Tempi wählte er eher nach Hän- haltend. del-Art, jedenfalls flotter, als man es Die Kritiker der drei führenden Düssel- von Mendelssohn mit seinen Dilettan- dorfer Tageszeitungen waren uneins. ten 1833 bei allem Respekt annehmen Sie beurteilten die Leistung von durch- möchte. gängig gut, über mittelmäßig anerken- Für eine gute Abstimmung unter den nenswert bis zu einem Fast-Verriss. Stimmgruppen und zwischen Orche- In vielen Gesprächen mit den ver- ster und Chor benutzt er den Begriff schiedensten Hörerinnen und Hörern vom Miteinander als Ensemble. Um wurde vermittelt, dass der Konzertbe- dies besser zu gewährleisten, holte er such ein unvergessliches Erlebnis war den Chor von seinem angestammten und bleiben wird. Podiumsplatz hoch hinter dem Orche- Übereinstimmend wurden die positive ster und weit weg vom Dirigenten her- Veränderung des Chorklanges durch unter auf das Orchesterpodium. Hier, die Art der Aufstellung sowie die Präzi- direkt hinter dem Orchester, vor der ho- sion der schnellen Fugen und die sau- hen Holzwand und näher am Dirigen- bere Intonation gelobt.

NC 1 / 10 33 Den Damen und Herren des Düsseldorfer Musikvereins Ein Schlusswort zum Händelprojekt 2009 von Prof. Frieder Bernius

Einzigartig und unwiederholbar war es in jeder Hinsicht. Denn 1833 wollte Mendelssohn ein unbekanntes Werk eines kaum bekannten Komponisten vorstellen. Wie dieses Werk in der Vor- stellung seines Tonschöpfers geklun- gen haben könnte, scheint ihn dabei nicht interessiert zu haben. Unbeirrt hat er die Mittel seiner Zeit eingesetzt: große Chor- und Orchesterbesetzung sowie Neuinstrumentationen in zeitge- nössischem Klangbild. Vorangestellt hat er eine stilistisch divergierende, ei- gene Ouvertüre. 2009 haben wir eine gänzlich andere Situation: uns interessieren heute mehr die klanglichen Ausgangsbedingungen für eine Komposition. Seit über 25 Jah- ren gibt es in Deutschland Dirigenten, für die barocke Werke nur auf dem In- strumentarium dieser Zeit und mit Sän- Stuttgart, 27.12.09 gern und Musikern ausführbar sind, die sich vorwiegend bis ausschließlich mit Sehr geehrte Damen und Herren, dieser Stilrichtung befassen und sich ausgiebig über ihre angemessene In- die „Erfahrungen von Chormitglie- terpretation informiert haben. Dieses dern...“ und die „Abschließende Nach- Klangergebnis ist durchsichtig, schließt lese...“ 1 mit der ausführlichen Rück- aber auch Monumentalität nicht aus. Es schau auf unser gemeinsames, drei braucht die Reduzierung des Vibratos Wochen dauerndes Projekt reizt mich und hat dadurch ein aufmerksameres zu einigen abschließenden Bemerkun- Ohr für die Reinheit des Klanges. Die gen. Impulse dazu habe ich einige er- ihn erzeugenden Instrumente und ihre halten: Fragen aus Ihrer Mitte, was ich Bögen sind kleiner und leichter (noch danach gefühlt habe oder auch die Ver- zu Mendelssohns Zeit waren sie das suche Ihrer Stadtpresse, etwas Erhel- eher als heute!) und ihre Spieler hatten lendes zu diesem einzigartigen Projekt noch nicht Richard Strauß oder Rach- beizutragen…. maninoff im Ohr, als sie sich den Wer- ken ihrer Zeit näherten. Einen gewichti- 1 Anm. d. R.: beide Texte - s.S. 14 bzw. 17 - gen Impuls für die deutsche Szene ha- lagen Herrn Bernius vorab vor 34 NC 1 / 10 ben in erster Linie Musiker aus Ländern abdingliche Voraussetzung für barocke gegeben, die weniger von einer großen Werke - ausgiebig zu üben. romantischen Tradition bestimmt sind: Ersteres, die a cappella-Probenar- aus Belgien, Holland oder England. beit, ist mir erwartungsgemäß nicht Eine besondere Rolle hat dabei auch leicht gefallen. Aber beide Seiten ha- der im Vorfeld und in der Nachbespre- ben nicht nachgelassen oder es auf- chung (sic!) erwähnte Kollege John gegeben, wofür ich sehr dankbar bin. Eliot Gardiner gespielt von dessen Auf- Dass barock-rhetorisches Singen nicht führung des „Israel in Egypt“ mit seinen von heute auf morgen allen gelingen Ensembles in Stuttgart 1985 ich tief be- kann, ist eine Binsenweisheit. Dennoch eindruckt war. ist vielen Zuhörern eine erfolgreiche So lagen die Dinge, als mich 2008 Annäherung nicht verborgen geblie- Michael Becker nach einer Übernahme ben. Ebenso habe ich versucht mein der Rekonstruktion von Mendelssohns gesangstechnisches „Credo“, von dem Düsseldorfer Aufführung von Händels ich seit über 40 Jahren überzeugt bin, „Israel in Ägypten“ gebeten hat. Auf- nahe zu bringen: Dass man genau- grund der geschilderten Vorausset- so, wie man vor einer erfolgreichen zungen ist es vielleicht verständlich, Fahrprüfung die Fahrschule besuchen dass ich dieses Projekt nur zögerlich muss, man auch beim Singen intensiv zusagen konnte, zumal es sehr lange technisch instruiert werden muss, um gedauert hat, bis ich wirklich informiert den Meisterwerken gerecht werden zu war über die damaligen Aufführungsbe- können, unabhängig davon, von wel- dingungen (Werksprache, Besetzung, cher Besetzungsstärke man umgeben zusätzliche Instrumentation, tatsächlich ist. Schön wäre es gewesen, wenn die gespielte Nummer etc.). Hier habe ich 20% der Sängerinnen und Sänger, die dem Kollegen Hermann Max sehr zu nach unserer Zusammenarbeit Vorbe- danken, der diese Version 2001 einge- halte angemeldet haben, diese spezi- spielt hat. Und ich möchte noch einmal fiert hätten. Und wenn der Düsseldorfer betonen, dass ich die dadurch verzö- Chefkritiker mich zum „Reinheitsapo- gerte Information an den Musikverein stel der historischen Aufführungspraxis“ über die Aufführungsbedingungen und ernannt hat, sollten sie sich davon nicht die hierbei verursachten Umstände verführen lassen, mich in eine Exoten- sehr bedaure. ecke zu stecken - internationale Kon- Zugesagt habe ich nur unter den Be- kurrenzfähigkeit bedarf allerhöchster dingungen, dass ich - im Gegensatz zur Ansprüche, auch gesangtechnischer! üblichen Gastdirigentenpraxis - sehr Symphonieorchester in Deutschland ausführlich mit dem Musikverein pro- haben nur noch höchst selten Barock- ben konnte und dass eine bestimmte musik im Repertoire. Auch ist durch Probenanzahl mit den Symphonikern eine internationale Zusammensetzung ermöglicht wurde, die es mir erlauben ihrer Spieler die Affinität zur (westeu- sollte, sowohl des barocke Spiel als ropäischen) Barockmusik sehr hete- auch die Koordination zwischen Mu- rogen. So konnte ich von Anfang an, sikverein und Symphonikern - eine un- obwohl ich seit 25 Jahren ein eigenes

NC 1 / 10 35 Barockorchester leite, ein gemeinsa- mes stilistisches Verständnis nur sehr schwer erreichen (gewiss hat die große Mendelssohn-Besetzung einiges er- schwert). Das war auch darin zu spü- ren, dass von Anfang an ihr Interesse überwiegte, die angesetzten Proben zu verringern. Meine Auffassung barocker Vokalmu- sik setzt zuerst auf ein gemeinsames Verstehen ihrer sprachlichen und aus- drucksmäßigen Zusammenhänge. Ihre zumeist polyphone Struktur lässt sich nicht im Stile eines großen „Zampano“ dirigieren. In allen Proben geht es mir mehr darum, aufeinander zu hören und zusammenzuarbeiten als sich nur vom großen Zampano abhängig zu machen nen zum Beispiel falsche oder zu viele (lustig war, dass Teile der Presse die metrische Betonungen – gerade in der nähere Platzierung des Musikvereins Barockmusik – verursachen. Im Laufe der an die Symphoniker nicht in diesem Konzerte habe ich mich davon zu be- Sinn verstanden haben). Auch ist es freien versucht, was - gegenüber dem mir sehr schwer gefallen, drei Konzer- 2. Konzert - dem dritten einen versöhn- te hintereinander ohne eine Korrek- lichen Abschluss gebracht hat. Mit die- tur- und Verständigungsprobe durch- ser Erkenntnis bin ich von Düsseldorf zuführen. Ohne damit einverstanden weggefahren (um damit auch eine ent- zu sein, dass bei einer Aufführung von sprechende Frage zu beantworten). Ich Barockmusik genau dieselbe Funktion habe gewiss auch von diesen Erfah- eines Dirigenten wie bei einem Verdi- rungen profitiert. Ich hoffe andererseits Requiem oder einer Bruckner-Sympho- sehr, dass es mir gelungen ist, für mei- nie erwartet wird, habe ich dennoch in ne Überzeugung wie barocke Vokalmu- den drei Aufführungen unterschiedliche sik aufzuführen ist, zu werben. Dirigierarten versucht, um die allgemei- nen Erwartungen an den Dirigenten Ich wünsche Ihnen für Ihre Zukunft mit meiner Vorstellung von Barock- alles Gute und bin musik in Einklang zu bringen. Das hat mit der landläufigen Vorstellung von mit den besten Grüssen einem „Chordirigat“ (worauf ein Jour- nalist glaubte hinweisen zu müssen) nichts zu tun. Aber das Dirigieren fällt je schwerer, desto weniger das klangli- che Ergebnis mit meinen inneren Hör- Frieder Bernius vorstellungen übereinstimmt. Das kön-

36 NC 1 / 10 Editha Hackspiel: Ein Portrait aus dem Leben der Düsseldorfer Künstlerin von Georg Lauer

Ihre Landschaftsradierungen hängen Schaffen versammelt: Musikerbilder! in vielen Düsseldorfer und Meerbu- Frau Hackspiel war in den letzten scher Wohnstuben, auch in Tokio und Jahren besonders oft in der Tonhalle Yokohama sind sie gern gesehen: vie- anzutreffen. Wir konnten sie dabei be- le Düsseldorfbesucher nehmen ihre obachten, wie ihre Portraitzeichnun- Bilder als Andenken mit in ihre Hei- gen auf ihrem großen Zeichenblock mat. Ende November - pünktlich vor Gestalt annehmen während die Düs- Weihnachten - erschien Editha Hack- seldorfer Symphoniker proben; auch spiels jüngster Bildband: Unter der Dirigenten, Solisten und Chorgrup- Überschrift „Aus Liebe zur Musik“ hat pen hat sie festgehalten. Wir waren sie darin eine ganz besondere Spezi- neugierig genug, sie in ihrem Meer- es von Bildern aus ihrem schon über buscher Atelier zu besuchen, wo das 60 Jahre währenden künstlerischen folgende Portrait entstand.

Die Wunderkammer nen wir den Geburtsjahrgang der zugehö- rigen agilen alten (?) Dame und sind über- Zum verabredeten Termin stehen wir an rascht von dem Schwung, mit dem sie uns einem Samstagnachmittag vor der Haustür über den kurzen Flur in ihr „Allerheiligstes“ eines schlichten 60er-Jahre-Bungalows im befördert. In der Mitte des Raumes, der sich Meerbuscher Ortsteil Büderich. Auf unser uns auftut, fällt uns als erstes die Staffelei Klingelzeichen öffnet sich rasch die Tür und ins Auge, die ein uns bekanntes typisches eine freundliche Stimme heißt uns herzlich Musiker-Bildmotiv trägt. Aber da ist noch willkommen. Vorbereitet wie wir sind ken- viel mehr, was uns einnimmt: Eine Vitri- ne mit Kostbarkeiten aus Glas, ein Bord mit zahllosen großen und kleinen Puppen, ein opulenter Ausruhses- sel, ein Kratzbaum für Katze Lea, und an den Wänden Bilder, Bilder, Bilder… Frau Hackspiels Wir- kungsstätte ist eine Mi- schung aus Atelier und Kuriositätenkabinett, ist Arbeits- und Wohnzim- mer zugleich. Von hier aus hat sie über eine

