ALBERT FUCHS

. .. GEISTIGE STROMUNGEN .. IN OSTERREICH

1867-1918

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.. • 1949

GLOBUS�VERLAG WIEN ALBERT FUCHS 25. Oktober 1905 - 29. November 1946 ·

Der Autor dieses Buches starb, bevor er sich einen berühmten Namen erwerben konnte. So mag es am Platze sein, dem Leser, dem dieses Buch einen Teil des Lebenswerkes Fuchs' vermittelt, auch ein Bild seiner Persönlichkeit zu geben; ein Bild, das aus seinen Schriften und aus seinem Wirken, hätte er länger gelebt, von selbst entstanden wäre. Glücklicherweise kann das in der denkbar besten Form geschehen: in seiner Selbstbiographie „Ein Sohn aus gutem Haus" _ schildert Albert Fuchs in sehr persönlicher Weise sein Leben und die inneren und äußeren Umstände, die es gestalteten. Das Büchlein ist in London er­ schienen und heute längst vergriffen. Einige markante Stellen aus Fuchs' Selbstbiographie werden den Leser nicht nur mit der Person und der Entwicklung des außerordentlichen Mannes vertraut machen; aus ihnen entsteht auch ein anschauliches Bild von der Atmosphäre des bürgerlichen Wien vor dem ersten Weltkrieg. Fuchs zeigt hier an einem Ausschnitt aus der lebendigen Wirklichkeit, wie sich die „geistigen Strömungen" auswirkten, die er in seinem Buch wissenschaftlich untersucht.

Wiener Bürgerhaus 1910

Das Haus stand im Mittelpunkt der Welt. Darin wohnte ein kleiner Junge, Mittelpunkt des Mittelpunkts. Die Welt rauschte vor den Fenstern, trn.g ihre Schätze heran und legte sie dem kleinen Jungen in die aufgebreiteten Hände. Unabsehbar weit, war sie zu­ gleich unbeirrbar wohlgesinnt. Das Haus, und die darin lebten, war immer gewesen und würde immer sein. Es befand sich außerhalb der Begriffe Zeit und Veränderung. Zeit maß man in Stunden, höchstens Tagen, die übrigen Maße fehlten, so wie in einem kleinen Kaufladen die großen Gewichte fehlen. Änderung - der Junge hätte denken müssen, um ihre Möglichkeit zu entdecken, und dam Alle Red-ite vorbehalten hatte er keine Lust. Tat er es einmal, schlief er sogleich ein und Copyri&ht 1919 by Globus, Zeitungs-, Druck- und Verlagsamtalt, erwachte mit gänzlich anderen Gedanken. Gesellsd-iaft m. b. H., Wien

Gesamtausführung : Globus II, Wien VI VI Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wiener Bürgerhaus I9Io VII

Er war fünf Jahre alt. Seine Meinungen waren nicht immer Votivkirche. Man hörte jede Viertelstunde ihre Uhr schlagen, ein ganz zutreffend. Aber er hatte Augen, um zu sehen - und was er paarmal am Tag ihre Glocken läuten. Der Raum war zum Kinder­ sah, mag heute noch, gerade heute, der Wiedergabe wert sein. zimmer bestimmt worden, weil er Morgensonne hatte. Er ist mir als ungemein licht in Erinnerung geblieben. In Wahrheit stand jenes Haus natürlich in keinerlei Mittelpunkt. Jene Stillosigkeit, die heute bekämpft wird, drückte sich aufs Es war Glied einer ansehnlichen, gut gebauten Verkehrsstraße, der deutlichste im Speisezimmer aus. Da war ungefähr alles beisammen, Garnisongasse. Umständliche ältere Leute definierten seine Lage was verpönt ist: Mahagoni, grüner Plüsch, geblümtes Sofa, gestickte mit den Worten: ,,Schief vis-a-vis von der alten Gewehrfabrik", Pölster, goldfarbene Reliefs, Schaukelstuhl. Dessen ungeachtet doch bin ich zu jung, als daß ich die alte Gewehrfabrik noch gekannt war es ein sehr angenehmer Aufenthaltsort. Die häßlichen Details hätte. Die Gamisongasse läuft unmittelbar hinter der Votivkirche verschwanden völlig in der Atmosphäre des Altmodisch-Wohnlichen, vorbei, eine halbe Gehstunde vom Stephansplatz entfernt. die alles überdeckte. Es war ein Raum, vortrefflich geeignet zu leb­ Es war ein fünfstöckiges Bürgerhaus, in den achtziger Jahren haften· Gesprächen, zur Lektüre, zum Stillsitzen und Nachdenken. errichtet, mit einem stillen Flur, einer breiten, hellen Treppe und Ich wollte, ich könnte noch einmal im Speisezimmer den Vater hohen, hellen Räumen. Insgesamt beherbergte es sechs oder sieben hören, wi� er den Lauf der Welt und die Mehlspeise des Tages kom­ Parteien. Wir bewohnten einen ganzen Stock, der als „zweiter" mentiert. bezeichnet wurde, obgleich er eigentlich der dritte war - nach Den Rekord des Altmodischen hielt jedenfalls sein Arbeitsraum. Wiener Art ließ man das „Mezzanin" bei der Zählung fort. Die Er stellte eine Kombination aus Ordinationszimmer und „Herren­ Zählung unserer Zimmer variierte ein klein wenig nach der Stim­ zimmer" dar. Ein riesiger Schreibtisch. Ein mächtiger Bücher­ mung der Eltern. In selbstbewußten Momenten waren es sieben kasten. Ein gewaltiges, von den Großeltern ererbtes Sofa. Der Zimmer, in bescheideneren bloß „sechs Zimmer, ein Kabinett". Überwurf war vorzeiten bunt gewesen, aber seit langem verblaßt. Die Wohnung kostete 4800 Kronen jährlich, was die Eltern für Vergilbt waren auch die Photographien, die über dem Sofa hingen - angemessen hielten, denn es war gerade ein Zehntel ihres Einkommens, Vaters Lehrer: Billroth, Nothnagel, Krafft-Ebing. Hundert andere und das galt als die richtige Proportion. Photographien, holzgerahmt, ledergerahmt, zeigten Verwandte, Die Einrichtung unserer Räume hatte seinerzeit, als die Eltern Freunde, aristokratische Gönner. Der Herrenzimmer-Charakter heirateten, viel Geld verschlungen. Sie war solide, entsprach aber gar kam in zahllosen Rauchtischen, Rauchrequisiten, Aschenbechern zu sehr dem Durchschnittsgeschmack der Zeit; das heißt sie ließ an zum Vorschein. Stets lag ein leiser Zigarrenduft in der Luft. Das Geschmack zu wünschen übrig. Die diversen Kolosse und Ornamente, Zimmer atmete Ruhe, Sachlichkeit, freundliches Interesse - die die der Brauch forderte, waren vollzählig vorhandeIL Im Speise­ Dinge, in denen der Vater groß war. Hier sprach er seinen Patienten zimmer stand ein Ungetüm von Schrank, genannt „Kredenz". Von zu, las er seinen Shakespeare, grübelte er über die Mysterien der den Plafonds hingen schwere „Luster", vielfältig verziert. Die Rangklassen. Jeder, der eintrat, fühlte, welch gleichmäßige, wohl­ Auswahl der Gemälde an den Wänden verriet wenig Sorgfalt. Neben fundierte Existenz hier ihr Zentrum hatte. Und war gefangen von leidlichen Kopien fanden sich miserable Originale. Manche waren der altväterischen Behaglichkeit, die sich mit solcher Existenz von Patienten des Vaters eigenhändig gemalt und als Zeichen dau­ verband. ernder Dankbarkeit zu Weihnachten übersandt worden. Der Vater • verstand sich in gewissem Sinn auf Literatur, die Mutter auf Musik. Wer sich das Wiener Bürgerdasein von r910 richtig vorstellen Bildende Kunst war beiden fremd. will, muß sich klarmachen, wieviel Stetigkeit, Sicherheit, Friedlich­ Unter den Zimmern war eines, das sich durch Abwesenheit aller keit darin enthalten waren. Nicht ohne Grund nannten die Eltern Pracht auszeichnete: das „Kinderzimmer". Einfach, glatt, mit bis an ihren Tod die Jahre vor dem Krieg „die Friedenszeit" schlecht­ weißem Anstrich, wurde es beinahe modernen Anschauungen ge­ hin. Sie sahen nachher nie wieder Zeiten, die sie mit jenen leichten, recht. Die Fenster gingen auf einen ausgedehnten, durch etliche fließenden hätten gleichsetzen mögen. Fragen, die sie Anno r910- Bäume gezierten Hof. Jenseits, in geringer Distanz, erhoh sich die beschäftigten, waren etwa: ob der Vater heuer oder erst nächstes VIII Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wiener Bürgerhaus I9IO IX

ein Primariat erhalten würde; ob Wagners „Tristan" dem Jahr gerichtet, galt dem Vater als treffliche· Eigenschaft. Er erzog uns „Ring der Nibelungen'' vorzuziehen sei; ob man im kommenden Kinder systematisch zti Ehrgeiz, wir wurden gelobt, wenn'.manme rkte, Sommer nach der Schweiz oder an die Ostsee fahren sollte. (Man daß dieser Trieb, aus dem soviel Ruhelosigkeit entspringt, in uns zu sagte sogar: ,,geben" sollte. So nah schien die weite Welt.) Nach arbeiten begann. Während bei uns das Aussprechen vieler natür­ herrschender, obgleich unausgesprochener Ansicht war die Welt­ licher Dinge aufs strengste verpönt war, gebrauchte man mit größter geschichte mit der Schlacht von Königgrätz, anderthalb Menschen­ Ungeniertheit das Wort „Karriere". Hundertmal wurde gesagt, alter früher, zu Ende gegangen. Größere Veränderungen waren daß dies oder jenes dem Vater in der Karriere schaden könnte, daß nun nicht mehr zu erwarten. Kriege und Revolutionen konnten auch wir einst Karriere machen müßten, usw. Der Vater gab sich sich zwar noch ereignen, aber nur in irgendeinem fernen Winkel allerdings viel Mühe, den legitimen Ehrgeiz von seiner illegitimen der Erde. In Europa würde alles bleiben, wie es war, auch in Öster­ Schwester, der Streberei, abzugrenzen. Der Unterschied war nebel­ reich, trotz einer gewissen Wackligkeit. Unter diesen Umständen haft, aber er glaubte ihn klar zu sehen. Bemühungen um einen hielten es die Wiener Bürger für ihre natürliche Bestimmung, sich wirklichen Rang wurden stets als Ehrgeiz anerkannt. Ging es um im Bestehenden, Überlieferten gut einzurichten. Die Aufgabe einen bloßen Titel, so lag das ungefähr in der Mitte. Hingegen war war nach ihrem Herzen, und sie lösten sie mit Geschick. Über die es eindeutig Streberei, wenn jemand trachtete, ein Adelsprädikat Tatsache, daß sie innerhalb der Millionenbevölkerung der Monarchie oder einen Orden zu bekommen. Um sein vierzigst es Jahr war der eine winzige, begünstigte Minorität darstellten, sahen sie hinweg. Vater bei einem Rang angelangt, dessen genauer Name „Privat­ Im übrigen wußten sie die Verhältnisse zu nützen, den Tag zu pflücken, dozent mit dem Titel und Charakter eines außerordentlichen Pro­ wie der alte Dichter sagt. Unter den mancherlei Künsten, die in fessors" lautete. Die nächste Stufe hieß „wirklicher außerordent­ Österreich blühten, war Lebenskunst nicht die geringste. Die Lebens-· licher Professor" (oder „wirklicher Extraordinarius"). Da der Vater form von damals hatte hohe Vorzüge : Arbeit und Entspannung damals im Spitalsdienst gute Erfolge aufzuweisen hatte, wurde er waren in kluge Proportion gesetzt; Freude an geistigen Dingen von seinem Chef, Hofrat Wagner-Jauregg, gefragt, ob er wünsche, wurde angeregt und ermutigt; ethische Verfeinerung zumindest für den Franz-Josef-Orden „eingegeben" zu werden. Er lehnte nicht ausgeschlossen. Man tut den Bürgern unrecht, wenn man denkt, . entschieden ab, bat aber um Beförderung zum wirklichen Extra­ sie hätten ein rein phäakisches Dasein geführt. Fleiß u.nd beruflicher ordinarius, die bald danach erfolgte. Diese Geschichte erzählte er Ernst waren wohlbekannte Tugenden. Allerdings aber war es ein uns später wiederholt, um uns einzuprägen, wie sich der ehrgeizige Dasein von ungewöhnlicher Milde, aus dem langen Frieden erwachsen, Mann gegenüber den Lockungen der Streberei zu verhalten hat . in Frieden eingesponnen. Es konnte ihn nicht überdauern und ging Die Stellung als wirklicher Extraordinarius bereitete ihm bis an sein in Stücke, als er in Stücke ging. Ende große Genugtuung. Wenige Tage vor seinem Tode - er starb nach langer, überaus qualvoller Krankheit - gestand er mir, daß, ,,Beruf" - das war eine der drei Abteilungen im Leben des Vaters. was ihn in seinen Leiden ein wenig tröstete, das Bewußtsein sei, Der Ausdruck Abteilungen mag etwas pedantisch klingen, paßt aber eine schöne Karriere gemacht zu haben. ,,All diese -alten Leute gut zu seinem äußerst ordentlichen Wesen. Die beiden anderen (nun folgten die Namen einiger um zwei oder drei Jahre älterer S ektionen hießen „Familie" und „Literatur". ,,Beruf" war bei Kollegen) sind viel später wirkliche Extraordinarii geworden als weitem die größte und wichtigste Sektion. ich." Ich kann nicht umhin zu denken, daß, we:tm die Rangordnung Er liebte seinen Beruf, weil er durch ihn etwas Nützliches leisten der k. u. k. Bürokratie einmal die Funktion gehabt hat, einen Ster­ konnte. Er liebte ihn mehr noch, weil er in ihm seine Persönlichkeit benden zu trösten, sie doch zu irgend etwas gut gewesen ist. entfalten konnte, aber am meisten deshalb, weil der Beruf ihm Gelegenheit zur Befriedigung seines brennenden Ehrgeizes bot. Ziel In die kam ich meist als Begl eiter der Mutter. Sie dieses Ehrgeizes war Gelehrtenruhm und ein Stückchen Macht, begab sich an drei, vier Vormittagen der Woche dorthin, um Be­ ein winziger Bruchteil der riesenhaften Macht, die sich in der Staats­ sorgungen zu machen oder, wie sie sagte, ,,Kommissionen". Als maschinerie konzentrierte. Ehrgeiz, auf s0lche oder ähnliche Dinge ich noch nicht zur Schule ging, geschah es oft, daß sie mich mit- X Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wiener Bürgerhaus I9IO XI

e o e e ie i d de n e nahm. Ich war darüber nicht besonders glücklich, lang nicht s könn n .. Das Fräul in l ß sich n er Nähe s Spri gbrunn ns e sehr, wie wenn ich den Vater begleiten konnte. Die Mutt r war auf einer Bank nieder. Meist warteten schon ein paar Kolleginnen. sparsam. Sie mietete nie einen Wagen, wir fuhren im Omnibus, Uns war leidliche Freiheit g ewährt, doch gab es eine Einschränkung: en im sogenannten Stellwagen. Darin sah ich kein Vergnüg . Das wir sollten nur mit feinen Kindern spielen, nicht mit Gassenbuben. Vergnügen begann erst beim Einspänner. Die Gartenordnung untersagte eigentlich Spiele ganz allgemein, Der Stellwagen war ein mittelalterliches Vehikel, eng, holprig, außer auf jenem Platz, den wir vermieden. I nfolgedessen gerieten on zwei Schindmähren schleppten ihn. Von der Ecke Garnis gasse­ wir manchmal in Konflikt mit der Behörde. Wir rannten über e n e e r ne o en d e d en e e e e Alserstraße, wo wir einstiegen, bis zum St pha splatz braucht ei Wiese, kr ch urch G büsch un hatt P ch: di B hörd e e n über zwanzig Minuten. Das heißt, er war ungefähr so schnell wi i näherte sich in Gestalt des Invaliden aus dem achtundsiebziger oder en rüstiger Fußgänger. Abgesehen davon, daß er sich im Schneck ­ sechsundsechziger Jahr, der zum Gartenwächter bestellt war. Er tempo bewegte, k onnte man ihn auf Schritt und Tritt zum Stehen schalt uns in militärischem Ton und drohte, u ns „aufzuschreiben", e n en bringen, wenn man ein- oder aussteigen wollte. Auf d r erwäh t was alszi emlich harte Maßregel galt. Nahm er wirklich das Notizbuch e e e Strecke gab es immer aclit bis zehn solche Aufenthalte. D r, m in r h�raus, so rückte freilich die Entsatzarmee heran. Das Fräulein, das e Ansicht nach, einzig interessante Moment kam, wenn wir an d n den Vorgang aus der Entfernung beobachtet hatte, kam herbei­ ein ni e Heiden­ e n e e n e e ind Punkt gelangten, wo die Straße ein kl we g b rgauf geht (,, g laufe , sprach ine B schwichtigu gsform l, laut nd: ,,Das s schuß"). Dort war ein Mann mit einem Extra-Pferd postiert, dessen die K inder vom Professor Fuchs", und e ntzog uns dem Zugriff Aufgabe es war, dem Omnibus über die Steigung hinwegzuhelfen. des Staates, indem sie uns an der Hand packte und f ortführte. d e Unter Hüh u nd R ott wurde dieses Pferd e ingeschirrt, as Dr i­ Bedeutend ärgere Feinde als die Aufseher waren die Gassen­ n de e ede edu­ en d e e o e e de n n e e gespann b ewältigte den Berg, da n wur s wi r auf zwei r bub , as h ißt di Pr l tari rkin r, mit de e wir k in n Umgang e den ziert. Der Extra-Gaul erregte mein Mitleid, weil r immer nur haben s ollten. Da die anderen Bürgerkinder demselben Gesetz n e e en d e e er n e e e e K en e d n e „Heidenschuß" hinauf- und hinu t rg h urft . Di Mutt u terlagen, xisti rte im Park eine g nau lass sch i u g. Di no en sagte mir zur Beruhigung, daß er an anderen Tagen d em rmal Klassenkämpfe, die r esultierten, nahmen für die Bürgerlichen e inen Omnibusdienst zugeteilt sei, während der Hilfsdienst einem Omnibus- ungünstigen Verlauf. Zwar, jene zahlenmäßige Überlegenheit, die pferd o blag. sonst den U nterschichten zustatten kommt, fehlte ; im Rathaus­ e de Die Einkäufe dauerten ein o der zwei Stunden. Geg n En viertel standen nur Herrschaftshäuser, und die proletarische Jugend e n es hatten wir bereits unzählige Päckchen zu tragen. Sof r sich rekrutjerte sich ausschließlich aus den Söhnen der Hausbesorger. n n um größere Gegenstände handelte, erbat die Mutter Lieferu g i s Aber diese Burschen waren ungleich stärker und angriffslustiger als e Haus. Ich merkte sehr wohl, wie angenehm es ihr war, dem V r­ die „feinen" Kinder. Deren Situation wurde noch dadurch erschwert, en käufer den Titel des Vaters zu nennen. Wenn vor dem Mittagess daß die Fräuleins, gemäß elterlicher W eisung, größere Gefechte den Kond o en e e oder n e nde en e en d e o noch Zeit übrigblieb, statteten wir it rei D m l ach Tunlichk it verhi rt . Das wirkt lähm d auf i M ral. e en Sluka einen B esuch ab. Obgleich ich nur ein kleines Gebäck ss Kein Wunder, daß die H ausmeisterbuben d ie Oberhand behielten. H durfte - im Hinblick auf die bevorstehende auptmahlzeit -, Trotz den Gefahren, die e r i n sich barg, war uns der Park der di e ei e de Kommis- ie e n de d nn e ede n ede trösteten mich diese Abstecher über e Lang w l r „ l bst Ort i r Sta t. Wir ka t n j Ba k, j n Strauch sionen". und Baum. Stunden verflogen wie Minuten. Auf dem Weg nach ein Ande n Nachmittagen befand ich mich in der Obhut des Fräul s. Hause besprachen wir schon, was wir tun würden, wenn wir morgen in de Sie ging mit mir, wenn das Wetter es irgend erlaubte, n Rat­ oder übermorgen wiederkämen. hauspark. Die Kinderfrau und Georg kamen ebenfalls mit. Als Sonntags gingen wir nicht in den Rathauspark. Die Eltern Kind Georg das schulpflichtige Alter erreichte, wurde das Amt der er­ unternahmen mit uns eine Fahrt über die Ringstraße, nach Schön­ frau abgeschafft, und wir wurden dann beide vom Fräulein beauf­ brunn oder i n den Prater. o en sichtigt. Im Park wichen wir dem Kinderspielplatz im B g aus In der Stadt herumzukutschieren war ein gebräuchliches V er­ en e en - d ort waren zu viele K inder, wir hätten Keuchhust kri g gnügen der w ohlhabenden Wiener. XII Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wiener Bürgerhaus I9IO XIII

Ein Mann wie der Vater hätte von Rechts wegen eine eigene waren in erster Linie Luft, Bewegung und das Gabelfrühstück, das Equipage und Pferde besitzen müssen. Er zog es vor, seine Erspar­ am Ziel die mäßige Anstrengung belohnte. Mein Verdacht, daß die nisse anders anzulegen. Aber es fiel ihm nicht ein, der Sitte, die auf Eltern ähnlich empfanden, mag unbegründet sein, aber er besteht. elegantes Fahren Gewicht legte, entgegenzuhandeln. Wann immer Weit stärkeren Eindruck als vom Wienerwald empfing ich sich ein Anlaß bot, nahm er einen Wagen, der sich sehen lassen von den etwas schwerer erreichbaren Gegenden, die an Doppel­ konnte. Einspänner kamen nicht in Betracht, außer es war völlig feiertagen (Ostern, Pfingsten, Peter- und Paulstag) aufgesucht unmöglich, einen Fiaker aufzutreiben. Unter den Fiakern wurde wurden: Reichenauer Gebiet, Semmering-Gebiet. In den letzten einer ausgewählt, dessen Karosserie von Lack, dessen Pferde vom Jahren habe ich manchmal an mir ein Experiment gemacht: Ich Striegel glänzten. ,,Gummiradler" hatten den Vorzug. versuchte herauszufinden, welche Gefühle und Vorstellungen sich In einem Punkt entfernte sich der Vater vom Brauch. Die Mode mir mit dem Wort „Heimat" verknüpfen. Es ist bestimmt kein des Schnellfahrens widerstrebte seinem gelassenen Wesen. Er Zufall, daß die Assoziation, die sofort und regelmäßig auftaucht, schärfte jedem Kutscher ein, ,,langsam und vorsichtig" zu fahren. die des Reichenauer Tales ist. Ich sehe dieses Tal vor mir, wie es Selbst Einspännerkutschern, wenn er mit ihnen zu tun hatte, gab bei Payerbach, nach der Ebene, in ansehnlicher Weite beginnt, er diesen Auftrag - obwohl sie gar nicht anders konnten als ihn langsam sich verengend über Edlach ansteigt, nach der Großau ausführen. und der Kleinau sich verzweigt und an der Preiner Wand in dichtem Keines der Fahrtziele hielt den Vergleich mit dem Prater aus. Nadelwald endet. Ich spüre den Übergang aus der milden Luft von Der war damals alles eher als die Ödnis, zu der er sich nach dem Reichenau in die rauhe, harzige, die von der Rax herunterstreicht. ersten Weltkrieg entwickelte. Er wimmelte von Menschen. Ein Ich höre das Flüßchen rauschen - Schwarza heißt es -, das, je großer Teil der Wiener verbrachte dort einen Großteil der Freizeit. länger man seinem Lauf entgegenwandert, um so schmäler wird Die Gartenrestaurants (Erstes, Zweites, Drittes Kaffeehaus, Kon­ und um so eifriger rauscht. All das tritt mit einer Frische in mein stantinhügel, Krieau) waren während der warmen Jahreszeit ständig Gedächtnis, als hätte ich es gestern erlebt, und hat zugleich das überfüllt. Zumindest äußerlich ergab sich der Eindruck der Buntheit unverwechselbare Aroma, das nur ältesten Erlebnissen anhaftet. und Unbeschwertheit. Die Hauptallee sah prächtig aus. Auf den Mir scheint, daß solcherart sich die Gefühlsbeziehung beglaubigt, Fußwegen zu beiden Seiten, unter den Kastanienbäumen, drängten die gemeint oder mitgemeint ist, wenn man einen Ort Heimat nennt. sich die Menschen im „Korso". Die Reitwege wurden nicht wenig benützt, und auf der Fahrbahn riß die Reihe der Fiaker nie ab. Die Reisen, die der Vater mit uns unternahm, führten uns nach In ihrer Glätte und Schnurgradheit war diese Bahn eine große Ver­ Gossensaß, Toblach, auf die Mendel, ebenso nach Arendsee, Binz, suchung zu raschem Tempo. Fiakerpferde fielen, sowie sie unter Saßnitz auf Rügen. Gewöhnlich blieben wir nur acht oder vierzehn dem Viadukt durch waren, von selbst in scharfen Trab und hielten Tage an einem Ort. Dann bekamen die Eltern Lust auf Abwechslung. erst beim Lusthaus an. Wollte der Vater seinen Wunsch nach Die Wochen, die wir in Deutschland verbrachten, erweiterten ruhiger Gangart durchsetzen, so hatte er es auf dieser Strecke nicht meinen Horizont um eine ethnographisch-politische Erkenntnis. leicht. Ich erfuhr, daß zwischen Deutschen und Österreichern Unterschiede .. Mit den sonntäglichen Ausfahrten wechselten „Ausflüge" ab - bestanden. Der Vater war in seiner ganzen Art durch und durch Fußwanderungen. Zwischen Wien und Klosterneuburg, Wien österreichisch. Solange wir daheim waren, betonte er das nicht sehr, und Baden dürfte kaum ein Spaziergang denkbar sein, den wir nicht machte er davon sozusagen keinen Gebrauch. Anders wurde die absolviert hätten. Könnte man nachträglich feststellen, wie oft Sache, sowie wir die Grenze überschritten. Wir reisten an die Ost­ wir im Helenental waren, auf dem Eisernen Tor, dem Anninger oder see, weil dort sandiger Strand war und frischere Luft als etwa in gar erst auf dem Kahlenberg, Hermannskogel, der Sophienalpe, Abbazia. Diese Vorzüge der Ostseebäder konnten den Vater jedoch man würde zu erstaunlichen Ziffern gelangen. Ich glaube, daß mir über die Unzulänglichkeiten des Deutschen Reichs, oder was er der Reiz der sanften Hügel, in die die Stadt eingebettet liegt, nur für solche hielt, nicht hinwegtäuschen. Fortwährend fand er Grund teilweise zu Bewußtsein kam. Was mir an den Spaziergängen gefiel, zum Tadel deutscher und zum Lob der entsprechenden österreichi- Albert Fuchs Ein Lebensbild Wiener Bürgerhaui; I9IO XIV - XV sehen Einrichtungen. Den Kaffee, der ihm in deutschen Restaurants Möbel im Kinderzimmer frisch lackiert. Neue Glühbirnen strahlten vorgesetzt wurde, belächelte er als Blümchenkaffee, dessen In­ aus allen Lampen. Alle Vasen enthielten Blumen. Im Speisezimmer feriorität gegenüber der Wiener „Melange" offenkundig sei. Ver­ fanden wir auf einem Tischehen Geschenke, mit Seidenpapier um­ gleiche zwischen den Mehlspeisen der beiden befreundeten Mon­ wickelt: Erfüllung absichtslos geäußerter, kleiner großer Wünsche. archien verliefen naturnotwendig ebenfalls zum Vorteil des sonst Auf dem Speisetisch stand eine Riesentorte, wie sonst nur an Ge­ schwächeren Bündnispartners. Der Umgang mit Hotelportiers, burtstagen, und eine Schüssel voll Obst - die ersten Nüsse und Kellnern, Schaffnern lieferte mannigfache Gelegenheit zur Ent­ Weintrauben des Jahres. Die Eltern tranken Wein, die Kinder faltung von „Energie" im Kampf gegen „preußische Arroganz". bekamen je nach Alter ein viertel bis halbes Glas. Es war eine Ein fast dramatischer Vorfall trug sich in Binz zu. Der Vater wollte Festlichkeit, dem Beg� eines Lebensabschnittes gewidmet. Nach vom Binzer Postamt irgendein gleichgültiges Telegramm nach dem Essen küßte uns der Vater der Reibe nach, fragte: ,,Gefällt's Trautenau absenden. Er vergaß, auf dem Formular anzuführen, euch wieder zu Hause ?", wir sagten „Ja" und gingen, müde wie die daß dieses Städtchen in Böhmen liegt. Der Schalterbeamte erklärte, Taglöhner, zu Bett.· • e einen Ort Trautenau nicht zu kennen, und wies das Telegramm zur D r Zeitabschnitt, der mit September anhebt, ist für Menschen, e e S Ergänzung zurück. Mehr war nicht nötig, um den Vater in Rage d r n timmung vom Wetter b eeinflußt wird, kein besonders glück­ e e zu bringen. Er glaubte, ein Musterbeispiel preußischer Frechheit lich r. S it ich .erwachsen bin, fühle ich das genau, immer wi eder. n vor sich zu haben, und rief: ,,I866 hat man in Preußen sehr genau Als Ki d fühlte ich e s nicht. Spätherbst, Wintersbeginn. hatten e e e gewußt, wo Trautenau ist." Das war eine Anspielung auf das einzige ihr b sond ren V ergnügungen, so wie andere Jahreszeiten. Ver­ e e Gefecht, das I866 mit einem Erfolg der österreichischen gegen die hind rt das Wetter Ausflüge, traten Kinobesuche an ihre S telle e preußischen Waffen geendet hatte. Der Beamte kann wohl nicht (Kino war ine neue, vielbestaunte Erfindung), Theaterbesuche h e e e verstanden haben, was gemeint war, seine historische Bildung müßte (me r r Wi ner Theater spielten Sonntag nachmittags für Kinder), e h e denn weit gründlicher gewesen sein als seine geographische. Aber ndlic B suche im Kaiserpanorama. Alles zusammen war voll­ e er vermutete mit Recht, daß eine Herabsetzung seines Vaterlandes wertig r Ersatz für die Zerstreuungen, die fortfallen mußten. beabsichtigt war, und drohte, die Polizei zu holen. Der Vater kam Was war das Kaiserpanorama?, höre ich etliche Leser fragen. n gerade knapp an behördlicher Intervention vorbei - an „Schere­ Nun, ichts Aufregendes. Die meisten Wiener Schulkinder kannten e e reien", wie sein Ausdruck lautete. s, d r Eintritt, war billig. Es befand sich auf dem Stubenring, e Obwohl die Eltern den Begriff Sommer ausdehnend interpre­ geg nüber dem Stadtpark. In einem v erdunkelten Raum bekam a tierten - einmal ging der Sommer doch zu Ende. Mitte September m n durch e in Stereoskop farbige Landschaftsbilder zu s ehen, n e wurde es auf dem Land kühl und neblig, ob wir nun in Baden waren Spa i n, Italien und ganz besonders Bosnien-Herzegowina. Das oder in der Prein. Wir kehrten nach Wien zurück. Der Abschied Institut war schon I9Io veraltet, es paßte in die Epoche des Kinos e vom Land fiel mir immer schwer. Anderseits war die Heimkehr ung fähr so wie der Einspänner in die Epoche des Automobils. Das e alle Jahre ein schönes, einprägsames Erlebnis. b ste am Kaiserpanorama schien mir das Foyer, wo man den An­ a Der Vater, der schon seit Wochen in Wien weilte, holte uns von f ng der Vorführung abwartete. Zwar, das flinke blonde Mädchen, der Bahn ab. Ein Wagen, meist ein viersitziger „Landauer", brachte das als Kassierin fungierte, war mir gleichgültig. Aber über ihr .. uns in die Garnisongasse. Kisten und große Koffer fuhren auf einem saß auf hoher S tange e in giftgrüner Papagei, ein besonders häß­ e e Streifwagen hinter uns drein. Der Straßenlärm klang uns fremd­ lich s Ex mplar seiner Gattung, und plapperte, zeterte, schrie. h artig in die Ohren, so sehr hatten wir uns in den Sommermonaten Ihn sa und hörte ich gern. Er interessierte mich mehr als Bosnien. der Stadtgeräusche entwöhnt. Vor dem Haustor warteten die Etwa z wanzig Jahre später, I930 oder 32, ging ich über d en Dienstmädchen, riefen „Küß die Hand", nahmen Taschen und Stubenring und entdeckte mit Staunen, daß das Kaiserpanorama Schachteln aus dem Wagen und trugen sie die Treppe hinauf. Die noch bestand*). Einspänner, Stellwagen und vieles andere war Wohnung war für den Empfang mit Sorgfalt hergerichtet. Die Vorhänge an den Fenstern waren frisch gewaschen, die weißen *) Es besteht auch heute noch. Albert Fuchs Ein Lebensbild XVI - Wandlungen XVII

fort a auch der a r a orama d auerte . D hielt er an die versammelten Schüler eine Ansprache, die besser erschwunden, d s Kaise p n e v s s a tpanorama umg ­ z e s tsta e a t r z unden war, hatte e ich uf Wel u Kais r Gebur g g p ßt hä te. Die Republik wa u indif­ Kaiser verschw t a f einen ·· au at e s o tlich nich . Ich w r re i z e a t t e e t u t roßen Zul f h t e ffensich n fe nt, um hn ur V r n wor ung zu zi h n. a f . G ersta t o im übrige r u es verödet, v ub , d ch Der kluge, starrköpfige, übrigens prächtig aussehende Mann Blick ins Foye nd fand s i s dieselbe blonde Ka sier n, de a a e t de d e e det e e e r dert. Dieselben Plü chmöbel, wur n chm ls Dir k or s Gymnasiums un b kl i e di s w nig ve än ze t an er n och e ei ahrscheinlich ig e m imm Stellung noch I938, als die Deutschen in Osterreich einmarschierten. de selbe grün Papag . W t r re s te a ibeskräf en wie i e s e de d e s d a e e n ze o a er Vogel k i ch _ us Le Zu se n r Ehre muß ge agt w r n, aß r ich en „Br un n" g ge ­ Bosnien-Her g win . D urlos or e e z a zi ahre völlig sp v üb r­ zei e e s de ote e e n An ihm waren di w n g J über ebenso unabhängig gte wi eh mal n „R n" g g n­ eh u d je. da der Natur so d s erin. _Aber s liegt in über. Nun freilich sollte es ihm übel bekommen. Wieder war eine gegangen. Nicht an er Ka si Rede zu halten, diesmal zur Feier d s U e der Sache. e „ mbruchs". Üb rflüssig zu sagen, 'daß sie mit „Heil Hitler" enden mußte. Als Blaha ans Ende gelangte, simulierte er Vergeßlichkeit : ,,Und so schließe ich Wandlungen denn mit den Worten: Heil ..... wie heißt der Mann? Ach ja, richtig, Hitler. Also Heil Hitler." Der Vorfall wurde den Nazi­ e es dr r a ls s hr r i ter in Wien g chah, ang nu behö den angezeigt, Blaha wurde verhaftet, ins Konzentrations­ as im W n I9I8/I9 r u W t ein s se r lautes Ge ä sch. e d st do es or e e er u zu r. N ich mal al h lager g bracht, un i rt g t b n. allgemein s G ä sch mi s e u d r tt se mit lateini ch n n de e e ss er ede e d e i ttelschüler in d er d i en Klas , Nach r vi rt n Kla e üb r t ich ie Elt rn, m ch von Ich war Mi e Umsturz" kam mir se z en b eschäftigt. D r „ den Schotten in die Wasagasse übersiedeln zu lassen. Es kostete griechischen Über t ung u e uf e se er Hoffn ng n a n e z iese nts e d z e in ts da urch zu B wußt in, daß icht wenig Mühe, si u d r E ch i ung u b wegen. Me haup ächlich d t er e. e e e te und sie d ann nich füllt Wunsch entsprang hauptsächlich dem Umstand, daß mein „bester rtourliche Schulf ri n w ck t r auße trat st rz ein. Der Va e e d de u su e asei d r e Fuchs kein Um u Fr und" ie min r feine Sch le be cht . Im D n e Famili o t f d a r da rkte sich n ch nich au si te i d o o te er et s eniger Gel , be s wi Das Wasagymna um un rsch e sich v m Sch t ngymnasium v diente wa w t r d e us r e ohnten wei e i 7-Zimmer­ sehr wesentlich. Hier gab es im Lehrkörper eine sozialdemokratische e e Lebenshaltung a . Wi b w uns r s e te o i e u d U t rr t o e n der e tigten viele Dien tl u . Maj rität. Das N v a es n e ich s war n ch b sser als a Wohnung, b schäf s r or egszeit t ohnheiten au de V kri geistlichen Anstalt. Valentin Pollak, der Direktor, war als Histo­ e minder wich ige Gew e Einig e r uhren n ur m hr r s s r is en a s assis e o zier o e aufgegeben werd n. Wi f iker, Nathan ky al Ge man t, Lack bacher l kl ch r Phil ­ mußten mo difi t d r er rten d d e egelmäßig v keh . o e t i re en i to z f do a e e auf e emmering, a ie Züg unr l g vor refflich. D e Leh r blickt m t S l au A lf K pp l­ selt n d n S a ie er ferde ge- t e r i den Prater, d d Fiak p macher, der, aus ihrer Mitte hervorgegangen, es zum Ordinarius des La­ Wir fuhren gar nich m h n are teinisch en an der Universität gebracht hatte. Die Frage der Manie­ schlachtet worden w n. d t m esteckt hatten, war as r n rd n d sa ss s t e es t t s ie e, in die die El ern ich g e wu e i er Wa ga e al minder wich ig ing chä z . E war D Schul r u t e so e n e nz r d ot e sium. sogar e la b , die Prof s r n mit ei fach m „Sie" a u e en; Sch t ngymna en e ed inermönche: en tten r en d z s e r o ten asium war B n ikt bei d Scho war es ein Ve brech , an ers u agen als „H rr Leh er am Sch t gymn e e Die es i t agogen. Si hielt n e o e o s a e i e eut zum Teil g ch ck e Päd Prof ssor w llen"; ,,H rr Pr fe sor h ben". gebildete, fl iß g L e, ute a ieren t z eranstrengen. G M n Jener „beste Freund" hieß Fritz Blumenfeld und war Freidenker, s r r ichtig, die Schüler nich u üb e fü ute t sse. e ozia s rs t e s e a so o ertet wie g Kenn ni Ethik r, S li t. Er ve uch e s ine An chauung n auf mich rden f st h ch bew e t t wu e at e eutig f s geleg . Sie z e zi e eine o o tis a e die Mönch n ürlich ind u üb rtragen, er elte ab r k n Erf lg. P li ch w r n t e e s rt und erhoff en di baldig Wenn Fritz mich für Atheismus und Sozialismus nicht zu be­ et a eten die R epublik al Mißgebu b r cht e s ern e o te so des ei f i nder e r der sburger. g i t v rm ch , halb, w l ich ür e ne a e Sache b ­ Rückkeh Hab e itation an- rt antirepublikanisch Ag geistert war: für Literaturgeschichte. Ich konnte die dickleibigen sonders ungenie , was a Be er t r zenz Blah . Am e on d rd e o dies o den s der Mathematik , Pa e Vin Büch r v E ua Eng l fast auswendig. V n em s li , betraf, benahm ich o e 1 19, u dung, am I2. N vemb r 9 mittelmäßigen Gelehrten angeleitet, vertiefte ich mich in die deutsche ersten Jahrestag der Rep blik-Grün II Fuchs, Geistige Strömungen Wandlungen XVIII Albert Fuchs - Ein Lebensbild XIX

Literatur, besonders des Jahrhunderts. Weltanschauliche Dinge nur seine eigenen Arbeiten brachte. Es existierte ein enger Kontakt waren mir gleichgültig. zu hervorragenden, selbst irgendwie outsiderischen Schriftstellern Sie begannen mich_ in19. de m Augenblick zu beschäftigen, als ich (Frank Wedekind, Peter Altenberg, Theodor Haecker), zu Musikern Karl Kraus kennenlernte, den großen Wiener Satiriker, Lyriker, und bildenden Künstlern, die man ungefähr mit denselben Worten Prosaisten. Dies Ereignis war, von mir aus gesehen, bei weitem charakterisieren könnte (Arnold Schönberg, Adolf Loos, Oskar das wichtigste, das in meine Gymnasialjahre fiel. Kokoschka). Wer Kraus las, wurde unfehlbar auch auf diese Männer Wer war Karl Kraus? Und wie war .die Weltanschauung be­ aufmerksam, befaßte sich mit ihren Schöpfungen, drang in ihre schaffen, die er vertrat? Ich glaube, ich muß das etwas ausführlicher Ideenwelt ein. Das bedeutete Horizont-Erweiterung, wenngleich darlegen, wenn meine eigene Entwicklung verständlich werden soll. es sich öfters um Ideen handelte, die mit Vorsicht aufzunehmen Kraus·ist für die neue Generation nur mehr ein Name. Und sogar waren. früher, als er noch lebte, war die Zahl derer, die eine genaue Vor- Kraus' Glanz auf literarischem Gebiet wurde vielleicht noch stellung von ihm hatten, begrenzt. übertroffen durch seine Schauspielergabe. Er war ein Vortrags­ Er zählte zu den glänzenden Einzelgängern, wie sie die liberale künstler allerersten Ranges. Jährlich hielt er zwanzig oder mehr Gesellsthaft zuweilen erzeugt. Obgleich ein vielgelesener, viel­ Vorlesungen, teils aus seinen Werken, teils aus Shakespeare, Goethe, diskutierter Schriftsteller, hielt er sich in weiter Feme vom normalen Nestroy, Offenbach. Ohne irgendwelche äußere Hilfsmittel, nur Literaturbetrieb. Jeder Wiener Literat jagte nach „Verbindungen". mit den Mitteln des Geistes, mit Wort und Geste zauberte er dem Kraus hatte keine und suchte keine - außer der Verbindung von Hörer eine ganze Tragödie, eine Posse, eine Operette vor. Sooft ,,Wort und Wesen", die ihm als Essenz der Wortkunst galt. Einzel­ er wollte, hatte er einen vollen Saal, ein enthusiastisches Auditorium. gäriger auch im buchstäblichen Sinn, spazierte er allein durch die . Selbst erbitterte Gegner gaben zu, daß er als Menschengestalt-er Straßen: ein kleiner, schmächtiger Mann, glattrasiert, kurzsichtig, auf dem Podium Großes leistete. mit edlen scharfen Zügen. Wurde er von einem Unbekannten ge­ Im Grund schrieb Karl Kraus weit lieber über Literatur und grüßt, schritt er grußlos weiter. Den Wienern solche Vertraulich­ Theater als über Politik. Trotzdem wandte er viel Zeit und Tempe­ keiten abzugewöhnen, war ein Teil seiner Mission. rament ,an die Erörterung politischer Dinge. Im Laufe der Jahre In jungen Jahren, lange vor der Zeit, von der ich spreche, hatte wechselte er unzähligemal seinen Standpunkt. Zuerst war er Libe­ et die kleine Revue „Fackel" begründet, die eine Wiener Institution raler, später, noch vor dem Krieg, extremer Konservativer, während wurde, ähnlich dem Riesenrad, der Sezession oder der „Neuen des Kriegs Pazifist, dann stand er den Sozialdemokraten nahe, Freien Presse". Ziel der „Fackel" war es, eben die „Neue Freie vorübergehend sympathisierte er mit den Kommunisten, am Ende Presse" und die übrigen großen Zeitungen aufs äußerste zu dis­ seines Lebens wurde er gar Anhänger von Dollfuß und Starhemberg. �reditieren, wenn möglich, zu vernichten. Witz und ehrliche Gesin­ Niemand kann sagen, wohin ihn sein Weg noch geführt hätte, wäre nung sollten die Waffen in diesem Kampf sein. Nach und nach er etwas älter geworden. Leider starb er, kaum daß er die Sechzig ging die Pressekritik in allgemeine Kulturkritik über. Die Tages­ erreicht hatte. zeitungen bestanden freilich weiter, erfreuten sich sogar hoher Auf­ Wenn er einen jungen Menschen, wie mich, überzeugte, war lagen. Anfangs hatte Kraus eine Reihe ausgezeichneter Mitarbeiter. das Wichtige nicht, daß er ihn für seine augenblickliche politische Ab oder schrieb er die Revue von A bis Z selber. Vorwiegend Meinung, sondern daß er ihn für seine Weltanschauung gewann. war er Satiriker, doch veröffentlichte er in der „Fackel" auch Verse, Diese Weltanschauung blieb sich durch drei Dezennien, etwa von die 1910einen wes12entl ichen Teil seiner Produktion bildeten-, ästhetische an, im Kern gleich, trotz aller Wechsel, die sonst eintraten. Studien und anderes. Etliche Dramen, darunter „Die letzten Tage Es war eine mystisch-idealistische Philosophie von höchst indivi­ 1905 der Menschheit", gab er in Buchform heraus. dueller Färbung. Eine seiner Eigenheiten war es, daß er seine unbestreitbare Es handelte sich, bei aller Eigenart im einzelnen, um nichts Outsider-Stellung noch ein wenig überbetonte. In Wirklichkeit anderes als um die Weltanschauung, die seit von einer ansehn­ war er nie völlig einsam, auch nicht in den Jahren, da die ;,Fackel" lichen Zahl „jungkonservativer" oder „neuromantischer" Autoren 1900 u• XX Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wandlungen XXI propagiert wurde. Aber Kraus trug seine Mystizismen nicht isoliert suchte Gott in meinem Herzen. Damit gehorchte ich der Krausschen vor, sondern in engster Verbindung mit einer Menge anderer Ideen - Lehre. Der Vater brauchte hievon gar nichts zu erfahren. Auf Grund ungemein kluger, durchaus zutreffender Ideen. Sein Kampf gegen meiner geistigen Haltung war ich in den Augen der Krausschen den imperialistischen Krieg, gegen die Korruption der Presse, gegen Philosophie unbürgerlich, was ich gern sein wollte. Der Vater fand die Heuchelei auf sexuellem Gebiet, gegen die moderne Sprach­ verlotterung, gegen literarischen Dilettantismus; für die Vergeisti­ mich mit Vergnügen, und mit weit mehr Recht, bürgerlich. Kraus gung des gesellschaftlichen Lebens, für eminente Künstler aus unserer lieferte mir eine Ideologie, die mir erlaubte, das zu tun, was das und vergangener Zeit, für unschuldige Opfer der Justizmaschine - leichteste war: in Einklang mit dem Vater zu leben. all das waren prachtvolle Leistungen eines unabhängigen Denkers. Im Herbst 1924, wenige Monate nach der „Matura", begann ich Und er schrieb wie kein zweiter in Wien, ja kaum ein zweiter im in einem kleinen Bankinstitut als Buchhalter zu arbeiten. Gleich­ deutschen Sprachbereich. Jeder Satz von ihm war heiß und echt, seine Verse berückten durch Klarheit und Tiefe, seine Glossen zeitig inskribierte ich an der juristischen Fakultät. Der Vater meinte, funkelten von Witz. Was er tat, tat er ganz. Eine neue Polemik ich solle auf jeden Fall das Doktorat erwerben. Es mochte mir doch irgendwann nützlich sein. nahm er mit einem Elan auf, als ob es die erste und letzte wäre. In den Vorlesungen gab sein Temperament dem Hörer das Gefühl, Die kleine Bank ging bald in Konkurs, und ich mußte mir einen anderen Posten suchen. Das Versprechen, Geld zu verdienen, konnte von einem Wirbelsturm gepackt zu sein. Alles in allem: Es ist nicht gar so erstaunlich, daß er mich behexte. ich nur in sehr beschränktem Maß einlösen. Erstens war ich ein Und es wird noch weniger erstaunlich, bedenkt man, daß seine mittelmäßiger Angestellter - nicht schlechter als mittelmäßig, aber Wirkung außer auf den angeführten auch noch auf ganz anderen auch nicht besser, wie sich bei meiner heterogenen Interessenrichtung Faktoren beruhte. Die Suggestivkraft seiner Philosophie hatte denken läßt. Zweitens herrschte im Bankfach Krise, Deflations­ krise. Die Firmen zahlten den Angestellten um so weniger, je länger eine soziale Basis. Diese Philosophie übte in meinem Dasein eine bestimmte soziale Funktion aus. Sie erlaubte mir, die bürgerliche sie sie hielten. Endlich sperrten sie zu. Selbst bei viel größerer Existenz zu führen, die meine Eltern für mich vorgesehen hatten, Tüchtigkeit hätte ich keine Reichtümer erworben. und doch vor mir selbst zu bestehen. Aus diesen Gründen konzentrierte ich mich mehr und mehr auf Mein Vater war in vieler Hinsicht ein guter Mann, aber daß er das Studium. Der Vater war nicht begeistert, aber gegen die Um­ auch nur ein Atom Unbürgerlichkeit in sich gehabt hätte, kann ich stände ließ sich nichts tun. Übrigens war er damals schon todkrank ihm nicht nachrühmen. Bei all seinem Konservativismus war er und mehr mit seinem Körper als mit irgend etwas anderem be­ viel zu sehr Demokrat, als daß er versucht hätte, mir (oder der schäftigt. Nach seinem Tod (1927) ging ich ganz zur Juristerei über. Ich absolvierte die Schlußprüfungen, wickelte die Gerichts­ übrigen Familie) seine Gesinnung aufzudrängen. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen. Ich besaß mit fünfzehn oder sechzehn praxis, die Advokaturpraxis ab. 1933 etablierte ich mich als Ver­ Jahren genügend Selbständigkeit, um jeden Gesinnungszwan� teidiger in Strafsachen. abzuweisen. Etwas anderes war es, wenn er versuchte, mich auf Ich glaube sagen zu dürfen, daß ich zum Juristen bedeutend friedlichem Weg für seinen Standpunkt zu gewinnen. Da hatte er bessere Qualifikation mitbrachte als zum Angestellten. Logisch­ von Haus aus gute Chancen. Meine Zuneigung zu ihm, die seiner systematisches Denken war schon immer in meiner Linie gelegen. .. Zuneigung zu mir entsprach; das Ansehen, das er weithin genoß Die Systemisierung der Krausschen Ideen, die ich als Gymnasiast und das mich stolz machte (mehr als ihn selbst), gaben ihm eine vollzog, war ein Ausdruck hievon. Ein gutes Gedächtnis, uner­ vortreffliche Ausgangsposition. schöpfliche Lerngeduld kamen mir beim Studium zustatten. Wie Unter den gegebenen Umständen konnte meine Entscheidung jeder, der ein fleißiger Student war, denke ich an die Prüfungen mit nicht zweifelhaft sein. Ich hielt mich der Arbeiterbewegung fern. Vergnügen zurück. Das gilt besonders für die wichtigste, die „judi­ Damit stellte ich den Vater im Hauptpunkt zufrieden. Die Kraussche zielle Staatsprüfung". In einem Fach, :Handelsrecht, war ich ein­ Lehre war nicht verletzt. Ich versenkte mich in reine Dichtung, deutig besser bewandert als der freundliche Hofrat, der mich exa­ minierte. XXII Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wandlungen XXIII

Die juristische Fakultät war in den zwanziger Jahren nicht reich greifbarer Nähe schien. Dann flog das Ganze ::i,uf. Ich gestehe, daß an hervorragenden Lehrern. Die judiziellen Fächer waren durch-· ich daran die Hauptschuld hatte. Einige Texte sagten mir nicht zu, wegs mit mittleren Größen b esetzt. Die s tärkste Persönlichkeit und ich erklärte, die Aufführung sprachlich minderwertiger Szenen der Fakultät war der Professor des Staatsrechts, Hans Kelsen. Er und Songs nicht unterstützen zu können. Damit war das Unter­ war der einzige Jurist, der eine wissenschaftliche Schule heranbildete. nehmen gescheitert. Ich wurde nach Erreichung des Doktorats - in sein Privat­ Erfreulicherweise s cheiterte es nicht für immer. Dieselbe Gruppe seminq,r aufgenommen und verfaßte unter seiner Aufsicht einige junger Leute eröffnete ein Jahr später in demselben Lokal die „Lite­ Abhandlungen. ratur am Naschmarkt", die berechtigten Ruf erwarb. Ich war nicht Der bürgerliche Demokrat Hans Kelsen stand in dauernder, beteiligt und kam mit dem Kleinkunst-Theater erst in der Emi­ nach akademischen Begriffen heftiger Diskussion mit zwei anderen gration wieder in Kontakt. Professoren, dem Sozialisten Max Adler und dem Faschisten Othmar Ich t at viele Dinge in den Republikjahren - meinen Zwanziger­ Spann. Diese Diskussion ließ mich kalt, denn sie war ziemlich un­ jahren-, ich war Rechtsanwafts-Anwärter, Kelsen-Schüler, Kraus­ verhüllt politisch, i ch hingegen war „unpolitisch". Was mich zu Verehrer, Theatergründer. Dennoch scheint mir, daß ich in Wahrheit Kelsen führte, war seine rechtsphilosophische Doktrin. Die „Reine Zeit vertrödelte. Es fehlte meinen diversen Tätigkeiten die be­ Rechtslehre" schien mir ungleich klarer und konsequenter als die herrschende, koordinierende Kraft, d er Sinn, wie man ruhig sagen Gegenmeinungen, die e r e twas geringschätzig als „traditionelle kann. Sinn kam in mein Leben erst, als die Arbeiterbewegung es Theorie" zusammenzufassen pflegte. In dem Büchlein „Die R echts­ umgestaltete - was s ie gründlicher b esorgte, als selbst die Kraus­ geltung", dessen Publikation das Seminar mir ermöglichte, versuchte sehe Philosophie e inst vermocht hatte. ich die Kritik traditioneller juristischer Vorstellungen noch über Ist es nicht merkwürdig, daß die Arbeiterbewegung, die seit je Kelsens Position hinauszutreiben. Ich geriet in eine Art juristischen in meinem Blickfeld lag, an der ich seit je vorbeisah, mich nun doch Nihilismus h inein, den ich, seltsam genug, mit R edewendungen einbezog? Es mag merkwürdig scheinen, aber es ist völlig erklärbar. aus der Philosophie von Husserl drapierte. Was ich in der „ Rechts­ Ich will versuchen, die Ursachen zu zeigen. geltung" behauptete, war, fürchte ich, großenteils Unsinn. Doch Eine der Ursachen war ganz allgemeiner Natur. ' habe ich vielleicht e in paar methodische Gedanken entwickelt, die I93I/32 standen riesenhafte politische Umwälzungen b evor: fruchtbar gemacht w erden könnten. totaler Sieg d es Faschismus, oder totaler Sieg d er demokratischen Zur Z eit meiner juristischen Tätigkeit war ich immer noch Leser Massen. Jeder, der nicht mit Blindheit geschlagen war, sah die der „Fackel". Es wäre falsch, zu glauben, Studium und Beruf hätten Entscheidung herankommen .. Mir war zwar durch Karl Kraus ein meine geistige Beziehung zu Kraus gelockert. Nicht im mindesten. bestimmter Grad von Blindheit vorgeschrieben, aber die Dimension der h eraufziehenden Ereignisse tendierte dazu, die Lebensregel!! Meine Mutter folgte I929 dem Vater im Tode nach. Das einzige des Dichters außer Kraft zu setzen. Kraus konnte h undertmal Erbe, das zurückblieb, war die Einrichtung der 7-Zimmer-Wohnung. proklamieren, er bleibe Wir, Georg, Felix und ich, waren so pietätlos, die Sachen sofort zu „im Erdensturz dem Umbruch einer Zeile verkaufen. Infolgedessen besaß ich um diese Z eit etwas, was ich noch zugewandt" .. weder vorher noch nachher besessen habe: ein paar tausend Schilling. - in mir rührte s ich das Verlangen, meinen Blick dem Erdensturz Das Geld in meiner Tasche machte mich unternehmungslustig. Ein zuzuwenden. Berufskollege und Freund, Lothar Metzl, schrieb ausgezeichnete Welche der kämpfenden Mächte Recht und Humanität auf ihrer Theaterszenen und Verse, die nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Seite h atte, darüber war für mich von Anfang an kein Zweifel. Kaffeehausgespräche über die Langeweile der Advokaturspraxis Andere Ursachen lagen in meiner näheren Umgebung. brachten uns auf den Gedanken, ob es nicht mit Hilfe s einer Schriften Von dem Wohlstand, den i ch als- Kind genossen hatte, der groß­ und meines „Vermögens" möglich wäre, ein „literarisches Kabarett" bürgerlichen Sorglosigkeit, in der ich herangewachsen war, fand zu schaffen. Wir kamen bis an einen Punkt, wo die Premiere in sich 1930 nichts mehr vor. Die Eltern waren gestorben, ohne nennens- ·XXV XXIV Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wirklichkeit

werte Besitztümer zu hinterlassen. Mein Posten als Advokatursgehilfe schonten sich nicht, sie „stellten sich hin", wie ich es nannte. Ich trug Schilling monatlich. Irgendwelche Chancen, daß mein tat nichts. Das konnte nicht das Richtige sein. Eine Weltanschauung, Einkommen sich sprunghaft steigern könnte, sah ich nicht. Wirt­ andere Opfer brachten, konnte 300 die mir jedes Opfer abnahm, während schaftliche Gedankengänge der Sozialisten, die mich vordem lang­ nicht die Wahrheit enthalten. Es war höchste Zeit, daß ich meine weilten, riefen jetzt mein Interesse wach. Anschauungen revidierte, meine praktische Haltung revidierte. Ich Der Vater, der einst zwischen mir und der Arbeiterbewegung war nicht mehr weit von Dreißig, und das Leben dauert nicht ewig ... · gestanden war, lebte nicht mehr. Damit verlor auch Karl Kraus Von Zeit zu Zeit besuchten mich Burschen oder Mädchen, um ein wenig von dem Einfluß, der gerade aus der Vereinbarkeit seiner mir sozialistische Literatur zu verkaufen oder mir Geld für eine Ansichten mit den Wünschen des Vaters hervorgegangen war. Sammlung abzunehmen. Bei jedem zweiten oder dritten Besuch Noch weit stärker als all das wirkte die geistige Krise, die mich fragten sie, ob ich nicht mitarbeiten möchte. Einmal sagte ich nicht: gegen Ende der Zwanzig ergriff. Zumindest meiner subjektiven „Ich bin kein Organisator" oder „Ich habe keine Zeit", sondern ich Erinnerung nach war sie der stärkste Faktor. Objektiv mag es sagte: ,, Ja." anders gewesen sein. Das war im März 1933. Die Krise resultierte aus der allmählich ansteigenden Empfindung, daß mein Leben bisher - und ich hatte die Jugend durchmessen - Wirklichkeit armselig und schal gewesen sei. Nicht erst jetzt finde ich, daß ich Zeit vertrödelte. Ich entdeckte es schon damals, eben damals. Stets Ich blieb noch Monate hindurch am Rande der Bewegung stehen. hatte ich geglaubt, daß ich verpflichtet sei, das Beste aus mir heraus­ Im Sommer 33 beteiligte ich mich am Aufbau einer Hilfsstelle zuholen, mit meinem Pfund zu wuchern. Das war nicht geschehen. für deutsche Emigranten, die in großer Zahl nach Österreich strömten. Ich übte einen Beruf aus, der beinahe jedem zum Handwerk ent­ Die Stelle sollte, so gut es ging, die „Rote Hilfe" ersetzen, die eben artete. Ich grübelte über Probleme - rechtsphilosophische und verboten worden war. sprachphilosophische -, die, wenn sie nicht heute gelöst wurden, Im September reiste ich auf mehrere Monate nach Paris. Der gradeso morgen gelöst werden konnten. Restlos fehlten die Spannung, Zweck war: ich wollte eine wissenschaftliche Arbeit beenden, die der Enthusiasmus, die mein Leben durchdringen mußten, sollte es ich in Wien begonnen hatte; ich wollte „in Ruhe" marxistische irgendwie dem Bild ähneln, das mir als Knaben vorschwebte. Ich Theorie studieren; ich wollte mit einem Freund beisammen sein, war genau das, was ich nicht hatte sein wollen: bürgerlich. der am Institut Pasteur beschäftigt war. Sicher drückte sich in der Inmitten der Millionenstadt Wien fühlte ich mich einsam. Nicht, Reise die Tatsache aus, daß meine Zugehörigkeit zur Bewegung, als ob es mir an Gesellschaft gemangelt hätte. Ich war mit einem obwohl sie auf einem klaren Entschluß beruhte, noch recht lockeren klugen Mädchen befreundet; ich traf öfters Kollegen, um zu plaudern, Charakter hatte. und so fort. Aber es gab keine Brücke Von mir zu den Ereignissen, Eigentlich wollte ich bis Ende Februar bleiben. Aber als die in denen die Kräfte der Zeit sich darstellten. Es gab keine Brücke Nachrichten über die Wiener Februarkämpfe eintrafen, packte zu den Menschenmassen, die aufbrachen, ihr Schicksal zu suchen. mi.ch- endlich - Ungeduld. Jetzt oder nie war der Moment, wo Um mich war geistige Einsamkeit, die schlimmste Sorte, die sich sie in Wien Leute brauchten. Ich setzte mich auf die Bahn und denken läßt. fuhr nach Hause. Die Philosophie, die Karl Kraus mich gelehrt hatte, lief auf Zu der Zeit, da ich die Grenze überschritt, war die Regierung Untätigkeit hinaus. Sie forderte, daß ich anständiges Deutsch bereits „Herrin der Lage«. Zwischen Buchs und Innsbruck las ich redete; sonst forderte sie nichts. Das hatte längst aufgehört, mir in der Zeitung, daß -nach Weissel und Münichreither - nun auch Erleichterung zu sein, hatte sich in eine Last verwandelt. Ich fühlte Koloman Wallisch hingerichtet worden sei. Kräfte in mir, die ungenützt blieben. Ich war nicht feig und nicht In Wien waren noch Reste von Stacheldrahtverhauen zu sehen. auf Bequemlichkeit versessen, und ich war nicht der Dümmste. In den Straßen patrouillierten Hahnenschwänzler. Von einigen Andere taten etwas, vielleicht Falsches, Unzulängliches, aber sie Dächern wehten grün-weiße Fahnen. XXVI Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wirklichkeit XXVII

Ich dachte, daß es schwierig sein werde, die Verbindung mit chische Minorität. Die Tschechen wohnten teils bei den Ziegel­ der Organisation wiederherzustellen. Es erwies sich als ganz leicht. werken am Wienerberg, teils im Zentrum des Bezirks, in der Nähe Die Genossin, die mir stets die Aufträge der Roten Hilfe überbracht der Komensky-Schule, die sie mit Hilfe der Prager Regierung geschaffen hatte, Dr. M. F. (,.Mizzi"), lebte in ihrer Wohnung und widmete hatten. Aus ihrer Mitte stammten viele unserer fähigsten und ver­ sich ihren Patienten. Die Polizei kümmerte sich überhaupt nicht läßlichsten Genossen. um sie, obgleich ihr Name zweifellos in mehreren Kartotheken figu­ Ich läutete an der Tür jenes Karl, den Mizzi mir genannt hatte. rierte. Dergleichen kam manchmal vor. Die Wohnung befand sich in einem Gemeindehaus. Karl öffnete Mizzi empfing mich nicht gar zu freundlich. Der mühsam ge­ mir: ein großer, breitschulteriger, sonnverbrannter Mann. ,,Die worbene Intellektuelle, der nach kurzer Aktivität auf Monate ins Mizzi schickt mich", sagte ich. Karl wußte, um was es sich handelte - Ausland verschwunden war, stand nicht in höchstem Ansehen. zu meinem Staunen. Ich war anfangs immer erstaunt, wenn eine Ich bat sie, mir neue Arbeitsaufträge zu verschaffen. Gleichzeitig illegale Einrichtung funktionierte. Allmählich gewöhnte ich mich meldete ich meinen Eintritt in die Kommunistische Parteian. Darauf­ daran. Karl war, wie ich erfuhr, Mitglied der Bezirksleitung. Er hin wurde ihre Miene heller, und sie versprach rasche Erledigung. hatte sich schon darüber Gedanken gemacht, wozu er mich ver­ Ich brauchte nicht lang zu warten. Mizzi ließ mich wieder in wenden könnte. ihre Wohnung kommen und eröffnete mir, daß ich in die Partei „Die Zelle 3 braucht einen Agitprop-Mann. Ich glaube, das ist aufgenommen sei. Meine Tätigkeit sollte sofort beginnen. ,.Näheres etwas für dich. Bist du einverstanden ? " erfährst du von Karl, Adresse soundso." Ich wußte nur sehr ungefähr, was das Wort Agitprop bedeutet, Von da an begab ich mich zwei Jahre hindurch täglich nach aber ich nickte. Favoriten - in einen jener Bezirke, wohin mich das Kinderfräulein „Dann komm mit mir. Ich bring dich zur Anna. Die ist die nie geführt hatte. Zellenleiterin." Ein weiter Marktplatz. Gedränge, Geschrei, die Straßenbahn Wir hatten nicht weit zu gehen. Die Leiterin der Zelle 3 wohnte fährt klappernd vorüber. In der Nähe des Marktes „bessere" Ge­ auf derselben Stiege, zwei Stockwerke über Karl. Es war eine junge schäfte mit vollgestopften Auslagen; ,,bessere" Wirtshäuser mit blonde Frau, recht kränklich aussehend. Wir nahmen in der Küche Schanigärten; Kinos mit grellen Plakaten. In der weiteren Umgebung Platz. Während des Gesprächs kamen zwei kleine Kinder aus dem proletarische Wohnstraßen, grade, langgezogen, rauchgeschwärzt. Nebenzimmer und zerrten an ihrem Rock. Sie wies sie ungeduldig Zwischendurch Fabrikgebäude, das riesige Amalienbad, zwei oder fort. drei Kirchen. Da und dort aufleuchtend mächtige, helle Blocks: ,.Das ist der Hoffmann", stellte Karl mich vor. ,.Der neue Ge­ Gemeindehäuser. Da und dort Parks der Art, die man in Wien nosse, den man uns versprochen hat. Ich schlage vor, daß er euer Beserlpark nennt, da ihren Bäumen die Üppigkeit aufgepflanzter Agitprop wird." Besen eigen ist. Das ungefähr ist das Bild von Favoriten, das ich Anna schien erfreut. im Gedächtnis habe. Aus jedem Fenster, hinter jeder Straßenecke „Ich kann ihn gut brauchen. Er soll gleich die Zellenzeitung lugte Armut hervor. Ich weiß nicht, wie viele von den 150000 Ein­ machen. Ich hab die Schreibmaschine hier", setzte sie etwas irri­ wohnern des Bezirks arbeitslos waren. Aber es muß ein hoher tiert hinzu. Prozentsatz gewesen sein. Zahlreiche Fabriken standen still, andere Karl war unangenehm überrascht. liefen mit verringerter Belegschaft. Die ärmste Gegend war die „Wieso hier? Das ist unvorsichtig. Wieso ist die Maschine sogenannte „Kreta", die sich gegen Simmering hin erstreckt, ge­ nicht beim Mitterer ?" nauer, die „hintere Kreta". Dort waren die Arbeitslosen noch die „Ich hab sie vom Mitterer wegnehmen müssen. Er glaubt, daß Aristokraten. Die Masse der Bewohner rekrutierte sich aus „Aus­ sie ihn heute oder morgen holen." gesteuerten", das heißt aus Leuten, die infolge überlanger Arbeits­ Es gab immer noch Verhaftungen in Zusammenhang mit den losigkeit keine Unterstützung mehr erhielten. Februar-Ereignissen. Der Mitterer war zwar kein Februar-Kämpfer, Zu den Eigentümlichkeiten Favoritens gehörte die starke tsche- aber er war mit Schutzbündlern befreundet, und einige waren gestern XXVIII Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wirklichkeit XXIX

hoch e er artete e t d ch e e ei e e Hoch as i die e ol te e c c e o e sc e e ,, g gangen".e seSo e wWo r s eün li de s incnt gen ner „ a t ­ we n o Zeitungr alhin ine s l . Inoli ung s hie kt n WWart n hild rt in Gen sse B ut ität n des P zei-Insp ktors lter Habichl; flug". Erh bli be inM in r dehnung, gchmäßs achn Rie eh lini ne d Pd rihei e e ic e e e e e e r de e e r in anderer b r ht t üb r ein n instündig n St eik, n di Arb ite für dsolc e Fälls . ans wür ihm ni t n w is n könn n un n W er o a e e e e e e von agn & S llm nn - l id r k ine groß Fabrik, nur ein kl ine wie er freilas en müosen. c e e r hre d t e d rc r d o ei e ch o e c i All das hörtea ich v an tAnna,te nae hdeme e Karle g rgang ne wae . Wäch in „ Quec esch " l-e u hgefühd dot rhatten,t s unc es w et r. I k nnt mi h s e meinee eFr geniede bee n wora e t , l echgt si Dmie aufch e inmmsc Tis am ni ht inthalt te n,c da un tilistisss a h Ände l erungenr anzubringen.e e W Anna h e si si htbar für überflü ig, ber si i ß mi m in n illen. aZimmh dr vo rsche na P piatrire ezur t. i S r ib a hine w r a e e ie i e a r e e e e s D nn z igt s m r, wi m n Mat iz n einspannt. Si s tzt ich uc Dua stewi t ein p ar erM ei ze n. e t a e t e mic t e e m e he e neb n h, dik i rt ir, und ich tippte d n Text runt r. e „ Materis llsi t eine vid s tigch ehZellenz i eungt zusde mme n",c saga e d s e e o as a e si t. ,, e e al s sgenug a. echI g Daufe zw ide S une n wcg, i h h be e Ine es chwar eo Abe nd sg we rden.sc Ann e Mannr e kam nacheac H us -o in zi mli gr b r Bur ch . Er henkt mi k ine B htung, z g mi ein mch Genos o en zue sprW en.ic iedeKino r e n hmehe i h rmit, d rchsi ch c e d e a d o as si die Ja k aus un b g nn am Ra i zu b teln. würddun die chs nste störh tn. da enn hei wie rk mmie Ma, s ri en wi au s , c h a e e „Kümmer di h nicht um i n", s gte Anna l is zu mir. ,,Er ist dwas g s rieb nei as , nn schre b ne wir d t t z n. Gl ub t er rte e e ei c c s c c t e u, daßch edu in chzw d Stundench e so rw ith s in kannsde ?" nichtW inr d eePa i,ab er r wr eß, was i h tu.a Er mis eht ia hc ni h hind in."das I Hastv rsprad oc, aß i s eve suc ene acwür . M te i b dndeten die desA ab it.d AnnaWo n hmo dit Me sehinea un s ,, u n h nie eine Z itung g m ht?" Ha rial un truge b ie us er e hnunge er f r . Si rv rw hrteo ee deim aus „an ein m gut n Ort", wi si klärte. Fü den f lg n n ,,Nein."D c de ic t D i t e o tre e D t a e a e i es e e e m c e de Wo T g, zw i Uhr m ttag, b t llt si i h in ine an re hnung. e„ eas se hae t n h s. u w rs s sch n ff n. u bis j in or erde i d e ei e e c Int Dall ktu lli r." ie „De e t s wt n w r ei Z tunge abzi eh an. Na hher gehene wirscha zur mit g ng s . Z ll n i zung. Heut ist s fein g g ngen. Auf Wied r un. ch set e ch a e e t d d ie ehe e c te o c Ha i dr c se er d e a d arI zt mi n di Arb i urid fan , K mm gut na h use." S e ü kte mir hr h zlich i H n . a h m r este t ha e e aßa se e r l ei hei er o e e erste a w , ls ic ir vo g ll tt . Unt r Annas S v rlief m in r T g in der Partei. e e er de e e te ichP epi r nD gab s nte früh r Numm r Z ll nzeitung „Ro i al ld e e h er e Lr et r".e iee konne c a e e e e r e e e e t ch s Vorbi b nütz n. Ic v faßt I h w r nun in ein Sphär ing t et n, hatt in Aktivitä i e d e e e o e alsoi h fü S it e r einen ekurz n e o e ie o a l i e e d We e Art k l. Auf i S it n 2, 3, aufg n mm n, d v n l em b sh r Gekannt n urch lt n ge­ e ac r e t l die 4 w llt c diea interl tessant ster n von t t a e e e Da ei o re e c e e d n N h icht n s en, renn w r n. Di neu s nsf rm bef it mi h binn n w niger sc i ha e D eel ah Annae ausr T gesberät rn h ausge­ Mo e e e c c e Dr c de a e as e hn tten ec e d ch nat von in m psy his h n u k, r j hr lang auf mir gel t t a tte . i Auswsie l cmachthr mi Kopfz br h n, un i h te e s s o r e e e m t e e Me e e e war kne pp f ertig,e als i e zurü kker te. de atr e. teAnd re eit kd nfcontiert eisi e mich er i e in r ngs nsaue r F ag s llung n un S hwi rigk t n. Ab s waren ozu g n Si las m ine no Arta dek l undrat wa zufriee den. d s te e c e i e o e d e e r od e e natürlich S hwi r gkeit n, s lch , i mit m h er w nig r An­ e,, ,An unsere e so zim l mokc t ischenh Fr und s' -s ai tist ein gu s s e er e d o e d ei o a o tr ngung üb wund n wer en k nnt n un zum T l s g r aut ­ Th Dema. J tztr c n er t wi h ig.e e Auce elwas hr u cagt t, chs gut."e t c c e m e at e c s t - ma is h vers hwand n. I ganz n h t i h bi zur Emigra ion e e rd Nach idht Mn eil ehing g en g fi e i eni he. I c hattchte über­a d e e e c e e d Wasse as Gefühl, in d r B w gung zu s hwimm n wi er Fisch im r. s h n,i raß ain r er ustderrnumm er onursic in T il d ro Nai e hriode n all­ e e s dl c a a a d s ro e ar M l e S lbstv r tän i h w r mir m Anf ng a p l t ische i i u gemedane Ne tul war; e Restd be z g e i h eauf iFav r t n d r. soger e r e d o c e c e H r c e s h fr m . S s h ußli h äuse , wie i h si nun fortwährend auf­ aufWaldm s sp ezie le GebiD t, wo i ederZell sohr ein S tz hatte, as Gebi t e i s ase e e a d l s de a sucht -Z n k rn n mit „Bass n " un K o ett auf m G ng -, „ d e ülle erpark".eit ,, d as muß wi ds en", sagtee Anna.d e,,Dafür te e ic m m H e sa e e a e r c hatt h vorde nur vo ör n g n g k nnt. Ni wa i h mit ist ie Ze lle nz ung a. Sonst können i Leut gleich i ,Ro Me c a e e c s se e d d a e d ns hen n in m Tis h ge es n, di aus em „Rein l" ß n un Fahne' l s n." der e de chr c e eil e rec e d da Me e de st e c e e osse er s ss r in n Mund eckt n. Man h G n n waren in ihr d e Ge meinsamde än Mat ner awir n eNa e e i eht ent d esntsp ie he ne d ei e e e Der e die m ch e ra c e s Aus rucksw s von in r bh it, i üb r s ht . E ie ster I ee. cAnnas e„ et ei l" umfaßte eine R iher hanr dg dchr stb n r ert e e e das e Z t l, di i h früh r b is ite li ß, auf d n n ab ge a e ' as and, dau e inig Z it, bis ich mich an all g wöhnte. XXX Albert Fuchs - Ein Lebensbi/,d Wirklichkeit XXXI

