Gigi Deppe SÜDWESTRUNDFUNK Alessa Böttcher STUDIO KARLSRUHE ARD-Rechtsredaktion Hörfunk
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Gigi Deppe SÜDWESTRUNDFUNK Alessa Böttcher STUDIO KARLSRUHE ARD-Rechtsredaktion Hörfunk Radioreport Recht Aus der Residenz des Rechts Dienstag, den 18. Mai 2021 https://www.swr.de/swr1/sendung-swr1-radioreport-recht-100.html Hate Speech – wenn Hass im Netz zum sehr realen Problem wird Gigi Deppe: Heute mit Gigi Deppe und Alessa Böttcher: Alessa Böttcher. Gigi Deppe: Hate Speech ist unser Thema. Schon wieder so ein englisches Schlagwort, aber ein Begriff, mit dem fast jeder mittlerweile anfangen kann. „Hass Rede“ heißt es ja wörtlich übersetzt, aber dass es ein Schlagwort geworden ist, das hat seinen Grund. Im Internet wird gepöbelt und gedroht, ich hoffe sehr, dass Sie noch nicht Opfer von solchen Attacken geworden sind. Manche Betroffene finden es erst lustig, dann belastet es aber doch, was da so über einen geschrieben wird. Seit kurzem gibt es ein neues Gesetz zur Bekämpfung von Hasskriminalität. Rechtsfreie Räume im Netz sollen geschlossen werden. Wir sollen uns wehren können. Und wenn wir uns mehr wehren, dann wird der Spuk immer weniger, so ist die Überlegung. Noch ist das Gesetz nur teilweise in Kraft, manches wird erst Anfang nächsten Jahres gültig. Wir schauen uns dieses Gesetz heute an: Was steht da drin? Wird das wirklich helfen gegen Angriffe im Internet? Und wir schauen uns an, was man tun kann, wenn man von Hass im Netz oder Cybermobbing betroffen ist. Aber zuerst die Frage an meine Kollegin Alessa – du hast dich ja ganz schön in dieses Thema eingearbeitet – gab es da eine Geschichte, die dich besonders berührt hat? 1 Alessa Böttcher: Ja, und zwar von der Bloggerin Anna Wilken. Die berichtet auf Instagram über ihren unerfüllten Kinderwunsch. Und als sie von einem neuen gescheiterten Befruchtungsversuches berichtet hat, hat sie den Kommentar erhalten: „Du bist unfruchtbar. Du wirst niemals schwanger werden und das ist perfekt! Du bist viel zu jung, merkt man schon daran, dass du in der Corona-Pandemie ein Neugeborenes in die verseuchte Welt setzen willst. Zum Glück kannst du das ja nicht.“ Gigi Deppe: Das ist wirklich ziemlich hart, dass sie so beschimpft wird. Sie sagt ja etwas, was nur ihr Problem ist. Alessa Böttcher: Und sie möchte auch anderen Frauen Mut machen, die von demselben Problem betroffen sind. Gigi Deppe: Jetzt könnte man ja sagen: Beleidigungen gabs doch früher auch schon. Auch früher mussten sich Menschen gegen Beleidigungen zur Wehr setzen. Warum jetzt extra ein englischer Begriff? Warum „Hate speech?“. Alessa Böttcher: Es geht um rassistische oder sexistische Kommentare im Internet – um Kommentare auf Facebook oder Instagram. Plattformen, die jeder nutzt. Und damit kann auch jeder Betroffener von diesem Problem sein. Überwiegend sind Personen des öffentlichen Lebens betroffen, aber nicht „große Berühmtheiten“ oder Bundespolitiker, sondern eben auch Kommunalpolitiker oder Aktivisten. Das sind Leute, die Jobs machen, die sich ohnehin keiner großen Beliebtheit erfreuen. Die aber relativ wichtig für unsere Gesellschaft sind. Und durch die Anfeindungen im Netzt wird das Problem natürlich immer größer. Gigi Deppe: Und da hat