NC 1 / 10 37 kurze Außentreppe auch direkten Zu- gang zur Terrasse und zum etwas tiefer gelegenen selbst angelegten, gepfleg- ten und geliebten Blumengarten. In der Luft liegt ein wohlig duften- der Hauch von Kaffee, der ahnen lässt, dass diese Wunderkammer an ihrem anderen Ende einen direk- ten Zugang zur Küche hat, die, wie wir später erfahren, auch als Labor genutzt wird. Auf dem Wege dahin gibt das gut gefüllte CD-Regal dar- über Auskunft, dass die Musik nicht nur in der Tonhalle einen bedeu- Erfolg, was auch eine Rolle spielt. Und, was tenden Platz im Leben von Editha auch ein ganz wichtiger Teil meines Lebens Hackspiel einnimmt. Hier also wohnt, ist, das ist die Musik! arbeitet und lebt die „Grand Dame“ der detailreichen klein- und großformatigen NC: Sie haben in Düsseldorf mitten im Bilder. Krieg Abitur gemacht … Sie holt den Kaffee aus der Küche und bit- E.H.: … ja, Ostern 1943, und drei tet ihre Besucher, Platz zu nehmen. Wir set- Tage später war ich im Reichsarbeits- zen uns also an den Arbeits- und Esstisch, dienst irgendwo im Bergischen Land bedanken uns für die Einladung und begin- auf einem Bauernhof; meine Eltern nen das Plauderstündchen ganz ungeniert waren froh, dass ich weg war aus dem damit, dass die veröffentlichte Künstlervita Bombenhagel und zu essen hatte! als Geburtsort Düsseldorf nennt und das Geburtsjahr mit 1925 preisgibt. NC: Hatten Sie Ihr Talent schon während Folgen wir Editha Hackspiels (E.H.) der Schulzeit entdeckt? Ausführungen nachstehend zumeist im E.H.: Ich vielleicht nicht, aber mein Kunst- Wortlaut: erzieher! Er war derjenige, der meinen Va- ter zu sich bat und sagte, schicken sie ihre Die Wurzeln Tochter zur Kunstakademie! Der eigentliche Auslöser war, dass meine Eltern es auch E.H.: Ja, den Jahrgang sieht man mir gefördert haben. nicht an! Und da bin ich auch ein bisschen Wenn ich etwas weiter zurückgreife, glücklich drüber, aber es ist ein Drahtseilakt. dann ist es so: Mein Ur-Ur-Großvater - Wenn ich meine Altersgenossen in meinem Jahrgang 1813(!) - war Kapellmeister. Freundeskreis sehe, der ja immer kleiner Ich kann mir gut vorstellen, dass er an wird, da ist kaum noch einer, der seine Ge- dem ein oder anderen Niederreihnischen sundheit mit meiner vergleichen kann: ich Musikfest - vielleicht sogar unter Felix habe Glück gehabt! Und ich habe einen Mendelssohn Bartholdy! - mitgewirkt wunderbaren Beruf, den ich bis heute aus- hat. Mein Urgroßvater war Schlagzeu- übe, das sehen Sie ja! Dazu habe ich auch ger bei den Düsseldorfer Symphonikern

38 NC 1 / 10 Die Initialzündung

In dieser Zeit war ich einmal im Schloss Benrath in einem Konzert des Düsseldorfer Jugendorchesters, das leitete Gerd Heid- ger, der damals Student der Kölner Musik- hochschule war. Mit dem bin ich heute noch befreundet! Die spielten Mozart, und beim Klavierkonzert saß Heidger selbst am Flü- gel und dirigierte von da das Orchester. Das gab insgesamt ein so schönes Bild ab, dass ich dachte, das müsstest du mal zeichnen. Da hab ich also den Pianisten gefragt, ob ich mal zu den Proben kommen dürfte. Der sagte sofort: „Das kannst Du machen!“ Die probten in den Gebäuden des Schwann- verlags, und da ging ich samstags von der Kunstakademie rüber - wir haben früher auch samstags gearbeitet! - aber das war Editha Hackspiel: GMD Heinrich nur einmal in der Woche. Das hat mir so Hollreiser Bleistift 1947 viel Freude gemacht, dass es mir schnell zu wenig war. und mein Großvater war Militärmusiker. Da also fängt die Musik an. Auch meine Die frühe Periode beiden Eltern waren hochmusikalisch, sie spielten hervorragend Klavier. Meine Ge- Und dann gingen meine Gedanken wei- schwister und ich hatten auch Klavierun- ter: da sitzen doch noch mehr Musiker in terreicht, aber ich hab nie die richtigen Ta- Düsseldorf! An der Oper war damals z. B. sten finden können. Später, als Studentin, der junge Generalmusikdirektor Heinrich habe ich es noch einmal versucht, aber es Hollreiser. Den habe ich umgehend ange- fiel mir zu schwer, es zu erlernen, obwohl sprochen und der war sofort einverstanden: ich es wollte. ja ich könnte kommen! Ich war also nun Studentin auf der Kunst- Das war also meine erste Phase „Zeich- akademie, und da wurden wir gedrillt im nen mit Musik“! Im renovierten Opernhaus Portraitzeichnen. Jeden Montag standen bin ich sehr sehr oft gewesen und durfte unten die Modelle, das waren die Altstadt- zwischen den Musikern im Orchestergra- bewohner, die sich ihren Lebensunterhalt ben sitzen und meine ersten Zeichnungen mit Modellsitzen in der Kunstakademie ver- machen. Das ging dann so bis 1950. In dem dienten, die holten wir uns. Die saßen dann Jahr habe ich geheiratet, was ein erster gro- eine Woche still auf dem Podium, und wir ßer Schnitt in meinem Leben war: Familie, durften Portraits malen. Dann kam der Pro- Kindererziehung, Hausbau und so weiter, fessor und korrigierte uns, und dann kam da habe ich weder Zeit noch Ruhe zum Ma- der Zufall. len gehabt - man braucht Ruhe dazu!

NC 1 / 10 39 Die mittlere Periode ter unterrichtete – ich hatte damals nämlich einen Lehrauftrag in Kunsterziehung am NC: Wann stellte sich diese Malruhe Mataré-Gymnasium…. denn wieder ein? Herr Dieckmann guckte sich meine Bilder E.H.: Nicht so bald, aber ich knüpfte wich- an, und meine erste Tonhallenausstellung tige Kontakte in der Zeit, in der ich z. B. im war beschlossene Sache. Stadtrat von Meerbusch war und mich im Das weckte dann wieder die unbedingte Kulturausschuss engagierte. Da lernte ich Lust, Musiker bei ihrer Probenarbeit zu be- dann die Leiterin der Meerbuscher Musik- obachten und zu zeichnen. Das war für den schule Ingrid Kuntze kennen. Die nahm damals amtierenden jungen GMD Bernhard mich mit, wenn ihre Musikschulkinder eine Klee kein Problem. Der hat die Sache sehr ganze Woche in Leck oder Tiengen Mu- gefördert und gesagt „Sie können kommen, sik machten, da war ich von morgens bis wann Sie wollen“! abends dabei und zeichnete. Das war so In den 80iger Jahren entstanden zahlrei- Mitte der 70iger Jahre. In dieser Zeit ent- che Musikerportraits, von den Dirigenten standen etliche Radierungen, die ich in der Klee und Shallon über Orchestermitglieder Serie „Jugend musiziert“ vorstellte. - Geiger, Pauker oder Harfenistinnen - bis 1978 wurde dann die renovierte Tonhal- hin zu einzelnen Solisten wie Peter Schreier le eingeweiht, und ein Bekannter, der auch und Edith Mathis oder die Geschwister La- schon mal beim Musikverein mitsang, wus- beque an zwei Klavieren. ste, dass man für den sog. VIP-Raum hinter Diese fruchtbare Zeit ging eines Tages dem grünen Gewölbe Bilder suchte, die zur abrupt zu Ende, als der neue Intendant Dr. Musik passen sollten. Da fielen mir meine Peter Gierth kam.1 Da war von heut‘ auf alten Bilder ein, die ich damals in der Holl- morgen Schluss mit Zeichnen in der Tonhal- reiserzeit gezeichnet, aber nie ausgestellt le, und dann habe ich dieses Thema total hatte. Mein Bekannter stellte als nächstes abgebrochen. Es hat mich hart getroffen, den Kontakt zum damaligen Düsseldorfer aber ich hatte noch genug andere Motive zu Kulturdezernent Bernd Dieckmann her, der Wahl. Ich war nicht arbeitslos, und es ent- auch in Büderich wohnt und mich besuchte. standen die Düsseldorfer und Meerbuscher Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich Stadtansichten. zunächst mal heraus, dass ich seine Toch- Die neue Periode

Erst als dann Herr Klee vor zwei drei Jahren mal wieder zu einem Gastdirigat in der Tonhalle war, der mich ja kannte, habe ich mich wieder bei Frau van Hazebrouck gemeldet, die gar kein Problem mit meinen 1 Anm. d. R.: Es ist derselbe Peter Gierth, der am 17. Januar 1983 als damaliger Intendant der Berliner Philharmoniker der von Karajan auserwählten Klarinettistin Sabine Meyer gegen den Willen des Orchesters einen Vertrag für ein Probejahr gab.

40 NC 1 / 10 Probenbesuchen hatte, und auch ihr Nach- nachdem, wer wo sitzt, muss ich mir dann folger Herr Becker meinte: „Sie gehören was Neues überlegen. Ich bin ja kein Fo- doch zum Inventar!“ Irgendwie stimmt das tograf, ich nutze dann meine künstlerische ja auch, weil ich im VIP-Raum ja immer wie- Freiheit und schachtele z. B. meine Motive der meine neuesten Bilder ausstellen durf- und so entstehen Bilder, wie die Musiker te! Zur Zeit gibt es da leider ein Problem mit gar nicht gesessen haben. der Raumnutzung… Da habe ich also wieder angefangen und NC: Und trotzdem, es sind doch immer richtig Lust bekommen. wieder die gleichen Personen und Instru- Eigentlicher Auslöser war aber, dass es mente, denen sie begegnen. Wie bleibt das vor vier Jahren einen neuerlichen großen für Sie spannend? Einschnitt in meinem Leben gab, als mein E.H.: Im Gegensatz zum sturen Modell Mann starb. Da musste ich mein Leben auf der Akademie habe ich hier viel mehr, neu organisieren: früher war ich ein halber was mich interessiert: ich habe Portrait, Mensch, jetzt gehört die gesamte Zeit mir, ich habe Hände, ich habe Instrumente, ich jetzt bin ich „ich selber“ und kann - wenn ich habe Bewegung und vor allem die Atmo- will - von morgens bis abends malen, und sphäre, die Musik. Diese Dinge zusammen das habe ich auch getan. Ich stelle sogar sind hochinteressant, und wenn ich sie dann fest, dass ich mehr male als früher. Ich nutze noch gruppieren kann und die Instrumente das kolossal aus, dass ich wieder zur Ton- so zusammenbringen kann, wie sie in der halle kann. Soweit es mein Terminkalender Komposition auf dem Papier zusammen- erlaubt, der voll ist von oben bis unten, bei passen, ist das für mich eine spannende allen Proben der Düsseldorfer Symphoni- Angelegenheit, so ein Bild zu entwickeln, da ker bin ich dabei und zeichne, morgens und ist keins wie das andere. Und dann habe ich auch abends, von Dienstag bis zur General- da noch die Musik, die mich in eine Atmo- probe am Donnerstag oder Freitag. sphäre versetzt, wo ich durch nichts gestört Ich kann heute wirklich sagen, dass ich werde, durch kein Telefonat, keinen, der an die glücklichste Zeit meines künstlerischen der Haustür klingelt und hier einfach so her- Schaffens in der Tonhalle Düsseldorf ver- einkommt, im Saal bin ich abgeschlossen bracht habe und noch verbringe! für mich und kann mich voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren. Wenn die Musik Die Motive dann irgendwie an mir vorbeigerauscht ist, dann gehe ich - je nach dem, was auf dem NC: Nun ändern sich die Motive bei Ihren Programm steht - ins Konzert und höre mir Sitzungen in der Tonhalle ja nicht so stark. dann alles noch mal richtig an, z. B. Buch- E.H.: Das ist ein Problem. Aber die Musi- binder mit Beethoven, oder … (überlegt ker sitzen jedes Mal anders, wenn ein neu- kurz) ...„Sinfonie der Tausend“ war auch es Konzert anfängt, es passiert auch dass wunderbar, aber mir zu laut… sie ihre Plätze wechseln, wenn eine neue Sinfonie gespielt wird, mal ist es ein großes NC: Sie legen ihre Portraits so an, dass Orchester, mal ein kleineres, das ist für mich man die Personen leicht wiedererkennen auch nicht immer einfach, weil ich dann so kann. Wie schwer ist das eigentlich und hat und so viele angefangene Bilder habe. Je sich ihr Stil im Laufe der Zeit gewandelt?

NC 1 / 10 41 E.H.: Das ist für mich kein Problem, NC: Sie machen die also nicht zum Portrait-Malen habe ich ja gelernt! „Broterwerb“… Nach der langen Pause von fast 20 E.H.:…ich „lebe“ von den Radierun- Jahren begegne ich ja jetzt auch wieder gen, und da gibt es zwei schöne Bü- einer neuen Musikergeneration, einige cher, eins von Meerbusch, übrigens sind noch da von damals, die zeichne eine Idee von Ingrid Kuntze, die der ich jetzt noch einmal und dann kann Meerbuscher Kulturkreis verwirklicht man vergleichen: kein Bild ist wie das hat, und eins von Düsseldorf, das im andere, auch wenn sich der Stil nicht Droste-Verlag erschienen ist. groß gewandelt hat. Sehn Sie hier den Die meisten meiner Bilder hängen Konzertmeister Jens Langeheine: ihn übrigens in Japan! Düsseldorf hat eine habe ich 1980 mit dem Bleistift skizziert große japanische Kolonie, und wenn die und 2007 in Pastell festgehalten. Bei Gäste aus dem fernen Osten nach drei den kleinteiligen Radierungen mit den Jahren wieder in ihre Heimat gehen, vielen Menschen ist das mit dem Wie- kommen die mich vorher besuchen. dererkennen natürlich anders. Dann sitzen die hier stundenlang und „zwitschern“ auf japanisch. Die bringen Der Markt unglaublich viel Zeit mit, blättern in den Mappen, vergleichen und diskutieren NC: Sie machen also lauter Unikate dann ihre Auswahl. Früher habe ich mich und jetzt ist das Bild fertig. Wie kommt zu ihnen gesetzt, dann fühlten die sich es dann zu einer Veröffentlichung? aber irgendwie kontrolliert und waren E.H.: Mir geht es so wie vielen ande- gehemmt. Heute nutze ich die Zeit zum ren Künstlern: man verwächst mit sei- Kolorieren meiner Bilder. Das finden die nen Bildern, ich gebe sie ungern her, dann auch wieder ganz faszinierend! zeig sie aber gerne! Ich freue mich immer, wenn ich in der Tonhalle meine NC: Mit Portrait-Zeichnungen fing Musikerbilder ausstellen darf. Das habe vor über 60 Jahren alles an. Seit wann ich immer gedurft, und da habe ich auch radieren Sie und gibt es da eine Ent- mein Publikum, weil das ein Thema ist, wicklung zu beobachten? was die Musikfreunde interessiert. Das E.H.: Ja, ich arbeite seit 35 Jahren wird im Programmheft veröffentlicht, an dieser Serie Radierungen. 10 Jah- und dann gehen die Konzertbesucher re lang habe ich nur die reine Land- in der Pause ins Grüne Gewölbe und schaft in schwarz/weiß gemacht, dann freuen sich, dass sie den einen oder kam die Idee: setz die Menschen rein anderen Musiker wiedererkennen. - da wurd’s lebendig! Und noch mal 10 Das genügt mir auch, ich gebe meine Jahre weiter kam dann die Idee: ko- Bilder ungern her. Hin und wieder ver- lorier sie auch mal. So wird also jede schenke ich mal eins, ab und zu lasse Schwarz-Weiß-Radierung einzeln mit ich mich auch mal überreden, eins zu dem spitzen Pinsel aquarelliert. Ich sit- verkaufen, aber den größten Teil habe ze dann da ganz bequem, habe mein ich behalten. An meinen Musikerbildern Radio oder kann Platten spielen, ich hänge ich sehr, das sind Unikate! habe also immer Musik dabei!