Bedeutend schneller gewöhnten sich die Arbeiter an mich. Mein nicht so schwer wie die, welche unsere Genossen in Deutschland bürgerlich-intellektuelles Wesen hinderte, so weit es auf sie ankam, oder auf dem Balkan zu bestehen hatten. Immerhin war es ernste den Kontakt überhaupt nicht. Ich wurde überall mit größter Freund­ Illegalität. Es gab eine nie endende Serie von Verhaftungen. Miß­ lichkeit aufgenommen. Vielleicht kam mir in Favoriten der Umstand handlung politischer Gefangener gehörte nicht zu den Seltenheiten. zu Hilfe, daß ich als Intellektueller Seltenheitswert hatte. Ich war Ich war auf diese Dinge vorbereitet, als ich von Paris wegfuhr. der einzige unter vielen hundert proletarischen Genossen. Möglich Trotzdem ging ich zu den ersten „Treffs" mit Herzklopfen. Während auch, daß mir eine Eigenschaft, die mir sonst oft und gründlich der kleinen Demonstrationen, die wir im Frühling und Sommer schadete, meine Schüchternheit, von Nutzen war. 1934 auf den Straßen organisierten, hatte ich Angst - wenn ich sie Eine ernste Schwierigkeit des Anfangs bestand darin, daß man auch gut verbarg. In dem Maß, in dem ich. tiefer in die Arbeit hinein­ eine Qualifikation bei mir voraussetzte, die l.ch nicht besaß. Nie­ kam, schwand meine Unruhe. Nach einem halben Jahr bewegte mand zweifelte, daß ich die marxistische Theorie gründlich kannte .. ich mich in Favoriten, als hätte ich mich zu den legitimsten Zwecken Die Zelle 3 verlangte, sowie ich ihr vorgestellt wurde, daß ich einen dort eingefunden. Diese Entwicklung wurde sehr gefördert durch Schulungskurs abhalte. Mein Einwand: ,,Ich weiß nicht genug", die Kaltblütigkeit der proletarischen Genossen. Gegenüber dem fand kein Gehör. ,,Du bist ein Intellektu_eller", hieß es, ,,du mußt Gedanken längeren Freiheitsverlustes, der öfters auch Existenz­ das können." Nun hatte ich zwar in Paris das „Kapital" studiert verlust einschloß, zeigten sie eine unglaubliche Gelassenheit. In und war glücklich bis zur Hälfte des 2. Bandes vorgedrungen. Aber kritischen Situationen ruhig zu bleiben war ihnen Ehrensache. damit war gar nichts anzufangen. Was die Genossen wollten, ·war Eine kleine Geschichte fällt mir ein. Ich ging mit einem Genossen ein Kurs über praktische Dinge, ,,Strategie und Taktik des Klassen­ über die Laxenburgerstraße, als wir uns mit einemmal verfolgt kampfes" oder dergleichen. Davon hatte ich keine Ahnung. Ratlos, glaubten. Es stellte sich später heraus, daß bloß durch Zufall ein hilflos ging ich zu Mizzi in die Ordination und fragte, was zu tun sei. harmloser Mann eine Zeitlang hinter uns hergegangen war, aber Sie fand einen Ausweg. Sie machte mich mit einem Mann bekannt, das konnten wir nicht wissen. Wir bogen um eine Straßenecke, der abends gewöhnlich im selben Kaffeehaus saß wie ich und in und um noch eine. Der „Verfolger" wich nicht von unseren Fersen. dem ich seit langem einen gut geschulten Genossen vermutete. Er Ich überlegte hastig, was ich mit dem illegalen Material tun könnte, war bereit, ,,Überstunden zu arbeiten", wie er lächelnd sagte, und das ich in der Tasche trug - es war zufällig nicht wenig. Mein Be­ mir ab und zu eine kleine Vorlesung zu halten. Freilich konnte ich gleiter sagte im breitesten Favoritnerisch: ,,Wenn si der net bald nicht mit jeder Frage, die auftauchte, zu ihm laufen. Ich war ge­ schleicht, drah i mi um und frag eam, ob er pervers is." zwungen, mir viele Probleme selbst zurechtzulegen, wobei ich sicher Daß man in der Partei die Sanktionen gegen unsere Tätigkeit manchmal ganz Verkehrtes behauptete. so wenig fürchtete, hatte auch negative Folgen. Wir waren nicht Allmählich wurde die Sache besser. Die Schulungsabteilung der immer so vorsichtig, wie wir hätten sein sollen. Manche Erfolge Parteizentrale begann zu funktionieren. Kursleiter eines oder meh­ der Polizei wurden durch Leichtsinn von unserer Seite ermöglicht. rerer Bezirke wurden selbst zu Schulungskursen zusammengefaßt. Wenn die Partei, dieser Dinge ungeachtet, arbeitsfähig blieb, ist das Schriftliches Material wurde ausgegeben und so fort. Auch stellten daraus zu erklären, daß sie im Proletariat sehr fest verwurzelt war, sich Resultate der Lektüre ein, die ich so systematisch als nur sich von dorther zu ergänzen vermochte. -- möglich betrieb. Ebenso, wie ich mich schrittweise den äußeren Bedingungen Die Bibliothek der Arbeiterkammer in der Ebendorferstraße bot anpaßte, unter denen die Parteiarbeit sich abspielte, wandelte sich wunderbare Gelegenheit zu politischer Lektüre. Es war eine der auch schrittweise die Philosophie, die ich seit den Gymnasialjahren größten sozialwissenschaftlichen Bibliotheken des Kontinents. Man mit mir herumschleppte, zu der Weltanschauung, von der die Ar­ erhielt dort noch lange nach dem Februarumsturz ohne weiteres beiterbewegung durchdrungen ist. die marxistische Literatur, die im Buchhandel verboten war. Keineswegs war es so, daß ich von einem Tag auf den andern In den ersten Monaten der Arbeit war ich durch die Illegalität, meine mystischen Grundüberzeugungen durch die materialistischen in der wir uns bewegten, einigermaßen irritiert. Sie war bei weitem ersetzte. Die Revision meiner Weltanschauung, die ich zur Zeit XXXII Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wirklichkeit XXXIII der faschistischen Umwälzung in Deutschland als unumgänglich empfunden hatte: daß alle Kämpfe der Arbeiterschaft, ehemals erkannt hatte, war ein Jahr später noch nicht beendet. Ich war wie heute, die Linie fortsetzen, auf der die europäische Zivilisation schon ein paar Monate mit konkreten Kleinaufgaben in Favoriten vorwärtsschritt. Eine sinnvolle ökonomische Ordnung, Freiheit, beschäftigt, als ich noch versuchte, zwischen Marx und Karl Kraus Bildung waren eben doch nicht primitive, provisorische Werte, ein Kompromiß herzustellen. für die man heute eintreten mußte, weil der Faschismus sie negierte, Tatsächlich vermochte ich die Weltanschauung Karl Kraus' sondern es waren echte, dauernde Werte, auf die die Menschheit durch zu überwinden - dank dem Ineinander von praktischer Arbeit die Zeitalter hindurch zustrebte und die sie einst trotz Schwan­ und theoretischen Studien, das mir zwischen 1934 und 36 vergönnt kungen und Irrungen erreichen würde. Dafür bürgte das Wort der war. Favoriten, die Fabriken, die Proleten, die Polizisten waren edelsten Denker ebenso wie die Opfertat der mutigsten Aufrührer. zu sichtbar, zu real; als daß meine mystischen Vorstellungen die Die Menschheit zog ihre Bahn nach ihrem eigenen Gesetz, ohne alte Stärke hätten bewahren können. Diese Ideen begannen in fremde Hilfe und Führung. Kein Gott, der ihr die Richtung wies. meinem Bewußtsein zu verblassen, sowie sie nicht mehr mit ab­ Die Widerstände, die sie zu meistern hatte, waren hauptsächlich weichenden Ideen, sondern mit einem Stück Leben zusammen­ äußerer, materieller Art. Wenn es gelang, die äußere Welt grund­ trafen. Die scharfe Kampfstellung der Kameraden gegen alles stürzend zu verändern, mußte von selbst jene Epoche der Vergeisti­ Unreale trug ebenfalls dazu bei, mich der Mystik zu entfremden. gung anbrechen, von der die Mystiker schwärmten, die Epoche Ich war durchaus nicht selbstsicher genug, vorauszusetzen, daß. tiefer Gedanken und hoher Schöpfungen, die auch die Materialisten bei einer_ Meinungsverschiedenheit zwischen mir und so vielen anderen, ersehnten. Dies und nichts anderes war Marx im Sinn gelegen, mir in vieler Hinsicht überlegenen Menschen just ich der sein müßte, als er den mächtigen Satz hinschrieb, daß mit der Beseitigung der der recht hatte. Schließlich führte mich die Lektüre der marxisti­ Klassengesellschaft die Vorgeschichte der Menschheit zu Ende schen Literatur nach Bewältigung methodischer und terminologischer sein wird. Hindernisse doch zu wesentlich besserem Verständnis der materiali­ Kaum nötig zu sagen, daß diese Ideen, sobald ich sie mir zu eigen stischen Philosophie. Es war eine Begebenheit mit emotionaler gemacht hatte, alles, was um mich geschah und was ich selber tat, Färbung, als ich eines Tages die Marxsche Vision der Weltgeschichte mit ihrem Licht durchdrangen. Unsere Partei war damals die trei­ in ihrer Weite und Fülle vor mir aufsteigen sah. Nicht, als ob ich den bende 'Kraft im Kampf gegen eine Regierung, die Österreich für die historischen Materialismus vor 1934 gar nicht gekannt hätte. Ich Nazi sturmreif machte. Es war der eigentliche Sinn unserer Arbeit, war ja stets „gebildet" und kannte ihn im Umriß schon seit langen die Heimat, ihre Menschen, ihre Gesittung vor Hitler zu retten. Jahren. Aber er hatte mir nichts gesagt, nichts gegeben. Historie An sich kein geringes Ziel, das sich überdies als bloßes Zwischen­ war mir unnahbar und infolgedessen geradezu uninteressant er­ ziel im Rahmen eines noch weit umfassenderen Konzepts erkennen schienen. Nie hatte ich den Wunsch gehabt, mein geschichtliches ließ. Unter diesen Umständen berührte es mich nicht sonderlich, Wissen über das in der Schule erworbene Maß hinaus zu steigern. daß ich für die Partei längere Zeit nur' Kleinarbeit zu tun hatte. Nun dämmerte mir dank Karl Marx, welch schwächliches Gebilde Ich tat sie, so gut ich konnte, im Bewußtsein, nach meinem Maß meine frühere Weltanschauung schon darum gewesen war, weil sie der größten Sache zu dienen. Genau so hielten es tausend und unhistorisch war. Die Probleme, die diese Anschauung angeblich tausend andere. Unbekannte Soldaten der proletarischen Armee, löste, waren Gegenwartsprobleme - trotz der absoluten Fassung, wollten wir ihrer so würdig sein, wie wir stolz darauf waren, daß die ich ihnen verlieh. Unmöglich konnte der eine vernünftige Stel­ sie uns unter die Ihren aufgenommen hatte. lung zur Gegenwart gewinnen, der nicht imstande war, sie als Etappe Die tapferste und herzlichste Menschengemeinschaft der Zeit des historischen Prozesses zu begreifen. Ich war aus ethischen Er­ nahm mich auf und machte einen anderen Menschen aus mir, oder wägungen zur Arbeiterschaft gekommen, ich war gekommen, weil vielleicht überhaupt erst einen Menschen. Der Arbeiterbewegung ich in ihr die wichtigste Kraft sah, die sich dem Faschismus ent­ verdanke ich, was ich bin, so wenig es ist, an Knabenträumen ge­ gegenstellte, und weil ich selbst „etwas tun wollte". Nun machte messen. Ich verdanke ihr einen Lebensabschnitt, in dem ich manches Marx mir lebendig, was ich hundertmal gehört, aber als leeren Schall entbehren mußte, das ich in der Jugend besaß, aber Unschätzbares

III Fuchs, Geistige Strömungen XXXIV Albert Fuchs - Ein Lebensbild Wirklichkeit XXXV besaß, das ich früher entbehrte. Der Arbeiterbewegung gehören die Jahre, die vor mir liegen. Ich möchte nicht sterben, ehe ich das hätte Fuchs in einem zweiten Band dargestellt, wäre ·er nicht ihr in Wort und Tat und nach besten Kräften zurückerstattet habe, so früh gestorben. was ich ihr schulde. Der Wert des vorliegenden Buches liegt nicht nur in seiner wohl­ * dokumentierten Darstellung der geistigen Strömungen Österreichs Im Frühjahr I936 wurde Albert Fuchs verhaftet und bis zum während eines entscheidenden halben Jahrhunderts seiner Ge­ Herbst festgehalten. Im Sommer 1937 folgte eine neuerliche Ver­ schichte; noch auch bloß in seinen sorgfältig erwogenen und mit haftung. Diesmal blieb er bis zum Ende des Jahres im Gefängnis höchster Verantwortung formulierten Werturteilen; er liegt vor der Schuschnigg-Regierung. Die Katastrophe vom März 1938 allem in der Methode der Darstellung: sorgfältige Unterscheidung machte sein Bleiben in Österreich unmöglich, ja eine Zeitlang sah zwischen Positivem und Negativem, liebevollstes Verständnis, gepaart es so aus, als hätte er wenig Hoffnung auf Entkon_unen,II. Er war zu mit schonungsloser Kritik auch dort, wo Menschen, Bücher, Rich­ vielen Polizisten, Detektiven und Nazi persönlich bekannt. Mitte April tungen ihm nahestanden - das ist die Methode des Kulturkritikers fand sich jedoch eine Möglichkeit, über die Grenze in die Tschecho­ Albert Fuchs. slowakei zu fliehen. Von dort ging er ein Jahr später, als Hitler auch Seine Kenntnis der Literatur war umfassend, sein Gedächtnis die Tschechoslowakei überfiel, nach London. untrüglich. Seine Liebe für das Werk Karl Kraus' hatte ihm Sinn Als der Krieg vorbei war und mit ihm die Emigration, kehrte für das leiseste Aroma sprachlicher Feinheiten gegeben. Er war Fuchs nach Wien zurück. Das war im August 1946. Drei Monate gewohnt, mit juristisch geschultem Verstand der geistigen Her­ später machte eine tückische Krankheit seinem Leben innerhalb kunft eines Gedankens nachzugehen. Durch langes Studium, scharfes weniger Tage ein plötzliches Ende. Er starb, 4Ijährig, am 29. No­ Denken, harte Zweifel hatte er sich zum Marxismus durchgerungen. vember I946. Und er besaß die Kraft, sein Leben radikal umzugestalten, es ganz In London, während der Jahre der Emigration, entstand zuerst der Arbeiterbewegung zu widmen, sobald er erkannt hatte, daß die Selbstbiographie „Ein Sohn aus gutem Haus", dann eine Reihe das der richtige Weg war. von Monographien zur österreichischen Literaturgeschichte, von Alles das hat die Methode Albert Fuchs' geformt und seiner denen bisher ein kleines Bändchen*) - das übrigens eine wichtige Arbeit Richtung gegeben: die kritische Erforschung der österreichi­ Ergänzung der „Geistigen Strömungen" bildet - erschienen ist. schen Vergangenheit soll der Gegenwart helfen, die Zukunft zu Und schließlich das vorliegende Werk. gestalten. Im Plan des Autors lag es, diesem Band einen zweiten folgen zu lassen, der die geistigen Strömungen in Österreich bis in unsere Tage hinein verfolgt hätte. Die Dekadenz des bürgerlichen Denkens und das Hereinbrechen der ;,künstlichen Finsternis" - wie Fuchs die Verbreitung irrationaler, mystischer Begriffe gerne nannte; die Entstehung der faschistischen Ideologie; den Durchbruch rein bürgerlicher Vorstellungen bei den führenden Schichten der sozial­ demokratischen Arbeiterbewegung; andererseits die Durchdringung des linken Flügels der Arbeiterbewegung mit der marxistischen Weltanschauung und die wachsende Rolle der Kommunistischen Partei; schließlich den Reflex dieser widerspruchsvollen Vorgänge in der literarischen und künstlerischen Produktion Österreichs

*) Albert Fuchs, ,.Modeme österreichische Dichter", Essays, Tagblatt-Bibliothek, Wien 1946. GEISTIGE STRÖMUNGEN IN ÖSTERREICH 1867 -1918 LIBERALISMUS Üer Liberalismus hat in Österreich eine lange Geschichte, die etliche ruhmreiche und manche unerfreuliche Kapitel umfaßt. Sie reicht bis in die Anfänge des neunzehnten Jahr­ hunderts zurück, ja eigentlich sogar bis in die zweite Hälfte des achtzehnten, d. h. bis in eine Zeit, da das Wort „Liberalis­ mus" noch nicht geprägt war. Die Jahre r867 bis r9r8 pflegt man als das liberale Zeitalter schlechthin zu bezeichnen. Die ganze Periode, mit der wir uns hier zunächst zu beschäftigen haben, fällt also in dieses Zeitalter. Daraus geht schon hervor, welche außerordentliche Wichtigkeit der Liberalismus für unser Land besitzt. Er hat die geistige und soziale Struktur des moder­ nen Österreich stärker beeinflußt als irgendeine der übrigen Richtungen. Einen Sonderfall haben wir hier freilich nicht vor uns. In den meisten anderen Ländern Europas liegen die Dinge ähnlich. Wer einen Überblick über die Geschichte des Liberalismus gewinnen will, tut gut daran, sie sich gewissermaßen horizontal in zwei Teile zerlegt zu denken: die Geschichte einer politischen Gruppe und die einer Ideologie, welche, vom Politischen her­ kommend, alle Zweige der Kunst und Wissenschaft durchdrang. Die Entwicklung da und dort verlief natürlich über weite Strecken parallel. Anderseits sind .doch zahlreiche und sehr erhebliche Abweichungen nicht zu verkennen. Die politische Bewegung sah ihre besten Tage um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Im Vormärz, in der Revolution von r848, in der Reaktionsperiode, die auf r848 folgte, zeigte der Liberalismus vielfach fortschrittliche Tendenzen. Man darf nicht übersehen, daß er auch damals belastet war durch seine Verständnislosigkeit gegenüber den nationalen Wünschen der Slawen und gegenüber den sozialen und wirtschaftlichen Wün- 6 Liberalismus Die liberale Partei und ihre Ideologie 7

sehen der unteren Klassen. Gar zu sichtbar vertrat er die Bei Betrachtung d er liberalen Bewegung ist wieder zwischen Interessen einer kleinen Minderheit: der deutschösterreichischen der politischen Partei einerseits und dem Liberalismus als einem Bourgeoisie. Die Umstände 'brachten es j edoch mit s ich, daß Machtfaktor anderseits zu unterscheiden. diese Interessen sich weitgehend mit denen breiterer Schichten Die Geschichte der liberalen Partei ist infolge der u nab­ deckten. Das Hauptinteresse an der Beseitigung d es Absolutis­ lässigen Spaltungen, neuen Zusammenschlüsse, neuen Spaltun­ mus war fast allen österreichischen Untertanen gemeinsam. gen nicht leicht zu überblicken. Die parteimäßigen oder partei­ Sofern die liberalen Führer auf dieses Z iel hinarbeiteten, waren ähnlichen Bildungen d es Jahres 1848 wurden von der wieder­ sie Mandatare des ganzen Volkes. Einige d er Führer - wie kehrenden R eaktion beseitigt. Als man in den Sechzigerjahren Fischhof, Berger, Kudlich - erwiesen sich in ihren Reden und an den Umbau der Monarchie ging, traten die Liberalen unter Handlungen als Politiker von Format. Ihr Kampf gegen Metter­ dem Namen „Verfassungspartei" i n Erscheinung. 1867 fiel nich und Bach, für Freiheit und G erechtigkeit, war würdig der die Verfassungspartei in eine Reihe von Fraktionen auseinander. bürgerlich-revolutionären Überlieferung, wie sie in Westeuropa 1884 kam ein größerer Verband zustande, die „Vereinigte entstanden ist. Österreich aus dem v erlängerten Mittelalter Linke". Sie wurde 1888 in die „Vereinigte Deutsche Linke" herauszuholen, es auf die breite Fahrbahn des Konstitutionalis­ überführt. Die Verfassung von 1867 räumte der d eutschöster­ mus zu bringen, dazu haben die Liberalen viel b eigetragen. reichischen Oberschicht und damit dem Liberalismus· eine Auch nach 1867 leisteten sie tüchtige Arbeit. Sie e tablierten enorme Position ein. D er Sinn d er V erfassung war, daß in der eine zeitgemäße Ver waltung und Justiz, ein gutes Unterrichts­ österreichischen Reichshälfte hinfort die Macht zwischen dem wesen. D er kulturelle Hochstand, der um 1900 verzeichnet Kaiser - d er „Krone", wie man sagte - u nd d er d eutsch­ werden konnte, war zum Teil auf ihr Wirken zurückzuführen. österreichischen Bourgeoisie geteilt sein sollte. Die Stellung d er Trotzdem b edeuteten die Sechzigerjahre eine Wende in der Krone wurde juristisch durch ihren Einfluß auf die Zusammen­ Geschichte des Liberalismus. Von der Schaffung der Konstitution setzung des Kabinetts fundiert, durch das Zweikammersystem an war die Klasse, d ie er repräsentierte, eine ·der herrschenden und durch das Sanktionsrecht gegenüber Gesetzesbeschlüssen. Klassen in Österreich. Diese Tatsache mußte seine Haltung zu Die Stellung der deutschösterreichischen Bourgeoisie suchte fundamentalen Problemen in zunehmendem Maße verändern. man durch ein Kurien-Wahlsystem zu garantieren, das eine Seine fortschrittlichen Bestrebungen waren schon vorher nicht ansehnliche Zahl von Sitzen im Abgeordnetenhaus den wohl­ von übermäßiger Kühnheit. Nun wurde e r m ehr und m ehr zu habenden Industriellen und Kaufleuten - und wohlhabend einer konservativen Gruppe, d. h. zu einer Gruppe, d er es als waren vor allem die deutschösterreichischen - zuschanzte. Ziel vorschwebte, die bestehenden Verhältnisse, w elche ihr Natürlich begann in der konstitutionellen Ära alsbald ein Kampf günstig waren, gegen empfindlichere Eingriffe zu sichern. In der von der Verfassung b enachteiligten Bevölkerungsschichten kulturpolitischen F ragen, dann in der Judenfrage, d ie von den um eine Änderung d es Wahlrechts. Der Kampf wurde zuerst e i n e n en e Achtzigerjahren an in den Vordergrund rücktei blieb d er Libe­ hauptsächlich durch di Parte e d r „Natio alität " g führt, ralismus demokratischen Auffassungen treu. In beinahe allen dann traten die Deutschnationalen und Christlichsozialen auf anderen Dingen stellte er während d er l etzten monarchischen den Plan, d ie für das deutschösterreichische Kleinbürgertum, Jahrzehnte e ine reaktionäre Kraft dar. Vom Aufkommen des und d ie Sozialdemokraten, die für die Arbeiterschaft stritten. Monopolkapitals angefangen, war er einer d er Träger d es öster­ Aus den verschiedensten innen- u nd außenpolitischen Gründen reichischen Imperialismus, der sich dem stärkeren d eutschen verringerte sich um 1870 das Interesse der Krone an der Auf­ Imperialismus unterordnete. rechterhaltung der parlamentarischen V ormacht der deutsch- 8 Liberalismus Die liberale Partei und ihre Ideologie 9

österreichischen Bourgeoisie. Diese Umstände, im Verein mit Leitung der Fachministerien wurde häufig liberalen Bürokraten einem oft gerügten Mangel der Liberalen an praktischem Sinn oder Professoren anvertraut. So erhielt Böhm-Bawerk das und Weitblick1, bewirkten, daß· die liberale Partei im Abgeord­ Finanzportefeuille unter Kielmannsegg, Gautsch und Koerber, netenhaus Schritt für Schritt zurückgedrängt wurde. In den Franz Klein das Justizportefeuille unter Gautsch und Beck, Neunzigerjahren war der Niedergang schon offenkundig. Die Wieser das Handelsportefeuille unter Seidler. Rudolf Sieghart, Partei hatte seit Schaffung der Konstitution zweimal stabile der „junge Mann", den Koerber entdeckte, kam zwar nie ins Regierungen gebildet. Während des Regimes Taaffe war sie Kabinett, doch räumte man ihm eine Stellung ein, welche die in Opposition gestanden. 1893 besaß sie noch Kraft genug, manches Kabinettsmitgliedes überragte.3 Wenn wichtige Ent­ Taaffes Demission zu beschleunigen. An der Regierung Windisch­ scheidungen getroffen werden sollten, war es üblich, daß die grätz. die die Geschäfte übernahm, war sie durch Ernst von Krone oder die Regierung prominente Liberale um Rat fragte. Plener und den Grafen Wurmbrand beteiligt. Aber daß sie Besonders Chlumecky wurde immer wieder herangezogen.* um einer untergeordneten Frage, der Schulfrage von Cilli wegen, Aber auch Ernst v. Plener wurde, als 1908 die Vorbereitungen den Sturz Windischgrätz' herbeiführte, sollte ihr übel bekommen. zur Annexion Bosniens in Gang waren, zum Außenminister Bei den Wahlen von 1897 erlitt sie eine schwere Niederlage. Baron Aehrenthal gebeten und um Stellungnahme ersucht.** Auch trat abermals eine Spaltung der Partei in mehrere Gruppen Und so fort. Die Liste der Schlüsselpositionen, die die Liberalen ein, die sich untereinander befehdeten. Von da an, und gar nach behaupteten, als ihre Wählermassen schon nicht mehr sehr ins Einführung des allgemeinen Wahlrechts, war der Liberalismus ·Gewicht fielen, ließe sich noch beträchtlich verlängern. im Abgeordnetenhaus nicht mehr einer der entscheidenden Wie ist - in großen Zügen - die Entwicklung der liberalen Faktoren. Daß der Kaiser öfters hervorragende Liberale ins Ideologie verlaufen ? ,, Die Gedanken sind frei." Als Welt­ Herrenhaus ernannte, glich den Verlust nicht aus. anschauung genommen, hatte es der Liberalismus ungleich Die Geschichte der parlamentarischen Fraktion spiegelt leichter, die Köpfe zu erobern, als es die politische Bewegung aber die Geschichte des Liberalismus als einer politischen Macht hatte, den Staat zu erobern. Als Weltanschauung konnte er im nur ungenau wider. Während die Fraktion zusammenschmolz, Vormärz nicht wirksam unterdrückt werden, wurde er im Herbst konnte das liberale Bürgertum seine reale Macht noch lange 1848 nicht geschlagen, brauchte er nicht auf Solferino zu warten, beinahe ungeschmälert erhalten. Es hatte von den Neunziger­ um Auferstehung zu feiern. Schon seit dem Ende des 18. Jahr­ jahren an weniger Vertreter im Reichsrat sitzen, aber immer hunderts finden sich in der Literatur und Wissenschaft unseres noch eine Menge Vertreter in den Direktionen der großen Bank­ Landes auf Schritt und Tritt Formulierungen, die den Einfluß und Industriegesellschaften. Gleichgesinnte Fachleute wirkten der französischen und englischen bürgerlichen Philosophie in den wichtigsten staatlichen Ämtern, dozierten an den Uni­ erkennen lassen. Jeder bedeutende Österreicher stand unter versitäten. Die liberalen Blätter, voran die „Neue Freie Presse" diesem Einfluß - waren doch Grundelemente auch des „Josefi­ und das ;,Neue Wiener Tagblatt", beherrschten die öffentliche nismus", dem manche zuneigten, von dort bezogen. Natürlich Meinung. Die Krone trug diesen Tatsachen bei der Regierungs­ brachte der Übergang zum konstitutionellen Regime in Öster­ bildung in hohem Maße Rechnung. Ernest v. Koerber, Minister­ reich eine weitere Ausbreitung der in Westeuropa herrschenden präsident 1900-04, war der Gesinnung nach liberal, ob­ Doktrin. Der Abstieg der liberalen Partei um 1890 tat der gleich kein Parteimann. 2 Graf Stürgkh, Ministerpräsident 19n - 16, und Graf Czernin, Außenminister 1916- 18, hatten ihre Karriere sogar als Parteimänner begonnen. Die ** * R. Sieghart, ,.Die letzten Jahrzehnte etc.", S. 92. E. v. Plener, .,Erinnerungen", 19u-21, 3, Bd., S. 387. 10 Liberalismus Die liberale Partei und ihre Ideologie 11

e o smitteln liberalen Ideologie zunächst wenig Eintrag. Auch der umge­ Armut ein Übel ist. Privateigentum an d n Produkti n Gesell­ kehrte Kausalzusammenhang kann nicht ohne weiteres behauptet scheint ihnen die einzig mögliche Basis der zivilisierten Gang der Welt­ werden. Der liberale Einfluß 'im Parlament schrumpfte nicht schaft. Sie nehmen in ihrer Mehrheit an, daß der ritte gebracht nur deshalb, weil andere Auschauungen ins Volk drangen, geschichte dem Menschengeschlecht bisher Fortsch P den sondern großenteils deshalb, weil dank der Erweiterung des hat und das noch weiter tun wird. Sie bejahen im rinzip e e e Freiheit. Gesetz­ Wahlrechts im Reichsrat die Gesinnung solcher Volksschichten Gedanken der Humanität, den G dank n d r als zum Ausdruck kam, die vorher zu parlamentarischer Stummheit gebung durch eine gewählte Volksvertretung gilt ihnen ie österreichischen verurteilt waren, aber nie liberal gedacht hatten. Daß die anderen treffliche Einrichtung. Und so fort. Soweit d folgen, Anschauungen, vor allem die christlich-konservative, die deutsch­ Denker bloß d er allgemeinen Linie liberalen Denkens e e elt werden. nationale, die sozialistische an Boden gewannen, ist nicht zu sollen ihre Ansichten hier nicht eingeh nd b hand 4 ein bestreiten. Trotzdem bestand die liberale Ideologie fort, trotz­ Die Schilderung gesamteuropäischer Strömungen würde e e r muß die dem behielt sie eine außerordentliche Bedeutung im öster­ Buch mit ganz anderer Anlage erfordern. Vi lm h o ormen reichischen Geistesleben. Sie lieferte Meinungen, die von man­ Aufgabe wohl vornehmlich darin bestehen, jene S nderf e den öster­ chen Kreisen, besonders den gebildeten, nicht als Meinungen, der liberalen D oktrin darzustellen, die gerad aus r egende sondern als Selbstverständlichkeiten angesehen wurden: ein reichischen Bedingungen erwachsen sind. Fü das vorli insofern, als klares Zeugnis für die Kraft einer Ideologie. Sie trat in den Kapitel ergibt sich noch eine Beschränkung aber verschiedensten öffentlichen Institutionen hervor. Sie wurde Strömungen, die mit dem Liberalismus zusammenhängen, e P sychoanalyse an den Universitäten gelehrt, an allen Fakultäten, zuweilen eine gewisse Selbständigkeit aufweisen, wie di ert zur Sprache selbst an der theologischen. Sie wurde in Zeitungen und poli­ und der Pazifismus, an späterer Stelle gesond tischen Schriften propagiert, oft auch in sozialdemokratischen. kommen. e e ist Sie erwies Fruchtbarkeit und Originalität noch in einer Phase, An dem ö sterreichischen Liberalismus unser r Period r e tung zu natio­ da der politische Liberalismus längst ins Sterile und Reaktionäre von besonderem Interesse seine eigena tig Hal r die Kom­ entartet war. Beispielsweise ist ihre Wirkung auf das Gedanken­ nalen P roblemen und zu internationalen F agen: ertums", system Sigmund Freuds, auf die Dichtung Schnitzlers oder bination des „Patriotismus", des „guten Österreich e s die Gedanken­ Zweigs nicht zu übersehen. Sie regierte in der Republikzeit mit dem „bewußten Deutschtum". Fern r ind in vielen klugen Köpfen, während der politische Liberalismus gänge interessant, die der Liberalismus auf nationalökonomischem e nur mehr wenige und mittelmäßige beherrschte. Auch heute Gebiet entwickelte: die der Grenznutzenlehr . s e ein­ ist sie keineswegs tot. ,,Patriotismus" und „bewußtes Deutschtum" ch inen Es liegt in der Natur der Sache, daß die Liberalen eine fache Begriffe, verlangen aber d och nähere Erläuterung. er issen Reihe von Grundfragen durchaus in derselben Art beantworten Wer von den damaligen österreichischen V hältn dem „Patrio­ wie ihre Kollegen in anderen Ländern: wir würden sie ja sonst nichts wüßte, könnte vielleicht glauben, daß mit s s National­ wahrscheinlich nicht Liberale nennen. Als Erben der Aufklärung tismus" d er Liberalen ein spezifisch österreichi che e. Der Gedanke, sind sie in ihrer Mehrheit Rationalisten, d. h. sie glauben, daß bewußtsein gemeint sei. Davon ist aber keine Red o deutscher Erkenntnisprobleme, die überhaupt lösbar sind, mit wissen­ daß es eine besondere österreichische Nati n mit e e Schrift­ schaftlichen Methoden - und nicht etwa durch Intuition - Sprache gibt, wurde zwar damals schon von einz ln n e en Worten gelöst werden können. Als Erben der klassischen National­ stellern mit klaren, von anderen mit wenig r klar Parteien ökonomie erklären sie, daß materieller Reichtum ein Gut, formuliert, vermochte sich aber keine der politischen i Ideologie 13 12 Liberalismu; Die liberale Parte und ihre

e n e n en en Grupp u d d r e en einer klei en slow isch sei eine Kraftprob zwisch n vor zu erobern. Für die Liberalen wie für die anderen Parteien Cilli e ergie könne die Partei och e n", nur die äußerst En „Deutsch n Linke e n im Budget­ e e n el folgt n. Als dan waren die deutschsprechenden Österreicher auf Grund ihrer e e en. Weit r Bra dartik ihrem Nied rgang r tt enommen wurde , e Gymnasium ang Sprache Deutsche. Was die Liberalen meinten, wenn sie sich die Post für das slow nische ausschuß n e liberalen Minister en aus der Koalitio , di e s e ei a e ar a sie i al e die „Linke" ihr Austritt er gut Ö t rr cher n nnt n, w , d ß d e Erh tung und erklärt eichfalls zur Demission. Hi n n ngen Windischgrätz gl emissionierte u d zwa e n so Festigung der Habsburgermonarchie wünschten (hiedurch unter­ d egenteil: die Intol ra z war e o e in Erscheinung. Im G trat kein T l ranz ete . schieden sie sich von den „Alldeutschen", die auf die Zerschla­ olitischer Klugheit ausschalt stark, daß sie jede Erwägung p gung der Monarchie hinarbeiteten) und daß sie bereit waren, aren ien des Liberalismus w um des Zusammenlebens mit den übrigen Nationen willen ie zwei nationalen Prinzip D e olitik. Auf e so auch für die Auß np nationale Toleranz zu üben, das heißt -nach ihrer Auffassung - a ebend wie für die Inn n-, m ßg ei edfertige 5 atriotismus" k einerl fri weitgehend a-national zu denken. Nun darf man freilich das sem Gebiet hatte der „P die ale imperia­ e etrieben d ie Liber n die gute Österreichertum nicht wörtlich nehmen. Es wurde sehr e eutung. Als Patriot n b B d auf h in, die o a ie, arbeiteten sie dar wesentlich eingeschränkt, ja sogar großenteils aufgehoben is Politik d er M n rch list che e sei es e archie zu verstärk n, durch das bewußte Deutschtum der Liberalen. Dem bewußten e a onale Stellung d r Mon int rn ti e neuer en, sei e s durch Erw rb Deutschtum entsprang die Konsequenz, daß die Übermacht der durch territoriale Erwerbung eld für die österreichische Deutschösterreicher im Rahmen der Monarchie fortdauern solle. ren. Als das natürliche F Einflußsphä schaft als s e opa an. In ihrer Eigen Als die Liberalen 1893 mit den Polen und den Konservativen ansion sahen sie O t ur . Exp a si sich unter e en sie, daß die Exp n on die Koalition bildeten, die das Ministerium Windischgrätz „Deutschösterreicher" m int e vollziehen sollte. ins Amt brachte, war die Voraussetzung die, daß aller „nationale durch das Deutsche R ich Rückendeckung e enpolitik esa en ö sterreichisch n Auß Besitzstand" unangetastet blieb. Deshalb gerieten sie in die i rundlage der g mt D e G o kam d ie as geschlossen wurde. S größte Erregung, als innerhalb der Koalition die Schulaffäre o te das Bündnis sein, d 1879 s ll e dann die von or iegsjahre zustand , und Cilli aufgerollt wurde. Mächtegruppierung der V kr ierung der Jahre 1914-18. Grupp s en Aben- s an einem ö sterreichi ch Diese Affäre wirft ein Licht auf die Gesinnung der Liberalen. Sie verlief Der Krieg entzündete ich a s ebrochen w ar, folgendermaßen: a Serbien. Als e r u g teuer, dem Ultimatum n e n n n m ene m en en e e m en s. D ie Aus­ Cilli war i atio al u stritt r Ort i slow isch T il d r da alig e alen den deutschen Kur intensivierten die Lib r Südsteiermark. Nach der Volkszählung von 1890 waren 4452 Deutschöster­ die verschärfte s Parlaments durch · Stürgkh, reicher und 1577 Slowenen in der Stadt, dagegen zählte der Gerichtsbezirk schaltung de anden omanen in Österreich f Cilli 36.299 Slowenen und 965 Deutschösterreicher, die Bezirkshauptmann­ der Slawen und R Unterdrückung Österreich e e e m en e n enen o ar Czernin, der 1916-18 schaft Cilli, d. h. das w it r u lieg d La d, sogar 124.891 Slow und e Billigung. Graf Ott k ihr i estaltete das nur 3991 Deutschösterreicher. Die Slowenen hatten ·nun schon unter Taaffe o es ertrauen. Czem n g r e, g enoß ihr v ll V e n n n e e en m e m egiert mehr di Ei richtu g slowe isch r Parall lklass a Unt rgymnasiu in Cilli e enger. Mehr und s Deutschland eng r und oder die Schaffung eines selbständigen Untergymnasiums mit slowenischer Bündni mit a asallen des Bündnisp rtners. n e e e e ne n en e e em ie Monarchie zum V U terrichtssprache g fordert. Taaff hatt i e tsprech d Zusag g acht. wurde d as Vor­ e a uf Kosten Osteurop Die Regierung Windischgrätz sah sich neuerlich derselben Forderung gegen­ wollte mit deutscher Hilf Czemin en, Friede über. Der slowenische Standpunkt fand innerhalb der Koalition Unter­ e en (Friede mit Rumäni le r die Monarchie g winn tei fü s zwischen stützung, die deutschösterreichischen Liberalen setzten sich zur Wehr. Es anken eines Separatfrieden von Brest-Litowsk). Den Ged 6 wurden unendliche Verhandlungen über die Sache geführt. Man suchte für e e allen Mitteln. e bekämpft r mit die Deutschösterreicher Gegenzugeständnisse zu finden, über die aber allgemeine Österreich und d r Entente Einigung nicht erzblt werden konnte. Die ganze Öffentlichkeit beschäftigte sich mit Cilli. In ihrem Osterartikel von 1895 sagte die „Neue Freie Presse", * Liberalismus Ernst v. Plener 15 14

Oft kann durch abstrakte Darlegung nur ein teilweises der in Volks- und Vereinsversammlungen das große Wort führt, Verständnis einer geistigen Strömung erzielt werden. Der · war ich nicht."* Manchem fiel im Umgang mit ihm seine Rauheit Leser erhält eine weit bessere Vorstellung, wenn ihm das Bild auf, die auch ihm selbst nicht entging.** Aber seine minder von Persönlichkeiten, die diese Strömungen vertreten, zugäng­ ansprechenden Züge wurden durch eine Reihe trefflicher Quali­ lich gemacht wird. Deshalb sollen hier Bemerkungen über täten wettgemacht. Was Fleiß, Sachlichkeit, Gründlichkeit einige Repräsentanten der herrschenden liberalen Doktrin betraf, überrag te er weit den Durchschnitt der Abgeordneten. folgen. Wir wählen mit Absicht Männer, die untereinander nach Von Haus aus war er nationalökonomisch gut geschult. Während Herkunft und Wirksamkeit sehr verschieden sind. seiner langen Tätigkeit im Reichsrat erwarb er ein geradezu E r nst v. Plener (1841-1923) war eine der hervorragend­ enzyklopädisches Wissen um alle Zweige des politischen Betrie­ sten parlamentarischen Figuren der Liberalen. Er hatte schon bes. Zur Lösung von Verwaltungsfragen, besonders finanz­ beim Eintritt ins politische Leben einen bekannten Namen: technischer Natur, trug er Wertvolles bei. In nationalen Dingen sein Vater, Ignaz v. Plener, zählte zu den Häuptern der voran­ war er keineswegs einer der Starrsinnigsten. Die bornierte Taktik gegangenen liberalen Generation und bekleidete unter Schmer­ der Partei in der Cilli-Angelegenheit machte er nur widerwillig ling und unter Adolf Auersperg den Posten des Finanzministers. mit und zog sich ihretwegen aus dem Abgeordnetenhaus zurück. 7 Ernst v. Plener, ursprünglich im diplomatischen Dienst, wurde Nun ist es betrüblich, aus den „Erinnerungen" zu sehen, 1873 von der Handelskammer Eger in den Reichsrat gewählt. wie fremd dieser Mann, der einige der besten altösterreichischen Er blieb dort mehr als zwanzig Jahre und arbeitete sich bis zum Traditionen in sich verkörperte, den grundlegenden politischen Parteivorsitzenden hinauf. Nach einer kurzen Amtsperiode als Tatsachen seiner Zeit gegenüberstand. Er vermochte sich ihnen Finanzminister (1893-95) schied er aus dem Abgeordnetenhaus mit seiner Betrachtungsart nicht zu nähern. Die eruptive Gewalt, aus. Er übernahm nun das Präsidium des gemeinsamen Obersten die im imperialistischen Zeitalter den Klassengegensätzen und Rechnungshofes. 1900 wurde er zum Mitglied des Herrenhauses den nationalen Gegensätzen eignet, kam ihm nicht zu Bewußt­ ernannt. sein. Er meinte, daß das Parlament - das arme, so oft gedemü­ Seine umfangreichen „Erinnerungen" (d:vei starke Bände tigte, schon von der Verfassung so stiefmütterlich bedachte in Großformat, 19rr-21) sind eine der besten Quellen für die österreichische Parlament - das geeignete Instrument sei, Kenntnis der Parlamentsgeschichte seiner Epoche und zugleich die privilegierte Stellung der deutschösterreichischen Bour­ die beste Quelle für die Kenntnis seines Wesens. Er zeigt sich geoisie zu sichern. Ein wenig Geduld und Klugheit war alles, hier, ebenso wie in der von seinen Freunden herausgegebenen was ihm dazu nötig erschien. Die wichtigste Etappe seiner Sammlung seiner Reden (19rr) und in Schriften aus früherer langen Laufbahn war sein Kampf gegen Taaffe, in dem er Zeit (einem Buch über „Die englische Fabriksgesetzgebung", schließlich Sieger blieb. Er konnte Taaffe als Charakter nicht 1871, sowie einer Biographie Lassalles, mit dem er persönlich leiden. Wirklich war der gewandte, etwas leichtfertige Aristo­ zusammengetroffen war), als ein Mann von hohem geistigem krat ungefähr der Antipode des bis zur Pedanterie korrekten Niveau. Zwar war nichts Glänzendes an ihm, er hatte wenig Liberalen. Doch das persönliche Moment war nebensächlich. Schwung, gar keinen Humor. Zu dem, was man einen „Volks­ Die Liberalen haßten Taaffe, weil sein System des „Fort­ mann" nennt, taugte er nicht, wollte er nicht taugen, da er als wurstelns" sie von der Regierung fernhielt - vierzehn Jahre der echte Liberale alten Schlages die Masse geringschätzte. „Meine Fähigkeiten waren wesentlich für die parlamentarische * ,,Erinnerungen", 2. Bd., S. 372. Tätigkeit eingestellt", sagte er, ,,ein populärer Parteiführer, ** ,,Erinnerungen", 3. Bd., S. 283. 16 Liberalismus Heinrich Friedjung 17

hindurch. Endlich begab er sich auf gefährliches Terrain. Halb dem Massendruck folgend, halb von einer bestimmten, einflußreiche Stellung bewahren wollten, mußten für die Erhaltung der alten in konservativen Kreisen häufigen taktischen Spekulation ·. Wahlordnung eintreten. Die Interessenvertretung der Februar-Verfassung geleitet, schlug er eine Erweiterung des Wahlrechts vor. Die war sicher vielen Einwendungen ausgesetzt .. . , aber ihr politischer Grund­ gedanke war, wenn man aufrichtig spricht, das Bestreben, die historische Liberalen sahen ihren Augenblick gekommen, führten eine und politische Stellung des deutschen Stammes, der bekanntlich in Österreich Verständigung mit den zwei anderen größten Parteien, den nicht die Mehrheit der Bevölkerung bildete, aber durch geschichtliche Arbeit, Polen und dem Hohenwart-Club, herbei und drängten Taaffe Bildung, Wohlstand und Steuerleistung über alle anderen hervorragte, zu aus dem Amt (1893). Damals organisierten sie eine energische sichern, und deshalb war es töricht von radikaler, deutschnationaler Seite, die Grundlagen dieser Wahlordnung fortwährend zu bekritteln, und um­ Kampagne gegen die Wahlreform. Zehn, zwölf Jahre danach gekehrt ebenso klug für jene, denen es um die führende Stellung der Deutschen - 1 war die Reform nicht mehr aufzuhalten, so fügten sie sich in im Staate wirklich zu tun war, dieses Wahlsystem möglichst zu erhalten."* die Umstände und befürworteten ebenso wie die übrigen Parteien 1921, als Plener diese Sätze schrieb, klangen sie wie eine in ihrer Mehrheit das allgemeine Wahlrecht. Nicht so Plener. Stimme aus dem Grab. Doch wäre es ungerecht, ihren Inhalt Er hatte in den Neunzigerjahren den Kampf für das Privilegien­ nur gerade ihm zur Last zu legen. Er hielt bloß mit der Hart­ system geführt, er hielt 1905 eine Herrenhausrede in ähnlichem näckigkeit des Alters an dem fest, was in seiner Jugend die Sinn und betrachtete noch 1921, als er den dritten Band seiner allgemeine Auffassung der Liberalen gewesen war. Memoiren veröffentlichte, seinen alten Standpunkt als den Heinrich Friedjung (1851-1920) war von mährischer richtigen. Wir lesen dort: Herkunft und wurde in Wien im erzogen, wo er dieselbe Klasse besuchte wie Friedrich Wieser, der spätere ,,Grenznutzen"-Lehrer. Seine berufliche Laufbahn war merk­ würdig. Er studierte Geschichte in Wien, Prag und Berlin, „Die einmütige Erhebung der drei großen Parteien gegen das allgemeine hatte aber nur vorübergehend einen Posten als Historiker, und Stimmrecht war ein beachtenswertes Zeichen des wenigstens damals bestehen­ den Mutes und einer sonst nicht gewöhnlichen Widerstandskraft der besitzen­ zwar einen untergeordneten: er unterrichtete 1873-79 an der den Klassen, die sich durch drohende Kundgebungen der zahlreichen Arbeiter­ Wiener Handelsakademie. Hingegen erwarb er in nicht mehr versammlungen nicht einschüchtern ließen ... Für eine liberale Partii war jungen Jahren durch ein paar großangelegte Bücher, vor allem es nicht leicht, ihre gesunde politische Einsicht der blendenden Rhetorik durch „Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland demokratischer Schlagworte entgegenzustellen, die nun einmal seit den Tagen des Naturrechts und der Französischen Revolution auf viele Intellektuelle 1859-1866" (2 Bde., 1897-98), dann durch „Der Krimkrieg eine große Anziehungskraft ausübten. Die Erkenntnis von der praktischen und die österreichische Politik" (1907) und „Österreich von Wirksamkeit der Demokratie und des allgemeinen Stimmrechts war bei ihren 1848-1860" (2 Bde., 1908-12), einen wissenschaftlichen theoretischen Anhängern wenig verbreitet, sie kamen über den Grundsatz Ruf, der weit über die Landesgrenzen hinausreichte. Die Prager der Gleichberechtigung aller Staatsbürger, den sie wie ein Dogma der Auf­ Universität bot ihm einen Lehrstuhl an, er wurde in die Akademie klärung und Freiheitsliebe ansahen, nicht heraus ... Daß sich aber im gegebenen Fall die Linke, welche die obere Schicht des Mittelstandes und der Bauern­ der Wissenschaften aufgenommen usf. Auch sein Schicksal als schaft umfaßte, über die hergebrachten radikalen Theorien hinwegsetzen Politiker war ungewöhnlich. In der Jugend verkehrte er freund­ konnte, lag in der nationalen Erwägung, die die Gefahren des allgemeinen schaftlich mit dem Vorläufer Hitlers, Georg Schönerer. Zusam­ Stimmrechts für das Deutschtum allen ihren Abgeordneten ins Bewußtsein men mit ihm (und mit Viktor Adler) verfaßte er das sogenannte brachte. In Böhmen und noch mehr in Mähren sowie in der südlichen Steier­ mark war die obere Schichte der bodenständigen städtischen Bevölkerung Linzer Programm von 1882, von dem noch weiter unten die deutsch und die aus der Umgebung zugewanderten kleinen Leute und die Arbeiter waren slawisch, das allgemeine Stimmrecht mußte nun unweiger­ lich der großen Zahl ihre Geltung verschaffen und die alten führenden Kräfte * .,Erinnerungen", 3. Bd., S. 9o ff. verdrängen.. . Diejenigen also, welche den Deutschen in Österreich eine 2 Fuohs, Geistige Strömungen Liberalismus 18 Heinrich Friedjung 19

Rede sein wird. Eine deutschnational angehauchte Gruppe, Nach der Annexion Bosniens bestand zwischen Österreich und Serbien die allerdings noch nicht den Arierparagraphen hatte, berief -eine starke Spannung, die leicht zum Krieg führen konnte. Aehrenthal wollte ihn 1886 zur Leitung ihres Blattes, der „Deutschen Zeitung". die Öffentlichkeit, die österreichische wie die ausländische, auf den Krieg einstellen. Deshalb gab das Außenministerium an Friedjung Informationen, Später wandelte er sich zum Liberalen, blieb aber ein extremer die sich angeblich auf Dokumente stützten und besagten, daß die serbische Deutschtümler. Seine Abneigung gegen. die slawischen Völker Dynastie und Regierung sich in Zusammenarbeit mit serbischen und kroatischen sollte ihm zum Verhängnis werden. Sie verwickelte ihn 1909 in Abgeordneten des Reichsrates verschiedener „Umtriebe" gegen Österreichs einen Sensationsprozeß, der unter seinem Namen in die Ge­ Sicherheit schuldig gemacht habe. Bestechung von Abgeordneten u. dgl. schichte einging und ihn einen guten Teil seiner Reputation wurde behauptet. Friedjung publizierte diese Informationen in einem von scharfen Worten kostete. Die politischen Schriften seiner letzten Jahre gehen - l überquellenden Artikel, der im März 1909 in der „Neuen Freien Presse" von denselben Voraussetzungen aus wie die älteren. erschien. Wenn Österreich, hieß es da, mit der Waffe in der Hand Ordnung Seine Stellung zur Innen- und Außenpolitik der Monarchie nach Belgrad brächte, so wäre es eine Kulturtat von hohem Wert. Die ange­ wird besonders klar durch ein paar Sätze, in denen er 19II die 1 griffenen Abgeordneten protestierten gegen die Beschuldigungen, und da Friedjung erklärte, nichts zurückzunehmen, vielmehr alles beweisen zu können, von seinem Freund Plener um 1890 geleistete Arbeit kennzeich­ 1 brachten sie - 52 an der Zahl - die Ehrenbeleidigungsklage gegen ihn ein. nete: Die Verhandlung fand erst im Dezember 1909 statt, in einem Zeitpunkt, wo die Mächte die Annexion Bosniens schon anerkannt hatten, die Kriegsgefahr „Heute, nach Ablauf zweier Jahrzehnte, ist es möglich, die historische . 1 vorerst beseitigt war und das Außenministerium es aus guten Gründen lieber und politische Bedeutung jener Kämpfe zu überblicken. Das Lebenswerk gesehen· hätte, wenn die Sache im Sand verlaufen wäre. Aber sie war nun der Generation von Deutschösterreichern, die sich zuerst um Herbst, später l nicht mehr aufzuhalten. Der Prozeß nahm für Friedjung einen schlimmen um Plener scharten, bestand darin, daß sie die Aufrichtung eines tschecho­ Verlauf. Die Anklage wurde von Dr. Harpner vertreten, der nachmals Friedrich slawischen Staates inmitten Europas verhinderten. Durch Jahrzehnte drohte Adler vor dem Ausnahmegericht verteidigte; Friedjung hatte Dr. Edmund die Gefahr,• daß sich wie Ungarn die Lande der böhmischen Krone vom ein­ Benedikt an seiner Seite. Am ersten Tag hielt er eine dreistündige Rede, die heitlichen Staate loslösen und zu einem gesonderten Gemeinwesen absondern auf eine Anklage ge�en die Serben und Kroaten hinauslief und den Eindruck würden, ein Gemeinwesen, das notwendig die deutsche Minorität bedrückt, der Großsprecherei machte.* Dann wurden die „Dokumente" vorgelegt, sich gleichzeitig in Gegensatz zu dem neugegründeten Deutschen Reich gesetzt die meisten bloß in Abschrift, einige in Photokopien, keines im Original. Den und den Anschluß der Monarchie an Rußland und Frankreich betrieben hätte. Anklägern fiel es nicht schwer, durch Zeugen- unter denen Professor Masaryk Ohne die Wirksamkeit anderer politischer Faktoren zu unterschätzen, muß hervorragte - und durch Sachverständige nachzuweisen, daß es sich um die gesagt werden, daß es in erster Linie der mannhafte Widerstand des deutsch­ plumpsten Fälschungen handelte. Die österreichische Gesandtschaft in Belgrad böhmischen Volkes war, das diese Änderung der Karte Mitteleuropas ver­ hatte die Papiere von einem verdächtigen Subjekt erworben, zum Teil waren hinderte. Dadurch leistete es der ganzen deutschen Nation einen Dienst, sie sogar in ihren Räumen hergestellt worden.** Friedjung hätte nun ohne es verhinderte aber auch die Zerlegung Österreichs in eine Reihe von Mittel­ weiteres sagen können, daß er im Hinblick auf die Stelle, die ihn zur Abfassung und Kleinstaaten. Diese Gefahren aber bestimmten Plener und seine Freunde seines Artikels anregte, an die Möglichkeit einer Fälschung gar nicht gedacht zum stärksten Widerstand, da sie als österreichische Patrioten davon das habe. Doch beharrte er aus rätselhaften Gründen auf der These, er habe Schlimmste für ihr Vaterland besorgten."* die Urkunden genau untersucht und die strengsten Methoden der historischen Mit dem früher erwähnten Prozeß Friedjung hatte es folgende Wissenschaft angewendet. Das war um so widersinniger, als er der serbischen Bewandtnis:** Sprache nicht mächtig war, ja nicht einmal das serbische Alphabet lesen konnte.*** Nach längerer Verhandlungsdauer, als er sich in eine heillose Situation hineingeredet hatte, brachten zwei Abgeordnete, Masaryk und * Einleitung zu der Sammlung der Reden E. v. Pleners, 19II, S. X. Baernreither, einen Ausgleich zustande. Friedjung gab zu Protokoll, daß ** Der Prozeß Friedjung ist in der Literatur oft behandelt worden, da er für die Balkanpolitik von großer Tragweite war. Die ausführlichste Dar­ stellung findet sich bei R. W. Seton-Watson, ,.The Southern Slav Question * R. W. Seton-Watson, a. a. 0., S. zu. ** R. W. Seton-Watson, ,.Masaryk in England", 1943, S. 17. and the Habsburg Monarchy", 19n, S. 209-287. *** R. W. Seton-Watson, .,The Southern Slav Question etc.", S. 287.