keiner mehr Lust, diesen Job zu machen… Alessa Böttcher: Josephine Ballon, ist Rechtsanwältin einer Hilfsorganisation für Betroffene. Und sie sagt: Josephine Ballon: Wenn man berücksichtigt, dass im Internet die Reichweite eine ganz andere ist, dass das teilweise 100fach, 1000fach geteilt wird, alle sehen das, die Arbeitskollegen, die Freunde, die Familie, das ist eine ganz andere Dimension als die normale Beleidigung am Gartenzaun. Gigi Deppe: Na, ich kenne auch einen Fall, einen, den wahrscheinlich viele Hörerinnen und Hörer auch kennen, den von der Grünen-Politikerin Renate Künast. Auslöser war bei ihr, dass auf Facebook ein Falschzitat von ihr gepostet wurde und sie darunter in den Kommentaren wüst beschimpft wurde. Renate Künast hat dann gegen die Verfasser dieser Kommentare geklagt. Es hat sich herumgesprochen: In erster Instanz war sie erstmal erfolglos. 2 anschließend stellte das Kammergericht, also die nächsthöhere Instanz, und zwar erst nach Wochen, muss man sagen, das Kammergericht stellte fest, dass Frau Künast trotz ihrer öffentlichen Stellung eben nicht als "Sondermüll" oder "Drecksau" bezeichnet werden darf. Alessa Böttcher: Ja, und der Fall Walter Lübcke zeigt, bis in welches Extrem, Hass im Internet umschlagen können. Schon zu Lebzeiten wurde der Politiker im Netz angefeindet und seine Adresse sogar veröffentlicht. Und nach seiner Ermordung haben dann rechtsextreme Nutzer den Schützen gefeiert. Gigi Deppe: Da ist ja auch die Staatsanwaltschaft aktiv geworden, das war schon klar, da muss was passieren, das kann nicht so weitergehen. Alessa, jetzt gibt’s also verschiedene private Organisationen und Bewegungen, die den Hate speech bekämpfen wollen. Wir haben eben schon jemanden von Hate Aid (also „Hilfe gegen Hass“) gehört. Es gibt das „No Hate Speech Movement“, das ist aus einer Jugendkampagne des Europarates entstanden. Die Initiative „Verfolgen und Löschen“, die wurde von der Medienanstalt Rheinland-Pfalz initiiert. Aber nur privates Engagement reicht wahrscheinlich nicht. Auch in der Politik sehen viele dieses Problem, und deswegen gibt es das Gesetz gegen Hasskriminalität. Alessa Böttcher: Justizministerin Lambrecht hat sich schon lange für die Verschärfung der aktuellen Rechtslage eingesetzt. Letztes Jahr hat sie eine Rede zu dem Thema gehalten und dabei gesagt… Christine Lambrecht: Wer andere mit Mord, mit Vergewaltigung, mit schlimmsten Straftaten droht – der gibt keine Meinung kund, der macht sich strafbar. Gigi Deppe: Ja, man hört, wie energisch sie auf den Tisch haut dabei. Also es ist ihr wirklich ein Anliegen, dass sich da was ändern muss. Jetzt ist die Frage: Wie denn Hasskriminalität bekämpfen, was sieht man eigentlich in der Politik als wirksames Mittel an? Alessa Böttcher: In dem neuen Gesetz gegen Hasskriminalität finden sich verschiedene Wege. Einerseits wird das Strafrechts reformiert. Und die Strafen für Beleidigung oder Bedrohung wurden angehoben. Und die einzelnen Gesetze wurden auch erweitert. So ist jetzt nicht mehr strafbar, mit einem Mord zu drohen, sondern z.B. auch mit einer Vergewaltigung. Gigi Deppe: Und das gilt jetzt schon seit Anfang April. Also das Gesetz ist in Kraft. Wer da jetzt aktiv wird im Netz und sowas macht, muss mit viel höheren Strafen rechnen. 