42 NC 1 / 10 Arbeitsschritte da mit einer feinen Nadel rein zeichnen, das Transparentpapier wird „gekontert“, NC: Sie übertragen Ihre Arbeitsskizzen wie man sagt, und die wichtigsten Mo- also auf die Kupferplatte, welche Schritte tive werden hier drauf gearbeitet. Dann sind da im Einzelnen erforderlich? kann ich anfangen, mit der Lupe auch E.H.: Zuerst muss ich natürlich wissen, die feinen Linien hier einzuzeichnen. was ich will, das ist die geistige Arbeit. Die Motive begegnen mir auf meinem Im Labor Weg von Meerbusch nach Düsseldorf, ich habe also sehr viel ‚Oberkassel‘, oder ‚Alt- Um beurteilen zu können, wie weit meine stadt‘ im Kopf oder lande an der Tonhalle. Arbeit gediehen ist, brauche ich jetzt einen Wenn ich das Motiv habe, dann gehe ich ersten Abdruck. Dazu lege ich die ganze immer wieder hin und gucke, mach mir Chose zunächst mal drüben in der Küche aber auch ganz viele Erinnerungsfotos, in eine Schüssel mit einer Säure. Die frisst damit ich die Details festhalte. Früher sich dann durch die Linien in die Kupfer- habe ich mich hingesetzt und habe sie platte rein. Ich muss die Konzentration der gezeichnet, das ist sehr sehr aufwändig, Säure kennen, und ich muss wissen, wie mit der Kamera geht’s schneller. lange die Platte darin liegen darf, um dün- Jetzt liegen die Bilder hier und ich ne oder dicke Striche zu bekommen, das kann das Motiv zeichnen. Im nächsten ist eine Erfahrungssache. Dann wird die Schritt lege ich die Zeichnung auf Trans- Geschichte mit Benzin abgewaschen, das parentpapier an, denn ich muss ja spie- Wachs weggenommen, und dann kann ich gelverkehrt arbeiten, damit nachher im im Keller den ersten Probedruck machen. Druck wieder alles richtig herum ist. Ich sehe dann die ersten Linien und guck, Wenn ich dann das Transparentpa- wo hast du dich vertan, und kann korrigie- pier fertig habe, kommt als nächstes ren. Weil Kupfer ein weiches Material ist, die Kupferplatte dran. Da kommt flüssi- kann ich die ein oder andere Stelle mit ei- ger Wachs drauf, der über Nacht trock- nem Polierstahl vielleicht wieder zudrücken, net. Der bleibt elastisch und ich kann man kann „radieren“! (Lächelt verschmitzt!) Vielleicht kommt daher der Name Radierung, ich weiß es nicht.2 Jetzt habe ich die ersten Kontu- ren in der Platte und ziehe wieder eine Wachsschicht drüber; hier habe ich den Probedruck und da die Linien, die ich durch die Wachsschicht sehe. Jetzt fange ich wieder mit der Lupe an, die Details weiter zu treiben, arbeite von links nach rechts, es kommen die Dachziegel dran, Blumen und

2 Radierung (von lateinisch radere = kratzen, wegnehmen, entfernen)

NC 1 / 10 43 Bäume, die ersten Figuren und so weiter, legenheit. Jetzt muss ich die Oberfläche dann wird das wieder in die Säure gelegt, blank wischen, aber die Farbe muss in den jeden Tag ein Durchgang. Und das geht so Rillen drin bleiben! Zuerst nehme ich einen ungefähr 12 bis 15 mal, bis ich sage, jetzt weichen Lappen, dann habe ich eine Gaze, hörst du auf, jetzt weißt du nichts mehr - die hart ist, die nur die Oberfläche sauber man wird betriebsblind - dann lass ich die macht, danach nehme ich Papier - ich darf Platte eine Woche liegen, lös mich innerlich kein Zeitungspapier nehmen, das hat Flu- davon, und guck mir dann meinen Druck an: sen und zieht die Farbe wieder raus, am da ist noch ein Akzent und da..., das ist die liebsten nehme ich Papier von alten Tele- aufwändigste Arbeit bei einer Radierung..., fonbüchern, die sind so schön geleimt - die und dann höre ich auf und mache die ersten sind also richtig, … ja das sind so Dinge, die Drucke, die dann auch limitiert werden. lernt man … Wenn die Oberfläche schön Die schwarz-weißen sind alle limitiert, die blank ist, lege ich die Platte auf die Druck- Obergrenze, sagt man ist, 300, was drüber presse - ich habe Gummihandschuhe an, geht ist Massenware, aber die 300 muss ich sonst kriege ich meine Finger nicht mehr erst mal erreichen! sauber, - nehme das feuchte Blatt und leg Die farbigen sind nicht limitiert, das sind das drauf. Dann kommt noch ein Filz und kleine Aquarelle. Das sind aber auch nicht dann dreh ich die Kurbel, kann ich Ihnen so viele, die variieren ja auch in der Farbe. gleich zeigen… Jetzt habe ich also den Schwarz-Weiß- Der Druck Druck auf feuchtem Papier; die Fasern des Papiers haben unter dem Druck der Presse Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit an die Farbe aus den Rillen der Platte heraus der Druckpresse unten im Keller in meiner gesogen. Und so geht das mit jedem neuen Werkstatt, wo die Grafiken entstehen, die Druck! Jede Originalradierung ist ein Hand- man vervielfältigen kann. Ich drucke alles druck und insgesamt eine Heidenarbeit, die einzeln von Hand, immer 10 Stück, weil das ziemlich aufhält! ja sehr viel Arbeit ist, und wenn die 10 ver- kauft sind, dann drucke ich wieder 10. NC: Und einzelne davon sind jetzt die Ich habe am Tag vorher das Papier zu- Grundlage für die Kolorierungen. geschnitten. Das sind so große Bögen, die (Frau Hackspiel bejaht, holt eine Bilder- werden mehrfach halbiert, deswegen haben mappe, legt sie vor uns auf den Tisch, blät- sie alle die gleiche Größe. Ich muss das Pa- tert sie durch und fährt fort.) pier, ein teures Spezialpapier für Kupfertief- E.H.: Hier habe ich z. B. die Petra Mül- druck, am Tag vorher durch Wasser ziehen. lejans3 in einer Radierung aus der Serie Ich lege also die 10 Blätter, die ich am näch- Jugend musiziert, und hier nochmal nach sten Tag drucken will, in eine Plastiktüte, wo einer Zeichnung, die ich mal in Düsseldorf sie jetzt quellen. mit Jan Wellem und der Lambertuskirche Als nächstes nehme ich die Platte und im Hintergrund gemacht habe. Als Studen- reibe die Druckerschwärze mit einem tin ist die mal eine Zeitlang in der Altstadt Filztampon in die Rillen rein. Das mache ich 3 Heute ist Petra Müllejans Konzertmeisterin des auf einer Wärmeplatte, weil dann die Farbe Freiburger Barockorchesters und Professorin für flüssiger ist und nicht so eine zähe Ange- Barockvioline an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt a. M.

44 NC 1 / 10 als Straßenmusikantin aufgetreten, da trug sie noch so ein „Zigeunerkleid“, da hab ich nicht unbedingt aufs Portrait geachtet, aber das Motiv reizte mich.

Stilfragen

NC: Gibt es eine Art Interpretations- schlüssel für Ihre Arbeiten oder wie kann man Ihren Malstil am besten ein- ordnen? Sind Sie Idyllikerin oder sind Sie Realistin…? E.H. …ich bin Realistin, vielleicht auch ein bisschen romantisch, wenn Sie sich mal meine Radierungen ansehen, da werden Sie kaum ein Auto finden. Ich bin altmodisch mit meinen Bildern, ich bin gegenständlich erzogen worden. In der Zeit, wo ich auf der Akademie war, wurde noch gegenständlich unterreich- tet: wer ein Protrait malen kann, kann auch alles andere zeichnen. Heutzutage Mit diesen nicht allzu feministisch wird anders unterrichtet. Ich könnte kein gemeinten Feststellungen entführt uns abstraktes Bild malen, d. h., ich könn- Frau Hackspiel in das Souterrain ihres te es schon, aber ich wäre nicht zufrie- Bungalows und zeigt uns am Ort ihrer den, das ist eine Richtung, wo ich meine Heidenarbeit die Druckpresse und vor Schwierigkeiten habe. Ich will es nicht allem die Schätze ihres Depositums. verteufeln, das ist eben die heutige Ent- Noch einmal unternimmt sie mit uns wicklung, und es gibt wunderbare Bilder, eine Zeitreise durch ihr Schaffen und aber ich bin irgendwo beim Expressionis- zeigt uns von Hollreiser über Klee bis mus hängen geblieben. Was waren das Fiore und Boreyko alles, was sie in den für wunderbare Bilder in der Ausstellung vielen Sitzungen in der Tonhalle und „Bonjour Russland“ oder in Frankfurt darüber hinaus zu Werk und Papier ge- „Die Impressionistinnen“! Ich hab mir den bracht hat. Bildband gekauft, die können Sie neben Manet und Monet hängen, so schön sind Aus dem Plauderstündchen wurde die, aber Frauen haben es in der Ma- eine intime Schau auf das ungekünstel- lerei immer noch schwerer. Gehen Sie te Leben einer liebenswerten und immer mal zur Kunstakademie, wer ist Profes- noch sehr aktiven rheinischen Künstle- sor, wie viele Frauen sind Professor, die rin. Beeindruckt und mit dem herzlichen Leistungen sind gleich, aber die Frauen Dank, den Besuchern so viel Zeit ge- werden unterdrückt, die haben sich noch schenkt zu haben, verabschiedeten sich nicht genügend emanzipiert…! Udo Kasprowicz und Georg Lauer.

NC 1 / 10 45 „Was täten die armen Komponisten, wenn sie keiner spielt“ Zu Besuch bei Jürg Baur von Jens D. Billerbeck

Am 11.11.2008 feierte die Düssel- schrift. Der Jubilar bedankte sich dorfer Musikwelt den 90. Geburtstag umgehend dafür und lud die Re- ihres über die Grenzen bekannten daktion „auf einen Kaffee“ zu sich Komponisten Jürg Baur. Der Mu- nach Hause ein. Anfang Dezember sikverein würdigte das Ereignis in konnten Jens Billerbeck und Georg der Januarausgabe 1/09 dieser Zeit- Lauer dieser Einladung folgen.

1968, zum 150jährigen Jubiläum des Musikvereins, gab der damalige Vorstand einen Kompositionsauftrag an den damals 50jährigen Düsseldorfer Komponisten Jürg Baur. Der weilte gerade zu einem zweiten Studienaufenthalt in der berühm- ten Villa Massimo in Rom und dort ent- stand „Perché“ nach Versen von G. Unga- retti, ein Oratorium, das dann am … 1968 unter dem damaligen Chorleiter Hartmut Schmidt seine Uraufführung erlebte. „Man lebte da in etwas primitiven, aber Das ist jetzt über 40 Jahre her, und in immerhin doch römischen Umständen. dieser Form ist Perché, dass dem Kompo- Ich freute mich auf Anregungen, ich nisten viel bedeutet, nie wieder aufgeführt bin gelaufen, gewandert und habe ge- worden. Über dieses Werk, aber auch schaut: Was ist mit dem alten Rom? über den Komponisten Baur, seine „Lehr- Kommt da Cäsar noch angekrochen? und Wanderjahre“ sprach der gerade 91 Was ist das für ein Erbe? Man lernte Jahre alt gewordene, aber geistig erfreu- Bildhauer Dichter und andere Künstler lich rege und lebendige Erzähler Baur, mit kennen. Diese Begegnung mit einer bis dem Team der neuen Chorszene. dahin weitgehend unbekannten Kultur, Das schlichte Reihenhaus in Lohausen war doch irgendwie entscheidend für verrät äußerlich nichts über die Profes- die Erweiterung des eigenen Weges.“ sion seines Bewohners. Doch gleich im Baur spricht mit angenehm rheini- Wohnzimmer steht der große Flügel, den schem Einschlag, meist mit leiser Stim- Baur allerdings, wie später zu erfahren me, die aber gelegentlich in ein kräfti- ist, zum komponieren eigentlich gar nicht ges Fortissimo umschlägt. Dass er dem braucht. Darauf die Büste des Kompo- Arbeitsaufenthalt in Rom auch positive nisten, angefertigt von einem Bildhauer, Seiten abgewinnen konnte, zeigt eine der zeitgleich mit Baur in der Villa Massi- Begebenheit aus 1968. Da gab es dann mo arbeitete. Als Perché 1968 entstand, wohl Probleme mit der Heizung. „Und war dies bereits der zweite Aufenthalts da habe ich dann kurzerhand meine Baurs in Rom, das erste mal kam er 1960 Frau und unsere Tochter nachkommen hierher, und erinnert sich lebhaft: lassen und wir haben einmal in Capri

