FREITAG 10 15. MÄRZ 2019

BÜRGERSCHAFTSWAHL: BREMENS VERTRETUNG IN IST VIEL MEHR ALS EINE BOTSCHAFT Lobby-Arbeit für das kleinste Bundesland

Es begann mit einer ausgebrannten Villa eit 1949 hat Bremen eine Bevollmäch- tigte oder einen Bevollmächtigten beim S Bund. Nicht selten erwies sich das Amt als Sprungbrett für höhere Weihen. Karl Carstens, der spätere Bundespräsi- dent, war der erste Bevollmächtigte. Bremen hatte sich im beschaulichen Bonn ein Grund- stück mit einer ausgebrannten Villa gesichert – für 150000 DM. Carstens gilt als akku- rater Mann, gepaart mit hanseatischer Sparsamkeit. Und er beweist Kampfgeist in einer Sache, die Bremen noch häufi- ger beschäftigen wird: die Frage der Selbstständigkeit. Es gibt Pläne, aus den elf Karl Carstens Ländern fünf zu ma- FOTO:ARCHIV chen. Carstens kann erst Monate später Entwarnung geben. Er glänzt auf internationalem Parket, wird 1954 deutscher Gesandter beim Europarat. Ein eher hemdsärmeliger Typ ist Uwe Beck- meyer. Der Bremerhavener vertritt von 1991 bis 1995 die Bremer Interessen am Rhein. Spä- ter wird er SPD-Landesvorsitzender, sitzt ab 2002 im und ist von 2013 bis 2018 Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Als Glücksfall für Bremen erweist sich Beckmeyers Nachfol- Zwischen Landwehrkanal und Tiergarten in der Hiroshimastraße steht Bremens „Botschaft“ in Berlin. Seit 20 Jahren repräsentiert sie den Zwei-Städte-Staat in der Bundeshauptstadt. FOTO:BBEE ger Erik Bettermann. Der versteht sich nicht als „Schreib- vonnorbert Holst Ministerpräsident von Baden-Württemberg, gierungskonstellationen in der Länderkam- Frühstücksdirektorin, Restaurantbesitzerin tischbeamter“. Er Grüne) und geh’ zur Kanzlerin.“ Um Punkt null mer vertreten – das gab es noch nie. Als Folge und Hoteldirektorin“, mit diesen Worten hat kommt aus der Öf- s war der 3. Dezember 2015, ein Uhr beendet Merkel den Verhandlungspoker. dieser Vielfalt sind Bündnisse über Partei- einst Kerstin Kießler, Hausherrin in den Jah- fentlichkeitsarbeit Donnerstag. In der Bremer Landes- Bremen bekommt die erhoffte Finanzspritze. grenzen hinweg einfacher geworden. Geht es ren 2001 bis 2011, ihren Job geschildert. und kümmert sich um vertretung in Berlin sind die Minis- Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) jubelt: etwa um die Häfen, ziehen die Küstenländer Auch bei einem eventuellen Regierungs- das Bremer Image. terpräsidenten der Länder zusam- „Das ist eine fundamental wichtige Entschei- Bremen (Rot-Grün), Hamburg (Rot-Grün), wechsel nach der Bremen-Wahl dürfte sich an Bettermann rettet die E mengekommen. Es geht um viel, dung. Zum ersten Mal seit 40 Jahren hat Bre- Niedersachsen (SPD/CDU), Schleswig-Hol- den Aufgaben nur wenig ändern. Alle Parteien Erik Bettermann legendäre Bar „Ka- vor allem um viel Geld. Stundenlang diskutie- men eine finanzpolitische Perspektive.“ stein (CDU/Grüne/FDP) und Mecklen- nennen in ihren Wahlprogrammen Themen, FOTO:BRANDT jüte“ aus der Bonner ren die Regierungschefs. , da- „Das war der Hammer“, erinnert sich Ulrike burg-Vorpommern (Große Koalition) an die sie im Bundesrat anstoßen wollen. So for- Villa und lässt sie in mals CSU-Ministerpräsident in Bayern, wird Hiller, Staatsrätin und Bevollmächtigte Bre- einem Strang. Hiller: „Wir schauen bei jeder dert die CDU eine Beteiligung des Bundes an Berlin wieder aufbauen. 