„Massive Gegendrohung“ Nicht, Im Hinteren Teil Ist Der Film Vor Allem Gemetzel, Und Das Ist Ein Verdienst
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Titel Geschichte der Täter, nicht der Opfer. Das ist generell ein Problem bei der Aufarbei- tung des Baader-Meinhof-Komplexes. Das Faszinosum liegt bei den Tätern, ihrem Weg zur Tat und ihrem Sein nach der Tat. Dabei wird oft vergessen, dass zum Töten ein Sterben gehört. Die Opfer sind nicht so interessant, weil sie aus normalen Leben herausgerissen wurden. Und das Leid der Toten ist nicht bekannt. Deshalb will Edel wenigstens die Ge- schichte des Mordens aus Sicht der Opfer erzählen. „Ich bin mit der Kamera bei den Opfern im Auto“, wenigstens das.“ Er lässt die Kamera im Auto festzurren, schickt die Darsteller der Opfer raus und filmt den Angriff aus ihrer Sicht. Dann setzt er sie rein und filmt ihr Sterben, die 12, 20, 50 Einschläge in den Körper. Am Computer wird später alles zusammengefügt. So entstehen Bilder, die gefehlt haben. / DPA NORDISK / PICTURE-ALLIANCE Heinrich Breloer hat den Überfall im Entführte Lufthansa-Maschine „Landshut“ (in Dubai, 1977): Situation dramatisch zugespitzt Doku-Drama „Todesspiel“ auch gezeigt, aber eben aus größerer Distanz, mit Scho- nung für den Betrachter und ohne die Mor- de an Buback und Ponto. Diese Schonung gibt es im „Baader-Meinhof-Komplex“ „Massive Gegendrohung“ nicht, im hinteren Teil ist der Film vor allem Gemetzel, und das ist ein Verdienst. Während der Entführung Schleyers 1977 regierten Krisenstäbe Erst mit diesem Film hat die Debatte über die RAF eine ausreichende Grund- die Republik. Der SPIEGEL hat die geheimen Abläufe lage. Es war immer klar, dass es diese Ge- rekonstruiert: Es ging auch um die Todesstrafe für RAF-Terroristen. metzel gegeben hat, aber es war ins Reich der Vorstellung verwiesen, und da konnte ie Nachricht von der Entführung Kanzleramt das erste Mal der parteiüber- sich ein jeder nach Gutdünken beschum- Hanns Martin Schleyers erreichte greifende „Große Politische Beratungs- meln, bis hin zum Ausklammern. DHelmut Schmidt mitten in einer Be- kreis“, vulgo „Großer Krisenstab“ – ein Die Bilder aus dem Kulturbetrieb zur sprechung, ungefähr eine halbe Stunde Gremium, das die bundesdeutsche Verfas- RAF, das ist bislang Gerhard Richters nach der Tat. Sofort eilten sein Kanzler- sung nicht kennt und über dem bis heute Zyklus „18. Oktober 1977“, der sich vor amtsminister Hans-Jürgen Wischnewski ein Schleier der Geheimhaltung liegt. allem mit dem Tod der Täter befasst und und Justizminister Hans-Jochen Vogel in Über 43 Tage hinweg, bis zum Auffinden damit zum Mythos beiträgt, wenn auch die Vincenz-Statz-Straße in Köln, wo sich der Leiche Schleyers, wurden hier die we- womöglich ungewollt. Daneben stehen ihnen ein „grauenhafter Anblick“ (Vogel) sentlichen Entscheidungen getroffen: kein nun Edels Bilder von den Überfällen, und bot: Die mit Planen abgedeckten Leichen Austausch, keine Geldübergabe, auch sie sollten die Gewichte der Debatte ver- der drei Leibwächter und des Fahrers lagen nicht, als ein arabisches Terrorkommando schieben, weg von den Absichten und auf der Straße und dem Bürgersteig. Dort, die Lufthansa-Maschine „Landshut“ mit Worten der Täter, hin zu den Taten. Denn wo die