46 NC 1 / 10 Ferien gemacht. Da sind mir dann auch fung werden sollte. „Damals kam regelmä- die meisten Sachen zu Perché einge- ßig ein recht bekanntes Streichquartett alle fallen.“ paar Monate in die Schule, um den Schü- Zu diesem Zeitpunkt war Baur schon lern die klassische Musik vor Ort nahezu- ein arrivierter Komponist und wechselte bringen. Bei der Gelegenheit haben die gerade in die Leitung der Kompositions- mein Quartett - das natürlich dilettantisch klasse der Kölner Musikhochschule, die geschrieben war, aber mir gefiel es, mitge- durch den Tod Bernd-Alois Zimmermanns nommen.“ Als die Musiker wiederkamen, vakant geworden war. Doch die Anfänge spielten die ein kleines Stückchen daraus. dieses Musikerlebens sind ihm noch in „Meine Mitschüler waren entsprechend be- frischer Erinnerung: „Ich habe ja ganz eindruckt. Das wiederholte sich ein paar früh angefangen, mit 8 Jahren.“ Er rühmt mal und dann nahm der Cellist mein Stück seine damalige Klavierlehrerin, fühlte sich mit und zeigte das dem großen Komposi- aber durch die gespielten Stücke gleich tionlehrer in Köln - Philip Jarnach. Der hat zu eigenem Schaffen inspiriert: „Der fröh- mich dann zu sich bestellt. Seine einzige liche Wandersmann“ für Klavier hieß sein Bemerkung nachdem ich mich vorgestellt erstes Werk. „Da hatte ich natürlich Schu- hatte war: Muss noch viel lernen.“ mann als Vorbild aus der Klavierstunde Noch nicht zwanzigjährig wurde Baur und ich habe dann einfach selber so was bei Jarnach aufgenommen. „Als erstes gemacht, etwas dilettantisch natürlich. hat er zu mir gesagt: Komponieren ist Die Überschriften der Stücke lauteten nicht, das nächste halbe Jahr wird nur dann z.B. „Der fröhliche Wandersmann Grammatik geübt. Das war hart für mich, macht Rast und isst ein Butterbrot“. denn ich dachte natürlich: jetzt kann ich Das blieb der Klavierlehrerin natürlich loslegen und dann wird das nichts.“ nicht verborgen: „Ein paar Monate später Das was Jarnach und auch Baur die zeigte sie mir ein Heft mit leichter, mo- Grammatik nennen, ist das Handwerks- derner Klaviermusik. Da waren Stücke zeug des Komponisten, egal welchen Stil meines späteren Lehrers Philip Jarnach, er nachher entwickelt. „Dazu gehört natür- da waren aber auch Strawinsky, Schön- lich Kontrapunkt, aber auch: wie schreibt berg, Hindemith – die ganzen Brüder der man für eine Singstimme? wie einen jungen neuen Musik hatten Stücke für Chorsatz? wie müssen die Übergänge Anfänger komponiert. Und die habe ich sein? Es hieß dann einfach: Schreiben mit Begeisterung auswendig gespielt – sie mal die Loreley für gemischten Chor. zum Entsetzen der Verwandtschaft.“ Da wurde man regelrecht an den Pran- Mit fast kindlicher Freude berichtet er, ger gestellt, wenn man Fehler gemacht wie er in einem der Hindemith-Stücke eine hatte, was natürlich nicht ausblieb.“ Zwölftonreihe entdeckte. „Nicht durchge- Stilistisch sieht sich Baur damals noch führt, aber als komplette Reihe von zwölf in der Nachfolge der Klassik und der Tönen – das glaubt mir heute keiner.“ Romantik „mit einigen Dissonanzen, als Bei eigenen Klavierstücken blieb es nicht. persönlicher Note.“ Er erinnert an die Als Sekundaner am damaligen Hindenburg- Zeitumstände: „Vergessen sie nicht, im Gymnasium entstand ein Streichquartett, Dritten Reich gab es keine neue Musik. das gewissermaßen zu einer ersten Prü- Einiges, wie z.B. Bartok konnte privat

NC 1 / 10 47 oder im Privatunterricht noch gespielt schon Probleme: „Mein Gehör ist altersbe- werden. Aber die meisten Anregungen dingt um einen Ton gestiegen. Da höre die kamen aus dem klassisch-romanti- 5. Beethoven nun in d-moll. Die Tonart, die schen oder dem Barock-Repertoire.“ man besonders schätzt, die ist weg. Denn Jarnach, den Baur mehrfach als „sehr c-moll ist ein ganz anderer Umkreis von streng“ charakterisiert, wurde später Klangvorstellungen. Deswegen gehe ich zum guten Freund. „Er war ein hervor- auch nur noch selten in Konzerte, weil ich ragender Lehrer, sehr vernünftig. Nach die Stücke in der falschen Tonart höre.“ einem Jahr stellte er mir die Frage: Wo- Und wie würde Baur nun seinen Stil be- von wollen Sie leben? Er riet mir, Kla- zeichnen? „Das war nicht zwölftönig und vierlehrer oder ähnliches zu werden. Er nicht verrückt, sondern eine Erweiterung war da sehr praktisch. Aber der Kompo- der Tonalität, was mir heute noch wichtig sitionsunterricht ging natürlich weiter.“ ist. Ich habe dann auch später zwölftö- Zum Schlüsselerlebnis wurde ein Ein- nig komponiert, aber immer so, dass der satz als Erntehelfer in Ostpreussen. Zuhörer sagt: Das kann man sich doch „Das hörte sich nach jenseits von gut noch anhören.“ Auch die Orchestration und böse an. Es war 1939 – noch vor lernte Baur auf dem „grammatischen“ dem Krieg. Eine sehr schöne Gegend. Weg, durch ausprobieren und üben. „Jar- Und da erlebte ich gewissermaßen, was nach gab uns Aufgaben wie: Schreiben ich musikalisch selber ausdrücken woll- sie Variationen über ein Volkslied in un- te und habe eine Ostpreussen-Suite für terschiedlichen Besetzungen. So konnte Klavier geschrieben. In einem Stil den ich man die Tonumfänge, die Klangfarben heute noch den Beginn des ‚Bäurischen’ von der Pieke auf kennelernen.“ Und er nennen würde. Durch die Landschaft, die berichtet, dass Jarnach – auch im Drit- ich nicht kannte und die mich sehr beein- ten Reich - immer wieder Mendelssohn druckt hat, hatte sich etwas gebildet und als Vorbild herangeholt habe. Einfluss genommen. Nach der Rückkehr Trotz dieser soliden Wurzeln, hat auch rief ich Jarnach an, er spielte es gleich Baurs Musik bisweilen nicht sofort den vom Blatt und sagte: ‚Jetzt haben sie Weg zum Hörer gefunden. „Das Publi- es geschafft. Sie sind auf dem richtigen kum ist zunächst einmal ein tonales Pu- Weg, sie werden ein guter Komponist.’ blikum. Aber auch bei neuer Musik kann Natürlich brauchte es ein paar Jahre, man bestimmte Ton- oder Klangfolgen den eigenen Stil zu festigen. Aber zumin- wiedererkennen und so zu positiven Ge- dest kompositorisch waren auch die Jahre fühlen kommen. Die heutige Pop-Musik in Krieg und Kriegsgefangenschaft keine ist ja genau genommen nur alte Musik. verlorenen Jahre für Baur. Denn – und das Das ist alles tonal gebunden mit ein paar schließt den Kreis zum Anfangs erwähnten schrägen Klängen oder ungewöhnlichen Flügel – Baur verfügt über das absolute Instrumenten.“ Doch auch die Komponi- Gehör. „Für viele Leute ist das eine Qual, sten der so genannten „E-Musik“ trennen aber ich hatte nie Schwierigkeiten damit. Welten. „Da sind die einen, die sich be- Ich brauchte nie ein Instrument zum Kom- wusst abstrakt verhalten um aufzufallen. ponieren. Das half im Krieg.“ Heute, mit 91 Ich habe immer versucht, in diesem mir Jahren allerdings, bereitet ihm sein Gehör vorschwebenden Stil einer weiterge-

48 NC 1 / 10 führten Tonalität zu komponieren. Die eine Umarbeitung für Chor a-Capella. Bindung wollte ich nie aufgeben, das ist „Das hat einmal ein Rundfunkchor ange- vielleicht das Entscheidende dabei. Da nommen und dann mit einem halben Jahr sagen die Leute dann: Das klingt scheus- Probenzeit gerechnet. Das zeigte mir, slich, aber am Ende, das war schön…“ dass ich hier eine Grenze im Hinblick auf Baur erzählt von vielen Konzerterleb- meine Progressivität und die Machbarkeit nissen und Begegnungen mit Zuhörern, erreicht hatte.“ Auf die Frage, ob es jemals die auch seinen soliden Sinn für Humor in der Urfassung nachgespielt wurde, ant- unterstreichen. „Ich bin ja in verschiede- wortet Baur verschmitzt: „Nein, ich warte nen Städten in den 70er/80er Jahren sehr noch. Der Text ist vielleicht vielen, die es viel gespielt worden und immer hingefah- machen könnten, zu weit weg. Aber mit ren. Da saß dann vor mir einer und sag- der Umarbeitung zu ‚Giorno per Giorno’ te recht laut ‚Den möchte ich sehen, der als sinfonische viersätzige Form mit zwei das verbrochen hat.’ Da hab ich ihm auf Soli habe ich dann doch noch einen Ver- die Schulter geklopft und gesagt, ‚dann such gemacht. Es war eine sehr schöne drehen sie sich mal um!‘ “. Und auf die und aufwändige Geschichte, aber es fiel Frage in einem Einführungsvortrag: „Was nicht auf fruchtbaren Boden.“ machen sie, wenn das Publikum das nicht Mit leiser Selbstironie weist Baur dar- mag?“ habe er geantwortet: „So wie Gott- auf hin, dass es natürlich viele seiner vater mit Sodom und Gomorrha: Finde ich Stücke auf sehr hohe Aufführungszahlen nur einen Gerechten, dann verschone ich gebracht haben. „Da gibt es Stücke mit die Stadt. - Und in der Tat: In der Konzert- 100 Aufführungen in 20 Jahren. Aber das pause kam ein Zuhörer auf den Komponi- sind kurze Sachen, 18 Minuten etwa. Da sten zu und sagte: „Für heute haben wir macht man dann noch ein Beethoven- die Stadt gerettet. Mir hat es gefallen.“ Konzert hinterher und wenn es ganz or- Auf die Frage, welchen Stellenwert in dentlich klingt, tut es keinem weh.“ seinem Schaffen die seinerzeitige Auf- Musikalisch verstummt ist der Kompo- tragskomposition für den Musikverein nist trotz seines hohen Alters übrigens hatte, antwortet Baur: „Einen sehr hohen. noch nicht, derzeit arbeitet er im Auftrag Vielleicht auch, weil es nach der Urauffüh- der Düsseldorfer Symphoniker an einer rung nur noch einen Platz im Hintergrund Orchesterfassung der „Träumerei“ von hatte.“ An diese Uraufführung erinnert er Robert Schumann. Und dann gibt es im sich noch recht gut: „Hartmut Schmidt Schumannjahr 2010 sogar noch eine Düs- war ein hervorragender Chormann, aber seldorfer Erstaufführung aus Baurs Feder: mit der Koordination des Orchesters hat- Die vor rund 50 Jahren entstandene „Mu- te er leider seine Probleme. Allerdings ist sik mit Schumann“ wird im Rahmen der das Werk auch sehr verzwickt. Der Dich- städt. Sinfoniekonzerte nun endlich auch ter Ungaretti ist mir durch Italien vertraut in der Heimatstadt des Komponisten auf- geworden. Er schreibt ganz kurze Sen- geführt. Und die Hoffnung auf eine Wieder- tenzen, aber mit viel Tiefgang, die ich auf begegnung mit Perché hat er auch noch kurze Chorpassagen verteilen konnte. Es nicht aufgegeben. Einen Anlass wüsste war ein schweres Stück und ich habe es er schon: „Bis zu meinem 95. Geburtstag gerne gemacht.“ Wie schwer es ist, zeigt sind es ja nur noch drei Jahre.“

NC 1 / 10 49 Niels Wilhelm Gades Dänische Chorsinfonik Selten gehörte Chorwerke von Dr. Thomas Ostermann

Robert Schumann - wer sonst - 125. Todestages und an Niels Wil- führt für uns Düsseldorfer die Schar helm Gade, weil er vor 120 Jahren der Laureaten an, die 2010 mit einem verstarb. Ihm hat Robert Schumann runden Geburtstag auf sich aufmerk- in seinem „Album für die Jugend” sam machen. Aber da sind noch an- sein „Nordisches Lied“ (Gruß an G.) dere: W.F. Bach und Pergolesi fei- gewidmet, dessen Anfangstöne G A ern ihren 300., Zumsteeg, Cherubini D E keinem Klavierschüler mehr aus und Dussek ihren 250., Chopin und dem Gedächtnis gehen. Burgmüller sind jahrgangsgleich mit Unser Redaktionsmitglied Dr. Tho- Schumann, Mahler begeht seinen mas Ostermann nähert sich dem 150. und der ehemalige Düsseldor- nordischen Komponisten in seiner fer GMD Jean Martinon seinen 100 Reihe „Selten gehörte Chorwerke“ Geburtstag! An Ferdinand Hiller, und stellt uns hier einmal mehr in den Vorgänger Robert Schumanns Vergessenheit geratene Oratorien im Amt des Städtischen Musikdirek- und Balladen vor, diesmal also die tors, denken wir aus Anlass seines von Niels W. Gade.

