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Sendung vom 12.03.2009, 20.15 Uhr

Heli Ihlefeld Business-Coach und Wirtschaftsberaterin im Gespräch mit Isabella Schmid

Schmid: Herzlich willkommen zu alpha-Forum. Unser Gast ist heute Heli Ihlefeld. Frau Ihlefeld hat in den 60er und 70er Jahren über die politische Szene in berichtet, war in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit tätig, hat dann als Gleichstellungsbeauftragte gearbeitet und macht heute ganz etwas anderes. Ich bin richtig gespannt auf unser Gespräch und freue mich, dass Sie bei uns sind, Frau Ihlefeld. Ihlefeld: Ich freue mich auch. Schmid: Damals in Bonn war es doch etwas ganz Ungewöhnliches, als Frau in der politischen Szene zu arbeiten. Wie war das für Sie? Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht? Ihlefeld: Ich bin durch meinen Vater ja eigentlich ganz unvoreingenommen nach Bonn gekommen, weil ich dort eine kleine Nachrichtenagentur vertreten habe. Ich habe zuerst einmal nur versucht, alles in mich aufzunehmen, was es dort zu sehen und zu erleben gab. Ich lernte dann auch recht bald meinen späteren Mann kennen, der mir ab und zu Tipps gegeben hat, wo ich hingehen muss, wo ich recherchieren sollte. Ich war in der Tat eine der wenigen Frauen auf diesem Gebiet in Bonn. Ich hatte aber eine bestimmte Frau für mich so ein bisschen als Vorbild, weil sie politisch bereits etwas galt: Sie arbeitete bei der "NRZ", also der "Neuen Rhein Zeitung" bzw. "Neue Ruhr Zeitung" und hieß Hilde Purwin. Ich habe mir damals gedacht: "Wenn ich jemals so weit komme wie Hilde Purwin, dann kann ich stolz sein." So war meine Anfangszeit in Bonn. Schmid: In welchen Situationen war es denn schwerer als Frau und in welchen möglicherweise einfacher? Ihlefeld: Ich kann nicht sagen, dass es wirklich schwer war, denn ich habe mich erstens wohl irgendwie behaupten können und auch anscheinend nicht allzu dummes Zeug geredet, sodass die Politiker dann auch wirklich auf mich eingegangen sind. Und weil ich noch jung war, waren sie auch immer nett und freundlich zu mir. Aber es war natürlich wichtig, dass man sich auch sachlich behaupten konnte. Und genau das hat anscheinend funktioniert. Auch wenn ich mit anderen Journalisten z. B. vor irgendwelchen Fraktionsräumen stand und auf irgendwelche politischen Entscheidungen wartete, bekam ich meistens eine Antwort, wenn ich auf die prominentesten Politiker zuging, die den Sitzungssaal verließen, und sie fragte: "Was sagen Sie dazu, dass …?" Das ging also schon ganz gut. Auch das Recherchieren lag mir: Das hat mir einfach Spaß gemacht. Schwerer war es hingegen manchmal, in bestimmte Netzwerke hineinzukommen. Ich hätte z. B. auch gerne mehr Erfahrungen beim Rundfunk gemacht. Das hat sich aber höchstens mal mit einigen Beiträgen so ergeben. So richtig in eine Liste bin ich nicht aufgenommen worden, wenn es z. B. darum ging, wer der Nachfolger von wem werden könnte. So etwas fand einfach nicht statt und damit habe ich mich dann auch abgefunden. Da ich schon recht bald anfing, für eine Boulevardzeitung zu arbeiten, merkte ich auch, dass die seriösen Tageszeitungen nicht mehr unbedingt nach mir fragten. Man las auch diese "Abendzeitung" aus München nicht so sehr häufig in Bonn. Dadurch war es manchmal ein bisschen schwierig, unter den Kollegen zu bestehen und in bestimmte Bereiche hineinzukommen. Schmid: Ich habe in Ihrem Buch gelesen, dass es 1979 einen richtigen Skandal gegeben hat, als eine Abgeordnete im Hosenanzug ins Parlament gekommen ist. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Ihlefeld: Das stimmt. Schmid: Welches Bild von einer Politikerin herrschte denn damals? Ihlefeld: Es gab zwar schon auch Frauen, die sogar am Grundgesetz mitgeschrieben haben, die sogenannten "Mütter des Grundgesetzes", und es gab noch ein paar Alt-Politikerinnen aus der Weimarer Zeit, die in der Bundesversammlung waren. Diese Frauen wie Helene Weber oder Marie Elisabeth Lüders waren auch anerkannt, das waren aber nur wenige. Die waren aber auch, wenn man das so sagen darf, bereits jenseits von Gut und Böse. Das heißt, diese Frauen nahm man auch modisch nicht besonders wahr. Es rückten dann aber immer mehr Frauen auch als Abgeordnete in den nach. Das heißt, es wurde dann zu Beginn einer jeden neuen Legislaturperiode geschaut, welche neuen Frauen kamen. Das war die Zeit, als auch dieser inoffizielle Titel "Miss Bundestag" aufkam. Wenn eine Abgeordnete etwas jünger war und sehr flott aussah, dann wurde ihr dieser Titel verpasst – was aber selbstverständlich auch irgendwie eine Abwertung darstellte. Die Korrespondenten, die Journalisten in Bonn dachten zwar möglicherweise, sie würden dieser Frau bzw. diesen Frauen damit einen Gefallen tun, aber in Wirklichkeit führte das eben auch dazu, dass man sagte: "Na ja, was wird dieses Püppchen schon im Kopf haben?" Schmid: Sie haben in Ihrem Buch geschrieben, dass aber auch Ihnen selbst diese abwertende Bezeichnung "Miss Bundestag" damals gar nicht so unangenehm aufgefallen ist. Ihlefeld: So ist es. Es ist interessant, wenn man feststellt, dass man auch selbst in seiner Wahrnehmung von der Zeit in dieser Weise geprägt ist. Das heißt, da muss man sich erst so langsam herausarbeiten und bestimmte Dinge erst einmal begreifen und darüber nachdenken. Ich habe das zwar von früher Jugend an selbst so gemacht und mich auch gegenüber meinen Brüdern zu behaupten versucht, weil nämlich auch meine Mutter immer so ein wenig differenzierte zwischen Mädchen und Jungs, aber bis man dann so weit ist, dass man bestimmte Verhaltensweisen richtig analysieren kann, dauert es ein paar Jahre. Bei der Sprache passiert es mir sogar heute noch, dass ich männliche Formen benutze. So etwas verändert sich eben immer nur Schritt für Schritt; es wird also noch eine Weile dauern, bis sich das alles wirklich durchgesetzt hat. Schmid: Sie haben als Journalistin auch viele Portraits geschrieben. Wie war denn der Zugang zu den Politikern damals? War das früher leichter oder war das schwerer? Ihlefeld: Wenn ich das so genau sagen