Opfer starben. Dazwischen der 91 Menschen an Bord kaperte, um den For- am Ende ist die RAF nichts anderes Kinderwagen, den die Mörder auf die derungen der Schleyer-Entführer Nach- als „Selbstfaszination durch die Selbst- Fahrbahn gerollt hatten, um den Wagen druck zu verleihen. ermächtigung zur Gewalttat“, wie das Jan Schleyers zu stoppen. Doch was in der Runde beredet wurde, Philipp Reemtsma in seinem neuen Buch Noch am selben Abend telefonierte ein ist weiterhin Verschlusssache. Und wenn es „Vertrauen und Gewalt“ ausdrückt. Kein sichtlich mitgenommener Kanzler mit Hel- nach dem Willen der Mächtigen in diesem Stoff für einen Mythos, wenn man noch mut Kohl, dem Oppositionsführer der CDU. Land geht, soll das auch so bleiben. Denn bei Trost ist. Der weilte gerade in West-Berlin. Beide das einzige Exemplar des Protokolls – ein Martina Gedeck, die bei ihrer Arbeit Ul- Männer verabredeten sich für den nächsten Referatsleiter hat es gefertigt, entgegen al- rike Meinhof sehr nahe war, kommt an- Tag, den 6. September 1977, in Bonn. ler Gepflogenheit wurde es den Beteiligten ders aus diesem Film heraus, als sie hin- In dem Vier-Augen-Gespräch war dann nicht zum Gegenlesen vorgelegt – befindet eingegangen ist. Aber es ist nicht Nähe zur viel von Taktik die Rede, denn inzwischen sich noch heute im Kanzleramt, geheim Meinhof geblieben, sondern mehr Nähe hatten die Terroristen gefordert, elf „Ge- wie eh und je. Eine Freigabe sei „nicht entstanden zu dem Staat, den Ulrike Mein- fangene aus der RAF“ auf freien Fuß zu möglich“, erklärt Amtschef Thomas de hof wegbomben wollte. Sie findet, dass sie setzen und in „ein Land ihrer Wahl“ reisen Maizière. letzten Endes in „paradiesischen Zustän- zu lassen, jeden mit 100000 Mark versorgt. Nur die Grundzüge sind bekannt: Die den“ lebt und meint vor allem einen funk- Schmidt plädierte für Zeitgewinn. Kein Partei- und Fraktionsvorsitzenden waren tionierenden Rechtsstaat. Austausch, harte Linie. Kohl war einver- versammelt, auch die Ministerpräsidenten Martina Gedeck, die ganz wunderbar standen. Es ging ums große Ganze, um jener vier Bundesländer, in deren Gefäng- Ulrike Meinhof sein kann, denkt jetzt, dass die „Gemeinsamkeit der Demokraten“ nissen jene RAF-Terroristen einsaßen, die sie eigentlich etwas tun müsste, damit die- (Schmidt), um eine einheitlich starke Front freigepresst werden sollten. Hier hatten zu- se Zustände erhalten bleiben. „Ich sehe gegen die RAF. dem Schmidts engste Berater eine Stim- mich stärker als Bürgerin dieses Staates“, Viereinhalb Stunden später war es offi- me. Sie waren zugleich Mitglieder des an- sagt sie. ziell: Kurz vor Mitternacht traf sich im deren, in der Verfassung ebenfalls nicht 48 der spiegel 37/2008 der Repression muss erörtert werden“, se- kundierte Kohl. Und von Willy Brandt (SPD) findet sich in Papieren der Satz, es gebe eine „Offenheit, über alles zu spre- chen und nachzudenken“. Erstmals hat der SPIEGEL 1987 über jene Modelle berichtet, die im heißen Herbst zehn Jahre zuvor diskutiert wor- den waren. Die nun vorliegenden Unterla- gen freilich werfen die Frage auf, ob die Gefahr für den Rechtsstaat damals noch größer war als bislang bekannt. Am Abend des 13. September klagte Schmidt in einem Telefonat mit dem fran- zösischen