2• Moritz Benedikt und die „Neue Freie Presse" 20 Liberalismus 21 er sich von der Unrichtigkeit seiner Behauptungen überzeugt habe, die Serben das seinerseits weite Bezirke des öffentlichen Lebens beherrschte. und Kroate11 billigten ihm Gutgläubigkeit zu und zogen die Anklage zurück. Die „Neue Freie Presse" dankte ihre besondere Stellung dem Zusammenwirken verschiedener Umstände. Wichtig war Friedjung macht es uns Heutigen schwer, ihm gerecht zu ihre enge Verbindung mit dem Finanzkapital, vor allem mit werden. Politisch spielte er eine ganz elende Rolle. Und doch dem Hause Rothschild und der Österreichischen . besaß er außerordentliche Gaben. Das Lob, das seinen Büchern Die finanzielle Misere, an der andere Zeitungen litten, blieb in aller Welt gespendet wird, ist, wenigstens was den „Kampf ihr erspart. Sie konnte sich eine raffinierte technische Apparatur um die Vorherrschaft" betrifft, fundiert. Hier stoßen wir nicht einrichten, die schon auf der Weltausstellung von 1873 Staunen nur auf Gelehrsamkeit, sondern auch auf nüchternes Urteil, erregte. Sie organisierte einen nach den Begriffen der Zeit ungewöhnliche Kraft in der Wiedererweckung des Vergangenen, unerhört kostspieligen und unerhört vollkommenen Nach­ eine klare, bildhafte Sprache. Wohl schlägt manchmal die richtendienst. In ihrem politischen Teil vertrat sie energisch die Deutschtümelei durch, aber das ist doch nur an einigen Stellen Interessen der Schichten, aus denen sich ihre Abonnenten der Fall. Dem Historiker Friedjung soll der Respekt nicht vor­ rekrutierten: der Finanz, Industrie, Kaufmannschaft und der enthalten werden. Vor Mißverständnissen werden wir freilich gutsituierten Intelligenz. In ihren Fachrubriken, besonders in nur sicher sein, wenn wir hinzufügen, daß der Politiker keine der Wirtschaftsrubrik, dem „Economist", ergriffen die ersten Nachsicht verdient. Autoritäten das Wort. Sie schuf sich ein vorzügliches Feuilleton Der Soziologe, der ermitteln wollte, wer in den letzten und eine literarische Beilage, die auf ebenso hoher Stufe stand. 8 Jahrzehnten ihres Bestandes die Monarchie wirklich regiert hat, Objektiv gesehen, war sie nicht nur die bestredigierte Zeitung könnte ruhig über manche Parteiführer hinwegsehen, und auch in Österreich, sondern eine der besten Europas. 9 Ihre Freunde über etliche Ministerpräsidenten. Moritz Benedikt (1849 bis zollten ihr sogar noch etwas mehr Verehrung, als ihr zukam. 1920) könnte er nicht ignorieren. Benedikt war ein Menschen­ Eduard Herbst sagte zu Plener, in einem Feuilleton der „Presse" alter lang einer der zehn oder zwölf mächtigsten Männer in sei oft mehr Wissen und Geist enthalten als in einem dicken Österreich. Für den Einfluß, den Zeitungsleute in d.er modernen Buch.* Gesellschaft erlangen können, ist er ein mindestens so gutes Stefan Zweig schrieb noch 1941: Beispiel wie Northcliffe oder Hearst.* „In Wien gab es eigentlich (um die Jahrhundertwende) nur ein einziges Seit 1864 bestand in Wien die „Neue Freie Presse", eine publizistisches Organ hohen Ranges, die ,Neue Freie Presse', die durch ihre Gründung Max Friedländers und Michael Etiennes, zweier [ vornehme Haltung, ihre kulturelle Bemühtheit und ihr politisches Prestige Journalisten, die an der alten „Presse" gearbeitet und sich für die ganze österreichisch-ungarische Monarchie etwa das gleiche bedeutete aus Abneigung gegen August Zang selbständig gemacht hatten. wie die ,Times' für die englische Welt und der ,Temps' für die französische ... Selbstverständlich ,fortschrittlich' und liberal in seiner Weltanschauung, Von Etienne „entdeckt", wurde Benedikt 1872 in die Redaktion solid und vorsichtig in seiner Haltung, repräsentierte dieses Blatt in vor­ des noch relativ jungen Blattes aufgenommen. 1881 war er schon bildlicher Art den hohen kulturellen Standard des alten Österreich."** Chefredakteur. Durch eine Reihe von Jahren besorgte er die politische Leitung des Blattes gemeinsam mit Eduard Bacher. Benedikt besaß sicherlich em1ge der Qualitäten, die den Schließlich (1908) wurde er Alleinherrscher des Unternehmens, großen Journalisten ausmachen. Daß sein Fleiß, sein Wissen,

• Vgl. über Benedikt: Nagl-Zeidler-Castle, ,,Deutsch-österreichische * E. v. Plener, ,,Erinnerungen", 2. Bd., S. 7. Literaturgeschichte", 3. Bd., 1930, S. 878, sowie zahlreiche Artikel in der ** St. Zweig, ,,Die Weit von gestern", Bermann-Fischer, Wien, 1948, Jubiläumsnummer der „N. Fr. Pr." vom 30. August 1914. S. 143f., 1. Ausgabe (engl.), London, 1944. 22 Liberalismus Moritz Benedikt und die „Neue Freie Presse" 23 seme Geschicklichkeit etwas Außerordentliches waren, wurde Fragen die „rechteste" und also schlechteste Stellung ein, die auch von seinen Gegnern zugegeben. Jahrzehnte hindurch innerhalb des Liberalismus gerade noch möglich war. Wir leistete er nicht nur die eigentliche Arbeit des Redakteurs, haben erzählt, wie sie die lächerliche Schulfrage von Cilli in sondern schrieb Tag für Tag einen längeren politischen Artikel. eine Lebensfrage des Deutschtums verwandelte; wie sie durch Daneben blieb ihm noch Zeit, sich um den „Economist" zu Publikation des Friedjung-Artikels die Balkankrise von 1909 bekümmern. Er war ein gründlich gebildeter Volkswirt; bei verschärfte. Die ganze provokative Unverfrorenheit, welche mehreren Gelegenheiten (Valuta-Enquete 1892, Enquete über der österreichische Imperialismus an sich hatte, ist in den das Aktienwesen 1907) befragte ihn die Regierung um seinen Benediktschen Artikeln, welche um 1900 erschienen, verewigt. Rat und akzeptierte seine Vorschläge. Wiederholt gelang es Die schlimmsten Exzesse kamen aber erst, als der Krieg aus­ ihm, die „Presse" zur Trägerin großer Sensationen zu machen. gebrochen war. Die Bourgeoisie des Deutschen Reichs stand Eine Weltsensation war das Interview, das Bismarck ihm 1892 nun im Kampf um die Weltherrschaft. Das war, nach Benedikts gewährte. Der verbitterte Ex-Kanzler des Deutschen Reichs Meinung, der Moment, wo die österreichische ihr bedingungslos bediente sich der , ,Presse", um eine scharfe Kritik an der folgen mußte, um an den Früchten des Sieges teilzuhaben. Regierung Wilhelms II. laut werden zu lassen - desselben Dieser Gedanke drängte vier Jahre lang in der „Presse" jede Wilhelm, dem die „Presse" später jeden nur möglichen Propa­ andere Erwägung in den Hintergrund. Sie war nun kaum mehr gandadienst erwies. Bismarck fand Gefallen an dem Mann, der von einem alldeutschen Blatt zu unterscheiden. Nicht nur wurde ihn interviewte, was er durch den Scherz ausdrückte: ,,Bene­ der Bundesgenosse mit Lob überschüttet; beging er ein Spezial­ dictus bene dixit." verbrechen, war noch ein Speziallob bereit. Deutschland überfiel Und doch war Benedikt kein Journalist hohen Ranges. das kleine neutrale Belgien, Lüttich wurde erobert. Benedikt Es fehlten ihm dazu die Charaktereigenschaften. Seine Tätigkeit schrieb: ließ keinen ethischen Impuls spüren. Seine Härte, Herrschsucht, Habsucht waren in Wien sprichwörtlich. Den Angestellten ., ... Wie sich heute ganz Wien freute, als diese Nachricht kam, ist kaum zu sagen; einer berichtete es dem anderen und alle hatten das Gefühl, das der „Presse" gegenüber war er der ärgste Tyrann. Von seinen deutsche Volk ist noch dasselbe, das einst nach Frankreich zog, um sich das nächsten Mitarbeitern wurde er gehaßt und gefürchtet. Recht auf Einigung mit dem Schwerte zu erkämpfen. Die lange Friedenszeit, Weiters wies seine journalistische Begabung einen sehr der wachsende Reichtum und die Richtung zum Handel und Verkehr hat die sichtbaren Mangel auf: sein Leitartikelstil verschmolz das Willensfähigkeit nicht geschwächt und die Muskeln und die Nerven nicht Pathos des Liberalismus und das Pathos des Oberrabbiners verweichlicht. Ein Gefühl der Jugend strömt durch die Älteren, die sich noch an die glorreichen Augusttage vor mehr als vierzig Jahren erinnern und jetzt zu einer grotesken Einheit. Als Karl Kraus es sich in der , ,Fackel" spüren, daß die Sprungfedern der deutschen Armee nicht minder kräftig (ab 1899) zur Aufgabe machte, Benedikts Schreibweise zu ver­ sind als damals und daß die friedlichste aller Nationen, wenn sie durch den höhnen und zu diskreditieren, fand er in der jüngeren Intelligenz Neid und die Bosheit der Feinde bis zum hellen Zorn aufgepeitscht wird, sich jubelnden Beifall. wie eine Naturkraft vorwärtsbewegt und immer vorwärts, bis der Sieg errungen ist ... Diese glorreiche Tat sagt uns etwas, das wie eine Verheißung auf uns Die Polemik, die von vielen Seiten, insbesondere auch von wirkt . . . Das hätte der alte Moltke nicht besser aussinnen können ... "* katholischer und sozialistischer Seite, gegen die „Presse" gerichtet wurde, vermochte nicht zu hindern, daß sie eine der In dieser Art ging es vier Jahre lang: als Zeppeline London wichtigsten politischen Instanzen des Landes blieb. Das war bombardierten, als die „Lusitania" versenkt wurde, als der für das österreichische Volk ein Unglück. Von seltenen Aus­ nahmsfällen abgesehen, nahm die „Presse" zu den politischen * ,,N. Fr. Pr." vom 8. August 1914. 24 Liberalismus Carl Mengers Grenznutzenlehre 25

Friede von Brest-Litowsk diktiert wurde. Im März r9r8 war Deutschösterreicher gegenüber den Slawen usw. werden prak­ es klar genug, daß die Niederlage der Mittelmächte bevorstand. tische Konsequenzen abgeleitet. Das ist alles. Hingegen zeigt Die Deutschen glaubten, sie dadurch abwehren zu können, sich bei den Autoren, deren Aufmerksamkeit auf wirtschaftliche daß sie mit einer neu konstruierten Riesenkanone aus einer Probleme gerichtet ist, eine starke Neigung zu abstrakter Entfernung von 120 km die Zivilbevölkerung von Paris be­ Reflexion. In der „Grenznutzenlehre" haben sie eine der schwie­ schossen. Die „Presse" kommentierte: rigsten Doktrinen der modernen Literatur, und nicht nur der nationalökonomischen, geschaffen. „Die Wirkung der großen Kanone wird in Paris geheimgehalten. Wir Die Grenznutzenlehre wurde in Österreich von Carl Menger können nur aus einzelnen Mitteilungen schließen, daß sie einen sehr starken Rückschlag auf die Stimmung hatte. Die Bewohner von Paris sind am ersten (r840-r92r) begründet. Er entwickelte sie zuerst in seinen Tage der Beschießung in die Keller geflüchtet. Eine Schule wird im Keller ,,Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre", die r87r erschienen. abgehalten ... Auch der Geldmarkt wurde in den Keller verlegt ... Als die Ungefähr gleichzeitig mit ihm, und unabhängig von ihm, Bewohner von Paris sich überzeugt hatten, daß die Bomben nicht von Fliegern, legte ein französischer Nationalökonom, Leon Walras, und ein sondern von einer fernen Kanone herrühren, war es natürlich, daß sich Furcht englischer, W. St. Jevons, ganz ähnliche Anschauungen dar. in der Stadt ausbreitete ... Aber diese Kanone hat noch etwas Besonderes. Der Gegner, der immer als Barbar geschildert wird, zeigt plötzlich ein tech­ Die neue Dokh"in wurde vor allem in unserem Land mit Energie nisches Leistungsvermögen, das alle bisherigen Vorstellungen von der Macht weitergebildet. Deshalb ist sie gemeinhin als Doktrin der „Öster­ des Menschen über die Natur ändert und beinahe umwirft. Die deutsche reichischen Schule" bekannt. Die hervorragendsten unter Wissenschaft und die deutsche Industrie haben sich bei dieser Überraschung . Mengers unmittelbaren Nachfolgern waren Friedrich v. Wieser der Feinde zu gemeinsamer Leistung vereinigt;- Diese Kräfte müssen auf die Meinung, welche die Franzosen von ihren Gegnern haben, zurückwirken. (r85r-r926) und Eugen v. Böhm-Bawerk (1851-1914). Ein Die Kanone ist vielleicht psychologisch im jetzigen Feldzug wichtiger als guter Systematiker erwuchs der Richtung in Eugen v. Phi­ militärisch. In künftigen Zeiten kann ihr noch höhere Bedeutung vorbehalten lippovich (1858-1917). Alle drei Forscher wirkten, gleich bleiben•." Menger, als Professoren an der Wiener Universität. Von den Achtzigerjahren an fand die Grenznutzenlehre wachsende inter­ Man möchte es nicht für möglich halten: Benedikt glaubte, nationale Beachtung. Sie wurde zum größeren oder geringeren die Riesenkanone - der Vorläufer von V 1 und V 2 1 - werde den Teil in Italien von M. Pantaleoni, L. Cassa, G. Mazzola über­ Deutschen helfen, den Ruf des Barbarentums loszuwerden. Es nommen, in Holland von N. G. Pierson, in Frankreich von fehlte nicht viel, und er hätte durch seine Hemmungslosigkeit Ch. Gide, M. Block, in Amerika von S. N. Patten, J. B. Clark. den Österreichern denselben Ruf verschafft. Was in den lite­ Auch heute hat sie Vertreter in den meisten Ländern. Die Lite­ rarischen und wissenschaftlichen Spalten der „Neuen Freien ratur, die sich mit ihr befaßt, zum Teil allerdings eine polemische Presse" zu lesen war, kann das, was in den politischen Spalten Literatur, ist zu gewaltigem Umfang angeschwollen. stand, nicht vergessen machen. Im Gegenteil ist festzustellen, Die Entstehung der österreichischen Doktrin hängt eng daß hier Kunst und Wissenschaft als Aushängeschild für tief mit der eigenartigen Situation zusammen, in die die National­ antikulturelle Bestrebungen mißbraucht wurden. 10 ökonomie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts dank dem Auf­ Wie aus allem Gesagten erhellt, sind die Gedankengänge treten von Marx geraten war. Man kann die Doktrin nur be­ der liberalen Schriftsteller, welche die nationale Frage behandeln, greifen und würdigen, wenn man von dieser wissenschafts­ von einfacher Art. Aus der Annahme der Höherwertigkeit der geschichtlichen Situation eine Vorstellung hat. Die besten unter den Schriftstellern, die sich vom Ausgang • .,N. Fr. Pr." vom 26. März 1918. des 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts mit wirtschaft- 1 �F - 26 Liberalismus Carl Mengers Grenznutzenlehre 27 1, liehen Dingen beschäftigten, werden als die „Klassiker" der die den Interessen der unteren Volksschichten entsprachen, Nationalökonomie bezeichnet. Was diese Autoren geben, ist so taten sie es auch mit der ökonomischen Doktrin des Liberalis­ eine Analyse des Systems, das sich vor ihren Augen entfaltete, mus. Karl Marx zeigte gerade von der Arbeitswertlehre her die des Kapitalismus. Für sie alle ist der Begriff des Tauschwertes innere Struktur des Kapitalismus: der Güter, des Wertes, den die Ware im wirtschaftlichen Ver­ kehr hat, von grundlegender Bedeutung. Mit steigender Klarheit Der Arbeiter, der selbst keine Produktionsmittel (Rohstoffe, Maschinen etc.) besitzt, verkauft dem Unternehmer seine Arbeitskraft. Indem er für den Unter­ II behaupten sie, daß der Wert bestimmt ist durch die Menge nehmer arbeitet, setzt er dessen Rohstoffen ein bestimmtes Quantum an menschlicher Arbeit, die in der betreffenden Ware steckt.* Wert zu. Der Lohn, den er für seine Arbeit bekommt, ermöglicht ihm die Erhaltung, Erneuerung, die tägliche „Reproduktion" seiner Arbeitskraft. So sagt Adam Smith: Aber er ist geringer als der Wert, den die Arbeitskraft in ihrer Betätigung am Rohmaterial des Unternehmers hervorbringt. Die Differenz - der „Mehr­ „Der wahre Wert oder Realpreis eines Dinges, dasjenige nämlich, was wert" - fließt dem Unternehmer zu, bildet seinen Gewinn. ein Ding den, der es sich verschaffen will, wirklich kostet, ist die zu seiner Beschaffung erforderliche Mühe und Beschwerde. Was ein Ding demjenigen, Durch diesen Gedankengang enthüllte Marx den ausbeute­ der es sich verschafft hat und darüber verfügen oder es gegen etwas anderes rischen Charakter der kapitalistischen Ordnung, die es dem vertauschen will, wirklich wert ist, das ist die Mühe und Beschwerde, welche Kapitalisten erlaubt, sich durch Beschäftigung von Lohnarbei­ er sich dadurch ersparen und dafür anderen Leuten aufhalsen kann."** tern zu bereichern. Die nationalökonomische Theorie, vormals II: Ricardo führt diese Sätze in seinem Hauptwerk im Wortlaut eine der wichtigsten Waffen der Bourgeoisie im Kampf gegen den Feudalismus, verwandelte sich in den Händen des sozia­ 11 an, um sie als integrierenden Bestandteil in seine Lehre zu 1 übernehmen.***Die beiden Denker ziehen aus ihren theoretischen listischen Philosophen in eine ideologische Waffe gegen die Einsichten den Schluß, daß dem Kapitalismus jede nur mögliche Bourgeoisie. Freiheit der Entwicklung gestattet werden soll, d. h. sie for­ Wäre die Entwicklung der Wissenschaften nur vom mensch­ mulieren das Programm des wirtschaftlichen Liberalismus. lichen Wissenstrieb bestimmt, so hätten nach dem Erscheinen Nun sind aber auch Smith und Ricardo trotz dem Tiefblick, des Marxschen „Kapital", nach 1867, alle Nationalökonomen der sie auszeichnet, in einem Punkt nicht völlig konsequent. Sozialisten werden müssen. Die klassische Wertlehre voraus­ Die Lehre von der wertbildenden Funktion der Arbeit wird gesetzt, war Marx nicht zu widerlegen, und die Voraussetzung 1 1 von ihnen nicht bis zu Ende durchgedacht. Ricardo geht in war auch nicht zu widerlegen. Doch verdanken wir dem Ver­ dieser Richtung wesentlich weiter als Smith, macht aber doch fasser des „Kapital" auch Belehrung darüber, daß das wissen­ II ein paar Schritte vor dem Ziel halt. Wo die Klassiker aufhörten, schaftliche Denken sehr wesentlich durch nichtrationale Fak­ dort setzten um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Sozialisten toren beeinflußt wird. Es folgt willig den Wünschen und Befürch­ fort. So wie sie die politischen Ideen des Liberalismus, die tungen, die in dem einzelnen Forscher kraft seiner sozialen Freiheits-, die Gleichheitsidee bis zu Folgesätzen weiterführten, Herkunft und Lage lebendig sind. So vermied die National­ ökonomie den Übergang auf eine Position, die von den meisten .1 1 * K. Marx, ,,Zur Kritik der politischen Ökonomie", 1859, 2. Neuausgabe ihrer Repräsentanten politisch abgelehnt wurde. Sie suchte 1 von K. Kautsky, 1907. nach neuen Wegen, die auf die eine oder andere Art am Sozialis­ ** A. Smith, ,,Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth mus vorbeiführten, und sie fand solche Wege. Zum Beispiel er­ of Nations", 1776, 1. Bd., 1. Buch, 5. Kap. klärte eine starke Gruppe deutscher Professoren, die„Historische *** D. Ricardo, ,,Principles of Political Economy and Taxation", 1817, Kap. 1, Abschn. 1, Paragr. 6. Schule", daß alle Theorie prinzipiell sinnlos und daß nur die II .II

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! 28 Liberalismus C arl Mengers Grenznutzenlehre 29 1 1 Untersuchung konkreter wirtschaftlicher Einrichtungen zu „Der Zuwachs an Wohlbehagen, der mit der Verfügung über weitere bestimmter Zeit, an bestimmtem Ort von Nutzen sei; das Quantitäten ... der Nahrungsmittel verbunden ist, wird mit jeder neu hinzu­ tretenden Menge geringer. Das bedeutet aber nichts anderes, als daß auch gesammelte Tatsachenmaterial könne dann die Grundlage für der Nutzen der einzelnen Teilmengen für uns geringer wird. Wenn unser vorsichtige Reformen abgeben. Hiedurch wurde der Feind Bedarf an Lebensmitteln, an Kleidung usw. bis zu einem bestimmten Grad nicht geschlagen, aber erfolgreich umgangen. gesättigt ist, sind die Bedürfnisregungen, welche unsere Nachfrage auf diese Anders verlief der Weg, den die österreichischen Professoren Güter gelenkt haben, nicht mehr so stark wie die anderen Bedürfnisse, die beschritten. Sie akzeptierten das deduktive Verfahren der auf andere, der Gattung nach minder wichtige Dinge gerichtet sind. Die konkrete Nützlichkeit dieser Dinge, z.B. Tabak, Alkohol, Vergnügungen, ist Klassiker und der Sozialisten, aber sie zerstörten deren Wert­ jetzt größer als die Nützlichkeit weiterer Teilmengen der oben genannten theorie, so gut sie es vermochten, und ersetzten sie durch eine Güter."* Von hier führt schon ein kleiner Schritt zum Verständnis dessen, Auffassung, aus der sich das diametrale Gegenteil deduzieren was mit Grenznutzen gemeint ist. ließ. Gegen die Historiker erhoben die Grenznutzenlehrer den Durch den geschilderten Sachverhalt wird nämlich, so hören wir, unser 1: Vorwurf methodischer Verwirrung. Werturteil über die Güter bestimmt. Für den Wert, den wir einer bestimmten Teilquantität eines Gütervorrats beimessen, ist der Nutzen entscheidend, l,i1 der von ihr abhängt. Der Landwirt, der Weizenvorräte angesammelt hat, Was ist der Grenznutzen? Das in wenigen Worten zu sagen, ist nicht laicht, mit denen er bis zur nächsten Ernte auskommen muß, wird, da sein Bedarf aber wir wollen es versuchen. Die Arbeitswertlehre ist eine „objektive" Lehre: für Ernährung, für Viehfutter, für Saatgut usw. von der Menge verfügbaren sie führt den Waren-Wert auf eine objektiv feststellbare, meßbare Größe Weizens abhängt, von der gesamten Menge die Befriedigung aller jener Bedürf­ zurück, eben auf das Quantum Arbeit, das in der Ware drin steckt. Dem­ nisse abhängig finden. Ihr Gesamtnutzen wird gleich sein der Summierung gegenüber betont die „Österreichische Schule" den_ subjektiven, psycholo­ des Nutzens aller Teilquantitäten, die für Ernährung, Viehfutter, Saatgut usw. gischen Charakter des wirtschaftlichen Wertes. Der Wert ist „ein Urteil, benötigt werden. Anders, wenn man die Teilmengen betrachtet. Jeder ver­ r welches die wirtschaftenden Menschen über die Bedeutung der in ihrer Ver­ nünftige Mensch stellt aus einem Gütervorrat zuerst die wichtigsten Bedürf­ fügung befindlichen Güter für die Aufrechterhaltung ihres Lebens und ihrer nisse sicher, dann immer weniger wichtige Bedürfnisse. Denken wir uns den 1 Wohlfahrt fällen, und demnach außerhalb des Bewußtseins derselben nicht Vorrat an Weizen um eine Teilquantität vermehrt, so würde mittels dieser vorhanden."* ,.Wirtschaftlicher Wert ist... die Bedeutung, die wir den neu hinzukommenden Teilquantität schon ein weniger wichtiges Bedürfnis Gütern (im weitesten Sinn) beilegen mit Rücksicht darauf, daß wir eine Wohl­ gesichert werden als die früher aufgezählten, d. h. daß der Nutzen neu hinzu­ II fahrtsförderung von ihnen abhängig wissen."** Wohl ist es richtig, daß die kommender Teilquantitäten immer mehr sinkt, während der des ganzen 1 wirtschaftlichen Güter einen objektiven Tauschwert, nämlich die Fähigkeit. Vorrates einen, allerdings abnehmenden, Zuwachs aufweist. haben, sich im Verkehr gegen eine bestimmte Menge anderer Güter, ins­ Fragen wir nun, wie hoch jener Landwirt eine Teilquantität, z. B. 100 Kilo besondere gegen eine Menge Geldes, auszutauschen. Aber die Grundlage auch Weizen, werten wird, so wird dies von der Zahl und Größe der Bedürfnisse des Tauschwertes ist die subjektive Wertschätzung, welche die Wirtschaftenden und der Menge des Weizens abhängen. Bewerten wir das stärkste Bedürfnis II dem Gut gegenüber vollziehen. Wonach richten wir uns nun bei der Bewertung beispielsweise mit 10 unu nehmen wir an, daß das schwächste der Bedürfnisse " der Güter, wovon hängt es ab, ob wir einem Gut höheren oder geringeren Wert den zehnten Teil so stark, also mit I zu bewerten ist. Sind 10 Teilquantitäten zuschreiben? Die Menger-Schule antwortet: das hängt von der Nützlichkeit des zur Befriedigung nötigen Ausmaßes vorhanden, so wird von der Verfügung des Gutes ab. Entscheidend ist nicht die Nützlichkeit, die das Gut „als solches" über eine Teilquantität nur die Befriedigung des geringsten, an der Grenze haben mag, sondern die einer bestimmten Quantität des Gutes, die unter der der Bedürfnisskala stehenden Bedürfnisses abhängen. Der Nutzen, den diese Voraussetzung eines bestimmten Bedürfnisstandes geprüft werden soll. Zum Teilquantität gewährt, ist der „Grenznutzen". Dieser wird für die Bewertung ,, Beispiel sind Nahrungsmittel „als solche" sehr nützlich. Hat aber ein Wirt­ der Teilmenge des Gütervorrates maßgebend sein. Da die Teilmengen unter­ i1 schaftender eine große Menge von Nahrungsmitteln in seinem Besitz, so einander an Art und Größe gleich sind, wird, wenn eine Einheit verwendet nimmt der Nutzen ab. werden soll, nicht auf die Befriedigung der wichtigeren Bedürfnisse verzichtet II werden, sondern jenes bleibt unbefriedigt, das unter allen durch den Vorrat li * C. Menger, ,.Grundsätze der Volkswirtschaftslehre", 1871, S. 86. gedeckten den geringsten Nutzen hatte. Daraus folgt die Regel, daß bei gege- ** E. v. Philippovich, ,.Grundriß der politischen Ökonomie", 1. Bd.: ,.Allgemeine Volkswirtschaftslehre", 14. Aufl., 1919, S. 242. * E. v. Philippovich, a. a. 0., S. 248.

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30 Liberalismus Böhm-Bawerks Lehre vom Unternehmergewinn 31

benem Gütervorrat und gegebenen Bedürfnissen das Maß des Wertes der kes „Kapital und Kapitalzins"* eine Geschichte der Doktrinen, Gutseinheit bestimmt wird durch den Nutzen, den die letzte verfügbare Teil­ die sich mit dem Unternehmergewinn beschäftigt haben (I. Bd. quantität der Güter gewährt. Da dieser Nutzen der Grenznutzen genannt wurde, ergibt sich die Formulierung, daß sich der Wert des Gütervorrates „Geschichte und Kritik der Kapitalzinstheorien"). Er findet nach dem Grenznutzen richtet.* sie samt und sonders unb,,effiedigend. Der zweite Band des Hiedurch ist freilich vorerst nur der subjektive Wert erklärt, nicht der Werkes heißt „Positive Thebrie des Kapitals". In der „Positiven objektive Tauschwert. Aber die „Österreichische Schule" sieht, wie schon Theorie" wird zunächst die Mengersche Wertlehre nochmals erwähnt, in jenem den Ursprung auch dieses. Verschiedene Wirtschaftende mit viel Sorgfalt entwickelt. Hierauf wendet sich Böhm-Bawerk werden ein und dasselbe Gut subjektiv verschieden einschätzen. Auf dem Markt treffen alle, die an diesem Gut - sei es als Verkäufer oder als Käufer - dem eigentlichen Problem zu: Woher kommt der Unternehmer­ interessiert sind, zusammen. Aus den diversen subjektiven Bewertungen gewinn? Die Auskunft, die er uns erteilt, ist kurz und simpel: bildet sich auf dem Markt nach einem Kalkül, den Menger genau angibt, eine Art Durchschnitt: eben der objektive Wert.u Nach einem allgemeinen wirtschaftlichen Gesetz haben gegenwärtige Jedem, der sich die Idee des Grenznutzens anzueignen versucht, wird Güter einen höheren Grenznutzen und daher Wert als künftige. Das Geschäft sich eine Reihe von Fragen aufdrängen. Zum Beispiel: Besteht ein prinzivieller des Unternehmers ist es, gegenwärtige Güter für zukünftige hinzugeben, Unterschied zwischen der Bewertung von Konsummitteln (,,Gütern niederer folglich ist eine Differenz da, die in seine Tasche geht. Ordnung", wie Menger sie nennt) und von Produktionsmitteln (,,Gütern Natürlich muß Böhm-Bawerk, um diese Ansicht zu erhärten, höherer Ordnung")? Die Wiener Schule sagt: Nein. Es besteht kein Unter­ schied. Eine Produktivmittelgruppe, aus der das Konsumgut A erzeugt die Wertdifferenz der gegenwärtigen und der zukünftigen werden kann, ist so viel wert, wie der Grenznutzen von A beträgt. Die zur Güter begründen. Er nennt mehrere Gründe, unter denen der Produktion nötige Arbeit ist auch als eines der Produktivmittel zu betrachten. · ausschlaggebende der ist: l'I 1 Beispiel: Wenn ein Quantum Mehl, ein Quantum Heizmittel und ein Quantum Arbeit hinreichen, um 10 Laib Brot zu backen, dann haben Mehl, Heizmittel Wer ein Gegenwartsgut besitzt, kann einen längeren „Produktionsumweg" 1·: und Arbeit zusammen einen Wert, der dem Grenznutzen der 10 Laib Brot einschlagen und sich so für die Zukunft größeren Besitz sichern. Die technische 11 gleich ist.*** Erfahrung lehrt, daß, wer auf rasche Umwandlung eines Produktivgutes in ein Konsumgut verzichtet und eine langwierige Produktionsmethode wählt, II Weitere sich aufdrängende Fragen wollen wir nicht nennen, durch reichen Ertrag belohnt wird. ,,Produktionsumwege sind ergiebig**." Offenbar kann ich mit einem zukünftigen Gut, mit einem, das mir erst in einem I da wir, was Mengers Anhänger dazu zu sagen haben, hier nicht Jahr zur Verfügung stehen wird, nicht heute schon einen Produktionsumweg rekapitulieren können. Wir müßten sonst Druckbogen um Druck­ beginnen. Darum schätzt man ganz allgemein zukünftige Güter weniger hoch II bogen füllen. Es ist für uns auch nicht sehr wichtig zu wissen, als gegenwärtige der gleichen Art und Zahl.*** wie die Schule ihren Grundbegriff erläutert, wie sie Schwierig­ Ferner muß Böhm-Bawerk zeigen, daß wirklich das Wesen l keiten, die aus ihm erfließen, überwindet. Von viel größerem kapitalistischen Unternehmertums in dem Tausch von gegen­ Interesse ist es, zu sehen, welcher Gebrauch von dem Begriff wärtigen für künftige Güter gelegen ist. Ist auch das bewiesen, des Grenznutzens dort gemacht wird, wo es gilt, die Kardinal­ so ergibt sich das weitere rein deduktiv. fragen der Nationalökonomie zu lösen. Ein Beispiel bietet Böhm-Bawerks Lehre vom Unternehmergewinn. Diese Lehre * Das Werk erschien zuerst 1884-88. Die dritte, wesentlich erweiterte wollen wir im Umriß behandeln. Auflage, nach der hier zitiert ist, wurde 1909-14 publiziert. Über Böhm­ 1 Bawerk und seine Anschauungen vgl. St. Grabski: ,.Böhm-Bawerk als Böhm-Ba werk gibt im ersten Band seines großangelegten Wer- 1 �1:! Kritiker Karl Marxens" in „Deutsche Worte", XV. Jahrgang, 1895, S. 149 ff.; 1 R. Hilferding:-,,Böhm-Bawerks Marx-Kritik" in „Marx-Studien", I. Bd„ • E. v. Philippovich, a. a. 0., S. 248; vgl. C. Menger, a. a. 0., S. 98ff. 1904, S. 1-6I. I; ff. I' ** C. Menger, a. a. 0., S. 172ff. ** E. v. Böhm-Bawerk, ,,Positive Theorie etc.", S. I5 '1, *** C. Menger, a. a. 0., S. 123ff. *** Ebenda, S. 453 ff., 521 ff. 1 I!

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II l Kritik der Grenznutzenlehre 33 32 Liberalismus Damit wollen wir die Betrachtung der Grenznutzenlehre Lassen wir den Autor selbst sprechen. Die Tätigkeit der abschließen. Ihre Inkonsequenzen, Undeutlichkeiten, Wider­ Unternehmer sieht folgendermaßen aus: sprüche können hier nicht erörtert werden. Dazu wäre eine Detailuntersuchung notwendig. Aber für ein paar allgemeine Arbeitsleistungen Anmerkungen ist die Grundlage vorhanden. ,.Sie kaufen Güter entfernterer Ordnung, Produktionsmittel wie Rohstoffe, Werkzeuge, Maschinen, Bodennutzungen und hauptsächlich I. Die Lehre ist nicht, wie ihre Anhänger gern sagen, unpoli­ ein und setzen sie durch den Produktionsprozeß,profit', in Güter erster Ordnung, in tisch, sondern hat ein politisch eindeutiges Vorzeichen. Sie genußreife Produkte um. Dabei fällt für sie. . . ein ... Wertgewinn ab, der versucht eine Rechtfertigung der kapitalistischen Ordnung. ,ursprüngliche Kapitalzins' oder wie ihn die einen, der ,Mehrwert', 2. Dieser Versuch wird mittels des Begriffes „Grenznutzen" wie ihn die anderen nennen. Wie ist dieser Gewinn zu erklären ? unternommen, der der ganzen Anschauung nicht nur den Ich muß die Erklärung mit der Feststellung einerZukunftsware. wichtigen Tatsache Namen gibt, sondern im logischen Sinn ihr Hauptbegriff ist. einleiten. Die Güter entfernterer Ordnung sind nämlich, obschon sie körperlich 3. Im Konzept des Grenznutzens liegt auch die große gegenwärtig sind, ihrer wirtschaftlichen Natur nach Sie sind Schwäche der Lehre. Die Wiener Professoren sehen im Grenz­ in ihrem gegenwärtigen Zustand zur Bedürfnisbefriedigung untauglich ... nutzen eine Art Zaubermittel zur Neugestaltung der National­ Wir schätzen, wie wir wissen, Güter entfernterer Ordnung überhaupt nach dem Grenznutzen und Wert ihres genußreifen Schlußprodukts: Die Produktiv­ ökonomie. Aber es ist eine seltsame Wissenschaft, die auf mittelgruppe, aus der wir 100 Zentner Getreide erlangen, hat für unsere Bedürfnis­künftige diese Weise entsteht. Die Klassiker und die Marxisten unter­ befriedigung genau dieselbe Bedeutung wie die 100 Zentner Getreide, in die sie suchen objektive Verhältnisse. Sie untersuchen die Beziehung sich verwandelt. Aber diese 100 Zentner ... sind einstweilen noch Daraus zwischen der unanzweif elbaren Quelle alles gesellschaftlichen folgt,100 Zentner,daß auch und die Produktivmittel,künftige Güter wennsind .man. . weniger sie gegen wert gegenwärtige als gegenwärtige: Güter ab­ Reichtums: der Arbeit und den diversen wirtschaftlichen schätzt,100 künftige einer Zentner geringeren sind alsalso derjenigenz.B. nur so Stückzahl viel wert alsgenußreifer 95 gegenwärtige. Schlußprodukte gleichwertig befunden werden, welche man aus ihnen erzeugen kann. Phänomenen, insbesondere auch der Einkommensverteilung. Die .,österreichische Schule" hingegen studiert seelische Haltungen. nächstjährigen, Unsere Deduktionen aus psychologischen Sätzen sind notwendig Produktivmittelgruppe, gegenwärtigendie in einem Jahr 100 Zentner Getreide ergibt, ist wieder psychologische Sätze. So läuft Böhm-Bawerks Erklärung in ihrem Wert gleich 100 Zentner aber ebenso wie diese selbst nur Arbeit,gleich 95 Zentner Getreides . . . Dies und nichts anderes des Kapitalzinses nicht etwa zufällig, sondern notwendig· auf ist der Grund des ,billigen' Einkaufes von Produktivmitteln und insbesondere eine psychologische Behauptung hinaus: auf die Behauptung, von den die Sozialisten Init Recht für die Quelle des Kapitalgewinnes, daß die meisten Menschen glauben, die existierende Einkommens­ aber mit Unrecht rundweg für die Frucht einer Ausbeutung der Arbeiter durch diskrepanz zwischen Kapitalisten und Arbeitern sei in den Lei­ die Besitzenden erklären. Der Einkauf ist nicht so billig, als er scheint. Der Anschein der Billigkeit kommt zumeist daher, daß man den Preis an einem stungen der beiden Teile begründet. Stünde die „elementare anderen Maßstab mißt als die Ware ... Die Produktivmittel, bzw. ihr Erträgnis, Tatsache der menschlichen Natur", die sich in solchem Wert­ auf das man es ja bei ihrem Kauf abgesehen hat, sind Zukunftsware; und

* Ebenda, S. 502 ff. 3 Fuchs, Geistige Strömungen 34 Liberalismus Die liberale „Opposition" 35 führt. Im Grunde war es eine Wendung in die idealistische Standpunkt läßt Raum für ein Zugeständnis: ihre besten Ver- Metaphysik. Sie hat sich in der Ökonomie so verhängnisvoll . treter, vor allem die drei Erzväter Menger, Wieser, Böhm-Ba werk, erwiesen wie in anderen Disziplinen. waren in ihrer Art originelle und fruchtbare Denker. Uber den Mengers These, daß der Wert „ein Urteil wirtschaftender Durchschnitt des Universitätsbetriebes ragten sie unüber­ Menschen" und „außerhalb des Bewußtseins derselben nicht sehbar hervor. Sie besaßen umfassende Kenntnisse, hohen for­ vorhanden" sei, erinnert lebhaft an die andere These, daß der malen Scharfsinn, außergewöhnliches Geschick in der Anordnung Baum vor meinem Fenster und meine Wahrnehmungdes Baumes von Fakten, im Vortrag von Raisonnements. Sie waren nicht identisch sei (sodaß der Baum außerhalb meines Bewußtseins nur klare Schriftsteller, sondern auch klare, fesselnde Sprecher, nicht vorhanden wäre). Natürlich hat Menger damit recht, daß vortreffliche Lehrer. So konnten sie eine zahlreiche Schule an keiner Ware der Wert mittels chemischer Untersuchung als heranziehen, so gaben sie vielen Studenten, die sich nachmals physisch existent erwiesen werden kann. Aber daß 2 Stück der ganz anderen Anschauungen zuwandten, die erste Anregung zu Ware Aso viel Wert besitzen wie 4 Stück der Ware B, bedeutet nationalökonomischem Denken. 12 nichts anderes, als daß in 2 Aso viel menschliche Arbeit steckt wie in 4 B. Und das ist eine objektive Tatsache, vom mensch­ Schon mehrmals in unserer Darstellung, und soeben erst lichen Bewußtsein so unabhängig wie der Baum vor meinem wieder, sind wir auf die Tatsache gestoßen, daß Liberale, Haus. Mengers Formulierungen lassen keinen Zweifel, daß er deren Tätigkeit nichts Fortschrittliches an sich hatte, persönlich von der „positivistischen" Version der idealistischen Erkenntnis­ ein sehr beachtliches Niveau hielten. Doch hatte das liberale lehre beeinflußt war - wie fast die ganze intellektuelle Gene­ Bürgertum in den letzten Jahrzehnten der Monarchie sogar ration, der er entstammte. Es wäre der Mühe wert, zu unter­ noch bessere Männer. Wir haben bisher nur von der Richtung suchen, ob es sich um den Einfluß Ernst Machs handelt oder gesprochen, die innerhalb dieser Schicht die herrschende war. ob Menger aus älteren Schriftstellern, unter denen vor allem Es bestand . aber auch eine Opposition. Sie war sich ihres Comte in Betracht käme, geschöpft hat. Charakters als Opposition nicht immer bewußt, war völlig un­ Die grundlegenden Bücher der „Österreichischen Schule" organisiert, die Grenzen zwischen ihr und der herrschenden gehen von der kapitalistischen Ordnung aus, wie sie sich in der Gruppe verwischten sich unaufhörlich. Und doch ist sicher, vorimperialistischen Epoche darstellte. Begreiflich, denn sie daß sie existierte. Wir denken nicht so sehr an die Leute, die wurden an der Schwelle des imperialistischen Zeitalters oder den vom Liberalismus auf sozialem Gebiet eingehaltenen sogar noch etwas früher geschrieben. Doch konnte es nicht Kurs mißbilligten. Diese entwickelten die „radikale" 13 Doktrin, ausbleiben, daß die Schule zu den Problemen des 20. Jahr­ eine Anschauung, die einige Selbständigkeit und Geschlossenheit hunderts, besonders zu den durch die Monopole geschaffenen besitzt, wenn sich auch im einzelnen Fall nicht immer leicht Problemen, ebenfalls Stellung nahm. Sie zeigte gegenüber den entscheiden läßt, ob einer radikal oder liberal gesinnt ist. mancherlei Vorschlägen, die Macht der Monopole zu beschränken, (Ein Beispiel, wie schwer die Entscheidung sein kann, bietet keine prinzipiell ablehnende Haltung. Erst die zweite Generation Philippovich. Ihm lagen soziale Reformen am Herzen und er der Grenznutzenlehre, die heute lebende, tendiert dazu, den gründete, um sie durchzusetzen, die „Sozialpolitische Partei", Liberalismus bis zum Extrem der absoluten Reformfeindlich­ die 1896 bei den Landtagswahlen eine gewisse Stimmenzahl keit weiterzutreiben. erreichte. Er war aber nicht nur Reformer, sondern bekannte Auch eine entschiedene Ablehnung der „Österreichischen sich, wie wir wissen, zugleich zu dem nationalökonomischen Schule" vom politischen und vom erkenntnistheoretischen Kredo der Menger-Schule, die, durchaus der herrschenden

a• 36 Liberalismus Die liberale „Opposition" und ihre Vertreter 37

liberalen Richtung verbunden, Reformen nur eben tolerierte.) schrieb ,Das österreichische Staats- und Reichsproblem' (1. Bd. 1920, 2. Bd. Wir denken an eine andere Art von Unzufriedenen, die seltener, . 1926), eine Geschichte der österreichischen Innenpolitik von 1848 an. Weitere aber doch nicht zu übersehen war: solche, die dem offiziellen Werke: ,Das Wesen der österreichischen Communalverfassung' (1910); ,The _Common Law and the Case method in American University Law Schools' (1914); Kurs in der nationalen Frage entgegenarbeiteten. Seit es eine ,Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkrieg' (englisch und deutsch, liberale Bewegung gab, gab es in ihrem Rahmen eine Richtung, 1925); eine Biographie ,Franz Josef von Österreich' (1928). Redlichs Haltung die diese Frage im Geist der Toleranz zu lösen wünschte. Merkbar war gewöhnlich eher die eines Forschers auf dem Gebiet der politischen Theorie trat der Toleranzgedanke um 1870 in Erscheinung, als Adolf und Praxis als die eines reinen Historikers, und seine Werke tendierten dazu, Fischhof und Johann N epomuk Berger die Umgestaltung einen größeren Umfang anzunehmen, als vom Standpunkt ihrer Lesbarkeit gut war; aber sie waren auf enzyklopädisches Wissen gegründet, das in der der Monarchie in eine Föderation verlangten. Der tapfere Arzt sorgfältigsten Form dargeboten wurde, und waren erschöpfend."* und der tapfere Advokat - die gescheitesten Politiker, die der Liberalismus je besaß - blieben isoliert; sie starben unbedankt Dazu zwei ergänzende Bemerkungen. Erstens: Redlich und unbelohnt, Berger in verhältnismäßig jungen Jahren, war in der Republik abermals Finanzminister, 1931, unter Fischhof hochbetagt.14 Aber ihre Ideen lebten in Jüngeren Buresch. Zweitens: die Feststellung der „Encyclopaedia Bri­ fort, lebten in ihnen wieder auf. Auch um und nach 1900 waren tannica", das Werk eines nichtenglischen Gelehrten über eng­ im liberalen Bürgertum Männer zu finden, die sich vom Typus lische Angelegenheiten sei „für den Forscher unentbehrlich", Friedjung oder gar Benedikt unterschieden. Ihre Stärke war, ist eine Anerkennung ungewöhnlicher Art. daß sie das Slawentum respektierten; das schärfte ihren Blick Die , ,Encyclopaedia" läßt eine dankenswerte Arbeit Redlichs für die Hauptfrage der Monarchie. Wirklichen Einfluß auf die unerwähnt: er hat die politischen Tagebücher seines Freundes Öffentlichkeit gewannen sie nicht, aber es wurde ihnen doch eine Josef Maria Baernrei ther herausgegeben und mit einer gewisse Beachtung zuteil. Eine Darstellung des Liberalismus, biographischen Einleitung versehen.** Baemreither (1845 bis die nicht auch einiger aus ihrer Reihe gedächte, wäre dem Vor­ 1925) stammte aus einer begüterten böhmischen Familie. Zuerst wurf der Einseitigkeit ausgesetzt. schlug er die juristische Laufbahn ein und arbeitete als Richter. Eine kurze Charakteristik Professor Josef Redlichs kann und Venvaltungsbeamter im Justizdienst. 1883 wurde er von der nicht besser erfolgen als durch Wiedergabe des Artikels, den die Kurie der Großgrundbesitzer in den böhmischen Landtag ,,Encyclopaedia Britannica" ihm widmet: gewählt, bald danach kam er ins Abgeordnetenhaus, 1907 wurde er ins Herrenhaus berufen. Zweimal hatte er Regierungs­ .,Josef Redlich (1869-1936), österreichischer Historiker und Politiker, geboren in Göding, Mähren ... Er studierte die Rechte und Geschichte in Wien, ressorts inne: er war unterThun Handelsminister, sodann während unternahm längere Reisen, vor allem nach England, und veröffentlichte 1901 des Weltkrieges Minister für soziale Verwaltung. Seine Lebens­ sein erstes Werk, ,Die englische Lokalverwaltung' (englische Ausgabe 1903). leistung erstreckt sich auf drei verschiedene Gebiete. Während Er wurde dann Professor an der Wiener Universität und vertrat bis 19n seinen seiner richterlichen Tätigkeit in den Siebzigerjahren lernte er Heimatort als Abgeordneter im Parlament. Sowohl im Parlament in Wien wie im mährischen Landtag tat er viel, um den Gedanken einer Verständigung das österreichische Zivilverfahren mit seinen vielerlei Mängeln zwischen Tschechen und Deutschösterreichern zu fördern. 1905 veröffentlichte kennen. Er erweiterte seine Sachkenntnis durch Studien im er ein zweites Buch über englische politische Verhältnisse: ,Recht und Technik Ausland. In einer Artikelserie, veröffentlicht in der „Allgemeinen des englischen Parlamentarismus' (englische Ausgabe unter dem Titel ,The Österreichischen Gerichtszeitung", stellte er die Prozeßprobleme procedure of the House of Commons', 3 Bde., 1908), ein Standardwerk über diesen Gegenstand und für den Forscher unentbehrlich. Während des Welt­ * .,Encyclopaedia Britannica", 14. Ausg., 19. Bd., S. 24. kriegs war er politisch tätig. 1918 wurde er zum Finanzminister im Kabinett u J. M. Baernreither, .,Fragmente eines politischen Tagebuchs". Heraus­ Lammasch ernannt. Dann zog er sich von der aktiven Politik zurück und gegeben und eingeleitet von Professor Josef Redlich, 1928. r -,,p- rl ;}:r·�•1· 39 38 Liberalismus Alfred Berger

h dar. Nachmals hatte er als Abgeordneter Gelegenheit, zur Alfred Bergers zu lesen. Von seinem Vater Jo ann Nepomuk h h h Reform des Zivilprozesses einen praktischen Beitrag zu geben. er atte Berger (r853-r9r2) versc iedene glänzende Gaben h Daß die Reformentwürfe Franz Kleins, dank denen Österreich geerbt. Er verfaßte mit zwanzig Ja ren ein kleines Drama, das am :1 h h auf diesem Feld eines der modernsten Länder wurde, durch alle aufgefü rt wurde, erwarb das Doktorat der Rec te c 1 parlamentarischen Ausschüsse und Lesungen wohlbehalten und und der Philosophie, später eine Professur an der philosophis hen h h verhältnismäßig schnell durchgingen,._war zu einem großen Teil Fakultät, versuc te sic als Lyriker und Novellist, gab gemein­ sein Verdienst. Baernreither war ferner ein hervorragender sam mit Carl Glossy die „Österreichische Rundschau" heraus r Sozialpolitiker. Schon seine Schrift über deutsche Agrarfragen und veröffentlichte daselbst und in anderen Blätte n eine statt­ h h i c (r882) fand Beifall. Nach längeren Forschungen an Ort und lic e Za l feiner Rezens onen und Plaudereien. In den A htziger­ h h Stelle ließ er r886 ein Werk folgen, das „Die englischen Arbeiter­ ja ren war er „artistischer Sekretär" des Burgt eaters, r899 h h h verbände und ihr Recht" behandelte und auch in englischer ging er als Leiter des Deutsc en Sc auspielhauses nac Hamburg, i c h Übersetzung erschien. Als er um r900 den parlamentarischen rgro wurde er als Burgtheaterd rektor na h Wien ge olt - auf 1 den Posten, den er lang und sehnlich gewünscht hatte. Der Betrieb immer trostloser versumpfen sah, intensivierte er seine hi h h sozialpolitischen Studien. Eine Reise nach den Vereinigten Tod ver nderte, daß er i n lange bekleidete. Wahrsc einlich hat h Staaten lieferte ihm das Material für das Buch „Jugendfürsorge Berger auf keinem der vielen Gebiete, um die er sic mühte, h h i und Strafrecht in Amerika" (r905). Es war ein schönes und Erstrangiges gesc affen. Doc war er eine geist ge Individualität h i rich 1 gründliches Buch und hatte bahnbrechende Bedeutung. Baern­ · von seltenem, dabei sehr österreic ischem Re z. Die sp ­ h h reither war auch die Seele des Kinderschutzkongresses, der r907 wörtlic e Wiener Liebenswürdigkeit vereinte er nic t nur mit Witz und Bildung, sondern auch mit einem klaren Verstand II in tagte. Mit der Leitung des Sozialministeriums betraut, schuf er r9r6/r7 einige der Grundlagen, auf denen nach dem und einem hohen Gerechtigkeitssinn. Sein Liberalismus war, 1 h ch Umsturz Hanusch weiterbaute. Schließlich wurde Baernreither gleic dem seines Vaters, wirklich liberal, er trug ni t das Brett während der Jahrzehnte seiner öffentlichen Wirksamkeit nicht des nationalen Dünkels vor der Stirn. Berger war froh darüber, ch ch II müde, die Annäherung zwischen den Deutschösterreichern und daß in seinen Adern außer deuts em au slawisches und ein wenig magyarisches und jüdisches Blut floß. Er sah in dieser Ir den Slawen zu betreiben. Die Geschicklichkeit und Takt­ h h h sicherheit, die er an den Tag legte, verschaffte ihm einen nicht Misc ung eine Bürgsc aft dafür, daß er „so recht der Race nac ch geringen Kredit auf slawischer Seite; so wurde z. B. sein ver­ Österrei er" sei.* Die Revue, an deren Redaktion er beteiligt war, h i mittelndes Eingreifen im Friedjung-Prozeß möglich. Daß er atte eine vernünftige Einstellung zu den Nat onalitäten, führte 1 h 1 kein Linksextremist war, geht schon daraus hervor, daß er mit deren literarisc e Leistungen den Lesern vor Augen usf. Wir den gemäßigten Deutschnationalen zusammenarbeitete, oder können an Berger lernen, wieviel Talent, wieviel h h daraus, daß er gegen die Demokratisierung des Wahlrechtes Kultur immer noc im liberalen österreic ischen Bürgertum i h polemisierte, die r907 ins Leben trat. Doch verurteilte er das steckte. Literatur und Kunst prof tierten reichlic von diesen II h absolute Regime Stürgkhs, verurteilte insbesondere die Maß­ Besitztümern. Dem politisc en Leben floß nur wenig davon h h nahmen gegen die tschechischen Führer. Sein Gesamtbild ist zu - se r zum Nac teil unseres Vaterlandes. das eines Mannes, der trotz unverkennbaren Klassenbindungen vor dem geschichtlichen Urteil bestehen kann. Wer den Liberalismus von der sympathischesten Seite * ,,Im Vaterhaus", Reminiszenzen von Alfred Berger und seinem Bruder kennen lernen will, sollte nicht verfehlen, die leichteren Schriften Wilhelm Berger, 1901, S. 5. , Die Schwierigkeit, eine Darstellung des Katholizismus in Österreich historisch zu begrenzen, wird nur noch übertroffen von der Schwierigkeit, sie sachlich zu begrenzen. Die katholische Bewegung ist in unserem Land immer dagewesen, und sie wird ihrem Namen insofern gerecht, als sie gewissermaßen „überall" anzutreffen ist. Im folgenden sind ein paar Aspekte aus der Geschichte des Katholizismus herausgegriffen - wie ich hoffe, in nicht gar zu willkürlicher Weise. Es wird behandelt: Das Ver­ hältnis von Kirche und Staat, die politische Partei Hohenwarts, die Christlichsoziale Partei, die Kulturlehre Kraliks, der Moder­ nismus-Streit, endlich auch - in ein paar Worten - der „Bren­ ner" -Kreis.

Seit eh und je arbeiteten die Habsburger daran, die Kirche unter ihre Kontrolle zu bringen. Diese Tendenz entsprang nicht irgendwelcher Einstellung gegen den römischen Glauben, sie war im Gegenteil eher das Korrelat zu der streng katholischen Gesinnung der Dynastie. Österreich sollte katholisch bleiben und von den Habsburgernregiert werden. Folglich war es nötig, die Kirche zu kontrollieren. Wie die Habsburger jahrhunderte­ lang mit dem Adel rangen, um ihn schließlich auf eine inferiore Position herabzudrücken, so rangen sie mit Bischöfen und Prä­ laten. Der Kampf erreichte besondere Schärfe unter Maria Theresia, und noch größere Schärfe unter ihrem Sohn. Der ,,febronianische" Sektor der Geistlichkeit - d. h. die Geist­ lichen, die die Lehre des Bischofs Febronius (Nikolaus v. Hont­ heim) akzeptierten, wonach das Schwergewicht der kirchlichen Organisation nicht beim Papst, sondern bei den Bischöfen lag - unterstützte die kaiserlichen Reformen. Beim Tode Maria Theresias war der Jesuitenorden verboten, waren die Kirchengüter Kirche und Staat 45 44 Katholizismus

langwierigen Verhandlungen war das Konkordat von 1855, wohl der Besteuerung unterworfen, war rudie Schule unter staatliche der für die Kirche günstigste Vertrag, den ein großer Staat im Aufsicht gestellt - unerhörte Neue ngen, wenn man den Maß­ letzten Jahrhundert geschlossen hat. Das Verhältnis Kirche - stab der Zeit anlegt. Josef II. plante eine noch gründlichere Staat wurde auf eine neue oder, wie man auch sagen könnte, Neugestaltung der Verhältnisse in Österreich. Er wollte einige auf eine sehr alte Basis gestellt. Ehegesetzgebung und Ehe­ Ideen der Aufklärung verwirklichen, in einigen Punkten das gerichtsbarkeit wurden der Kirche zugewiesen. Die Lehrer an Land den fortgeschrittenen Ländern des Westens angleichen. den für Katholiken bestimmten Schulen kamen unter kirchliche In ein solches Konzept paßte die Kirche als Staat im Staat Aufsicht. Der Staat hatte die Kirche nach Maßgabe seiner Mittel überhaupt nicht. Josef griffin das ureigenste Gebiet des Klerus finanziell zu unterstützen. Die Bestimmungen über konfessio­ ein und regelte durch „Gottesdienstverordnungen" das Zere­ nelle und interkonfessionelle Angelegenheiten sollten hinfort monienwesen und die Liturgie. Noch wichtiger war, daß er die nicht durch Staatsakt allein, sondern nur im Einvernehmen mit rein kontemplativen Klöster auflöste und ihre Vermögen der Kirche geändert werden können. beschlagnahmte. Auch seine Akte, obgleich sie von der katholi­ Das Konkordat entsprach, schon als es geschlossen wurde, schen Welt als hart empfunden wurden, waren nicht religions­ nicht den Zeitverhältnissen. Das ganze Bachsehe Regime war feindlicher Natur. Die Kirche sollte nicht abgewürgt, sondern ein Anachronismus. Das Konkordat war darin der am stärksten dem absoluten Staat unterstellt werden. Das säkularisierte anachronistische Teil. Es blieb nur etwa ein Dezennium in Kraft. Kirchenvermögen kam bloß unter staatliche Verwaltung, wurde In den Sechzigerjahren wurde es sehr unpopulär. Von allen Seiten aber weiter für Kirchenzwecke verwendet. drang der Liberalismus ins Land. Weite Kreise glaubten Die von Josef geschaffenen Zustände dauerten im wesent­ unter liberalem Einfluß, daß der Pakt mit der Kirche an den lichen bis zu den Ereignissen von 1848/49 fort. Manche Kleriker Niederlagen von Solferino und Königgrätz schuld trug - was schickten sich in das System der Staatskirchenhoheit. So war eine Übertreibung war, aber ein Körnchen Wahrheit mit ein­ der josefinisch gesinnte Erzbischof Milde eine hervorragende schloß. Der Kaiser kam der Volksstimmung entgegen. Er politische Figur des Vormärz. Der überwiegende Teil des Klerus nm sah hier eine Gelegenheit, Sympathien für die Krone zu ge­ hielt freilich an der Hoffnung fest, die Kirche noch ei al auf winnen. Zunächst wurden in die Verfassung von 1867 einige jene Höhe zurückgeführt zu sehen, auf der sie zur Zeit der ru Grundsätze aufgenommen, die dem Geist des Paktes von 1855 Gegenreformation gestanden war. Nach Ausb ch der Revolu­ zuwiderliefen. Dann suchte man auf diplomatischem Weg den tion meldete die Kirche zunächst Ansprüche an, die ihr auf ru Papst zum Verzicht auf das Konkordat zu bewegen - vergebens. G nd der Unterdrückung durch den Absolutismus zukommen Darauf beschloß der Reichsrat, das Konkordat offen verletzend, sollten. Doch war die revolutionäre Rolle nur eine provisorische. ein Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse (1868). Der Der Klerus erfaßte sehr schnell die wirkliche Chance, die ihm das Kaiser gab dem Herrenhaus einen Wink, das Gesetz zu akzeptie­ Sturmjahr bot, und fand sich bereit, die Erfüllung seiner Wünsche ren, und wurde durch eine stürmische Ovation belohnt. Es war, aus den Händen der siegreichen Reaktion zu empfangen. Umge­ wie ein Biograph bemerkt, die einzige Ovation, die ihm je als kehrt waren Schwarzenberg und Bach zu manchem Zugeständnis einem Antikatholiken zuteil wurde.* 1870 nahm Österreich das bereit, wenn sie die Unterstützung des Katholizismus für ihr Vatikanische Konzil, das den Papst, soferner ex cathedra spricht, Regime erlangen konnten. r849 begannen Verhandlungen für •unfehlbarK. Tschuppik, erklärte, .,Franz zumJosef I.",Anlaß, 1928, dasS. 248. Konkordat formell zwischen der Regierung und den Bischöfen, deren Wortführer Rauscher war, damals Fürstbischof von Seckau, früher Lehrer Franz Josefs, später Kardinal von Wien. Die Frucht der 46 Katholizismus Die , ,Hohenwart- Partei'' 47 aufzuheben. Wenig später erging eine Serie von Gesetzen, die das Seine Abkehr von der Konkordatspolitik war nur die Rückkehr Staatskirchenrecht den sozialen Bedingungen in der konstitu­ . zur traditionellen Politik seines Hauses: der Kirche keine über­ tionellen Monarchie anpaßte. Der Widerstand, den der Klerus mäßigen Zugeständnisse zu machen, aber so weit als möglich gegen diese Normen organisierte, war beträchtlich. Er rief mit ihr zu kooperieren. Sehr bald nach Geltungsbeginn der Ver­ zeitweise in der nichtklerikalen Bevölkerung eine heftige Erre­ fassung zeigte es sich, wie wenig die liberale Partei die Staats­ gung hervor - man fühlt sie nachzittern, wenn man die Stücke probleme zu meistem vermochte. Die Regierungen, an denen liest, mit denen Anzengruber zuerst auf dem Theater erschien. sie beteiligt war, waren nicht lebensfähig. Eine Krise folgte der Der Sieg des Liberalismus in Österreich reduzierte den Ein­ anderen. Franz Josef beschloß, offenbar recht gern, einen Kurs­ fluß der Kirche .. aber es kann keine Rede davon sein, daß er ihn wechsel. Zur peinlichen Überraschung der liberalen Öffentlich­ beseitigt hätte. Die Kirche war schon allein durch ihren Grund­ keit berief er (1871) ein Kabinett, das nach den Anregungen des besitz eine wirtschaftliche Macht von Rang. Millionen Gläubige extremklerikalen Grafen Leo Thun* zusammengestellt war. waren ihr in unbegrenztem Vertrauen ergeben. Sie war weit älter Präsident war Graf Hohenwart **. Zwar scheiterte Hohenwart als der habsburgische Absolutismus und durchaus qualifiziert, nach einem knappen Jahr an der relativen Vernünftigkeit der ihn zu überleben. Die Verfassung und die schon erwähnten Ge­ Vorschläge, durch die er die nationale Frage lösen wollte, und setze enthielten die juristische Formulierung dieses Sachver­ die liberale Herrschaft setzte sich noch durch ein Jahrzehnt halts. Die Kirche verlor einen Teil ihrer obrigkeitlichen fort. Aber als Taaffe seine Regierung bildete, konnte sich der Funktionen, ohne daß eine Trennung zwischen ihr und dem Klub Hohenwarts, die „Rechtspartei", eine parlamentarische Staat zustandekam. Schlüsselstellung verschaffen. Der Katholizismus hatte den Die Bischöfe hatten im Herrenhaus viele Sitze inne. Im Tiefstand der Entwicklung, der nie sehr tief gelegen war, über- Abgeordnetenhaus sicherte das Kuriensystem bis 1907 ähnlich schritten. wie den Liberalen so auch den Klerikalen eine zahlreiche Ver­ Di� Hohenwart-Partei war national nicht einheitlich. Sie tretung. Das Unterrichtswesen war nun wieder Staatsangelegen­ umfaßte außer den Deutsch-Klerikalen südslawische Abgeord­ heit. Ehegesetzgebung und -justiz fielen gleichfalls in die Kom­ nete, rumänische aus der Bukowina, zeitweise auch tschechische. petenz des Staates, der aber, ohne dazu formal verpflichtet zu Die Deutsch-Klerikalen sezessionierten 1882 unter der Führung sein, mehrere Prinzipien des kanonischen Rechts, besonders das des Prinzen Alfred Liechtenstein und schufen einen eigenen Prinzip der Untrennbarkeit katholischer Ehen, anerkannte. Klub, blieben aber mit Hohenwart in enger Fühlung. Später Pfarren, die mit ihrem eigenen Vermögen nicht das Auslangen kehrten sie in dessen Klub zurück. Fragt man, welche Schichten fanden, waren aus dem Religionsfonds zu unterstützen, den der in diesen Gruppen ihre parlamentarische Repräsentanz besaßen, Staat verwaltete. Der Religionsfonds bestand aus dem von so lautet die Antwort: im wesentlichen Adel und Kirche. Man Josef II. säkularisierten Besitz und aus Beiträgen, die wohl­ pflegte auch von den „feudal-klerikalen" Gruppen zu sprechen. habende kirchliche Institute regelmäßig zu leisten hatten. Das Gesetz über die interkonfessionellen Verhältnisse verbot die • Graf Thun war 1849-60, also während der ganzen Reaktionsperiode, Verwendung von allgemeinen (also auch bei Nichtkatholiken Unterrichtsminister gewesen. Vgl. über ihn: H. Friedjung, .,Österreich von 1848 eingehobenen) Steuergeldernzu Kirchenzwecken. Die österreichi­ bis 1860", 1908-12, 2. Bd., 1. Abt., S. 480 ff., und W. Klopp, .,Leben und sche Praxis ließ jedoch eine solche Verwendung in manchen. Wirken des Sozialpolitikers Karl Freiherrn v. Vogelsang", 1930, bes . S. 73 ff. ** Vgl.über Hohenwart: A. Schäffle, .,Aus meinem Leben", 1905, 1. Bd., Fällen zu. S.206-18,2. Bd., S. 78-88 usw.; A.v.Czedik,.,ZurGeschichte derk.k.öster­ Auch war Franz Josef nicht wirklich Antikatholik geworden. reichischen Ministerien", 1917-20, 1. Bd., insbes. S. 219 ff. 48 Katholizismus Die „Hohenwart-Partei" 49 Der Ausdruck „konservative Partei" war ebenfalls gebräuchlich. Machtstreben aus; er entbehrte des demokratischen Inhalts; er Was Adel und Kirche zusammenbrachte, ist leicht zu sehen: sie entbehrte der klaren Beziehung auf die österreichische Nation. a e e t e e a e h rmoni rt n nich nur in d n m t physischen Üb rzeugungen, Doch ging er mit einer starken, auch nach 1879 kaum verhehlten sondern auch in der Stellung zu Staat und Dynastie und in Antipathie gegen das Preußentum Hand in Hand. Da war ferner t a t e e e e e a e a wir sch f lich n Ding n. Di einen wi di nd ren w ren Groß­ die Idee der Konservativen, die Monarchie im föderalistischen grundbesitzer. Obschon Großbesitz und Kleinbesitz in der Sinne umzubauen. Das Programm, das Hohenwart als Minister­ a a a e e e e t L ndwirtsch ft vielf ch div rgente Int r ss n hat en, waren die präsident durchsetzen wollte, orientierte sich nicht an den t e Konserva iven lang imstande, sich die Gefolgschaft breiter Wünschen unterdrückter Völker der Monarchie. Es hätte die e e te e te a a bäu rlich r Schich n zu rhal n. In den Neunzigerj hren, ls Kronländer von der Wiener Kontrolle befreit, um sie der Kontrolle t die Christlichsozialen auf den Plan getreten waren, spal ete des heimischen Adels zu überantworten. Es hätte keine Gleich­ t sich von den Konserva iven die „Katholische Volkspartei" stellung aller in Österreich lebenden Nationen gebracht. Aber es e e ab. Nach dem Aussch id n Hohenwarts aus dem politischen hätte vom slawischen Standpunkt tloch einen Fortschritt be­ e e Leben (1897) bekam si noch Zuwachs. Zu Anfang d s neuen deutet, es entsprach einer bestimmten Achtung und Verständi­ a e t t J hrhund r s verschmolz sie dann mi der Lueger-Partei. gungsbereitschaft gegenüber den Slawen, die sich schon in der t Die politische Dok rin, die die Konservativen in Parlament · Zusammensetzung der klerikalen Partei ausdrückte. Eben des­ e e te V und Pr ss verfoch n (insbesondere auch im „ aterland", ihrem halb wurde es von den Liberalen und den Ungarn bekämpft und wichtigsten, 1860 von Thun begründeten Organ), war der .zu Fall gebracht.1 Schließlich ist der Komplex der konservativen a a e a a H upts ch n ch re ktionär. Sie hegten eine heftige, wenn auch Sozialpolitik zu erwähnen. Zwar war die Hohenwart-Partei mit­ a e nur usnahmsw ise offen erklärte Abneigung gegen das konsti­ verantwortlichfür die brutalen Maßnahmen, die in den Achtziger­ e e a tution ll Regime. Die z hlreichen Verletzungen des Geistes und Neunzigerjahren gegen die sozialistischen Arbeiterorgani­ a und Buchst bens der Verfassung, die sich Taaffe und später sationen durchgeführt wurden (,,Ausnahmszustand" usw.); e Badeni zuschuld n kommen ließen, wurden von ihnen gutge­ man darf auch nicht vergessen, wie sehr sie, wenn sie etwa eine et t heißen. Auf dem Gebi des Un errichtswesens zeigten sie sich Enquete über die Arbeiterfrage einberief und den Normal­ als überaus engstirnig. (Der Schulantrag, den Prinz Alois arbeitstag befürwortete2, als Instrument des Franz Josefschen e t e a e Liecht ns ein 1888 inbr chte, lief ungefähr auf Wi derherstel­ ,,Bonapartismus"3 fungierte. Doch ist ihre Haltung in der sozia­ t e lung der Verhältnisse hinaus, die in der Konkorda szei t g herrscht len Frage nicht ganz negativ einzuschätzen. Sie hatte in ihrem att e t t h en.) Auf auß npoli ischem Gebie hielten die Konservativen Rahmen Platz für ehrliches sozialpolitisches Wollen, d. h. für t Expansion für das rich ige Ziel. Sie betrieben 1878 mit Feuer­ Bestrebungen, deren der zeitgenössische Liberalismus beinahe eifer den Krieg gegen_ die Bosniaken, die sich nicht okkupieren bar war. In der Umgebung Hohenwarts arbeiteten einige a t a l ssen wollten - einen ungerech en Krieg. Sie billigten d s Bünd­ Männer, die den Widerspruch zwischen den christlichen Geboten nis mit Deutschland, sobald es abgeschlossen war, weil sie sich und den Zuständen des christlichen Staates Österreich als uner­ a t te d von eine S ärkung der ös rreichischen Position auf dem Balkan träglich empfanden und ihn zu überwinden als entscheidende e rhofften. Lebensaufgabe ansahen. Der bedeutendste dieser Männer war a e e a t Trotz ll d m: woll n wir uns vom liber len Vorur eil frei­ der Freiherr K a rl v. Voge lsa ng, der 1875-90 das „Vater­ a e t te t e h lten, müssen wir f s s llen, daß in dem poli ischen Wirk n land" redigierte. Er hat das politische Denken der Katholiken e a e e t der Kons rv tiven auch in paar lichter Punk e zu finden waren. in unserer Epoche direkt und indirekt nachhaltig beeinflußt. a a e a at e e D w r inm l ihr „P riotismus". Er drückt vorn hmlich ein Wir müssen ihm ein paar nähere Bemerkungen widmen.