könnte! Denn ich mache das heutzutage in ja nicht mehr. Ich fand es nicht so besonders schwer, weil das, was ich geschrieben habe, wahrgenommen und auch anerkannt wurde. Ich glaube schon, dass Politiker ganz gerne über sich selbst sprechen und sich auch darstellen wollen. Ich war vermutlich auch nicht aggressiv, sondern habe eher vorsichtig und diplomatisch versucht, näher an sie heranzukommen. Das funktionierte ganz gut. Ich habe nur bei zwei Personen große Schwierigkeiten gehabt, einen Termin für so ein Gespräch zu bekommen: Das waren Adenauer und Wehner. Schmid: Das hat dann aber doch noch geklappt, oder? Ihlefeld: Nun, mit eben nicht. Schmid: Adenauer hat sich jedoch bereitgefunden dazu. Ihlefeld: Das ging gerade noch im letzten Moment. Ich habe sozusagen das letzte Interview mit ihm machen können und dürfen. Ich war nämlich schon auch sehr hartnäckig. Es war vermutlich auch so etwas wie eine instinktive Haltung von mir, wenn ich mir immer wieder sagte: "Oh, jetzt musst du aufpassen! Jetzt musst du dran bleiben!" Das war in diesem Fall auch so. Rainer Barzel, der einen sehr guten Zugang hatte zum "Alten", wie wir Adenauer nannten, hat mir letztlich einen Termin bei ihm besorgt. Als dieser Termin dann im letzten Moment abgesagt wurde, weil Adenauer an seinen Memoiren arbeitete, habe ich noch einmal nachgehakt und bekam letztlich auch wirklich einen Termin. Wenn dieser Termin nicht geklappt hätte, dann hätte es keinen weiteren Termin gegeben. Schmid: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie damals mit Ihrem Mann in Urlaub gingen und dabei die Urlaubsdomizile der Politiker abklapperten. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen: nicht nur deswegen, weil die Politiker heute weiter weg fliegen, sondern weil das heute nicht mehr so locker möglich ist, wie es zumindest bei Ihnen im Rückblick klingt. Ihlefeld: Ja, das war auch locker. Wenn ich darüber nachdenke, muss ich wirklich sagen, dass das damals schon recht locker war. Man kannte sich, denn Bonn war nun einmal viel überschaubarer als heute Berlin. Man traf sich z. B. am Pressetisch: Im Bundeshausrestaurant gab es einen großen Tisch, an dem die Journalisten zwischendurch auch mal Pause machten und Informationen austauschten. Auch einige Politiker gingen ganz gerne an diesen Tisch. Das waren zum großen Teil auch diejenigen, die dann später Karriere machten wie z. B. Walter Scheel usw. Das heißt, man kannte sich alleine schon daher und konnte dann leichter so eine Urlaubsgeschichte machen. Auch Hermann Höcherl war oft an diesem Tisch anzutreffen: Er und viele andere Politiker hatten einfach Lust darauf, sich ein bisschen aufzulockern im Kreis der Journalisten. Manchmal wollten sie aber auch etwas los werden und machten z. B. ihre Witzchen, die ganz klare Anspielungen auf bestimmte Personen oder Themen waren. Wenn ich da zu einem Politiker sagte, dass ich ihn gerne im Urlaub besuchen würde, dann bekam ich meistens die Antwort: "Ja, das können Sie gerne machen!" So habe ich dann tatsächlich zusammen mit meinem Mann diese Urlaubsroute festgelegt. Schmid: Sie haben für die Münchner "Abendzeitung" geschrieben und für den "Stern": Was waren das für Medien? Welche Geschichten haben sie von Ihnen erwartet? Ihlefeld: Die "Abendzeitung" war ja die erste Zeitung, für die ich in Bonn gearbeitet habe. Das war eine wunderschöne Zeit, weil ich sehr viel für die "Seite 3" geschrieben habe: Portraits, aber auch politische Features, wenn es um ein bestimmtes Thema ging, wenn z. B. eine Koalition vorbereitet wurde oder gerade zerbrach. Da habe ich für solche Geschichten überall herumrecherchiert und dann eine längere Hintergrundstory geschrieben. Das machte mir sehr viel Spaß und da hatte ich eben auch die Möglichkeit, sehr viel zu schreiben. Das war eine sehr, sehr spannende und schöne Zeit für mich. In meiner Zeit bei der "Abendzeitung" konnte ich mich ausprobieren und auch meine erste Anerkennung einheimsen. Manchmal musste ich da aber auch mit der "heißen Nadel" schreiben, sodass ich am nächsten Tag gar nicht mehr wusste, was ich alles geschrieben hatte. Das heißt, ich habe mir dann die Zeitung besorgt und erst einmal nachgelesen, was ich am Tag davor ganz schnell durch die Telefonleitung geschickt hatte. Schmid: Sie haben geschrieben, dass es beim "Stern" oftmals schwieriger war, mit bestimmten Themen durchzukommen. Ihlefeld: Sehr viel schwieriger. Irgendwann kam jedenfalls der Ehrgeiz: Man wird anerkannt und denkt sich, dass man nun schauen müsse, wie es eigentlich weitergeht. Zum "Stern" war ich über die "Constanze" gekommen. Auch diese Zeit war für mich sehr schön, denn man wollte damals mit der "Constanze" eine Frauenzeitschrift machen, die sich auch mit Politik befasste. Denn damals waren die Frauenzeitschriften doch eher ausschließlich auf die Themen "Kinder, Küche, Kosmetik" abonniert. Na gut, nicht alle, aber es fehlte jedenfalls eine aktuelle politische Frauenzeitschrift. Das war wirklich ein Experiment, das mir sehr viel Freude machte. Allerdings ging das nur ein Jahr lang gut, denn dann wurde diese Zeitschrift eingestellt. Anschließend kam ich zum "Stern" und das war doch eine reine Männerredaktion, wie ich sagen muss. Das war die Zeit, als auch ich merkte, dass man als Frau in diesem Beruf Schwierigkeiten haben kann. Schmid: Zusammen mit Ihrem Mann hatten Sie damals ja einen Jour fixe bei sich zu Hause. Wer kam da alles, wie lief das ab? Ihlefeld: In Bonn gab es damals natürlich jede Menge Empfänge mit kalten Buffets usw.: bei Diplomaten, in Botschaften usw. Dort traf man aber immer dieselben Leute und es war eigentlich ziemlich öde. Ich dachte mir daher, dass man doch die Politiker auch mal mit normalen Menschen aus anderen Berufen zusammenbringen sollte. Wir hatten auch einige Freunde in Düsseldorf und Köln, die wir dann ebenfalls eingeladen haben, damit die Politiker tatsächlich auch mal andere Menschen sehen und sprechen. Natürlich haben wir auch Journalistenkollegen eingeladen. Am Anfang aber stand die Frage, wie man es anstellen könnte, dass sich