Präsidenten Giscard d’Estaing laut Vermerk: „Die öffentliche Meinung befindet sich in einem ‚schrecklichen Zustand‘. Von allen Seiten, sogar von Politikern werde von ihm verlangt, Geisel- erschießungen an den inhaftierten Terro- AP / ULLSTEIN BILD AP / ULLSTEIN risten vorzunehmen. Er stünde unter star- Kanzler Schmidt, Minister Genscher*: „Mühsam gebändigter Zorn“ kem Druck, überwiegend seitens der Op- position, aber auch aus dem eigenen Lager vorgesehenen Gremiums, der „Kleinen Aber weder ist die genaue Zusammen- und aus weiten Kreisen parteipolitisch Lage“, die sich stärker um operative Fra- setzung der einzelnen Runden publik nicht gebundener Bürger.“ gen kümmerte: etwa Außenminister Hans- geworden, noch sind die Vorgänge im Schon am Vormittag, gegen 11.15 Uhr, Dietrich Genscher, Vogel, Wischnewski, Detail bekannt, die auf der Tagesordnung hatte der Kanzler – Verfassungsorgan Staatssekretäre des Kanzleramts und des standen. Nummer 3 – beim Bundestagspräsidenten Innenministeriums, Regierungssprecher Wer also rekonstruieren will, was da- – Verfassungsorgan Nummer 2 – angeru- Klaus Bölling, Generalbundesanwalt Kurt mals beraten wurde, muss auf andere Wei- fen; das war damals Karl Carstens (CDU). Rebmann, der Präsident des Bundeskrimi- se nach Spuren suchen: in Nachlässen im Schmidt hielt es für nötig, zu Protokoll zu nalamts (BKA), Horst Herold. Bundesarchiv, in den Notizen, die sich Teil- geben, dass er die Verfassung niemals bre- nehmer während und nach chen werde – ein in der deutschen Ge- den Sitzungen fertigten, im schichte wohl einmaliger Vorgang. Archiv des Auswärtigen Carstens notierte: „In dem ,politischen Amtes, das als einziges Mi- Kreis‘, dem auch Kohl und Strauß an- nisterium bislang in vor- gehörten, sei die Forderung erhoben wor- bildlicher Weise einen we- den, seitens des Staates mit Repressalien sentlichen Teil seiner Do- gegen die Häftlinge zu drohen. Die betei- kumente freigegeben hat. ligten Justizminister berieten zur Zeit dar- Und man muss mit den Be- über. Er, der Bundeskanzler, habe erklärt, teiligten sprechen. man solle alle Möglichkeiten und alle Vor- Es ergibt sich ein ver- schläge durchdenken. Er werde sich jedoch störendes Bild von den Ge- nicht wissentlich an Aktionen beteiligen, danken und Gesprächen die seinen vor dem Bundestag geleisteten der Mächtigen in jenem Eid, insbesondere soweit es sich um die „schwersten Jahr für die Wahrung des Grundgesetzes handle, tan- Bundesrepublik“ (Wisch- gieren würden. Er bäte mich als den Präsi- newski). Überraschende denten des Deutschen Bundestages, der Verwerfungen offenbaren ihm den Eid abgenommen habe, diese Er- sich im rechtsstaatlichen klärung entgegenzunehmen und festzu- Vermerk vom Telefonat zwischen Schmidt und Carstens Fundament der Republik – halten. Ich sagte zu, dies zu tun.“ das nach 32 Jahren gelern- Dann heißt es kryptisch: „Der Bundes- ter Demokratie eigentlich kanzler fuhr fort, de lege ferenda könne als felsenfest galt. Von der man über Änderungen des Grundgesetzes Einführung der Todesstrafe sprechen. Nur ergäben sich hierbei un- war die Rede, von Er- übersteigbare Grenzen, insbesondere, so- schießungen und von Re- weit es sich um die Rückwirkung jetzt zu pressalien gegen RAF-Ge- beschließender Maßnahmen handelte.“