2001 wird er Inten- in der legendären Kellerbar „Kajüte“ mit def- mens beim Bund und für Europa. Bei diesem Initiative im Bundesrat ganz genau hin, was der Hochschulfinanzierung, die Linke will die dant der Deutschen Welle. tiger Kost bei Laune gehalten. Ihm dauert al- Deal war die hohe Kunst der Diplomatie ge- unsere Bremer Interessen sind.“ Schuldenbremse abschaffen, die FDP setzt War die Rolle des „Bremer Botschafters“ bis les viel zu lange, eigentlich wollte er schon ab- fragt. Staatskanzlei und Landesvertretung Rund 30 Menschen arbeiten in der Landes- sich für ein elternunabhängiges Bafög ein. 2001 eine Männerdomäne – nur unterbrochen reisen. nutzten ihre speziellen Kanäle, SPD und vertretung im Berliner Diplomatenviertel. Pri- Über Parteigrenzen hinweg gilt noch im- von 1988 bis 1991 durch Vera Rüdiger –, ist das Am frühen Abend gelingt dann doch noch Grüne kümmerten sich jeweils um die Partei- märe Aufgabe für Hiller und ihr Team ist es, mer, was Bremens Bürgermeister Arnold Amt seitdem fest in weiblicher Hand. Kerstin der Durchbruch: Der Länderfinanzausgleich schiene. Vor allem die Drähte und Kontakte Bremens politische Interessen in der Haupt- Duckwitz (1802-1881) in seinen „Denkwürdig- Kießler bringt jede Menge Erfahrung mit. Sie zwischen reichen und ärmeren Ländern soll in Berlin sind für ein kleines Land wie Bremen stadt zu vertreten – sei es auf Ministerkonfe- keiten“ von 1877 geschrieben hat: „Ein kleiner war Sprecherin von Innenminister Otto Schily komplett umgebaut werden. Nun soll die Um- enorm wichtig. Nicht zuletzt für die Arbeit im renzen, im Kanzleramt oder im Bundesrat. Die Staat wie Bremen muss die öffentliche Mei- und Vertraute von Bundespräsident Johannes satzsteuer neu verteilt werden, damit Geber- Bundesrat. Doch da gab es auch bittere Pillen „Botschaft“ an der Spree soll auch die Vielfalt nung für sich haben. Er darf nie als Hindernis Rau. Eva Quante-Brandt folgt 2011. Die Per- länder wie Bayern und Hessen entlastet wer- zu schlucken. So im Juli 2017, als ein Vorstoß des Zwei-Städte-Staates repräsentieren, mit des Wohlergehens der Gesamtheit der Nation sonalie ist eine faustdicke Überraschung: Die den. Um diese Reform zu ermöglichen, müsste zur Einführung von Cannabis-Modellprojek- Vorträgen, Lesungen, Kunst und Previews der erscheinen. Vielmehr soll er seine Stellung in Bildungspolitikerin der Bund allerdings mehr als neun Milliarden ten krachend scheiterte. Und erst vor wenigen Bremer „Tatort“-Folgen. 2018 gab es im Haus solcher Weise nehmen, dass seine Selbststän- ist außerhalb Bre- pro Jahr bezahlen. Und es gibt eine gute Wochen fand eine Länderinitiative für eine mit der Speckflagge mehr als 370 Veranstal- digkeit als ein Glück für das Ganze, seine Exis- mens kaum bekannt. Nachricht für Bremen: Annähernd 500 Millio- ersatzlose Streichung des Paragrafen 219a tungen. „Ich bin Eventmanagerin, Hausdame, tenz als eine Notwendigkeit angesehen wird.