das einbürgert. Das heißt, es musste ein bestimmter Tag einmal im Monat sein. Es lief dann darauf hinaus, dass immer am 4. des Monats bei uns zu Hause Jour fixe war. Nur bestimmten Leuten, die wir unbedingt haben wollten, die wir noch einmal auf diesen Jour fixe aufmerksam machen wollten, haben wir eine Einladung geschickt. Denn nach einiger Zeit war es wirklich so, dass die meisten Leute ohne erneute Einladung einfach kamen: Sie wussten, am 4. ist was los bei uns. Denen gefiel es, dass es bei uns kein kaltes Buffet gab, sondern auch mal eine Suppe oder Spaghetti oder so. Dazu haben wir ein kleines Bierfass angezapft und ein paar Flaschen Wein usw. geöffnet, aber es war alles einfach gehalten und vor allem locker. Genau das gefiel unseren Besuchern sehr. Denn ansonsten war ja doch vieles sehr steif, was in diesem Bereich ablief. Schmid: War es denn nach einiger Zeit nicht schwieriger, über diese Menschen zu schreiben, wenn man sie auch privat näher kennengelernt hat? Ihlefeld: Sie fragten mich ja vorhin, wer alles da gewesen ist: Das reichte von Renger über Brandt bis Vogel und viele, viele "einfache" Abgeordnete. Es waren im Laufe der Zeit bis auf ganz wenige Ausnahmen eigentlich fast alle da. Schmid: Kann man dann noch kritisch schreiben über diese Menschen, wenn man noch vor ein paar Tagen so nett zusammengesessen ist? Ihlefeld: Nun, ich bin in diese Zwangssituation nicht wirklich gekommen. Ich muss sagen, dass mein Journalismus ohnehin ein bisschen anders war. Ich habe z. B. immer versucht, die Menschen reden zu lassen, die Situation für sich selbst sprechen zu lassen. Das heißt, ich habe Zitate gesammelt und dann versucht das zusammenzustellen. Ich habe damals auch nur sehr wenig kommentiert; später habe ich das dann sehr wohl gemacht. Ansonsten habe ich immer versucht, möglichst wenig Meinung in meine Artikel hineinzubringen, sodass sich der Leser seine Meinung selbst bilden konnte. Ich glaube, damit bin ich auch ganz gut gefahren. Ich habe das nämlich auch nie einseitig gemacht, sondern habe immer auch andere zu Wort kommen lassen, sodass ein Artikel nie nur aus einer ganz negativen Seite bestand. Ja, das ging ganz gut. Schmid: Diese politischen Urgesteine aus der damaligen Zeit wie Adenauer, Wehner, Brandt oder Schmidt sind einem ja bis heute präsent. Manchmal wird bemängelt, dass die Politiker von heute nicht mehr solche Typen sind wie früher. Hat sich das tatsächlich verändert oder sind wir da den heutigen Politikern gegenüber ungerecht? Ihlefeld: Ich frage mich das auch sehr oft. Es hat sich sicherlich einiges verändert, weil die Zwänge größer geworden sind. Die Medien üben einen sehr starken Einfluss aus und man geht als Politiker schon sehr stark auf sie ein. Die Medien hat es damals zwar auch schon gegeben, aber ich spüre da doch einen Unterschied zu heute. Damals setzte man sich, wenn im Bundestag Sitzung war, auch mal im Bundeshaus zusammen mit einem Politiker usw. Heute sehe ich so etwas nicht mehr: Die menschliche Begegnung ist seltener geworden. Heute werden immer nur bestimmte Dinge gesehen: Diese werden dann gesendet, besprochen und kommentiert. Manches kommt mir da schon ein bisschen einseitig vor. Das führt natürlich auch dazu, dass man sich als Politiker sehr vorsieht und sich keine Blößen gibt. Schmid: Welche Politiker haben Sie denn damals besonders beeindruckt? Ihlefeld: Na ja, das Interview mit Adenauer war für mich schon ein großes Erlebnis. Ich habe auch Kennedy bei seinem Besuch hier in Deutschland kurz gesehen: Für eine junge Frau wie mich damals war das natürlich schon ein ganz großes Erlebnis. Und dann gab es natürlich Männer wie , Carlo Schmid, die mir jetzt spontan einfallen. Es gab sicherlich auch noch einige andere. Aber es stimmt schon, es gibt nur wenige Menschen, die auch dann, wenn sie sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen, noch so authentisch bleiben. Das konnte man, wenn man nah dran war, immer sehr genau beobachten: Wo bleibt die Authentizität oder ist jetzt jemand bereits völlig begeistert von der eigenen Größe und fängt an, sein Ego anders zu entwickeln? Wenn man dann Politiker trifft und näher kennenlernt, die wirklich in sich ruhen, dann ist das schon sehr beeindruckend. Schmid: Ihr Buch trägt ja den Titel "Auf Augenhöhe". Mir ist aufgefallen, dass Sie in Ihrem Buch auch heute noch mit sehr großer Begeisterung über Willy Brandt schreiben. Was hat Sie so fasziniert an ihm? Ihlefeld: Sie kennen das ja sicher auch, dass man im Teenageralter anfängt, für jemanden zu schwärmen. Ich hatte damals natürlich auch "meinen" Filmstar, für den ich geschwärmt habe. Aber unter anderem kam damals im Fernsehen – das fing in diesen Jahren gerade erst an – auch Willy Brandt als regierender Bürgermeister von Berlin. Ich muss sagen, dass ich von da an für ihn schwärmte. Und als ich dann in Bonn war und ihn kennenlernte und merkte, dass er auch tatsächlich so war, wie ich ihn mir vorgestellt hatte, hat er mich mehr und mehr beeindruckt. Ich habe ihn auch besonders gerne interviewt und ihn auf Reisen begleitet. Das hat mir immer sehr viel gegeben. Schmid: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie dann irgendwann im Wahlkampf 1969 seine Freundin wurden. Willy Brandt war ja überhaupt ein rechter Frauenschwarm: Hat Sie das nicht gestört, dass da auch andere Frauen an ihm interessiert waren? Ihlefeld: Nein, überhaupt nicht. Dass ich seine "Freundin" gewesen sei, kann man vielleicht auch nicht so direkt sagen. Das ergibt nämlich ein falsches Bild. Wir haben uns sehr gemocht: Ich habe gespürt, dass er mich mag, und ich mochte ihn ja auch. Und dann gibt es eben so Situationen, in denen man vor einer Entscheidung steht. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass die Frauen bei ihm Schlange gestanden wären oder dass er hinter jedem Rock her gewesen wäre. Nein, das war alles ganz natürlich und selbstverständlich und auch so selten, dass man das eigentlich nur jeweils als einzelne Situationen sehen kann. Schmid: Sie schreiben, Sie waren zusammen ohne Anspruch auf irgendeine Zukunft. Teilen Sie da nicht das Schicksal mit vielen Frauen, die mit Männern zusammen sind und wissen, dass das keine Zukunft hat? Ihlefeld: Nein, das glaube ich nicht. Denn ich hatte ja eigentlich schon meine Familie und ich hatte auch gar keine Absicht, da irgendetwas anzufangen, was dieses Gefüge verändern könnte. Das war einfach nur diese ganz große Verehrung und diese Sympathie. Und das hat dann eben auch dazu geführt. Aber das war alles sehr natürlich und selbstverständlich. Ich habe mir also bezüglich der Zukunft überhaupt keine Gedanken gemacht. Das Einzige, was mir dann tatsächlich unangenehm war, war die Vorstellung, dass das bestimmte Kollegen mitbekommen und sie das im Wahlkampf ausschlachten könnten. Das hat mir schon Angst gemacht, denn ich war damals sicherlich nicht sehr mutig. Ja, das hat mir schon zu schaffen gemacht. Schmid: Sie waren ja verheiratet, wie Sie vorhin gesagt haben. Über die Beziehung zu Ihrem Mann haben Sie geschrieben: "Wir haben uns nie so ganz gefunden." Was bedeutet das? Ihlefeld: Das war wirklich sehr schwierig, weil wir beide eben in Berufen arbeiteten, in denen wir sehr viel nach außen gelebt haben. Ich weiß nicht, inwieweit das im Journalismus heute noch so ist, aber damals war es jedenfalls so, dass in dieser Enge in Bonn schon auch sehr viel Alkohol getrunken wurde: Man saß dann zusammen und quatschte und machte dieses und jenes. Das hat oft verhindert, dass man mal wirklich zusammen ins Gespräch kam und über Probleme sprechen konnte. Das ist natürlich fatal, wenn man ohnehin schon die Neigung hat, lieber schnell wegzugehen, wenn etwas unangenehm ist, und lieber einen Schluck mehr zu trinken oder so. Das hat vielleicht dazu geführt, dass diese Auseinandersetzung, zu der es ja in jeder Beziehung kommt, kommen muss, nie so richtig stattgefunden hat. Das meinte ich damit. Schmid: Sie haben Ihrem Mann jetzt jedoch Ihre Biografie gewidmet. Warum das? Ihlefeld: Weil ich durch ihn sehr viel gelernt habe und weil ich ihn natürlich schon geliebt habe, weil ich ihn noch immer liebe. Er war ein sehr, sehr charmanter und ganz großer Erzähler, der diesen Feature-Stil perfektioniert hatte: Er konnte wunderbar Zitate sammeln und daraus eine bunte Geschichte machen. Ich habe es wirklich erst durch ihn erfahren, dass man so arbeiten kann. Als ich dann selbst so gearbeitet habe, hat mir das große Freude gemacht. Er war darüber hinaus auch selbst jemand, der Zitate prägte, die dann in Bonn die Runde machten. Er war wirklich sehr, sehr einfallsreich und konnte wunderbar erzählen. Unter anderem, weil ich ihm diese ganzen Anfangsjahre und diesen Start verdanke, habe ich ihm mein Buch gewidmet. Ich war ja sehr unsicher, als ich in Bonn ankam. Ich hatte ursprünglich etwas ganz anderes werden wollen und kam vor allem auch deshalb in den Journalismus rein, weil mein Vater, als ich nicht so recht wusste, was ich machen, wie es weitergehen soll, sagte: "Das machst du jetzt mal eine Weile!" Und dann lief das ja so nach und nach recht gut. Aber diesen Start und diese Sicherheit und diese Fähigkeit, eigene Texte durchzulesen und zu wissen, was man z. B. auch rausnehmen kann, verdanke ich wirklich ihm. Auch die Art, wie er die Politik sah, hat mich sehr geprägt und mir dann viel Freude gemacht. Schmid: Sie schreiben in Ihrem Buch aber auch: "Ein gewisses Gefühl von Einsamkeit hat mich nicht losgelassen im Leben." Das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, denn Sie waren doch mit sehr, sehr vielen Menschen zusammen. Was war das für eine innere Einsamkeit? Ihlefeld: Da muss man weiter zurückgehen in meine Kindheit. Ich war ein sehr unsicheres Kind, was sicherlich auch mit der Kriegszeit zu tun hatte. Kinder wurden damals im Krieg ja auch oft sehr allein gelassen. Genauer gesagt war es so, dass ich mich um meine Mutter kümmern musste, ich war aber überhaupt noch nicht so weit, dass ich mich um jemanden hätte kümmern können. Ich war dann eben auch sehr unglücklich, weil ich das Unglück meiner Mutter miterleben musste und ihr helfen sollte. Und dann kam die Schulzeit und ich bekam mehr und mehr das Gefühl, dass mich eigentlich niemand in den Arm nimmt, wenn ich selbst mal ein Problem habe. Das hat mich doch ein bisschen einsam gemacht, denn da ist man dann ganz auf sich alleine gestellt und neigt leicht zu Depressionen oder dazu, unglücklich zu sein. Ich vermute mal, dass das einfach mit dem zu tun hat, was einem unbewusst fehlt. Schmid: Sie haben gesagt, dass Sie die Kriegszeit sehr geprägt hat und dass Sie auch mal in einer Kinderlandverschickung waren, was Sie lange von Ihrer Familie getrennt hat. Das muss für ein Kind in diesem Alter wirklich traumatisch sein. Ihlefeld: Ich denke, dass das so war, dass das traumatische Erlebnisse waren. Als ich anfing, mein Leben aufzuschreiben, ist mir aufgefallen, dass ich fast keine Erinnerungen an meine Kindheit mehr habe. Das kann man sich eigentlich nur so erklären. Ich habe ja sonst auch ein normales Gedächtnis und kann mich an vieles gut erinnern. Manchmal fallen mir sogar Sachen ein, bei denen ich mich frage: "Mensch, wo hast du das denn jetzt her?" Aber wenn ich an diese Jahre in Paris denke und an die Jahre danach, als wir evakuiert wurden und ich auf Kinderlandverschickung kam, dann habe ich da nur wenige punktuelle Erinnerungen. Ich weiß z. B. nicht, wo ich da zur Schule gegangen bin, wie die Schule ausgesehen hätte. Ich lag damals auch einmal für sechs Wochen im Krankenhaus, weil ich in der Zeit der Kinderlandverschickung Scharlach bekommen hatte: Ich habe keine Ahnung mehr, mit wem ich da im Zimmer gewesen wäre. Ich weiß nur, dass da kleine Jungs gewesen sind, die mich fürchterlich geärgert haben. Aber an ein Gesicht von diesen Schwestern – es waren Nonnen – kann ich mich nicht erinnern. Das ist doch merkwürdig und das hat mir schon zu denken gegeben. Schmid: Ihr Vater ist im Dritten Reich nach Paris versetzt worden; Sie haben dann als deutsche Familie in Paris gewohnt und gelebt. Können Sie sich da noch an so etwas wie Ablehnung erinnern? Ihlefeld: Nein, wir waren durchaus beliebt, was aber auch daran liegen kann, dass wir in einer Art Getto lebten. Die Deutschen hatten ja Paris besetzt, d. h., wir gehörten zur Besatzungsmacht. Ich kann mich daran erinnern, dass wir ab und zu mal auf die Champs-Élysées gingen, wenn dort die deutschen Wachmannschaften aufmarschierten. Das muss wohl recht bunt gewesen sein, sodass ich das als Kind als schön empfunden habe. Ich weiß nicht, ob ich das damals schon dachte oder ob mir dieser Gedanken erst später kam, dass die Franzosen, die da ebenfalls zuschauten, eine Sauwut auf uns hatten. Aber ich habe davon nichts wahrgenommen. So weit ist es jedenfalls nicht gekommen. Wir sind z. B. auch mit unserem französischen Kindermädchen in den Tuileries spazieren gegangen. Das war völlig normal und da ist auch nichts passiert in Richtung Ablehnung oder so. Schmid: Nach dem Krieg hat sich ihre Familie dann in Hannover wiedergefunden. Als junges Mädchen haben Sie sich eine Zeit lang überlegt, Schauspielerin zu werden. Was hätte Sie daran gereizt? Ihlefeld: Ich war, wie gesagt, eine Schülerin, die sich in der Schule schon ein bisschen einsam fühlte und manchmal in ihren Fähigkeiten auch nicht richtig wahrgenommen wurde. Das lag sicherlich auch daran, dass ich sehr still gewesen bin. Erst in der Oberstufe wurde das dann anders: Ich hatte im Deutschunterricht eine Lehrerin, die mich endlich genau wahrgenommen hat, die meine Aufsätze genauer angeschaut hat und mich diesbezüglich ermutigte. Das hat mir damals sehr gut getan und das hat mich vielleicht auch darin bestätigt, es beruflich als Journalistin mit dem Schreiben zu versuchen. Ich hatte aber auch einen angeheirateten Onkel, der Konzertmeister an der Oper war. Durch ihn bekamen wir immer alle möglichen Theater- und Opernkarten. Das heißt, ich bin damals mit meiner Mutter, mit meiner Tante und auch mit meinen Freundinnen viel im Theater gewesen. Und ich muss sagen, wir hatten damals in Hannover ein sehr gutes Theater, ein sehr gutes Ensemble, zu dem die später sehr bekannt gewordenen Schauspieler wie Heinz Bennent und Ingrid Andree usw. gehörten. Diese schönen Inszenierungen, die ich damals miterleben durfte, haben in mir dann eine regelrechte Theaterbegeisterung ausgelöst. Außerdem wollte ich auch Tänzerin werden, denn Ballett interessierte mich ebenfalls sehr. Aber dafür war es ganz eindeutig zu spät, denn wenn man Tänzerin werden möchte, muss man wohl schon mit etwa vier Jahren anfangen. Aber das hatte mir der Krieg vermasselt und hinterher war das dann nicht mehr möglich. Schmid: Woran hat es gelegen, dass Sie sich letztlich doch nicht für die Schauspielerei entschieden haben? Ihlefeld: Meine Mutter hatte eine sogenannte Bühnenerfahrung, denn sie hatte als junges Mädchen ebenfalls mal die Idee gehabt, Tänzerin zu werden. Sie hat sogar bei Mary Wigman Tanzunterricht genommen, die damals ebenfalls in Hannover war, von wo meine Mutter ja stammte. Meine Mutter kam sich aber, wie sie mir später immer wieder erzählte, beim Tanzen wie ein Dragoner vor: "Ich war viel zu groß für die Bühne!" Gut, das betraf mehr das Tanzen, aber sie hat mir eben auch immer wieder erzählt, dass es hinter der Bühne so viele Intrigen gibt und dass das daher nichts für mich sei. Das heißt, sie vermittelte mir immerzu ein Negativbild von der Schauspielerei. Sie hat mir das tatsächlich ausgeredet, das muss ich sagen. Ich war damals einfach nicht selbstbewusst genug, um sagen zu können: "Ich will das aber trotzdem machen!" Schmid: Sie haben vorhin gesagt, dass Sie für das Befinden Ihrer Mutter zuständig waren: Worin bestand denn das Unglück Ihrer Mutter? Ihlefeld: Das war eben der Krieg. Wir hatten eine sehr glückliche Zeit in Paris, mein Vater war ja ebenfalls Journalist: Er war Korrespondent für den "Hannoverschen Kurier" in Paris. Meine Eltern hatten sich in Hannover kennengelernt und meine Mutter ging dann für ein Jahr als Au-pair- Mädchen nach Paris. Danach heirateten sie und sie zog ganz nach Paris. Kurz nach Kriegsbeginn wurde ich geboren. Als der Krieg ausbrach, ging sie zurück nach Hannover, während mein Vater Soldat wurde. Er wurde aber verwundet und dann an die Botschaft nach Paris versetzt. Das heißt, wir gingen wieder zurück nach Paris. Diese ganze Pariser Zeit hat meine Mutter sehr geprägt und hat ihr sehr gefallen. Sie hat sich dort sehr mit Malerei auseinandergesetzt, vor allem mit den Impressionisten, und ist ganze Tage lang durch die kleinen Galerien gewandert. Sie hat auch überhaupt dieses ganze französische Flair, diesen Chic adaptiert. Sie sagte immer, das sei ihre schönste Zeit gewesen. Und dann kam es zur Landung der Engländer und Amerikaner in der Normandie und mein Vater musste wieder an die Front. Danach fühlte sie sich wohl sehr alleine gelassen, als wir evakuiert wurden und von Ort zu Ort zogen. Nach meiner Kinderlandverschickung holte mich meine Mutter ab und wir zogen zuerst einmal für kurze Zeit ins Elsass. Dort gab es viele andere deutsche Familien, die aus Paris weitergeschickt worden waren. Aber die Front rückte immer näher und wir kamen nach Baden-Württemberg und zogen auch dort mehrmals um. Meine Mutter war in dieser Zeit nur unglücklich. Mein Vater holte uns dann zwar bereits im Oktober 1945 in Baden-Württemberg ab, weil er relativ früh aus der Gefangenschaft entlassen worden war, und baute, wie das dann eben so war, seine berufliche Karriere und seine Selbstständigkeit wieder auf. Meine Mutter hatte einfach das Gefühl, dass er sie nicht mehr genug liebte. Ich nehme an, dass sie damit z. T. auch recht hatte, aber sie war eben auch sehr eifersüchtig und nicht in der Lage, sich selbst etwas zu schaffen. Heutzutage lässt man sich in solchen Situationen eher scheiden, aber damals tat man so etwas nicht. Und man konnte das auch gar nicht so einfach wie heute. Aber sie hätte sich bei ihren großen Fähigkeiten und Interessen doch auch etwas suchen können, was sie ein bisschen mehr aufrecht gehalten hätte. Das war eben nicht der Fall. Schmid: Was war denn Ihr Vater für ein Mensch? In beruflicher