Lebenslauf

Niels W. Gade, geboren am 22.2.1817 in Kopenhagen und dort am 21.12.1890 gestorben, ist einer der bedeutendsten dänischen Komponisten des 19. Jahr- hunderts. Er startete seine musikalische Laufbahn als Violinist an der königli- chen Kapelle wo er unter der Leitung von Andreas Berggreens Komposition studierte. 1841, mit 23 Jahren hatte er seinen ersten Erfolg, als man ihm für sein Opus 1, der Ouvertüre Nachklänge von Ossian, den ersten Preis eines von der Kopenhagener Musikforeningen (Musikvereinigung) ausgeschriebenen Wettbewerbs zuerkannte. Der endgültige Durchbruch gelang Niels W. Gade Foto Internet Gade mit seiner ersten Symphonie in c- führte. Der Erfolg ermutigte den jungen moll Opus 5, die Mendelssohn 1843 mit Komponisten, mit Hilfe eines Stipendi- ungewöhnlich großem Beifall in einem ums selbst nach Leipzig zu gehen. Dort Gewandhaus-Konzert in Leipzig auf- wurde Felix Mendelsohn Bertholdy sein

50 NC 1 / 10 Mentor und Lehrer, mit dem ihn bald Angeregt u.a. durch Robert Schu- eine enge Freundschaft verband und mann („Dabei ist nur eines zu wün- der sein kompositorisches Schaffen schen: dass der Künstler in seiner Na- nachhaltig beeinflussen sollte. tionalität nicht etwa untergehe. [...] So Mendelssohn berief den 26jährigen möchte man allen Künstlern zurufen, als Lehrer an das Leipziger Konser- erst Originalität zu gewinnen und dann vatorium und machte ihn 1844 zum sie wieder abzuwerfen.“ (Brief Schu- zweiten Dirigenten der Gewandhaus- manns an Gade)) änderte sich während Konzerte. Nach Mendelssohns Tod seines Aufenthalts in Leipzig sein musi- 1847 übernahm Gade deren alleini- kalischer Stil hin zu einem mehr akade- ge Leitung, kehrte jedoch bereits im misch geprägten und nicht zuletzt stark darauf folgenden Jahr wieder nach von Mendelsohn beeinflussten Stil. Bei- Kopenhagen zurück. Dort übernahm de Tendenzen vereinen sich in seinen er - neben einer Anstellung als Orga- späten Werken, die wie seine 4. Sinfo- nist - die Leitung der Kopenhagener nie von „klassischer Ausgeglichenheit“ Musikvereinigung in Verbindung mit geprägt sind. Dabei beschritt er mit der einer Professur. 1861 wurde Gade Einbeziehung des Klaviers in den Or- Hofkapellmeister und 1866 war er zu- chesterapparat bspw. in der 5.Sinfonie sammen mit Johann Peter Hartmann und der Frühlingsphantasie op.52 mu- Mitbegründer und Direktor des heuti- sikalisches Neuland, da er das Klavier gen Kongelige Danske Musikkonser- nicht als Soloinstrument, sondern als vatoriums. Orchesterinstrument verwendet. Zu Lebzeiten erschienen lediglich Auch auf dem Gebiet der Kammermu- etwa die Hälfte der Werke Niels Wil- sik war Gade sehr produktiv und seine helm Gades in Druck und dieser Um- Werke sind in ihrem musikalischen Ge- stand hat sich bis heute nicht wesent- halt durchaus mit denen Schumanns lich verbessert. Nach seinem Tod wur- oder Mendelsohns vergleichbar. Beson- den seine Kompositionen kaum noch ders hervorzuheben sind die Violinsonate im Ausland aufgeführt. Nur in Däne- d-Moll op.21, das Klaviertrio F-Dur op.42 mark konnte sich Gade den Status ei- und das Streichquartett D-Dur op. 63. nes Nationalkomponisten bewahren. Weniger Erfolg hatte Gade im Be- Seit etwa 15 Jahren wird sein Werk reich der Bühnenmusik. Wahrschein- zunehmend auch im Ausland wieder lich aufgrund des von ihm selber entdeckt und rezipiert. gelegten musikalischen Anspruchs und einer damit verbundenen star- Musikalisches Schaffen ken Selbstkritik wurden mehrere von ihm angefangende Arbeiten an Opern Niels W. Gade hinterließ zahlreiche letztlich nicht vollendet. Von den be- Werke für vielfältige Besetzungen. Die endeten Werken erlangte das Ballett frühen Werke sind durch seine Heimat „Et Folkesagn“, das in Zusammenar- und die nordische Literatur inspiriert beit mit dem Choreographen August und durch nordisch-volksliedhafte Bounonville entstand, den Status ei- Melodieelemente geprägt. nes dänischen Nationalballetts.

NC 1 / 10 51 Erlkönigs Töchter

In der alten Sage um Erlkönigs Tochter reitet Herr Oluf am Abend vor seiner Hoch- zeit noch einmal durch den Erlengrund. Während die Mutter ihren Sohn verzweifelt vom Erlengrund fernhalten will, versucht Erlkönigs Tochter alles, um Herrn Oluf vom Pfad der Tugend abzubringen und ihn zu verführen. Zwar widersteht dieser den Ver- führungskünsten, wird aber von dieser aus Rache mit einem tödlichen Fluch belegt. In Gegenwart der Hochzeitsgesellschaft haucht er schließlich sein Leben aus. Für die Vertonung bietet der Komponist von süffiger Balladendramatik bis hin zu zartestem Elfenzauber à la „Sommer- nachtstraum“ alles auf, was das roman- tische Herz begehrt. Einen besonderen Gades Chorsinfonisches Werk Reiz der knapp dreiviertelstündigen Kom- position, die von Schumann vor allem we- Außerordentliche Anerkennung er- gen ihrer poetischen Diktion sehr empha- hielt Gade für seine mit „Kozertstyk- tisch aufgenommen wurde, machen da- ker“ betitelten Werke. Dieses sind bei die Klangmalereien im Orchesterpart u.a. die Chorwerke Elverskud op.30, aus. Gade versteht es hier als Instrumen- Korsfarerne op.50, Kalanus op.48 und tationskünstler meisterlich die Atmosphä- Zion op.49, die sich durch einen wohl- re des Stückes in Musik umzuwandeln, klingenden Chorsatz auszeichnen, wenn bspw. die Nachtigallen in den Flö- und von Gade in ihrer Harmonik und ten singen, oder der Abend mit sanften Stimmführung vermutlich für die Auf- Bläserfarben hereinbricht, oder der Tanz führung mit nicht-professionellen Chö- der Elfen vom Triangel begleitet wird. ren konzipiert wurden. Der Chor übernimmt in dem Stück die Am bemerkenswertesten unter den Rolle eines Erzählers und Kommenta- chorsinfonischen Werken sind dabei tors, wie man an dem für mich schön- Baldurs Traum, ein fragmentarisch sten Chorstück, dem Morgengesang gebliebenes Oratorium, in der Gade exemplarisch sehen kann. in die Tonsprache Richard Wagners Diese „sagenhafte“ Schauergeschichte eintaucht und die 1853 komponierte von der tödlich endenden Begegnung des Kantate „Elverskud“ (Erlkönigs Töch- jungen Bräutigams Oluf mit der Geister- ter), die ihre deutsche Erstaufführung welt und der fatal verführerischen Tochter am 25.10.1855 durch den Städtischen des Erlkönigs war nicht nur für Gade eine Musikverein zu Düsseldorf unter Juli- Herausforderung, auch Carl Loewe hat us Tausch erlebte. sich in seiner Ballade „Herr Oluf“ für So-

52 NC 1 / 10 GADE, N. W.: Erlkönigs Tochter. Ballade nach dänischen Volkssagen für Soli, Chor und Orchester. Op. 30. Clavierauszug. [Neue Ausgabe]. Lpz., Kistner (VN 7050) LG logesang und Klavier dieses Stoffes an- Wer Gefal- genommen und hat damit in Deutschland len gefunden eine gewisse Bekanntheit erlangt. Die hat, erhält vom Ballade von Gade ist in den Konzertsälen Label Kontra- allerdings so gut wie unbekannt. punkt zusam- men mit wei- CD-Empfehlungen teren Werken die Kantate Eine Einspielung des schon erwähnten Zion op 49. Chorwerks Elverskud op.30, das hier klanglich sehr ausgewogen dargeboten Literatur: Neben dem hier benutzten Ein- wird, ist 1991/92 beim Label Chandos mit trag von Niels W. Gade bei Wikipedia und dem Dänischen RSO unter Dmitr Kitajen- anderen Web-Treffern wie „Musik im Ge- spräch - Konzertreihe am Institut Dr. Flad, ko erschienen. Stuttgart“ ist zum Weiterlesen die umfang- Auch das Label Da Capo hat 1995 eine reiche Dissertation von Yvonne Wasserloos Aufnahme dieses Werkes mit dem Tivo- als Buch mit dem Titel „Kulturgezeiten - Niels li SO & Chor unter Michael Schønwandt W. Gade und CFE Hornemann in Leipzig“ herausgebracht. erschienen (Verlag: Olms 632 Seiten).

NC 1 / 10 53 Unterwegs an Rhein und Neckar Bericht über die Kulturreise der aktiven, inaktiven und fördernden Mitglieder des Städtischen Musikvereins vom 23. bis 27. August 2009 nach Mannheim, Heidelberg und Speyer von Christa Terhedebrügge-Eiling Fotos: Hans Reichert

Sonntag, 23. August 2009 Bei herrlichstem Sonnenschein und bester Stimmung trifft sich unsere Rei- segruppe an der Tonhalle. Wir starten nicht ganz pünktlich, denn unser Busfah- rer Fritz Heil kam, aus welchen Gründen auch immer, eine halbe Stunde zu spät. Gisela Kummert, unsere Reiseorgani- satorin hakt ihre Teilnehmerliste ab und gibt noch einige technische Details be- kannt. Die Wahl der Protokollführerin fällt überraschend auf mich. Erich Gelf, unser hat sogar an eine Tischdecke gedacht. freundlich fröhlicher Reiseführer, verteilt Irmgard Cohnen kocht nach alter Manier etliche Informationsmaterialien, die er für leckeren Kaffee, verteilt erfrischende Ge- unsere erste Reiseetappe ausgearbeitet tränke und bei wunderbarem Wetter stär- und gedruckt hat. Nun erklärt er uns die ken wir uns mit Deftigem und Süßem. historischen Zusammenhänge zwischen Gut gesättigt können wir nach 45 Minu- Düsseldorf, Mannheim und Heidelberg ten die Weiterfahrt antreten. zur Zeit der Kurpfalz. Wir werden mit 13:45 Uhr: Ankunft im Mannheimer den Namen der diversen Herzöge und Maritim Hotel, das unser Busfahrer auch Kurfürsten vertraut gemacht, die uns im ohne Navigationsgerät sofort gefunden Laufe der nächsten Tage bei allen Stadt- hat. Das Maritim, ein 4-Sterne Haus hin- führungen immer wieder begegnen wer- ter einer eindrucksvollen Gründerzeit- den. Vor allem interessierte uns natürlich fassade, wurde 1901 im Stil des Histo- Johann Wilhelm von der Pfalz, „unser rismus errichtet. Uns empfängt eine alte Jan Wellem“ aus Düsseldorf. Er wurde Welt der Kristalllüster, des Stuckdekors 1690 nach dem Tod seines Vaters Kur- und der tiefen Polster. Hier haben Gise- fürst von der Pfalz. Erich Gelf vermittelt la Kummert, unsere Reiseorganisatorin, eine hochinteressante kulturhistorische und Ernst-Dieter Schmidt, unser Schatz- Einstimmung auf unsere bevorstehen- meister, durch geschicktes Verhandeln den Reiseziele. den Preis der Zimmerrate sensationell An der Raststätte Hunsrück wird die reduzieren können. Wir beziehen unsere erste Pause eingelegt. Catering Hill & sehr schönen Zimmer und können uns Co fährt das zweite Frühstück auf. In Zu- für die bevorstehende Stadtbesichtigung sammenarbeit mit einigen Damen und etwas ausruhen. Herren hat Franzis Hill ein Buffet zube- 16:00 Uhr Treffpunkt in der Hotelhalle reitet, das es an nichts fehlen ließ. Sie zu unserer ersten Stadtrundfahrt mit der