3 Alessa Böttcher: Das gilt schon ab sofort, und man erhofft sich so die Hater im Internet ein bisschen einzufangen und diesen Hasskommentaren entgegen zu wirken. Zum Beispiel gelten jetzt Kommunalpolitiker als Personen des öffentlichen und politischen Lebens und sind damit noch mal besonders gegen Beleidigung geschützt. Aber gleichzeitig wurde auch das NetzDG, das sog. Facebook-Gesetz verändert. Und für die Plattformen besteht ab nächstem Februar nicht nur die Pflicht, Hasskommentare zu löschen. Sondern sie müssen diese eben auch an das BKA melden. Und unter bestimmten Voraussetzungen auch die IP-Adresse weitergeben. Das gilt aber zum Beispiel nicht für eine einfache Beleidigung. Gigi Deppe: Das heißt nur für ganz grobes Verhalten? In diesen Fällen muss Facebook zum Beispiel die IP-Adresse weiterleiten? Alessa Böttcher: Genau, z.B., wenn ich jemanden bedrohe auf Facebook. Gigi Deppe: IP-Adressen, das sind ja die Adressen, die jeder hat, der sich mit dem Computer ins Internet begibt. Und das muss jetzt an das Bundeskriminalamt gemeldet werden? Alessa Böttcher: Es geht darum, dass viele Leute im Netz eben anonym auftreten. Und man dann nicht weiß, wer hinter dieser irgendeiner anonymen Beleidigung steckt. Und der Polizei soll die Möglichkeit gegeben werden, das zu ermitteln. Und da muss man jetzt die IP-Adresse übermitteln. Das Problem dabei ist, dass diese IP-Adressen erstmal nur eine Nummer sind. Und man muss dann bei der Telefonfirma und den Netzbetreibern anfragen: Wer versteckt sich denn hinter dieser Nummer? Und die Telefonfirmen speichern das für PCs nur sieben Tage und für Handy Einwählen gar nicht. Mit dem Ergebnis, dass die Polizei also nur sieben Tage hat, um mit der IP-Adresse zu ermitteln. Gigi Deppe: Ist denn das Problem für die, die da bedrängt und beleidigt werden, nur, dass man die Täter nicht findet? Alessa Böttcher: Nein, es gibt auch Kritik an der Justiz. Man wirft Richtern und Staatsanwälten vor, dass sie das Problem noch nicht durchblickt haben und denken: Nur so ein bisschen Hass im Internet - ist doch nicht so schlimm! Christian Schertz ist Rechtsanwalt in Berlin und hat sich auf solche Themen spezialisiert. Und er schildert folgende Geschichte: Christian Schertz: Ich habe das immer noch, wenn ich beim Landgericht München bei der Pressekammer bin. Die machen auch Medizinhaftungsrecht, und ich komm dann an und will eine Geldentschädigung für eine schwere 4 Persönlichkeitsverletzung. Und dann sagt mir immer der Vorsitzende Richter: Herr Schertz, Sie kommen hier mit den Abschüssen der Kinder privat, ja das ist ja alles furchtbar. Aber wir haben hier gerade Leute, die haben ihr Augenlicht verloren. Das heißt, dass die Folgen für Persönlichkeitsverletzungen nicht immer so schlimm wahrnehmbar sind wie ein ab-er Arm, um es mal deutlich zu sagen. Das ist das Eine. Ich glaube, da fehlt tatsächlich die Sensibilität: Was macht das mit den Menschen, wenn sie das über sich lesen müssen? Gigi Deppe: Das ist natürlich richtig, was er sagt. Aber man kann ja auch noch ganz anders argumentieren. Man könnte ja sagen: Wir leben in einer freien Gesellschaft, da soll es viele Debatten geben, vielleicht auch heftige Debatten. Und wenn jetzt jeder jeden anzeigt wegen Hate Speech,