Hinsicht hat er Sie wohl sehr geprägt. Ihlefeld: Mein Vater wirkte immer sehr offen und relativ fröhlich. Aber er war andererseits auch sehr still, worüber ich mir aber erst später meine Gedanken machte. Wir hatten in meiner Kindheit öfter mal Gesellschaften bei uns zu Hause. Er saß da immer sehr freundlich und präsent da, sagte aber fast nichts. Ich habe mir damals nicht so viele Gedanken darüber gemacht, aber jetzt, beim Schreiben dieses Buches, habe ich mich gefragt: "Warum hat er nie etwas gesagt?" Man liest das ja öfter in Büchern, dass Menschen, die aus dem Krieg zurückgekehrt waren, sehr schweigsam waren. Ich habe mir also gedacht, dass das vielleicht auch bei meinem Vater damit zu tun hatte. Ich weiß nämlich gar nichts über seine Zeit im Krieg: Er hat nie darüber gesprochen, was er im Krieg erlebt hatte. Ich denke aber, dass in diesem Krieg alle etwas erlebt haben, was sie nicht loslässt. Schmid: Durch ihn sind Sie dann in diese Nachrichtenagentur gekommen, die er gegründet hatte. Das heißt, er hat für Sie die beruflichen Weichen gestellt und zu Ihnen gesagt, Sie sollten das jetzt mal machen. Ihlefeld: Eigentlich ja. Ich hatte, wie gesagt, eigentlich immer noch diese Idee, zum Theater zu gehen. Die Schauspielerei war mir zwar so ein bisschen ausgeredet worden, aber ich wollte doch irgendwie in diese Atmosphäre hinein. Ich hatte zwar nicht genügend zeichnerisches Talent, um Bühnenbildnerin zu werden: Das traute ich mir hinsichtlich meiner Kreativität und meiner malerischen Fähigkeiten nicht zu. Aber ich dachte mir, ich könnte vielleicht Kostümbildnerin werden. Nach dem Abitur bin ich daher in Hamburg zunächst einmal für ein Semester auf die Modefachschule gegangen. Ich merkte dann aber, dass das überhaupt nichts ist für mich. Also habe ich in Hamburg studiert. Mein Vater war der Meinung, dass ich ruhig studieren sollte, denn da könnte ich mir einen passenden Mann suchen. Aber auch das Studium war nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Heute wäre so eine Einstellung, wie ich sie damals hatte, undenkbar. Heute braucht man ein abgeschlossenes Studium, möglichst einen Doktortitel, um beruflich Karriere machen zu können. Damals aber herrschte eine ganz andere Zeit. Ich habe mich also gefragt, was ich denn jetzt machen könnte. Mein Vater meinte zu mir, ich sollte doch erst einmal bei einer Zeitung volontieren. Das habe ich in Köln dann auch getan: Ich ging ins Volontariat und habe dort das Zeitungsmachen von der praktischen Seite her gelernt. Das fand ich z. T. sehr interessant. Und dann gab es eben diese Möglichkeit mit Bonn. Mein Vater hatte eine Nachrichtenagentur gegründet, die in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern Landespolitik weitergab. So nach und nach sollte sie dann aufs ganze Bundesgebiet ausgedehnt werden. Diese Nachrichtenagentur hatte in Bonn ein Verbindungsbüro: Dieser Platz war vakant und weil ich als Jungredakteurin bereits einige Zeit in Köln gearbeitet hatte, sagte er zu mir, ich solle diese Stelle in Bonn besetzen. So fing es an und dann rutschte ich immer mehr in dieses Bonner Leben hinein und in die Politik und später auch in andere Sachen. Schmid: In dieser Zeit waren Sie beruflich ja sehr engagiert und haben z. T. sogar die Familie ernährt. Ihlefeld: Das stimmt, denn mein Mann war geschieden. Das war damals teuer – und ist es vermutlich auch heute noch –, weil man nach einer Scheidung mit Recht natürlich zunächst einmal die Erstfamilie versorgen will und muss. Aus seiner ersten Ehe gab es nämlich bereits zwei Kinder. Und als er dann zwischenzeitlich auch mal berufliche Schwierigkeiten hatte, kam es so weit, dass ich unsere Familie durchbrachte, weil ich eben erfolgreich war und mein Geld verdiente. Schmid: Warum haben Sie mit dem Journalismus aufgehört und sind persönliche Pressereferentin von Annemarie Renger geworden? Ihlefeld: Da fing eben diese Geschichte mit dem Frauenthema an. Bereits als junges Mädchen und als junge Frau hatte mich das beschäftigt, als ich mich fragte, warum ich eigentlich anders sein sollte als meine beiden jüngeren Brüder: Wieso sollst du nicht richtig studieren? Warum sollst du nur studieren, um einen Mann kennenzulernen? Das waren Dinge, die mich damals schon gestört haben. Ich habe dann in meiner Zeit als Journalistin schon auch einiges von dem wahrgenommen, wie es Frauen in dieser Gesellschaft ging bzw. geht. Es war einfach so, dass ich anfing, mich dafür zunehmend zu engagieren. Andererseits saß ich aber nun einmal in Bonn, hatte dort meine Familie und einen Mann, der dort ebenfalls berufstätig war. Ich war also an einen Ort gebunden und konnte nicht einfach so in ein anderes Land wechseln und meinetwegen mal für ein paar Jahre Auslandskorrespondentin werden. Das war mir also versperrt. Aber so langsam fing die Arbeit als Journalistin mich an zu langweilen. Ich verdiente zwar gut und schrieb auch frei in dieser Zeit, ich hatte also Pauschalverträge für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Ich geriet so ein bisschen in die Ecke der Klatsch- und Tratschgeschichten. Das war zwar nicht so, wie das heute betrieben wird, aber ich musste damals schon auch mal einen Artikel darüber schreiben, was die Frauen der Politiker auf dem Presseball angezogen hatten oder wie die Politiker ihre Kinder erziehen usw. Ja, das fing an, so ein bisschen in diese Richtung zu gehen. Ich hatte zu der Zeit auch einen Pauschalvertrag bei der "Bunten". Mir war das aber nach einiger Zeit nicht mehr genug: Ich wollte nicht komplett in diese Thematik hineinrutschen. Außerdem beschäftige mich eben auch dieses Frauenthema sehr. Wir bekamen dann in Westdeutschland zum ersten Mal eine Bundestagspräsidentin. Sie bekam aber in ihrer ersten Zeit eine ganz schlechte Presse. Ich dachte mir: "Das kann doch wohl nicht wahr sein! Statt dass wir alle stolz sind und froh darüber, dass endlich mal eine Frau an einer exponierten Stelle ist, hacken wir auf ihr rum!" Im Bundestag in Bonn lief man sich ja z. B. auf dem Flur durchaus mal über den Weg. Und ich hatte ja davor