4 Fuchs, Geistige Strömungen 50 Katholizismus Karl v. Vogelsang und seine Lehre 51 Vogelsang war ursprünglich Rittergutsbesitzer in Mecklen­ einem Vorgang, den das Evangelium ausdrücklich verbietet. Die Tendenz der burg gewesen und protestantischen Glaubens wie beinahe alle . kapitalistischen Wirtschaft, sich zur Weltwirtschaft auszudehnen, ist etwas Mecklenburger. Einige dreißig alt, trat er zum Katholizismus Unnatürliches. Die Natur fordert den engsten ökonomischen Zusammenhang über und verließ seine Heimat, weil er in katholischer Umgebung zwischen den Menschen, die in demselben Land wohnen. Andere Zusammenhänge zu leben wünschte. Er wandte sich zuerst nach Westdeutschland, sollen nur hergestellt werden, wo es absolut notwendig ist. Die parlamentarische dann nach Österreich, wo er einen Gutshof in der Nähe von Wien Verfassung, die die Liberalen geschaffen haben, erlaubt den Kapitalisten, die Bevölkerung zu tyrannisieren, zugleich erleichtert sie das Werk der Demagogen, a a erw rb. Doch war er ls Unternehmer nicht. erfolgreich, und die die Arbeiterschaft irreleiten. Um die ärgsten der vorhandenen Mißstände Geldschwierigkeiten veranlaßten ihn, in vorgerückten Jahren zu beseitigen, ist eine Menge tief einschneidender Reformen nötig. Der Besitz seinen „Magdalenenhof" aufzugeben und Berufsjournalist zu an Produktionsmitteln muß mit Pflichten gegenüber der Gemeinschaft ver­ werden. Die Geldschwierigkeiten hörten auch nicht auf, als bunden werden, Verwaltungspflichten, wie sie im Mittelalter den Begüterten a a auferlegt waren. Der Staat soll für die Waren, die die Kapitalisten auf den Thun und dessen Freunde ihn ns,,V terland" holten. Der Posten Markt bringen, gerechte Preise festsetzen. Die Beziehung des Arbeiters zum war so schlecht dotiert, daß er gezwungen war, tausende (buch­ Unternehmer ist entweder als Gesellschaftsverhältnis aufzufassen, dann steht stäblich tausende) Artikel zu schreiben und dazu noch Nebener­ dem Arbeiter der Anspruch auf Gewinnbeteiligung zu. Oder es ist ein Lohn­ werb zu suchen. r879 begründete er die „Österreichische Monats­ verhältnis, dann muß der Arbeiter Entschädigung für die Zeit erhalten, während schrift für Gesellschaftswissenschaft" (später „Österreichische der er sich beruflich ausgebildet hat, und einen Betrag, den er sich zurücklegen kann, um im' Alter vor Not geschützt zu sein. Da die Hauptgeschädigten des M a aa onatsschrift für christliche Sozi lreform"), die von T ffe mit Zinsgeschäftes die Bauern sind, soll eine neue Grundentlastung, d. h. eine einem kleinen Betrag subventioniert wurde. Allmählich er­ großzügige Entschuldung der Bauernschaft, durchgeführt werden. Hypo­ langte Vogelsang in Österreich großes Ansehen. Sein siebzigster thekarkredit soll nur mehr zum Zweck von Bodenverbesserungen gegeben Geburtstag wurde von den Wiener Katholiken durch ein Volks­ werden. Um die Entwicklung zur Weltwirtschaft einzudämmen, sind Schutz­ a a zölle zu schaffen. Das Parlament ist durch eine berufsgenossenschaftliche, eine fest gefeiert (r888). Die Überl stung mit journ listischer Arbeit ständische Vertretungskörperschaft zu ersetzen. hinderte ihn, seine Anschauungen in einem großen Werk nieder­ zulegen. Eine Sammlung von Aufsätzen aus seiner Feder er­ Das sozialpolitische System Vogelsangs dürfte manchem a a schien noch bei seinen Lebzeiten.* Hingegen wurde seine Sozial­ Leser bek nnt nmuten. Es wurde mit einigen Korrekturen a a politik erst nach seinem Tod von einem Anhänger in ein wissen­ und Wegl ssungen in die päpstliche Enzyklik „Rerum no­ a a schaftliches System gebracht. 4 varum" übernommen, wodurch man in ller Welt d zu kam, es zu diskutieren. 5 r934-38 war es in der Form, die die Enzy­ Der Ausgangspunkt der Betrachtungen Vogelsangs ist die Ethik des klika ihm gegeben hat, noch Gegenstand besonders lebhafter Evangeliums. Das irdische Leben ist dazu da, daß der Mensch sich auf das a künftige vorbereitet. Wirtschaft und Gesellschaft müssen so gestaltet sein, Diskussion in. Österreich. Wollen wir Vogels ngs Lehrsätze daß der Mensch die ihm von Gott gestellte Aufgabe erfüllen kann. Einrichtungen, richtig beurteilen, so müssen wir sie in drei Gruppen teilen. die diesem Grundsatz nicht entsprechen, sind, so zweckmäßig sie scheinen Die erste Gruppe umfaßt die Sätze mit wirklichkeitsfremdem mögen, unentschuldbar und unhaltbar. In die Kategorie des Unhaltbaren Inhalt. Wirklichkeitsfremd ist z. B. der Gedanke, daß eine fällt nicht mehr und nicht weniger als die gesamte liberal-kapitalistische Gesellschaft, die das Privateigentum an Produktionsmitteln Ordnung, wie sie sich in der Neuzeit herausgebildet hat. Es ist Unrecht, daß die Kapitalisten über die Produktionsmittel nach Gutdünken verfügen, daß fortbestehen läßt, den Darlehenszins aufheben könnte; dieser sie die Konsumenten durch hohe Preise, die Arbeiter durch niedrige Löhne Gedanke ist auch von der Enzyklika nicht anerkannt. Zur schädigen. Besonders krasses Unrecht liegt in dem Geldverleihen auf Zinsen, Gruppe zwei gehören die Doktrinen reaktionären Charakters, voran die vom Ständestaat. Dollfuß und Schuschnigg haben • ,,Gesammelte Aufsätze über sozialpolitische und verwandte Themata", a 1880. uns den Ständesta t gewiß in einer besonders schlechten Aus­ gabe vorgeführt. Aber auch in Vogelsangs Urfassung konnte ,. 52 Katholizismus Der Aufstieg der Christlichsozialen Partei 53

er nie etwas anderes sein als ein Mittel, die Massen des arbeiten­ um sich, die seinen sozialpolitischen Plänen Wirklichkeit geben den Volkes machtlos und rechtlos zu halten. In die Gruppe · sollten. Er zog mit Absicht Leute aus den verschiedensten drei endlich sind die vernünftigen, nutzbringenden Darlegungen gesellschaftlichen Schichten heran. Einer seiner Lieblings­ Vogelsangs einzureihen, diejenigen, aus denen echtes Ver­ schüler war Prinz Alois Liechtenstein, ein anderer war der ständnis für die Volksnöte spricht. Hieher zählen wir den Mechaniker Ernst Schneider. Er ließ beide gemeinsam das Hinweis auf die wachsende Verschuldung der kleinen Land­ Material zusammenstellen, das er für seine Artikel über die wirte, ein von den liberalen und auch von den sozialistischen Arbeiterfrage benötigte. Schneider brachte den Beamten der Nationalökonomen vernachlässigtes Problem; den Hinweis Universitätsbibliothek Dr. Albert Geßmann in den Vogelsang­ auf die elende Situation der Arbeiterschaft, der von ihm mit - Kreis, Geßmann wieder brachte Lueger mit. Der jugendliche zahlreichen Detailangaben gestützt wurde; sein Eintreten Arbeiter Leopold Kunschak fand sich ebenfalls ein. Alle diese für gerechte Preise und gerechte Löhne, das ihn, der gewiß waren wenige Jahre später die Führer einer der stärksten nicht Sozialist war, dem sozialistischen (planwirtschaftlichen) politischen Parteien des Landes. Konzept näherte. Vogelsang war ein präziser Denker, ein guter In den frühen Stadien der Herausbildung der Christlich­ Kenner der Historie, auf juristischem Gebiet wohlbewandert, sozialen Partei (Gruppe „Vereinigte Christen", Katholikentag er hatte die neuere ökonomische Literatur, besonders die der 1889, Anfänge der „Enten-Abende"7) war Vogelsangs Teil­ Arbeiterbewegung, mit Nutzen gelesen. 6 Seine Artikel waren nahme vielfach bemerkbar. Er begründete die Partei nicht, in der Regel eindrucksvoll, sie gewannen den Leser durch die aber er war der Mentor ihrer Begründer. Lueger hat ihn einmal Kraft der Diktion ebenso wie durch den sittlichen Ernst, der den Altvater der Bewegung genannt.* Es war gerade um sichtbar hinter ihnen stand. Erstaunlich war, wie sehr Vogel­ die Zeit von Vogelsangs Tod, daß die Partei die ersten Macht­ sang sich in seiner Wahlheimat akklimatisiert hatte. Kein Mensch positionen eroberte, und zwar waren es vor allem Positionen konnte seinen Artikeln anmerken, daß der Verfasser aus Deutsch­ im Wiener Rathaus. Sich stützend auf die Wiener Gewerbe­ land stammte. Der Widerwille gegen die Unkultur, die in Bis­ treibenden, anziehungskräftig auch für Pfarrer, Lehrer und marcks Reich herrschte, gab ihm manchmal kräftige Worte ein. Unterbeamte, hemmungslos im Gebrauch antisemitischer Schlag­ Die Doktrinen, die er propagierte, mögen uns von noch worte, konnte sie sich Anfang der Neunzigerjahre schon die so vielen Seiten her anfechtbar erscheinen; sicher waren sie in Vernichtung der liberalen Rathausmehrheit zum Ziel setzen. summa ungleich moderner als der Standpunkt der meisten Im Reichsrat besaß sie noch kaum mehr als ein Dutzend Man­ seiner Parteigenossen. Graf Thun z. B. brachte für den sozial­ date, aber bei aen Wahlen zum Gemeinderat - es gab in jenen politischen Gedanken gar kein Verständnis auf. Er äußerte Jahren eine Anzahl von Wahlgängen - gelang ihr Durchbruch einmal zu Vogelsang, es sei sinnlos, für die unteren Bevölkerungs­ n�chDurchbruch. Der wichtigste war der von 1895, als die Haus­ schichten die Ifastanien aus dem Feuer zu holen. Vogelsang besitzer geschlossen zu ihr übergingen. Lueger wurde zum Bürger­ ... erwiderte, daß er just in solcher Bemühung die Aufgabe des meister gewählt. Die Liberalen bewogen den Kaiser, die Bestäti­ Adels erblicke, die einzige Rechtfertigung für dessen Fort­ gung zu versagen, die nach der Verfassung nötig war, aber zwei bestand unter heutigen Verhältnissen.* Im letzten Abschnitt Jahre später sah er sich veranlaßt, sie doch zu erteilen. Was seines Lebens sammelte er eine Anzahl von jüngeren Leuten den Reichsrat betrifft, wurden ebenfalls Erfolge erzielt, müh-

* Brief an Leo Thun vom 6. November 1886, angeführt bei W. Klopp, * Brief an Vogelsang vom 8. August 1888, zitiert bei W. Klopp, a. a. 0. ,,Leben und Wirken etc.", S. 293 f. s. 342. �-, ;""!II

54 Katholizismus Der Aufstieg der Christlich.sozialen Partei 55 ', same, solange das Kuriensystem h errschte, e rauschende, sowie e e e e e es bes itigt war. In das e sollte nicht wi d r gescheh n. D r Ministerpräsident ntwarf erst durch allgemeines Stimmrecht beschickte Parlame e im Verein mit dem Polenführer Madeyski (dem Unterrichts­ nt zog n die Christlichsozialen als stärkste Partei zweit­ minister) eine Denkschrift, die nach eingehender Beratung ein. Durch den Anschluß e d r altklerikalen e e e e Abgeordneten wurde e vom Kabin tt g nehmigt wurde. D r Prag r Kardinal Graf n si sogar zur stärksten Partei, e Präsidenten e di den Franz Schönborn übermittelte sie dem Papst. Dieses Pro­ st llte. Ab 1894 erschien die e „Reichspost" als e e e e e 1 z ntrales Parteiblatt e m moria hi ß „Darst llung, betreffend di Christlichsozial Par­ mit iner ansehnlichen Auflage. Gleich­ zeitig mit dem Aufstieg der Christlichsozialen, tei, ihre Tätigkeit und ihre Presse" und enthielt folgende Bemer­ und im Zusammen­ kungen: hang mit ihm, entwickelte e sich eine br ite kulturelle Bewegung, die von katholischem e G ist erfüllt war. e Le 1892 ntstand die ,, o-Gesellschaft", 1896 die „Verbindung „Im Laufe der politischen Entwicklung hatte sich in Österreich seit den katholischer Schrift­ Sechzigerjahren eine katholisch-konservative Partei gebildet, welche in Über­ steller und Schriftstelle e rinnen Öst rreichs", 1906 der „Gral­ einstimmung mit konservativen Ideen anderer Länder eine stärkere Betonung bund". Die politische und die kulturelle Bewegung wirkten des religiösen Elements im öffentlichen Leben vertrat, das monarchistische auf das e e r ligiös Bewußtsein der Massen Prinzip voranstellte und in materiellen Fragen oft an ältere Formen des wirt­ waren zurück. Die Kirchen sonntags überfüllt, wie e e schaftlicl).en Lebens anknüpfte, ohne jedoch die Leidenschaften der unteren man s s it einem Menschenalte nicht mehr e r Volksmassen wachzurufen. Dabei war sie stets bestrebt, die Autorität der geseh n hatte. Die Fronleichnamsprozession 1 e en Bischöfe, und zwar nicht bloß in rein kirchlichen Fragen, zu unterstützen und wurd n durch die Teilnahme von Hunderttausenden zu ge­ zu kräftigen ... waltigen Kundgebungen. Dank e Inzwischen trat mit immer wachsender Bedeutung die soziale Frage auf d n Christlichsozialen brachte .• ab 1890 der Katholizismus den Plan der öffentlichen Diskussion ... 1 im öffentlichen Leben wieder s e volles Ge e in Jene Elemente nun, welche es - anstatt den Führern der konservativen 1 t wicht zur G ltung, und das e 1 heißt in großes Gewicht. Der Weg zu Einfluß und katholischen Bewegung der Siebzigerjahre zu folgen - im Laufe der 1 und Geltung, den die Christlichsozialen letzten zehn bis fünfzehn Jahre vorgezogen hatten, grollend und unzufrieden zurückzulegen hatten, war kein Spaziergang. e e eine Opposition weiter auszuspinnen, die ihren Ursprung in ganz anders ge­ e Di Kämpf , in den n sie sich durchsetzten, e stalteten Verhältnissen gehabt hatte, benützten die Gegensätze auf dem g hörten zu den h eftigsten der konstitutionellen e sozialen Gebiete, um auf Grund derselben eine agitatorische Tätigkeit zu ent­ Ära, sie üb rtönten zeitwe e e e is selbst d n Lärm i falten. Die Verschiedenheit in dem Ausmaße der irdischen Güter wurde hervo;t­ d s nationalen Streites. Daß e di Christlichsozialen die andere gekehrt, die Art der Erwerbung des Besitzes wurde kritisiert, der Haß gegen Aufstiegsparte e n i n (Sozialdemokraten und Deutschnationale), das mobile Kapital gepredigt und die gegenwärtige Gesellschaftsordnung mit und daß sie die L ibe e e ral n zu F inden hatten, versteht sich den Argumenten der Sozialdemokratie bekämpft. Dabei berufen sich ihre von selbst. Sie waren e Wortführer in offenbar absichtlicher Irreführung der öffentlichen Meinung ab r auch für die ältere klerikale e e Gruppe, häufig auf die Enzyklika ,Rerum novarum', richten aber ihre wirklichen di Hoh nwart-Gruppe, alles eher als willkommene Neulinge. Kundgebungen gegen die Konklusionen jenes den sozialen Frieden verkün­ 1 Man kann die e politisch Aktivität der Christlichsozialen denden päpstlichen Rundschreibens, indem sie in letzter Linie auch das wohl­ de e e in n rst n Jahren nicht besse e e r kenn nl rnen als durch ein Zeit­ erworbene Eigentum in Frage stellen und dem gehässigen Neide der Besitzlosen dokument, das ausdrückt, preisgeben. Solche Lehren mußten geeignet sein, die Sympathie der niedrigen wie sie sich in den Augen einiger Gegner darstellte. Volksmassen zu gewinnen, und auf diesem Wege gelangte man in die gefähr­ Von 1893-95 war die Regierung Windisch­ grätzim e e lichen Bahnen des dem nördlichen Nachbar abgelauschten Antisemitismus Amt, di auf iner Koalition der Liberalen, L e der Hohen­ in seiner abstoßendsten Form. wart- eut und der Polen e e b ruht . Die Regierung faßte den Ganz klar und logisch muß es da erscheinen, daß in einer solchen Bewegung Beschluß, den Vatikan vor e der Geist der Unbotmäßigkeit nur allzu reiche Nahrung findet. In der Tat 1 d n Christlichsozialen zu warnen. Er hatte ihne e fanden die besonnenen Warner kein Gehör, selbst die ein solches Treiben n inige politische Unterstützung e g währt. Das verurteilenden Stimmen der Bischöfe hatten ihr Gewicht verloren. Und noch 1

!, I! Der Aufstieg der Christlichsozialen Partei 57 56 Katholizismus mehr. Im Klerus selbst wurde der Hebel angesetzt und das Schlagwort vom Gleichzeitig ließ sie aber in ihrer Agitation völlig undemo­ , armen und niederen Klerus', der sich plagen muß, u:iJ.d dem ,reichen hohen kratische und antidemokratische Prinzipien hervortreten. Die Klerus', dem ,von der Regierung angestellten und ihr dienstbereiten Episkopat' Denkschrift erwähnt ein solches Prinzip: den Antisemitismus. wurde ausgegeben, eine Parole, welche nicht allein in den Massen, sondern · Die soziale Frage sollte durch Ausschaltung der Juden aus dem auch im jungen Klerus, speziell in Niederösterreich, ihre Wirkung übte. Wirtschaftsleben gelöst werden. Der Plan gefiel den Hand­ Unter dem schönklingenden Titel einer christlicbsozialen Reform wird von einer Anzahl teils von einer Ambition getragenen, teils ganz radikalen werkern und Ladenbesitzern, die den Kern der christlich­ Personen in den Vertretungskörpern - Reichsrat, Landtag, Gemeinderat - sozialen Wählerschaft bildeten. Vom vordringenden Kapita­ ein Kampf geführt und ein Ton angeschlagen, welcher an Gesittung und Beson­ lismus in ihrer Existenz bedroht, waren die kleinen Leute nenheit alles zu wünschen übrig läßt, und wo immer im Reichsrat eine radikale bereit zu glauben, daß der Großbetrieb eine jüdische Erfindung, Tendenz gegen die Autorität zutage tritt, fehlt es ihr gewiß nicht an der Bundes­ genossenschaft der Christlichsozialen ... der Jude der eigentliche Feind sei. Andere Abweichungen der So schlägt sich die antisemitische, christlichsoziale Richtung mit derber Christlichsozialen vom demokratischen Gedanken werden in der Faust durch das öffentliche Leben, sträubt sich unwirsch gegen die weltliche Denkschrift begreiflicherweise nicht berührt. Eine wahre Volks­ und bischöfliche Autorität, und was sie anfaßt, vertritt oder etwas lobt, läuft partei hätte aber auch nicht unbedingte Treue zum angestamm­ Gefahr, in den anständigen Kreisen der Bevölkerung diskreditiert zu werden. ten Herrscherhaus predigen dürfen, wie die Christlichsozialen es Dem hochwürdigen Bischof von Linz hat eine der führenden Persönlich­ keiten dieser Partei im Laufe des verflossenen Herbstes eröffnet, daß das taten. Die Wiener Handwerker und Ladenbesitzer profitierten Wirken nunmehr auch auf Oberösterreich ausgedehnt werden soll, worauf davon, daß Wien Zentrum eines großen Reiches, Sitz eines der genannte Bischof nicht unterließ, sein Mißfallen hierüber auszusprecheu. · glänzenden Hofes war. Doch das waren Sonderinteressen. Eine Die Christlichsozialen haben aber trotzdem in Linz eine Versammlung angesagt allgemeine Interessengemeinschaft zwischen Habsburg und dem und abgehalten. Wie peinlich mußte daher die Überraschung aller ruhig und gemäßigt österreichischen Volk bestand ganz und gar nicht. Schließlich Denkenden in ganz Österreich sein, als ihre heftigsten Gegner der großen Gnade hätte eine auf die Bedürfnisse des „kleinen Mannes" ausgerich­ eines päpstlichen Segens gerade für die Linzer Expedition teilhaftig wurden, tete Partei nie den blinden Klerikalismus der Christlichsozialen und vollends, als das journalistische Organ der Christlichsozialen, die ,Reichs­ entwickeln dürfen. Die von ihnen gewiinschte und betriebene post', welchem derselbe Bischof von Linz mit gutem Grunde den Eingang in Verkirchlichung des gesamten Unterrichtswesens, aller Kultur­ sein Priesterseminar untersagt hat, gleichfalls mit dem Segen des Heiligen Vaters ausgezeichnet wurde."* institutionen, konnte nur darauf hinauslaufen, den geistigen Fortschritt unseres Landes zu hemmen. Seltsame Abhandlung! Sie ist keine Meisterleistung, weder Die Denkschrift war nicht erfolgreich. Die Kurie gab be­ stilistisch noch inhaltlich. Aber sie wirft ein Licht auf das Wirken ruhigende Erklärungen, fuhr aber fort, die Christlichsozialen der Christlichsozialen zur Zeit ihrer ersten Triumphe, auf die zu begünstigen. 8 Wie der Papst als Schutz versagte, so kurz tiefen Widersprüche, die damals ihre Politik durchzogen. In darauf der Kaiser; er bestätigt im Jahre 1897 die Bürgermeister­ dieser Politik war eine demokratische Tendenz bemerkbar. wahl. Die älteren Parteien mußten sich damit abfinden, daß Die Christlichsoziale Partei reizte - um mit Plener und Hohen­ die neue Partei die Reichshauptstadt verwaltete. Hohenwart wart zu reden - die wirtschaftliche Begehrlichkeit des Volkes, und Nachfolger mußten auch dulden, daß die Christlichso­ d. h. sie betonte scharf die materiellen Drangsale gewisser zialen aufs Land hinausgingen und die Bauernschaft bearbei­ werktätiger Schichten; sie reizte ferner die politische Begehr­ teten. Anfänglich war dies, wie die Denkschrift erkennen lichkeit, indem sie Erweiterung des Wahlrechtes verlangte. läßt, ein Punkt, der Hohenwart sehr beschäftigte. Die Christ­ lichsozialen waren sogar zu Konzessionen bereit. 9 Aber die * Zitiert nach L. Brügel, ,,Geschichte der österreichischen Sozial demokratie", 4. Bd., 1923, S. 260 ff. Entwicklung warf jede Zoneneinteilung über den Haufen. In 58 Katholizismus Karl Lueger 59

den Jahren um Igoo gewannen Schöpfer und Schraffl Tirol für er zum erstenmal offen so, wie man es später von Christlich- die Lueger-Partei, Hauser gewann Oberösterreich, Jodok Fink . sozialen zu hören pflegte. Von dem Demokraten blieben nun Vorarlberg. Die Fusion der Altklerikalen und der Christlich­ nur noch ein paar Bruchstücke übrig. Der Demagoge begann sozialen kam gerade zurecht, um jene vor dem Untergang zu seine Karriere, die Österreich in Atem hielt, Europa in Staunen bewahren. setzte. Keine Partei war je in höherem Grad „Ein-Mann-Partei" Wie kam diese Karriere zustande? Sie beruhte auf mehreren als die Christlichsoziale, solange ihr Begründer· noch lebte. Umständen. Die wichtigste war natürlich die Werbekraft, die Eine Skizze ihrer Politik, ihrer Ideen muß eine Skizze der das christlichsoziale politische Konzept für die Wiener Klein­ Persönlichkeit und des Wirkens Karl Luegers als integrieren­ bürger hatte. Kaum minder wichtig war die Werbekraft von den Bestandteil einschließen. Luegers Wesensart. Die Wiener hörten gerne, was er sagte, Karl Lueger (1844-19ro)* stammte aus der Tiefe des sie hörten aber ganz besonders gern, wie er es sagte. Er war Wiener Volkes. Sein Vater war Hausmeister an der Technischen bis ins Alter, bis in seine letzte Zeit der „schöne Karl". Breit­ Hochschule; allerdings kein gewöhnlicher Hausmeister, denn schultrig, hochgewachsen, die Stirn hoch und frei, die feinen er hörte technische Vorlesungen und legte eine Reihe von Prü­ Züge von einem starken Bart umrahmt, ein Bild von einem fungen ab. Karl Luegers Mutter und seine zwei Schwestern, Mann.· Und er sprach eine im öffentlichen Leben ganz unge­ Rosa und Hildegard, betrieben noch zur Zeit, als er schon ein wöhnliche Sprache, wienerisch, bürgerlich, gutmütig und derb, aufgehender Stern war, eine Tabaktrafik. Merkwürdigerweise sogar hausmeisterisch. Die liberalen Redner hatten klassische war der spätere große Redner bis zu seinem vierten Lebensjahr Zitate gebracht, nie war ein Scherzwort über ihre Lippen ge­ stumm. Sowie er in die Schule kam, zeigte er die Merkmale kommen. Lueger zitierte nichts, obwohl er es auch „getroffen" außerordentlicher Begabung. Mit Glanz absolvierte er das hätte, wie jeder wußte; an witzigen Einfällen und Ausfällen Theresianum und das juristische Studium, brachte die Kon­ war er unerschöpflich. Seine Art, auf seine Gegner zu schimpfen, zipientenjahre hinter sich und eröffnete eine Anwaltskanzlei. erinnerte ein wenig an die Art, in der die Fiaker auf dem Stand­ Der sozialen Einstellung, die ihm 'in seinen jüngeren Jahren platz schimpften. Eben deshalb mochten ihn die Fiaker. So eigen war, entsprach es, daß er als Advokat hauptsächlich fesch und resch war ihnen noch keiner gekommen. Die Liebens­ die Angelegenheiten kleiner Leute führte, mochte es auch nur würdigkeit, Leichtigkeit, Zungenfertigkeit des österreichischen kleine Expensennoten eintragen. 1875 wurde er von dem Menschenschlages war in ihm personifiziert. Man kann ver­ liberalen Bürgerklub im dritten Bezirk in den Gemeinderat stehen, daß er ein Wiener Liebling wurde, wie es weder vorher entsandt. 1885 kam er auch in den Reichsrat. Liberaler blieb noch nachher einen gegeben hat. Leider waren die typischen er nur kurze Zeit. Die „demokratische" Gruppe, an der er Defekte des österreichischen Charakters, Oberflächlichkeit, sich alsbald beteiligte, nannte sich mit Betonung „antiliberal". Prinzipienlosigkeit, Brutalität, bei ihm ebenfalls zu finden, Zum Klerikalismus gelangte er erst spät. Noch 1887 besuchte und zwar in kräftiger Ausprägung. Einer distanziert-psycho­ er Vogelsang nur bei Nacht und Nebel, da er fürchtete, sich logischen oder ästhetisierenden Betrachtung erscheint er gerade durch die Bekanntschaft mit dem klerikalen Schriftsteller zu dank der Uneinheitlichkeit seines Wesens als ein prachtvolles kompromittieren. Auf dem Katholikentag von 1889 sprach Menschenexemplar. Anders sieht ihn der Historiker, der unter dem Gesichtspunkt des Fortschritts zu werten trachtet. Er * Vgl. zum Folgenden: F. Stauracz, ,,Dr. Karl Lueger. Zehn Jahre Bürgermeister", 1907; M. Beskiba, ,,Aus meinen Erinnerungen an sieht den wunderbar begabten Mann bemakelt durch niedrigen Dr. Karl Lueger", Igu. Antisemitismus, durch Zynismus gegenüber den demokratischen '

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Grundwerten, durch Opportunismus gegenüber denKatholizismus herrschen­ mit den seinen nicht übereinstimmten. Als Bürgermeister den Gewalten.· beging er einen Willkürakt nach dem anderen. Seine Personal­ Manche Schriftsteller, die Lueger achten, behaupten halb politik was skandalös. Andersdenkende wurden systematisch und halb entschuldigend, daß sein Antisemitismus nicht „echt" vom Gemeindedienst ferngehalten oder, wenn sie schon drin war: er habe die antisemitischen Losungen benutzt, da sie Zug­ waren, hinausgeekelt. Ein besonders krasser Gesinnungs­ kraft hatten, habe es aber mit den Juden gar nicht so schlecht zwang wurde gegen die städtische Lehrerschaft ausgeübt. gemeint.10 Die Entscheidung, ob diese Theorie zutrifft, ist Als ob es nie eine Verfassung gegeben hätte, die die Gleichheit nicht leicht zu fällen.U Doch ist das eine Frage von unter­ der Staatsbürger vor dem Gesetz dekretierte, forderte Lueger geordneter Bedeutung. Fest steht, daß der Antisemitismus von jedem, der sich um einen Lehrerposten bewarb, die ehren­ einer seiner politischen Hauptgedanken war. Fest steht, daß wörtliche Erklärung, daß er nicht Sozialdemokrat sei.* Diszi­ er oft Reden hielt, in denen Sätze vorkamen wie diese: plinarische Schikanen gegen Lehrer, die die Courage hatten, sich trotz allem zur Arbeiterbewegung zu bekennen, waren an Ic ., h frage Sie, können die christlichen Bauern dafür, daß der Getreide­ 12 handel sich ausschließlich in den Händen der Juden befindet? Können die der Tagesordnung. christlichen Bäcker dafür? Kann vielleicht das christliche Volk dafür, daß der Auch die Alldeutschen waren oft die Zielscheibe heftiger Geld- und Landwucher ausschließlich in den Händen der Juden ist? Kann Angriffe Luegers. 13 Sein fö:i_ß gegen sie wurzelte zugleich in der christliche Schneider dafür, daß die meisten Konfektionäre Juden sind? ... politischen Differenzen und in dem gesunden patriotischen Können die Christen dafür, daß über 50% der Advokaten Wiens und der größte Instinkt, von dem er eine Dosis besaß. Doch wäre es voreilig Teil der Arzte Juden sind ? Dafür können wir absolut nichts, aber das Ganze zusammen mußte den Antisemitismus erzeugen und hat ihn auch erzeugt ... zu glauben, der Feind des Alldeutschtums habe durch seine Die Juden ... Laben sich ein eigenes Deutsch erfunden, welches wir gar nicht Haltung zum nationalen Problem gutgemacht, was er in anderen verstehen, das sogenannte Judendeutsch- es hat auch einen anderen Namen-, Belangen sündigte. Das läßt sich nicht behaupten. Lueger und das gebrauchen sie, damit sie untereinander reden können, ohne daß sie erstrebte ein einiges, mächtiges Österreich unter habsburgischer ein anderer versteht. Das ist der eigentliche Grund, warum das sogenannte Judendeutsch eingeführt wird; und was ich jetzt sage, das weiß ich nicht von Führung. Um dieses Ziel zu erreichen, war es nötig, die Position, Christen - die Herren mögen es mir verzeihen-, das weiß ich von den Juden welche die ungarische Aristokratie und Finanz in der Monarchie selbst, daß dem so ist."* innehatte, zu zerstören, es war nötig, die nationalen Forderungen der Slawen in gewissem Umfange zu berücksichtigen. So kam Der Antisemitismus, der hier hervortritt, ist nicht mehr es, daß Lueger sich eine Zeitlang für den „trialistischen" Plan14 religiös und ist noch nicht rassisch motiviert. Man kann ihn, interessierte, und dann für den „groß-österreichischen"16, der wenn man will, wirtschaftlich motiviert nennen. Welchen auf dem Eggenburger Parteitag der Christlichsozialen Zustim­ Namen immer man ihm gibt - an „Echtheit" läßt er nichts mung fand. Der eine wie der andere hatte eine entschieden anti­ zu wünschen übrig. Die Verrohung mancher Volksteile, die ungarische und eine vorsichtig proslawische Note. Der eine durch seine Hetze herbeigeführt wurde, war eine der Vor­ wie der andere hätte, verwirklicht, eine etwas vernünftigere bedingungen für den Masseneinfluß, den nachmals der National­ Ordnung geschaffen als die bestehende dualistische. Trotzdem sozialismus in Österreich gewann. war keiner von beiden brauchbar. Lösungen, die ein Menschen­ Lueger hetzte nicht nur gegen die Juden: er zeigte die alter früher ein Schritt vorwärts gewesen wären, wurden den ärgste Intoleranz gegen alle, deren politische Anschauungen

* Aus einer Parlamentsrede von 1890. Zitiert nach Schnee, .,Bürger­ * Vgl. Viktor Adlers Rede im niederösterreichischen Landtag vom Juli 1901 meister Karl Lueger", 1936, S. 20. in „Aufsätze, Reden, Briefe", Heft 8, S. 412. 62 Katholizismus ]osef Scheicher 63 Verhältnissen des imperialistischen Zeitalters nicht mehr Stadt zur Steinwüste erstarrte. All das zusammen ergibt eine Das einige, mächtige gerecht. Österreich, das Lueger vorschwebte, . beträchtHche Leistung. Und wenn sie Lueger auch nicht als ein imperialistisches Österreich. war Die Einigkeit sollte die Mon­ den großen Mann erscheinen läßt, als den seine Verehrer ihn archie befähigen, eine bessere Stellung zu unter den Großstaaten sahen und sehen - einiges von der Zuneigung, die seine Vater­ erobern, dem Deutschen Reich als gegenüberzutreten. gleichwertiger Partner stadt ihm zollte, hat er durch seine Lebensarbeit abgegolten. Das war alles. Lueger wünschte So weit auch Lueger als politische Figur die gesamte übrige daß das verhängnisvolle nicht, Bündnis mit Deutschland Partei überragte - es gab noch andere Führer der Christlich­ werde. Er wünschte aufgelöst nicht, daß zwischen Deutschösterreichern sozialen; unter ihnen auch den einen oder anderen, der an so­ und Slawen eine demokratische Übereinkunft geschlossen zialer Einsicht, an demokratischer Festigkeit den Parteichef werde. Er war kein Freund d er Slawen, obwohl er zuweilen überragte. Wir möchten hier den Prälaten Josef Scheich er beteuerte, einer zu sein. Seine Erklärungen waren bloß takti­ nennen, den bekanntesten unter den Klerikern, die um I900 sche Manöver. Er half den Slowaken in ihrem Kampf gegen politisch tätig waren*. Scheicher war als Kind armer steirischer die Ungarn, weil es so in seine Kombinationen paßte; daneben Häusler geboren, studierte Theologie, wurde Kaplan in Waid­ paßte es ihm, den Tschechen eins auszuwischen, und hofen a. d. Ybbs, Professor in St. Pölten, Landtags- und Reichs­ eine häßliche Kampagne er führte gegen die tschechische Minorität ratsabgeordneter. Einer der fleißigsten katholischen Jour­ Wien. Wenn er in den Wiener Gemeinderat eine Resolution nalisten, schrieb er eine Unmenge von Artikeln für Kirchen­ fassen ließ, daß der „d eutsche Charakter" der Stadt _blätter. Eine Zeitlang redigierte er auch die von Vogelsang werden müsse, handelte gewahrt er ganz im Geist der Schönerianer. begründete soziale Revue. Unter seinen größeren Arbeiten Gewiß kann man auch auf freundlichere Episoden sind bemerkenswert: einige Bände Volkserzählungen, ein Lebens­ z.B. auf das hinweisen, Wort, durch das er die seinen Händen bild Sebastian Brunners, die „moral-soziologische" Studie „Der Kampagne abbremste: entgleitende ,,Laßt's mir meine Böhm in Klerus und die soziale Frage" (1884), die utopische Skizze das beweist nur, Ruh!". Aber daß seine nationale Politik ein „Aus dem Jahre 1920", die, 1900 veröffentlicht, die Monarchie aus allen möglichen Mischmasch Strebungen, Methoden, Sentiments so schilderte, als ob der föderative, groß-österreichische Plan Es beweist nicht, daß war. sie einen demokratischen Gehalt hatte. verwirklicht wäre, endlich die Selbstbiographie „Erlebnisse Der Politiker Lueger ist vor dem Urteil und Erinnerungen" (6 Bände, I907-I2), die eine Fülle inter­ nicht zu retten. der Geschichte Er hat eine Menge Unheil gestiftet. essanter zeitgeschichtlicher Details enthält. Es wäre verfehlt, steht der Administrator Viel besser Lueger da. Seine Verwaltung von Scheicher. in historischer Betrachtung als Fortschrittshelden Wien war lange nicht so sozial gerichtet, wie die spätere Ver­ hinzustellen. Er ging im allgemeinen die Irrwege seiner Partei waltung Reumanns und Seitz', aber sie war aktiv und treulich mit. Besonders der Antisemitismus behagte ihm. und das Volk energisch, zog aus ihr manchen Gewinn. Viele Eher hätte er auf seiner Seele Seligkeit verzichtet, als eine die uns selbstverständlich Einrichtungen, sind, ohne die wir uns Wien gar antisemitische Bemerkung unterdrückt. Aber er war doch ein denken können, rühren nicht von Lueger her. Das Gas, die Mann von Qualitäten. In seinem Wesen mischten sich Gegen­ zität wurden kommunalisiert, die Elektri­ Straßenbahn ebenfalls, auch sätze: Priesterschaft und Streitlust, Gutmütigkeit und Bosheit, wurde sie vom Pferde- 1- auf den elektrischen Betrieb umgestellt. Grobheit und Gescheitheit, bäurische und jesuitische Züge . Das Lainzer Versorgungshaus wurde errichtet. Floridsdorf wurde eingemeindet. Die Grünflächen in den äußeren Bezirken • Vgl. über Scheicher: Nagl-Zeidler-Castle, ,.Deutsch-österr. Literatur­ wurden geschaffen, die verhinderten, daß die rasch anwachsende geschichte", 3. Bd., S. 937 ff. 64 Katholizismus Die Christlichsoziale Partei am Ziel 65

Das Resultat der Mischung war eine kuriose Figur, ungemein Radikalismus geschieden, doch trug sie die Möglichkeit einer lebensvoll, ungemein österreichisch. Ein mittelmäßiger Schreiber, · sinnvollen Entwicklung in sich. Sie hätte die dunklen Tendenzen war er ein großartiger Redner. Das merkt man aus jeder Zeile überwinden, das Kleinbürgertum seinem natürlichen Ver­ seiner Schriften. Man hört ihn förmlich sprechen, wenn man bündeten, dem Proletariat, annähern, die Grundlagen zu einer sie liest. Man hört eine Dialektik, die sich vom Dialekt herzu­ Einheitsfront der Werktätigen schaffen können. Das wäre leiten scheint, j edenfalls aus dessen Geist ihre stärksten Wir­ für die Gestaltung der Verhältnisse in Österreich von unab­ kungen schöpft. Ähnlich war es ja mit der Redekunst Luegers. sehbarer Tragweite gewesen. Zu ihrem eigenen Schaden und Doch Scheichers Urwüchsigkeit bedeutete mehr als diej enige zum Schaden unseres Landes entschied sie sich nach der Er­ Luegers. Sie drückte aus, daß er bleiben wollte, was er seiner oberung Wiens nicht für diese Möglichkeit, sondern für die ent­ Herkunft nach war: Teil des gewöhnlichen Volkes. Die vor­ gegengesetzte. Sie suchte nunmehr ihre kleinbürgerliche Massen­ nehmen Herren, die in Österreich regierten, waren ihm herzlich basis zu halten und noch zu erweitern, zugleich aber , ,respek­ zuwider. Er glaubte, daß viele ausschließlich aus Dummheit tabel" zu werden, sich dem Habsburgerstaat, wie sie ihn vor­ und Hochmut zusammengesetzt seien.* fand, einzufügen. Vogelsangs Philosophie verschwand in der Mit der ganzen, nicht geringen Schärfe seiner Zunge kriti­ Versenkung, die brauchbaren Teile ebenso wie die unbrauch­ sierte er den Byzantinismus, der sich in der Christlichsozialen baren. · Sein sozialreformerischer Elan starb aus. Die materi­ Parteibrei tmachte.** Die sozialen Probleme galten ihm als Grund­ ellen Ressourcen der Gemeinde, die manche Reform gestattet probleme, die gelöst, nicht nur erörtert werden mußten.*** hätten, wurc!,en im wesentlichen so verwendet, wie sie auch Seine Haltung zur Sozialdemokratie war anfänglich eine freund­ von einer tüchtigen liberalen Administration verwendet worden liche. Später wurde er Sozialistenfresser, fand aber immer wären. Immer mehr verschmolz die Politik der Partei mit der noch Worte der Achtung für t und sogar für der herrschenden Mächte : des Finanzkapitals und des Hoch­ Viktor Adler tt, obwohl er in diesem Fall auch die Neigung adels. Tatsachen, worin sich diese Entwicklung ausdrückte, zur Judenfresserei überwinden mußte. Scheicher war nicht waren zum Beispiel: die Aufnahme geschäftlicher Beziehungen die Sorte Politiker, die Österreich brauchte. Gar zu oft wurde zwischen der Gemeinde einerseits, österreichischen und deutschen seine anständige Grundgesinnung durch Opportunismus außer Großbanken andererseits; die Beteiligung von Christlichsozialen Kraft gesetzt. Doch er war aus dem Stoff gemacht, aus dem an Ministerien, die das durchschnittliche liberal-kapitalistische unter günstigeren Bedingungen, in einer reinere n Atmosphäre, Regime führten; die enge Verbindung mit dem Erzherzog Franz s e e ke e o e s o e e k o al di z rbröc lnd M narchi ie b t, in bedeutend r ath ­ Ferdinand:16 Die neue Respektabilität der Christlichsozialen lisch-demokratischer Führer hätte werden können. brachte zwar eine Abdämpfung des Antisemitismus mit sich; Die Christlichsoziale Partei war in den Neunzigerjahren, aber selbst wenn man ihn ganz aufgegeben hätte, wovon keine als die alteingesessenen Gruppen beim Papst Hilfe gegen sie Rede war, hätte die Partei dem Lande wenig Ehre eingebracht. suchten, eine richtige Kleinbürgerpartei. Zwar war sie durch Wir wollen uns nicht bei den Erscheinungen kleiner Korruption ihre antisemitische und klerikale Tendenz vom demokratischen aufhalten, an denen sie krankte*, bei den Entgleisungen Bielo­ hlaweks17, bei den Gehässigkeiten, die Vergani und Geßmann * Scheicher, .,Erlebnisse und Erinnerungen", 5. Ed., S. 303. e e ** Ebenda, 5. Ed., S. 293. öff ntlich austauscht n**. *** Vgl. insbesondere die früher erwähnte Studie über die Aufgaben des Klerus. t „Erlebnisse und Erinnerungen", 6. Ed., S. 37 f. "' Vgl. J. Scheicher, ,.Erlebnisse etc.", 6. Ed., S. 375, 390. tt Ebenda, 6. Ed., S. 24. ** Ebenda, 6. Ed., S. 398 ff.

6 Fuchs, Geistige Strömungen 66 Katholizismus I gnaz S eipel 67

Viel schlimmer als all das war die Rolle, die sie während und des „Tiroler Anzeigers". Auch die katholische Intelligenz des letzten Jahrzehnts der Monarchie auf dem Gebiet der natio­ ·wurde nicht ganz in die Bahn des Imperialismus hineinge­ nalen und der Außenpolitik spielte. Tschechische Schulen in rissen. Daß es nicht geschah, war hauptsächlich einem Außen­ Wien, die Lueger zugelassen hatte, wurden von seinen Nach­ seiter zu verdanken, dem Hofrat . folgern geschlossen.* Trotz mancher Fäden, die sich zwischen Wir werden das Bild dieses großen, der heutigen Generation den Christlichsozialen und den Südslawen gesponnen hatten, fast schon entschwundenen Österreichers in dem Kapitel über nahm in der Balkankrise von 1909 die „Reichspost" dieselbe Pazifismus zu zeichnen versuchen. In gewissem Abstand von Haltung ein wie die „Neue Freie Presse".** Im Friedjung­ Lammasch ist zu nennen. In diesem Zusammen­ Prozeß war der Sitzredakteur der „Reichspost" formell Mit­ hang seien nur ein paar Worte über ein Buch gesagt, das er um angeklagter, und der Chefredakteur Dr. Friedrich Funder war 1916 veröffentlichte. Es war nicht in allen, aber in einigen Teilen moralisch Mitangeklagter (formell Zeuge).*** Das Jahr 1914 verdienstlich. Sicher ließ es nicht ahnen, daß der Autor später sah die Christlichsoziale Partei als williges Werkzeug des öster­ eine der Hauptfiguren der europäischen Reaktion werden würde. reichischen und damit auch des deutschen Imperialismus. Von Das Buch heißt „Nation und Staat" und behandelt die Voraussetzungen, Kriegsausbruch an konnte sich die „Reichspost" an Chauvi­ unter den�n ein friedliches Zusammenleben der Nationen möglich ist. Zuerst nismus nicht genug tun. Zu tlen traurigsten Erscheinungen wird die Frage des Zusammenlebens in Österreich-Ungarn untersucht. Der des Weltkrieges gehörten Priester, die blutrünstige Reden Habsburgerstaat, meint Seipel, muß unbedingt erhalten bleiben. Er ist nicht hielten und in der katholischen Presse blutrünstige Artikel aus Zufall, sondern aus historischer Notwendigkeit entstanden und war seinen und Gedichte publizierten. Mitte 1918 wurde Dr. Max von Völkern stets von Nutzen. Darüber hinaus stellt er eine kulturelle Bereicherung der Welt dar, denn das übernationale Prinzip, das er verwirklicht, ist ein Hussarek Ministerpräsident, der der Mann der Christlich­ höheres Prinzip als das rein nationalstaatliche. Wenn er heute von einer sozialen war. Seine Politik war betont deutsch und autoritär - Gefahr bedroht ist, dann von der, daß bei manchen seiner Bürger der Patrio­ obwohl ein Blinder die Ausweglosigkeit der Lage, die Sinn­ tismus mit dem Nationalgefühl in Konflikt gerät. Dieser Konflikt kann ohne losigkeit weiterer Opfer sehen mußte. weiters gelöst werden. Es ist bloß nötig, das Nationalgefühl in seinen natür­ lichen Grenzen zu halten, zu verhindern, daß es bis zu einem Punkt ansteigt, Sicher spiegelte die Kriegspolitik der christlichsozialen wo es in Chauvinismus (Seipel schreibt: Nationalismus) umschlägt. Wird dieses Parteileitung die Stimmung wider, die in manchen Volks­ Gesetz befolgt, dann können Nationalgefühl und Patriotismus, die beide ihre schichten herrschte. Es ist aber festzustellen, daß sie nicht Berechtigung haben, durchaus nebeneinander bestehen.* der Einstellung der gesamten kirchlich orientierten Bevölkerung Chauvinismus ist auch ein furchtbarer Schaden für die internationalen Beziehungen. :Qaß er neuestens so mächtig angeschwollen ist, muß um so mehr entsprach. Sie darf nicht als „die" katholische Politik der bedauert werden, als man zwar den Krieg von einem Tag auf den anderen Periode aufgefaßt werden. Die Katholiken lebten ja nicht in wird beenden können, aber nicht die Haßgefühle, die durch ihn erzeugt wurden. luftdichter Abschließung von der übrigen Welt. Bauern und Als die Feindseligkeiten ausbrachen, triumphierten bei uns die Nationalisten, Bauernsöhne wurden in den Schützengräben genau so von denen die Beschäftigung mit fremder Kultur immer schon ein Dorn im Auge Kriegsmüdigkeit gepackt wie Industriearbeiter. Die Tiroler gewesen war. Am liebsten hätten sie jeden, der international dachte, zum Hochverräter gestempelt. Verstärkt wurde ihre Schar durch die Ignoranten Kaiserjäger, die als erste Truppe der k. u. k. Armee meuterten, und dann durch die berufsmäßigen Pessimisten, die glauben, daß aus der dachten offenbar anders als die Leitartikler der „Reichspost" Fremde immer nur Schlechtes zu uns gekommen ist. Diese letztere Meinung ist ganz unsinnig. Eine Menge des Guten und Bedeutenden verdanken wir fremden Völkern, auch solchen, mit denen wir heute im Krieg sind, z.B. den * R.W. Seton-Watson, ,,AHistoryof theCzechsand Slovaks", 1934, S. 241. ** R.W. Seton-Watson, ,,The Southern Slav Question etc.", S. 200, 206. * ,,Nation und Staat", Kapitel „Vaterland, Nationalismus und Religion", *** Ebenda, S. 209, 228 ff. S. I-20.

5• 68 Katholizismus Die katholische Kulturbewegung 69 Franzosen. Es ist nötig, die chauvinistische Tendenz zu überwinden, damit die zu Hilfe kamen. Internationale Umstände: Um 1900 griffen engere Kulturgemeinschaft der Völker, die sich in den letzten Jahrzehnten durch viele Zeichen ankündigte, Wirklichkeit werde.• in Europa tiefe Strukturwandlungen Platz. Der Kapitalismus trat in seine imperialistische Phase. Hand in Hand damit ging Was Seipel über den Habsburgerstaat sagt, ist verfehlt. · ein ideologischer Zersetzungsprozeß, der das Aufkommen jeder Die österreichisch-ungarische Monarchie war nicht die treff­ antiliberalen Anschauung begünstigte. Österreichische Um­ liche Institution, als die er sie zeichnete. Die kulturelle Auto­ stände: Das rasche Vordringen der Christlichsozialen Partei nomie, durch die er die Wünsche der in ihr vereinigten Nationen förderte die mit ihr eng verknüpfte Kulturbewegung, wie um­ gekehrt die Kulturbewegung das Vordringen der Partei er­ beschwichtigen wollte18, war ein ganz unzulängliches Zuge­ ständnis. Anderseits bewegten sich seine Darlegungen über leichterte. Gegen Ende der liberalen Periode war Österreich die internationalen Beziehungen auf einer ungleich höheren geistig wesentlich verändert. Es kam nun jedem, insbesondere politischen Ebene, als die Christlichsozialen sie während der auch jedem Intellektuellen, auf Schritt und Tritt zu Bewußt­ Kriegszeit im allgemeinen erreichten. Dieser Abschnitt aus sein, daß er in einem katholischen Lande lebte. Die kulturell „Nation und Staat" war es vornehmlich, was den noch wenig bestrebten Organisationen des Katholizismus, seine Verlage, bekannten Salzburger Theologieprofessor qualifizierte, einen Zeitschriften und anderen Veröffentlichungen, seine Kurse, Sitz in dem Ministerium einzunehmen, welches in den Umsturz­ Vorträge, Bühnenaufführungen hatten sich vermehrt, die Mit­ tagen unter Professor Lammaschs Leitung amtierte. glieder-, Leser- und Teilnehmerzahlen sich vervielfacht. 20 Dank den administrativen Praktiken der Christlichsozialen war der Die katholische Kulturarbeit fand, als sie sich in den Neun­ Einfluß des Klerus auf die Volksschule beträchtlich gewachsen. zigerjahren entfaltete, eine noch schwierigere Lage vor als die In die Verwaltung der Hochschulen mischten sich die Leo­ Christlichsoziale Partei. Aus der Politik war der Katholizismus Gesellschaft, die erzbischöflichen Ordinariate usw. nachdrück­ in der liberalen Ära nie ganz ausgeschaltet, ja seit dem Re­ lich ein. Beziehungen zu einer katholischen Studentenvereini­ gierungsantritt Taaffes war er sogar merkbar eingeschaltet. gung gereichten dem, der sich um ein akademisches Amt Anders verhielt es sich auf dem Gebiet von Kunst und Wissen­ bewarb, keineswegs zum Schaden. Auf dem Gebiet der Dicht­ schaft. Auf dem Höhepunkt seiner Macht war der Liberalismus kunst und Philosophie gab es eine umfängliche katholische imstande, den römischen Glauben in den Intelligenzkreisen Produktion. Autoren wie Richard v. Kralik, Enrica v. Handel­ weit zurückzudrängen. Um 1870 existierte keine nennenswerte Mazzetti, Laurenz Müllner wurden von allen Gebildeten auf­ Literatur mit katholischer Orientierung, die gesamte „große" merksam gelesen. Auch Ottokar Kernstock, Karl Domanig, Presse war liberal, an den Universitäten lehrten in überwälti­ Adam Trabert, Franz Eichert, Eduard Hlatky hatten ihr gender Majorität liberale Professoren. 19 Nur in gewissen städti­ Publikum. Der führende Essayist der Epoche, Hermann Bahr, schen Unterschichten (am wenigsten im eigentlichen Prole­ ging von liberalen zu katholischen Anschauungen über. Der tariat) und auf dem Lande erhielt sich die Anhänglichkeit ungekrönte König der modernen Verskunst, Hugo v. Hof­ an die Kirche. Die Kulturarbeit hatte also ein sehr ausgedehntes mannsthal, wandelte ähnliche Wege. Versuchen wir die Funktion Terrain wieder zu gewinnen. Wenn ihr das in relativ kurzer der katholischen Kulturbewegung im Rahmen der Gesamt­ Zeit gelang, so vor allem deshalb, weil ihr politische Umstände entwicklung unseres Landes abzuschätzen, so finden wir, daß von ihr ebensowohl gute wie nachteilige Wirkungen ausgegangen • ,.Nation und Staat", Kapitel „Nationalismus und Internationalismus", sind. Die katholische Note bereicherte zweifellos die Mannig­ s. 143 ff. faltigkeit des geistigen Schaffens in Österreich. Oft zeigten sich 70 Katholizismus Richard v. Kralik 71

e die Katholiken als Vorkämpfer hoher ethischer Auffassungen, doxerweise der preußisch-deutsche Imperialismus. Durch di w de so etwa, wenn die Studentenverbindungen gegen den Duell­ katholische Kulturbewegung wurde das Band z ischen m s unfug auftraten.* Bahr, Hofmannsthal, Handel-Mazzetti ent­ Habsburger- und dem Hohenzollernstaat fe ter geschlungen. n deckten und popularisierten das halbverschollene Barock. Der führende Theoretiker erstand der Kulturbewegung u ­ e rswalden Damit wurde ein glanzvolles Stück österreichischer Vergangen­ bestrittenermaßen in Richard K r a lik v. M y heit neu belebt. Die katholischen Schriftsteller brachten zu­ (1852-1934)*. Durch seine enorme Belesenheit, Vielseitigkeit, ü stande, was die liberalen nie vermocht hatten: sie aktivierten die Fruchtbarkeit ist Kralik eine interessante Erscheinung. F r s n d a a Provinz. Unter ihrem Einfluß bildeten sich in Salzburg, Inns­ eine Anzahl seiner Arbeiten, speziell dramati cher u d r m tur­ n e bruck und anderen kleineren Städten selbständige literarische gischer, ist ihm unsere Literatur zu Dank verpflichtet. Vo g ­ s Zentren. Talente kamen zutage, die sonst unbekannt ver­ wissen quantitativ nicht unbeträchtlichen Partien seine Schrift­ n r e en kümmert wären. Über diesen erfreulichen Dingen dürfen aber steilerwerkes würde man wünschen, sie wären ie gesch i b sse a r re n r we e gewi durch us une f uliche icht ve gessen rden. Di worden. Klerikalisierung der niederen und höheren Schulen, die von der Über seine äußere Laufbahn ist wenig zu berichten. Im n Kulturbewegung erreicht wurde, bedeutete einen Rückschlag Böhmerwald als Sohn e ines Glasfabrikanten geboren, in Li z w sen e l n s ü en für unser Unterrichts e . Di Schu e ämtlicher Typen waren und Wien aufgewachsen, war er von Haus aus in der gl cklich en unter dem liberalen Regime viel besser gediehen. Die Epik, Lage, sich ganz seinen Studien und literarischen Arbeit wid­ n e sa Lyrik, Dramatik, welche die Kulturbewegung ins Volk trug, men zu können. Die Fülle seiner wissenschaftliche und s y­ e e e war teilweise von christlichsozialer Parteipolitik durchtränkt, istischen Schriften - sie behandeln philosophisch , r ligiös , a s e unterlag also den ernstesten ideologischen Einwendungen. Eine allgemeingeschichtliche, kultur- u nd liter turge chichtlich w e l a en r a a e e a a en Sch äch , die der christ ichsozi l Dokt in nh ft t , tr t in Gegenstände -ist kaum zu überblicken. Er war uch schaff ­ s d r d e r a e e e e der Kulturbewegung be on e s eutlich h rvo : die Unkl rh it der Künstler, veröffentlichte mehrere Gedichtbänd , in um­ s er in bezug auf das Deutschtum. Die Kulturarbeiter waren durch­ fassende Bearbeitung des deutschen Sagenschatze in V sform, n l e e n n e n e a s en n ielen sch itt ich g wiß k i e Preuße fr u d , ber ie glaubt , eine große Zahl von Novellen, Dramen, Weihe- u d Festsp . a a das deutschösterreichische Volk sei ein integrierender Bestand­ Der Gedanke, die alten Mysterienspiele in neuer F ssung uf die l e e e a n s w n n e n al e n tei d r d utsch n N tio . E ar ih e i Axiom, daß die Bühne zu stellen, dieser nachmals von Hofmannsth und R i ­ s e a n s e ns a rün l ö t rreichischen K tholike die engste gei tige Gem i ch ft hardt triumphal verwirklichte Gedanke, r ührte ursp g ich en ü w s s en ü l s a mit d s d- und e tdeut chen such m ßten. Fo glich von Kralik ·her. In Zusammenarbeit mit der Leo-Gesell ch ft e s l wagten sie es nicht, den national-österreichischen Gedanken, und anderen Organisationen brachte er eine R eih o cher e s zu dem sie gefühlsmäßig hinneigten, zu formulieren und durch­ Spiele zur Aufführung, wobei er wiederholt die nötige Musik s lb t en zudenken, sondern sie wirkten ihm geradezu entgegen. Ihre beisteuerte. Von der üblichen liberalen Meinung abweich d, en Haltung entsprang aus Reminiszenzen an die Epoche, da Öster­ meinte er, daß die Dichtkunst nicht Selbstzweck, sondern in d w a er reich im Deutschen Bund zusammen mit Bayern, Baden, Würt­ Dienst der wichtigsten Lebenszwecke zu stellen sei. Er ar d h , e en r n e n a e an n en temberg g g die p eußische Hegemo i gestritte h tt . wenn Organisationen ihn um Artikel, Szenen, Prologe gi g , s s d an n e wa a d en an Der Nutznießer diese Haften an er Verg ge h it r p ra- stets bereit, dergleichen zu liefern. Das Niveau er so tst de-

* Vgl. P. Melisch, ,,Politische Geschichte der deutschen Hochschulen * Vgl. H. M. Truxa, ,,Richard v. Kralik. Ein Lebensbild", 1903; Nagl­ in Österreich von 1848 bis 1918", 1939, S. 146. Zeidler-Castle, a. a. 0., 4. Bd., S. 1600 ff. 73 72 Katholizismus Richard v. Kralik

dürfen nicht aus China, Persien, Indien, die Mongolei, Arabien, Türkei usw., nen Arbeiten konnte kein sehr gutes sein, aber für die Tätigkeit Germanen an falschem Gerechtigkeitsgefühl dem staatenbildenden Geist der der christlichen Vereine waren sie eine große Hilfe. zu Zeiten die Seite gestellt werden, so groß ihre Einwohnerzahl, so ungeheuer die von Aus dem Gesamtkomplex der Kralikschen Theorien dürften ihre vorübergehende Stoßkraft gewesen sein mag, so eigentümlich doch nicht mit der heute hauptsächlich drei Teil.komplexe interessant sein: seine ihnen hervorgebrachte Zivilisation war. Sie kann sich Völker einheitlichen religiös-künstlerisch-politischen Kultur der christlichen Kulturlehre; seine Einschätzung des Deutschtums; seine Abwehr das Wesentliche, messen, wenn man nur eben den Weltanschauungsblick auf der modernen literarischen Form. j 19. Jahrhundert auf die Zusammenhänge lenkt. Darum haben sich a seit dem gebeugt; von ihr allein gingen Philosophen der verschiedensten Richtungen streben nach besten Kräften, alle anderen Völker der europäischen Zivilisation die Grundlage einer neuen Kultur zu finden. All diese Bemühungen sind, sagt die großen Fortschritte aus."* Kralik, vergeblich, ja widersinnig. Im Plan Gottes ist das Wesen der wahren Menschheitskultur ein für allemal festgesetzt. Sie entsteht in organischem Danach wäre die Kulturgeschichte durch zwei Merkmale be­ Aufbau durch die Synthese der Antike, des Christentums und des Germanen­ stimmt: erstens durch die Dreizahl der maßgebenden Faktoren; tums. Die Antike war von der Vorsehung bestimmt, die höchste Kunst, die zweitens durch ein sehr starkes Hervortreten des Germanentums tiefste Philosophie hervorzubringen. Der Katholizismus verschmilzt die grie­ als des Organs, das den Plan der Vorsehung ausführt. Eine chischen und römischen Schöpfungen mit der Lehre Christi. Das Germanentum fügt diesen beiden Elementen, indem es sich zu ihrem Träger macht, ein drittes Lehr:e, ebenso unhaltbar in ihren Voraussetzungen wie gefähr­ hinzu, ein eigenartig nationales. Damit ist die gottgewollte Entwicklung zur lich in ihren Konsequenzen. Sie ist ähnlich der etwa gleichzeitigen Vollendung gediehen. Kralik gibt folgende Skizze der Kulturgeschichte von Lehre Houston Stewart Chamberlains. Chamberlain, der Ver­ dem Zeitpunkt an, wo die Germanen mit dem römischen Weltreich in Berührung fasser der „Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) ist zwar kamen: ganz und gar nicht kirchlich gesinnt; fernersucht er dem Rassen­ „Durch die . . . Völkerwanderung traten die Germanen immer mehr an Stelle der Römer .. . Die Germanen hatten seit dem Einfall der Kimbern und begriff, der bei Kralik nur angedeutet ist, eine feste Gestalt zu Teutonen, seit den Kriegen Cäsars mit Ariovist, seit Arminius und Marbod, geben. Aber er nennt dieselben kulturbildenden Kräfte; auch seit den Markomannenkriegen gegen Marc Aurel durch Bündnisse und Friedens­ bei ihm ist der innere Sinn der Kulturgeschichte in der Selbst­ schlüsse immer mehr Stellen im römischen Heer eingenommen. Die Kämpfe entfaltung des Germanentums gelegen.** der Völkerwanderung waren daher zumeist Kämpfe zwischen Germanen. Es be­ stand längst keine eigentliche römische Macht mehr. Aber ebenso wie die Kirche Natürlichist der Kulturhistoriker Kralik von dem Allgemein­ schlossen sich auch die siegreichen Germanen der Kultur der Antike an. So historiker nicht zu trennen. Wo jener schrankenlos bejaht, kann kam es, daß bis heute unsere Bildung auf diesen drei Fundamenten beruht: dieser nicht negativ urteilen. Die zitierte Stelle schreibt ja auch Kirche, Antike, Germanentum. Es gibt außer der Kirche keine wahre Religion, dem Germanentum außer der kulturellen eine gewaltige politische die eine vollkommene Weltanschauung gewährt. Es gibt außer der klassischen Leitung zu. Alle dauerhaften staatlichen Institutionen, die in antiken Kultur keine zweite mögliche Kultur. Alle andere Kultur ist entweder von der klassisch-antiken der Griechen und Römer abgeleitet, oder sie ist Europa angetroffen werden, sind von den Germanen geschaffen. Barbarentum, im selben Sinne, wie die Griechen die sonst hochzivilisierten Damit erhebt sich die Frage, ob eine Kulturtheorie wie die Perser und andere Asiaten und Afrikaner dennoch Barbaren nennen durften. Kraliks nicht notwendig zu dem Punkt führt, zu dem Cham­ Es gibt drittens nur eine Nation, von der seit der Völkerwanderung das welt­ berlain gelangen wollte, als er seine so nahe verwandte Theorie geschichtliche Leben ausgeht: die germanische in ihren verschiedenen Stämmen. aufstellte: zum Alldeutschtum. Die Anwort lautet, daß die Alle weltgeschichtlich bedeutenden Staaten sind von Germanen gegründet worden. Außer dem eigentlichen Deutschland und Skandinavien wurde England innere Logik seiner Anschauungen Kralik nach dieser Richtung eine Gründung der Angelsachsen und anderer germanischer Stämme, Frank­ trieb, daß er aber aus einem dynastisch gefärbten österreichischen reich eine Gründung der Franken, Spanien eine Gründung der Westgoten, für Italien wurden außer den Ostgoten besonders die Langobarden staatenbildend. * .,Weltanschauung", 1921, S. 26 f. 19. Jahrhunderts", Rußland ist eine Gründung der skandinavischen Waräger. Ebenso wurden ** Vgl. H. St. Chamberlain, .,Die Grundlagen des Germanen für das später entdeckte Amerika maßgeb('nd. Die anderen Reiche, I. Teil, Kap. 1-3, 6, II. Teil, Kap. 9. 74 Katholizismus Der katholische Literaturstreit 75

Empfinden heraus viele Jahre lang versuchte, sich nicht treiben alle katholische Literatur bislang von bescheidenem Wert sei. Muth nannte eine Reihe von Gründen für die behauptete Inferiorität, wie Mißstände auf zu lassen. Er war durch viele Jahre ein Gegner des Alldeutsch­ dem Gebiet der Kritik, Ängstlichkeit der Verleger usw. Es sei wichtig, daß die tums. In der Praxis ist bekanntlich Alldeutschtum dasselbe katholischen Autoren sich endlich auch die moderne Technik, den modernen wie Allpreußentum. Kralik übte in seinem wichtigsten histori­ Stil zu eigen machten. Ein gar zu sichtbares Hervortreten der Tendenz sei zu schen Werk, in der „Österreichischen Geschichte" (1913), an vermeiden, der wahre Dichter stehe „in diesem Leben nicht als Kämpfer und Streiter, sondern darüber als Beschauer und Schöpfer."* Kralik hielt Muths Preußen scharfe Kritik. Seine Anschauungen über Fried­ Theorie für verfehlt und nahm in polemischer Art dagegen Stellung. Der Vor­ rich II.* und Bismarck** sind die glatte Negation der üblichen wurf, der ihm gemacht worden ist: er habe den Streit aus Eitelkeit begonnen, liberalen Anschauung, sie konnten nicht dezidierter sein. Er weil er Muths erste Schrift als Herabwürdigung seines eigenen Schaffens erkannte auch das Gekünstelte, Gezwungene, das dem österrei­ empfand**, ist konstruiert. Der Unbefangene fühlt aus Kraliks Darlegungen chisch-deutschen Bündnis anhaftete.*** Der Sommer 1914 heraus, daß der Gegensatz keinem anderen als einem ideellen, und zwar einem religiösen Motiv entsprang. Der Streit zwischen den beiden katholischen aber fegte seinen Widerstand gegen die deutsch-imperialistische Ästhetikern ging jahrelang hin und her. Um jeden der beiden sammelte sich Ideologie weg. Er wurde ein kräftiger Kriegshetzer. t Halb eine Gruppe von Anhängern. Muth schuf 1903 mit seinen Freunden die Revue Europa sollte seiner Ansicht nach als vormaliger deutscher „Hochland", die in München herauskam. Kralik inspirierte die Gründung der Besitz annektiert werden. Nach dem Zusammenbruch der Monatsschrift „Gral" sowie die einer (lockeren) Kulturorganisation, des „Gral­ tt bunds" (1906)21• Einige Zeit dienten die Zeitschriften zu einem guten Teil der Monarchie erwies er sich als unfähig, aus den Ereignissen zu Auseinandersetzung zwischen München und Wien. Kralik hat in seinen Büchern lernen. Sein Schicksal bestätigt zum hundertstenmal die Er­ über die Literaturbewegung klargestellt, daß die Punkte, auf die es ihm hauptsäch­ fahrung, daß, wer sich mit dem Pangermanismus einläßt, daran lich ankam, die Tendenzfrage und die Stilfrage waren. Mit seinen eigenen Worten: geistig zugrunde geht. ,,Wenn es die Aufgabe des echten Kunstwerks ist, ,Lebenskunst und Lebens­ Unterlag er als Historiker und Politiker etlichen Schwan­ weisheit zu lehren', wie Veremundus sagt, dann muß die Kunst auch lehren dürfen, ob man diese Lebenskunst und Lebensweisheit besser als Freimaurer, kungen, so war er als Ästhetiker die personifizierte Unbeweg­ als Buddhist, als Übermensch oder als Katholik betätigt. Verwehrt man diese lichkeit. Das zeigte sich im sogenannten katholischen Literatur­ Lehre der echten Kunst, dann heißt das so viel, als daß vor dem Schönheits­ streit, in dem er eine führende Rolle spielte. Der Verlauf dieser ideal der echten Kunst die Lebensweisheit in der Religionslosigkeit besteht."*** Kontroverse läßt sich in Kürze so wiedergeben: ,,Muth ... hält es für möglich, einen modernen Stil, eine moderne Form, die als die Gestaltung des modernen Gehalts sich notwendig ausgebildet hat, Kralik hatte sich eifrig um die Schaffung eines katholischen Schrifttums auf einen anderen Inhalt zu übertragen. Ich habe schon oft darauf hingewiesen, bemüht, hatte dazu als Dichter wie als Rezensent beigetragen; da erschienen daß dies ein ästhetisches Unding ist. Form und Stoff sind Korrelatbegriffe ... zwei Pamphlete des Rheinländers Karl Muthttt, worin behauptet wurde, daß Der Stil ist nach einem guten Wahrwort der Mann, der Stil ist der Charakter, ist der Geist, ist die Idee, die Sache selber in ihrem adäquaten Ausdruck ... ,Moderne' * ,,Österreichische Geschichte", 1913, S. 207 ff. Es gibt eine mit eigener Philosophie, Ästhetik, Ethik, Welt­ ** Ebenda, S. 531 ff. anschauung ... Ihr genialster Prophet ist Nietzsche, ihre bekanntesten Vor­ *** ,,Wien. Geschichte der Kaiserstadt und ihrer Kultur", 2. Aufl., S. 506. läufer sind die Sophisten, ihre Grundsätze lauten: Alles ist relativ, es gibt keine ewigen Wahrheiten, kein unbedingt Wahres, Gutes, Schönes. Alles entwickelt t Vgl. ,,Die Entscheidung im Weltkrieg" (3 Reden), 1914; ,,Das Buch von unserem Kaiser Karl", 1917; ,,Die neue Staatenordnung", 1918; etc. sich, alles verändert, verkehrt sich. Es gibt keine Autorität, keine Pflicht. Die Triebe haben recht. Die Treue muß der schamlosen Aufrichtigkeit des tt „Die Entscheidung im Weltkrieg", S. 20. Trieblebens weichen, usw ... Diese moderne ,Lebenskunst und praktische ttt Die Pamphlete hießen: ,,Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit?" (1898) und: ,,Die literarischen Aufgaben der deutschen Katho­ liken" (1899). Die erste Schrift wurde unter dem Pseudonym Veremundus * K. Muth, ,,Die literarischen Aufgaben etc.", S. 4. veröffentlicht. Vgl. über Muth das Sammelbuch „Wiederbegegnung von Kirche ** So Josef Nadler in dem Sammelbuch „Wiederbegegnung etc.", S. 64 ff. und Kultur in Deutschland. Eine Gabe für Karl Muth", 1927, herausgegeben *** R. v. Kralik, ,,Diekatholische Literaturbewegung der Gegenwart", 1909, von Ettlinger, Funk und Fuchs. s. 30. 76 Katholizismus Katholische Re/ ormbewegungen 77

Lebensweisheit' ha.t nach ästhetischer Notwendigkeit den ,modernen' Stil, Ländern unter dem Namen Altkatholiken als besondere Sekte. die moderne Technik emanieren müssen. Und da.rum ist der Versuch, der katholischen Literaturbewegung die moderne Form aufzureden, nicht trennbar In Österreich von vornherein bedeutungslos, genoß der Alt­ von der Konsequenz, ihr auch den modernen Gehalt aufzuzwingen."* katholizismus in Deutschland eine Zeitlang die Protektion Kralik ist sehr dogmatischeingestellt. Gewiß darf ein Kunst­ der Regierung. Als der „Kulturkampf" vorbei war, starb er werk eine Weltanschauung ausdrücken. Aber er verlangt ziem­ auch dort ab. Etliche Jahre darauf stellte sich aber heraus, lich viel an Weltanschauung: ist ihm doch sogar die Handel­ daß beinahe in der ganzen Welt kleine Zirkel von Geistlichen Mazzetti nicht katholisch genug! Und warum nicht auch der existierten, die eine Reform des Katholizismus, vor allem der katholische Gedanke einen neuen Stil emanieren kann, das Doktrin, für notwendig hielten. In den Vereinigten Staaten bleibt - bei aller Anerkennung des Zusammenhangs von Inhalt machte sich eine Gruppe bemerkbar, deren Meinungen als und Form - schleierhaft. Im übrigen liegt es uns fern, den ,,Amerikanismus" bekannt wurden, in Frankreich trat Loisy, alten Kralik-Muth-Streitnach vierzig Jahren austragen zu wollen. in England Tyrrell, in Italien Murri mit dem Versuch hervor, Für uns genügt es, die beiden gegensätzlichen Auffassungen die kirchliche und die moderne Weltanschauung auszusöhnen. verständlich gemacht zu haben. Ähnliche Bestrebungen entfalteten in Deutschland die Gruppen Der Kampf Kraliks gegen Muth war keine isolierte Begeben­ der ,,liberalen", der „fortschrittlichen" Katholiken. Der heit. Er war bloß eine Episode des allgemeinen Kampfes, den österreichische Klerus war gegen liberale Einflüsse wider­ in der zweiten Hälfte des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts standsfähiger als der deutsche. Natürlich verfolgten die öster­ die strenggläubigsten unter den Katholiken gegen weniger reichischen Katholiken mit Spannung die Diskussion, die zeit­ strenge, zum Teil auch gegen Häretiker, führten. Im Zeitalter weise die Spalten der gesamten europäischen Presse füllte. des scheinbar konsolidierten (in Wahrheit rascher Degeneration Einige Male griffen sie selbst aktiv ein, doch äußerten sie sich entgegengehenden) Liberalismus tauchten in den katholischen regelmäßig im konservativen Sinn. Außer dem Streit zwischen Kreisen vieler Länder, insbesondere auch im Klerus, Ideen auf, ,,Gral" und „Hochland" sind die Polemiken bemerkenswert, die sich äußerlich als religiöse Ideen gaben, aber in Wahrheit die durch die Theorien Albert Ehrhards und Hermann Schells unmittelbar der liberalen Philosophie, dem Positivismus, dem ausge:löst wurden. Kantianismus entstammten. Es war die Suggestivkraft der Über den Literaturstreit ist berichtet worden, den beiden naturwissenschaftlichen Denkweise, die sich durch den Filter anderen Kontroversen können nur ein paar allgemeine Be­ der idealistischen Erkenntnistheorie hindurch den Weg in die merkungen gewidmet werden. Albert Ehrhard, ein Theologe religiöse Sphäre bahnte. Meist waren die neuen Ideen national aus Bonn, der etliche Jahre in Wien lebte, veröffentlichte da­ gefärbt, d. h. es wurde behauptet, daß die Kirche sich dem natio­ selbst 1901 ein Buch über den „Katholizismus und das 20. Jahr­ nalen Charakter jedes einzelnen Volkes, in dessen Mitte sie wirkt, hundert". Der zentrale Gedanke des Buches war: Zwischen den anpassen soll. Zuweilen ging man noch weiter und forderte „Grundfaktoren" der modernen Zeit und der katholischen direkt die Abschwächung der zentralen Kontrolle, die der Papst Kirche gibt es keinen inneren und absoluten Gegensatz. Ehr­ über die Kirche ausübt. Eine Bewegung, die Anschauungen hard warnte vor übertriebener Wertschätzung des Mittelalters, dieser Art propagierte, war z. B. die von dem Münchner Theolo­ obwohl die Kirche damals die schönste Blüte erlebte, vor über­ gieprofessor Döllinger geleitete. Nach dem Vatikanischen Konzil triebenem Ultramontanismus, obwohl der Ultramontanismus von 1870 etablierten sich die Anhänger Döllingers in mehreren an sich berechtigt sei, etc. Diese Lehren riefen zahlreiche Kritiken hervor: der Linzer Dompfarrer Dr. Braun erwiderte • Ebenda, S. 36. mit „Bedenken über Dr. Ehrhards Vorschläge" (1902), das Katholische Reformbewegungen 79 78 Katholizismus

vorgebracht hatte.* Sicher ist, daß Schells allgemeine Gedanken­ ,,Vaterland" mit einer Artikelserie, die Linzer „Theologisch­ richtung mit derjenigen Loisys oder Murris verwandt war. praktische Quartalschrift", die Innsbrucker „Zeitschrift für Ebenso stand Muth dem Modernismus nicht ganz fern,was schon katholische Theologie" mit Einzelaufsätzen. Ehrhard replizierte daraus erhellt, daß das „Hochland" den Roman eines namhaften in der größeren Schrift „Liberaler Katholizismus?" (1902). Modernisten, Foggazzaro, in Fortsetzungen herausbrachte und Es gelang ihm zu zeigen, daß seine Gegner mit einigen An­ die Publikation erst einstellte, als das Buch auf den Index schuldigungen übers Ziel geschossen hatten. Die Hilfe, die kam.** Trotzdem sind Commer und Kralik mit ihren Schluß­ liberale Autoren ihm hatten zuteil werden lassen, wies er als folgerungen zu weit gegangen: Schells Doktrinen werden in der unerwünscht zurück. Was Hermann Schell betrifft, handelt es Literatur nicht den modernistischen gleichgesetzt, da man sie sich um einen Würzburger Theologen, der sich in Fachkreisen offenbar nicht für gleich gefährlich hält und sie mehrfach auch einen Namen machte, dann aber von der vorgeschriebenen Bahn eine andere Tendenz zeigen. Die Arbeit Karl Muths lag großen­ abwich, weshalb zwei seiner gelehrten Werke und zwei für ein teils außerhalb des Gebietes, auf das das päpstliche Rundschrei­ größeres Publikum bestimmte Essays auf den Index gesetzt ben abgezielt war. Das „Hochland" erschien nach der Enzy­ wurden. Nicht ohne Zögern erklärte er, sich der Entscheidung klika weiter und erfreute sich einer vielköpfigen Leserschaft. aus Rom zu unterwerfen. Nach seinem Tode unternahm es Daß in den Streitfällen jeweils deutsche Katholiken den - Prälat Dr. Ernst C o mmer, Professor der Dogmatik an der relativ - liberalen, österreichische den konservativen Stand­ Wiener Universität, Herausgeber des „Jahrbuchs für Philoso­ punkt bezogen, ist kein Zufall. Die Lage der Kirche jenseits phie und spekulative Theologie", die Ansichten Schells im einzel­ und diesseits der Grenze war sehr verschieden. In Deutsch­ nen zu entkräften. Commer warf dem Würzburger Professor land befand sich der Katholizismus dauernd unter dem Druck vor, er habe behauptet, daß Go tt dem Verstand völlig erkennbar einer starken, immer noch expandierenden Staatsgewalt, die sei, was ein Abgleiten in die Theosophie darstelle. Er habe sich die liberale und die protestantische Ideologie dienstbar die katholische Lehre verlassen, wonach Gott als die Ursache zu machen wußte. Liberale Doktrinen strömten in den Prote­ alles Seins selbst ursache-los ist, und statt dessen versucht, stantismus ein, protestantische in den Liberalismus, beide Gott als Ursache seiner selbst (causa sui) zu begreifen. Zugleich Ideologien konnten um 1900 kaum mehr auseinandergehalten zeigte Commer an H and von Briefen des Verstorbenen, daß werden. Zusammen hatten sie eine enorme Stoßkraft gegen Schell zur päpstlichen Autorität nicht die Haltung einnahm, die katholische Weltanschauung, deren Repräsentanten nie die die Kirche fordert. Pius X. richtete ein Schreiben an C om­ das Gefühl- loswurden, gerade noch tolerierte Staatsbürger mer, worin er ihm für die geleistete Aufklärungsarbeit die Aner­ zweiter Klasse zu sein. Die deutschen Katholiken scheuten kennung aussprach. Wenige Wochen später führte der Vatikan nicht davor zurück, ihr Minderwertigkeitsgefühl in Worte zu einen vernichtenden Schlag gegen die Reformbewegungen in fassen. Das Mittel, die Minderwertigkeit zu überwinden, war ihrer Frankreich, Italien usw. durch. Durch das Dekret der Heiligen Auffassung nach: den Zeitströmungen Konzessionen zu machen, Römischen und Allgemeinen Inquisition v om 3. Juli 1907 und die kirchliche Lehre durch Anpassung an die herrschenden das päpstliche Rundschreiben vom 8. September 1907 wurde der weltlichen zu erneuern. Ganz anders verhielt es sich in Öster­ „Modernismus" seinem Wesen nach genau definiert und mit reich. Hier stand die Kirche auf festem Fundament. Mochte aller Strenge verurteilt. In Commers Augen waren auch die Anschauungen Schells unter den Begriff des Modernismus zu * R. v. Kralik, ,,Die katholische Literaturbewegung", S. 1 subsumieren. Kralik erblickte in der Enzyklika die nicht weiter ** Ebenda, S. 78. anfechtbare Bestätigung der Argumente, die er gegen Muth 80 K atholizismit,s Die „ Brenner"-Gruppe 81 sie ein paar Jahre hindurch von den Intellektuellen von der übertrat. Ein konservativer Katholik konnte da leicht er­ Seite angesehen werden, das brauchte sie nicht aus der Ruhe heblich moderner sein (im wahren Sinne des Wortes) als einer, zu bringen. Für Hunderttausende, die sich aus den Kern­ der zum Modernismus tendierte. Vog�lsang, Scheicher, Lam­ schichten des Volkes rekrutierten, war der Pfarrer eine höhere masch sind eindringliche Beispiele. Das Fehlen des Liberal­ Instanz als der Universitätsdozent. Die Dynastie selbst mit katholizismus in Österreich bedeutete nicht das Fehlen einer ihrem großen Prestige betrieb zwar dynastische und nicht zeitgemäßen Tendenz. In manchen praktischen politischen päpstliche Politik, aber sie liebte es vielleicht gerade deswegen, Fragen herrschte zwischen Demokraten und Sozialisten einer­ sich demonstrativ vor der Kirche zu beugen. Den österreichi­ seits, einzelnen führenden Katholiken anderseits Überein­ schen Katholiken kam der Gedanke, daß sie im Vergleich zu stimmung. Dies Faktum war, mochte es auch von beiden Seiten den Liberalen minderwertig seien, unsinnig vor. Der durch­ nicht voll gewürdigt werden, objektiv wichtiger, als irgend­ schlagende Erfolg, den Lueger, Scheicher und andere Christlich­ welche Versuche, die Kirche von innen heraus zu liberalisieren, soziale als Redner erzielten, beruhte nicht zuletzt darauf, daß hätten sein können. sie das in drastischer Form zum Ausdruck brachten. Im Be­ Wir wollen unsere Betrachtung mit dem Hinweis auf eine wußtsein der Macht, die die Kirche in Österreich verkörperte, Schriftstellergruppe beschließen, die, obwohl teilweise außer­ lehnten die Theologen und andere katholische Denker unseres halb der Kirche stehend, zu ihr doch eine nahe spirituelle Landes Modifikationen des überlieferten Glaubens ab. Beziehung hatte: die „Brenner"-Gruppe. Die Revue „Der Man braucht das nicht zu bedauern. Es ist überhaupt _ Brenner", r9ro begründet, von Ludwig v. Ficker in Innsbruck notwendig, einen naheliegenden Irrtum zu vermeiden: die redigiert, hatte freireligiöse, protestantische und katholische Vorstellung, daß der Liberalkatholizismus als solcher ein fort­ Beiträger. Eines der Häupter des „Brenner"-Kreises war der schrittliches Phänomen gewesen sei, so daß also das Deutsche südtirolische Mystiker Carl Dallago, der alle kirchliche Organi­ Reich in diesen Dingen als Träger des Fortschritts, Österreich sation schroff negierte; ein anderes Haupt war der in München als Sitz der Reaktion erschiene. In einer solchen Auffassung ansässige eminente Polemiker Theodor Haecker, der sich Schritt wäre eine Überschätzung des Liberalkatholizismus gelegen. für Schritt zum streng katholischen Standpunkt durchrang. Sicher waren seine Wortführer feine Köpfe. Sicher kamen sie Was alle verband, war der Wille zu restloser Aufrichtigkeit in manchen Punkten anderer, heutiger Denkart nahe. Aber in religiösen Dingen, zu einer nur von ethischen Motiven be­ ihr Plan, liberale und katholische Grundauffassungen zu kom­ stimmten Lebensführung, zur Erneuerung des modernen Lebens binieren, konnte nicht glücken. Das Ergebnis konnte nur eine aus dem Geist des Christentums. Der „Brenner" erwarb sich Sammlung von Weltanschauungsfragmenten sein, die nicht ein bleibendes Verdienst um die österreichische Dichtung, zueinander paßten. Nehmen wir etwa Schell als den typischen indem er für Georg Trakl eintrat, dessen Verse die erste und Liberalkatholiken. Bei der Lektüre seiner Schriften fühlen fruchtbarste Periode des Expressionismus eröffneten. Ferner wir uns dann und wann zur Zustimmung aufgerufen, weit öfter machte die Revue die österreichische Öffentlichkeit mit Sören aber sind uns seine Behauptungen (Gott als causa sui usw.) Kierkegaard bekannt, dem dänischen Theologen und Philo­ fremd - ebenso fremd wie die Lehren seiner Gegner. Es war sophen, der als der dunkelste Autor des r9. Jahrhunderts gelten am Anfang des 20. Jahrhunderts längst nicht mehr entscheidend, kann, vielen aber auch als der tiefste gilt. Haecker wurde ob ein Katholik gewisse Sätze aus der Philosophie des r9. Jahr­ nicht müde, den Zeitgenossen Kierkegaards Bekehrung, seine hunderts in sein System rezipierte. Entscheidend war, ob er qualvolle und doch erlösende Wandlung vom Protestanten den sozialen Problemen der Epoche mit Verständnis gegen- zum Katholiken als mahnendes Beispiel vor Augen zu stellen.