54 NC 1 / 10 versierten, sympathischen Stadtführerin viertel mit Wohnungen aus der Gründer- Frau Ursula Heil. Wir starten am Hotel, zeit für Arbeiter, kleine Angestellte und bzw. am Wasserturm, dem Wahrzeichen Beamte vorfinden. der Stadt. Der angrenzende Friedrichs- Es geht wieder zurück in die Innenstadt. platz ist als „Tor zur Innenstadt“ bekannt, Wir verlassen den Bus und machen ei- die repräsentative Verbindung zwischen nen kleinen Spaziergang zum Zeughaus. Zentrum und Oststadt. Er wird homogen Es ist der letzte Monumentalbau der eingefasst durch die einheitlich hohe Mannheimer Kurfürstenzeit von 1778. Fassade der Arkaden, die sich im Halb- Zunächst Waffenarsenal, dann Kaserne kreis um den Platz legen und im Jugend- und seit Beginn des 20. Jh. als Museum stil gebaut sind. In der Nord-Süd-Achse genutzt. Wir haben Gelegenheit, uns im des Wasserturms wurden die Kunst- und Erdgeschoss an einer wunderschönen die Festhalle errichtet, beide ebenfalls im Porzellansammlung zu erfreuen; ein gro- Jugendstil erbaut. Die Kunsthalle korre- ßer Teil der dort ausgestellten Stücke spondiert mit ihrem roten Sandstein mit stammt aus der Frankenthaler Porzel- der Festhalle, die das heutige Congress- lanmanufaktur, die Kurfürst Karl Theodor Zentrum Mannheims darstellt. 1755 gründete und nach Verlegung sei- Mannheim ist eine Stadt aus der Retor- nes Hofes nach München 1778 wieder te, die 1606 quadratisch angelegt wurde. aufgab. Das gitterförmige Straßennetz, in dem Anschließend geht es weiter zum Schil- die Straßen nach dem Alphabet benannt lerplatz, hier befand sich das frühere und die Häuser nummeriert sind, hat sich Nationaltheater, in dem 1782 die Urauf- bis heute erhalten. Man orientierte sich führung von Friedrich Schillers revolu- am Schloss als Fixierpunkt. In den Qua- tionärem Werk „ Die Räuber“ stattfand. draten gibt es einige „richtige“ Straßen- Danach war Schiller ab Juli 1783 für ein namen: Die Breite Straße heißt wie sie Jahr ein Mannheimer Theaterdichter. Da ist; sie führt durch die Mitte der Stadt vom sein Vertrag nicht verlängert wurde und Schloss zum Neckar. Quer auf sie zu ge- er sich hoch verschuldete, lebte er da- hen „Die Planken“ vom Wasserturm zum mals in verschiedenen Anwesen in Mann- Paradeplatz, sie bilden die Shoppingmei- heim. Seine letzte Wohnung befand sich le. Ihren Namen erhielt sie, weil in unbe- im Hölzelschen Haus, ganz in der Nähe. festigtem Zustand Holzplanken ausgelegt Dieses Schillerhaus, heute Museum, ver- wurden, um Fußgänger vor Nässe und mittelt den Eindruck von seinen damali- Schmutz zu bewahren. Flankiert werden gen sehr einfachen Wohnverhältnissen. die Planken von der Fressgasse auf der Beim Verlassen des Museums wurde von Seite zum Neckar und der Kunststraße Museumsleuten der Wunsch geäußert, in auf der Schlossseite. Was den beiden Erinnerung an Schiller einige Takte aus Straßen ihren Namen gab, erklärt sich dem Schlusschor der 9. Symphonie von von selbst. Beethoven zu singen. Diesen Wunsch Wir fahren über den Neckar zur haben wir gern erfüllt und wurden von ei- „Neckarstadt“, wo wir neben der ersten nigen echten Mannheimern mit reichlich Fabrik für motorisierte Droschken von Applaus bedacht. Carl Benz ein durchrenoviertes Stadt- Zum Tagesausklang wollten wir ge-

NC 1 / 10 55 meinsam im bayrischen Lokal Andechser unser Abendessen einnehmen. Leider standen wir vor verschlossenen Türen. Wie wir am nächsten Tag erfuhren, mus- ste das Lokal wegen eines Wasserrohr- bruchs schließen, und man hatte in der Hektik vergessen, uns zu benachrichti- gen. Zum Glück hatte nebenan ein grie- chisches Lokal geöffnet. Der geschäfts- tüchtige Inhaber fasst die Gelegenheit beim Schopfe und deckt sofort mehrere Tische für uns ein, wo wir dann draußen auf der Terrasse bei lauem Lüftchen den Abend mit griechischen Speisen und das Heidelberger Schloss unbewohnbar Wein ausklingen lassen. ist, residiert er weiterhin in Düsseldorf. 1716 stirbt er ohne Erben und ab 1718 Montag, 24. August 2009 residiert sein Bruder Karl III Philipp von Das Maritim bietet ein tolles, reich- der Pfalz in Heidelberg. Mittlerweile ge- haltiges Hotelfrühstück mit allem, was wöhnen wir uns an die verschiedenen das Herz begehrt. Wir stärken uns für Namen der Kurfürsten. den bevorstehenden mit reichlich Pro- Vor dem Schloss bemüht sich Erich gramm gefüllten Tag in Heidelberg. Gelf redlich um eine mathematische Gisela Kummert bemüht sich zwi- Aufteilung in zwei Gruppen. Die Sa- schenzeitlich telefonisch um einen neu- che erweist sich wegen der bestehen- en Bus. Zu Recht hatte sie an dem Bus, den Kleingruppen als sehr schwierig der uns hierher gebracht hatte, einiges und kompliziert. Letzten Endes gelingt zu bemängeln, vor allem was unsere ihm aber doch eine gerechte Lösung: Sicherheit angeht: fehlende Sicher- wir werden aufgeteilt in die Geraden heitsgurte und eine nicht richtig funktio- und die Ungeraden, einem Prinzip, nierende Klimaanlage. In ihrer uns al- das Erich Gelf vom Straßenfußball her len bekannten Beharrlichkeit hat sie bei zur Mannschaftsaufteilung kannte. Zu- dem Chef des Busunternehmens auf nächst wird noch ein Gruppenfoto im einem neuen Bus bestanden. Im Laufe Schlosshof gemacht und dann beginnt des Tages soll ein neuer, besserer Bus die Schlossführung in 2 Gruppen. Es kommen, wir sind gespannt… gibt 300 Jahre Bautätigkeit zu bestau- Pünktlich um 09:00 Uhr starten wir nen. Das Heidelberger Schloss ist auch in Richtung Heidelberg. Während der ein bedeutender Bezugspunkt der deut- Fahrt werden wir von Erich Gelf wieder schen Romantik. Zu besichtigen sind darauf vorbereitet, was uns in dieser alte Gemächer der Kurfürstenfamilie. wunderschönen Stadt erwartet. Heidel- Populärstes Schaustück ist ein riesiges berg, die „Hochburg der Wittelsbacher Weinfass aus dem 16. Jahrhundert, das Linie von der Pfalz“. 1690 wird „unser über 200 000 Liter Wein fassen soll. Jan Wellem“ Kurfürst von der Pfalz. Da Mittags treffen wir uns in der Kultur-

56 NC 1 / 10 brauerei Heidelberg. Im Biergarten hielt ein modernes gradliniges Gestühl nehmen wir unter schattigen Bäumen und eine helle Verglasung. Die Kirche unser vorbestelltes Mittagessen ein. ist so beeindruckend, so schön und Die Spezialität des Hauses: Sauma- so hell, dass wir uns gar nicht von ihr gen. Das Gericht wird von vielen aus- trennen mögen, aber Erich Gelf drängt probiert und für gut befunden. Monika uns weiter zu gehen, weil er befürchtet, Greis verteilt ihr gesamtes Kupfergeld dass die nächste, noch bedeutendere an alle Tischnachbarn: das Kupfer soll Kirche, die Heiliggeistkirche, vor unse- die Wespen vom Tisch fernhalten, je- rer Nase geschlossen wird. doch einige Wespen haben sich auch Wir haben Glück; die größte und be- davon nicht abhalten lassen, uns zu deutendste Kirche Heidelbergs ist noch ärgern, aber zumindest wurde keiner geöffnet. Die aus rotem Sandstein ge- gestochen… baute gotische Hallenkirche mit baroc- Nach einem kleinen Verdauungsspa- kem Dach und barocker Turmhaube gilt ziergang treffen wir uns am Kornmarkt. als einzigartiges Bauwerk. Die Kirche Auffahrt mit der Heidelberger Bergbahn wurde von 1398 bis 1515 errichtet und zum höchsten Punkt der Stadt, dem war als repräsentatives Gotteshaus der „Königsstuhl“. Von dort haben wir ei- kurpfälzischen Residenzstadt geplant. nen herrlichen Panoramablick über die Von 1706 bis 1936 war die Kirche durch Stadt Heidelberg und den Neckar und eine Scheidemauer in zwei Teile geteilt. das alles bei strahlend blauem Himmel Das Langhaus war protestantisch, der und Bilderbuchwetter. Chor katholisch. Der Innenraum der Hei- Da wir ja so lange nichts gegessen liggeistkirche ist ein sehr eindrucksvoller haben, gibt es Apfelstrudel mit Sahne, spätgotischer Kirchenraum. Charakte- Zimt-Eis und Kaffee dazu. Danach geht ristisch ist der Kontrast zwischen dem es bald zur Abfahrt mit der Bergbahn, diffusen Licht des Langhauses und der damit wir pünktlich am Spaziergang mit strahlenden Helligkeit des Chores. Schiff Erich Gelf teilnehmen können. (spätgotisch) und Chor (hochgotisch) Zunächst besichtigen wir die wun- sind durch einen Triumphbogen getrennt. derschöne Jesuitenkirche am Richard- Erich Gelf wüsste noch so viel zu zeigen Hauser-Platz. Die im Barockstil erbau- und zu erklären, aber die Zeit drängt, da te Jesuitenkirche ist eine dreischiffige für 18:00 Uhr die Rückfahrt geplant ist. Pfeilerhalle. Sowohl über dem Lang- Am Neckarufer wartet unser Busfah- haus als auch über den Seitenschiffen rer Fritz Heil mit einem neuen Bus auf befinden sich Kreuzgratgewölbe. Das uns. Es sind Sicherheitsgurte vorhan- Innere der Kirche ist ganz in Weiß ge- den, die Klimaanlage funktioniert und halten. Nur die Kapitelle der Säulen sind auch ein Navigationsgerät ist einge- grün gefasst und teilvergoldet. Erst im baut. Gisela Kummert hat nichts mehr 19 Jahrhundert wurde die Kanzel aus zu beanstanden, und wir sind natürlich Marmor geschaffen und der gleichfalls auch zufrieden. Wir fahren sehr er- aus dieser Zeit stammende kunstvolle schöpft nach Mannheim zurück, immer Osterleuchter. 2001 wurde der Altarbe- am Neckar entlang. Das Abendessen reich neu gestaltet, und die Kirche er- wird individuell eingenommen.

NC 1 / 10 57 Dienstag, 25. August 2009 Heilig-Geist-Kirche: im neugotischen Um 09:30 Uhr werden wir mit unserem Stil als kath. Pfarrkirche am Rande der neuen Bus zum Mannheimer Schloss alten Stadt. gefahren. Der Himmel ist bewölkt, aber Jesuitenkirche: im Stil des Spätbarocks es ist trocken. Erneut werden wir in zwei und des beginnenden Klassizismus ge- Gruppen eingeteilt, die „Geraden“ gehen staltet. mit Frau Heil, ihre Führung beginnt in der St. Sebastian: diese Kirche ist der Schlosskirche. Die Kirche ist einschiffig rechts stehende Teil eines proportional und ein Teil des Westflügels. Die Grund- ausgewogenen Doppelhauses aus Rat- steinlegung des Schlosses 1720 durch haus und Pfarrkirche mit einem gemein- Kurfürst Karl Philipp war auch Baubeginn samen Turm in der Mitte. „Jan Wellem“ für die Kirche. Hier fanden Andachten, ordnete den Baubeginn als Beitrag zum Konzerte und Hofmusik statt, und bei sei- Wiederaufbau der durch den Pfälzer Erb- nen Besuchen in Mannheim musizierte folgekrieg zerstörten Stadt im Jahre 1703 Wolfgang Amadeus Mozart häufiger hier an, 1709 fand der erste Gottesdienst statt, auf der Orgel. aber erst 1723 war der gesamte Bau fer- Das Schloss: Die große Barockanla- tiggestellt. Am Südrand des Marktplatzes ge mit den weit ausladenden Seitenflü- ist das barocke Ensemble heute eine viel geln ist seit 1955 Sitz der Universität. besichtigte Sehenswürdigkeit. Es gibt große Repräsentationsräume und Prachtsäle, die seit 2007 als Muse- Mittwoch, 26. August 2009 umsräume zu besichtigen sind. Der breit Pünktlich um 09:00 Uhr fahren wir mit gestreckte Prachtbau mit mehr als 400 unserem Bus nach Speyer und damit be- Räumen und 1400 Fenstern hatte unter ginnt ein Aufbruch in die Zeit des Mittel- Kurfürst Karl Theodor den Rang eines alters, wie wir während der Busfahrt von europäischen Zentrums von Kunst, Kul- Erich Gelf aufgeklärt werden. Wir erhalten tur und Wissenschaft, bis Karl Theodor weitere ausgearbeitete Informationsma- die Residenz nach München verlegte. terialien wie einen Stadtplan, Grundrisse Im 2. Weltkrieg wurde das Schloss fast und Zeittafeln vom Dom und kurze Be- völlig zerstört, dann erfolgte jedoch eine schreibungen von Sehenswürdigkeiten, umfassende Restaurierung und Sanie- die er uns nachmittags zeigen und erklä- rung bis 2007. ren möchte. 15:00 Uhr: „Gemächlicher“ Stadtrund- Wir starten unsere Domführung mit Gast- gang mit Erich Gelf. Thema: Mannheimer führern am großen Domnapf. Dieser mar- Gotteshäuser kierte die Domimmunität, die früher allen Zunächst sehen wir uns die Christus- Straftätern und Verfolgten Zuflucht vor der kirche an, von 1907-1911 mit neubaroc- weltlichen Macht bot. Er wird auch heute ken Stilelementen als ev. Pfarrkirche am noch zu feierlichen Anlässen, zuletzt beim Rande der alten Stadt Mannheim erbaut. Papstbesuch, mit Wein gefüllt. Das Fas- Sie wurde kaum von Kriegszerstörungen sungsvermögen beträgt 1580 Liter. betroffen und ist fast völlig im Original- Der Dom zu Speyer zählt zu einem der zustand erhalten. Wir besichtigen noch bedeutendsten Baudenkmäler der Ro- folgende interessante Kirchen: manik und ist die größte erhaltene roma-