auch schon ein paar Mal über sie geschrieben, sie kannte mich also selbstverständlich. Ich habe ihr gegenüber dann zum Ausdruck gebracht, dass es mich maßlos ärgert, dass sie so eine schlechte Presse bekommt. Und so kam es, dass sie mir eines Tages, als sie auch selbst mit ihrer Pressepolitik nicht mehr zufrieden war, dieses Angebot machte. Und so habe ich mich entschieden, die Fronten zu wechseln. Schmid: Als damals Annemarie Renger Bundespräsidentin wurde, hat die "Süddeutsche Zeitung" geschrieben: "Die Wahl einer Frau in dieses Amt ist für die SPD der politische Offenbarungseid." Hat sich der Kollege, der das geschrieben hat, wenigstens irgendwann einmal dafür geschämt? Ihlefeld: Das weiß ich nicht, aber so war das damals. Sie wurde auch immer, was absolut ungerecht war, als die ehemalige Sekretärin des legendären SPD- Parteivorsitzenden Kurt Schumacher dargestellt. Keiner der männlichen Korrespondenten hat das mal ein bisschen differenzierter gesehen und gefragt, in welchen Gremien sie inzwischen saß, welche Erfahrungen sie seit Schumachers Tod in den 50er Jahren gemacht hatte, wo sie überall an führender Stelle mit dabei gewesen ist usw. Sie war eine gestandene Politikerin, aber das wurde einfach übersehen. Und es passiert ja selbst heute noch, dass bestimmte Dinge, die Frauen machen, einfach übersehen werden. Schmid: Annemarie Renger hat damals geschrieben, dass es im internationalen Vergleich für die Frauen in Deutschland recht schlecht aussieht mit der Gleichstellung. Daran hat sich im internationalen Vergleich bis heute nichts geändert. Ihlefeld: Ja, nicht viel. Schmid: Es ist z. B. das Gehaltsgefälle zwischen Männern und Frauen besonders stark ausgeprägt. Warum tun wir uns hier in Deutschland so schwer damit? Ihlefeld: Tja, das habe ich mich auch gefragt und das hat sicherlich auch eine Rolle gespielt dafür, dass ich später dann noch einmal die Fronten gewechselt habe. Ich dachte mir nämlich, dass man daran doch etwas ändern muss. Inzwischen gibt es wirklich sehr viele topp ausgebildete Frauen, viel mehr junge Frauen als Männer machen Abitur, viel mehr Frauen schließen ihr Studium mit einem sehr guten Ergebnis ab. Auch in das Unternehmen, in dem ich damals gearbeitet habe, kamen sehr viele sehr gut ausgebildete Frauen. Trotzdem war das so. Und deswegen habe ich mir gesagt, dass man daran etwas ändern muss. Ich habe mich gefragt, woran das liegen kann. Darüber mache ich mir bis heute Gedanken: Das beschäftigt mich wirklich. Erstens liegt es meiner Meinung nach daran, dass dieses männliche System, das in Jahrhunderten aufgebaut und weitergegeben wurde, dazu führt, dass man in bestimmten Schablonen denkt, dass das aber den Beteiligten selbst gar nicht so bewusst ist. Die Machtpositionen wurden in diesem männlichen System einfach immer wieder an Männer weitergegeben. Heute nennt man das ganz salopp "Seilschaften": Da gab es jemanden, der für einen die Hauptarbeit machte und den man auch entsprechend forderte und förderte. Diesen Mann setzte man dann auch auf den nächsten frei werdenden höheren Posten. Aber da waren nie Frauen mit dabei: Frauen waren immer nur diejenigen, die den Männern sozusagen den Rücken frei hielten. Dieses Verhalten hat sich aber auch bei den Frauen als Schablone eingeprägt, sodass sie selbst dann, wenn sie nicht nur Gattin oder Familienfrauen waren und im Beruf landeten, sehr leicht diese Position einnahmen, für den Chef die wichtigste, nützlichste und intelligenteste Mitarbeiterin zu sein. Das fanden viele Frauen auch ganz prima so. Aber befördert wurden auch sie nur in den seltensten Fällen. Wenn der nächste höhere Posten frei wurde, dann hat man doch immer wieder einen Mann genommen. Schmid: Heißt das auch, dass Frauen sich mit Macht schwer tun? Ihlefeld: Ich glaube ganz sicher, dass das so ist. Das wiederum hängt mit der Sozialisation zusammen, die wir Frauen durch Jahrhunderte hindurch erfahren haben. Aufgrund dieser Sozialisation sind Frauen immer in diese Beziehungsrolle gekommen. Diese Rolle ist meiner Meinung nach sehr wichtig, sie ist auch in der Politik sehr wichtig: Das sind wichtige Fähigkeiten, die man bis heute nicht genügend nutzt. Aber diese Beziehungsrolle führt eben häufig genug auch dazu, dass man als Frau sagt: "Ich muss vor allem darauf achten, dass es dem anderen gut geht!" Und auf diese Weise geht man dann nach dem Motto "der Klügere gibt nach" sehr schnell freiwillig in die zweite Reihe und achtet vor allem darauf, dass die Atmosphäre stimmt usw. Das ist alles ganz schwierig für Frauen. Und man hat auch immer wieder gesagt, dass man bei Frauen dazu neigt, "Management by Champignons" zu machen: Immer dann, wenn ein kleiner Champignon hoch kommt, schneidet man ihm sofort den Kopf ab. Das hat man immer wieder so erlebt: Man muss ja nur einmal daran denken, wie auf Renger damals eingeprügelt worden ist. Leider waren das auch Frauen, die da mitgemacht haben. Auch Frauen lassen an anderen Frauen, die etwas werden, kein gutes Haar. Denn es sind ja nicht nur die Männer, die plötzlich Angst bekommen. Schmid: Wie sieht es denn überhaupt mit weiblicher Solidarität aus? Ihlefeld: Das ist eben der Punkt. Es lag erstens am männlichen System, das Frauen nicht in Führungspositionen gelassen hat. Aber das lag schon auch an dieser fehlenden weiblichen Solidarität. Darüber ist bereits viel geschrieben worden, aber umgesetzt worden ist davon bis heute nichts oder nicht viel. Frauen müssen andere Frauen anerkennen, müssen zulassen können, dass sie auch mal Fehler machen und dass sie sie deshalb nicht in Grund und Boden verdammen dürfen. Es ist einfach schade, dass Frauen zu wenige andere Frauen haben, die sie unterstützen. Schmid: Bei der Deutschen Telekom hatten Sie da ja durchaus einige Möglichkeiten, denn Sie arbeiteten dort als Gleichstellungsbeauftragte. Das war damals ein richtiges Novum. Hat die Telekom sofort eingesehen, dass sie so etwas braucht, oder mussten Sie dafür zunächst einmal Überzeugungsarbeit leisten? Ihlefeld: Damals haben ganz sicher sehr viele Leute