6 Fuchs, Geistige Strömungen Katholizismus 82

Die menschliche Höhe, auf der das Innsbrucker Organ die Erörterung religiöser Probleme zu halten wußte, ist in unserem Land sonst kaum erreicht worden. Im chauvinistischen Rausch von 1914 bewahrte der „Brenner" eine kritische Nüchternheit, die jeder Anerkennung wert ist. Bald nach Kriegsbeginn mußte er sein Erscheinen einstellen und konnte es erst 1919 wieder ARBEITERBEWEGUNG aufnehmen.

6* Üie Tatsache, daß der wirtschaftliche Aufstieg Österreichs von Metternichs Zeiten an sich verlangsamte, hatte zur Folge, daß die Arbeiterbewegung bei uns später zur vollen Ausbildung kam als in England, Frankreich und Deutschland. Die öster­ reichische Bewegung hat aber in den letzten Jahrzehnten der Monarchie das Versäumte nachgeholt und sich in dem kompli­ zierte11 staatlichen Gefüge energisch zur Geltung gebracht. Gewiß war der Einfluß im öffentlichen Leben, den sie erreichte, nicht vergleichbar mit dem kombinierten der bürgerlichen Gruppen. Dennoch hat sie dem Land Unschätzbares geschenkt, Unschätzbares an Lebensmut, an originellen Gedanken, an hochfliegenden Plänen. Die politischen, sozialen, kulturellen Fortschritte, die von den Neunzigerjahren bis zum Untergang der Monarchie erzielt wurden, sind zu einem wesentlichen Teil ihr zuzurechnen. Sie war es auch, die den Republikjahren Sinn und Inhalt gab, soweit sie deren überhaupt teilhaftig wurden. Sie ist es, auf die sich vor allem gründet, was unser von tausend Nöten geplagtes Land heute an Zukunftshoff­ nungen besitz�.

Die Geburtsstunde der österreichischen Arbeiterbewegung fällt ungefähr mit der Geburtsstunde der konstitutionellen Monarchie zusammen. Zwar war in der Revolution von 1848 einige Aktivität des Proletariats sichtbar, doch hielt sie sich durchaus in der Bahn, die das Bürgertum vorzeichnete. Zwar entstanden Arbeiterbünde und Arbeiterzeitungen, doch erlagen sie dem Ansturm der Reaktion, bevor sie sich festigen, bevor sie ihre Ziele klären konnten. Das Bachsehe Regime ließ nur katholische Gesellenbünde zu, keine andere proletarische Or­ ganisation. Der Versuch, eine illegale Organisation zu schaffen, Fraktionskämpfe 86 Arbeiterbewegung 87 aner brachen zusammen. Das bedeutete aber nicht, daß somit scheint nicht gemacht worden zu sein. Noch die Regierung Schmerling verweigerte einem proponierten Arbeiterverein die der Marxismus für die Bewegung maßgebend geworden wäre. Durch den deutschen Revolutionär Johann Most, der nach Genehmigung. Erst 1867 trat der Wiener Arbeiterbildungs­ verein ins Leben. Aus ihm erwuchs eine Anzahl von Zirkeln, London emigrierte und dort die Zeitschrift „Freiheit" heraus­ die in ihrer Gesamtheit parteiähnlichen Charakter hatten. gab, wurden anarchistische Gedanken in die österreichische Aus den Zirkeln wieder erwuchs nach zwei kampferfüllten Partei getragen. Most hatte vormals in Österreich gearbeitet, Jahrzehnten die einige, straff geleitete Sozialdemokratie. war in der Arbeiterschaft sehr bekannt, und sein Blatt wurde viel gelesen. Es gewann noch an Einfluß, als Andreas Scheu, nun­ Die Kämpfe dieser Jahrzehnte waren doppelter Art. Erstens ebenfalls in London lebend, der Redaktion beitrat. Die hatte die Arbeiterbewegung die immer erneuten Angriffe der mehr Regierung, der Polizei, aller herrschenden Mächte abzuwehren. ,,Gemäßigten" __:_ unter ihren Führern wären etwa Bardorf, Sodann hatte sie die in ihrem eigenen Rahmen sich abspielende Karl Kautsky, Emil Kaler-Reinthal zu nennen - konnten sich Auseinandersetzung feindlicher Fraktionen zu bestehen. Beides nur als Minoritätsgruppe behaupten. Anfangs der Achtziger­ zusammen stellte die junge Bewegung auf eine furchtbar harte jahre setzten von seiten der „Radikaien" Attentate und Raub­ überfälle Probe. Daß sie der Schwierigkeiten Herr wurde, war der stärkste ein (letztere zu dem Zweck, Geldmittel für die Partei­ denkbare Beweis für ihre innere Kraft und für ihre objektive kasse zu beschaffen). Das Land geriet in maßlose Aufregung. Etliche ebenso sinnlose wie brutale Aktionen ließen in der Ar­ Notwendigkeit. Die schlimmere der beiden Sachen war der Fraktionskampf. beiterschaft Zweifel am Wert des Radikalismus entstehen. Ohne ihn hätte die Partei - oder was sich so nannte - den Die Regierung, die die Bewegung immer in halber Illegalität Druck des Staatsapparats viel früher unwirksam gemacht. gehalten hatte, ging mit den schärfsten Maßnahmen vor, wobei sie zwischen „Radikalen" und „Gemäßigten" gar nicht sehr Es handelte sich, wie kaum anders denkbar, um den Kampf eines radikalen gegen einen gemäßigten Flügel. Das blieb sich genau unterschied. Die vernünftigen Leute aus beiden Fraktio­ durch zwanzig Jahre gleich; doch änderte sich jeweils die Ideo­ nen begannen zu verstehen, daß der interne Streit nur dem logie und die Zusammensetzung der Fraktionen, sowie die Klassenfeind nützte, von ihm sogar künstlich angefacht war. Ein Mann, der der Bewegung noch nicht lange angehörte, sich Bewegung das nächste Entwicklungsstadium erreichte. Ur­ aber schnell Respekt auf allen Seiten verschafft hatte, Viktor sprünglich standen die Anhänger des kleinbürgerlichen Reformers Adler, nahm das Versöhnungswerk in die Hand und hatte Schulze-Delitzsch den Anhängern Lassalles gegenüber. Die Lassalleaner (Hartung, Überwinder) drängten die anderen bei­ Erfolg. Er. verhalf in längeren Verhandlungen dem marxisti­ seite. In die Periode ihrer Herrschaft fällt die erste Massendemon­ schen Gedanken zum Sieg. Das vonihm ausgearbeiteteProgramm Hainfelder Tagung stration für das allgemeine Wahlrecht (1869). Das unmittelbare war so gut durchdacht, daß es auf der (Jahreswende 1888/89) mit sämtlichen gegen eine Stimme ange­ Resultat der Demonstration war die Verurteilung der „Rädels­ führer" wegen Hochverrats. Nun erteilte die reichsdeutsche nommen wurde. Welchen politischen Inhalt hatte der Streit, der in Hainfeld Zentrale der Lassalleaner den österreichischen Kollegen den Rat, zum Abschluß kam? Es war kein Streit um den Sozialismus, sehr vorsichtig zu Werk zu gehen, so weit als möglich mit Bürger­ das Endziel der Bewegung: von dem Endziel hatten „Radikale" lichen zu kooperieren. Dagegen opponierte die Gruppe um und „Gemäßigte" mindestens ähnliche Vorstellungen. Es war Andreas Scheu, der sich manche Ideen des Marxismus zu ein Streit um die Strategie und Taktik, die das Proletariat anzu­ eigen gemacht hatte. Nach einer Fehde von kaum übertreff­ wenden, um die Organisationsform, die es zu wählen habe. Die barer Heftigkeit erlangte Scheu das Übergewicht, die Lassalle- 88 Arbeiterbewegung Hainfeld 89

Anschauungen der „Radikalen" waren dieselben, wie sie mit der Adler in konstanter Fühlung stand, ihn mit Rat und Tat unter­ oder jener Variante die Anarchisten in der ganzen Welt ver­ stützte. Einer der Briefe von Engels an Adler enthält eine traten: Analyse der politischen Verhältnisse, wie sie um 1890 in Österreich Der Kampf geht nicht um Reformen innerhalb des Kapitalismus, sondern beschaffen waren. Die Briefstelle ist, gleich vielem, was der große um den Sturz der Bourgeoisie. Das einzig mögliche Kampfmittel ist die Gewalt. Mann geschrieben hat, von solcher Klarheit und Frische, daß die Parlamentarisch ist nichts auszurichten, speziell in Österreich, wo die Arbeiter Lektüre noch heute zum ästhetischen Vergnügen wird: gar nicht das Wahlrecht haben. Da die Arbeiterpartei die Hauptaufgabe hat, Terrorakte auszuführen, muß sie zu wesentlichen Teilen illegal sein. Zweck­ „Seit ich mir Euer Land und Volk und Eure Regierung angesehen2, ist mäßigerweise wird sie locker gefügt, ,,föderalistisch" aufgebaut sein. mir immer klarer geworden, daß da für uns ganz besondere Erfolge zu holen sind. Eine in starker Entwicklung begriffene, aber infolge langjährigen hohen Von all dem wurde in Hainfeld genau das Gegenteil be­ Zollschutzes meist noch mit zurückgebliebenen Produktionskräften arbeitende Industrie (die böhmischen Fabrikanlagen, die ich sah, beweisen mir das); schlossen. Hainfeld sagte ungefähr: die Industriellen selbst der Mehrzahl nach- die größeren meine ich- ebenso­ Terrorakte sind ohne Wert, sie werfen uns zurück, statt uns vorwärts zu sehr mit der Börse verwachsen wie mit der Industrie selbst; ein politisch ziem­ helfen. Reformen sind kein Ersatz für die sozialistische Ordnung, die wir lich indifferentes, in Phäakentum aufgehendes Philisterium in den Städten, erstreben - aber sie sind besser als nichts. Um wirtschaftliche, soziale, poli­ das vor allem seine Ruh' und seine Genüsse haben will; auf dem Land rapide tische Verbesserungen für das Proletariat durchzusetzen, brauchen wir eine Verschuldung respektive Aufsaugung des Kleingrundbesitzes; als wirklich breite, legale Massenorganisation. Zweckmäßigerweise wird sie fest gefügt, herrschende Klasse der Großgrundbesitz, der aber mit seiner politischen ,.zentralistisch" aufgebaut sein. Die wichtigste der Reformen, die wir gegen­ Stellung, die ihm eine mehr indirekte Herrschaft sichert, ganz zufrieden ist, wärtig erreichen können, ist das allgemeine Wahlrecht: Demokratisierung und eine Großbourgeoisie, wenig zahlreiche haute finance und damit eng ver­ Österreichs ist unser nächstes Ziel. knüpfte Großindustrie, deren p_olitische Macht noch viel indirekter zur Geltung kommt, die aber ebenfalls damit ganz zufrieden ist; unter den besitzenden Klassen, also bei den Großen, kein Wunsch, die indirekte Herrschaft in eine Waren somit in einer ganzen Reihe von Punkten die Ge­ direkte, konstitutionelle zu verwandeln, und bei den Kleinen kein ernsthaftes mäßigten durchgedrungen, so hatten die Radikalen doch inso­ Streben nach wirklicher Beteiligung an der politischen Macht; Resultat: fern Anlaß, mit dem Hainfelder Programm zufrieden zu sein, Indifferenz und Stagnation, die nur gestört wird durch die Nationalitätskämpfe der verschiedenen Adeligen und Bourgeois untereinander und durch die Ent­ als es nicht das war, was man heute reformistisch nennt. Es wies wicklung des Verbands mit Ungarn. - auf den begrenzten Nutzen von Reformen hin, es vermied in In einem solchen stagnierenden Staatszustand, wo die Regierung trotz unmißverständlicher Weise, die legalen Kampfmittel als die ihrer überaus günstigen Stellung gegenüber den einzelnen Klassen dennoch einzig zulässigen zu erklären. Es war eben ein (wenn auch sicher in ewigen Schwierigkeiten ist: 1. weil diese Klassen in x Nationalitäten geteilt sind und daher, gegen die strategische Regel, vereint marschieren (gegen die nicht in allen Formulierungen ideales) marxistisches Programm. Arbeiter), aber getrennt schlagen (nämlich auf einander), 2. wegen der ewigen Im ganzen trug die Partei, die aus dem Einigungskongreß hervor­ Finanznot, 3. wegen Ungarn, 4. wegen auswärtiger Verwicklungen - kurz, ging, die typischen Züge der um diese Zeit in allen Ländern sich in dieser Situation, sagte ich mir, muß eine Arbeiterpartei, die ein Programm formierenden sozialdemokratischen Parteien, die sich 1889 in und eine Taktik hat, die weiß, was sie will und wie sie es will, die die hinreichende Paris zur Zweiten Internationale zusammenschlossen. 1 Willenskraft hat und dazu das lustige, erregbare, der glücklichen kelto-ger­ manisch-slawischen Rassenmischung mit Vorwiegen des deutschen Elements Die Einigung in Österreich kam in einem günstigen Augen­ geschuldete Temperament - die muß da nur die hinreichende Fähigkeit ent­ blick zuwege; die Voraussetzungen waren da, die Partei rascli wickeln, um ganz tolle Erfolge zu erlangen. Unter lauter Parteien, die nicht weiterzubringen, sie zu einem der entscheidenden Kraftzentren wissen, was sie wollen, und einer Regierung, die ebenfalls nicht weiß, was sie der Monarchie zu machen: so urteilte Friedrich Engels, der will, und von der Hand in den Mund lebt, muß eine Partei, die weiß, was sie will, und dies mit Zähigkeit und Ausdauer will, schließlich immer siegen. Und vom Ende der Achtzigerjahre bis zu seinem Tod (1895) mit Viktor dies umso mehr, als alles, was die österreichische Arbeiterpartei will und wollen 90 Arbeiterbewegung Die Sozialdemokratie von Hainfeld bis 1918

kann, nur das ist, was die fortschreitende ökonomische Entwicklung des Lan- '• dem noch 53 Blätter. Natürlich war die Organisation nicht91 des ebenfalls verlangt."* Selbstzweck. Sie erwirkte für das Proletariat · Besserstellung Stellen wir die Frage, ob die österreichische Partei die auf allen möglichen Gebieten. Die Ausnahmsbestimmungen Chancen, auf die der Lehrmeister des internationalen Proletariats gegen Arbeiterverbände fielen. Das Kurienparlament fiel. Der sie hinwies, genutzt hat, dann fällt die Antwort nur teilweise Sturm der Arbeiterversammlungen und Massendemonstrationen, bejahend aus. Die Sozialdemokratie hat nach 1890 Großes ge­ die Generalstreikdrohung, ausgesprochen angesichts der russischen leistet, und sie hat Entscheidendes nicht geleistet. Ereignisse von 1905 - das war schließlich mehr, als die Nutz­ Die Phase ihrer Geschichte, die mit Hainfeld begann, ließ nießer des alten Systems aushalten konnten. Die Sozialdemokra­ sich ungleich ruhiger an als die vorangegangene. Der Fraktions­ tie hatte schon bei den Wahlen von 1897 und 1901 ein paar kampf war jahrelang so gut wie tot. Adler hielt sich mühelos Kandidaten durchgepreßt. 1907 wurde die sozialistische Fraktion an der Spitze der Bewegung; neben ihm traten Jq.lius Popp, mit einem Schlag eine der stärksten im Hause. Die gefestigte Pernerstorfer, Schuhmeier, Reumann in den Vordergrund, Position der Arbeiterschaft nötigte die Regierung zur Einführung weiters Seitz, Renner, Austerlitz. Die Meinungsverschieden­ von - allerdings dürftigen - Sozialgesetzen, die Unternehmer heiten, die auf den Parteitagen diskutiert wurden, waren nicht zu manchen Konzessionen in den Betrieben. Die Tätigkeit der so heftig, daß sie die Einheit gefährdet hätten. Auf jeder Tagung Sozialdemokraten hatte ferner einen hervorragenden volkser­ konnten organisatorische Fortschritte registriert werden, die zieherischen Effekt. Die Partei lehrte die proletarischen Massen sich seit der letzten ergeben hatten. Die Partei dehnte sich aus, das politische Einmaleins der Gegenwart, weckte ihr Interesse indem sie die schwer erfaßbaren proletarischen Schichten ein­ für kulturelle Fragen, löste in den tausend Vereinen, deren Netz bezog, sowie auch angrenzende Schichten (Angestellte, schlecht­ das Land überspannte, ein gewisses Maß an demokratischer bezahlte Intellektuelle). Bedeutsamer noch war, daß sich die Aktivität aus. Die Partei entdeckte eine große Zahl hochbegabter mit ihr verbundenen Massenorganisationen rapid erweiterten: Leute gerade in den untersten Schichten, berief sie auf verant­ die Gewerkschaften, di� 1893 ihren ersten Kongreß durchführten, wortliche Posten und verwertete ihr Talent, indem sie es praktisch die Genossenschaften, dann die Frauen-, Jugend-, Sport-, fortbildete. Bildungsorganisationen.** Die sozialdemokratische Presse nahm Das stärkste erzieherische Element in der Arbeit der Sozial­ einen erstaunlichen Aufschwung. 1895 beging man es als ein demokraten war das moralische: der Enthusiasmus, mit dem sie großes Fest, daß die „Arbeiterzeitung" (begründet 1889) Tages­ ihre Aufgaben anpackten, der glühende Wille zum Fortschritt, zeitung wurde. Unmittelbar vor dem Krieg verfügte die Partei die Bereitschaft des Einzelnen, für die gute Sache Opfer zu brin­ über 6 Tagesblätter, etwa 20 Wochen- und Monatsschriften der gen. Enthusiasmus ist, Gott sei Dank, ansteckend. Die Gesin­ verschiedensten Art, und die Gewerkschaften publizierten außer- nung der älteren Genossen übertrug sich durch die Macht des Beispiels auf die, welche neu hinzukamen. Karl Höger, einer .. * Brief vom 11. Oktober 1893, veröffentlicht in: V. Adler, ,,Auf­ der Veteranen der Bewegung, meinte zwar, Idealismus und sätze, Reden, Briefe", 1922-29, 1. Heft, S. 78 ff. Dort ist nicht nur die Korrespon­ Opferbereitschaft seien nie wieder so groß gewesen wie in der denz zwischen Engels und Adler mitgeteilt, sondern es sind noch manche ersten Zeit, damals als der Wiener Arbeiterbildungsverein andere interessante Äußerungen von Engels zusammengestellt. gegründet wurde;* und er muß es gewußt haben, da er dabei war. ** Vgl. L. Brügel, ,,Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie", 1922-25, 4. Bd,, S. 383 ff; 5. Bd., S. 140 ff; J. Deutsch, ,,Geschichte der Aber was an Idealismus in Viktor Adlers Epoche noch lebte, war österreichischen Gewerkschaftsbewegung", 1. Bd.,t 1929; Adelheid Popp, ,,Der Weg zur Höhe", 2. Aufl. 1930. * L. Brügel, a. a. 0., 1. Bd., S. 99. 92 Arbeiterbewegung Di� Sozialdemokratie von Hainfeld bis 1918 93

genug, um das Land auf den Kopf zu stellen. Die Sozialdemokra­ historischen Gerechtigkeit, daß sie an diesen Ansprüchen ge­ tie appellierte an die besten Kräfte in der Seele des österreichi­ messen werde. schen Volkes; stürmischer Widerhall war der Lohn, der ihr zuteil Die österreichische Sozialdemokratie erfuhr dasselbe Schicksal wurde. wie die Zweite Internationale in ihrer Gesamtheit: sie verfiel, Nun kann aber das Wirken der Sozialdemokratie nach p9litisch gesprochen, den korrumpierenden Einwirkungen der Hainfeld nicht allein von dem Gesichtspunkt aus betrachtet imperialistischen Epoche.* Marx und Engels hatten gelehrt, werden, welche organisatorischen, pädagogischen, moralischen daß das Proletariat im Rahmen der kapitalistischen Ordnung von Leistungen vollbracht wurden, welche Reformen den herrschen­ Ausbeutung und Unterdrückung nicht frei werden kann; daß es, den Klassen abgenötigt wurden. Die Geschichte der Sozial� um frei zu werden, die politische Macht erobern muß. Nun demokratie ist politische Geschichte in einem weiteren Sinn. herrschten um 1890, als in den fortgeschrittensten Ländern die Sie handelt von der Theorie und Praxis des proletarischen sozialdemokratischen Massenparteien entstanden, stabile wil;t­ Klassenkampfes im Zeitalter des Imperialismus. So angesehen, schaftliche und politische Verhältnisse. Das Gesicht der euro­ zeigt sie viel weniger erfreuliche Züge, zeigt sie im Gegenteil päischen Gesellschaft war bestimmt durch die Dreiheit: Kon­ Tendenzen, die, anfänglich kaum merkbar, allmählich scharf junktur, Friede, Parlamentarismus. Der Kampf um die Macht, hervortretend, ein katastrophales Versagen an historischen der ein erschüttertes Gesellschaftssystem voraussetzt, konnte Wendepunkten vorbereiteten; Tendenzen, die dazu führten, daß unmöglich die nächste Aufgabe des Proletariats sein. Als nächste in der Partei nach 1900 der Fraktionskampf in der Form des Aufgabe kam nur in Betracht: Sammlung der Kräfte, Vorbe­ Kampfes zwischen Deutschösterreichern und Tschechen wieder reitung für die. Kampfsituation, die früher oder später eintreten auflebte; daß die Partei um 19ro in nationale Gruppen ausein­ mußte. Es war daher völlig korrekt, wenn die Zweite Internatio­ anderfiel; daß sie 1914 den imperialistischen Krieg unterstützte; nale, bis 1895 noch von Engels beraten, das Spiel mit der revo­ daß sie 1918 die große Chance des Proletariats zur Machtergrei­ lutionären Phrase, das von manchen Sozialdemokraten betrieben fung vorübergehen ließ; daß sie späterhin die Aufgaben der wurde, verurteilte. Es war korrekt, wenn etwa die österreichische Republikzeit nicht zu meisternverstand. All das zusammen würde Partei im Hainfelder Programm ihr Gegenwartsziel definierte bloß gelinde Kritik herausfordern, wenn man es in der Sozial­ als Aufklärung und Organisierung der Massen. Anderseits demokratie mit einer Fortschrittspartei kleinbürgerlichen Typus steckte in der Politik des Kräftesammelns eine unerhörte zu tun hätte. Verglichen mit den bürgerlichen Parteien der Gefahr. Eine revolutionäre Partei ist in ihrer notwendig un­ Habsburger-Monarchie bewährte sie sich vortrefflich. Fraglos revolutionären Umgebung stets der Gefahr des Versandens aus­ war auf ihrer Seite ein gewaltiges Plus an sozialem Empfinden gesetzt. Faktisch kam es von den Neunzigerjahren an zu einer und zugleich ein Minus an Anfälligkeit gegenüber der chauvini­ derartigen Entwicklung. Das Kräftesammeln begann vielen stischen und imperialistischen Seuche. Aber sie hatte sich sehr Sozialdemokraten besser und besser zu gefallen. Die Arbeiter­ hohe Ziele gesetzt, hundertmal höhere, als einer bürgerlichen parteien wuchsen: das Parlament des einen oder anderen Landes Gruppe je in den Sinn gekommen wären. Sie wollte den imperia­ beschloß die eine oder andere soziale Schutzvorschrift. Die Ge­ listischen Krieg verhindern, die Bourgeoisie stürzen, der Ausbeu­ werkschaften wuchsen noch schneller: da und dort erreichten tung des Menschen durch den Menschen ein Ende machen. Mit sie für eine begrenzte Arbeiterkategorie eine Lohnerhöhung. einem Wort: Sie trat als die Partei der proletarischen Revolu­ tion auf. Sie erhob die kühnen Ansprüche, die die proletarische Avantgarde allenthalben erhebt. Es ist eine Forderung der * Vgl. W. I. Lenin, ,,Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapi­ talismus", 1917; deutsche erw. Ausg. 1920. M. Beer, ,,Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe", 6. Aufl. 1929, S. 691 ff. 94 Arbeiterbewegung Die Sozialdemokratie von Hainfeld bis 1918 95

Waren nicht Reformen und Zugeständnisse der Unternehmerder was da gesagt wurde. Man. hörte diese Dinge seit Jahrzehnten, beste Ertrag der sozialdemokratischen Tätigkeit? Sollte man es waren Phrasen, die die Bewegung mitschleppte, weil sie sich nicht alle Energie auf weitere Reformen konzentrieren, statt nun einmal eingelebt hatten. In der Praxis gingen die sozial­ von einer Revolution zu reden, für die der Zeitpunkt nicht und demokratischen Führer von der Vorstellung aus, daß die kapi­ nicht kommen wollte? War es nicht denkbar, durch Vermehrung talistische Ordnung, in der sie aufgewachsen waren, unabsehbar der Reformen die bürgerliche Gesellschaftsordnung schrittweise fortdauern würde. Die Arbeiterparteien würden immer mehr in die sozialistische zu überführen ? Gedanken dieser Art ergriffen Mitglieder, immer mehr Abgeordnete in den Parlamenten haben, von vielen Arbeiterkreisen Besitz, besonders von der Arbeiter­ eines Tages würde die deutsche oder die französische oder die aristokratie, d. h. solchen Proleten, die relativ gute Löhne belgische Partei vielleicht sogar die Mehrheit gewinnen. Dann bezogen, ein gutes Bildungsniveau und gerade deshalb namhaften würde sie die Regierung bilden und einige größere Reformen in Einfluß in den Organisationen hatten. Die „Reformisten" über­ Angriff nehmen. In der Internationale existierte ein Flügel, sahen nur ein paar „Kleinigkeiten". Der neu heraufkommende der die spießbürgerlichen Phantasien der offenen und getarnten Monopolkapitalismus war so wenig imstande, Krisen fernzuhalten, Reformisten energisch bekämpfte: der Flügel, den Lenin führte wie der alte Liberalkapitalismus. Der Friede konnte nicht dauern. und dem u. a. auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg Der Siegeszug der Monopole durch die ganze Welt mußte den nahestanden. Man respektierte Lenin in der Internationale ein­ bewaffneten Konflikt der imperialistischen Länder nach sich fach deshalb, weil es selbst Liberalen unmöglich war, die revo- ziehen. Die Parlamente konnten dem Proletariat nur wenig . lutionäre Arbeit der Bolschewiki zu übersehen. Aber man nützen, wenn es sie nicht als Instrumente im Machtkampf dachte und gab zu verstehen: ,,Der Mann hat den Fehler, daß behandelte. Die Ideen der Reformisten waren pure Illusion - er ein Russe ist. Er sieht alles durch die russische Brille. Mittel­ eine Illusion, die von der Bourgeoisie systematisch genährt und Osteuropa sind doch nicht Rußland!" ... Der Entartungs­ wurde, da sie der geltenden Ordnung offenbar zugute kam. prozeß, der die Internationale innerlich aushöhlte, griff um sich, Die Sozialdemokraten hätten alles Erdenkliche tun müssen, die und auch die österreichische Sozialdemokratie wurde von ihm Arbeiterschaft vor der drohenden Kriegskatastrophe zu warnen; erfaßt. sie auf das rasche Nahen der lange erwarteten revolutionären Während der ersten Jahre nach Hainfeld war die Tätigkeit Situation hinzuweisen; sie auf den Machtkampf vorzubereiten. der österreichischen Partei im wesentlichen von marxistischen Damit hätten sie der Menschheit den Jammer zweier Welt­ Prinzipien beherrscht. Sie war eine „gesamtösterreichische" kriege, den Jammer der zwanzig Zwischenjahre erspart. Leider Partei, d. h. sie umfaßte Arbeiter aus allen in „Zisleithanien" leben­ taten sie das Gegenteil von dem, was nötig gewesen wäre. Zwar, den Nationen; sie verstand es, ihre organisatorische Aufbauarbeit, jene überdeutliche Form des Reformismus, die man Revisionis­ ihre Kampagnen für Sozialgesetze und Wahlrecht zu verbinden mus nannte, setzte sich nicht durch. 3 Auf den Kongressen der mit einer Belehrung der Massen darüber, daß Reformen nur Internationale und der einzelnen Parteien wurden die Revisio­ begrenzten Wert haben, daß das Parlament im bürgerlichen nisten immer wieder niedergestimmt. Aber ein „schleichender", Klassenstaat nie ein Allheilmittel sein kann. Doch wurden schon ein „getarnter" Reformismus bemächtigte sich in um so wirk­ in den Neunzigerjahren gelegentlich opportunistische Tendenzen samerer Weise der proletarischen Organisationen.4 Die Mani­ sichtbar, und später wurde es schlimmer und schlimmer. Auf feste der Internationale, die Werke der Theoretiker sprachen dem Parteitag von 1892 gab Viktor Adler zu der Frage, ob die unablässig vom bevorstehenden Krieg und der bevorstehenden Sozialdemokratie revolutionär oder reformatorisch sei, eine Revolution. Das Unglück war nur, daß kein Mensch glaubte, Erklärung ab, die sehr geschickt und zugleich sehr bedenklich 96 Arbeiterbewegung. Die Sozialdemokratie von Hainfeld bis 1918 97 war.6 Der Gesamtparteitag von 1901 ersetzte das Hainfelder Programm durch ein neues, das aller gegenteiligen Versicherungen chischen Sozialdemokraten bei den Wahlen von 19rr deutsche ungeachtet Konzessionen an die Rechte enthielt. 6 Manche sozialdemokratische Kandidaten durch Gegenkandidaten zu Fall Genossen meinten, das Programm solle die Erringung der zu bringen trachteten, daß nach den Wahlen die sozialdemokrati­ politischen Macht als Ziel nennen. Adler sprach dagegen mit der schen Abgeordneten jeder Nation (auch der Polen, Ruthenen Begründung, daß „dieses Schlagwort" seine Entstehung dem usw.) einen separaten Klub bildeten.* Kampf mit den Anarchisten verdanke (die .grundsätzlich alle Die deutschösterreichischen Sozialdemokraten hatten ein Macht verneinten); jetzt, wo es kaum mehr Anarchisten gebe, Wort, das sie in der Diskussion mit den Tschechen und auch in sei es überflüssig, eine Selbstverständlichkeit noch besonders zu allen anderen Diskussionen über nationale Dinge gleich einem betonen.* In Wirklichkeit waren sich nur ganz wenige Sozial- - Zaubermittel verwendeten: ,,Internationalismus". Der Inter­ demokraten der Notwendigkeit des Machtkampfes bewußt; Adler nationalismus, den sie meinten, war von merkwürdiger Art. war keiner von ihnen. 7 Während derBadeni-Krise von 1897 zeigte Er enthielt (außer der richtigen Auffassung, daß die Proletarier die Partei furchtbare Unklarheit in der nationalen Frage.** Der aller Nationen gemeinsame Interessen haben) die absolute Ver­ Brünner Gesamtparteitag von 1899 suchte dann eine Lösung der neinung jedes nationalen Standpunktes. Nationales Denken nationalen Frage zu finden. Er schlug einen verkehrten Weg ein. sollte bürgerlich, überholt, ins vorige Jahrhundert zuständig Die deutschösterreichischen Sozialdemokraten hätten es als Axiom sein. Der denaturierte Internationalismus ließ bei ihnen Raum ansehen müssen, daß die unterdrückten Nationen der Monarchie für eine starke Affinität gegenüber Deutschland. Die Zuge­ das Recht auf Abtrennung und staatliche Sonderexistenz hörigkeit der Deutschösterreicher zur deutschen Nation wurde besaßen. Statt dessen erklärte man, das nationale Problem sei von ihnen nie in Zweifel gezogen, das Bündnis zwischen dem hauptsächlich ein kulturelles. Die Nationen sollten kulturelle Habsburger- und dem Hohenzollernstaat wurde nicht prinzipiell Autonomie bekommen, d. h. ihre Schulen, Theater etc. nach bekämpft. 8 All das zusammen war nicht geeignet, die Arbeiter Gutdünken verwalten können. Damit, glaubte man, werde der unterdrückten Völker zu überzeugen, daß ihre nationale die Angelegenheit geordnet sein. Aus dem Brünner Nationalitä­ Zukunft bei den deutschösterreichischen Genossen in guten tenprogramm sprach nicht proletarischer Gerechtigkeitssinn, Händen sei. In ihrer ganzen Schwere stellten sich die Folgen des sondern der Geist des bürgerlichen Nationalismus. Der Geist des jahrelang wuchernden Opportunismus bei Kriegsausbruch ein. bürgerlichen Nationalismus war es auch, der, bei allen Streit­ Die Partei degradierte sich zur aktiven Helferin des Imperialis­ teilen sich äußernd, eine Einigung verhinderte, als die Tschechen mus. 9 In der, ,Arbeiter-Zeitung" erschienen Hetzartikel, die auch 1905 systematisch auf selbständige, von Wien unabhängige einem liberalen Blatt Schande bereitet hätten. Die Verwirrung Gewerkschaften hinzuarbeiten begannen. Die Deutschösterrei­ war keineswegs nur momentan, sie dauerte bei10 einem Großteil cher mobilisierten dagegen die Internation�le und setzten durch, der Partei bis zur russischen Revolution, bei einigen bis ins Jahr daß diese den Tschechen mit Ausschluß drohte. Es wäre besser 1918 hinein. Zwei· Spielarten imperialistischen Denkens kamen .. gewesen, sie hätten die größten Prestigeopfer gebracht, um ihre im sozialistischen Lager zum Vorschein: eine (Renner) mit Versöhnlichkeit zu beweisen. Durch ihre Haltung erreichten sie großösterreichischer, die andere (Pernerstorfer, Leuthner) mit nur, daß die nationale Spannung sich verstärkte, daß die tsche- deutschnationaler Färbung.11 Auch in Viktor Adler war der alte Deutschnationale wieder erwacht. Eine Gruppe von Sozial- ** * • V. Adler, ,,Aufsätze, Reden, Briefe", 6. Heft, S. 333. In diesem Sinn hat Josef W. Stalin das Programm kritisiert. Vgl. seine Vgl. über diese Vorgänge: L. Brügel, 5. Bd., S. 77 ff., der freilich bemüht Schrift: ,,Marxismus und nationale Frage", 1913. ist, den Tschechen alle Schuld an der Spaltung zuzuschieben. Im 4. Bd., S. 338 f., · gibt er den Wortlaut des Brünner Programms wieder. 7 Fucha, Geletliie Strömuniien 1 98 Arbeiterbewegung Viktor Adler 99

demokraten, die den offiziellen Kurs der Partei verurteilten, Wir wollen nun kurz von ein paar bedeutenden Menschen sammelte sich um seinen Sohn. 12 Die „Linke" Friedrich Adlers sprechen, deren Namen mit dem Aufstieg der Sozialdemokratie bekannte sich von allem Anfang an zu einem achtbaren Pazi­ eng verknüpft sind. fismus, begriff aber nicht die Größe der Möglichkeiten und Auf­ Gleich manchen anderen hervorragenden Führern des Pro­ gaben, die sich für das Proletariat objektiv ergaben. 13 Friedrich letariats stammte Viktor Adler* aus großbürgerlichem Adlers Attentat auf den Ministerpräsidenten Stürgkh im Jahre Milieu. Er wurde I852 in Prag als Sohn eines reichen Kaufmanns I9I6 war die Demonstration eines Einzelnen gegen den Krieg geboren. Wenige Jahre später übersiedelte die Familie nach Wien, und Stürgkhs absolutistisches Regime. Adler entschloß sich erst wo sie zuerst eine Villa in Döbling, dann ein Palais in der Liechten­ nach langen Seelenkämpfen zu dieser Form der Demonstration. - steinstraße bewohnte. Viktor Adler besuchte das Schottengym­ Kein Mensch wurde in seine Absicht eingeweiht. Vom politi­ nasium, studierte Medizin und eröffnete in dem väterlichen Palais schen Standpunkt schien ihm die Gerichtsverhandlung, die folgen eine Armenpraxis. Von den medizinischen Fächern zog ihn am würde, fast noch wichtiger als die Tat selbst. Wirklich zeigte er stärksten die Psychiatrie an. Eine Zeitlang war er Hilfsarzt dann vor dem Ausnahmegericht größte Unerschrockenheit. . an der Klinik Meynert. Als er noch ein ganz junger Mensch Den Plan seines Vaters, der ihn als irrsinnig hinstellen wollte, war, führte ihn der Zufall mit den größten Geistern seiner Gene­ machte er zunichteundgab einemannhafte politische Begründung ration zusammen. Durch die Vorlesungen Meynerts kam er mit der Tat. Die weitere Entwicklung zeigte jedoch, daß es sich bei Sigmund Freud in Kontakt; er war auch einer der ersten ver­ dieser Tat nicht um einen Schritt von der offiziellen sozial­ ständnisvollen Zuhörer Gustav Mahlers. Völlige Konzentration demokratischen Taktik zum revolutionären Klassenkampf auf den ärztlichen Beruf kannte er niemals. Stets beschäftigten handelte, sondern um einen einzelgängerischen Terrorakt. Noch ihn neben medizinisch-naturwissenschaftlichen auch soziale und im Jänner I9I8 setzte sich die „Linke" für den Abbruch der politische Fragen. Ebenso wie zwei Jugendfreunde und vor­ großen Streiks ein, die unmittelbar zur Beendigung des Krieges malige Schulkollegen, Engelbert Pernerstorfer und Heinrich hätten führen können. Der Beschluß „abzubrechen" stieß auf Friedjung, schloß er sich der deutschnationalen Bewegung heftigen Widerstand.* Die Vorgänge im Jänner I918 gaben den Schönerers an, die damals eine demokratische Note hatte. Anlaß, daß die „Linksradikalen", die den Streik fortsetzen woll­ Im Verein mit Schönerer planten die Freunde die Schaffung ten, sich von den „Linken" loslösten. (Die „Linksradikalen" wa­ einer Deutschen Volkspartei, sie entwarfen auch ein Programm, ren eine der Keimzellen der Kommunistischen Partei Österreichs.) das sogenannte Linzer Progamm, doch erblickte die Partei nicht In den Umsturztagen von 1918 waren die Linken mit Friedrich das Licht der Welt. Eine andere Partei erweckte Adlers I;p.teresse: Adler und Otto Bauer an der Spitze die unbestrittenen Führer die arme, zerklüftete Sozialdemokratie. Er überlegte, wie er ihr der Sozialdemokratie. Sie wandten sich gegen die proletarische nützen könne, und da er fand, daß es am besten durch seine Revolution, versuchten Österreichs Probleme durch den Anschluß Berufsqualifikation möglich sei, beschloß er, sich um einen .. an Deutschland zu lösen und steuerten die Partei, als das miß­ Posten als Fabrikinspektor zu bewerben. 1883 unternahmer eine lungen war, in eine Epoche tragischer Vergeblichkeit. Trotz längere Reise, um Material über die Fabrikverhältnisse in ver­ glänzender Reformarbeit scheiterte die Sozialdemokratie der schiedenen Ländern zu sammeln. Die Reise ging unter anderem Republik an dem Opportunismus, der zuvor die Sozialdemokratie nach England und er benützte die Gelegenheit, Friedrich Engels des monarchischen -Österreichs scheitern ließ. einen Besuch abzustatten. Engels war mit Adlers Berufsabsichten * So schreibt jedenfalls Otto Bauer in seinem Buch „Die österreichische * Vgl. M. Ermers, .,Viktor Adler", 1932, und L. Brügel, ,.Viktor Revolution", 1923, S. 65. Adler", in: ,.Neue österr. Biographie", r. Abt., 3. Bd., 1926, S. 152-72.

7• Viktnr Adler 101 100 Arbeiterbewegung kleinerteri Österreich. Am II. November, einen Tag bevor die sehr einverstanden; Agitatoren, meinte er, habe die Partei genug, Republik formell proklamiert wurde, erlag er dem Herzleiden, aber Leute, die von einem Ressort etwas verstehen, werde sie das er jahrelang mitgeschleppt hatte. dringend brauchen, wenn sie an die Macht komme. Doch machte Alle Zeitgenossen stimmen darin überein, daß Adler trotz das Handelsministerium einen Strich durch die Rechnung. Es verschiedener Handicaps (unscheinbares Aussehen, Schüchtern­ stellte den extravaganten jungen Mann nicht an. So blieb heit, die besonders in jüngeren Jahren bemerkbar war, etc.) nichts anderes übrig, als doch Agitator zu werden. Er ließ einer der eindruckvollsten Menschen seiner Epoche war. Er sich nun in die Mitgliederliste der Sozialdemokratie aufnehmen verband die Güte des Arztes und Philanthropen mit klarem und startete 1886 ein Wochenblatt, die „Gleichheit". Um die­ praktischem Verstand und beißendem Witz. Tatkraft und selbe Zeit setzten seine Besprechungen mit „radikalen" und Skepsis - Eigenschaften, die einander sonst auszuschließen „gemäßigten" Gruppen in der Partei ein. Er hatte sich keine pflegen - hielten sich in ihm das Gleichgewicht. Sein Gesichts­ leichte Aufgabe gestellt, aber sein politischer Scharfblick, kreis war weit, seine Bildung vielseitig. Mag seine Belesenheit seine Geduld und Menschenkenntnis, und nicht zuletzt die in der historischen Literatur ihre Grenzen gehabt haben, seine objektiven Umstände brachten ihn ans Ziel. Hainfeld wurde Kenntnisse auf naturwissenschaftlichem Gebiet stellten eine sogleich in der Welt als ein Wendepunkt in der Geschichte Kompensation dar. Mit der zeitgenössischen Dichtung, Musik, der österreichischen Arbeiterbewegung gewertet. Der Mann, Malerei war er wohlvertraut. Das Schaffen der österreichischen der die Einigung ins Werk gesetzt hatte, war natürlich zum Künstler überblickte er um so leichter, als er mit vielen von Führer der Partei berufen. Er zeigte, daß er führen konnte. ihnen in freundschaftlichem Verkehr stand. Sein Wirken für Die Wiener Maidemonstrationen, welche die der meisten anderen die Partei legte ihm namhafte Opfer auf. Er trug sie mit Ge­ Hauptstädte an Wucht übertrafen, die Wahlrechtkampagne mit lassenheit, ohne eine Miene zu verziehen. Die Freiheitsstrafen, ihren tausend Versammlungen, die glänzend redigierte,,Arbeiter­ deren er eine ganze Reihe absitzen m�ßte, betrachtete er als Zeitung" - all das war gewiß nicht das Werk eines Einzelnen, Lappalien, die ein Sozialist nicht ernst zu nehmen hatte. Daß aber es war mehr das Werk Viktor Adlers als das irgendeines von seinen ursprünglich reichen Mitteln alles Entbehrliche, anderen. Ein Jahrzehnt nach seinem Eintritt ins öffentliche und mehr als das Entbehrliche, der Partei zufloß, schien ihm Leben zählte er zu der Handvoll österreichischer Politiker, die selbstverständlich. Verwandelte dieser Vorgang ihn mit rasender man in ganz Europa kannte und ernst nahm. Seine Laufbahn Schnelligkeit aus einem wohlhabenden in einen armen Mann, erreichte ihren äußeren Höhepunkt, als das Kuriensystem besei­ so verursachte ihm das kein Kopfzerbrechen. Gelegentlich tigt war, als er mit fünfzig Fraktionsgenossen im Reichsrat saß. half übrigens Engels ihm aus der Klemme, der im Umgang Der Kampfboden für die Demokratie war gewonnen; das hieß mit Marx Übung in Hilfsaktionen erworben hatte. Es ist nur unerhörte Steigerung des sozialdemokratischen Einflusses, menschlich, daß den hohen Vorzügen Adlers auch arge Schwä­ .. Triumph der Adlersehen Taktik. Die Partei schien nun auf dem chen gegenüberstanden. Seine schlimmste Untugend war sein richtigen Weg, der sie nahe an die Macht heranbringen würde ... Kompromißlertum - seine nächsten Freunde stellten es an Je größer die vorangehenden Erfolge, um so niederschmet­ ihm fest, billigend, nicht in kritischer Absicht*. Oft und oft ternder wirkte Adlers Versagen im Sommer 1914. Es hing wahr­ fand er einen Ausgleich zwischen Gegensätzen, die nicht aus­ scheinlich auch damit zusammen, daß er zu dieser Zeit schon geglichen werden konnten und durften. Seine Freude an einem schwer krank war. Die Kriegsjahre, der Kampf gegen den Sohn und um den Sohn hatten ihn völlig zermürbt. 1918 fungierte * Vgl. M. Ermers, a. a. 0., S. 368. er noch etwa eine Woche als Außenminister des neuen, ver- 102 Arbeiterbewegung Viktor Adler- 103

o e a e a e e Augenblickserf lg rfuhr durch d s B wußtsein, d ß in Ein­ das seinen Artikeln über den Normalarbeitstag, über Fragen a buße im Grundsätzlichen der Kaufpreis w r, keine Schmäle­ der Sozialhygiene etc. eigen war. Jede der zahlreichen R e­ a a e e e o rung. Dem entspr ch uch in Abneigung geg n The rie, gierungen fürchtete das Temperament, mit dem e r Akte poli­ o t t die er selbst hervorh b. Der of gerügte „Prak izismus" der zeilicher und_ gerichtlicher Willkür anklagte. Von ihm geprägte e a a e österreichischen Arbeiterschaft, der ihr bis h ute nh ft t, Worte bekamen oft Flügel, die sie durch Europa trugen. Auf t e a geht teilweise auf Adler zurück. Endlich schein s, d ß ein dem Gründungskongreß der Internationale fand er für den Übermaß an Selbstsicherheit ihn zu manchen _Mißgriffen ver­ österreichischen Schlendrian F ormulierungen, wie sie knapper leitete. und gültiger kein anderer gegeben hat: Er hat keine Schrift verfaßt, die mehr als Broschüren­ „Die Freiheit in Österreich ist ein zusammengesetztes Wesen, welches die a o a a form t hätte. Vermutlich hinderte ihn, v n nderem bge­ Mitte hält zwischen der Freiheit in Rußland und der Freiheit in Deutschland. sehen, schon Zeitmangel an größeren Publikationen. Seine In der Form ist sie deutsch, in der Ausführung ist sie russisch. Abgesehen von Artikel, Reden etc. sind vom s ozialdemokratischen Partei­ Frankreich und England, hat Österreich vielleicht in ganz Europa die frei­ s s s s a s s s vorstand in II Heften (5 Bänden) ediert worden. Es ist leicht, sinnig ten Ge etze, o ehr, d ß e einer Republik ähnelt, die tatt eine Prä­ sidenten eine Majestät an der Spitze hat. Leider verfährt man nur in der Praxis a a o in dieser S mmlung sämtliche V rietäten v n Fehlern nach­ nicht nach dem, was das Gesetz vorschreibt, sondern allein nach dem, was das zuweisen, in die ein Sozialist verfallen kann (Ultra-Radikalis­ Belieben, des betreffenden Polizeikommissärs ist. Der Polizeikommissär ist mus ausgenommen). Zu den ärgsten Entgleisungen kam es befugt, alle gesetzlichen Freiheiten zu konfiszieren, und man kann schon natürlich während des Krieges. So sagte er z. B. im Oktober 1914 glauben, daß er dies Recht braucht und mißbraucht ... Allein, wie sonderbar! - Die österreichische Regierung ist gleich unfähig, bei einem Werke der Gerechtig­ über die Haltung, die die Sozialdemokraten der kriegführenden keit konsequent zu s ein wie bei einem Werke der Unterdrückung; sie schwankt a e e e Länder in den P rlamenten zum Kri gsbudg t ingenommen beständig hin und her - wir haben den Despotismus, gemildert durch Schlam- hatten: perei."*

,,Es wäre eine Unwahrheit gewesen, wenn die deutschen oder die fran­ Vtktor Adler war ein- Marxist, 'wenn auch ein sehr un­ zösischen Sozialdemokraten gegen die Kredite gestimmt hätten, eine Unwahr­ konsequenter. · Einmal nannte er sich einen „Hofrat der R evo­ heit, der einer der ältesten deutschen Genossen Ausdruck gegeben hat, indem lution".** Das war gar zu bescheiden, wohl auch nicht ernst ge­ er sagte: ,Ich bin so alt, ich will nicht mit einer Lüge sterben.' Das Lebendige t a t e H at o o r in ihm sagte ihm: Jetzt geht es dem ganzen Volk an den Leib. Vom Staate mein . Es w r wohl nich in „ ofr der Rev luti n", de Österreich spreche ich nur als von der u ns gegenwärtig aufgedrängten oder 1893 in einer Broschüre, worin die unbedingte Notwendigkeit existierenden unabweislichen Form, in der wir eben leben müssen; aber das, des Wahlrechts dargelegt wurde, sachlich feststellte: s s r r s s Schicksal des deutschen Volkes. wa un e e wi kliche Empfindung ist, da ist da „Niemals werden wir u ns einbilden, mit dem Stimmzettel in der Hand s r r a s s r a Stellen Sie ich vo : F ankreich, England, Rußl nd, ja elb t Po tug l, der den Kapitalismus aus der Welt hinauswählen zu können."*** weiteste Osten wird lebendig gemacht, die Indier, die schwarzen Afrikaner: alles gegen uns, und da s ollte einer von uns zweifeln, daß er das Letzte einzu­ Und der im November 1917 in einer Massenversammlung setzen hat, daß man die Begründung später finden wird für u nser Handeln?"* die Worte sprach : , ,Wir begrüßen das Zeichen, das uns vom Osten gegeben wurde, wir begrüßen e a o Anderseits: welch inen Fürsprecher ihrer T gess rgen und die russische Revolution, die wir s eit Jahrzehnten wachsen sehen. Wir kennen -nöte hat die österreichische Arbeiterschaft in ihm besessen! • Aus der Rede auf dem Intern. Sozialistenkongreß in Paris 1889, .,Auf­ Selbst die reaktionärsten Gegner anerkannten das Niveau, sätze, Reden, Briefe", 6. Heft, S. 18. ** Brief an Engels vom 25. August 1892, a. a. 0., I. Heft, S. 43. * Rede in der Diskussion der Vertrauensmänner, 8. Oktober 1914, ,,Auf­ *** A. a. 0., 10.Heft, S.44. Der Titel der Broschüre lautet: .,Das allgemeine, sätze, Reden, Briefe", 9. Heft, S. 107. gleiche und direkte Wahlrecht und das Wahlunrecht in Österreich." 104 Arbeiterbewegung Engelbert Pernerstorfer 106

all die Leute, die jetzt genannt werden, wie viele von ihnen haben Wien passiert, verfälschte Deutsche Worte", erlangte keine große Bedeutung. als Flüchtlinge, als Vertriebene! Daß diese Männer der Revolution heute im Vordergrund stehen, ist nur ein Symbol dafür, daß die Welt anders geworden 1885 kandidierte Pernerstorfer im Wiener-Neustädter Wahl­ ist. . . Schwanken und ermüden Sie nicht, wenn sich Zufälle ergeben und kreis und kam als „Wilder" ins Abgeordnetenhaus. Seinen Nachrichten aus Rußland kommen, die anders lauten als die heutigen. Eine Anschauungen entsprechend, schloß er sich einer gemäßigten Revolution in einem Reich wie Rußland ist nichts einfaches· ... Das russische d�litschnationalen Gruppe an, zog sich aber wieder zurück, Volk ... , das ist nicht feindliches Ausland, das sind unsere Brüder, und die russische Revolution wird siegen. Und wir haben nur die Aufgabe, wachsam sowie auch hier der Antisemitismus sich regte. Die Tatsache, zu sein und in unserem Kreise das unsrige zu tun, in allen Formen, die möglich daß Pernerstorfer im Parlament war, brachte der Sozialdemo­ sind; parlamentarisch, wenn es geht, höchst unparlamentarisch, wenn es nötig kratie enormen Vorteil. In jenen Tagen, da die Partei dank wird'-'.* dem Wahlsystem noch keinen Deputierten durchbringen konnte, nützte er die parlamentarische Tribüne aus, um die Arbeiter­ Auch Hofräte haben im alten Österreich Gutes geleistet. sache zu verfechten. Die Partei gab seinen Reden eine noch Aber so pflegten sie nicht zu reden. höhere Resonanz, als sie ohnehin fanden, indem sie sie in Bro­ Adlers ältester und intimster Freund war Engelbert schürenform veröffentlichte - es waren die einzigen Broschüren, Pernerstorfer (1850-1918).** Die beiden kamen aus sehr die auch unter dem Ausnahmegesetz nicht konfisziert werden verschiedenem Milieu (Pernerstorfers Vater war ein unbemit­ konnten. Begreiflicherweise wurde Pernerstorfer von vielen telter Schneider, der jung verstarb), aber schon die Mittelschule Seiten als verkappter Sozialist angesehen. 1896 entschloß er führte sie zusammen. Danach gingen ihre Wege nie mehr weit sich, der Partei offiziell beizutreten. Mit einer kurzen Unter­ auseinander, obwohl sie nicht ganz parallel verliefen. Adler brechung gehörte er dem Abgeordnetenhaus bis zu seinem Tod war nur kurze Zeit Deutschnationaler mit sozialem Einschlag, an. Ab 1907 war er Vizepräsident, dazu Vorsitzender der sozial­ Pernerstorfer blieb es sechs, acht Jahre länger. Die Zweiheit demokratischen Fraktion. Sein spezielles Interesse für kultu­ seiner Neigungen wurde in seiner Studentenzeit - er hatte reµe Angelegenheiten bewog ihn, die Feuilletonredaktion der an der philosophischen Fakultät inskribiert - dadurch sicht­ „Arbeiter-Zeitung" zu übernehmen. Er stand auch in der bar, daß er zugleich eifriger Burschenschafter und Mitglied Volksheim-Bewegung an führender Stelle und unterstützte des Arbeiterbildungsvereins war. Um 1880 entfaltete er im den Verein „Freie Volksbühne", der sich 1906 konstituierte. Schönerer-Kreis beträchtliche Aktivität. Er redigierte die Zwei Denker waren es vornehmlich, die auf Pernerstorfer Zeitschrift „Deutsche Worte", auch begründete er den „Deut­ in der Jugend einwirkten: Friedrich Schiller und Ferdinand schen Schulverein", der gegen „Verslawung und Verwelschung" Lassalle. Sie lehrten ihn, die Welt mit den Augen der deutschen in den Grenzgebieten ankämpfen sollte. Als Schönerer zum ihm idealistischen Philosophie zu sehen - eine Betrachtungsweise, Antisemitismus überging, sagte Pernerstorfer sich von die er noch als gereifter Mann nicht ganz abstreifte. Von da los und machte sich mit den „Deutschen Worten" selbständig stammte ein schöner Schwung der Gedanken und der Rede, ... (1883). Er gab der Revue einen stärkeren fortschrittlichen stammten aber auch Tendenzen, die sich dem Bild eines prole­ Akzent und entwickelte sie zum wichtigsten sozialreformerischen tarischen Revolutionärs nicht einfügten, so vor allem Perners­ Organ der Zeit. Eine Gegen-Revue Schönerers, genannt „Un- torfers Deutschnationalismus. Während des Krieges nahm * Rede im Konzerthaus am 12. November 1917, a. a. 0., Heft 9, S. 229 dieser Nationalismus Formen an, denen auch Schiller die Zu­ ** Vgl. Robert Arthaber, ,.Engelbert Pernerstorfer" in: ,.Neue österr. stimmung verweigert hätte. Wenn man von den kleinbürger­ Biographie", I. Abt., 2. Bd., 1925, S. 97-u6; L. Brügel, ,.Geschichte derff. lichen Residuen, die sich bei Pernerstorfer fanden, absieht - Sozialdemokratie", 5. Bd., S. 325 was freilich nicht leicht ist, da es sich um einen sozialistischen ff. 106 Arbeiterbewegung Ludo Moritz Hartmann 107

Politiker handelt -, war er der geradeste und mutigste Mensch, dozent an der Wiener Universität (1889). Seine Habilitations­ der verläßlichste Freund des arbeitenden Volkes, der sich denken schrift trug den Titel: ,,Untersuchungen zur Geschichte der läßt. Zahllose Episoden aus seinem Leben machen seine un­ byzantinischen Verwaltung in Italien". Mit Italien beschäftigt beugsame demokratische Gesinnung anschaulich. Als Gym­ sich auch. die Mehrzahl seiner späteren Werke. Zu nennen nasiast organisierte er in seiner Schulklasse eine Sammelaktion wären etwa: ,,Ecclesiae S. Mariae in Via Lata Tabularium" für den exilierten 48er Dichter Ferdinand Freiligrath. Die (Urkundensammlung, 1895), ,,Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens Lehrer untersagten die Sammlung. Darauf wurde sie von der im frühen Mittelalter" (1904), ,,Der Untergang der antiken Klasse unter dem wienerischen Motto „Freili grad !" fort­ Welt" (Volkstümliche Vorträge, 2. Aufl., 19ro), ,,Geschichte gesetzt. Als junger Deutschnationaler hielt er eine Vereins- Italiens im Mittelalter" (4 Bände, 1897-1915), ,,Kurzgefaßte rede, in der der Satz vorkam: ,,Die Interessen des Volkes Geschichte Italiens von Romulus bis Viktor Emanuel" (1924). stehen mir turmhoch über denen einer Dynastie." Eine Anklage Er veröffentlichte ferner eine Biographie seines Lehrers Theodor wegen Majestätsbeleidigung war die Folge; Pernerstorfer wurde Mommsen, einen methodischen Essay „Über historische Ent­ zu drei Monaten Kerker verurteilt, allerdings in zweiter Instanz wickelung" u. a. m. Zusammen mit Stephan Bauer, Karl freigesprochen. Grünberg, E. Szanto begründete er 1893 die „Zeitschrift für Es muß auch gesagt werden, daß Pernerstorfer zumindest Sozial- und Wirtschaftsgeschichte", die später in die „Viertel­ vor dem Krieg bestrebt war, die Grenze zwischen National­ jahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" umge­ gefühl und Chauvinismus nicht zu überschreiten. Nicht nur wandelt wurde und die Schaffung ähnlicher englischer und fran­ lehnte er die antisemitische Agitation ab, er wandte auch dem zösischer Revuen anregte. Der großangelegte Plan einer Welt­ Deutschen Schulverein den Rücken, als dieser sich gegen Er­ geschichte, für die er ausgezeichnete Mitarbeiter gewonnen richtung einer italienischen Universität aussprach. Irgendeiner hatte - er selbst beabsichtigte, das 19. Jahrhundert zu be­ Nation bei kulturellen Bestrebungen Hindernisse in den Weg hapdeln -, wurde, wie es mit derlei Plänen zu gehen pflegt, zu legen, war nicht in seinem Sinn. Sehr bezeichnend, bei­ nicht zur Gänze, aber doch wenigstens teilweise ausgeführt.* nahe rührend ist eine letztwillige Anordnung, die er 1912 traf. Bald nach seiner Habilitation kam Hartmann mit dem durch Er bestimmte genau, welche Lieder bei seiner Beerdigung ge­ Hofrat Eduard Leisching initiierten Wiener Volksbildungs­ sungen werden sollten. Auch das Lied vom „Gott, der Eisen verein in Berührung. Auf seinen Vorschlag erweiterte der wachsen ließ" war darunter. Doch vergaß er nicht, beizufügen: Verein die einzelnen Vorträge zu längeren Kursen, doch traten ,,mit Auslassung der französischen Hetz-Strophe". finanzielle Schwierigkeiten auf. Die Wiener Universität beschloß, Ludo Moritz Hartmann (1865-1924)* hat vor allem der Volksbildungssache nach dem Vorbild der englischen als Historiker und als Volksbildner Bleibendes geleistet. Seine „University Extension" mit ihren Lehrkräften zu Hilfe zu politische Tätigkeit im eigentlichen Sinne war von geringerem kommen, setzte einen besonderen Ausschuß ein und betraute Umfang und stand unter keinem glücklichen Stern. Sohn Hartmann mit dessen Leitung. Die energische Unterstützung, des Revolutionsdichters Moritz Hartmann, der in Österreich die er von sozialdemokratischen und anderen fortschrittlichen nicht weniger bekannt war als Freiligrath, studierte er Ge­ Kreisen erhielt, machte es möglich, Volkshochschulen zu er­ schichte in Wien und Berlin und habilitierte sich als Privat- richten, denen man auf Wunsch der Behörden den Namen