58 NC 1 / 10 Museum ist eine ideale Ergänzung für unsere vorangegangene Dombesichti- gung. Der Speyerer Dom als Begräb- nisstätte der salischen Kaiser und die Domschatzkammer im Historischen Mu- seum als Ort der Präsentation der Kai- sergräberfunde sind eine Einheit. Die Domschatzkammer beherbergt die be- deutendsten Zeugnisse des salischen Herrschergeschlechts, darunter auch die Kaiserkrone von Konrad II aus dem Jahr 1039. Im Zentrum der Ausstellung ste- hen die zahlreichen Grabfunde mit ihren reichen Beigaben an Waffen, Kleidung, Schmuck und Gefäßen. Weiter können wir kostbare liturgische Geräte und Ge- wänder bewundern. Auch hier würden wir uns gern noch aufhalten und weite- re Exponate bestaunen, aber Erich Gelf drängt zum abschliessenden Rundgang durch Speyer. Folgende Sehenswürdig- nische Kirche Europas. Seit 1030 bauten keiten stehen noch auf dem Programm: mehrere Generationen an der Kathedra- Die Dreifaltigkeitskirche, die Gedächt- le. Beim Gang durch den Domgarten las- niskirche, das Altpörtel, eines der be- sen sich die einzelnen Phasen ablesen. deutendsten und höchsten Stadttore Wir werden aufgeklärt über Westbau von Deutschlands, das alte Rathaus, ein Heinrich Hübsch, spätromanische Turm- Spätbarockbau mit einem Ratssaal im helme, barocke Schweifhauben, Zwerg- Stil des frühen Rokoko. galerie, Apsis, hochromanische Architek- Mit vielen neuen Eindrücken, aber völ- tur an der Ostseite und vieles mehr. lig erschöpft, treten wir unsere Rückfahrt Im Anschluss daran sehen wir uns den nach Mannheim an. Gerade dort ange- monumentalen Dom von innen an. Seit kommen geht es auch schon weiter zum der Restaurierung von 1957/61 ist der gemeinsamen Abendessen ins bayri- Innenraum vom freigelegten Sandstein- sche Lokal Andechser. Bei untergehen- quaderwerk und hellen Putzflächen ge- der Sonne können wir draußen auf der prägt. Die Schraudolph- Gemälde von Terrasse unser Abschiedsessen einneh- 1846 wurden nur an den Fresken der men. Wir werden von einer netten jungen Langhäuser belassen, alle anderen wur- Russin in bayrischer Tracht bedient. Als den abgenommen. In der Chorkrypta, Highlight spendieren Gisela Kummert dem ältesten Teil des Doms, besichtigen und Ernst-Dieter Schmidt aus der Reise- wir die Kaisergruft und die Grabstätten kasse helles und dunkles Bier aus Tisch- salischer und habsburgischer Herrscher. zapfanlagen, so genannten Biertowern, Die spätere Führung im Historischen eine lustige und runde Sache. Nach die-

NC 1 / 10 59 sem sehr anstrengenden Tag ein beson- mit einem deres Lob an unsere älteren Mitreisen- großen den, die nicht mehr so gut zu Fuß sind achteckigen und dennoch stets tapfer, nie klagend Glockenturm und fröhlich durchgehalten haben. über dem Westchor. Donnerstag, 27. August 2009 Der spätgoti- Pünktlich werden die Koffer verladen sche Kreuz- und wir treten die Heimreise an. Gisela gang an der freut sich, dass ihre Gruppe an der Ho- Südseite der telrezeption gelobt wird; unaufgefordert Kirche soll waren sämtliche Extras bezahlt und der schönste alle Schlüssel abgegeben worden. Wir Kreuzgang fahren nicht direkt nach Düsseldorf zu- in Rheinland- rück, es stehen noch zwei Attraktionen Pfalz sein. auf dem Programm. In Mainz ange- Einzigartig kommen, besichtigen wir zunächst den in Deutsch- 1000-jährigen Dom zu Mainz. Der zu land sind den Kaiserdomen zählende Bau ist in die Chorfenster der Stephanskirche, die seiner heutigen Form eine dreischiffige ab 1978 von Marc Chagall gestaltet romanische Säulenbasilika, die in ihren wurden. Bis zu seinem Tod 1985 schuf Anbauten sowohl gotische als auch ba- Chagall insgesamt 9 Fenster, die in ihren rocke Elemente aufweist. verschiedenen leuchtenden Blautönen Wir sehen den Westturm mit barocker biblische Gestalten und Ereignisse dar- Haube, das Ostquerhaus, eine Drei- stellen. Eine der bekanntesten Szenen ist turmfassade. die Vertreibung von Adam und Eva aus Innen, in den Bögen des Langhauses, dem Paradies. Nach Chagalls Tod wurde die Darstellung der Lebensgeschichte die Arbeit an den restlichen Fenstern von Jesu im Stil der Nazarener. Wunderschö- einigen seiner Schüler fortgesetzt. ne gotische Maßwerkfenster bekamen Nach diesem letzten Highlight treten wir nach dem 2. Weltkrieg eine Neuvergla- nun endgültig unsere Heimreise an. Wir sung. Im unteren Teil der Fenster sind bedanken uns bei Gisela Kummert und die Wappen aller Mainzer Bischöfe von auch bei Ernst-Dieter Schmidt, unserem Willigis bis Kardinal Karl Lehmann abge- Schatzmeister, für ihre routinierte Orga- bildet. nisation dieser Reise. Ein ganz beson- Um 12:30 Uhr geht es weiter mit dem derer Dank gilt unserem stets freundlich Bus zum Stephansberg. Dort besichtigen fröhlichen Reiseführer Erich Gelf. Durch wir die Kath. Pfarrkirche St. Stephan. Sie seine akribischen, umfangreichen Vor- wurde 990 von Erzbischof Willigis auf der bereitungen und sein immenses Wissen höchsten Erhebung der Stadt gegründet. über Geschichte, Kultur und Architektur In seiner heutigen Form ist St. Stephan war diese Reise ein Erlebnis und wird eine dreischiffige gotische Hallenkirche uns allen sicherlich noch lange in positi- mit Chören im Osten und Westen sowie ver Erinnerung bleiben.

60 NC 1 / 10 Neologismen…und was dahintersteckt! Vom „Händelssohn“ zum „Linsengericht“ von Udo Kasprowicz

Nichts ist in unserer Sprache so ver- halb zwei unterschiedlichen musikali- kannt, nichts bereichert sie aber auch schen Epochen angehören und deren mehr als der gelungene Neologismus, Lebensmittelpunkte in zwei weit von- also jene Wortneuschöpfung, auf die einander entfernten Ländern lagen, zu die Sprachgemeinschaft gewartet zu einem verschmelzen? haben scheint, um eine kommunikative Becker verwies bei seinem Vor-Kon- Lücke zu füllen. Erinnert sei hier an das zert-Auftritt auf einen Berührungspunkt: schlichte „fernsehen“, mit dem seit dem Während seines Londonaufenthaltes 17 Jahrhundert die inzwischen verbrei- fahndete Mendelssohn nach Händels tete Benutzung des Teleskops bezeich- Oratorium „Israel in Egypt“, exportierte net wurde, bis es im 20. Jahrhundert in es nach Düsseldorf, passte es behut- sprachpflegerischer Absicht das grie- sam dem Zeitgeschmack an und führte chisch-lateinische Kunstwort „Televisi- es 1833 in Düsseldorf auf. on“ ersetzte, oder an „Rundfunk“, der Der Städtische Musikverein hatte im sich seit 1924 neben dem griechischen vergangenen Herbst dreimal die Ge- Radio behauptet. legenheit, die Qualität dieser Bearbei- Als Euphemismus durchschaut und tung zu erproben. Und es bestätigten deshalb ironisch gebraucht, kommen sich Beckers Worte: „Nicht barocker „Entsorgungspark“ und „Lebensab- Braten mit romantischer Soße“ sind schnittsgefährte“ daher. Jahrhunder- das Ergebnis, sondern ein gestrafftes tealt, aber eben doch nicht Urdeutsch Oratorium mit einer den dramatischen sind die Neuschöpfungen „Finsternis“ Charakter unterstützenden Ouvertüre (Luther), „Leidenschaft“ (Zesen) und sind entstanden. Also bemächtigte sich „empfindsam“ (Lessing) aus unserem nicht der Jüngere des Älteren, sondern Sprachgebrauch nicht mehr wegzu- bereicherte ihn. Die Eigenständigkeit denken. des neuen Werkes wird durch den Brandneu - oder „flammneu“ wie der Neologismus „Händelssohn“ also voll- große Vorsitzende es auszudrücken endet. pflegt - sozusagen in der Erprobungs- Aber unser materialistisches Zeitalter phase und auch in seinem Ironiegehalt vertraut dem Gleichklang der Seelen ungeklärt ist das Kunstwort, das Inten- allein nicht gern. Der Geist weht, wo dant Michael Becker dem Publikum von er will, und die Sprache des Herzens „Israel in Ägypten“ vorstellte: „Händels- ist trügerisch. Wahre Seelenverwandt- sohn“. Er erläuterte es als eine Mixtur schaft gründet sich auf Handfestes, auf aus Händel und Mendelssohn. Substantielles, das dennoch auf größe- Lassen sich zwei Musiker, die einan- re, geistige Zusammenhänge verweist. der im Leben nicht begegnen konnten, Die Lösung findet sich wie so oft bei weil der eine 50 Jahre tot war, bevor den Dingen, die Körper und Seele zu- der andere geboren wurde, die des- sammenhalten.

NC 1 / 10 61 Ein Grundnahrungsmittel mit jahrtau- sendealter Tradition und wegweisender Bedeutung im Hause Mendelssohn- Bartholdy war die braune Linse. Schon in der Thora las der kleine Felix die Geschichte vom Erwerb des Erstge- borenenrechtes1, das Jakob den Weg ebnete, die Verheißung des Herrn zu erfüllen. Auch Felix war jünger als sei- ne nicht minder begabte Schwester Fanny. Aber die Zeiten waren andere. Es bedurfte keiner Bestechung durch ein Linsengericht, um den Segen für eine musikalische Karriere zu erhalten. Jun- Georg Friedrich Händel in Erwartung eines ge zu sein wog den Nachteil der späten Linsengerichtes? Geburt auf. Und doch wird ihr jedes Lin- sengericht einen kleinen Stich versetzt sorgten dafür, dass der Strom an Geld- haben, zeigt es doch wie ein Dingsym- münzen nie versiegte. In einzelnen bol, aus welch banalem Grund sie dem Quellen werden ihnen Einfluss auf den Bruder den Vortritt auf die Podien der Kindersegen zugeschrieben. Konzerthäuser Europas, insbesondere Als Sohn eines Wundarztes kannte Düsseldorfs, lassen musste. auch Händel das Wissen der Volksme- dizin um die Hülsenfrucht. Linsen tau- Diese Bedeutung der Linse belastete chen in den Rezepten gegen Gelbsucht Händel nicht. auf. Linsen waren in großen Mengen zu geringem Preis verfügbar, gleich- Linsen waren das Hauptnahrungs- wohl aber wertvoll, denn sie garantier- mittel der deutschen Bevölkerung bis ten den Fortbestand der Arbeits- und ins 18. Jahrhundert. Um ihren Genuss Schöpferkraft. Insofern trifft im übertra- rankten sich zahlreiche Mythen. Linsen genen Sinne die alttestamentarische am Heiligen Abend, zu Silvester, Neu- Bedeutung des „Linsengerichtes“ zu. jahr, Gründonnerstag und Karfreitag Ein Nahrungsmittel von geringem Wert setzt gewaltige geistige Potentiale frei, 1 Die Bibel(1. Buch Mose 25:29-34) erzählt von wandelt sich in schöpferischen Men- Jakob, dem jüngeren Sohn Isaaks, der seinem schen zur Kulturleistung. Nirgendwo älteren Bruder Esau dessen Erstgeburtsrecht spiegelt sich dieser Gedanke besser, angeblich gegen einen Teller Linsen (wörtlich allerdings nur "etwas Rotes") abkaufte, als Esau wenn auch vielleicht unfreiwillig wider von der Feldarbeit erschöpft heimkehrte. Daraus als im Namen des Chores „belcanto– gewann das Linsengericht im übertragenen Sin- Linsengericht“ der gleichnamigen Ge- ne die Bedeutung einer momentan verlockenden, meinde in der Nähe von Gelnhausen in in Wahrheit aber geringwertigen Gabe im Tausch 2 für ein sehr viel höherwertiges Gut. (aus WIKI- Hessen… PEDIA) 2 www.belcanto-linsengericht.de

62 NC 1 / 10 Als Kontrastprogramm zur alljähr- und - hier sind Konzessionen unum- lichen Weihnachtsmastgans und als gänglich - schlichter Abgesang vom „Händels- sohn“-Jahr - als Fastenspeise die Vor- 3 Rinds- oder freude auf das Schumannjahr weckend Wiener Würstchen in Scheiben, und verbunden mit den besten Wün- auch Rauchfleisch vom Rind oder schen der Redaktion für die Verheißung Schwein. der Linse - empfehlen wir hier unser

Linsengericht: Zubereitung:

Zutaten für 6 – 8 Personen In einem großen Kochtopf Zwiebeln und Knoblauch in der Margarine 5 Minuten 1 ½ ,Tassen gewaschene, grüne oder braten, häufig umrühren. braune Linsen, die über Nacht in 5 Linsen abgießen und in den Topf geben, Tassen Wasser eingeweicht wurden. weitere 2 bis drei Minuten anbraten. 1 große Zwiebel, gewürfelt Wasser, Gewürze und Suppenwürfel 2 zerstoßene Knoblauchzehen hinzufügen, erhitzen und eine Stunde 2 Teelöffel Margarine lang kochen. . 6-7 Tassen Wasser Kartoffeln hinzufügen und weitere 20 2 Esslöffel Rindersuppenpulver oder Minuten lang kochen, bis die die Kartof- 2 Suppenwürfel feln gar sind. 1 Teelöffel Salz Würstchen oder Räucherfleisch hin- ½ Teelöffel Pfeffer zufügen und noch einige Minuten lang 3 mittelgroße Kartoffeln, gewürfelt ziehen lassen.