“ Sie bleibt nur bis 2012 nen Euro könnte das Land jährlich als Finanz- („Werbung“ für Abtreibungen) keine Mehr- in Berlin, wird dann spritze einkalkulieren. Doch die Bundesregie- heit. Initiator war unter anderem Bremen. Bildungssenatorin. rung reagiert kühl auf den Vorschlag der Län- Den Niederlagen stehen aber auch Erfolge Ulrike Hiller wird der. „Wir haben die Dokumente entgegen ge- gegenüber. Ob Sprachkurse für Asylbewerber, Auf dem Weg zum neue Bevollmäch- nommen“, sagt Kanzlerin Abbiegeassistenzsysteme für Lkw oder hö- großen Wurf für Bre- tigte. Sie intensiviert (CDU) schmallippig. Und Finanzminister here Freibeträge für Vereine – Bremen nutzte men: Am 3. Dezem- die Öffentlichkeits- Wolfgang Schäuble sträubt sich hartnäckig, den Bundesrat als politische Bühne. ber 2015 verhandelt arbeit und setzt so- dem Finanzmodell zuzustimmen. Das war nicht immer so. Noch vor einigen Bürgermeister Cars- zialpolitische Ak- Ein Jahr später, am 8. Dezember 2016, Jahren gab es in der Landesvertretung Klagen, ten Sieling, damals Ulrike Hiller zente. Hiller ist mitt- kommt es zur entscheidenden Verhandlungs- dass sich Bremen zu sehr in hanseatischer Zu- Vorsitzender der Mi- FOTO:KOCH lerweile die dienstäl- runde im Kanzleramt. Wieder wird es eine Ma- rückhaltung übe. „Bremen ist aktiver gewor- nisterpräsidenten- teste Bevollmächtigte rathon-Sitzung, erneut spielt Seehofer eine den“, bilanziert Hiller die vergangenen Jahre. konferenz, mit Kanz- der SPD-regierten Länder und koordiniert de- wichtige Rolle. Am späten Abend wird es ihm Dabei spielen Parteifarben immer seltener lerin Angela Merkel ren Arbeit im Bundesrat. Der Job macht ihr zu bunt, laut Augenzeugen warnt er Schäuble: eine Rolle. Die Staatsrätin: „Es ist lebendiger und Finanzminister Spaß: „Ich würde diese tolle Aufgabe gerne „Entweder es kommt jetzt zu einer Einigung, und bunter geworden, allerdings auch schwie- Wolfgang Schäuble. weiterhin für Bremen übernehmen.“ NH oder ich hol’ den Kretschmann (Anmerkung: riger.“ Mittlerweile sind zehn verschiedene Re- FOTO:KAPPELER/DPA „Bremen sollte unbedingt auf seine Selbstständigkeit beharren“

Joachim Wieland (67) Im Bundesratsindgegenwärtigzehn verschie- es im Bundesrat Verhandlungen gibt. Und da muss man versuchen – soweit das geht – die Es ist die Lösung, an der man festhalten sollte ist Professor an der Uni- deneRegierungskonstellationen vertreten.Ist ist Bremen unter 16 Ländern gleichberechtigt. Schulden zu verringern. Aber man kann an- und nach meiner Einschätzung auch festhal- versität für Verwaltungs- das für die Arbeit der Länderkammer eher ein dererseits nicht ausschließlich auf den Abbau ten wird. wissenschaften in Speyer. Vorteil oder ein Nachteil? Aus Bremer Sicht war 2015/16 die Einigung in des Schuldenbergs schauen. Natürlich ist es Er gilt als Finanz- und Das kommt darauf an. Wenn es um die Schnel- den Bund-Länder-Finanzbeziehungen beson- auch sinnvoll, in die Zukunft zu investieren, AlleJahrewiederwirddieEigenständigkeitdes Steuerexperte. Im Streit ligkeit bei der Lösung politischer Probleme derswichtig. Rund500 Millionen EuroproJahr genauso wie es etwa Unternehmen machen. Landes Bremen in Frage gestellt. Sollte der um den Länderfinanzaus- geht, ist es ein Nachteil. Ein so zersplitterter bekommt das Land bis 2035. Bricht damit für Das Geld sollte für beide Aufgaben verwendet Stadtstaat aufseineSelbstständigkeit pochen? gleich war er Bremens Bundesrat erschwert das politische Geschäft. Bremen eine neue Epochean? Oder ist eszuwe- werden. Oder hätte ein Nordstaat beziehungsweise ein Prozessbevollmächtigter. Es zwingt aber auch zum Kompromiss und nig zum Leben, zu viel zum Sterben? bremisch-niedersächsischer Zusammen- dazu, dass sich Politiker zusammenraufen Ich glaube schon, dass Bremen im Kern