* Vgl. den Aufsatz von Stephan Bauer in: ,.Neue österr. Biographie", • ,. Weltgeschichte in gemeinverständlicher Darstellung", bei F. A. Perthes, 1. Abt., 3. Bd., 1926, S. 197-209. Gotha, Mitarbeiter: G. Bourgin, E. Ciccotti, K. Kaser und andere. 108 Arbeiterbewegung Ludo Moritz Hartmann 109 „Volksheime" gab. Diese Institute wurden in überparteilichem Darwins, die Gruppenlehre von Gumplowicz, gewisse Lehren b b b V Sinn geführt, d. h. der Lehr etrie rachte ertreter ver­ von Mach und noch etliches mehr zur Einheit verschmilzt.* schiedener Weltanschauungen zu Wort. Hartmann, seit 1901 Mit­ Das Resultat kann kein erfreuliches sein. Die Theorie gipfelt b glied der Sozialdemokratie, und eine Reihe mit ihm efreundeter in dem Gedanken, den Rodbertus in das „Apen;u" gefaßt hat: Gelehrter verschafften der sozialistischen Idee den gebührenden Raum. Wenn die Volksheime quantitativ und qualitativ Außer­ „Extensiv und intensiv fortschreitende Gemeinschaft ist das Gesetz der Geschichte."*" ordentliches gaben, wenn sie sich ein internationales Renommee b o V erwar en, war das gr ßenteils sein erdienst. Nach dem Um­ Damit ist gemeint, daß die geschichtliche Entwicklung zurBi l­ sturz im Jahre 1918 wurde ihm die Sicherung und Sichtung dung immer größerer staatlicher Einheiten hinleitet, und zugleich o der staatlichen Archive übertragen, auch wurde er zum Pr ­ zu immer engerer wirtschaftlicher Verflechtung des einzelnen o fess r ernannt.14 Die Partei stellte ihn als Kandidaten zum Menschen mit anderen Menschen. Im allgemeinen soll ein Er­ o l o Nati na rat auf, er gewann ein Mandat, verl r es aber wieder, eignis dann fortschrittlich genannt werden dürfen, wenn es diese als bei den Wahlen von 1920 die Sozialdemokratie einen Rück­ Entwicklung befördert. Es ist nur geringe Überlegung notwendig, schlag erlitt. Zur Ausübung des Mandats war er kaum gelangt, um zu erkennen, daß wir hier eine ganz verfehlte Lehre vor uns o denn Ott Bauer hatte ihn zum österreichischen Gesandten haben. Soll der Imperialismus, der sowohl mächtige staatliche o o in Berlin gemacht. Nach dem Austritt der S zialdem kraten Einheiten schafft, als auch Menschen, die vorher nie etwas aus der Regierung legte er den Gesandtenposten nieder, da miteinander zu tun hatten, in wirtschaftlichen Kontakt setzt - o er nicht Repräsentant einer christlichs zialen Regierung sein der z.B. die Engländer mit den afrikanischen Negern in Kontakt wollte. gesetzt hat-, etwa fortschrittlich heißen ? 16 Hartmann hat um In Österreich sind nicht viele Bücher über ältere Geschichte den Marxismus gerungen, sich ihn.aber doch nur stückweise ange­ b V geschrie en worden, die den ergleich mit jenen Hartmanns eignet. Manches verdankt er ihm, in vielem weicht er von ihm o aushalten. Seine gr ße Stärke ist die konsequente Anwendung ab.*** Dadurch wird das Abgleiten zu bürgerlichen Anschauungen o o Vo der s zi logischen Methode. Die wirren rgänge, die sich im begreiflich, das ihm politisch wiederholt unterlaufen ist. Er Italien des frühen Mittelalters abspielten, werden durch seine beschönigte die chauvinistischen Exzesse, die die Deutschen in o Schilderung ökon mischer, privatrechtlicher undstaatsrechtlicher Österreich aus Anlaß der Badenischen Sprachenverordnungen o o b Institutionen verständlich der d ch wenigstens über lickbar. verübten, indem er von einem Verzweiflungskampf sprach. 16 Er o b l o Die Fülle des v n ihm verar eiteten Materia s ist imp nierend. vertrat 1916 die absurde Konstruktion, daß Deutschland kein Seine Strenge in der Prüfung der Quellen ist vorbildlich. Was imperialistisches Land, der Krieg auf deutscher Seite also ein die Form anlangt, erbringt er den - auch von anderen schon gerechter sei. t Er war in der Umsturzzeit einer der eifrigsten erbrachten - Beweis, daß der Soziologe populär im besten Freunde des unseligen Anschlußgedankens- daher die Ent­ b ... Sinn und sel st unterhaltlich sein kann. Nicht ganz auf der­ sendung nach Berlin. Wir müssen in ihm einen Mann von bür­ o selben Höhe wie der Hist riker steht Hartmann der Geschichts­ gerlicher Herkunft sehen, der, obschon er zur Arbeiterbewegung philosoph. Man muß froh sein, daß jener von diesem relativ wenig beeinflußt wurde. " .,Über historische Entwickelung", 1905, Vorwort S. V, S. 57 ff. Die Studie „Über historische Entwickelung" enthält ein ** Ebenda, S. 60 f. Bekenntnis zum Eklektizismus. Hartmann möchte eine Theorie **" Dies war seine eigene Auffassung. Ebenda, Vorwort S. V. schaffen, die den historischen Materialismus, die Biologie t Vgl. Hartmanns Einleitung zu E. Rignano: .,Die Kriegsursachen und die Friedensfrage", 1916. 110 Ferdinand Hanusch Arbeiterbewegung 111 stieß, sich aus dem Bannkreis des Liberalismus nicht vollständig arbeiten. NaGh der Reihe versah er die Funktion des Schrift­ löste. Dennoch ist es nicht wenig, was er für die österreichische führers, des Vize-Obmanns und des Obmanns der „Eintracht". Arbeiterbewegung getan hat. Seine organisatorische Tüchtigkeit und sein Rednertalent - er Die Laufbahn von Ferdinand Hanusch (1866-1923)* besaß ein gutes Quantum Humor - ließen ihn in einem etwas ist merkwürdig: sie führte aus dem ärgsten Elend proletarischer weiteren Kreis bekannt werden. 1897 holte ihn die Sozialdemo­ Existenz zu einer bedeutenden Position im öffentlichen Leben, kratische Partei als Leiter ihres Büros nach Sternberg. Um diese zu grundlegender sozialreformerischer Wirksamkeit. Sie verliert Zeit gelang es den Textilarbeitern, die Zersplitterung ihrer nichts von ihrer Merkwürdigkeit dadurch, daß von anderen aus­ Organisation in viele kleine Gruppen zu ftberwinden, sich gezeichneten Arbeiterfunktionären eine ähnliche Laufbahn zu- - einen zentralen Verband mit dem Sitz in Wien zu schaffen. Die rückgelegt worden ist. Hanusch wuchs in einer schlesischen neugegründete Union der Textilarbeiter bestellte ihn zu ihrem Weberhütte auf. Was das heißt, kann, wer es nicht aus näherer Sekretär. Derartige Posten waren damals nicht so gemütlich Anschauung weiß, dem Gerhart Hauptmannschen Jugenddrama wie, ein Menschenalter später, in der Republikzeit. Hanusch zog entnehmen. Den Vater hatte er verloren, noch ehe er zur Welt sich nicht weniger als achtzehnmal behördliche Verfolgungen kam. Kaum daß er laufen konnte, wurde er angelernt,der Mutter auf den Hals. Wachstum und Schlagkraft der „Union" machten bei der Heimarbeit zu helfen, durch die sie die sechsköpfige die Hauptleitung der Bewegung auf ihn aufmerksam. Er wurde Familie erhielt. Am Morgen vor dem Schulgang half er gewöhn­ Mitglied der österreichischen Gewerkschaftskommission und 1903 lich zwei Stunden beim Spulen. Nur ein Minimum an Schul­ auch Mitvorsitzender. Obwohl überwiegend gewerkschaftlich bildung wurde ihm zuteil. Selbst Lesen und Schreiben erlernte tätig, war er ein politisch denkender Mann, ein guter Sozial­ er bloß notdürftig. Als er vierzehn Jahre alt war, mußte er sich demokrat und alles eher als der Typus des Nur-Gewerkschaftlers. auf eigene Füße stellen. Er wurde Weber und arbeitete zwei Jahre Er ermüdete nicht, gegen den Egoismus der Fachvereine, die in einer schlesischen Fabrik. Dann hatte er es satt und ging auf Bm.nchen-Idiotie, wie er gern sagte, anzukämpfen. Bei all der Wanderschaft. Gleich zahllosen österreichischen Jungarbeitern organisatorischen Arbeit, die er zu verrichten hatte, fand er noch trieb ihn Abenteuerlust „auf die Walz". Er marschierte durch Zeit, sich als Schriftsteller zu versuchen. Seine Bücher (Skizzen: Mähren nach Wien, hierauf nach Triest, wo man ihn verhaftete „In der Heimat", ,,Die Namenlosen", etc.; autobiographische und in die Heimat zurückinstradierte. Doch ließ er sich nicht ab­ Erzählungen: ,,Der kleine Peter", ,,Lazarus") sind nicht nur schrecken und „walzte" wenig später nach Ungarn, Rumänien soziologisch, interessant, sie sind partienweise durchaus nicht und bis in die Türkei. Auf Wanderungen, nach Landstreicherart ohne literarischen Reiz. Eine Leistung ersten Ranges sind sie unternommen, durch Bücherlesen und Diskussionen mit Kame­ natürlich nicht. Eine solche kann auch dem Gewerkschaftler raden eignete er sich das Maß an Wissen und Weltkenntnis an, Hanusch nicht eigentlich zugeschrieben werden. Anders steht es ... das Bürgersöhne in einem geregelten Studium erwerben - oder mit dem Sozialpolitiker. Die Regierung Renner übergab Hanusch nicht erwerben. im Herbst 1918 das Ressort für soziale Verwaltung, das während In die Heimat und zum Fabriksdasein zurückgekehrt, begann des Krieges geschaffen worden war. In der kurzen Zeit seiner Hanusch, der schon mit fünfzehn Jahren Mitglied einer Fach­ Ministerschaft brachte er ein legislatorisches Werk zustande, das gruppe gewesen war, in dem Arbeiterverein „Eintracht" zu ein Ruhmesblatt in der österreichischen Geschichte darstellt. In knapp zwei Jahren wurde nachgeholt, was in fünfzig versäumt * Vgl. den Aufsatz von Edmund Pa.Ha in: .,Neue österr. Biographie", worden war. Österreich wurde auf sozialpolitischem Gebiet eines 1. Abt., 4. Bd., 1927, S. 43-57. der fortschrittlichsten Länder der kapitalistischen Welt. Die 112 A rbeiterbeweg. ung Die Austro-Marxisten 113

Hanusch-Gesetze17 konnten die Schäden, die der kapitalistischen Marxismus hat der Arbeiterbewegung durch Verfälschung des Ordnung wesenseigentümlich sind, nicht beseitigen, aber sie Marxismus unermeßlichen Schaden zugefügt. Aber er hat auch gewährten dem Proletariat Schutz vor den schlimmsten Aus­ Werke hervorgebracht, deren Abwesenheit in einer marxistischen wirkungender fortgeltenden Ordnung. Es trug sicher zur Schnel­ Bibliothek eine Lücke bedeuten würde. Natürlich können wir ligkeit und Gründlichkeit seiner Arbeit bei, daß Hanusch die Nöte, uns hier nicht mit allen seinen Werken beschäftigen, sondern nur mit denen sich seine Maßnahmen beschäftigten, nicht bloß vom mit ein paar charakteristischen. Hörensagen kannte. Nach dem Ausscheiden der Sozialdemokra­ Vorerst einige biographische Daten. ten aus der Regierung war er dann noch der erste Direktor der Karl Kautsky (r854-r938) schloß sich um r88o der auf Grund eines seiner Gesetze gebildeten Arbeiterkammer.­ österreichischen Arbeiterbewegung an, ging noch in den Acht­ Sein Tod in relativ jungen Jahren war eine Folge der unmensch­ zigerjahren nach England und dann nach Deutschland. Begrün­ .. lichen Härten, die seinem Organismus in der Jugend auferlegt der des Austro-Marxismus, wurde er zum führenden Theoretiker worden waren . der gesamten Zweiten Internationale und durch seine zahllosen Bücher zum Lehrer der Sozialisten in aller Welt. Um r900 ver­ Trotz der mehr praktischen Sinnesart des Parteiführers ist teidigte er die Marxsche Doktrin gegen die Bernsteinianer. von Österreich eine besondere Schule der Theorie ausgegangen: Während des Weltkriegs gehörte er zu den deutschen „Unab­ der Austro-Marxismus. Als Repräsentanten des Austro-Marxis­ hängigen", einer schwankenden Gruppe, deren Politik objektiv mus sind vor allem zu nennen: Kautsky, Hilferding, Renner, auf Hilfe für den Imperialismus hinauslief. Ab r9r7 trat er mit Bauer, Eckstein, Max Adler, Friedrich Adler. Die wichtigsten konterrevolutionärer Propaganda hervor und entfesselte eine Organe der Schule waren die „Marx-Studien", herausgegeben wüste Kampagne gegen die russische Revolution, die deutschen von M. Adler und Hilferding (ab r904) und der „Kampf", Kommunisten etc. Lenin, der ihn ursprünglich geachtet hatte, herausgegeben von 0. Bauer, F. Adler und anderen (ab r907). griff ihn seit Kriegsbeginn in der schärfsten Weise an und demon­ Die in Berlin erscheinende „Neue Zeit" (ab r887) stand dank der strierte an ihm die Verderblichkeit des „Zentrismus". * 1923 Person des Herausgebers, Kautsky, der österreichischen Schule kehrte Kautsky mit den anderen Unabhängigen zur Sozial­ nahe. In der Entwicklung einiger namhafter Austro-Marxisten demokratie zurück. Im Alter ließ er sich wieder in Österreich sind deutlich zwei Perioden zu unterscheiden: die erste ist er­ nieder. füllt von intensiver wissenschaftlicher Bemühung,_ aus der wert­ Rudolf Hilf erding, geb. 1877 in Wien, studierte Medizin, volle Bereicherungen der sozialistischen Literatur entspringen; begann früh mit schriftstellerischer Tätigkeit für die Sozial­ die zweite ist eine Periode der Verflachung, des Übergangs von demokratie. 1906 übersiedelte er nach Deutschland, arbeitete an der revolutionären auf eine offen oder versteckt reformistische der Parteischule und in der Redaktion des „Vorwärts". 1910 Position. Andere sozialistische Autoren gingen schon in ihren erschien sein schon etliche Jahre zuvor im wesentlichen fertig- .. frühen Arbeiten Wege, die sie vom Marxismus fort und zu irgend­ * Vgl. besonders: W. I. Lenin, ,.Sozialismus und Krieg", 1915, Sämtliche einer bürgerlichen Doktrin hin führten. Die Irrtümer der Theo­ Werke (Autorisierte deutsche Ausgabe des Lenin-Instituts.Moskau), XVIII. Bd., retiker waren teils Wirkung, teils selbstwirkende Ursache der S. 262 f. .,Bürgerlicher und sozialistischer Pazifismus", 1917, Sämtl. Werke, Irrtümer, die sich in der sozialdemokratischen Praxis zeigten. XIX. Bd., S. 465 ff . .,Der Imperialismus ais höchstes Stadium des Kapitalis­ Diese Feststellungen zu machen, ist ebenso unerfreulich wie mus", 1917, Deutsche erw. Ausgabe t920, Sämtl. Werke, XIX. Bd., S. 169 ff . .,Staat und Revolution", 2. Aufl. 1918, Sämtl. Werke, XXI. Bd., S. 560 ff. unerläßlich. Um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden, ,.Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky", 1918, Sämtl. muß man sie vor allem als Fehler erkennen. Der Austro- Werke, XXIII. Bd., S. 421-536.

8 Fuchs, Geistige Strömungen 114 Arbeiterbewegung Die Austro-Marxisten 115

gestelltes Buch ,,Das Finanzkapital". In den Kriegs- und Nach­ Sie ist ein Einkommen, dessen Empfänger keinerlei der Gesellschaft nützliche Leistungen erbringen. Während der Feudalherr der vorkapitalistischen Zeit kriegsjahren ähnelte seine Haltung derjenigen Kautskys. 1923 immerhin bestimmte öffentliche Dienste versehen mußte, hat der moderne und 1928/29 war er Finanzminister der Weimarer Republik. Grundbesitzer nichts zu tun als einzukassieren. Die „absolute" Grundrente Als die Nazi zur Macht kamen, emigrierte er nach Frankreich. sollte .abgeschafft, die „Differentialrente" weggesteuert werden. Das wären 1941 wurde er von der Vichy-Regierung an Deutschland ausge­ Maßnahmen, die sich auch im Kapitalismus durchführen ließen.18 Ein anderer liefert und von den Nazi ermordet. Zug, der die Landwirtschaft unter kapitalistischen Verhältnissen charakterisiert, ist der zähe Fortbestand des Kleinbesitzes. Die Kleinbesitzer bilden immer ne n n ie e Karl Ren r, geb. 1870 in Mähre als Bauer sohn, stud rt noch eine breite gesellschaftliche Schicht. Die Ursache ist nicht etwa, daß in Rechtswissenschaft, war zuerst Beamter der Parlamentsbiblio­ der Landwirtschaft der Kleinbetrieb zweckmäßiger ist als der Großbetrieb; das thek, ab 1907 Reichsratsabgeordneter, 1918-20 Staatskanzler Gegenteil trifft zu. Aber die Kleinbesitzer scheuen auch vor Überarbeit und der Republik, später Präsident des Nationalrats etc. 1945, rtach Unterkonsum nicht zurück, um sich auf der eigenen Scholle zu halten. Übrigens der Befreiung Österreichs von der deutschen Herrschaft, trat wirken sich auch einige objektive Umstände. so aus, daß der Fortschritt zum Großbetrieb verzögert wird. Wichtig ist z. B. der Mangel an landwirtschaftlichen Karl Renner an die Spitze der provisorischen Regierung und Arbeitern, der die Führung eines ausgedehnten Unternehmens sehr erschwert. wurde dann Präsident der zweiten österreichischen Republik. Der Mangel ist hervorgerufen durch die besonders elenden Bedingungen, unter Otto Bauer (1882-1938) arbeitete vor dem Weltkrieg als denen die Arbeiter dieser Kategorie leben müssen. Das ländliche Proletariat Sekretär der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion, schloß ist es auch, dem die Hauptsorge der Sozialdemokratie gilt, wenn sie sich mit den Agrarproblemen beschäftigt. Normalarbeitstag, Sonntagsruhe, Kinderschutz i n e e n n k n sich 1917, aus Kr eg u d Kri gsg fa ge schaft heim ehre d, müssen erkämpft werden. Hingegen wird die Sozialdemokratie dem selbstän­ der „Linken" an, war 1918/19 Außenminister der Republik , digen Landwirt nichts bieten können, was ihn auf ihre Seite zieht, schon deshalb dann fünfzehn Jahre hindurch eines der maßgebenden Mit­ nicht, weil andere politische Parteien, aie nicht das Interesse der Gesamtheit glieder des Parteivorstandes. Allgemefü galt er als „der" Theo­ im Auge haben, ihm viel mehr bieten oder versprechen. Bestenfalls wird es gelingen, ihn durch ein paar Einzelvorschläge und durch Aufklärung über die retiker der Partei. Er starb als Emigrant in Frankreich. allgemein fortschrittlichen Ziele der Sozialdemokratie zu einer neutralen Haltung dem Proletariat gegenüber zu bewegen. Karl Kautsk y arbeitete in seiner „Agrar/rage" (I899)' die Gesetze heraus, von denen die Entwicklung der Landwirtschaft Die Bedeutung des Kautskyschen Werkes für die internatio­ in neuerer Zeit beherrscht ist. nale Arbeiterbewegung muß hoch veranschlagt werden. Es ist von den Sozialisten aller Länder genau studiert und eifrig kom­ Dank der durch die bürgerliche Revolution geschaffenen Agrarverfassung, dank technischen Erfindungen und wissenschaftlichen Neuerungen, wie Frucht­ mentiert worµen, und zwar nicht nur deshalb, weil es einen wechselwirtschaft, Dreschmaschine etc., dringt der Kapitalismus auch auf dem Gegenstand von zentraler Wichtigkeit behandelt, sondern auch, Lande unaufhaltsam vor. Dennoch können die Lehren von Marx, die sich auf weil es in diesen Gegenstand trefflich einführt. Noch heute, nach die industrielle Entwicklung unter kapitalistischen Verhältnissen beziehen, fünfzig Jahren, gehört es für jeden Theoretiker der sozialistischen nicht mechanisch auf die Landwirtschaft übertragen werden. Vielmehr gibt es Bewegung zu den Elementarbüchern.Zugle ich hat es.aber auch sehr ... hier bemerkenswerte Sondererscheinungen. Die Landwirtschaft ist im Kapi­ talismus speziell gekennzeichnet durch die „Spaltung des grundbesitzenden schwache Seiten. Wenn Kautskyin den Bauern nicht potentielle Landwirts in zwei Personen": den Grundeigentümer und den Unternehmer. Verbündete des Proletariats, sondern vielmehr Leute sieht, die Diese Spaltung ist offen sichtbar in den Ländern, wo der Grund einigen wenigen bestenfalls neutralisiert werden können, wenn er meint, daß die reichen Herren gehört und die Bauern Pächter sind. Sie ist verborgen, aber Arbeiterpartei sich nur „nebenberuflich" mit den Sorgen der doch auch existent in Ländern, wo die Bauern nominell freie Eigentümer des Bodens sind. Sie sind nämlich durchwegs verschuldet, sie müssen Hypotheken­ Bauern beschäftigen soll, ist er Vertreter einer Anschauung, zinsen bezahlen. Damit bezahlen sie praktisch genau so Grundrente, wie die die in den Ländern, wo sie sich durchsetzte, z.B. in Österreich, Pächter es tun. Die Grundrente ist eines der größten Übel der Landwirtschaft. nnendlichen Schaden stiftete. Die Spaltung der Werktätigen s• 116 Arbeiterbewegung Die Austro-Marxisten 117 in Stadt und Land, ihr Gegeneinanderarbeiten war zum theo­ Er wendet sich nun noch klarer gegen den Reformismus. Wir hören heute mehrfach, meint er, das Schlagwort vom „friedlichen Hineinwachsen" in den retischen Lehrsatz erhoben. Die natürliche Folge war eine Sozialismus. In Wahrheit kommen wir wohl dem Sozialismus näher und näher, h d o h Sc wächung der em kratisc en Kräfte, über die an den aber das bedeutet ein „Hineinwachsen in große Kämpfe, die das ganze Staats­ Wendepunkten unserer neueren Geschichte die Reaktion froh­ wesen .erschüttern, die stets gewaltiger werden müssen und nur enden können locken durfte. mit der Niederwerfung und Expropriierung der Kapitalistenklasse".* Anfang Die Schrift „Bernstein und das sozialdemokratische Pro­ der Neunzigerjahre war die ruhige Weiterentwicklung der proletarischenOrgani­ sationen auf den gegebenen staatlichen Grundlagen die angesichts der bestehenden d e e d d gramm" (1899), in er Kautsky g gen d n Begrün er es Re­ Situation vorteilhafteste Taktik. Eine gewaltsame Erhebung war nicht möglich, formismus, Bernstein, polemisierte, enthält einige Feststel­ auf dem friedlichen Weg hingegen konnte mancher Schritt vorwärts getan lungen prinzipieller Art. werden. Indes hat sich seither vieles und wesentliches geändert. Manche Ände­ rungen tendierten auf eine Milderung der Klassengegensätze. Hier kommt vor Bernstein hatte aus den günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen der allem das rasche Wachstum der Gewerkschaften in Betracht, die im Verein Neunzigerjahre den Schluß gezogen, daß Marx' Lehre von der ständigen mit den Genossenschaften berufen schienen, ohne jegliche politische Erschüt­ Proletarisierung des Mittelstandes, der ständigen Verelendung des Proletariats, terung der Arbeiterschaft immer mehr Freiheit zu schaffen, das Kapital immer der Notwendigkeit periodischer Krisen, der Unausweichlichkeit der Revolution mehr einzuengen. Aber die anderen Tendenzen, die auf eine neue Verschärfung irrig gewesen sei. Kautsky entgegnete: Durch ein paar Jahre der Konjunktur der Gegensätze hinwirkten, überwogen. Die von den Gewerkschaften mit wird Marx keineswegs widerlegt. Sein Gesetz, wonach der Großbetrieb den „reformatorischen" Mitteln errungenen Erfolge des Proletariats haben auf Kleinbetrieb verdrängt, ist durch die Entwicklung der entscheidenden Industrien kapitalistischer Seite eine größere Entschlossenheit zum Widerstand erzeugt. aufs glänzendste bestätigt worden. Die Bildung der Monopole ist die sinnfälligste Die in letzter Zeit begründeten Unternehmerverbände erschweren den weiteren Form der von ihm vorhergesagten Konzentration des Kapitals. Statistische gewerkschaftlichen Fortschritt. Die Reallöhne sinken. Die Kapitalisten planen Angaben, die die Vermehrung von Kleinbetrieben zeigen, betreffen nur minder bereits Anschläge auf,die politischen Rechte der Arbeiterschaft. Die Kolonial­ wichtige Branchen; außerdem sind sie oft völlig irreführend. In den fortgeschrit­ politik des Imperialismus belastet das Volk mit ungeheuren Ausgaben für tensten Ländern haben sich die Arbeiter etlicher Industrien durch Organisation Rüstungszwecke und frißt alle Fonds auf, die sozialpolitischen Zwecken dienen und Gt,werkschaftskampf einen besseren Lebensstandard erobert. Die Schichten könD.;ten. Wenn ein Weltkrieg ausbrechen sollte, und er ist in bedrohliche Nähe hingegen, die durch die Ausdehnung der kapitalistischen Wirtschaft zum Pro­ gerückt, so wird auch die Revolution ausbrechen. Das Proletariat haßt den letariat neu hinzukommen, finden immer wieder die schlechtesten Bedingungen Krieg, es wird alles tun, jede Kriegsstimmung fernzuhalten, aber wenn es doch vor. Das Maß der Knechtschaft, der Degradation, der Ausbeutung ist immer zum Krieg kommt, dann ist das Proletariat diejenige Klasse, die seinem Ausgang noch im Wachsen. Auch für die besser gestellten Arbeiter besteht die Tendenz am zuversichtlichsten entgegensehen darf. zur Verelendung fort, sie können durch die nächste Krise um ihre Errungen­ schaften gebracht werden. Es ist nämlich reine Illusion, daß keine Krisen mehr Die zwei eben besprochenen Schriften Kautskys und noch kommen werden. Auch die Kartelle werden die Krisen nicht fernhalten. Sie einige andere' aus der Vorkriegszeit bringen manches treffende beschränken die Produktion, der Kapitalismus braucht aber seiner Natur nach d o t e h t beständige Erweiterung der Produktion. Die einzige Dauerwirkung der Kartelle Argument gegen en Opp r unismus. Di Le re Kau skys galt ist die Verschärfung der Klassengegensätze. Die Arbeiterschaft muß sich zum seinerzeit weithin als die zeitgemäße Fortsetzung des Marxismus, Kampf rüsten, sie muß die Staatsmacht erobern und ihre Klassenherrschaft die revolutionäre, oder, wie man gern sagte, die „orthodoxe" aufrichten, anders kann sie der Klassengesellschaft kein Ende setzen. Vielleicht Lehre. D och h at Lenin, nach d em furchtbaren Versagen Kaut­ ... wird für eine Übergangszeit auch die Diktatur des Proletariats notwendig sein. skys in der Kriegszeit, dargelegt, daß schon in jenen älteren Die soziale Revolution kann nur von einer unabhängigen proletarischen Partei r x h h durchgeführt werden. Bernsteins Vorschlag, die Sozialdemokratie in eine A beiten die Mar sc e Ansc auung vielfach aufgegeben war.** breite, allgemeine Volkspartei umzuwandeln, drückt seine Umwandlung vom Zum Beispiel zeigte er, daß Kautsky in dem Buch gegen Bern- Sozialisten zum Liberalen aus.

* .,Der Weg zur Macht", 1909, S. 34· t t e Sämtl. Im „Weg zur Macht" (I909) führ Kau sky bestimmt *"' Siehe W, I.' Lenin, .,Staat und Revolution", 2. Aufl. 1918, Gedankengänge seiner Anti-Bernstein-Schrift weiter. Werke, XXI. Bd., S. 560 ff. �-

118 rl Arbeiterbewegung Die Austro-Marxisten 1· 119 stein diesem n e a e t at eine e n e an e al i e ital e t in der Maske der Polemik Konzessionen machte - eine lä ger L ufz i h ( b so d rs l g , f ls das f x Kap v rmehr Konzessionen, t e a e e o e n e en l nte die gerade den entscheidenden Punkt der proletari­ wurd ), d ß d r Gläubig r, als di Ba k, dau rnd Einf uß auf das U r­ schen Machtübernahme betrafen. nehmen des Schuldners gewinnt. Der produzierende Kapitalist muß sich gefallen Der Übergang Kautskys auf a en e a e nen e e ea c nt an e e e en die Seite der Reaktion l ss , daß di B nk s i B tri b b ufsi htigt. U er d r n B dingung kam also nicht über Nacht. Deshalb ist ein. Kredit; der jahrelang aushaften soll, nicht zu bekommen. Ein weiterer müssen auch die historischen Werke, die Kautsky um I900 ver­ Umstand, der den Banken Einfluß auf das produzierende Kapital verschafft, faßte e e e e e e e ec o e e e ch (,,Die Klassengegensätze im Zeitalter der Französischen ist di zun hm nd V rbr itung d r R htsf rm d r Aktieng s lls aft. Die Revolution", Banken haben das Emissionsgeschäft in Händen. Gründung einer A. G. oder ,,Thomas Morus", ,,Der Ursprung des Christen­ tums") trotz dem Wert, Erhöhung des Aktienkapitals ist praktisch ohne ihre Intervention nicht möglich. den der eine oder andere Abschnitt e ic a e en e ic li c e e t ie ien e mit Vorsicht genossen hat, G wöhnl h pl ci r si n ht sämt che dur h si mi t rte Akt auf d m werden. Markt, sondern behalten selbst ein Paket in ihrem Portefeuille. Der Groß­ Wir · wollen uns als nächstes mit Rudolf Hilferdings aktionär, der die Hälfte oder auch nur annähernd die Hälfte der Anteilscheine Schrift „Das Finanzkapital"* befassen. besitzt, kann eine A. G. restlos kontrollieren. Da dieses System fortsetzungs­ fähig ist (die kontrollierte A. G. ist selbst Großaktionär weiterer Gesellschaften), Seit Marx' .,Kapital" abgeschlossen wurde, erklärt Hilferding, sind in der beherrscht eine Bank mit relativ geringem Kapital ein ganzes Netz von Unter­ kapitalistischen Welt große Veränderungen vor sich gegangen. Zwar, die Grund­ nehmungen, eine gigantische Anhäufung von produktivem Kapital. Die Bank­ struktur ist die gleiche, der Kapitalismus ist Kapitalismus geblieben. Aber direktoren sitzen im Verwaltungsrat von Dutzenden und Dutzenden der wich­ eine hohe Zahl von Strukturverschiebungen zweiten Ranges verlangt nach tigsten Industrieunternehmungen. Oft werden die Aktien der Banken selbst gründlicher Analyse. Marx konnte die neuen Erscheinungen in sein System wieder von führenden produktiven Kapitalisten erworben, die dann natürlich h nicht mehr einbeziehen, seine Methode liefert uns aber das Instrument , wodurch im Verwaltungsrat der Banken Platz nehmen. Es entstehen allerlei Personal­ wir sie theoretisch erfassen können. Zunächst hat das Kreditwesen eine bedeut­ unionen, es entsteht eine unauflösbare Verflechtung des Bank- und Industrie­ same Umgestaltung erfahren. Früher war die herrschend e Form der Zirkulations­ kapitals, für die Hilferding den Namen 'Finanzkapital prägt. Die Herausbildung kredit, d. h. der Kredit, der es dem produzierenden Kapitalisten ermöglicht, des Finanzkapitals ist eines der am meisten charakteristischen Momente des '. eine neue Phase der Produktion zu begi nnen, ehe noch die Ware aus der voran­ heutigen Wirtschaftslebens. Parallel zu ihr vollzieht sich die Herausbildung l1 gehenden Phase in Bargeld verwandelt ist. Nun gewi nnt immer mehr Wichtig­ der Monopole. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die kapita­ keit der Kapitalkredit, d. h. derjenige, der brachliegendes Geld in fungierendes listische Ordnung nach dem Konkurrenzprinzip organisiert. Konkurrenz war Geldkapital verwandelt, indem er es dem produzierenden Kapitalisten zur I• der Hauptgedanke �er liberalen Ideologie, das Um und Auf der bürgerlichen 1: Verfügung stellt. So wird Produktion auf rasch wachsender Stufenleiter mög­ Ökonomie. Die unersättliche Profitgier der Kapitalist'eneinerseits, das beständige lich. Zirkulationskredit wird gewöhnlich von einem produzierenden Kapitalisten Sinken der Profitrate anderseits hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, an den anderen gegeben, die Banken wirk en nur als tech nische Helfer mit. daß die Kapitalisten durch Schaffung von Kartellen, Syndikaten, Trusts die i a ita e it e n ie n ie n en ine ent c en e lle ie Konkurrenz ausschalten oder doch sehr verringern, wodurch sie die Preise t Be m K p lkr d hing ge sp le d Ba k e s heid d Ro , s gewähren den Kredit aus den Geldern, die sie als Depositen in ihren Kassen künstlich hochzuhalten und Extraprofite einzustreichen vermögen. Die Banken i sammeln. Kapitalkredit kann zur Vermehrung des zirkulierenden Kapitals unterstützen die M onopolbildung in den von ihnen kontrollierten Industrie­ (Neueinstellung von Arbeitern, erweitert er Ankauf von Rohmaterial etc.), er zweigen, da es bei freier Konkurrenz immer möglich ist, daß Unternehmungen, e en ie i e e ie t i ot e ie en e en e 1 C kann aber auch zur Vermehrung des fixen Kapitals (Anschaffung von Maschinen, an d n s nt r ss r s nd, zum Bankr t g tr b w rd . Das stärkst Gebäuden etc.) verwendet werden. Dient er dem letzteren Zweck, so muß er Monopol ist schwach, solange die Konkurrenz des Auslands droht. Daher ,.1 .,. langfristig sein und in der Regel einen namhaften Betrag erreichen. Es eröffnet setzt das Finanzkapital entgegen den Volksinteressen ein neues Regime im sich ein Geschäftszweig, der nur den größeren und größten unter den Banken Außenhandel durch: den Hochschutzzoll. Zwar hat es auch in der Blütezeit zugänglich ist. Die Folge : rasche Zusammenfassung des Bankgeschäfts bei des Liberalismus Zölle gegeben, doch sie hatten, wenigstens formell, einen einigen wenigen Mammutinstituten. Während der Zirkulationskredit, rückzahl­ .,Erziehungszweck", sie sollten Industrien, die sich im Aufbau befanden, zeit­ bar nach Ablauf der normalen Zirkulationsphase, den Schuldner höchstens zeit­ weilig den nötigsten Schutz gewähren. Nunmehr aber werden die bestausge­ weilig in Abhängigkeit vom Gläubiger bringt, bewirkt der Kapitalkredit, der rüsteten Industrien durch Zölle, die in der Wirkung Einfuhrverboten gleich­ kommen, geschützt. Der Zoll hat die Funktion, die Extraprofite des Monopols 1 * .,Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des zu garantieren. Das neue System hat freilich auch vom Standpunkt der Mono­ Kapitalismus", .,Marx-Studien", 3. Bd., 1910, S. 1-477. pole aus einen Nachteil: es wird nicht nur von einem Land, sondern von vielen

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angewendet, schafft also relativ kleine Wirtschaftsgebiete. Das Gegenmittel des Finanzkapitals ist der Kapitalexport. Man exportiert nicht nur, wie bisher, Entwicklung im allgemeinen und der Entwicklung der Rechts­ Waren, die am Bestimmungsort den Eigentümer wechseln, sondern man normen im speziellen bestehen. Daß sich in den Rechtsinsti­ exportiert daneben, und in steigenden Mengen, Geld, Maschinenmaterial etc., tuten die sozialen Verhältnisse widerspiegeln, weiß jedermann, das am Bestimmungsort in der Verfügung des bisherigen Eigentümers bleibt vielleicht mit Ausnahme einiger engstirniger Juristen. Aber und von ihm als Kapital verwendet wird. Populär ausgedrückt: man errichtet in anderen Ländern - besonders in rückständigen, weil dort die Arbeitskräfte diese Erkenntnis sagt noch nicht viel. Es kommt darauf an, billig sind - Betriebsfilialen. Trotz diesem Auskunftsmittel empfindet das die Spiegelung genau zu beschreiben, ihre typischen Eigen­ Finanzkapital jedes Landes sein Wirtschaftsgebiet als zu eng. So tauchen zwi­ tümlichkeiten herauszuarbeiten. Keineswegs ist die Sache so schen den Ländern mit entwickeltem Finanzkapital, zwischen den imperialisti­ einfach, daß jede soziale Strukturänderui:ig eine Änderung der schen Ländern politische Spannungen auf, ein Rüstungswettlauf setzt eill, die Rechtsnormen nach sich zieht. Die Normen können sich äußer­ Gefahr eines Weltkriegs wird sichtbar. Zugleich verschärfen sich die Klassen­ gegensätze innerhalb jedes einzelnen imperialistischen Landes. Zwar erzeugt lich gleichbleiben und dabei einen Funktionswandel erleben. das Finanzkapital eine neue Schicht von Technikern und Angestellten, die den Renner greift nun einen Einzelfall von überragender Wichtigkeit heraus: Unternehmern blind folgen, zu jedem reaktionären Manöver zu brauchen sind. Aber diese Schicht wird nicht lange dem Finanzkapital hörig bleiben, sie wird . er studiert den Funktionswandel, den das Rechtsinstitut des Eigentums, ohne begreifen, daß ihre Interessen die der arbeitenden Massen sind, sie wird, wenn daß ein Normwandel eingetreten wäre, von der Zeit der einfachen Warenwirt­ die nächste wirtschaftliche Depression einsetzt, sehr rasch den Weg ins pro­ schaft bis zur Zeit des Hochkapitalismus durchgemacht hat. Unter den Bedin­ letarische Lager finden. Das Proletariat selbst erkennt angesichts der Erschei­ gungen der einfachen Warenwirtschaft, bei Vorherrschen handwerksmäßiger nungen des Imperialismus viel klarer als früher den Widersinn der kapitalisti­ Produktion, die ohne Ausbeutung fremder Arbeitskraft vor sich geht, hat das schen Ordnung, die Notwendigkeit, sie zu beseitigen. Es bereitet sich zum Eigentum an Produktionsmitteln genau ·den Sinn, der der gesetzlichen Norm Endkampf vor. Die Tatsache, daß beinahe die gesamte Wirtschaft heute schon entspricht; es bedeutet uneingeschränkte Verfügungsgewalt über eine Sache. von ein paar Personen überblickt und geleitet wird, schafft günstigere Bedin­ Das Eigentum am Produkt hat die Funktion, die gesellschaftliche Einkommens­ gungen für den Übergang zum Sozialismus, als je zuvor bestanden haben. verteilung proportional zu der Arbeitszeit, die der einzelne investiert hat, herbeizuführen. Nur insofern wird eine Korrektur angebracht, als die Gesamt­ heit qer Handwerker (Produzenten) Alimentationspflichten gegenüber Nicht­ Unter den nationalökonomischen Werken, die die Struktur produzenten (Kindern, Greisen, Unbemittelten) zu erfüllen hat. Mit dem Sieg der imperialistisch neugestalteten Gesellschaft analysieren, ist des Kapitalismus bekommt die nämliche Rechtsnorm, der nämliche Wortlaut das „Finanzkapital" sicher eines der wertvollsten. Es steht des Gesetzes einen völlig neuen Sinn. Eigentümer von Produktionsmitteln sein, außer Frage, daß man aus dem „Finanzkapital" eine Menge heißt nun: das Recht haben, andere auszubeuten, Befehlsgewalt über andere lernen kann. Hilferding hat es in sehr jungen Jahren geschrieben. haben, den Arbeitsprozeß einer größeren oder geringeren Zahl von Menschen dirigieren können. Das Eigentum am Produkt hat auch im Kapitalismus eine Er war damals eine der großen wissenschaftlichen Hoffnungen „distributorische'1 Funktion, aber die Einkommensverteilung vollzieht sich der Arbeiterbewegung. Tiefe Tragik liegt darin, daß er, auf der nach einem anderen Schlüssel; den Kapitalisten wird Einkommen nicht nach Höhe des Lebens angelangt, sich in den Dienst der Reaktion der von ihnen (persönlich) investierten Arbeitszeit, sondern nach dem von ihnen begab und ihr schließlich, als sie zu gigantischer Dimension investierten Kapital zugewiesen; das Eigentum ist zum gesellschaftlichen Mittel geworden, durch das der Kapitalist Mehrwert realisiert. Die Sachgüter .. angewachsen war, physisch zum Opfer fiel. der einfachen Warenwirtschaft haben sich zum Kapital gewandelt: dies ist Karl Renner muß auf Grund des kleinen Buches „Die die Ursache, weshalb des Rechtsinstitut Eigentum sich in seiner Funktion so soziale Funktion der Rechtsinstitute, besonders des Eigentums"* radikal wandeln mußte. Renner begnügt sich nicht damit, zu zeigen, worin das als ein bedeutender Rechtssoziologe gelten. Die Rechtssoziologie Eigentum des Produktivkapitalisten sich von dem des Handwerkers unter­ untersucht die Beziehungen, die zwischen der gesellschaftlichen scheidet. Er zeigt die neue Funktion des Eigentumsbegriffs auch da, wo Waren­ handelskapital und Zinskapital in Rede stehen; er prüft die Frage, wie es möglich ist, daß die Rechtsnorm „gilt", die Individuen bindet, und daß dennoch eine * Veröffentlicht unter dem Pseudonym Dr. Josef Karner im r. Band der Entwicklung außerhalb des Gesetzes. und gegen das Gesetz stattfindet; und er ,,Marx-Studien", 1904, S. 63-192. prüft noch eine ganze Reihe von konnexen Fragen. 122 Arbeiterbewegung Die Austro-Marxisten 123

Das Verdienst der Schrift liegt vor allem in der Klarheit Recht hat, zur Gründung und Erhaltung von Universitäten, Schulen, Theatern der Problemstellung und -lösung, in der Fülle der Anregungen, so viel Steuern einzuheben, als seine Wähler sich gefallen lassen, und der durch einen verantwortlichen nationalen S taatssekretär der Benachteiligung der die sie für weitere Forschungen gibt, in der Eindringlichkeit, Nation in jeder Sphäre entgegentreten kann, Insbesondere überwacht der mit der sie anschaulich macht, daß die marxistische Methode Nationalrat die Einhaltung einer gerechten Proportion bei Beamtenernennungen. auch die Jurisprudenz zu befruchten vermag. Da zahllose Agenden staatlich bleiben (z, B. die gesamte Justiz), hat die Nation Etliche Arbeiten Renners sind dem nationalen Problem Interesse daran, daß ihre Angehörigen b ei der Ämtervergebung nicht zurück­ gesetzt werden, Das Gebietsprinzip findet schließlich doch auch insoweit Berück­ der Monarchie gewidmet. sichtigung, als das Wirkungsfeld des Nationalrats untergeteilt ist in gebietsmäßig \ Die wichtigste dieser Arbeiten, ,,Der Kampt der österreichi­ abgegrenzte Kreise, die die Kulturverwaltung in lokalem Maßstab führen. Auch schen Nationen um den Staat" (z902)*, geht aus von dem gto­ von der sonstigen Verwaltung sollte manches auf demokratisch bestellte, mit tesken Widerspruch, der in der Monarchie zwischen der Wirk­ Autonomie ausgerüstete Kreisbehörden übertragen werden, Die Verengerung lichkeit und der papierenen Verfassung besteht. der Kompetenzen d er Kronländer, die damit Hand in Hand ginge, wäre im Hinblick auf die unzweckmäßige Struktur der Kronländer, z.B. ihre ganz ß e e s e s Das politische Leben ist beherrscht von nationalen Auseinanderset zungen, ungleiche Grö e, in v rwaltungstechni ch r Fort chritt. aber nach der V erfassung sind die Nationen gar nicht existent. Eine solche Inkongruenz von Wirklichkeit und Recht muß zu unerträglichen Zust änden Renners Buch ist mit Temperament geschrieben. Es ist führen. Deshalb beschäftigen sich auch Sozialisten mit dem nationalen Problem, ungewöhnlich geschickt in der Argumentation. Seite für Seite obwohl es ihnen eigentlich fernliegt, da sie internationalistisch denken. Das zeigt sich, daß der Verfasser die Struktur der Monarchie, den erste, was zu geschehen hat, ist folgendes: die Nationen müssen verfassungs- · parlamentarischen Betrieb, Bräuche und Mißbräuche der mäßig konstituiert, müssen rechtlich anerkannt werden, Nun erhebt sich sogleich Administration in- und auswendig kennt. Seine Einstellung die Frage : nach welchem Prinzip soll die Konstituierung sich vollziehen? Zwei Prinzipien sind vorstellbar: das t erritoriale und das personale. Anwendung des ist tolerant, er erhebt keine Nation in den Himmel, würdigt territorialen Prinzips würde bedeuten, daß jeder Nation ein bestimmtes Gebiet keine herab. Wäre er bürgerlicher Demokrat, er würde unter zur Herrschaft zugewiesen wird. Das ist die Lösung, die die Kronlands-Föde­ seinesgleichen einen Ehrenplatz einnehmen. Nun war er aber e ebe e s e e s e e ralist n anstr n, Danach würd etwa da Kronland Böhm n d n T ch ch n, Wortführer einer Partei, die sich zu den Grundsätzen des das Kronland Tirol den D eutschen zu autonomer V erwaltung übergeben f f werden, Das Resultat wäre aber unbrauchbar. Da die Kronländer national nicht Marxismus bekannte. Das ordert tie er eindringende Kritik, einheitlich sind, würden trotz oder gerade dank dem Föderalismus die Minoritäten und ihr kann das Buch nicht standhalten. Zunächst fällt auf, unterdrückt werden, in Böhmen die deutsche, in Tirol die italienische Minorität, daß Renner einen Nationsbegriff einführt, der nicht der hi­ Die Sache würde noch schlimmer dadurch, daß j ede der ein Kronland verwal­ storischen Erfahrung entstammt. Der Emanzipationskampf tenden Nationen in den anderen Ländern, wo sie selbs t Minorität ist, Repressalien zu erdulden h ätte. Somit bleibt nichts übrig, als das Personalprinzip h eran­ der Nationen, der in der neueren Geschichte eine so ausschlag­ zuziehen. Muster eines personal aufgebauten V erbandes i st die Armee: sie gebende Rolle spielt, sei von bloß geistigen Gemeinschaften besteht aus allen Soldaten, ohne Rücksicht darauf, wo sie ihren Wohnsitz haben getragen, und nicht von Gemeinschaften, die außer dem kul­ oder sich aufhalten. Ebenso soll jede Nation aus allen Nationsgenossen bestehen, turellen auch einen historischen, gebietlichen, wirtschaftlichen .. mögen sie in einem Kronland leben, wo sie die Mehrheit haben, oder in einem, Zusammenhalt haben. Wer der materialistischen Betrachtung wo sie b loß die Minderheit b ilden, oder ü berhaupt in der „Diaspora". Die Absonderung des Nationsbegriffs vom Gebiet entspricht dem Charakter des treu bleiben will, wird sich nicht so leicht wie Renner ent­ nationalen Verbandes, der eine Sprach- und Kulturgemeinschaft ist und mit dem schließen, einen Personenverband Nation zu nennen. Er wird Grund und Boden nichts zu tun hat. Sämtliche Nationsgenossen w ählen einen anderseits da, wo das Mehr an Voraussetzungen, welches er „Nationalrat", der in kulturellen Angelegenheiten Autonomie genießt, das postuliert, erfüllt ist, sich nicht damit begnügen, kulturelle * R enner v eröffentlichte dieses Buch unter d em P seudonym Rudolf Autonomie zu fordern. Zur Idee einer gerechten, dauernden Springer. Frieden verbürgenden Weltordnung gehört das uneingeschränkte 124 Arbeiterbewegung· Dte Austro-Marxisten 125 Selbstbestimmungsrecht der Nationen, welches auch das Recht gen schon den Vorkämpfer der „Anschluß"-Idee an, der Renner auf staatliche Sonderexistenz mitumfaßt. Natürlich soll dies dann in der Republikzeit gewesen ist. Recht nicht als Pflicht verstanden werden: die freiwillige In einem anderen, ungefähr gleichzeitig erschienenen Buch, Vereinigung mehrerer Nationen zu einem größeren Verband „Marxismus, Krieg und Internationale", erörterte er aus einer kann unter Umständen eine höchst fortschrittliche Sache sein. rein opportunistischen Perspektive Fragen allgemeinen Cha­ Immer bleibt aber das Moment der Freiwilligkeit entscheidend. rakters, d. h. Fragen, die nicht oder nicht nur Österreich be­ Das ist klarzustellen, das ist bei jeder nur möglichen Gelegenheit trafen. Er „bewies" die Notwendigkeit der Landesverteidigung zu betonen, das mußte besonders in einem Staat wie Österreich im imperialistischen Krieg, die Notwendigkeit der Kolonial­ betont werden, wo nationale Unterdrückung bestand, und be.: politik der imperialistischen Mächte etc. Die sozialistischen sonders von einem Autor, der Mitglied der herrschenden Nation Autoren, die mit ihm in seiner Einschätzung der letzten Welt­ war. Renner ignoriert das Selbstbestimmungsrecht genau so, entwicklung nicht übereinstimmten, bezeichnete er als Vulgär­ wie das Brünner Nationalitätenprogramm es tut. Er füllt den Marxisten. Kautsky, selber kein Ultra-Linker, verglich ihn vom Brünner Programm gesteckten Rahmen mit konkreten. in einer Gegenschrift* mit den bekannten deutschen Oppor­ Vorschlägen aus, aber er geht nicht um einen Schritt weiter. tunisten Cunow, Lensch, Haenisch - nicht mit Unrecht, wie Deshalb ist sein Buch nichts als ein Stück der verfehlten Politik leider gesagt werden muß. seiner Partei, durch die die Arbeiter der Nationalitäten den Anders als Renner, der im „Kampf der Nationen" dem national energisch auftretenden Bourgeoisien in die Arme ge­ Begriff der Nation nur geringe Aufmerksamkeit schenkt, leitet trieben wurden. All das ist von Stalin in seiner Abhandlung 0 t t o Bau er sein umfangreiches Buch „Die österreichische über die nationale Frage mit großer Klarheit dargelegt worden.* Nationalitäten/rage und die Sozialdemokratie"** damit ein, daß Um das Haupt- und Kardinalproblem des alten Österreich zu er diesen Begriff zu analysieren sucht: lösen, wäre die Kühnheit der Bolschewiki nötig gewesen - und die hat Renner, der eingefleischte Opportunist, nicht a a a n i National besessen. W s uns in der unmittelb ren Erf hrung begeg et, das st der „ ­ War bereits sein „Kampf der Nationen" von dem Wunsch a a charakter", die Tats che, daß größerei MenschengruppenNa i durcho Chi rakter­o mitbestimmt, den österreichischen Völkerstaat intakt zu er­ ähnlichkeit verbunden sind. WollenN ona w ra zum t onsbegriffi v rdr ingen, s müssen wir eine Erklärung des ati lch rakters finden. Es g bt Schr ftsteller, halten, so wurde dieser Wunsch während des Weltkrieges voll­ i a a i i n n d e gl uben, daß ei nt myst schesi Wese , Volksgeisti ge annt, in den Nations­i a ends zu einem zentralen Motiv seines Denkens. In der Aufsatz­ genossen wirks n;i. s und sie e nander angle cht. Andere wollen den Nat on l­ sammlung „Österreichs Erneuerung" (3 Bände, r9r6/r7) be­ a a i a n i i char iktera us rein aphys schen UrsN cheio herle ten. Eri solli die natürl che Folge hauptet er, daß Österreich schon dank seiner multinationalen geme nsi mer Absta i mmungt der at nsgenosseni se n. D ae zweite Auffassungi Struktur ein fortschrittliches Gebilde sei. Die Beweisführung steht w ssenschi ftli chN e waso höher alsin die erste, iist iaber o uch unbefr edigend. .. In Wahrheit st d e ation s wohl e ge stiger w e e n bi logischer Zusammen­ ähnelt jener, die Seipel in „Nation und Staat" vorträgt.** a o Na h lt, siei ist s wohl Kultur- wie turgemeinschaft,a ohne daß aber eine idieser Mit dem Lob des Habsburgerstaates verbindet Renner die Geme nschaften ein primärer Faktor wäre. Jeder Ch rakter beruht auf Sch cksal. durch einige Wenn und Aber eingeschränkte Empfehlung des Nati Der i onalcharakter ist erzeugt durch Schicksalsgemeinschaft in derVergangen­ i heit. D e Schicksalsgemeinschaft der Ahnen wirkt durch Vererbung von E gen­ Naumannschen Mitteleuropa-Planes. Diese Darlegungen kündi- i i schaften und durchN Überl eferung von Kulturgütern auf den geistigeni Hab tus der Nachfahren. atur- und Kulturgemeinschaft sind bloß d e Mittel, durch1918, 1913. 120-206. a ** i a i • .,Kriegsmarxismus", in „Marx-Studien", 4. Bd., · 1. H lbbd., • J. W. Stalin, .,Marx smus und n t onale Frage", 1907 2. a o i s., Siehe das Kapitel „K th l zismus". •• Erschienen als Band der „Marx-Studien". 126 Arbeiterbewegung Die Austro-Marxisten 127

welche die einheitlichen Ursachen, nämlich die Bedingungen des Daseinskampfes Bei Otto Bauer gibt es Sonderbarkeiten, wie die Vorstellung, • der Ahnen, ihre Wirkungen ausüben. Damit kommt Bauer zu der Definition: daß schon im Urkommunismus Nationen existierten, es gibt „Die Nation ist die Gesamtheit der durch Schicksalsgemeinschaft zu einer Behauptungen, die logisch nicht nebeneinander bestehen können. Charaktergemeinschaft verknüpften Menschen." Schicksalsgemeinschaft ist mehr als bloße Schicksalsähnlichkeit. Zum Beispiel erfahren das englische und das All das könnte man hinnehmen, denn daß auch positive Quali­ französische Kleinbürgertum, die englische und die französische Bourgeoisie täten da sind: ein eminentes Wissen, eine verblüffende Fülle ähnliche Schicksale. Aber gemeinsame Erlebnisse im strengen Sinn hat doch nur geistreicher Einfälle, wird kaum jemand bestreiten. Ent­ das französische Kleinbürgertum mit der französischen Bourgeoisie, das englische Kleinbürgertum mit der englischen Bourgeoisie. Wenn es heißt, daß die Nation scheidend ist aber: Bauer hat sich sämtliche wesentlichen Irr­ die „Gesamtheit" der verknüpften Menschen umfaßt, so ergibt sich, daß in der tümer Renners zu eigen gemacht. Für ihn wie für Renner ist Klassengesellschaft die Einheit der Nation nur durch die herrschenden Klassen die Nation ein rein geistiges Gebilde. Mit so irdischen Dingen konstituiert wird. Die Masse des arl::eitenden Volkes hat keinen.Zutritt zu den wie einem Territorium hat sie nichts zu. tun. Da die nationale Kulturgütern. Die Ausbeutung, von der sie betroffen ist, die ungenügende Ernährung, Behausung, Schulbildung, die ihr zugemessen ist, bewirkt, daß sie Frage vor allem eine kulturelle Frage ist, kann sie durch kul­ sich am Kulturleben nicht beteiligt. Sie steht dadurch außerhalb jener Charakter• turelle Autonomie gelöst werden. Das politische Selbstbe­ gemeinschaft, außerhalb der Nation. Dieser Sachverhalt spiegelt sich im Bewußt-­ stimmungsrecht der Nationen wird von Bauer nicht anerkannt. sein der verschiedenen Klassen wider. Das Bürgertum fühlt und wertet national Es wird einfach als gewiß angenommen, daß die in der Monarchie (was durchaus nichts Positives ist, denn Liebe zur Nation bedeutet Liebe zu 19 So sich selbst, Wertung nach nationalem Maßstab bedeutet Überwertung der vereinten Nationen weiter beisammen bleiben werden. eigenen Nation). Die Arbeiterschaft sieht die Dinge im Gegensatz zum Bürger­ brauchte Stalins Polemik zwischen Renner und Bauer gar nicht tum rationalistisch an. Sie beurteilt historische Vorgänge, kulturelle Leistungen zu unterscheiden. Sie traf bei�e Vertreter des Austro-Marxis­ nach allgemeinen, objektiven Prinzipien. Wieviel Ehre oder Unehre einer mus mit denselben Argumenten. Ein gemeinsamer Zug Bauers bestimmten Nation erwächst, ist ihr egal. Nun könnte man glauben, daß eine Klasse, die nicht national fühlt oder und Renners ist endlich die Antipathie gegen den Nationalismus denkt, wohl auch keine nationale Politik betreiben wird. Bauer erklärt aber, als solchen. Für Bauer ist Nationalgefühl etwas Verächtliches. daß es sich doch anders verhält. Die Arbeiterschaft führt einen Kampf, der Nach Renner denkt die Bourgeoisie national, das Proletariat auf die klassenlose Gesellschaft hinzielt. Das heißt, daß sie - freilich nicht um aber international. Als ob das Gegensätze wären! Die beiden der Nation willen, sondern um ihrer selbst willen - einen Kampf führt, der auf ihre Zulassung zur Nation hinzielt. Wird doch in der klassenlosen Gesellschaft Schriftsteller haben nicht erkannt, daß das Wesen des Inter­ das ganze Volk sich der Kulturgüter erfreuen, das ganze Volk in die Nation nationalismus, zu dem sich allerdings jeder Sozialist bekennt, eingehen. Also: DieArbeiterschaft ist national bestrebt, ist es schon kraft ihres gelegen ist in ,der Achtung vor dem Recht und der Eigenart sozialen Programms, nur ist ihre Nationalismus „evolutionistisch": er wünscht der Nationen; und daß diese Achtung denn doch die Nation, die Ausweitung der Nation, er wünscht ferner, den Nationalcharakter im fort­ der man selber angehört, nicht ausschließen kann. Was sie schrittlichen Sinn weiterzubilden. In beidem unterscheidet er sich vom konser­ vativen Nationalismus des Bürgertums. Der Unterschied ist so groß, daß man predigen, ist in Wahrheit nicht Internationalismus, sondern den evolutionistischen Nationalismus zweckmäßigerweise sogarmit einem ande­ nationale Indifferenz, Nihilismus. Die Gefährlichkeit dieses ren Namen bc�zeichnen könnte, nämlich mit dem Namen Internationalismus. Standpunktes ist den Österreichern der heute lebenden Gene­ .. Stellt die sozialistische Idee eine Art nationalen Maximalprogramms dar, das ration in einem schmerzhaften Anschauungsunterricht zu der Arbeiterschaft aller Länder gemeinsam ist, so besitzt speziell die öster­ reichische Arbeiterschaft außerdem noch ein Minimal- oder Sofortprogramm. Bewußtsein gebracht worden. 20 Es heißt nationale Autonomie und ist in den Brünner Beschlüssen formuliert. Von der Theorie, die Friedrich Adler zur Korrektur Springer (Renner) hat es durch sei�e konkreten Ausführungen über das Perso• des dialektischen Materialismus entwickelt hat, wird, da sie nalitätsprinzip noch verbessert. Die Brünner Beschlüsse sind im bestehenden staatlichen Rahmen zu verwirklichen. Auch sie drücken den Internationalismus sich eng an den Empiriokritizismus anschließt, in dem Kapitel aus, dem die Arbeiterschaft zugetan ist. über Ernst Mach gesprochen werden. 128 Arbeiterbewegung Dfr Kulturbewegung 129

Fehler der Theorie und der Praxis, eng miteinander ver­ den Erzählungen Ferdinand Hanuschs war schon die Rede, quickt, haben nicht gehindert, daß die Arbeiterbewegung als von denen Popper-Lynkeus', der am Rande der Sozialdemo­ Kulturbewegung sich prächtig entfaltete. Natürlich mußten jene kratie stand, werden wir später sprechen. So Gutes in den Irrtümer auch auf das Stück Kulturgeschichte im engeren Sinn, Arbeiten dieser Autoren zu finden ist, das Kapitel „Sozia­ das in der Geschichte der Sozialdemokratie steckt, zurückwirken. lismus und Literatur" endet nicht mit ihnen. Es ist ein weit Die nationale Indifferenz mußte z. B. die volksbildnerische Tätig­ umfänglicheres und inhaltsreicheres Kapitel. Die Arbeiter­ keit der Sozialdemokratie ungünstig beeinflussen. Doch ist kultu­ bewegung ist für unsere Literatur nur in zweiter Linie durch rell auf den verschiedenen Gebieten so viel getan worden, daß, die Schriften von Sozialisten bedeutsam; ihre Hauptbedeutung auch wenn das und jenes zu tadeln bleibt, ein großer Gewinn für liegt in den oft richtunggebenden Eindrücken, die sie bürger­ unser Land verzeichnet werden kann. Den Beitrag der Sozial­ lichen Schriftstellern vermittelte. Wir haben in Österreich demokratie zur Entwicklung des Volksbildungswesens, des Unter­ nur eine schmale sozialistische, aber eine ausgedehnte soziale richtswesens im allgemeinen, des Theaters, der Journalistikusw. Literatur. Die Ideologie, die in England „Radikalismus" darzustellen, wäre eine ebenso nützliche wie reizvolle Aufgabe, genannt wird und die mit der proletarischen verwandt ist, deren Ergebnisse durchaus nicht nur den Fachmann interessieren hat in vielen österreichischen Dichtwerken Gestalt angenommen. würden.* Wir begnügen uns mit ein paar Bemerkungen über Sicherlich: Weder J. J. David, der den Mitleidsroman „Die Sozialismus und Literatur. Etliche ausgezeichnete Schrift­ am Wege sterben", noch Werfel, der die Mitleidsverse des steller sind unmittelbar aus der Arbeiterbewegung hervor- , „Weltfreund", noch Karl K_raus, der das pazifistische Drama gegangen. Am bekanntesten ist mit Recht Alfons Petzold ,,Die letzten Tage der Menschheit" schrieb, waren Sozialisten. (1882-r923).** Die vierzig Bände seines Lebenswerks, Lyrik, Aber sie alle und manche andere, die noch angeführt werden Erzählungen, Autobiographisches umfassend, abgerungen einem könnten (Wassermann, Schnitzler, Wildgans, Zweig) haben, Dasein, das Jahre unsäglicher Armut, Jahre qualvoller Krank­ mehr oder weniger bewußt, den Hauch der sozialistischen heit einschloß, sind als menschliches und Zeitdokument er­ Bewegung verspürt. Sie haben in ihren Dichtungen Gedanken schütternd. Daß Petzold Anspruch auf den Namen eines des Proletariats formuliert, haben sie feiner formuliert (wenn­ wahren Dichters hat, ist vor allem aus einer Reihe kleiner gleich weniger klar gedacht), als das Proletariat selbst es zu Versstücke zu sehen. Man stößt hier zuweilen auf einen ganz tun vermocht hat. Ihre Werke verdanken dieser Tendenz, eigenartigen, schmerzlichen Ton, der gewissermaßen aus einer wenn man es, so nennen will, einen wesentlichen Teil ihres rauhen Kehle zu kommen scheint, gerade deshalb aber die Wertes. Wenn die österreichische Literatur der neueren Zeit Kraft besitzt, das „rauhe Leben" zu lösen. Neben Petzold in der Weltliteratur einen hohen Rang einnimmt, dann nicht verdienen genannt zu werden: Josef Luitpold Stern zuletzt deshalb, weil sie leidenschaftliche Bekenntnisse ent­ (Lyriker, Essayist), Stefan Großmann (Erzähler, Jour­ hält zu den Ideen des Fortschritts der Freiheit, der Menschen­ .. nalist etc.), Emil Kralik-Habakuk (Feuilletonist). Von würde und Gerechtigkeit - zu denselben Ideen, die der sozia­ listischen Arbeiterschaft unverrückbar vor Augen stehen. 21 • Ein Teil dieser Arbeit ist von Dr. Alfred Zohner geleistet worden. Vgl. seinen lehrreichen Aufsatz „Die Kulturbewegung der aufsteigenden Arbeiterklasse" in Nagl-Zeidler-Castle, .,Deutsch-österr. Literaturgeschichte", 4. Ed., S. 1536-58. ** Vgl. über Petzold: Aufsatz von Carl Brockhausen in: .,Allgemeine österr. Biogra,phie", 1. Abt., 3. Bd., S. 181-97; Zohner, a. a. 0., S. 1544 ff.

9 Fuchs, Geistige Strömungen SOZIALREFORM (Radikalismus)

...