gedacht, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, diesen Job anzunehmen. Denn ich hatte ja davor, als das noch die große, umfassende Post war, ein großes Referat geleitet, nämlich das Referat Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Als dann daraus diese drei Unternehmen gebildet wurden, konnte man als Manager bzw. Managerin, d. h. als jemand in leitender Position, schon auch sagen, wohin man gehen möchte in einem dieser drei neuen Unternehmen. Ich hätte so einen Job bestimmt auch bekommen. Ich habe mich also gefragt, ob ich in einem dieser Unternehmen weiterhin Öffentlichkeitsarbeit oder vielleicht sogar Werbung machen will. Das wären schon auch schöne und große Arbeitsbereiche gewesen. Aber ich hatte einfach keine richtige Lust mehr dazu. Ich hatte das alles einfach genügend ausgekostet. Und mich hat zu diesem Zeitpunkt genau das so sehr beschäftigt, wonach Sie gerade gefragt hatten: Warum ist das so? Warum ist es so schwierig, auf diesem Gebiet etwas zu verändern? Also sagte ich mir, ich werde jetzt mal versuchen, ob man das ändern kann. Ich war ja schon auch irgendwie am Ende meiner Karriere angelangt und wollte gar keinen weiteren Schritt nach oben machen. Ich wollte also auf Teufel komm raus ausprobieren, ob man an diesem Problem nicht doch etwas ändern kann. Schmid: Auf was sind Sie am meisten stolz, was Sie dort geändert haben? Ihlefeld: Man muss dazu zuerst einmal sehen, wie ich da angefangen habe. Das Ganze nannte sich zwar Fachbereich, letztlich bestand dieser gesamte Fachbereich jedoch nur aus mir und einer Sachbearbeiterin. Da kommen dann schon Zweifel auf, ob man damit wirklich etwas ändern kann. Aber im Laufe der Zeit haben wir dann auch noch einen Sozialbereich hinzubekommen. Das Ganze ging Schritt für Schritt, es hat eine ganze Reihe von Jahren gedauert, bis man wirklich erste Erfolge sehen konnte. Ich habe damals jedenfalls sehr strategisch gearbeitet. Ja, ich muss sagen, dass ich bei dieser Arbeit tatsächlich meine strategischen Fähigkeiten entdeckt habe. Ich konnte wirklich bestimmte Schritte voraussehen und planen und bin fast immer instinktiv in die richtige Richtung gegangen. Ich habe es also geschafft, aus diesem Fachbereich, der nur aus zwei Personen bestand, mit Zustimmung des Unternehmens ein Team von 30 Frauen zu machen, das dann in der gesamten Telekom für diesen Bereich gearbeitet hat: vor Ort und hinauf bis zur Zentrale. Schmid: Heute sagt ja auch die Wirtschaft selbst, sie bräuchte die gut ausgebildeten Frauen, die gut ausgebildeten weiblichen Fachkräfte. Haben Sie also ein bisschen Hoffnung auf einen zukünftigen Wandel diesbezüglich – obwohl wir bis heute in unserer Gesellschaft doch ein recht konservatives Frauenbild haben? Ihlefeld: Ja, schon, und vielleicht ändert sich dieses Frauenbild ja doch nach und nach, wenn man sieht, dass wir Frauen gute Arbeit machen. Aber bisher kann ich da noch nicht so sehr viel an Veränderung erkennen. Ich sehe nämlich, dass es auch immer wieder Rückschritte gibt: In dem Moment, wo z. B. jemand ausscheidet, der dafür gekämpft hat, dass auch in den Topetagen unbedingt Frauen gebraucht werden, der immer wieder gemahnt hat, dass man dieses Thema nicht vernachlässigen dürfe, lässt das ganz schnell nach und dann gibt es auf einmal wieder weniger Frauen in Topetagen. Es gibt sicherlich einige Unternehmen, die das inzwischen vormachen, es gibt einige Frauen mehr als Vorbilder in den Topetagen, aber das sind immer noch viel, viel zu wenig. So richtig ändern wird sich das erst, wenn wir auch bei den wirklichen Machtpositionen mehr in Richtung Parität kommen. Schmid: Sie hätten sich ja am Ende Ihrer Berufskarriere auch ganz in Ruhe auf die griechische Insel Naxos, auf der Sie ein Haus haben, zurückziehen können. Es starb dann aber ganz plötzlich Ihr Lebensgefährte und Sie haben sich noch einmal neu orientieren müssen. Wie und wodurch können Sie denn heute anderen Menschen helfen? Ihlefeld: Als das wirklich sehr plötzlich und zumindest für mich unerwartet passierte, hat mir das große Schmerzen bereitet. Weil ich auf diesen Schmerz nicht vorbereitet war, schien es eine Zeit lang so zu sein, dass ich mit diesem Schmerz nicht fertig werden könnte: Ich habe mich ganz auf diese Trauerarbeit und Trauerbewältigung konzentriert und mich aus diesem Frauenthema komplett zurückgezogen. Denn auch nachdem ich bei der Telekom aufgehört hatte, hatte ich ja immer noch ab und zu Vorträge gehalten und Seminare gemacht usw. Aber das habe ich dann alles auslaufen lassen und mich nicht mehr weiter darum bemüht. Ich zog mich auf Naxos zurück und setzte mich mit dem Verlust meines Lebensgefährten auseinander. Ich habe mich auch mit sehr vielen spirituellen Dingen auseinandergesetzt und etliche auch selbst ausprobiert, habe also meine Erfahrungen in diesem Bereich gemacht. Ich habe immer viel gelesen, auch zu diesem Thema, aber ich fand in den entsprechenden Büchern nur wenig Hilfe bezüglich dieser wirklich sehr, sehr harten Situation, wenn einem so etwas passiert. Was spürt man da? Was passiert da mit einem? Das zerreißt einen ja förmlich. Ich war darauf einfach nicht gefasst. Ich wollte das dann selbst beschreiben und aufzeigen, was man machen sollte, wenn einem so etwas passiert. Denn so etwas passiert ja sicherlich auch anderen Frauen in meinem Alter. Man sollte nämlich meiner Meinung nach unbedingt in diese Trauer gehen, man sollte diese Trauer nicht verdrängen und nicht unterdrücken. Denn diese Trauer kommt dann doch irgendwann wieder hoch, und sei es in Form von Krankheiten. Das hat mich also beschäftigt und so habe ich das alles aufgeschrieben. Schmid: Und das vermitteln Sie jetzt in Seminaren anderen Menschen. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Menschen von Ihrer Erfahrung profitieren. Es war ein sehr interessantes Gespräch, vielen Dank, dass Sie bei uns waren. Ihlefeld: Ich danke auch. Schmid: Zu Gast bei alpha-Forum war Heli Ihlefeld, Journalistin, Autorin und Coach. Vielen Dank für Ihr Interesse und auf Wiedersehen.

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