Aus: Ta m i Le h m a n -Wilzig und Ma r i a Bl u m : Der Schmelztiegel. Israels Spezialitäten, schnell und einfach zubereitet. Herzlia (Israel) o.J. S. 26f.

NC 1 / 10 63 Erkrather wird Düsseldorfer des Jahres centert.tv ehrt MV-Vorsitzenden Manfred Hill von Jens D. Billerbeck

Kurz vor Weihnachten verlieh der Lokalsender center.tv Düsseldorf in ei- ner feierlichen TV-Gala zum ersten Mal die Auszeichnung „Düsseldorfer des Jahres". Geehrt wurden Menschen, die sich in besonderer Weise um die Landeshauptstadt verdient gemacht und Herausragendes geleistet haben. Der "Düsseldorfer des Jahres" wurde in den Kategorien "Wirtschaft", "Sport", "Kultur", "Lebenswerk", "Soziales En- gagement" sowie "Fairness & Coura- ge" vergeben. Preisträger im Bereich Kultur war der Vorsitzende des Städt. Musikvereins Manfred Hill. Michael Becker, Intendant der Ton- halle, hielt die Laudatio, ohne zunächst „Der Mendelssohn hat das so gemacht, den Namen des Preisträgers zu verra- mit Schumann haben wir das schon ten. „Dass es in Düsseldorf so schön ist, 1852 gesungen,“ zitierte er den Düssel- daran hat der Düsseldorfer des Jahres dorfer des Jahres und merkte ironisch im Bereich Kultur viel beigetragen, “ be- an: „Ich wundere mich manchmal, dass gann er. „Seit acht Jahren leitet er einen unter den Verträgen mit Mendelssohn, Verein. Stars wie Gary Bertini, John El- Schumann, Hiller oder Burgmüller nicht liot Gardiner oder Roger Norrington ar- sein Name steht.“ Der Preisträger sei beiteten mit dem Verein. Und damit ist zudem einer der intimsten Kenner der klar, es geht nicht um Fußball, es geht Düsseldorfer Stadtgeschichte und in- um Musik - aber da auch um Bundesli- ternationalen Gastdirigenten ein fulmi- ga.“ Becker rühmte den Preisträger als nanter Fremdenführer.Aber die Arbeit jemanden, der mit großer Begeisterung des Preisträgers sei keinesfalls nur und ebensolcher Begeisterungsfähig- rückwärtsgewandt: „Er schuf eine Zu- keit von Dirigenten erzähle, denen er kunftsmodell, das in Deutschland sei- definitiv nie persönlich begegnet sei. nesgleichen sucht.“ Die Singpause. In Düsseldorf lernen Kinder von sechs bis zehn Jahren aus verschiedenen Na- tionen und sozialen Schichten singen. „Das Konzept,“ so Becker, „ist so geni- al, das es sich leisten kann einfach zu sein: Die Kinder lernen Lieder, so viele schöne Lieder.“ Und er berichtete von der Begeisterung einer seiner Töchter:

64 NC 1 / 10 „Da ist klar, in zehn Jahren singt die im Chor.“ Becker weiter: „So etwas kann man nicht professionell planen ohne Herz, ohne unbändige Freude am Singen. Die hat er, und die gibt er gerne weiter. Und dafür dankt ihm seine Stadt!“ Ein kurzer Einspielfilm stellte nun die Sing- pause und den Preisträger Manfred Hill vor. Dieser dankte sichtlich bewegt, und verwies augenzwinkernd auf einen „Makel“ in seinem Lebenslauf: „Ich bin in den Kriegswirren in Bayern geboren. te rund 9000 Kinder. Und damit kann Weil ich aber Düsseldorfer bin und für sich die Stadt wirklich schmücken: Wir diese Stadt so brenne, wird dieser Preis haben hier das größte musikalische jetzt vor diesen Makel gestellt, damit Bildungsprojekt für Grundschulkinder man sieht, dass ich ein echter Düssel- in Europa.“ dorfer bin.“ Einen besonderen Dank sprach Manf- Er nehme diesen Preis stellvertre- red Hill seiner Ehefrau Franzis aus, „die tend entgegen, sagte Hill weiter: „Stell- mich praktisch nie sieht, denn ich bin vertretend für die 32 Singleiter und im Prinzip immer unterwegs in Sachen Singleiterinnen, die tagtäglich in den Musikverein oder Singpause. Ich danke rund 40 Grundschulen mit den Kindern Dir, dass Du das so gut erträgst.“ eine wunderbare Arbeit leisten.“ Aber Die weiteren Preisträger waren: Ste- auch die Lehrerinnen und Lehrer und fan Piecuch in der Kategorie "Fairness die Schulleiter der Schulen schloss Hill & Courage". Der Düsseldorfer hat nicht in seinen Dank ein: „Denn wir alle ge- nur das Leben eines Polizisten geret- meinsam wir schaffen hier Bildung! Und tet, sondern sich selbst dabei auch zwar für alle Kinder in der Grundschu- in Gefahr gebracht. In der Kategorie le. Das war mein größtes Anliegen.“ Hill "Sport" wurde Fortuna-Trainer Norbert weiter: „Und dieses Anliegen ist von Meier als "Düsseldorfer des Jahres" den Verantwortlichen der Stadt in wirk- ausgezeichnet. Den "Düsseldorfer des lich wunderbarer Weise unterstützt wor- Jahres" in der Kategorie "Soziales En- den.“ In der Anfangsphase 2006 habe gagement" erhielt die pädagogische man ja noch keine Erfahrungswerte Leiterin des Kinderhospizes Regenbo- vorzuweisen gehabt, dennoch habe genland, Melanie van Dijk. In der Ka- der Kulturausschuss und das Kulturamt tegorie "Wirtschaft" wurde der Düssel- innovativ entschieden und den ersten dorfer Unternehmer Albrecht Woeste Zuschuss für den Start des Projektes ausgezeichnet. Abschließend wurde bewilligt. Und daraus habe sich - nicht die Auszeichnung "Düsseldorfer des zuletzt dank zahlreicher Spender - die Jahres" in der Kategorie "Lebenswerk" Singpause in ihrer heutigen Größen- von Weihbischof Dr. Heiner Koch an ordnung entwickelt. „Wir erreichen heu- Engelbert Oxenfort übergeben.

NC 1 / 10 65 Termine, Termine …Vorschau auf die Konzerte mit dem Städtischen Musikverein im Schumannjahr 2010

JANUAR 2010 - Tonhalle Düsseldorf MAI 2010 - Tonhalle Düsseldorf 01.01.2010 Freitag 11 Uhr Schumannfest 2010 Eröffnung Neujahrskonzert Freitag 28.05.2010 - 20 Uhr Freitag 01.01.2010 11 Uhr Robert Schumann Tonhalle Düsseldorf «Nachtlied op. 108» u.a. Robert Schumann Deutsche Kammerphilharmonie Bremen «Neujahrslied, Rheinweinlied» Städt. Musikverein zu Düsseldorf Düsseldorfer Symphoniker Marieddy Rossetto, Einstudierung Städt. Musikverein zu Düsseldorf Thomas Søndergård, Dirigent Marieddy Rossetto, Einstudierung JULI 2010 - Tonhalle Düsseldorf Hubert Soudant, Dirigent Donnerstag 08.07.2010 - 20 Uhr FEBRUAR 2010 - Tonhalle Düsseldorf Robert Schumann Symphoniekonzert - Sternzeichen 7 «Der Rose Pilgerfahrt» Fr 05.02. / So 07.02. / Mo 08.02.2010 Orchester der Robert-Schumann-Hochschule Robert Schumann Städt. Musikverein zu Düsseldorf «Das Glück von Edenhall op 143» Marieddy Rossetto, Einstudierung Düsseldorfer Symphoniker Raimund Wippermann, Dirigent Städt. Musikverein zu Düsseldorf für September / Oktober sind Marieddy Rossetto, Einstudierung Konzerte in Bonn, Essen Alexander Vedernikov, Dirigent Lüttich und Maastricht mit Sonnenwind 4 Sonntag 28, Februar 2010 - 16.30 Uhr Beethovens 9. Sinfonie bzw. Robert Schumann Mahlers 2. Sinfonie «Der Königssohn» geplant. Düsseldorfer Symphoniker Städt. Musikverein zu Düsseldorf NOVEMBER 2010 - Tonhalle Düsseldorf Marieddy Rossetto, Einstudierung Symphoniekonzert Gregor Bühl, Dirigent Fr 26.11. / So 28.11. / Mo 29.11.2010 Robert Schumann APRIL 2010 - Tonhalle Düsseldorf «Manfred» Symphoniekonzert - Sternzeichen 9 Düsseldorfer Symphoniker Freitag 16.04.2010 - 20 Uhr Städt. Musikverein zu Düsseldorf Sonntag 18.04.2010 - 11 Uhr Marieddy Rossetto, Einstudierung Montag 19.04.2010 - 20 Uhr GMD Andrey Boreyko, Dirigent Robert Schumann DEZEMBER 2010 - Tonhalle Düsseldorf «Szenen aus Goethes Faust» Symphoniekonzert Düsseldorfer Symphoniker Fr 17.12. / So 19.12. / Mo 20.12.2010 Simona Saturova, Gretchen Robert Schumann Dietrich Henschel, Faust «Adventlied» Peter Mikulás, Mephisto Düsseldorfer Symphoniker Werner Güra, Ariel Städt. Musikverein zu Düsseldorf Ingeborg Danz, Alt Marieddy Rossetto, Einstudierung Städt. Musikverein zu Düsseldorf GMD Andrey Boreyko, Dirigent Marieddy Rossetto, Einstudierung Bernhard Klee, Dirigent Änderungen möglich, aber nicht beabsichtigt!

66 NC 1 / 10 Robert Schumann. Dichtergarten für Musik Eine Anthologie für Freunde der Literatur und Musik Hrsg. von Gerd Nauhaus und Ingrid Bodsch. Textübertragung und Kommentar von Leander Hotaki unter Mitarbeit von Kristin R.M. Krahe. Stroemfeld Verlag und StadtMuseum Bonn. 2007. 489 S. ISBN 978-3-86600- 003-2. Preis 18 Euro

Ehetagebücher 1840-1844 Robert und Clara Schumann Hrsg. von Gerd Nauhaus und Ingrid Bodsch. Stroemfeld Verlag und StadtMuseum Bonn. 2007. 332 S. ISBN 978-3-86600-002-5. Preis 16 Euro

Clara Schumann. Blumenbuch für Robert. 1854-1856 ISBN 3-86600-001-4. Preis 28,00 Euro. (Faksimileausgabe mit biographischem und botanischem Kommentar, z.Z. vergriffen, Wiederauflage geplant), Bonn, Frankfurt am Main und Basel 2006

Robert Schumanns „Album für die Jugend“ Autor: Bernhard R. Appel - Vorwort: Peter Härtling Einführung und Kommentar; Widmung: Für Mechthild Verlag: Schott Music - 321 Seiten - Hardcover ISBN: 978-3-254-00237-2 Bestell-Nr.: ATL 6237 Preis: 39,95 €

Editha Hackspiel Düsseldorfer Ansichten Mit Texten von Joseph Anton Kruse Düsseldorf ist sehenswert! Das zeigen Editha Hackspiels Radierungen in ein- drucksvoller Weise. Die Künstlerin stellt Düsseldorfer Stadtteile und Örtlichkeiten mit feinem Strich detailgetreu dar. Die begleitenden Texte von Joseph A. Kruse, dem Leiter des Heinrich- Heine-Instituts in Düsseldorf, geben unterhaltsame und informative Erläuterungen, in gekürzter Version auch auf Englisch, Spanisch und Japanisch. So erhalten Besucher und Ein- heimische eine ganz besondere Sicht auf Altstadt, Hafen und Oberkassel, Kaisers- werth, Benrath und Meerbusch, auf Japanische und Internationale Schule, das Eko- Zentrum, Schloss Kalkum und vieles mehr. Droste-Verlag Düsseldorf - 17,50 €

NC 1 / 10 67 Der Städtische Musikverein probt jeweils um 19.25 Uhr im Helmut-Hentrich-Saal der Tonhalle, Eingang Rheinseite. Gemeinschaftsproben für alle Stimmen finden i.d.R. dienstags statt. Proben mit chorischer Stimmbildung werden montags für die Herren und donnerstags für die Damen um 19 Uhr angeboten. Tel.: 02103-944815 (Manfred Hill, Vorsitzender) oder Tel.: 0202-2750132 (Marieddy Rossetto, Chordirektorin)

Editha Hackspiel Die Düsseldorfer Symphoniker „Aus Liebe zur Musik“ Vorwort: Michael Becker und Georg Lauer Aus Liebe zur Musik kehrt Editha Hackspiel im- mer wieder zurück zu den Proben der Düsseldor- fer Symphoniker, um dort bei Musik zu zeichnen und zu malen. Dirigenten, Solisten, musizierende Musiker mit ihren Instrumenten oder ganze Orchesterszenen der Symphoniker und dem Städtischen Musikverein, von Heinrich Hollreiser und Michael Rühl, bis Bernhard Klee und Jens Langeheine, Rudolf Buchbinder oder Frank-Peter Zimmermann und vielen an- deren Solisten, von John Fiore bis hin zu dem neuen Generalmusikdirektor Andrey Bo- reyko. Hunderte Bilder entstanden. Die Schönsten davon sind in diesem Bildband in Farbe gesammelt und stellen eine Dokumentation dar, wie es sie bisher noch nicht gegeben hat. Droste-Verlag Düsseldorf - 19,95 €

Hermann Weber Feuerlöscher GmbH Feuerlöscherfabrik

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