9• Fragen wir nach den politischen Ideologien, die um 1900 in Österreich anzutreffen sind, und nach der klassenmäßigen Zuordnung dieser Ideologien, so ergibt sich das folgende Bild: der Liberalismus ist die Anschauung, die die meisten Insti­ tutionen des öffentlichen Lebens formt und durchdringt. Trotz manchem Prestigeverlust behauptet er seine Herrschaft über die wichtigsten Kreise des Großbürgertums. Andere groß­ bürgerliche Kreise sind christlichsozial oder deutschnational orientiert. Die Ausrichtung der Arbeiterschaft ist beinahe einheitlich: die entscheidenden Schichten sind für den Sozia­ lismus gewonnen. Die beiden Hauptklassen, Bourgeoisie und Proletariat, üben einen starken ideologischen Einfluß auf das Kleinbürgertum. Teile des Kleinbürgertums leisten der Libe­ ralen Partei Gefolgschaft, andere der Christlichsozialen und der Deutschnationalen, wieder andere (nicht sehr bedeutende) der Sozialdemokratischen Partei. Doch existiert noch eine fünfte kleinbürgerliche Schicht, die mit 'keiner der aufgezählten Anschauungen zufrieden ist, vielmehr ihre eigene, einigermaßen selbständige Ideologie ausbildet. Von dieser Ideologie soll hier die Rede sein. Wir wollen sie, mangels eines allgemein akzeptierten Terminus, ,,Doktrin der Sozialreform" oder „Radi­ kalismus" nennen. Sogleich muß ein naheliegendes Mißver­ .. ständnis ausgeschaltet werden. Das Wort „radikal" weist nicht auf eine besonders energische Denkweise hin, oder gar auf eine Neigung zu Gewalttaten. Es ist dem politischen Voka­ bular Englands entnommen, worin es ziemlich genau einen „linken Liberalen" bezeichnet. Die englischen Radikalen haben eine · gute reformerische Tradition (man denke etwa an die Aufstiegszeit von Lloyd George), aber Extremisten sind sie nie gewesen. 134 Sozialreform Die Grundgedanken der Re/ormlehre 136 Das Wesen des Liberalismus ist es, daß er Freiheit, heit und Gleich­ (Privatinitiative) bleiben erhalten. Die Vorteile des Sozialismus werden - Brüderlichkeit als oberste Werte anerkennt, sie aber das Prinzip neben notabene ohne revolutionäre Erschütterung - neu gewonnen. Nicht nur die des Privateigentums an den Produktions­ materiellen, auch die ideellen Bedürfnisse der Volksmassen werden befriedigt. mitteln stellt und den resultierenden Konflikt löst, indem er Die Reformtätigkeit erstreckt sich wie auf ökonomische auch auf Kultur­ jene drei erhabenen Ideale einer gründlich angelegenheiten. Der Bau von Volksbildungsinstituten ist ebenso im Programm Interpretation einschränkenden unterwirft. Der Sozialismus anderseits wie die Einführung von Alterspensionen. daß behauptet, das Privateigentum der Urquell aller gesellschaftlichen stände ist: daß Miß­ Mit dieser Schilderung haben wir nun freilich die radikale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - denen er einen neuen, tieferen Begriffe, Sinn gibt - nur dann Bewegung etwas idealisiert. Die soeben skizzierten „Grund­ keit werden können, Wirklich­ wenn die Gesellschaft von den Produktions­ gedanken" sind die Gedanken einiger hochgebildeter, besonders mitteln Besitz ergreift. Zwischen diese auch politisch gebildeter Führer. der Bewegung. Selbst sie schiebt beiden · Standpunkte sich die Reformlehre mit dem Vorschlag, differieren über manches (z.B. über Punkt 4, Staatshilfe): eigentum das Privat­ fortbestehen zu lassen, aber Wir haben ausgedrückt, was sie im für richtig Wirkungen seine nachteiligen zu bekämpfen. Die Reformlehre findet, halten. · Die Masse der kleinen Reformer hingegen hat die Kapitalismus daß der Vorzüge hat, auf die man nicht verzichten „Grundgedanken" nur undeutlich vor DurchschnittAugen. Sie propagieren Sie erklärt kann. zugleich dezidiert, daß die Lage der unteren diese Gedanken nicht, was nicht etwa darin begründet ist, daß schichten Volks­ verbessert werden muß. Das ist aber, sie mit ihnen nicht übereinstimmen, sondern darin, daß sie weit einfacher, meint sie, als die Sozialisten es sich vorstellen. Die überhaupt keine allgemeinen Überlegungen anstellen. Es gehört gedanken des Grund­ Radikalismus lassen sich etwa folgendermaßen zu den Eigenheiten der radikalen Bewegung, daß sie neben zusammenfassen breiten Organisationen mit einleuchtenden Zielen, wie es etwa die Volksbildner sind, auch etwas außenseiterische Gruppen um­ 1. Die Ideale der bürgerlichen Revolution sind die Leitsterne schrittlichen Politik. aller fort­ faßt: die Vegetarier, die Anhänger des Volapük, die Anhänger 2. Es ist möglich, der Nacktkultur. Das politische Niveau der Außenseiter ist im Rahmen des Kapitalismus einen Gesellschaftszustand zu schaffen, der dieser. Idealen entspricht. oft ein niedriges, sie interessieren sich nur für eine ganz bestimmte 3. Die Freiheit der Kapitalistenklasse muß bis zu einem gewissen Reform, von den anderen wissen sie nichts und wollen sie nichts beschränkt werden. Dadurch Grad wird die Freiheit der übrigen Klassen, werden wissen. Der Volapük-Freund hält den Vegetarier für einen Gleichheit und Brüderlichkeit gefördert. 4. Neben den staatlichen Vereinsmeier, der Nacktturner glaubt, daß der Volksbildner die Maßnahmen, welche Exzesse von kapitalistischer Seite verhindern, sind auch Maßnahmen nötig, die den heiligste Menschenpflicht verletzt, weil er nicht gegen über­ unmittelbar Hilfe ärmeren Schichten bringen. Der Staat hat nicht nur Gesetze flüssiges Kleidertragen, sondern gegen die Unwissenheit arbeitet. Kinderarbeit etc. über Sonntagsruhe, zu erlassen, er hat z.B. auch Volkswohnhäuser, Zuweilen leben auch Gruppen, die dasselbe Gebiet bearbeiten, in Altersheime zu errichten. Spitäler, .. 5. Die erbitterter Feindschaft, weil jede das Ziel mit anderen Mitteln staatlichen Maßnahmen müssen durch werden. rein gesellschaftliche ergänzt Menschengruppen, die von einem bestimmten erreichen zu können glaubt. Ist es bei solcher Zersplitterung sind, organisieren sozialen Übel betroffen sich und schaffen sich - eventuell überha:upt berechtigt, die vielen Vereine als Einheit anzusehen, Gruppen mit Unterstützung anderer - selbst die Reformen, die sie brauchen. die unter (Zum Beispiel: Landwirte, von „der" radikalen Bewegung zu sprechen? Doch! Die Vereine Kreditnot leiden, schaffen auf genossenschaftlicher henskasse.) Basis eine Darle­ haben die Klassenbasis gemeinsam. Sie rekrutieren sich aus Findet dies Programm Kleinbürgern,nur dann und wann gibt es einen Mitläufer aus den Anerkennung, so wird, sagen die Radikalen, soziale Frage in weitem Umfang die gesellschaftlichen Unter- und Oberschichten. Und sie haben auch gelöst werden. Die Vorteile des Liberalismus die Weltanschauung gemeinsam. Sie ist in jenen vorhin er- 137 136 Sozialreform Radikalismus, Liberalismus und Anarchismus

wähnten „Grundgedanken" enthalten. Die „ Grundgedanken" teils um wichtige, teils um skurrile Dinge. Viele hatten mit gleich­ sind das Kredo des Reformers, selbst wenn er sich dessen nur artigen Gruppen im Ausland Kontakt, erhielten von dort An­ gelegentlich bewußt wird. In den Momenten der Reflexion er­ regungen, gaben ihrerseits ihre Erfahrungen bekannt. Wenn die scheint ihm seine eigene Tätigkeit als Beitrag zur Realisierung Zahl, die Aktivität, der Ideenreichtum der Reformer ein Symptom eines Programms, wie es in jenen fünf Punkten dargestellt ist. für die geistige Regsamkeit eines Volkes ist, wie die Radikalen Gleich anderen sozialen Kategorien läßt sich der Radikalis­ in aller Welt nicht ohne Grund behaupten, dann war das öster­ mus gegen benachbarte Kategorien nicht mit absoluter Schärfe reichische eines der regsamsten Völker. Merkwürdig ist, daß es abgrenzen. Auch der Liberalismus, soweit es sich nicht Upl den trotzdem bei uns nicht gelang, eine radikale Massenpartei zu Manchester-Flügel1 handelt, befürwortet gewisse Reformen. Es schaffen, wie sie in vielen Ländern existierte. Weder die Wiener ist oft ungemein schwer zu sagen, ob ein konkreter, seinerzeit Demokratische Partei, der Kronawetter, Steudl und vorüber­ viel diskutierter Reformvorschlag aus radikaler oder aus liberaler gehend Lueger angehörten, noch die Sozialpolitische Partei von Gesinnung entsprungen war. Besonders schwer ist die Abgren­ Ofner und Philippovich gewann starken Anhang. Die Deutsche zung des Radikalismus nach der anderen Seite, nach links. Die Volkspartei, die Fischhof in den Achtzigerjahren schaffen wollte, Gr r starb schon im Embryonalzustand.* Den radikal gesinnten diversen uppen nichtmarxistischer Sozialisten, die wi um 1900 an der Arbeit sehen, sind den Radikalen zum Teil sehr ähnlich, Wählern blieb nur die Möglichkeit, für die Sozialisten oder die wie laut sie selbst ihre Unterschiedlichkeit proklamieren mögen. Liberalen zu stimmen oder Wahlenthaltung zu üben, was sicher Daß sie, die Sozialisten, letzten Endes den Kapitalismus auf­ in vielen Fällen geschah. heben wollen, kann durchaus nicht immer als spezifische Differenz Der Radikalismus rief, sowie er sich zu rühren begann, auf dienen, denn wenn das letzte Ende in die fernste Zukunft ver­ vielen Seiten Widerspruch hervor. Besonders heftige Kritik legt wird, bleibt für die nähere Zukunft offenbar nichts übrig als richteten gegen ihn die Manchester-Liberalen und die Anarchisten. ein Reformplan. Endlich ist mit dem Radikalismus auch die Die Polemik der Liberalen betraf in erster Linie Eingriffe katholische Reformbewegung verwandt. Diese Bewegung ist des Staates in das Wirtschaftsleben, Eingriffe zum Schutz der nicht eigentlich radikal, da sie sich nicht an den Ideen der Fran­ wirtschaftlich Schwachen, wie die Sozialreformer sie verlangten. zösischen Revolution, sondern an den Lehren des Evangeliums Der Staat kann, erklärte die liberale Doktrin, solchen Schutz nicht gewähren. orientiert. Sie erhebt aber mitunter Forderungen, die mit den Die Wirtschaft ist beherrscht von Gesetzen, die ewig und unveränderlich sind Radikalen übereinstimmen. wie Naturgesetze. Wird eines von ihnen - z.B. Regelung der Preise auf Grund Die radikale Bewegung hat sich in Österreich früher ent­ von Angebot und Nachfrage - durch Anwendung von Machtmitteln - z.B. In Festlegung von Höchstpreisen - ausgeschaltet, so bringt es einen Mechanismus wickelt als die Arbeiterbewegung. der Revolution von 1848 in Bewegung, der auf Umwegen, nachdem allerlei unerwünschte Zwischen­ waren die Arbeiterorganisationen noch kein selbständiger stationen durchlaufen worden sind, den „natürlichen", ökonomisch gesetz­ r .,. Faktor, hingegen traten radikale Gruppen sehr sichtbar hervo . mäßigen Zustand wieder herstellt. (In unserem Beispiel würden etwa die Durch die Bachsehe Reaktion wurden die meisten von ihnen Produzenten der Ware, die mit Höchstpreis belegt wurde, so lange nicht pro­ duzieren, bis Warenknappheit eingetreten und der Höchstpreis aufgehoben ist.) unterdrückt. Von der Ära Schmerlingan formierten sie sich aufs neue. Sie waren es vor allem, die aus der verhältnismäßig Die liberalen Einwände gegen die Sozialreform waren schon liberalen Vereinsgesetzgebung der Sechzigerjahre Nutzen zogen. vor fünfzig oder sechzig Jahren ohne weiteres als haltlos zu er­ In den letzten Jahren vor dem Weltkrieg bestand eine kaum mehr kennen. Offensichtlich waren die , ,ewigen Gesetze" nichts als überblickbare Menge von Vereinen. Sie bemühten sich um die verschiedensten ökonomischen, sozialen, kulturellen Probleme, * R. Charmatz, .,Adolf Fischhof", 1910, S. 377-97. 138 Sozialreform Die geschichtliche Bedeutung des Radikalismus 139

die Maske von Unternehmerinteressen. Seither sind diese Ein­ Illusionen erzeugen. Liberale und Anarchisten übertrieben maß­ wände durch die Erfahrung noch hundertfach widerlegt worden. los, als sie erklärten, Reformen könnten überhaupt keine Besse­ Sämtliche moderne Staaten haben wirtschaftliche Schutzgesetze rung für die ärmeren Schichten bringen. Aber in ihren Argu­ eingeführt und damit größere oder geringere Erfolge erzielt. menten war ein Körnchen Wahrheit: die soziale Frage (im wei­ Ganz andere Erwägungen waren es, die die Anarchisten testen Sinn) konnte durch Reformen allein nicht gelöst werden. bestimmten, gegen den Radikalismus2 Stellung z{i nehmen. Ihre Ein größeres Konzept war nötig: das Konzept, das die Sozialisten Argumentation lautete: vertraten. 2. Manche Reformbewegungen waren durch Verworrenheit Im Rahmen des Kapitalismus kann die Lage der mittleren und unteren Schichten nicht wirklich verbessert werden. Die Sozialreformer erwecken der Ziele charakterisiert. Sie erstrebten undurchführbare Re­ Hoffnungen, die sich nie erfüllen können. Soweit solche Hoffnungen nur beim formen, oder solche, die zwar durchführbar, aber ohne Wert Kleinbürgertum wachgerufen werden, ist der Schaden nicht groß, denn es ist waren. Mit ihrer Geschäftigkeit zehrten sie Energien auf, die ziemlich gleichgültig, was das Kleinbürgertum denkt und tut. Aber der Radi­ nützlichen politischen Bemühungen hätten zugute kommen kalismus, obwohl in den Mittelschichten wurzelnd, macht auch dem Proletariat, und gerade ihm, Versprechungen: Achtstundentag, Verbot der Kinderarbeit etc. können. Oft traten sie als lästige Konkurrenz politisch klar­ Wenn und insofern die reformerische Propaganda an die Arbeiterschaft heran­ denkender Arbeiterorganisationen in Erscheinung. Die Sozialde­ kommt, stiftet sie Schaden: Sie hält die Arbeiterschaft von ihrer revolutionären mokratie war in ihrer Aufstiegszeit gezwungen, ihre allgemeine Aufgabe a.b, sie verzögert den Sturz der Bourgeoisie. Die Arbeiterpartei muß Warnung vor reformerischen Illusionen mit einer energischen darum einen Teil der Reformbewegungen scharf bekämpfen. .... Polemik gegen bestimmte kleinbürgerliche Vereine zu ver­ Wieder ist zu sagen, daß es sich nicht um ernsteArgumente binden. handelt. Es war unsinnig, zu verlangen, daß die proletarische 3. Der Radikalismus erwies sich auf dem Gebiet der natio­ nalen Frage als ideenarm. Es liegt in der Natur der Sache, daß Avantgarde dem Versuch, die Lage des Proletariats schon im Kapitalismus ein wenig zu verbessern, sozusagen mit de� Waffe die ganz spezialistisch eingestellten Vereine sich mit dieser Frage in der Hand entgegentreten sollte. Wo immer sie sich zu einer nicht befaßten. Doch entstand merkwürdigerweise keine Organi­ solchen Haltung verleiten ließ, wandten sich die Arbeiter ent­ sation, die sich darauf spezialisiert hätte, diese Dinge ein Stück rüstet von ihr ab. Wenn die österreichischen Anarchisten nach weiterzubringen. Nur gelegentlich einmal nahm ein Verein oder einer kurzen Periode der Popularität jedes Ansehen bei den ein einzelner Reformer zum nationalen Streit Stellung. Was in Arbeitern verloren, dann vor allem auf Grund ihrer extremen solchem Fall vorgebracht wurde, war nicht immer erfreulich. Feindseligkeit gegen den Reformgedanken. Gewiß waren die Radikalen toleranter als die Liberalen. Aber Welches war nun wirklich die Bedeutung des Radikalismus auch sie zeigten einen Hang zu deutschtümelnden Redensarten. in unserer Geschichtsperiode? Er wurde von Liberalen und Und vor allem fehlte es ihnen an konstruktiven Einfällen. .,, Anarchisten falsch eingeschätzt - aber wie ist die richtige Ein­ Nun muß aber doch auch etliches gesagt werden. schätzung? Wir wollen versuchen, einige Gesichtspunkte pro r. Nicht alle Reformvereine waren von Utopismus und Sek­ und contra zu entwickeln. tierertum beherrscht. Manche ließen sichpro von sehr vernünftigen, Beginnen wir mit contra. wenngleich nicht himmelstürmenden Gedanken leiten. Das gilt I. Der Hauptfehler des Radikalismus war sein Kompromiß­ z. B. von der Volksbildungs- und der Frauenbewegung. Die charakter. Er wollte Kapitalismus und Sozialismus„ versöhnen". bürgerlichen Volksbildner arbeiteten nach ähnlichen Prinzipien Das war unmöglich. Das mußte bei dem, der es ernst nahm, wie die sozialistischen, und es kam eine weitgehende Kooperation 140 Sozialreform Die Soziaij>olitiker 141

zustande. Die bürgerliche Frauenbewegung gelangte zwar nicht r. DIE SOZIALPOLITIKER* zu eirier Kooperation mit der sozialistischen, aber wenn sie Zu­ lassung der Frauen zu den Universitäten usw. forderte, leistete Diese Richtung wurde durch die reichsdeutschen Katheder­ sie Dankenswertes. sozialistenJüngeren Historischen und durch Schuledie englischen Fabier beeinflußt. Die 2. Wir wissen, daß es zu den Wesenszügen des Radikalismus kathedersozialistische Schule ist auch unter dem Namen der gehörte, die Losung Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hoch­ bekannt. Ihre Häupter waren zuhalten. Um rgoo reiften zwar im Schoße der Gesellschaft Schmoller, Knapp, Conrad, AdolfSozialpolitischen Wagner, ferner Verein, Lujo Brentano, schon Möglichkeiten, von denen man r789 noch nicht geträumt der kurze Zeit an der Wiener Universität lehrte. Die Schule hatte, und die Position der Jakobiner konnte nun nicht mehr als schuf sich 1873 ein Zentrum im dem auch eine vorgeschobene gelten, aber der Radikalismus war doch un­ viele Österreicher beitraten. Der Verein wurde die maßgebende vergleichlich fortschrittlicher als die heraufziehende christlich­ Korporation der reichsdeutschen Ökonomen. Er Fabianumfaßte Society nicht soziale oder gar als die deutschnationale Bewegung. Das Ein­ nur Reformer mit kleinbürgerlicher, sondern auch eindeutige maleins der Demokratie zu verbreiten, war eine bessere Tat,· Liberale mit großbürgerlicher Tendenz. - Die als den Ständestaat zu preisen oder gegen die Juden zu wurde zu Anfang der Achtzigerjahre von jungen englischen In­ hetzen. tellektuellen begründet. Zu ihren Mitarbeitern gehörten bald nach 3. Vom Radikalismus ging eine volkserzieherische Wirkung der Gründung Bernard Shaw, Sidney Webb und Annie Besant, aus, eine Wirkung derselben Art,wiewohl nicht desselben Aus­ etwas später Beatrice Webb. Die Fabier bekannten sich zum maßes, wie sie der Sozialdemokratie eigen war. Auch die Sozialismus, wandten sich aber entschieden gegen die marxi­ Reformorganisationen wurden von Menschen geführt, die Bei­ stische Lehre. Um rgoo wirkten sie an der Bildung der Labour spiele der Uneigennützigkeit und Charakterstärke gaben. Junge Party mit.** In Anlehnung an diese zeitgenössischen Strömun­ Leute, die in die radikale Bewegung hineingerieten, empfingen gen riefen r89rWiener österreichische Fabier-Gesellschaft Reformer (Engelbert Pernerstor­ oft intellektuelle und moralische Eindrücke, die ihr ganzes fer, Otto Wittelshöfer, Richard Faber, Georg Schmiedl, Michael weiteres Leben befruchteten. Der Historiker sieht all das heute Hainisch) die ins Leben. Die Tendenz deutlicher, als es einst der Politiker zu sehen vermochte. Ge­ war viel eher bürgerlich-radikal als sozialistisch. Diskutiert wisse harte Urteile, die seinerzeit von Sozialisten über Persön­ wurden Dinge wie Normalarbeitstag, Altersversicherung, Beauf­ lichkeiten aus dem radikalen Lager gefällt wurden, sollen uns sichtigung der Kartelle. Professor Masaryk unterhielt mit den nicht darüber täuschen, daß in der Reformbewegung viel Wis­ Fabiem freundschaftliche Beziehungen. An publizistischen sen, viel Talent • und vornehme' Gesinnung versammelt waren; Organen standen Pernerstorfers , ,Deutsche Worte" zur Verfügung, ferner die von Isidor Singer,Sozialpolitische Heinrich Kanner, Partei Hermann Bahr Wir geben nun eine Übersicht über die Entwicklung, die redigierte „Zeit" (erst Wochen-, dann Tageszeitung). Aus deh einige der wichtigsten Reformbewegungen in Österreich genom­ Kreisen der Fabier ging die hervor, die sich men haben. Aus der Fülle greifen wir die sozialpolitische, mehrmals am Wahlkampf beteiligte. Der Erfolg war bescheiden: die Frauen-, die Volksbildungs- und die ethische Bewegung Julius• Vgl. Ofner, R. Charmatz, Ferdinand ,.Deutsch-österreichische Kronawetter und Politik", Eugen 1907, Philippovich S. 187; Mar­ garete Jodl, ,.Friedrich Jodl", 1920, S. 188; Ludwig v. Mises, ,.Engen v. Philip­ heraus. Dann werden wir etwas ausführlicher von den Ideen povich", ,.Neue österr. Biogr.", Abt., 3. Bd., 1926, S. 53-63. sprechen, die durch zwei dem Radikalismus zuneigende Philo­ 0 Vgl. E. R. Pease, ,.The History of the Fabian Society", 1916. sophen, durch Friedrich Jodl und Josef Popper, vorgetragen r. worden sind. 142 Sozialreform Die Frauenbewegung 143 kamen 1896 in den niederösterreichische n Landtag, Ofn.er e e Kronawetter I90I auch in und V rhältnisse. Sein Buch „Österreichs Agrarpolitik seit d r den Reichsrat. Doch darf man Bedeutung der Parte e die Grundentlastung" (I898) ist bis heute das beste, das dieser Mate­ i und d r Gruppe, deren Exponent nicht an dem Wahlresultat sie war, rie gewidmet wurde. Er war auch in der Volksbildungsbewegung messen. Einige Vorkämpfer der politik sind e e e Sozial­ tätig. d n b st n Österreichern r e de Epoche zuzuzähle e e e e e e Di Gestalt r r n. Anton M ng r, der Bruder des Gr nznutz nl hr rs, Autor Perne storfe s läßt sich r aus de konstitutionellen D e Ära gar nicht wegdenken. Philippovichs einiger viel gelesener Schriften {,, as R cht auf den vollen e ,;Grundriß der politi­ D e sch n Ökonomie" ist eine didaktische Leistung, Arbeitsertrag", ,, as bürgerliche Recht und di besitzlosen Volks­ theoretische die auch der e e e e e Gegner respektier klass n") v rsuchte, in vom Marxismus unabhängig sozialisti­ en muß; seine Kritik e kapitalismus zeugt d s Monopol­ sche Theorie zu begründen. von Scharfblick und Courage nach heutigen , wenngleich sie Rudolf Goldseheid (der Fürsprecher der „Repropriation Begriffen nicht weit genug nisch (I858-I937) geht. Michael Hai­ des Staates") und Josef Popper (der Verfechter der „All­ hat sich durch e eine R ihe volkswirtschaft­ e e e licher Schriften verdient e g mein n Nährpflicht") waren sehr eigenwillige Autor n. In g macht, so durch e Studie „D di statistische ihrem Denken war ein utopistischer Einschlag. Weltanschau­ ie Zukunft der d eutschen Österreicher" spätere e (1892). Seine lich standen sie aber den Sozialpolitikern gar nicht fern. B rufung zum Präsidente n der Republik war nicht, e manchmal behauptet r wi wu de, eine Verlegenheitslösung, hatte in seiner e sondern . wiss nschaftlichen Reputation lage. Ferdinand ihre gute Grund­ Kronawe tte r (I838-r9I3) war, 2. DIE FRAUENBEWEGUNG* ehe er für die Sozialpolitiker schon lange kandidierte, als Vertreter Wiener Demokraten, der e r e e e e e e einer anderen kleinen e Ihr U sprüng fall n in di Blütez it d s Lib ralismus. e Grupp , im Parlame gesess n. Österreich nt D e e e besaß in ihm einen e i rst Organisation war der Wiener Frauen-Erwerbsverein, schrobe im zuweil n leicht ver­ nen, ganzen j edoch e r e e r r cht fo tschrittlichen Politiker der I866 entstand. W sentlich spät r, um I890, folgte de von größter persönliche e e r Standhaftigkeit und Ehrenhaftigkeit. Verein für rweitert Frauenbildung und der Allgemeine Öster­ Lueger und andere e b mühten sich, ihn zum Antisemitismus reichische Frauenverein. Die stärksten Persönlichkeiten der bekehren, e zu ab r vergeblich. Von ihm Bewegung waren Marianne Hainisch (die Mutter Michael Wort: Der stammt das geflügelte ,, Antisemitismus ist der Hainischs) und Rosa Mayreder (eine fruchtbare Schrift­ Kerls." Sozialismus des dummen Hervorzuheben ist, daß die stellerin, bekannt auch durch ihre Freundschaft mit Hugo e Sozialpolitiker für das m ine Wahlrecht e allge­ eintrat n, das sie als sehr dringliche Wolf). Eine führende Rolle spielten weiters Marie Boß­ kannten .. Die e Sache er­ R den, die Kronawe e hardt van Demerghel, Auguste Fickert, Marie Lang, Eugenie Artikel, tter in di sem Sinn hielt, die die Hainisch und Philippovich e e v röffentlichten, e Schwarzwald, Fanny Freund-Markus. Anfangs konzentri rte starken Widerhall e fand n .. und erl ichterten die Wahlre die Bewegung ihre Kräfte darauf, den Frauen aus den Mittel­ Sozialde chtkampagne der mokratie. schichten besseren Unterricht und bessere Berufschancen zu Eine ähnliche grundsätzliche Orie verschaffen. Sie stieß auf starken Widerstand. Jede Schul­ politischen ntierung wie bei der Sozial­ Partei finden wir e e e noch bei manch en Schriftstelle type, j de Hochschul-Faku1tät mußte s parat erobert w rden. deren Arbeiten um I900 die rn, Öffentlichkeit beschäftigten. Hier sind zu nennen : * Vgl. Marianne Hainisch, ,,Die Geschichte der Frauenbewegung in Walter Schiff, e Österreich" in „Handbuch der Frauenbewegung", herausgeg. von Helene Lange d r ausgezeichnete e e K nn r der bäuerlichen und Gertrud Bäumer, I. Teil, 1901, S. 167-89. Die V olksbildner 145 144 Sozialreform ein, die ba e a anschauungen zum Vorsch e en recht haus ck ne Mor l Nach Überwindung unendlicher, aus Vorurteil und Bürokra­ R d e fa wach­ n n c mit größerer L benser hrung die Spottlust vo Me s hen che tismus erzeugter Hindernisse gelang es 1892, ein Mädchen­ ch n die österreichis ie e e der Dirnenverherrli u g, a i an b in en a n ne n e riefen. D Exz ss i in gymn sium n G g zu r g . Es w r ei e A iferu g g ­ ra e e enberg, Otto We n ­ e Karl K us, P t r Alt s n e ech nnen er n ner a n a ch Schriftst ller (z. B. we e , daß di Tsch i (V ei „Mi v ") i Pr g s on e ie ea auf spießbürgerliche be n e are teilweis d R ktion a e he da e b d et t hat en ger) gi g n, w n zwei J hr frü r ss l e urchges z t . e e un e n. ie i in e auenb w g g äuß rte n e e ch c e nte s e n c Ideen, d s ch d r Fr e Ei T il d r Ho s hullehr r u r tützt die Wü s he i a sc e Frauenb wegung e e a sche und d e k tholi h de a e de hi h he d e de era Di prol t ri s a e n r Fr u n, so r P losop T o or Gomp rz, r Lit r­ de eck der Kon t ti ru g, h e r e annt wer n zum Zw r en i r nu g n i histo iker Emil Reich, der Staatsrechtler Edmund Bernatzik. soll en a i t z u reden st. e di em Zusamm h ng n ch r daß von ihn n in es i e Andere P ofessoren, voran der berühmte Chirurg Eduard a e kratischen, die zwe t e e Teil der Sozi ld mo be na e cha en a nst Die rste war in e c a Al rt, hm n s rf geg d s Fraue udium Stellung. a en ar e n der bürg rli h-r di­ il er Christlichsozi l P t i, vo ber chü e e ra e da t d ed ein Te d n ie i l­ Al ts Bros r „Di F u n und s S u ium der M izin" i ic bar g etren t. D soz a k e e waren lie de s ht ab aß e ne e e a i hen n d e alen B w gung r ei aa ro­ g Anl zu i r err gten lit r r sc Diskussio . Auf i a a n hatte zwa n p r P kratische Frauenorg nis tio Dauer war es in Österreich so wenig wie anderswo möglich, demo r a der „radikalen" nk d sich auch im P ogr mm e a en n a ade e er fen a c e n grammpu te, ie r ezifisch di Fr u vo den k misch n B u uszus hli ße . rec ie b t nten abe sp e anden Stimm ht). S e o c ch en h i t r Verein f (z. B. e Von 1897 an wurden die Ho hs ul Sc r tt für Schri t fü l e ein Zusammeng hen he e n und ehnt n letarisc Ford ru gen ak e Hörerinnen geöffnet. pro en e n enchar t r e ic en a eil sie ihr eig ne Klass i en Bürg rl h b, w en Ungefähr zur selben Zeit dehnten die Frauenorganisationen m t d e i ch ziale Frau ­ he 3 Der Wien r Chr stli so r i e a ne e e e a e e an e n n e nicht verwisc n wollten. a i e i ih e Tät gk it uf u Gebi t us. Si v rl gt n u N u­ de e r r betrieb nt s m ti­ e e e e ganz an r r A t. E e a des a n c e ch e r e ch ech e bund v rfolg� Zi l g st ltung F milie re hts, Gl i st llung de G s l t r ie d Schulpflicht usf.; a a da e angte Reduz rung er e n nd a n re ht nd e e a c sche Prop g n , v rl e i im V rei s- u Vers mmlu gs c u sp zi ll im W hlre ht. erk ich desinter ss ert. i h d r Frauen lärte er s e s e e ch h r et e e t n n n ch he am St mmrec t e n i Di ö t rr i isc en Suff ag t n z ig e la ge i t solc a nbe genan t w rd, a lerweise Fr ue wegung e ke t e e h n e n en ch e de Mit dem, w s norma a H ftig i wi ihr englisc e Koll gi n . Do di For ­ a i in kaum etw s zu tun.* e rganisation der K thol k nen rung nach Zulassung zur Wahl verstummte nicht mehr, bis hatte di O endlich die Republik sie erfüllte. Ferner beschäftigten sich die Organisationen mit den Problemen der öffentlichen Sittlich­ DIE VOLKSBILDNER keit. Sie kritisierten die Toleranz des Staates gegenüber der 3. t t t n d e ena te a e n e n nd e a ht der Pros i u io ; i sog nn K s r i ru g u Poliz i ufsic de etarischen oder de habe wir nicht von r prol e e t a e a d i te e se de Wie r n an f e e sollt n, m in en sie, bg sch fft un m In r s r Volks­ r c en eide wurden rüh r r ischen Bewegung zu sp e h . B gesundheit und Moral, nicht zuletzt auch im Interesse der kathol den Massenparteien. nt a eige der zwei führen t t e e e t d h üc e b t b e t Stelle e rwäh , ls Zw e b r er Pros i ui rt n s lbs , urc l k nloses Ver o , kom ini r n e i t die nach d er kl in ü g ­ s hie ausschließlich a g ht, s mit Fürsorgemaßnahmen zugunsten der Entgleisten, ersetzt Was un r e un ie be­ hi a s e chtete Bew g g. S ad a en Philosop e u g ri e e a e e a e he a ab lich-r ik l a a s e an en w rd n. Ein Rom n von Els J rus lem (,,D r ilige Sk r ä­ d i erjahre; d m l ntst d nn re eit Mitte er Achtz g t a be e a e t a d e e a e ga ih Tätigk e s i ngs­ us") rug d zu i, di Aufmerks mk i uf i s Fr g n zu len­ d r e s erreichisch Volk b ldu h h te i ander: e Ob rö t e e tat der a e e en e t a de be e rasc in re n s n sverein k n. Di Agi ion Fr u nrechtl rinn n spr ng r st n e e e sche Volk bildu g n n n der Nied röst rr ichi Absicht, manche ihrer Argumente waren unbestreitbar richtig. . verei i Li z, ' Aber sie schlugen zu viel Lärm in einer verhältnismäßig unter­ geordneten Angelegenheit; auch kamen in ihren Artikeln und S. 179. * Marianne Hainisch, a. a. 0., 10 .Fuchs, Geistige Strömungen 148 Sozialreform Friedrich J odl 149

en e r es e t schen den beid ein sozialistische Richtung einlenkte*, zog Professor Jodl sich von gang, Lebensgang b t ifft, b t h zwi s n s e n icht en ingen eins : ih z c n e s tzt a e n ed ise die cha n de s ar e e ensatz. Dennoch i d i i w ig D r urü k, u t r tü e b r i j er We S ffu g r t k r G g h est en as r7. und 18. Ja r­ Wiener Ethischen Gesellschaft (1894). Der Wiener Verein i der Hinneigung zu b immt , für d n de olitischen n h oso h sc e deen; in r p nahm nie Massencharakter an - nirgends in der Welt konnte hundert typische p il p i h n I tte sch ch e in dem aufrichtigen die Bewegung Masseneinfluß erreichen -, leistete aber, geführt Ausrichtung auf die Mi l i t n; i eit von dem unermüdlichen Wilhelm Bömer, Jahrzehnte hindurch Streben n ach sozialer Gerecht gk . a a e ner angesehenen n tz iche c a t r ildne sche ina t as den o a F e i ch odl (1849-1914)* k m us i ü l har k e b ri Kle rbei . W M r l­ ri dr J die e a e ans ss a Er stu rt n e ich nde et so de e i a e c n amilie, die in B y rn ä ig w r. u t rr t für Ki r b rifft, wur r 1883 n Fr nkr i h Beamte f n h e h e e a a e an der Kö ig­ d ch ein Gesetz für viele Schultypen obligatorisch. n e ch­ esch ch e und Philosop i , le rt in p ar J hr ur I D uts G i t e hilo ie a a ha it erte sich an d r p ­ land bemühte sich eine von Rudolf Penziginitiierte Organisation lich Bayrischen Kr gs k demie, bil i d e i l a nd des e rsten s e in n n s e ich e a e sich i diese o h c en Fakultät München un rh e t uf Gru um ein E führu g. I Ö t rre b f ßt m t r s p is h a der thi eine o essur in Pr g. ac e de ein F e e ch e an e a e e s e an es se ner „Geschichte E k" Pr f S h r Ver „ r i S ul ", d m u. . P rn r torf r B d i e eit n de h isc en Hauptstadt wurd und Ludo Hartmann beteiligt waren. Der Verein war in seiner Nach längerer Tätigk i r bö m h t e nns an die Wiener Uni­ Tätigkeit sehr gehemmt, da ihr die Rechtsordnung entgegenstand. er als Nachfolger Rober Zimm rma och ein z eites eh wurde as eichs o ssch es o o oh o e a e sit t (1896). N w L ramt D R v lk ulg etz v n 1869, bw l v n lib r l n ver ä berufen e t ein z für Ästhetik an d r Ideen durchsetzt, hatte bestimmt, daß den Kindern eine „sitt­ ihm in Wien über ragen, e Do entur e t nte sc ied s ch eine Lauf­ ich e i se z eh z e en sei ch he chend e hn schen ochschule. Sow i u r h i s l -r l giö " Er i ung u g b . Na rrs er T c i H a h chn tt ichen es erfolgreichen Ak ­ Interpretation war damit ein Moralunterricht, der neben den bahn nicht von der durc s i l d e ra e eit Arbeiten Religionsunterricht oder gar an dessen Stelle getreten wäre, s Doch nahm er schon in d r P g r Z demiker : n e esso a en e chs agen. Er u t r­ s esch ossen der Aufstiegszeit der s ichsozia e a die a erhalb des prof r l B rei l au g l . In Chri tl l n uf, uß ten e ene eth s hen sellschaf , a e ne ese z nde n in eit ch r ich n n ch n s zte ie erliner und di Wi r i c Ge k m i G t ä ru g freih li e R tu g i t i tüt d B e e osch en ei te als Vortragend r Betracht. Der Verein „Freie Schule" konnte „nichts weiter e aßte für sie populär Br ür , r s v rf e seine sch a d se e ener Zeit wurd beabsichtigen, als in Wort und Schrift gegen die Klerikali­ durch ganz Deut l n . In in r Wi d s s enhangs zwischen sierung der Volksschule anzukämpfen und - gestützt auf den Person geradezu zum Symbol e Zu amm e e n n t at an die Spitze Wortlaut und den ursprünglichen Geist des österreichischen e verschiedenen Reformb w gu ge . Er r d n ch e ei s e s e te s ch d „Freien S ul ", Reichsvolksschulgesetzes - den geistlichen Einfluß in der des Volksbildungsver n , r t ll i er e ehend ch e ozialpolitischen Schule auf die ihm gesetzlich zugewiesene Sphäre des Religions­ der Frauenbewegung, vorüb rg au d r S it e et e eh mehr ins e ich es esch en a z Verfügung. Dam g ri r m r und unt rr t zu b ränk ."** P rtei ur at e e s ch n den Gemeinder * politische Leben hinein. Di V r u u g, für i i n es e z Die wissenschaft­ e ei a de e e ode ande e ese e e e a s eichsrat zu kand d ere , wi r urück. Vi ll cht w r r in r r L r b fr md t, l oder R e tete h z a s er ihr hätt völlig e o h di a en ed ich o nd ose o e ne n ich Tätigkeit bedeu i m u viel, l daß r v: r in e N m Fri r J dl u J f P pp r be ­ l e n n se e e en h n machten sei Ei ­ einander gestellt sah. In der Tat : was Abstammung, Bildungs- entsagen wollen. Aber in vi l E re stellen a sa n n Er hatte greifen in alle möglichen T ge ffäre otwendig. * Dies geschah hauptsächlich r a s o s d n s- du ch den Einfluß der Witwe Gizyckis. i n ns a de hristlichsozialen uf da V lk bil u g Lily v. e ne A chl g r C Gizycki heiratete in zweiter Ehe den Österreicher Heinrich Braun. Friedric Hiedurch dri d M. Jodl, ., h war sie mit Viktor Adler verschwägert. In Deutschland * Vgl. vV. Börner, .,Frie ch Jo l", 19u; lebend, wurde 2 d 2 sie unter dem Namen e r raphie." r. Abt., . B ., 19 5, Lily Braun als Schriftstellerin sehr bekam;1t. Jodl", 1920; Carl Sieg l in „Neue öster . Biog ** F. Jodl, a. a. 0., 2. Bd., S. 587. s. 81-96. Sozialreform F nedrich J odl 151 150 4 wesen abzuwehren , er nahm Stellung im Modernismus-Streit6, zu lesen. Er schreibt den üblichen komplizierten Stil des 6 imHochschulkampf von 1908, im Fa11Wahrmund • SeinAuftreten deutschen Professors. Aber aus der Professorenphilosophie zog ihm die erbitterte Feindschaft der Klerikalen zu, obwohl er hebt ihn schon sein materialistischer Standpunkt heraus. Es sich ebenso gegen links wie gegen rechts abzugrenzen suchte. ist keine Kleinigkeit, daß er in einer Zeit, da die kantianische Die Gegner fanden sein Wirken teuflisch 7, die Freunde sahen und sonstige idealistische Literatur Dimensionen der Über­ in ihm den unbeugsamen, jedem Kompromiß abholden Fort­ schwemmung annimmt, sich zu Feuerbach bekennt als dem schrittsmann. Das waren optische Täuschungen. Um sich ganz Repräsentanten der besseren Tradition der deutschen Philo­ in den Dienst des Fortschritts zu stellen, hätte er mit seiner sophie. Das ist eine geistige Tat, wenngleich er sich zu termino­ Klasse brechen müssen, wozu er nicht die Kraft besaß. Für logischen Konzessionen herbeiläßt. Er ist auch das Muster moderne Ideen überaus empfänglich, blieb er doch der Bürger­ eines empiristischen Denkers. Der Kampf gegen die Willkür welt tief verhaftet. Seine Haltung in Wissenschaft und Leben des Apriorismus erscheint ihm ebenso wichtig wie die Abwehr ist beherrscht von Zwiespältigkeit, von einem ständigen Zwar­ der idealistischen Schrullen. Zu den Vorzügen J odls, des Ge­ Aber. Ein paar illustrative Tatsachen: Er setzt als Erkenntnis­ lehrten, treten persönliche Vorzüge hinzu, die sich in seiner theoretiker die Linie fort, die von Diderot zu Feuerbach führt. praktischen Wirksamkeit äußerten. Schon sein Interesse für Er scheut aber davor zurück, seine Anschauung Materialismus öffentliche Angelegenheiten war ein Moment, das ihn aus der zu nennen, und wählt lieber das harmlose Wort Realismus. großen Zahl der Professoren heraushob. Sein Auftreten gegen Die Verwandtschaft seiner Philosophie mit derjenigen Feuer­ den Klerikalismus in Österreich verlangte Mut in einem noch bachs betont er oft und gern; auf die gleichfalls existente Ver­ viel konkreteren Sinn als das Auftreten gegen die idealistische wandtschaft mit Marx und Engels legt er keinen Wert. Daß Erkenntnistheorie. Wenn er die ethische und die Volksbildungs­ er dem Berliner ethischen Verein den Rücken kehrt in dem bewegung auszunützen suchte, um die Entfremdung zwischen Augenblick, da sich dort sozialistischer Einfluß meldet, wurde der 'Intelligenz und der Arbeiterschaft zu überwinden, so zeigte schon erzählt. Er ist Demokrat durch und durch, versteht es er Tatkraft gegenüber einem Übel, das von anderen gewöhnlich aber nicht, die demokratischen Prinzipien. auf Österreichs nur mit Bedauern konstatiert wurde. Die Zeit um 1900 wird nationale Probleme anzuwenden. In seiner Beurteilung der oft als eine Glanzzeit der Wiener Universität bezeichnet. Viel Aspirationen, die die Slawen des Habsburgerstaates, besonders von dem damaligen Glanz ging von dem Forscher und Streiter die Tschechen, an den Tag legen, kommen philisterhafte Ten­ Friedrich J odl aus. denzen zum Vorschein.* Bei all seinen Qualitäten kann Jodl Der Erkenntnistheoretiker wird uns an anderer Stelle begeg­ den Mittelständler nicht verleugnen. nen, als einer der Widersacher Ernst Machs. Hier wollen wir den An Qualitäten fehlt es ihm wahrhaftig nicht. Wir verdanken Moralphilosophen würdigen. J odl hat seine moralphilosophischen ihm eine Reihe wissenschaftlicher Werke, die das normale Uni­ Hauptgedanken schon in der „Geschichte der Ethik" dargelegt. .,. versitätsniveau weit überragen.** Die Bücher sind nicht leicht Er zeigt in dem umfassenden Werk, wie diese Geschichte von den religiös gefärbten Systemen zu immer mehr religionsfreien, * Vgl. die Briefstellen, die Margarete J odl,a.a.O., S.125/26, 142,187, anführt. humanen führt. Implicite gibt er eine Vorstellung von seinem e e e e ** Die wichtigst n W rke von Jod! sind: ,,Leb n und Philosophi David eigenen System. Noch besser kann man sich über seinen Stand� Humes", 1872; ,,Geschichte der Ethik", 2 Bde., r. Aufl. 1882-89, 2. (sehr erweiterte) Auflage 1906-12; ,,Lehrbuch der Psychologie", 2 Bde., 1896; ,,Lud­ punkt aus der „Allgemeinen Ethik" (1918) informieren. Dies Buch wig Feuerbach", 1904. Posthum erschienen: ,,Ästhetik der bildenden Künste", beruht auf Vorlesungen, die er in Wien gehalten hat, und ist 1917; ,,Allgemeine Ethik", 1918; ,,Kritik des Idealismus", 1920. nach seinem Tod von Wilhelm Börner ediert worden. 153 152 Sozialreform . 'riedrich ] odl

zugleich davor warnen, den Schutz bis zu einem Punkt zu steigern, wo der a Ethischer Skeptizismus ist weit verbreitet, heute vielleicht weiter ls je Prozeß natürlicher Auslese, auf dem jeder Fortschritt beruht, unterbrochen zuvor. Aber auch der entschiedenste Skeptiker kann eines nicht leugnen: daß wird. Die Kollision zu lösen, ist manchmal unerhört schwer. Dennoch müssen n l n l n n l a wir die me sch ichen Ha d u gen u g eich bewerten, d ß uns so etwas wie Lösungen gefunden werden, die dem ethischen Bewußtsein der Epoche Genüge ethisches Differenzieren, Abwägen, Urteilen in der Wirklichkeit begegnet. tun. Der Epoche? Ja - denn die ethischen Maßstäbe sind relativ. Die Maßstäbe Damit ist der Forschung ein spezifisches Objekt gegeben. Zunächst muß heraus­ wandeln sich im Zeitenwandel : eine Erscheinung, die den Formalisten-Kantianern gefunden werden, was gemeint ist, wenn wir ein moralisches Urteil aussprechen. völlig unbegreiflich ist, die abe; nichts Rätselhaftes an sich hat.wenn man unter Dann muß weitergegangen, die Urteile müssen nach jeder Richtung hin geprüft der sittlichen Handlung diejenige Handlung versteht, die von den Menschen werden: auf ihren Ursprung, ihre logische Haltbarkeit, ihre soziale Funktion etc. entsprechend der jeweils erreichten Kulturstufe mit Rücksicht auf Motive Die Summe der Ergebnisse konstituiert die Ethik als besondere philosophische und Fo lgen als sozial nützlich erkannt wird. Vom eudämonistischen Standpunkt Disziplin. In der ersten Frage, der Sinn-Frage, stehen seit alten Zeiten zwei aus lassen sich die Gegensätze, die zwischen der Moral etwa eines primitiven Theorien einander gegenüber: die formale und die eudämonistische. Die For­ Stammes, des römischen Kaiserreichs und des Aufklärungs-Zeitalters walten, malisten - unter den neueren sind das besonders Kant und seine Schüler - ohne Voreingenommenheit beschreiben und erklären. Eine andere interessante behaupten, in dem Prädikat „moralisch gut" sei lediglich der Gedanke ent­ Fragestellung zielt auf den Anteil ab, der bestimmten Faktoren : dem Mythus, halten, daß die betreffende Handlung dem Sittengesetz entspricht; es sei der Religion, dem Recht, in der Ausbildung der moralischen Ideen zukommt. nicht gemeint, daß sie für irgend jemanden o�er zu irgend etwas gut, sondern Abermals nach anderer Richtung geht die Frage, auf welche Art diese Ideen sich vielmehr, daß sie „an sich" gut sei. Die Eudämonisten erklären, die Vorstellung dem individuellen Bewußtsein inkorporieren; hier ist die Rolle des Ehrgefühls, von etwas „an sich" Gutem nicht vollziehen zu können; die Worte gut und des Intellekts, des Gewissens psychologisch zu ergründen. Schließlich würde die schlecht bedeuten entweder nichts Faßbares, oder sie bedeuten : die eine Hand­ Ethik ihr Tätigkeitsgebiet ungebührlich einschränken, wollte sie lediglich lung ruft im Beurteiler ein Lustgefühl, die andere ein Unlustgefüh l hervor. Wissenschaft vom Normativen, und nicht in gewissem Umfang auch norm­ Nach J odl ist die eudämonistische Auffassung die einzig sinnvolle. Sie schafft setzende Instanz sein. Sie würde fehlgehen, wollte sie aus freier Phantasie erst die Voraussetzungen dafür, daß die Ethik sich aus einer religiösen Doktrin, Regeln ersinnen, die keine gesellschaftliche Grundlage besitzen. Wo sie aber die im Kantianismus bloß philosophische Gestalt angenommen hat, in Wissen­ widerspruchsvolle oder undeutliche Regeln vorfindet, Reste alter und überlebter schaft verwandelt. Natürlich obliegt es dem Vertreter des Eudämonismus, die oder Rudimente neuer Moralgedanken, da kann und soll sie ordnend und klärend Genese jener Lust- und Unlustgefühle nachzuweisen, doch ist das keine schwere eingreifen. So leistet sie den Menschen einen unschätzbaren Dienst: sie weist sie Aufgabe: die durch lange Erfahrung festgestellte soziale Nützlichkeit der guten, an, ihr Leben richtig zu leben, es seiner inneren Bestimmung, seinen höheren die Schädlichkeit de:. schlechten Handlung liegt der positiven oder negativen Zwecken anzupassen. Einschätzung zugrunde. Dabei werden sowohl die Folgen wie die Motive der Handlung eingeschätzt. Eine Handlung, die Folgen weder nach sich zieht noch nach sich ziehen kann, unterliegt nicht der moralischen Beurteilung. Eine In der „Allgemeinen Ethik" machte Jodl seine fundamentalen Handlung, die nützliche Folgen zeitigt, aber einem der Durchschnittstendenz Anschauungen klar. In den Broschüren, die er zur Unterstützung nach nicht nützlichen Motiv entspringt, wird nicht positiv beurteilt. Als ten­ der ethischen Bewegung schrieb, versuchte er, den Zusammenhang denziell nützliche, sohin wertvolle Motive kommen in Betracht: Gutmütigkeit, zwischen Theorie und Praxis herzustellen. Er schließt sich Mitleid, Achtung vor dem Lebensrecht des anderen etc., nicht etwa nur Pflicht­ bewußtsein, wie Kant will, der die Handlung aus Neigung vom ethischen Bereich hierbei eng an die von den anglo-amerikanischen Pionieren der ausschließt. Allerdings wird der ethisch hochstehende Mensch nicht dem blinden Bewegung entwickelten Ideen an. Ein paar typische Absätze: Impuls des Augenblicks gehorchen, sondern, ehe er handelt, reflektieren. Selbst n n n l a .... der durchschnittlich sozialste Trieb kann im einzelnen Fall zu einer antisozialen , , ... Wir wenden u s in erster Linie an dieje ige , we chen es us irgendeinem Tat führen (z.B. jemand verschwendet aus Mitleid sein Geld an absolut Unwür­ Grunde in den kirchlichen Gemeinschaften zu enge oder das geistige Leben in l n n l n dige). Reflexion ist um so nötiger, als zwei ethische Prinzipien nebeneinander ihnen zu eer u d öde geworden ist, welche einen euen Mitte pu kt suchen, um existieren, die oft auf kontradiktorisch entgegengesetzte Verhaltensweisen den sie ihr Leben organisieren können. Und damit glauben wir, ein wahrhaft hindrängen : das Wohlfahrts- und das Entwicklungsprinzip. Jenes ist von den segensreiches Werk zu tun. Nirgends hat die Zerstörung der alten Glaubens­ l n a l n l l n n heutigen, vorübergehenden, dieses von den künftigen, dauernden Interessen vorstel unge , n we che ma früher die sitt ichen !dea e allein a k üpfen zu der Menschheit abgezogen. Das Wohlfahrtsprinzip wird uns z.B. befehlen, können vermeint hat, mit dem Aufbau und der Verbr�itung einer neuen humanen für soziale Schutzmaßnahmen einzutreten, die den zum Lebenskampf minder Ethik gleichen Schritt gehalten. Die alten Götter wanderten aus; und auf dem l n n n n tauglichen Individuen zunutze kommen; das Entwicklungsprinzip wird uns a te Herde wurde kein neues Feuer entzü det: höchstens die u stet flacker de J osf.f Popper 155 154 Sozialreform Wir könnten unschwer für die Gegenwart das Nebeneinander­ Flamme des Genusses und des Zweifels. Aber ohne ein solches Feuer stetiger, wohlbegründeter Überzeugungen, ohne Hingabe des einzelnen an ein Höheres, bestehen einer faschistischen, kapitalistischen, sozialreformeri­ Gemeinsames, kann die Menschheit nicht gedeihen."* schen, sozialistischen Ethik, und noch etlicher anderer, nachweisen. , ,Aber wenn auch unser Absehen in erster Linie auf diese Nachzügler und Aus­ Ethik ist nichts anderes als zur Lebensregel transformierte reißer des Kirchenglaubens gerichtet ist, so doch keineswegs auf sie allein. Wir politische Ideologie. odls eigene Anschauung ist die Transfor­ wünschen die aufzunehmen und zu organisieren, welche in der kirchlichen Glau­ J bensgemeinschaft nicht mehr volles Genügen finden; aber nichts liegt uns ferner, mation der kleinbürgerlichen Denkweise. Sein Wunsch, daß die als eine grundsätzliche Bekämpfung der Kirchen oder des religiösen Glaubens ethische Gesinnung alle politischen Parteien durchdringen überhaupt. Wie wir die Tatsache anerkennen müssen, daß es verschiedene möge, bedeutet in Wahrheit, daß alle Parteien sich den Stand­ Formen des Glaubens nebeneinander gibt, daß die heutige Welt punkt der Sozialreformer zueigen machen sollen. Das ist kein Glauben und Unglauben in großen Massen nebeneinander zeigt, so müssen wir auch die Tatsache anerkennen, daß der religiöse Glaube der Väter heute noch fruchtbarer Gedanke. Der Moralunterricht an den Schulen, wie feste Wurzel im Herzen der Menschen hat und daß auf diesem Boden neben er (und die ganze ethische Bewegung) ihn verlangt, würde be­ manchem Unkraut auch sittlich wertvolle Früchte wachsen. Für uns hieße es deuten, daß den Kindern in speziellen Lektionen die sozialre­ kostbare Zeit und Kraft verschwenden, hieße es sehr tüchtigen und wertvollen formerische Ideologie beigebracht wird. Nun steht diese Ideologie Elementen die Türe weisen, wollten wir uns die Bekämpfung des Kirchenglaubens natürlich einer wissenschaftlichen Weltauffassung ungleich ausdrücklich oder stillschweigend als Ziel setzen:-"** .,Praktische Politik und Ethik werden immer zweierlei sein. Zweierlei; näher als das Lehrgut, das die Religionsstunde vermittelt; trotz­ aber darum nicht völlig getrennt. Ich erinnere an das biblische Gleichnis vom dem ist der Moralunterricht eine zweifelhafte Sache; Erwägungen Sauerteig. Dieser würde seine Funktion bei dn Herstellung gesunden Brotes der pädagogischen Technik fallen hier ins Gewicht. Sollen die schlecht erfüllen, wenn er sich da und dort m den Ecken des Backtroges zu jungen Leute zu Demokraten erzogen werden, dann muß der ge­ Klumpen zusammenballte. Er muß die ganze Mischung durchdringen, um etwas zu leisten. Eine Partei der Ethiker würde bald eine. so seltsame Figur spielen samte Unt�rricht von demokratischem Geist erfüllt sein. Trifft als die Gemeinde der Heiligen im englischen Parlament der puritanischen Zeit. das zu, so ist eine besondere (notwendigerweise etwas trockene) Mensch bleibt Mensch - keine Ethik kann verhindern, daß der Bauer die Welt Moralstunde entbehrlich; trifft es nicht zu, so hilft sie nichts. mit anderen Augen ansieht als der Fabrikarbeiter, der Handwerker anders als Alldiese Dinge dürfen aber kein Anlaß sein, das moralphilosophi­ der Kaufmann und der Großindustrielle, der Bewohner des Binnenlandes anders sche Schaffen Jodls zu unterschätzen. Sein Nachweis des Ge­ als der Küstenmensch usw. Die natürlichen Gegensätze, in welche sich die Gesellschaft gliedert, wegamputieren zu wollen, wäre ein törichtes und aussichts­ setzes, das die Entwicklung der ethischen Systeme durch die loses Beginnen. Es wird und muß immer politische Parteien geben in einem freien, Jahrhunderte beherrscht, ist eine glänzende dogmenhistorische sich selbst regierenden Gemeinwesen; und der ethische Gedanke kann und darf Leistung. In seiner Polemik gegen die starre Lehre Kants tritt sich den einzelnen Parteien so wenig entgegensetzen, als sich mit einer derselben hoher Scharfsinn zutage. Seine eigene Lehre ist durch Klarheit, identifizieren: er soll versuchen, sie alle zu durchdringen."*** einem Geschlossenheit, methodische Sauberkeit ausgezeichnet. Seine Jodls moralphilosophische Schriften leiden an Defekt: Tätigkeit für die ethische Bewegung endlich, wie immer man sie sind nicht soziologisch fundiert. Während sie die Zeitgebun­ diese Bewegung werten mag, entstammte dem lebendigen denheit der ethischen Normen scharf herausarbeiten, übersehen „ Bewußtsein der Verantwortung, die dem Intellektuellen in der sie, daß diese Normen auch klassengebunden sind. Es gibt in modernen Gesellschaft zufällt. jeder Gesellschaft genau so viele Ethiken wie politische Ideologien. Josef Popper* war r838 als Sohn eines kleinen jüdischen • .,Wesen und Ziele der ethischen Bewegung in Deutschland", 4. Aufl. Handelsmannes geboren. Seine Kindheit und frühe Jugend ver- 1908, s. 16. ** Ebenda, S. 18 f. * Vgl. Poppers „Selbstbiographie", 1917; R. v. Mises' Aufsatz in „Neue *** ,. Über das Wesen und die Aufgaben der Ethischen Gesellschaft", österr. Biogr.", I. Abt., 7, Bd., 1931, S. 206-17. 3. Aufl. 1909, S. 18. .. .. 156 Sozialreform osef Popper 157 brachte er im Ghetto der böhmischen Stadt Kolin. Berufliche e i er ei Ausbildung erhielt er in Prag: an der Deutschen Technischen organisi rten s ch in dem V ein „Allgem ne Nährpflicht". e e e Hochschule eignete er sich die Grundlagen d er Mathematik, Doch s in Einfluß reichte w it r als die Organisation. Es war e e e i e e Physik und des Maschinenbaues an. Um 1860 übersiedelte er zu in ans hnl che Zahl hochgesinnter Menschen, die ihn von H rz n e e i i e e dauerndem Aufenthalt nach Wien. Lange fristete er in der ver hrten, di sich n cht zu seinen E nzelvorschläg n, ab r zu dem e e e e e e Reichshauptstadt durch Privatunterricht u. dgl. ein kümmerli­ sozialen Impuls bekannten, d n s in Büch r g geben hatt n e e e e ches Dasein. Seine Lage begann sich erst zu· bessern, als ihm Was auch g g n sein Philosophie gesagt werd n kann: e einige technische Erfindungen gelangen. Mit Hilfe seines Bruders, vom Vorwurf der Unklarheit od r Inkonsequenz wird sie nicht e ei i i e e e e e eines tüchtigen Kaufmanns, schuf er sich in arbeitsreichen Jah­ getroff n. Er hat nen völl g durchs chtig n z ntral n G dank n, e e e e b e ren eine erträgliche Existenz als Ingenieur. Für seine Fähigkeiten, aus dem r all seine konkr t n Vorschläge, all s ine a strakt n e e e e e e besonders auf dem Gebiet des Maschinenbaues, zeugt eine Reihe B hauptung n herl itet: die grenz nlose W rtschätzung d s e e ebe e e e r von Abhandlungen, die er in Fachblättern oder auch selbständig m nschlich n L ns. Die schärfst unter d n hund rt Fo mu­ er e e ie e e e ebe erscheinen ließ. In all den Jahren der Ingenieurpraxis bedrückte li ung n, die r d s m G danken g g n hat, ist die, welche ber e D e er e ihn die Empfindung, daß er die Sache, die ihm eigentlich am ü d m Buch „ as Individuum und die B w tung m nsch­ e Herzen lag, nicht weiterbringen konnte. Er fühlte sich viel lich r Existenzen" als Motto steht: weniger zum Erfinder als zum Sozialreformer berufen. Jede „Wenn irgendein selbst noch so unbedeutendes Individuum, das keines Stunde, die er von seiner Erwerbsarbeit abknappen konnte, anderen Leben mit Absicht gefährdet, ohne oder gar wider seinen Willen aus der benützte e r für sozialwissenschaftliche Lektüre. 1878 veröffent­ Welt verschwindet, so ist das ein ungleich wichtigeres Ereignis als alle politischen, religiösen o der nationalen Ereignisse und als sämtliche wissenschaftliche, künst­ e e e e e e e licht r unter d m Ps udonym Lynk us in Buch, das s ine lerische und technische Fortschritte aller Jahrhunderte und Völker zusammen- e e e e e e Hauptide n im K im nthi lt: ,,Das R cht zu l ben und die genommen." Pflicht zu sterben". Zu eingehender Darlegung seiner Anschau­ ungen gelangte e r erst im hohen und höchsten Alter. Sein „Vol­ Ein Satz, an dem man ebenso Poppers Stil wie seine Denk­ ei e e e e e e taire" erschien 1905, ,,Das Individuum und die Bewertung w s studier n kann. Es ist in schmucklos r, aber k in swegs menschlicher Existenzen" 1910, ,,Die allgemeine Nährpflicht" kunstloser Stil. Es ist eine offenbar falsche, aber seltsam packende 1912, ,,Krieg, Wehrpflicht und Staatsverfassung" 1921. Weitere Denkweise. Popper nennt den Satz das „Grundprinzip einer Bände (,,Über Religion", ,,Philosophie des Strafrechts") wurden gesitteten Gesellschaftsordnung". Die Konsequenzen, die sich i er be e e aus seinem Nachlaß herausgegeben. Ein nutzbringender Ab­ aus dem Grundpr nzip ge n, sind, das wurd schon rwähnt, i ie D e e stecher in die Dichtkunst waren die , ,Phantasien eines Rea­ bereits in seinem ersten Buch sk zz rt. In , , as R cht zu leb n listen" (1899): eine Sammlung ungemein hübscher Geschichten und die Pflicht zu sterben" finden sich die Kapitel: ,,Über das mit philosophischem Inhalt. Die „Phantasien" wurden in der Bedürfnis nach Religion und Metaphysik", ,,Das Recht zu leben", Presse lebhaft diskutiert, vielleicht zu lebhaft, denn sie verfielen „Über den Trieb zu Verbrechen und Strafen", ,,Die Pflicht zu der Konfiskation. Aber sie machten d en Autor endlich dem sterben". Popper hat den Inhalt dieser Kapitel später kurz e i e großen Publikum bekannt, lenkten die Aufmerksamkeit auch auf zusamm ngefaßt. So besitzen wir von se ner eigenen Hand in e e i e seine anderen, unter keinem Vorwand konfiszierbaren W erke. R sümee s iner Reform de n. Im letzten Abschnitt seines Lebens - er wurde mehr als achtzig „In der Frage des Bedürfnisses nach Religion und Metaphysik sind die Jahre alt - scharte sich um ihn eine vielköpfige Gemeinde. Hauptresultate folgende: Wir können ebensowenig z.B. die christliche Religion Zwar gewann er nur ein Häuflein unbedingter Anhänger; sie akzeptieren, bloß um damit glücklicher zu werden, wie wir glauben können, zwei m:a.l zwei sei fünf, selbst wenn uns jemand das Paradies auf diesen Glauben usef Popper 159 158 Sozialreform von, ob die pazifistischen Bestrebungen ihr Ziel erreichen oder nicht, es iäßt die garantieren würde... Der praktische Nutzen der Religion, darunter eine Frage ganz offen, ob jemals die Kriege aufhören werden oder nicht; es ist einfach Gemütsbeziehung zu unbekannten höheren Weseri verstanden, ist bei weitem die Erfüllung der gerechten Forderung, daß über das Opfer des Lebens oder der geringer, als es in der Regel geglaubt oder wenigstens angegeben wird. Sie ist Gesundheit eines Individuums nur dieses Individuum selbst zu entscheiden haben auch nach ihren guten Seiten ersetzbar und sogar zu übertreffen, in ihren schlim­ darf,; denn nichts, was der Staat oder die Gesellschaft dem Staatsbürger bieten men Wirkungen ist sie unerreicht ... Um das religiöse wie auch das metaphy­ kann, und kein Resultat eines noch so siegreichen Feldzuges ist dem Opfer der sische Bedürfnis verschwinden zu machen, braucht es nur den Willen und die physischen Integrität auch nur entfernt entsprechend, das erzwungen und nicht Zeit für Behebung der äußeren Widerstände gegen eine gründliche Geistes- und freiwillig dargeboten wird."* Gemütsbildung in Schule und Haus •.. Im Kapitel ,Das Recht zu leben' wird mein Programm für die Lösung der Von dem Wunsch beseelt, seine Reformideen überzeugungs­ sozialen Frage, und zwar speziell als Magenfrage, entwickelt ... Ich hebe nur kräftig zu machen, trägt Popper immer wieder bestimmte philo­ den Grundgedanken hervor: Einführung der Institution einer allgemeinen Nährpflicht, also einer Nährarmee, die allesdas produziert oder herbeischafft, sophische Ideen vor. Zum Beispiel wird er nicht müde, auf die was als Minimum einer gesunden und behaglichen Lebenshaltung notwendig ist, Entbehrlichkeit, ja Gefährlichkeit des theoretischen Denkens hin­ und Verteilung dieses Minimums an alle Staatsbürger ausnahmslos, von der zuweisen. Alleoder fast alle Theoretiker erliegen der Versuchung, Geburt bis zum Tode, und zwar nicht in Geldform, sondern in natura. Alles sich mit Wortstreitigkeiten zu befassen, Scheinprobleme oder un­ andre, was über das Notwendige hinausgeht, fällt in das Gebiet einer freien lösbare Probleme zu erörtern. Über diesen Dingen vergessen sie Privatwirtschaft, an der sich jeder nach Absolvierung seines Dienstes in der Nährarmee nach seinem Belieben beteiligen kann oder auch nicht. Unter freier die dringlichsten Notwendigkeiten des realen Lebens. Privatwirtschaft ist eine Volkswirtschaft mit Geldzirkulation und freier , , Um ein brauchbares soziales Programm aufzustellen, also um die Menschen Konkurrenz verstanden. ökonomisch zu sichern, benötigen wir weder Nationalökonomie, mit oder ohne In dem Kapitel über Verbrechen und Strafen wird zuerst eine Psychologie Psychologie, mit oder ohne Mathematik, noch Biologie, noch Psychologie, und des Rachegefühls gegeben, und gezeigt, daß diesem ein Irrtum in der Zeit zu­ auch keine-Wirtschaftsgeschichte und keine Rechtsphilosophie ... Es geht ... grunde liegt. Es entspringt nämlich nur dem Ärger über die Versäumnis der jetzt in Anbetracht des Vorhandenseins der noch ungelösten, so unendlich Notwehr, und der Trieb nach Rache oder Strafe, anscheinend ein Gerechtig­ wichtigen Magenfrage und andererseits der unzähligen anderen Probleme und keitsbedürfnis, ist also nur die Aufregung oder Wut darüber, daß dieses oder Problemchen so zu, wie seinerzeit in Byzanz, als der Feind vor den Toren stand jenes Übel geschah und nicht rechtzeitig verhindert wurde. und in der Stadt die Parteien über Dogmen und Theorien herumstritten."** Strafe und Vergeltung und ihre religiöse Auffassung als ,Sühne' haben daher Wenn möglich noch gefährlicher als Theorien sind Ideale. Zunächst haftet jedem keinen Sinn, Besserungsversuche und Abschreckung durch Strafen zeigen in den Ideal, heiße es Vaterland, Nation, Religion, sei es noch so schön und edel, etwas seltensten Fällen einen Erfolg, es bleibt also nichts andres übrig,. als die Maxime äußerst Relatives, Subjektives an. Deshalb ist kein größeres Unrecht denkbar, zu befolgen, uns zu schützen, d. h.: Wir verhängen über das aggressiv� Indi­ als wenn jemand gezwungen würde, für das Ideal eines anderen Opfer zu bringen, viduum keinerlei Strafe, fügen ihm überhaupt kein anderes Übel zu als etwa am Ende gar sein Leben hinzugeben. Weiters tendieren viele Menschen dazu, um jenes, welches sich aus der Methode, die Gesellschaft vor ihm zu schützen, von eines Ideals willen in einen wahren Rauschzustand zu verfallen. In ihremEnthu­ selbst ergibt; dieser Schutz selbst aber sei so ausgiebig als nur möglich ... siasmus sind sie dann imstande, die ärgsten Schandtaten gegen ihre Mitmenschen Das Schlußkapitel, ,Die Pflicht zu sterben', gibt mein Programm zur Lösung zu begehen. Es ist nämlich· ganz unrichtig, was oft angenommen wird, daß des Kriegs- und Friedensproblems, wobei verlangt wird, die Institution der Enthusiasmus zu ethisch wertvollem Handeln veranlaßt. Die Weltgeschichte allgemeinen Wehrpflicht zu beseitigen und an deren Stelle die Freiwilligkeit lehrt durch tausend Beispiele (die Kreuzzüge etc., etc.), daß das Gegenteil zu­ des Kriegsdienstes zu setzen. Das geschieht aber nicht nach Art des einstigen .. trifft. Wir sollten alles tun, , ,um der leichten Entflammbarkeit der Abendländer Werbesystems. Sondern alle wehrfähigen Männer sind so wie heute verpflichtet, durch große Gefühle entgegenzuarbeiten". ,.Gewiß hört es sich nicht so schön in das Heer - sei es eine Miliz oder Kaderarmee - behufs militärischer Aus­ an, wenn die geschichtlichen Situationen nicht jenen blendenden Glanz und jene bildung einzutreten, und wenn ein Krieg beabsichtigt wird, hat weder die Regie­ Glut der Massen aufweisen, wie wir sie so lieben, aber mit dem ruhigen, vielleicht rung noch eine Parlamentsmajorität noch eine Referendumsabstimmung darüber zu entscheiden, ob die ausgebildeten Männer den Dienst im Krieg anzutreten • .,Selbstbiographie", S. 77 ff. haben, sondern jeder Soldat entscheidet darüber, ob er mitgehen will oder nicht, u „Die allgemeine Nährpflicht etc.", 191z, S. 3o f.; vgl. auch „Krieg, denn nur er allein trägt seine Haut zu Markte. Kurz: alle Wehrfähigen sind Wehrpflicht und Staatsverfassung", 1921, S. 231. militär-, aber nicht kriegsdienstpflichtig. Dieses Programm ist unabhängig da. 160 Sozialreform J(151!/ Popper 161

sogar äußerlich etwas trockenen Charakter der Situationen, d. i. der handelnden ErnstMach und Wilhelm Ostwald Poppers Weltbild formen gehol­ Massen, pflegt die größere Gesittung derselben verbunden zu sein."* Zu den fen, Männer, mit denen er auch persönlichen Verkehr pflegte. großen Gefühlen, die oft zur Ursache falscher Meinungen und Handlungen werden, gehören auch die ästhetischen - wiewohl sie erheblich weniger Unheil Alle seine Lieblingsautoren drängten ihn politjsch nach der Rich­ stiften als etwa die religiöse Schwärmerei. Ästhetische Wertungen sind das Sub­ tung, für die er durch Herkunft und soziale Position prädesti­ jektivste vom Subjektiven. Ob ein Kunstwerk das Prädikat „schön" verdient niert war: nach der kleinbürgerlichen Richtung. Es hilft nichts, oder nicht, ist reine Geschmackssache und außerdem nicht sehr bedeutsam. Die daß er sich einen Sozialisten nennt, daß er glaubt, ebenso im heutige Welt denkt anders. Dadurch kommt sie zu manchen unglaublichen Verkehrtheiten. So kann es z.B. geschehen, daß einer der größten Wohltäter Interesse der Arbeiterschaft wie der übrigen Klassen zu sprechen. der Menschheit, einer der besten Männer aller Zeiten, Voltaire, herabgewürdigt Sein Denken trägt unverkennbar die Merkmale der Bürgerlich­ wird mit der Begründung, er sei nur ein mittelmäßiger Dichter gewesen. Zwar keit; soll doch nach Einführung der Nährpflicht der Kapitalismus stimmt es gar nicht. Viele haben von ihm die stärksten künstlerischen Ein­ in weitem Umfang fortbestehen. Er begreift nicht die politische drücke empfangen. Aber wenn es wahr wäre, was würde folgen? ,,Es ist ... ganz und gar kein Grund vorhanden, ästhetisches Gefallen oder Mißfallen an irgend­ Rolle der Bourgeoisie, die, solange sie an der Macht ist, eine ihr einem Kunstwerk für eine so wichtige Sache anzusehen, daß man sie zu Kampf­ unerwünschte Reform wie die Nährpflicht nie zulassen wird. oder Streitobjekten ausersieht."** ,,Voltaire bleibt Voltaire, auch wenn er kein Die Abneigung gegen Theorie wirkt als Blende, die ihn zu sehen Dichter wäre."*** hindert, daß die soziale Frage in erster Linie eine Machtfrage ist; daß· es nicht darauf ankommt, eine vernünftige Gesellschafts­ Wir haben natürlich weder Poppers Reformpläne noch seine ordnung zu ersinnen - sie ist längst ersonnen-, sondern viel­ Philosophie erschöpfend dargestellt. Aber die wichtigsten Züge mehr darauf, eine solche Ordnung zu schaffen. Durch die Be­ in seinem Weltbild sind deutlich geworden. Er wäre als Nach­ schränkung aufs „Praktische" erzielt er genau das Gegenteil fahre der Aufklärung erkennbar, auch wenn er nicht eine Apologie von dem,_ was er anstrebt: er bildet ein praktisch ganz unbrauch­ Voltaires geschrieben hätte, wenn er nicht erzählt hätte, daß die bares System aus. Aber wenn all das gesagt, wenn festgestellt Essays von Montaigne die stärksten Jugendeindrücke waren, die ist, daß er sich in seinem Programm als Phantast und nicht als ihm zuteil wurden. Sein,, Grundprinzip der gesitteten Ordnung" ist Realist erweist, muß doch auch davon gesprochen werden, welch der auf die Spitze getriebene Humanitätsgedanke der Enzyklopä­ ein vornehmer, welch ein bedeutender Mensch es war, der da disten. Seine Negation der Theorie ist das antimetaphysische seine Kräfte an Utopien verschwendete. Poppers Beziehung zu Konzept des 18. Jahrhunderts, gleichfalls ins Paradoxe gesteigert. den Aufklärern erschöpft sich nicht darin, daß sie ihn zu Irr­ In der Ansicht, daß ein wenig Belehrung genügt, um die Menschen tümern angeregt haben. Er teilt mit ihnen auch hervorragende von den religiösen Vorstellungen abzubringen, feiert die unhisto­ positive Eigenschaften. Die Aufklärer gehören mit all ihren rische Betrachtungsart der Rationalisten Auferstehung. Der Schwächen zu den edelsten Denkern der Menschheitsgeschichte. ästhetische Relativismus ist gewiß durch die Umwälzungen auf Die eigentümliche Mischung aus Menschenliebe und Skeptizis­ künstlerischem Gebiet, die sich im späteren 19. Jahrhundert mus, die ihre geistige Physiognomie bestimmt, ist durch die Jahr­ ... abspielten, gefördert, stammt aber offenbar letztlich von dem hunderte liebenswert geblieben, und ist liebenswert auch bei dem Mißtrauen her, mit dem der Rationalismus jedes gefühlsbetonte modernen Philosophen, bei dem wir sie wiederfinden. Popper Urteil aufnahm. Von neueren Denkern haben vornehmlich gerät auf seinen Gedankengängen oft ins Absurde, aber seine * ,,Das Individuum und die Bewertung menschlicher Existenzen", Absurditäten sind so sichtbar das Produkt seiner Herzensgüte, 2. Aufl. 1920, S. n4. daß sie nur zu lächelndem Protest herausfordern. Wenn er den ** ,,Voltaire", 1905, S. 40. Einzelnen über die Gesellschaft erhöht, folgen wir ihm nicht, aber *** Ebenda., S. 33. wir denken daran, welche Verheerungen die extrem entgegenge-

11 Fuchs, Geistige Strömungen Sozid!reform 162 setzte Auffassung angerichtet hat. Wenn er auf die Gefahren großer Worte und Gefühle hinweist, fällt es uns leicht, die allzu scharfe Warnung auf die richtige Idee zu reduzieren, die in ihr steckt. Die Kritik der Ästhetik wird den nicht erbittern, der versteht, daß sie eigentlich nur der allzu energische Versuch ist, die ästhetische Betrachtung der ethischen unterzuordnen. DEUTSCHNATIONALISMUS Popper konnte die Aufgabe, die er sich stellte, nicht lösen. Der Weg zu einer besseren Zukunft, den er der Menschheit zu zeigen dachte, ist nicht gangbar. Doch die verstehende Milde seines Wesens ist ein Wert in sich. Sie weist auch einen Weg, wenngleich nur in einem allgemeineren Sinne. In diesem Sinne dürfen wir ihn, ungeachtet vieler Denkfehler, einen Lehrer und Erzieher nennen.