ge- Kommen wirauf die Zukunft zusprechen.Sind schluss nicht doch einen gewissen Reiz? Nordrhein-Westfalen und Bayern haben am müssen. Schauen Sie sich etwa gegenwärtig sund ist. Das Land muss nicht sterben und 16 Bundesländer nicht doch ein paar zu viel? Bremen sollte unbedingt auf seine Selbststän- Dienstag angekündigt, gemeinsam für eine Großbritannien an: Dort gibt es eine scharfe kann mit der gefundenen Lösung leben. Al- Würde man einen Bundesstaat ganz neu kon- digkeit beharren. So wie ich das von außen be- Stärkung der Länder gegenüber dem Bund Trennung der politischen Lager, es gibt ent- lerdings können immer mal wieder Finanz- zipieren, würde man sicherlich nicht auf die trachtet erlebt habe, ist die Identifikation der kämpfen zu wollen. Schwächelt der Föderalis- weder Schwarz oder Weiß – und nichts dazwi- nöte auftauchen, denn ein kleines Land hat Zahl von 16 Bundesländer kommen. Aus ver- Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Stadtstaat mus? schen. Unter solchen Umständen ist ein Kom- besondere Ausgabenlasten zu tragen. Aber waltungswissenschaftlicher und wirtschafts- ganz stark ausgeprägt. Das ist ein Wert an Joachim Wieland: Ich glaube, dass der Föde- promiss kaum möglich. insgesamt sollte durch die Neuordnung der wissenschaftlicher Perspektive käme man mit sich, der erhalten werden sollte. Die Bildung ralismus in Deutschland funktioniert. Er ist bundesstaatlichen Finanzen die Situation für einer geringeren Zahl möglichst gleichstarker eines Nordstaates würde wirtschaftlich nichts ein Erfolgsmodell. So haben nach der Wieder- Bietetdiese Gemengelage für ein kleinesLand Bremen leichter werden. Das ist eine gute Länder aus. Aber der Bundesstaat ist nicht auf verändern, die Schulden würden keinen Deut vereinigung die ostdeutschen Länder und die wie Bremen neue Chancen? Grundlage für die Zukunft. dem Reißbrett entworfen worden, er ist ge- geringer werden. Man könnte allenfalls Ver- westdeutschen Länder im Bundesstaat ihren Dadurch gewinnt der Bundesrat insgesamt an schichtlich gewachsen. Und dieses historisch waltungskosten einsparen. Aber der Verlust Platz gefunden, es besteht eine vernünftige Bedeutung. Die Koalition im Bundestag kann Im Wahlkampf wird gegenwärtig heftig über gewachsene Gebilde hat sich bewährt. Wir an Identität der Bevölkerung mit der Freien Aufgabenteilung. Man muss andererseits se- nicht einfach Lösungen vorschreiben, son- dieFragediskutiert:SollteBremendiesesGeld stellen eine hohe Identifikation der Bürgerin- Hansestadt Bremen würde viel schwerer wie- hen, dass ein Bundesstaat die politische und dern sie muss die verschiedenen Regierungen investierenoderbesserden Schuldenabbauvo- nen und Bürger mit ihren Ländern fest, sie gen. Deshalb rate ich dringend davon ab, sol- hoheitliche Macht begrenzt. Das schützt letzt- im Bundesrat berücksichtigen. Damit gewinnt rantreiben? Was sagt der Experte? nimmt sogar zu. Das stärkt am Ende die Sta- che Neugliederungen ernsthaft zu verfolgen. lich unsere Freiheit. Dies ist für mich ein ganz in der Tat auch ein kleines Bundesland wie Auch in diesem Punkt kann man nicht einfach bilität unseres politischen Systems. Auch wesentlicher Gesichtspunkt. Bremen eher an Bedeutung und Einfluss, weil mit Schwarz oder Weiß antworten. Natürlich wenn 16 Länder nicht die ideale Lösung sind: Das Gespräch führte Norbert Holst.