11• wäre eine Überschätzung der deutschnationalen Bewegung, wollteEs man sie als Hauptschuldige der Katastrophe bezeichnen, die am Ende der francisco-josephinischen Ära über das öster­ reichische Volk hereinbrach. Sicherlich aber kann man feststel­ len, daß die Deutschnationalen besonders konsequent den politi­ schen Kurs befürworteten, der ins Verderben führte; daß ihre Ideologie durch ein paar besonders häßliche Einzelheiten charak­ terisiert war; daß sie durch ihre Tätigkeit die Richtung wiesen für die ärgsten der Fehler, die Österreich von 1918 an beging; daß sie, mit einem Wort, uriter den reaktionären Kräften in unserem Land die reaktionärste darstellten. Alle übrigen politischen Bewegungen aus den letzten Jahr­ zehnten der Monarchie haben Werte geschaffen. Anders die Deutschnationalen. Von ihnen übernahm das Österreich der Gegenwart ein Erbe, das sich ausschließlich aus Verblendung und Brutalität zusammensetzt. Wir studieren die anderen Bewegun­ gen auch, wenngleich nicht nur um der fruchtbaren Anregungen willen, die sie dem modernen Denken bieten können. Wir studie­ ren den Deutschnationalismus vornehmlich im Hinblick auf die Notwendigkeit, seine Fortsätze, die sich in das heutige Geistes­ leben erstrecken, zu agnoszieren und zu eliminieren. Die politische Bewegung, die uns hier beschäftigt, war von allem Anfang an widersinnig insofern, als si� eine von der deut­ schen verschiedene Nation mit deutschem Nationalbewußtsein zu erfüllen strebte. Die Deutschösterreicher sprachen deutsch. Sie hatten aber politisch und kulturell eine lange Sonderent­ wicklung hinter sich. Die Amerikaner sprechen ja auch englisch und sind doch keine Engländer. Seit der Gegenreformation war unser Land vom deutschen Norden religiös geschieden. Die Deutschösterreicher waren gemeinsam mit Slawen und Ungarn gegen die Türken zu Feld gezogen und gegen den preußischen 166 Deutschnationalismus nie großdeutsche Idee und der Habsburgerstaat 167

Raubstaat. Seit Josef II. lebten sie zusammen mit Slawen und nicht damit zufrieden, daß Österreich in Europa eine Rolle Ungarn in einem halbwegs einheitlichen, gegen Deutschland spielen sollte, wie etwa Belgien oder Schweden. Die Monarchie geschlossenen Wirtschaftsgebiet. Sie besaßen eine stolze alte war immer noch eine Großmacht. Es mußte bei geschickter Kultur, glorreiche Schöpfungen der Architektur, Malerei, Musik, Taktik möglich sein, ihre internationale Stellung zu verbessern. Literatur, worin unverkennbar slawische (dazu romanische) Es mußte möglich sein, sie aus der zweitschwächsten der Groß­ Elemente hervortraten. Allerdings: Die klassische Dichtung und mächte in eine durchschnittlich starke zu verwandeln. Welcher Philosophie der Deutschen hatte die fortschrittliche Intelligenz Weg war einzuschlagen? Der erste Plan eines Come-back, der auch diesseits der Grenze in ihren Bann gezogen. 1848 hatte es in Österreich entworfen wurde, hieß: ein neuer Feldzug gegen für einen Augenblick so ausgesehen, als sollten die Grenzen der Preußen. Er wäre vielleicht verwirklicht worden, wenn der Erblande weggewischt, als sollten alle Menschen deutscher Deutsch-Französische Krieg von 1870 länger gedauert hätte. Zunge zu einer freien Nation verschmolzen werden. Doch Der schnelle Sieg Moltkes über Napoleon III. machte ihn gegen­ das war die Tendenz eines historischen Augenblicks gewesen, standslos. Die Entscheidung von Königgrätz wurde, was die die sich mit der Niederlage der Revolution in nichts auflöste.* Vorherrschaft in Mitteleuropa betraf, durch Sedan definitiv. Nach Königgrätz kam die demokratisch-großdeutsche Idee als Nun war es viel schwieriger, einen Plan auszuarbeiten. Eine ernstes Konzept schon gar nicht mehr in Betracht. Wird der Unternehmung gegen Rußland war undenkbar; Rußland war Begriff Nation in einem vernünftigen Sinn gefaßt, so muß man für sich allein stärker als die Monarchie. Italien war für sich sagen, daß um 1870 der Prozeß der Nationwerdung für die allein schwächer, konnte aber diplomatisch nicht isoliert werden. Deutschösterreicher abgeschlossen war, daß eine besondere Übersee-Expeditionen, wie sie von England und Frankreich österreichische Nation mit deutscher Sprache entstanden war. ausgingen, kamen nicht in Betracht; das Geld fehlte, die Flotte Und dennoch konnte um 1880 eine deutschnationale Partei in fehlte. Somit blieb als mögliches Feld einer aktiven Außen­ unserem Land Fuß fassen und sich halten. Das ist eine auffallende politik lediglich Südosteuropa übrig. Die Aufmerksamkeit Erscheinung. Wie ist sie zu erklären? Wir wollen eine Er­ der Wiener Außenpolitiker (,,des Ballhausplatzes") konzen­ klärung versuchen. Das Studium der Umstände, die den Auf­ trierte sich denn auch bereits in den Siebzigerjahren auf den stieg des Deutschnationalismus ermöglichten, wird uns in einem Balkan. Aber so „natürlich" im machtpolitischen Sinn öster­ mit ein paar Hauptzügen dieser Bewegung vertraut machen. reichische Aspirationen nach dieser Richtung waren, die Mon­ Die österreichisch-ungarische Monarchie war ein schwäch­ archie stieß hier doch auf eine gefährliche Gegenkraft, auf liches Gebilde. Seit dem 18. Jahrhundert war sie hinter West­ Rußland. Der Zar erstrebte eigentlich den Besitz Konstan­ europa, seit dem Vormärz auch hinter Deutschland wirtschaft­ tinopels. England verwehrte ihm den Zutritt zum Mittelmeer. lich zurück. Die multinationale Zusammensetzung belastete Daß er den Balkan als russische Einflußzone ansah, konnte sie mit Problemen, die in ähnlichem Ausmaß nur noch Ruß­ England nicht hindern. Wollte man von Wien aus Balkan­ .. land kannte. Die leitenden Kreise der Monarchie: der Kreis politik betreiben, so war also eine ständige Spannung mit Ruß­ um die Krone, der Adel, die Bourgeoisie, begriffen nach 1866 land vorauszusehen. Österreich brauchte für den Fall kriege­ sehr wohl, daß sie außenpolitisch extrem vorsichtig sein mußten. rischer Verwicklungen mit Rußland eine Rückendeckung im Sie begriffen, daß ein weiterer verlorener Krieg den Staat als Westen, wenn möglich, sogar noch mehr: die Garantie bewaff­ solchen gefährden konnte. Anderseits waren sie ganz und gar neter Hilfe. Deshalb schloß die Monarchie 1879 das Bündnis mit Deutschland, das dann vierzig Jahre hindurch zu den • Vgl. Ernst Fischer, .,Österreich 1848", Wien, 1946. Fundamentaltatsachen der Weltpolitik gehörte. 168 Deutschnationalismus n,e. großdeutsche Idee und der Habsburgerstaat 169

Bismarck war auf wenige Taten seines Lebens so stolz der Monarchie ließ zwei Varianten zu. Für die eine traten die wie auf den Abschluß dieses Bündnisses. Er bezweckte damit Liberalen und die Christlichsozialen, für die andere die Deutsch­ erstens Sicherung Deutschlands gegen eine gesamteuropäische nationalen ein. Koalition, zweitens indirekte Ausdehnung des deutschen Ein­ Die Liberalen und die Christlichsozialen hielten den Bestand flusses auf Südosteuropa und Kleinasien. Es ist nicht unplau­ eines leidlich selbständigen österreichischen, vom deutsch­ sibel, daß er schon zur Zeit des Prager Friedens an das spätere österreichischen Kapital ·geführten Imperialismus für möglich. Bündnis gedacht und, um es zu erleichtern, milde Friedens­ Sie übersahen nicht die zentrifugalen Kräfte, die in der Mon­ bedingungen gewährt hat.* Sicher diskutierte er es mit Julius archie am Werk waren. Doch glaubten sie, daß der alte Staat Andrassy von dem Augenblick an, da dieser. österreichisch­ dennoch lebensfähig sei. Sie wollten ihn festigen, nötigenfalls ungarischer Außenminister geworden war (r87r).** Auf dem sogar um den Preis von Konzessionen an die Tschechen, Kroaten Berliner Kongreß spielte Bismarck den Österreichern das Mandat etc. (Selbstverständlich wurden nur geringfügige Konzes­ zur Okkupation Bosnien-Herzegowinas in die Hände, gewisser­ sionen ins Auge gefaßt, die die Führerfunktion der Deutsch­ maßen als Vorschuß auf die Leistungen, zu denen Deutschland österreicher nicht gefährdet hätten.) Die Monarchie konnte im Sinne der Allianz bereit war. Die österreichisch-ungarische offenbar Expansionspolitik nicht auf eigene Faust betreiben. Außenpolitik bzw. Allianzpolitik wurde in der Monarchie von Sie bedurfte eines Bundesgenossen von der Stoßkraft, wie sie mancher Seite zunächst als verfehlt empfunden Teile des Adels dem Deutschen Reich eigen war. Das Bündnis mußte also und des Klerus opponierten gegen ein Zusammengehen mit aufrecht bleiben. Die nicht sehr glanzvolle Rolle des schwächeren Preußen, da sie Königgrätz nicht verwinden konnten. Die Partners, die der Monarchie notwendigerweise zufiel, mußte deutschösterreichische Bourgeoisie opponierte gegen die Okku­ in Kauf genommen werden. Aber eine weitere Ausgestaltung pation Bosniens, da sie in der Vermehrung der slawischen des Bündnisses, die der Monarchie von den Resten ihrer Selb­ Bevölkerung der Monarchie eine Quelle neuer Schwierigkeiten ständigkeit noch etwas weggenommen hätte, war unerwünscht. sah. Aber das waren doch nur Episoden. Um die Jahrhundert­ Die Monarchie sollte so viel von ihrer Bewegungsfreiheit be­ wende hatten, mit Ausnahme der tschechischen Bourgeoisie, wahren, als unter den gegebenen Verhältnissen tunlich war. alle wichtigen zisleithanischen und transleithanischen Klassen Selbst die Möglichkeit völliger außenpolitischer Neuorientierung und Gruppen das Bündnis akzeptiert, auch die politischen in einer geänderten Weltsituation sollte nicht ausgeschlossen Parlamentarier und leider auch die Sozialdemokraten. Die sein.1 Um es kurz und in der seinerzeit üblichen Terminologie Machinationen der Monarchie auf dem Balkan, wie sie sich zu sagen: die Liberalen und die Christlichsozialen waren in besonders nach r900 entfalteten, riefen neuen Widerspruch erster Linie „Patrioten", bloß in zweiter Linie warensie „deutsch­ hervor. Doch auch hier standen die maßgebenden bürgerlichen gesinnte" Politiker. .. Gruppen Deutschösterreichs geschlossen hinter den Regierungen. Bei den Deutschnationalen war die Sache umgekehrt. Für Bündnis- und Balkanpolitik paßten nämlich vorzüglich zu sie hatte die „deutsche" Tendenz den Vorzug vor der „patrio­ dem Konzept des Finanzkapitals, das um r900, wie anderswo, tischen". In einem Grenzfall, im Fall Schönerers, wurde die so auch in der Monarchie die entscheidende Instanz geworden zweite von der ersten sogar völlig aufgezehrt. Die Deutsch­ war. Die finanzkapitalistische, die imperialistische Politik nationalen verzweifelten an dem In-die-Höhe-kommen Öster­ reich-Ungarns. Der Gedanke eines besonderen österreichischen * Vgl. O.v. Bismarck, ,,Gedanken und Erinnerungen", 2.Bd., 1898, S. 38, 45. Imperialismus, der mit den großen Imperialismen der Welt ** E. v. Wertheirner, ,,Graf Julius Andrassy", z. Bd., 1913, S. 19 ff. hätte konkurrieren können, schien ihnen illusorisch. Der Vor- 170 Deutschnationalismus Di,· g,oßdeutsche Idee und der Habsburgerstaat 171

sprung, vor allem der wirtschaftliche Vorsprung der anderen, behaltlos übernommen. Auch die Führung der Sozialdemokratie war zu bedeutend, die zersetzenden Kräfte innerhalb der Mon­ machte sich Ideen des Deutschnationalismus zu eigen. archie waren zu aktiv. Wollte das deutschösterreichische Der Kurs der österreichischen Außenpolitik seit I879 bzw. Finanzkapital einen Anteil an der Weltherrschaft erhalten, die energische Förderung dieses Kurses durch die Deutsch­ so war das nur im Gefolge des deutschen Finanzkapitals mög­ nationalen liefert eine Teilerklärung dafür, daß diese Partei lich. Die deutsche Bourgeoisie würde in absehbarer Zeit die sich bei uns weitgehend durchzusetzen vermochte. Eine Partei, englische wirtschaftlich überflügeln, hierauf · sie kriegerisch hinter der so mächtige Kapitalsinteressen standen, hätte in niederwerfen und sie um einige wesentliche Bestandteile des Österreich Massenanhang selbst dann gewonnen, wenn hier Empires erleichtern. Vasall des Deutschen Reiches zu sein, die Umgangssprache nicht Deutsch, sondern Chinesisch gewesen war dann, obwohl Vasallenlos, doch immer noch ein beneidens­ wäre - sie hätte dann eben nicht das deutschnationale, sondern wertes Los. Zur Vorbereitung der späteren Entwicklung sollte, ein anderes Schlagwort verwendet (vermutlich ebenfalls ein deutschnationaler Ansicht nach, das Verhältnis zum „Reich" chauvinistisches). Wie die Dinge lagen, konnte sie manchen­ enger und enger gestaltet werden. Die Deutschösterreicher orts an ein bestehendes Gefühl der Zusammengehörigkeit mit konnten sich den „Brüdern im Reich" nützlich erweisen, sie dem deutschen Volk appellieren. Häufiger noch fand sie in der konnten ihnen ihre eigenen Vasallen innerhalb und außerhalb Bevölkerung, was Nationalbewußtsein anlangt, ein komplettes der österreichisch-ungarischen Grenzen zur Exploitation zu­ Vakuum vor. Das führt uns auf einen zweiten Faktor, der ihre führen. Dafür durften sie dann auch Verständnis ihres Stand­ Schädlingstätigkeit erleichterte: punktes gegenüber den Slawen der Monarchie beanspruchen. Das Österreich, über das die Deutschnationalen um I88o Diesen Völkern Konzessionen zu machen, war unsinnig, das mit ihrer Agitation herfielen, war eine Nation ohne Bewußtsein Ziel mußte sein, die deutschösterreichische und damit die deut­ ihrer selbst. Richtiger: eine Nation mit sehr wenig Bewußtsein sche Position in der Monarchie zu festigen. Auch unter den ihrer selbst. Man konnte die Deutschösterreicher damals in Deutschnationalen gab es viele „Patrioten", d. h. viele, die zwei ungleiche Gruppen einteilen. Manche Schichten betrach­ in Übereinstimmung mit den Direktiven des Berliner Außen­ teten Sprachgemeinschaft und nationale Gemeinschaft als amtes den österreichischen Staatsgedanken bejahten. Aber identisch. Diese Vorstellung war besonders dort verbreitet, es handelte sich bei ihnen um einen Patriotismus auf Kündigung, wo Deutschösterreicher und Slawen, bzw. Romanen beieinander ebenso wie die Liberalen und die Christlichsozialen ihre deutsche wohnten (Südkärnten, Südsteiermark, Südtirol), und noch Gesinnung als unter Umständen kündbar erklärten. Jeder­ mehr dort, wo die Deutschösterreicher einen Rückhalt vom mann wußte, daß, wenn der Monarchie etwas Menschliches benachbarten „Reich" her verspürten (böhmische Randge­ zustieße, die Deutschnationalen ihr nicht viel Tränen nach­ biete). Der viel größere Teil des deutschösterreichischen weinen würden. Die Deutschnationalen waren in ihren imperia­ Volkes war aber nicht deutschnational eingestellt. Er war listischen Gedankengängen konsequenter als die anderen Grup­ nur leider auch nicht österreichisch eingestellt, sondern huldigte pen. Die klare Ausrichtung auf den mit fabelhafter Schnellig­ einem nationalen Indifferentismus. Literarische Äußerungen keit emporstrebenden deutschen Imperialismus schien vom aus den Sechziger-, Siebzigerjahren zeigen, daß der spezifisch Machtstandpunkt plausibler als irgendeine unklare Ausrichtung. österreichische nationale Gedanke einzelnen Intellektuellen So konnten sie in den Jahren vor dem Krieg große Teile der deutlich vor Augen stand. Die große Masse ignorierte ihn. In Bourgeoisie zu sich herüberziehen. Während des Krieges wurde einer Epoche, in der Europa durch die nationalen Bewegungen ihre Doktrin von sämtlichen bürgerlichen Gruppen beinahe vor- um- und umgestaltet wurde, in der die Monarchie die Befreiung 173 172 Deutschnationalismtts Die grvpdeutsche Idee und der Habsburgerstaat

der Ungarn, den rapiden Aufstieg der Tschechen zu einer be­ Phraseologie von 1848, trotz der völlig geänderten Situation. deutenden Geistesmacht, das stürmische Erwachen rückstän­ Im ganzen jedoch legten die Liberalen bis zum Aufkommen diger Völker wie der Slowaken, Slowenen, Ukrainer erlebte, der Schönerianer, also bis nach 1880, in nationaler Hinsicht widmeten die Deutschösterreicher in ihrer überwiegenden große Reserve an den Tag. Der Grund: Ihre Herrschaft über Mehrheit den Fragen ihrer Geschichte, Eigenart, Bestimmung die Monarchie war juristisch und ökonomisch fundiert, und sie kaum irgendwelche Aufmerksamkeit. Gewiß hatten sie eine waren „Patrioten", sie wollten den Habsburgerstaat erhalten. Gefühlsbeziehung zu den nationalen Werten. Sie lebten ja Das wurde ihrer Auffassung nach unendlich erleichtert, wenn in der unverwechselbaren kulturellen Atmosphäre Österreichs, aller Nationalismus, auch der der Deutschösterreicher, in engen sie dachten in dem uralten österreichischen Denkstil, sie hörten Grenzen blieb. Deshalb gaben sie weit öfter und lieber als etwa es gar nicht gern, wenn Fremde ihr Wesen kritisierten. Aber die preußischen oder italienischen Liberalen Bekenntnisse die Zielklarheit, mit der andere Völker ihre kollektive Indi­ zum Kosmopolitismus ab. Sie nahmen so eine Maxime auf, vidualität fortbildeten, der Enthusiasmus, mit dem sie ihre die der Dynastie, der Mehrheit des Adels und der hohen Büro­ Vergangenheit neu belebten - die glänzten bei uns durch kratie als der Inbegriff der Staatsweisheit galt. Diese Kreise, Abwesenheit. die konservativen Kreise, glaubten, daß Österreich nur Woher stammte die Spaltung der Nation in schmale deutsch­ a-national regiert werden könne. Sie sahen im Nationalismus nationale und breite a-nationale Schichten? Kam im Deutsch­ eine notwendig aggressive, disruptive, dazu äußerst vulgäre nationalismus die natürliche Beziehung der Österreicher zum Tendenz. Das Übergreifen der Anschauungen der Feudal­ Deutschtum zum Durchbruch? Oder etwa in der nationalen klasse auf die Bourgeoisie, verursacht durch den gemeinsamen Gleichgültigkeit ihre natürliche kosmopolitische Veranlagung? Wunsch der beiden Klassen nach Erhaltung des Staates, wirkte Nein. Beide Tendenzen hatten komplexe Ursachen. Der sehr maßgebend auf den Gang der Dinge in Österreich. Es Deutschnationalismus der Grenzgebiete z. B. entsprang viel­ ist müßig, Betrachtungen darüber anzustellen, ob eine Be­ fach aus kulturellen und sozialen Problemen, die nur in ge­ tonung der nationalen Idee seitens der Liberalen, da es ja mischtsprachigen Gegenden existierten. In der Hauptsache offenbar die deutschnationale und nicht die österreichische aber war die Einstellung unserer Landsleute zu nationalen Idee gewesen wäre, nicht noch mehr geschadet hätte als der Fragen die Folge der politischen Erziehung durch das Groß­ Indifferentismus. Fest steht, daß beide Prinzipien, von denen bürgertum, wie sie sich seit dem Ende der absolutistischen die Liberalen sich leiten ließen, Deutschnationalismus und Ära entfaltete. Bei den meisten anderen Völkern - man denke Indifferentismus, die Entwicklung unseres Volkes höchst nach­ an die Italiener, die Ungarn, die Preußen - hing das Vor­ teilig beeinflußten. Das Fehlen eines klaren österreichischen dringen des Liberalismus und das des Nationalismus untrennbar Nationalbewußtseins trug ganz wesentlich zu den Werbe­ zusammen. Die liberale Bourgeoisie tat dort in der Zeit der erfolgen bei, die Schönerer und Genossen von den Achtziger­ .. Durchkapitalisierung ihr möglichstes, um den nationalen Ge­ jahren an erzielen konnten. Diesen Erfolgen fiel sehr rasch danken in den mittleren und unteren Klassen zu verankern. der Apparat der Verfassungspartei zum Opfer. Die Politik Anders bei uns. Die deutschösterreichische Bourgeoisie ver­ der Liberalen war also auch von ihrem eigenen Standpunkt fuhr nach einem besonderen Rezept. Entsprechend ihrem nicht gar so klug, wie sie geglaubt hatten. Freilich zogen sich Charakter als „deutsche" Gruppe begünstigte die Verfassungs­ die Kapitalisten, die durch den Liberalismus repräsentiert partei ein bestimmtes Maß an „deutscher" Gesinnung. Viele waren, aus der Affäre, indem sie mit den Hintermännern des ihrer Führer hafteten noch an der Ideologie oder wenigstens Deutschnationalismus gemeinsame Sache machten. Die }..ntwicklung der deutschnationalen Bewegung 175 174 Deutschnationalis1ntts

Zu den objektiven Umständen, die den Deutschnationalen Burschenschaften an dem Streik beteiligt, durch den die öster­ weiterhalfen, kam noch ein subjektiver hinzu: eine außerordent­ reichischen Studenten für den Professor des Kirchenrechts liche propagandistische Geschicklichkeit. Natürlich begingen sie Wahrmund eintraten, der wegen freisinniger Äußerungen verfolgt einzelne Fehler. Ihre Gesamtleistung aber war nicht unwürdig wurde,* der späteren Leistung Goebbels'. Eine der wichtigsten Aufgaben Bewußt und systematisch riefen die Deutschnationalen den sahen sie darin, den Bündnispartner, das „Reich", in Österreich Eindruck hervor, sie seien 'die Hüter der Traditionen der bürger­ populär zu machen. Die Welt wußte damals bereits allerhand lichen Revolution: Regelmäßig bezeichneten sie als ihre Vor­ über die Roheit, die Arroganz, den Ungeist des preußischen läufer die Männer, die r848 auf den Barrikaden gestanden waren. Militarismus, der das „Reich" beherrschte. In der Schilderung Die Burschenschaften setzten angeblich genau die Linie fort, der Deutschnationalen verwandelte es sich in einen Idealstaat, die die Akademische Legion im Sturmjahr eingeschlagen hatte. der Recht und Sitte, Ordnung und Wohlstand garantierte. Selbstverständlich waren die Bekenntnisse der Deutschnatio­ Es gelang ihnen, nicht nur für Bismarck, sondern sogar für das nalen zu Freiheit und Fortschritt schamloser Betrug. Was sie an­ Haus Hohenzollern Sympathien zu wecken, obgleich Wilhelm II. strebten, war: das österreichische Volk den ostelbischen Junkern durch seine Haltung unablässig die wirksamste Gegenpropaganda und rheinischen Industriellen zu unterwerfen; seine geistige betrieb. In der innenpolitischen Auseinandersetzung wußten Persönlichkeit auszulöschen; es in das willenlose Werkzeug des sie die niedrigsten Instinkte der Massen,· besonders der klein­ deutschen Machtwahnes zu verwandeln. Sie waren nicht um ein bürgerlichen, aufzurütteln und für ihre Zwecke zu benützen. Jota weniger reaktionär, weil sie ihre barbarischen Projekte Ihre Hinweise auf die Herrennatur des „deutschen" Volkes in mit ein paar an sich billigen und vernünftigen Forderungen Österreich, ihre Hetzreden gegen die Tschechen, ihr Rassen­ drapierten. -Wird aber die Frage erörtert, wie es kam, daß sie antisemitismus, der sich noch nicht mit dem Plan der physischen in Österreich Boden gewannen, so wäre die Antwort wesentlich Vernichtung, wohl aber mit jenem der ökonomischen Vernich­ lückenhaft, würde nicht die besondere Art ihrer Demagogie, tung und der sozialen Ächtung des Judentums hervorwagte - die ihnen ein Herankommen an zivilisierte, anständige Menschen all das hatte einen vorher kaum für möglich gehaltenen, seither ermöglichte, in die Betrachtung einbezogen. fast zur Selbstverständlichkeit gewordenen mobilisierenden Nachdem wir über einige Faktoren gesprochen haben, die Effekt. Und doch hätten die Deutschnationalen nicht in dem die Geschichte des Deutschnationalismus entscheidend beein­ Maß durchdringen können, in dem sie es tatsächlich vermochten, flußten, ist es an der Zeit, daß wir diese Geschichte selbst, hätten sie nicht ihre reaktionären Losungen mit anderen ver­ in flüchtigem Umriß natürlich, darstellen. Der unglückliche Ausgang der Schlacht von Königgrätz mischt, die, für sich allein betrachtet, fortschrittlicher Natur 2 waren. Das Linzer Programm von r882 etwa, von dem noch führte dem „kleindeutschen" Gedanken in Österreich eine 3 näher die Rede sein wird, enthielt eine Anzahl von Punkten, Anzahl von Anhängern zu. Die Gefolgschaft Julius Krickls , die der bürgerlich-demokratischen Denkweise entsprachen. Es die schon vorher nach dieser Richtung tendiert hatte, gab r869 wurde Erweiterung des Wahlrechts verlangt, Vereins- und eine Erklärung heraus, derzufolge die früheren deutschen Pressefreiheit, eine progressive Einkommensteuer. In dem Bundesländer Österreichs dereinst mit Deutschland vereinigt Kampf gegen die Machenschaften der Klerikalen, der um r900 werden, von österreichischer Seite aber keine Schritte unter­ hervorragende Wichtigkeit hatte, stellten sich die Deutsch­ nommen werden sollten, die die im Gang befindliche Einigung nationalen öfters in eine Einheitsfront mit Liberalen, Demo­ kraten, Sozialdemokraten. Zum Beispiel waren· die deutschen * Vgl. Anhang, .,Sozialreform", Note 6. 176 Deutschnationalismus o,g v. Schönerer 177

i i der Deutschen außerhalb des Habsburgerstaates (d e Ein gung beitrugen. Der berühmte Chirurg bemerkte r875 in dem Buch i ,,Über das Lehren und Lernen der medizinischen Wissen­ nachi preußischemi Rezept)i h ndern könnten.i In den Studenten­ i i verb ndungen, d e se t etwa r86o eine gew sse Bedeutung hatten', schi aften", die deutschsprechendeni i o Juden se en n chti Deutsche, v elmehr Angehör ge e ner bes nderen Nation m t scharf aus­ machte sich ebenfalls eine preußenfreundlichei Stimmung be­ geprägten Merkmalen.5, Die Tatsache, daß er seinen Standpunkt merkbar. Bismarckso zielsicherei Haltung r ef Eindruck hervor. später revidierte und sich dem Verein zur Abwehr des Anti­ InOrio Graz wurde v n alten Mitgl ederni der Studentenvereinigung i o o semit smus anschl ß k nnte die Wirkung jener Buchstelle nicht ,, n", darunteri dem nachmal gen Rechtslehrer Emil Strohal,i i i ganz aufheben. D e Studentenvereine reorganis erten sich vom der „Vere n der Deutschnationalen"i gegründet,i der ir870 eon i i i i Ende der S ebz gerjahre an vielfach nach dem „Ar erprinz p". Programm veröffentli chte. Zugleichi erschien e n zwe tes Pr ­ r i o Ve einzelt wurde bere ts der Grundsatz angen mmen, daß gramm aus dem Krei s um Kr ckl.i In beideno iDokumenten war i i or Juden keine Sat sfaktion im Duell zu geben sei. D ese V gänge die These, daß B smarcks kle ndeutschei P l tik nicht gestört erzeugten in der Öffentlichkeit Aufsehen. Doch handelte es sich werden dürfe, ierneuert. Ferner i wurde e n Umbau Zisleithaniens i i i zunächst nur um ideolog sche Wandlungen n e ner dünnen skizziert.i Gal zien undo Dalmato i eni sollten aus dem Reichsrat Schicht der Intelligenz. Erst nach r88o wurde der Deutsch­ aussche den und eine S nderp is t on erhalten; hiedurch sollten r i nationalismus eine beachtliche K aft. Nun erst war der H nter­ die Slaweni im Reichsrat numer sch geschwächt und die Deutsch­ i O i österre cher in die Lage versetzt werden, die Tschechen zu grund gegeben: d e außenpolitischei o i rientO erungi rder Monarchie auf Deutschland, die nnenp l tische rient e ung auf den majorisieren. i i i o slawischen K nservativismus (Regime Taaffe). Vor solcher Szene i Man könnte meinen,i d e Tr umphe,i die B smarck r870/7ri konnte Schönerer seinen Donner ertönen lassen, Strohal und fe erte,i hätten für d e rasche Entwicklung des Deutschnat o­ r Steinwende das milde Versprechen, den Habsburgern und den nal smusi in Österreichi günstige Bed ngungen geschaffen.i Tat­ o i i i Hohenzeinem llern gle chze tig d e Treue zu halten. sächli ch liefen die D nge anders. Die große Mehrhe t des öster­ Will man Georg Ritter von Schönerer (r842-r92r) * re chischen Volkesi war von dem neuen Nachbarn,i genannt i r i n Satz cha akter sieren, so kann man etwa sagen, daß Deutschesi Re ch, nicht entzückt. In den Siebz gerjahren kam i o er den festen W llen, in reakti närem Sinn zu wirken, mit einem d ei Bewegungi nur mühsam vorwärts. Sie entfaltete ihre Tätig­ i o ungewöhnl chen pädagogischen Talent und arger p litischer ke t vorw egend im Rahmen der liberaleni Partei. Ihrer eigenen o i i i Talentl s gke t verband. Seine Karr ere kam durch seine Rede­ Auffassung nachi war ihre Doktrin e ine bloße Spielart der herr­ i schenden pol tischen Lehre. Eine Re he von jüngeren Liberalen kunst zustande. W e von Lueger, so ging auch von ihm im Versammlungssaal ein starker persönlicher Eindruck aus. War suchteo die Partei für eine energische Betonung des deutsch­ i o ... jener der „schöne Karl", so war er „R tter Ge rg". Dabei war nati nalen Gedankensi zu gewinnen. Aber der Kampfi der i i ri i i ,,Jungen" (Karl P ckert, Alfred Knoll)i gegen d e „Alten" er d e ungle ch plumpere, pi miti verei Persönl chkeit. Ihm fehlte* Vgl. der Th. Humor, v. Sosnosky, der dem,,Die chrPolitikstl imchsoz Habsalenburge rreFühreriche", keineswegs1. Bel., 1912, (Wortführer: i Herbst und die „Neue Fre e Presse") blieb ohnei Resultat. D e beste Basis der Deutschnationalen waren d e S.167ff.; Herwig, ,,Georg Schönerer und die Entwicklung des Alldeutschtums i i i in der Ostmark", 4 Bde., 1912-23; P. Molisch, ,,Gesch. derdeutschnationalen Be­ Studentenvereine. H er erw ies sich d e voni der Regierung wegung", S. �1. 149, 151 ff., 210 etc.; derselbe, ,,Politische Geschichte der sc e s e i s ei ie Die geförderte „deutschösterreichi sche", d. i. l berale Richtung deut h n Hoch chul n n Ö terr ch", 1939, S. 88ff.; R. S ghart, ,, letzten Jahrzehnte etc.", S. 306ff.; E. v. Rudolf, ,,Georg Ritter von Schönerer", 1936. gegenüber der völk schen als machtlos.i Hier setzte sich auch relativ rasch der Ungedanke des Ant semitismus durch, wozu Äußerungen Theodor Billroths in nicht unerheblichem Maß 12 Fuchs, Geistige Strömungen 178 Deutschnationalismus v. Schönerer 179 fehlte. Die christlichsozialen Weisheiten wurden zuweilen mit eine kleine Geldhilfe. Schönerer sammelte Unterschriften unter etwas Ironie untermischt. Die deutschnationalen wurden immer eine Petition, die gegen die Niederlassung der Juden in Österreich mit tierischem Emst vorgebracht. Lueger besaß einen treff­ und gegen ihren Durchzug protestierte; sie seien, hieß es in der lichen, gesunden Menschenverstand, der ihn auch im Rausch Petition, durch ihren asozialen Charakter selbst an den Pogromen rednerischer Exzesse nicht ganz im Stich ließ. Schönerer war schuld. Man staunt heute, daß all das zusammen nicht genügte, von der Natur mit dieser Gabe nicht ausgestattet worden. In Schönerer als Reaktionär zu entlarven; daß sich eine Legende allen politischen Handlungen war er eigenbrötlerisch bis zur bilden konnte von einem Schönerer, der ursprünglich Volks­ Selbstvernichtung. Wenn in seinem Wesen ein Zug zu finden ist, interessen vertrat. der versöhnlich stimmen könnte, dann ist es wohl vor allem die Er wurde durch Parlaments- und Volksreden sehr bekannt. Unfähigkeit, seine schlechten Absichten ins Werk zu setzen. Die antisemitische Note gefiel den Kleinbürgern der Provinz­ Daneben mag noch erwähnt werden, daß er ein ehrlicher Gegner städte, die die jüdische Konkurrenz zu bestehen hatten; die der Korruption war. Das allein ist noch keine hinreichend Deutschtümelei gefiel den Kleinbürgern und Bauem an der große Qualität, aber immerhin eine, deren sich nicht alle reak­ Sprachgrenze, wo die slawische Konkurrenz zu fühlen war. tionären Politiker der Zeit rühmen durften. Es lag in der Natur der Sache, daß sein Selbstbewußtsein gegen­ Geboren in Wien als Sohn eines Ingenieurs, ansässig auf über der liberalen Partei wuchs. Als er sich überzeugt hatte, seinem Landgut Rosenau im niederösterreichischen Waldviertel, daß sie für seine Ideen nicht zu gewinnen war, trat er aus (1879) kam er 1873 als Liberaler in den Reichsrat. Von der einen oder und konstituierte im Reichsrat eine eigene Zwei-Mann-Partei, anderen Seite ist die Ansicht ausgesprochen worden, er habe bestehend aus ihm und dem niederösterreichischen Landwirt vorerst eine demokratische Periode durchlaufen, die bis zum Fürnkranz._ Es gab nun schon, über die Monarchie verstreut, Linzer Programm und noch ein kleines Stück weiter reichte. zahlreiche deutschnationale Gruppen, die unabhängig von­ Das ist aber ein Irrtum. Er war niemals ein Mann des Fort­ einander arbeiteten. Er dachte, sie mittels eines zündenden schritts. Daß er in seinen jüngeren Jahren Viktor Adler und Manifests zu einer einheitlichen Organisation zusammenfassen Engelbert Pernerstorfer unter seinen Mitarbeitern hatte, kann zu können. Sich auf einen Entwurf stützend, den Friedjung das geschichtliche Urteil über ihn nicht ändern. Wohl zeigte vergeblich innerhalb der Verfassungspartei durchzusetzen ver­ er im Parlament und außerhalb Interesse für die Angelegenheiten sucht hatte, assistiert von Friedjung, Viktor Adler und Anton des Mittelstandes, der Gewerbetreibenden wie der Bauern; Langgaßner, brachte er 1882 das Programm zustande, das darum wohl zog er gegen die Börseaner los; erklärte er, daß der Staat Linzer Programm heißt, weil es einer Linzer Volksversammlung die Arbeit über das Kapital stellen solle; kritisierte er die zur Beratung hätte vorgelegt werden. sollen. Die Beratung Korruption der Presse. Doch all das hatte wenig Wert, da er wurde nicht abgehalten und die einheitliche deutschnationale zur gleichen Zeit die „Heimkehr ins Reich" propagierte;' das Partei wurde nicht formiert. Das Programm erlangte trotzdem ... Deutschland des Sozialistengesetzes7 als soziales Musterland große Bedeutung für die Bewegung. Nicht nur hielt Schönerer pries; in Wort und Schrift Haß gegen das Judentum schürte. ein Vierteljahrhundert daran fest, auch die anderen Richtungen Zu Anfang des Jahres 1882 bestand die Möglichkeit, daß russi­ des Deutschnationalismus anerkannten es als grundlegend. Wir sche Juden, die in ihrer Heimat Progrome erlebt hatten und von lassen die Hauptpunkte folgen. weiteren bedroht waren, auf österreichisches Gebiet übertreten könnten. Die Liberalen intervenierten bei der Regierung „1. Es ist sowohl im nationalen als im staatlichen Interesse gelegen, daß diejenigen Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie, welche ehemals zugunsten der Verfolgten und die Gemeinde Wien beschloß dem Deutschen Bunde angehörten, für sich ein möglichst unabhängiges und

12• 180 Deutschnationalisnms Geurg v. Schönerer 181 streng einheitlich organisiertes Ganzes bilden, und es muß demnach angestrebt VI. Es ist weiters unerläßlich, daß der Staat unabhängig gemacht werde von werden: den Geldmächten ... und (es) muß demnach angestrebt werden: I. Daß das derzeit bestehende Verhältnis zwischen der diesseitigen Reichshälfte 16.Die Einführung einer progressiven Einkommensteuer. und Ungarn durch die Personalunion ersetzt werde; 17 .... die Einführung von Luxussteuern, sowie einer ausgiebigen Be2steuerung 2. daß das Königreich Dalmatien sowie Bosnien und die Herzegowina end­ der .Börsengeschäfte ... gültig in Ungarn einverleibt werden; VII. Es muß als eine der :vichtigsten Aufgaben des Staates bezeichnet 3. daß die Kronländer Galizien und die Bukowina entweder mit Ungarn ver­ werden, diejenigen Vorbedingungen zu schaffen, welche eine gedeihliche. Ent­ einigt oder aber denselben eine Sonderstellung äll.nlich jener eingeräumt wicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse ermöglichen; diese Vorbedingungen werde, wie sie Kroatien innerhalb des ungarischen Staatsverbandes besitzt. aber sind: II. Es ist durch die Lage und durch die historische Entwicklung der diesseiti- 19.Die Schaffung eines gemeinsamen Zollgebietes mit dem Deutschen Reiche, gen Reichshälfte bedingt, daß jenen Ländern der Monarchie, welche ehemals dem unter Einbeziehung Ungarns und der Balkanländer ... Deutschen Bunde angehörten, der deutsche Charakter gewahrt bleibe, und es IX. Es ist eine ganz selbstverständliche Aufgabe des Staates, die heimische muß daher gefordert werden, daß dun;:h ein Gesetz die deutsche Sprache als Produktion und die ehrliche Arbeit überhaupt zu unterstützen ... Dement­ Staatssprache erklärt, insbesondre aber verfügt werde: sprechend ist zu fordern: 4. Daß die deutsche Sprache ausschließliche Sprache des Heeres, der Ver­ 26.... Normalarbeitszeit, Beschränkung der Kinder- und Ft'a�enarbeit... tretungskörper und der öffentlichen Ämter sei, daß demnach der gesamte X. Es ist im Interesse des Staates, für die Erhaltung eines kräftigen Bauern­ innere Amtsverkehr sowie die öffentlichen Bücher und Protokolle ausschließ­ standes zu sorgen ... lich in deutscher Sprache geführt werden ... 5. daß in Orten mit sprachlich gemischter Bevölkerung an mindestens einer XI. Da die Monarchie infolge ihrer geographischen, politischen und wirt­ Volksschule der Unterricht in deutscher Sprache erteilt und an allen Mittel­ schaftlichen Lage sich nicht auf sich selbst zurückziehen kann, so ist es Aufgabe schulen die deutsche Sprache als obligater Gegenstand gelehrt werde, wo­ einer ernsten politischen Partei, auch den äußeren Angelegenheiten ihre Auf­ gegen kein Schüler zu Erlernung einer anderen, etwa landes- oder bezirks­ merksamkeit zuzuwenden, und es muß in dieser Beziehung gefordert werden: üblichen Sprache gezwungen werden kann; 31.Die Erhaltung und dauerndeBefestigung des Bündnisses mit dem Deutschen 6. daß sämtliche Staatsprüfungen und Rigorosen, sofern sie zur Erlangung Reich durch einen Staatsvertrag; einer Anstellung im Staats- oder Landesdienst berechtigen sollen, aus­ 32.die Entfaltung einer zielbewußten und kräftigen Orientpolitik, insbesondere �chließlich in deutscher Sprache abgelegt werden müssen. Wahrung der österreichischen Interessen an der unteren Donau und in den Balkanländern ..." III. Es ist im Interesse des Volkes und des Staates gelegen, daß den Grund­ sätzen des Konstitutionalismus in vollstem Maße Rechnung getragen werde, Es sind hier mit Sorgfalt jene demokratischen Forderungen und es ist demnach anzustreben, formuliert, die, wie schon erwähnt, in deutschnationalen Er­ 7. daß die bestehende gekünstelte und ungerechte Interessenvertretung durch klärungen aufzutauchen pflegten. Erweiterung des Wahlrechts, eine fortschreitende Erweiterung des Wahlrechts sowie insbesondre durch Vermehrung der Abgeordnetenzahl für die Landgemeinden und durch Ein­ Pressefreiheit, freisinnige Erziehung, progressive Besteuerung, führung der direkten Wahl mittelst geheimer Abstimmung zu einer wahren Normalarbeitszeit - alles ist da. Wir dürfen uns aber durch Volksvertretung ausgestaltet werde ... diese Dinge nicht irreführen lassen. Der wesentliche Inhalt IV. Es ist im Interesse der gedeihlichen Entwicklung des Staates unerläßlich, des Programms steht in den Punkten 1 bis 6, 19, 31 und 32. daß die in den Staatsgrundgesetzen aufgestellten freiheitlichen Grundsätze Unter den zu Eingang erwähnten Ländern der Monarchie, zur vollen Geltung gelangen, und es muß daher gefordert werden: „welche ehemals dem Deutschen Bunde angehörten", befanden 10.Freies Vereins- und Versammlungsrecht; sich Böhmen, Mähren und Schlesien. Die vorgeschlagene Um­ 1 I. Pressefreiheit ... 12.Erhaltung und vollständige Durchführung jener Grundsätze, auf denen gestaltung des Staates (Punkt 2 und 3) hätte im Reichsrat den unsere Volksschule aufgebaut ist ..., da eine gute freisinnige Erziehung die Deutschösterreichern, die bislang eine Minderheit bildeten, die Vorbedingung des dauernden Bestandes und der freiheitlichen Entwicklung Mehrheit verschafft. Auf Grund der neuen Situation sollte eine des Staates ist. Diktatur über die Tschechen errichtet, eine Politik rücksichts- 182 Deutschnationalismus 183 loser Germanisierung eingeleitet werden, Die Bewohner Dal­ den Ärzten aufgegebenen Kaisers Wilhelm I. ein paar Stunden matiens, Bosniens, der Herzegowina sollten wie leblose Sachen bevor er wirklich gestorben war. Da es sich um einen von den österreichischen Herren auf die ungarischen Herren Hohenzollern handelte, fühlte sich Schönerer tief verletzt. übergehen. Die „Sonderstellung" Galiziens hätte, wie der Hin­ Zusammen mit einigen Freunden drang er in das Büro des weis auf Kroatien zeigt, nicht einmal den Polen, geschweige „Tagblatt" ein und verprügelte· die Redakteure. Er wurde denn den Ukrainern nationale Freiheit gegeben. Ein Programm, vor Gericht gestellt, zu einer Kerkerstrafe und zum Verlust des das so ganz und gar auf nationale Unterdrückung abgestellt ist, Adelstitels verurteilt und mußte auf mehrere Jahre alls dem kann nicht als demokratisch bewertet werden. Objektiv war es, Reichsrat ausscheiden. Doch zog er aus der Affäre, und vor allem was immer in den Köpfen einiger seiner Urheber sich abgespielt aus dem Urteil, enormen Gewinn an Popularität. Einen zweiten haben mag, ein mit vielerlei demokratischen Ornamenten ver­ Höhepunkt erreichte er im Kampf gegen das Ministerium ziertes, früh-imperialistisches Programm. Und zwar ein deutsch­ Badeni. Die Verordnungen, durch die Graf Badeni 1897 das imperialistisches. Die Verfasser dachten offenbar an den Fort­ Sprachproblem in den Ländern der böhmischen Krone regelte, bestand der Monarchie. Die Idee der Zerschlagung der Monarchie enthielten gewisse Konzessionen an die Tschechen. Schönerer war wohl auch bei Schönerer noch nicht ausgereift. Doch hätte, und seine Freunde, unter denen sich speziell K. H. Wolf her­ wie das Kräfteverhältnis beschaffen war, die Zollunion (Pkt. 19), vortat, nahmen dies zum Anlaß, eine wüste antislawische Kampa­ die Verstärkung des Bündnisses (Pkt. 31) 8 und die zielbewußte gne zu entfesseln. Sie steigerten die im Reichsrat schon früher Orientpolitik (Pkt. 32) ganz Mitteleuropa und Südosteuropa der gelegentlich erprobte Technik der Obstruktion zur höchsten reichsdeutschen Kapitalistenklasse zu Füßen gelegt. Vollkommenheit. Durch vielstündiges Reden, Brüllen, Klopfen, Interessant ist die Frage Linzer Programm und Judentum. Pfeifen, Werfen von Tintenfässern und Aktenmappen und end­ Wie wir wissen, war Schönerer schon lange vor 1882 Antisemit. lich durch Handgreiflichkeiten legten sie die Tätigkeit des Trotzdem ließ er Juden an dem Programm mitarbeiten. Dies Reichsrats lahm. Die übrigen „deutschen" Parteien wurden erklärt sich daraus, daß sein Antisemitismus damals noch mehr von der Aktion der „Alldeutschen" mitgerissen. 11 Auch die die wirtschaftliche als die rassische Färbung hatte, somit gegen­ Sozialdemokraten kämpften an der Seite der Alldeutschen. über Einzelnen außer Kraft gesetzt werden konnte. Erst Mitte Als die Regierung auf Grund einer eigens geschaffenen Be­ der Achtzigerjahre wurde Schönerer Rassenantisemit. Auf die stimmung der Geschäftsordnung die ärgsten Krakeeler gewalt­ Beteiligung von Juden ist vielleicht das Fehlen einer Juden­ sam aus dem Sitzungssaal entfernen ließ, organisierten die klausel in dem Programm zurückzuführen. Der „Mangel" Deutschnationalen und die Sozialdemokraten Straßendemon­ wurde 1885 behoben. Schönerer fügte einen Punkt an, der strationen. Der Kaiser, durch die Massenbewegung erschreckt, Beseitigung des jüdischen Einflusses aus allen Gebieten des enthob Badeni des Amtes. Allgemein wurde Schönerer als öffentlichen Lebens verlangte. derjenige angesehen, der die Regierung gestürzt hatte. Das Schönerers politisches Schicksal vom Linzer Programm an wirkte sich bei den nächsten Wahlen aus. 1901 kamen einund­ war ein kurioses Mischmasch aus Erfolgen und Rückschlägen. zwanzig seiner Parteifreunde ins Abgeordnetenhaus, während Allmählich wurde klar, daß seine Bäume nicht in den Himmel früher nie mehr als fünf dort gewesen waren. wuchsen. Und doch wuchsen seine Bäume nicht in den Himmel. Ein Höhepunkt seiner Laufbahn war seine gewalttätige Ein Schicksalsschlag traf ihn: es stellte sich zu allgemeiner, Auseinandersetzung mit dem „Neuen Wiener Tagblatt". Diese und sicher auch zu seiner Überraschung heraus, daß seine Frau liberale Zeitung meldete 1888 den Tod des hochbetagten, von von Juden abstammte. Eine bittere Sache für einen Rassen- 10 184 Deutschnationalismus ·g v. Schönerer 185 antisemiten, auch schon zu einer Zeit, da es noch keine Nürn­ wichtiger war, daß er auch nach 1879, zu einer Zeit, da er berger Gesetze gab. Andere Mißgeschicke zog er sich durch eigene sich längst von den Liberalen getrennt hatte, in der absoluten Schuld auf den Hals. Seine Los-von-Rom-Bewegung trug ihm VielNegation gegenüber dem Habsburgerstaate verharrte. Seine den unauslöschlichen Haß nicht nur der Christlichsozialen antislawische Agitation bereitete der österreichischen Regierung, Partei, m it der er sich eine Zeitlang gut verstanden hatte, nunmehr mit der deutschen verbündet war, unablässig sondern auch den Haß der katholischen Volksmassen ein. Aus Verlegenheiten. Ja, er scheute sich nicht, im Parlament der Größenwahn vernachlässigte er den Aufbau des Parteiapparates. diek. u. k. Armee, die im Kriegsfall Schulter an Schulter mit der Aus doktrinärem Eigensinn trat er gegen die Schaffung einer deutschen gekämpft hätte, das Budget zu verweigern. Nach der deutschnationalen Tageszeitung auf. Einer nach dem anderen Badeni-Krise erklärte e r, das österreichisch-deutsche Bündnis fielen die fähigsten unter seinen Schülern von ihm ab. Zuerst habe sich nicht bewährt, der Anschluß der österreichischen und ging Pernerstorfer und nahm auf seinen neuen Weg das wichtigste böhmischen Länder an das Reich solle nicht länger hinausge­ bisher schönerianische Blatt, die „Deutschen Worte", mit; schoben werden. Offen irredentistische Äußerungen der All­ die Ersatzgründung der „Unverfälschten Deutschen Worte" deutschen waren von damals an häufig. 12 Bismarck benützte war kein wirklicher Ersatz. Dann trat Ernst Vergani, der mehrere Gelegenheiten, um die stürmischsten unter seinen Herausgeber des „ Deutschen Volksblatts", zu den Christlich­ österreichischen Verehrern unmißverständlich zu entmutigen.13 sozialen über. Endlich lehnte sich K. H. Wolf gegen den Partei­ Vergeblich - Schönerer behauptete, das seien nur diplomatische chef auf. 1901 begann ein Konflikt, der die heftigsten Formen Finten, in Wahrheit sei sein Treiben den Deutschen sehr genehm. annahm und unter anderem dazu führte, daß Schönerer den hatte insofern nicht ganz unrecht, als hochgestellte Persön­ Wolf in einer Broschüre als ehrlos erklären ließ, Wolf den lichkeiten des Reichs dem Zerfall der verbündeten Habsburger­ Schönerer einen grauhaarigen Schurken nannte. Die Bewegung Ermonarch ie mit freudiger Erwartung entgegensahen; nach Schönerers hätte sehr kräftig sein müssen, um11 all diese Dinge Bismarcks Abgang (1890) scheint sich diese Ideenrichtung ohne Schaden zu überstehen. Und dabei litt sie unter einem befestigt zu haben. In gewissem Umfang wurde an die noch viel schlimmeren Handikap: unter Schönerers völliger Schönerianer materielle Unterstützung gegeben. Im wesent­ Verständnislosigkeit gegenüber der Außenpolitik des Deutschen lichen setzten aber die späteren Reichskanzler doch den Reiches. Bismarckschen Kurs der Außenpolitik fort. Selbst die All­ Bismarck wollte den Habsburgerstaat, nachdem er ihn aus deutschen des Reichs distanzierten sich von ihren österreichischen dem Deutschen Bund hinausgeworfen hatte, erhalten, um ihn Kollegen. Schönerer wurde zu einer tragikomischen Figur. in Südosteuropa als „verlängerte Hand" zu gebrauchen. Er Besonders seit der Trennung von Wolf verlor er rapid an Anhang. wollte ihn sogar stark haben, da Österreich dem „Reich" ja Im Wahlkampf von 1907 geschlagen, zog er sich in die Einsamkeit doch nicht gefährlich werden konnte. Hingegen war Schönerers des Waldviertels zurück. Wehmütige Betrachtung seines Ar­ Politik auf die heftigste Abneigung gegen Österreich gegründet, chivs, das er selbst „den Friedhof der Abgefallenen" nannte, auf den Wunsch, die höchstentwickelten Gebiete der Monarchie Entgegennahme von Huldigungen des Vereins „Die letzten an das Reich anzuschließen. Hieraus ergaben sich die selt­ Schönerianer" - das waren seine Hauptbeschäftigungen in samsten Gegensätze zwischen Deutschland und den Deutsch­ seinendie letzten Lebensjahren. nationalen in Österreich. Man mag es als bloße Episode auf­ Schönerer lenkte die Aufmerksamkeit gewisser Schichten des fassen, daß Schönerer 1878 zu den Liberalen gehörte, die s ich österreichischen Volkes auf den Deutschnationalismus. Darin der von Berlin begünstigten Okkupation Bosniens widersetzten. bestand seine geschichtliche Funktion. Hingegen war es vor 186 Deutschnationalismus ·scnnationale Gruppen 187 allem die Gruppe der „staatstreuen" Deutschnationalen, die die mit dem Programm einverstanden waren, konstituierten von ihm erzeugten Gefühlsdispositionen politisch auswertete. ich hierauf als von den Liberalen unabhängiger Deutscher Klub. Natürlich müssen wir auch die Geschichte dieser Gruppe skizzie­ Die Mehrheit des Deutschen Klubs kehrte schon nach ein paar ren. Wir werden es, da wir nun schon viel vom Deutschnationalis­ ·11onatenzu den Liberalen zurück. Die Minderheit (Steinwender, mus im allgemeinen wissen, nicht schwer haben. Bareuther, Prade, Derschatta) bildete die Deutschnationale Die Schöpfer des staatstreuen Deutschna.tionalismus waren Vereinigung. Aus dieser Vereinigung ging r89r die Deutsche Emil Strohal (r844-r9r4) und Otto Steinwender (r847 bis Nationalpartei hervor, aus dieser wieder r896 die Deutsche r92r). Beide gehörten ursprünglich der liberalen Partei an. Volkspartei. Im letzten Privilegienparlament hatte die Volks­ Strohal, in Innsbruck geboren, wirkte als Rechtslehrer an partei an die fünfzig Vertreter, r907 ging die Fraktion erheblich den Universitäten Graz, Göttingen (wo er die Kanzel Iherings zurück,r9rr wuchs sie wieder an. Unter Führung der Volkspartei übernahm)und Leipzig. r870 verfaßte er eine der ersten deutsch­ schlossen sich einige kleinere deutschnationale Parteien und das, nationalen Prinzipienerklärungen. Einige Zeit schwankte er was von den Liberalen noch übrig war, zu einem Dachverband, zwischen einer politischen und einer wissenschaftlichen Laufbahn, dem Deutschen Nationalverband, zusammen, der ab r9rr die dann entschied er sich für die letztere. Als Grund gab er an, stärkste Gruppe im Abgeordnetenhaus darstellte. daß nur Leute, die materiell unabhängig seien, sich politisch Da die Schönerianer ihren Hauptgedanken, die Zerschlagung betätigen sollten. r885 arbeitete er eine zweite Programm­ der Monarchie, nicht gern in einer Form aussprachen, die ihnen erklärung aus, die in deutschnationalen Kreisen viel Beifall strafgerichtliche Verfolgung eintragen konnte, ergibt der Ver­ fand. gleich ihrer programmatischen Erklärungen mit jenen der Stein­ Steinwender, ein gebürtiger Kärntner, begann als Gym­ wender-Partei keine gar zu tiefgreifenden Unterschiede. Das nasiallehrer für klassische Sprachen. Von etwa r88o an stand er Programm der Deutschen Volkspartei von r896 z.B. wieder­ vierzig Jahre ununterbrochen im politischen Leben. Vor dem holt die meisten Punkte des Linzer Programms. Eine Abweichung Krieg war er Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, die Republik von Schönerers Standpunkt ist in der Judenfrage erkennbar - bestellte ihn r9r8 zum Staatssekretär für Finanzen. Im Gegen­ nicht Beseitigung des jüdischen Einflusses, sondern „nur" satz zu Schönerer und im Gegensatz zu dem, was seine Herkunft Befreiung von seiner Vorherrschaft wird verlangt-, desgleichen von der klassischen Philologie erwarten ließ, war er ein Mann des in der Frage der Beziehungen zu Ungarn: nicht Personalunion, Kompromisses und der Praxis. Er machte gelegentlich eine sondern Verbesserung der Ausgleichsbedingungen für Zisleitha­ versöhnliche Geste gegenüber den Tschechen, er nahm den Anti­ nien ist das Ziel. Beide Abweichungen sind charakteristisch, semitismus nicht ganz ernst, ähnlich wie Lueger. Zwar nannte da sie Konzessionen an die Krone sind.u Eine große Zahl solcher er sich gern den ältesten Antisemiten, doch scheute er sich nicht, Konzessionen wurde von den Steinwender-Anhängern in der an Zeitungen mitzuarbeiten, die von Juden redigiert wurden, wie politischen Praxis gemacht. Hier trat der Unterschied gegenüber etwa am „Neuen Wiener Tagblatt". Die Schönerianer regten den Schönerianern viel deutlicher hervor als in den beider­ sich über diese Dinge maßlos auf- ohne Grund. Es ist kein seitigen Manifesten. Steinwendcrs Gruppe war in der Tat das, Zweifel, daß es sich nur um Äußerlichkeiten handelte und daß was die,, Unverfälschten Deutschen Worte" höhnisch, ,regierungs­ er die Herren Krupp und Ballin gut bediente. fromm" nannten. Sie unterstützte grundsätzlich jedes der wech­ r885 legte Steinwender einer Versammlung der liberalen selnden Kabinette bis zu dem Augenblick, da es auf Grund des Partei das vorhin erwähnte, aus der Feder Strohals stammende Widerstandes anderer Parteien vom Kaiser fallen gelassen war. Programm zur Beratung vor. Jene Teilnehmer der Versammlung, An mehreren Kabinetten nahm sie durch Leute ihres Vertrauens 188 Deutschnationalismus „imaUonale Gruppen 189

teil. Oppositionell stellte sie sich nur zu Badeni, und auch da au", die er selbst begründete, gehörten zu den ärgsten Schimpf­ zögerte sie ein wenig. Sie stimmte regelmäßig für das Budget, der Zeit. Als er r897 im Parlament krawallierte, wurde insbesondere dasjenige des Heeres, sie wandte sich gegen die Badeni zum Duell gefordert. Er war der gewandtere Los-von-Rom-Bewegung, sie suchte Möglichkeiten der Koopera­ .ufbold.ttem und fügte dem G�gner eine Verletzung zu. Es scheint, tion mit den Christlichsozialen, sie akzeptierte das allgemeine tlaßvon diese Episode sein Ansehen bei seinen Gesinnungsfreunden Wahlrecht, da nun einmal die stärksten Kräfte des Landes, ein­ sentlich verstärkte. Sicher ist, daß er in Prag und den Sudeten­ schließlich der Krone, dafür waren, und beschränkte sich auf über eine zahlreiche, unbedingt verläßliche Anhänger­ die Forderung nach einer Wahlkreiseinteilung, die die Slawen aft verfügte. Das zeigte sich besonders nach seinem Zer­ benachteiligte. Durch dieses ihr Verhalten, obgleich es ihr von gebietenmit Schönerer. Obgleich der Brüxer Prozeß eine Menge Gegnern als Schwäche ausgelegt wurde, förderte sie die Inter­ belastendes Material zutage förderte, nahm man weithin in essen des Deutschen Reichs unzweifelhaft wirksamer, als würfnisdeutschnationalen Kreisen an, daß er aus der Verhandlung als Schönerer es mit seinem Radau vermochte. Wirren im Habs­ untadeliger Ehrenmann hervorgegangen sei. Große Teile der burgerstaat schwächten notwendigerweise die internationale alldeutschen Organisation traten nun mit ihm in eine Kampf­ Position auch des Hohenzollernstaates. Anderseitswar jede Kon­ gegen den früheren Parteiführer. Bei den nächsten Wahlen solidierung der österreichischen Verhältnisse, die die Haupt­ die Deutschradikalen ungleich besser ab als die Schöne­ richtung der k. u. k. Politik unberührt ließ, für Deutschland front Die Hauptursache des Erfolges lag wohl darin, daß Wolf ein Gewinn, der mühelos in Armeekorps umgerechnet werden schnittender rein demonstrativen Taktik Schönerers brach und die konnte. Demgemäß ließ man von reichsdeutscher Seite der rianer.realistischen Grundsätze annahm, von denen die Deutsche Volkspartei, wenn wichtige taktische Entscheidungen zu treffen mitVolk !:.partei sich leiten ließ. Die individuelle Note der Deutsch­ waren, unmittelbar Rat und Anleitung zukommen. Geringer ra dikalen war es, daß sie die Staatstreue Steinwenderscher Art war die Hilfsbereitschaft, was Geld anlangte. Das wirkte sich mit der extremen Phraseologie Schönerers kombinierten. Nach auf dem Gebiet der Presse aus. So konnte die Volkspartei die dem Weltkrieg überwarf sich Wolf mit der Bewegung. Als gut eingeführte, in Wien erscheinende „Deutsche Zeitung" aus Mann übte er nahe dem Westbahnhof das bescheidene finanziellen Gründen nicht dauernd halten und verlor sie an Gewerbe eines Tabaktrafikanten aus. die Christlichsozialen. Erst während des Weltkriegs erwarb die alterZum Deutschen Nationalverband gehörte ferner noch die reichsdeutsche Schwerindustrie ein geachtetes Wiener Blatt, Deutsche Agrarpartei. Sie entstand durch Abspaltung von den ,,Die Zeit", und führte es in deutschnationalem Sinne weiter. Alldeutschenund der (liberalen) Fortschrittspartei und konnte sich Es wurde früher erwähnt, daß in den letzten Jahren vor dem Böhmen und in Kärnten einen gewissen Einfluß verschaffen. Krieg einige kleinere Gruppen existierten, die eine ähnliche Ohne Einfluß blieb die Deutsche Arbeiterpartei (seit 1904). .. Politik wie die Volkspartei betrieben und sich mit ihr zum inTrotz ihrem Namen kann diese Gruppe nur sehr indirekt als Deutschen Nationalverband zusammentaten. Die wichtigste Vorläufer der NSDAP. angesehen werden. Wenn irgendeiner dieser Gruppen war die von Karl Hermann Wolf, die sich zu­ Gruppe des alten Österreich der Titel des Vorläufers gebührt, erst Freialldeutsche und später Deutschradikale Partei nannte. dann sicherlich nur derjenigen Schönerers. Das war auch die K. H. Wolf war gleich Schönerer ein begabter Agitator. Als Ansicht Adolf Hitlers. Redner und als Schreiber stand er an Heftigkeit hinter seinem Der Deutsche Nationalverband war schon in den letzten Lehrer nicht zurück. Das Verganische „Deutsche Volksblatt", Vorkriegsjahren eine wichtige Stütze der Monarchie und damit das er eine Zeitlang mitredigierte, und die „Ostdeutsche Rund- des Blocks der Mittelmächte. Nach Ausbruch des Krieges fiel ationale Gruppen 191 190 Deutschnationalismus igste handelspolitische Zusammenschluß beider Wirtschaftsgebiete, der sich ihm erst recht eine führende Rolle zu. Die Erregung der August­ Laufe der allmählichen Entwicklung unter Bedachtnahme auf die Verschie­ tage von 1914 machte offenbar, was man aus manchen Symptomen denartigkeit der Produktionsbedingungen zu einem vollkommenen Zoll- und schon vorher hatte schließen können: daß in allen Parteien, Handelsbündnis ausgestalten soll ... Das so geschaffene Wirtschaftsgebiet würde auch in der Partei Viktor Adlers, Tendenzen lebendig waren, lieh durch Angliederung anderer mitteleuropäischer Staaten erweitern. die denen des Nationalverbandes ähnelten. Längere Zeit schienen die Kriegsereignisse die Politik der Deutschnationalen glänzend Verfassungsänderungen. zu rechtfertigen. Es schien, als sollte den Habsburgern das Damit Österreich-Ungarn erstarken und seinen Verpflichtungen als Bundes­ aenosse gerecht werden kann, sind gewisse Verfassungsänderungen unerläßlich, Bündnis mit den Hohenzollern zum Heil ausschlagen, als sollten durch welche die inneren Kämpfe, welche bisher die Monarchie für jede größere die Deutschen zu unumschränkten Herren Europas werden, die TAtigkeit unfähig gemacht und jeden Fortschritt gehemmt haben, wenn nicht Deutschösterreicher zu unumschränkten Herren der Monarchie pnz beseitigt, so doch auf das unvermeidlic� Mindestmaß herabgedrückt und des Balkans. Aus dieser Situation ist es zu erklären, daß werden. die österreichische Regierung im Herbst 1914 mit der deutschen Ausscheidung Galiziens. über Ausgestaltung der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen Der Staat muß von dem unerträglichen slawischen Übergewicht befreit zu verhandeln begann; daß Naumanns Pamphlet „Mitteleuropa", werden, weil nur auf diesem Wege ein starkes Österreich entstehen kann. Zu welches dieselbe Sache erörterte, in Österreich reißenden Absatz diesem Ende muß Galizien aus dem engeren staatlichen Zusammenhange mit fand. Der Nationalverband meinte, daß nun der Augenblick den übrigen österreichischen Kronländern ausgeschieden werden . . . Für die Sicherung der nationalen Rechte der Deutschen in Galizien ist verfa!sungs­ für die Verwirklichung seiner langgehegten außenpolitischen und mlßig Vorsorge zu treffen. Für die diesseitige Reichshälfte ist der Titel ,Kaiser­ nationalpolitischen Pläne gekommen sei. Er verfaßte ein Memo­ tum Osterreich' anzuwenden. randum, das die Grundlagen einer den neuen Verhältnissen entsprechenden „Neuordnung der Dinge in Österreich" ent­ Regelung der Sprachenfrage. hielt.* Die Vorschläge sollten nicht auf parlamentarischem Weg, In dem künftigen Kaisertum Österreich muß die Geltung der deutschen sondern durch Oktroi (Staatsstreich) Wirksamkeit erlangen. In Sprache in einem den Bedürfnissen des Staates und einer geordneten Verwaltung vollauf entsprechenden Maße gesichert werden. Der einheitliche deutsche Cha• dem Memorandum hieß es: rakter der deutschen Provinzen muß erhalten werden. Unter diesen Vorausset­ .,Das Bündnis zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich. nngen wird es· nicht schwer sein, den praktischen Bedürfnissen der anders- Der Krieg hat schon in seinem bisherigen Verlaufe den Beweis geliefert, 1prachigen Bevölkerung in den übrigen Provinzen in Amt und Schule Rechnung daß ein enger Zusammenschluß der beiden Kaisermächte für beide eine Notwen­ au tragen. Dabei muß aber Vorsorge getroffen werden, daß die Anwendung digkeit, ja geradezu eine Voraussetzung für ihren weiteren Bestand ist. Dieser der nichtdeutschen Sprache dem wirtschaftlichen Bedürfnisse entsprechend Zusammenschluß ist nicht nur ein Bedürfnis Österreich-Ungarns, er ist auch ein erfolge. unabweisbares Bedürfnis für das Deutsche Reich, das gleichfalls auf Österreich­ Dieses Ziel ist u. a. durch folgende Bestimmungen zu erreichen: Ungarn angewiesen ist. Deshalb ist unter selbstverständlicher Wahrung der Die innere Amts- und Verkehrssprache aller staatlichen Zivil- und Militär­ staatlichen Selbständigkeit und Unabhängigkeit Österreich-Ungarns die behörden sowie die Verhandlungssprache der obersten Gerichtshöfe ist die dauernde Ausgestaltung des Bündnisses, wie es der Krieg gefestigt hat, und seine deutsche. staatsgrundgesetzliche Sicherung anzustreben. Ebenso sind bei allen staatlichen Behörden ohne Ausnahme Eingaben in deutscher Sprache anzunehmen und in dieser Sprache zu verhandeln und zu Mitteleuropäisches Wirtschaftsbündnis. •led.igen. Die festeste Grundlage wird dieses Bündnis erhalten durch die wirtschaft­ Bei den staatlichen Behörden in den deutschen Verwaltungsgebieten sind liche Annäherung der beiden Reiche. Als anzustrebendes Ziel erscheint der andere als deutsche Eingaben nicht zulässig. Hier ist auch die äußere Amts- 1prache ausschließlich Deutsch. • Vgl. J. Redlich, ,.Österr. Regierung und Verwaltung im Weltkrieg", 1925, In jenen Gebieten, in welchen neben der deutschen Sprache eine oder mehrere s. 249ft. Deutschnationalismus dmationale Kultureinflüsse 192 193 andere Sprachen landesüblich sind, sind nach den für die einzelnen Gebiete zu ·zutreten - Ziffern, die an und für sich nichts Aufregendes erlassenden Bestimmungen schriftliche und mündliche Anbringen in diesl't' Aber die Aktion löste Bitterkeit aus, führte immer landesüblichen Sprache anzunehmen und zu erledigen." .er zu erregten Kundgebungen seitens der beiden Konfes­ ,tten. Wir haben das letzte bedeutsame Dokument vor uns, worin und machte die Verhältnisse in Österreich noch kompli­ er; als sie ohnehin waren. Die Deutschnationalen waren die Deutschnationalen des Habsburgerstaates ihre Ideen nieder­ en legten. Vergleichen wir es mit dem ersten, dem Linzer Programm, die ersten, die breite Schichten dafür interessierten, die so finden wir viele Ähnlichkeiten und einen bezeichnenden ,lksschule in reaktionärem Sinn neuzugestalten. Sie eroberten er Deutschen Schulverein*, Unterschied. Zur Außenpolitik, zur nationalen Politik im Innern · Alleinherrschaft im der in seinen wird annähernd dasselbe gesagt, was dreißig Jahre früher ängen auch Liberale umfaßt hatte, und machte ihn mehr Schönerer sagte. Hingegen wird die soziale Demagogie von .d mehr zu einer Pflanzstätte des Rassendünkels. Der Deutsche einst für überflüssig gehalten - wohl im Hinblick auf die mili­ ulverein verursachte eine Parallelgründung in Deutsch­ h tärische Lage. Die sozialen Forderungen des Linzer Programms d (Allgemeiner Deutsc er Schulverein), sowie zwei Gegen- haben in Steinwenders Memorandum keine wie immer geartete „ dungen in Österreich: den Katholischen Schulverein (unter Entsprechung. Protektorat des Thronfolgers Franz Ferdinand) und den Verein Freie Schule. Der Deutsche Schulverein hatte seine Wie die anderen großen politischen Bewegungen, so ent­ Niederlassungen in den Gegenden, durch die die Sprach­ faltete auch der Deutschnationalismus einen Einfluß, der über grenze verlief. Er bildete den Kern des sogenannten Schutz­ meisten die politische Sphäre im eigentlichen Sinn des Wortes weit .vereinswesens, das sich von den Achtzigerjahren an im Grenz­ hinausreichte. Eine ganze Reihe charakteristischer Züge des land. etablierte. Es handelte sich hier um eine Bewegung, die francisco-josephinischen Zeitalters wurden von ihm hervor­ Wünschen des durchschnittlichen deutschböhmischen oder gebracht oder doch wesentlich verstärkt. Zwar konnte er nicht ,südmärkischen" Spießbürgers gerecht wurde und deshalb, im so viele originelle Ausdrucksformen erfinden, und auch lange Gegensatz zur Anti-Rom-Bewegung, Massencharakter annehmen nicht so viele Anhänger sammeln, wie etwa die katholische Noch ganz andere Massenwirkungen wurden vom oder die sozialistische Bewegung. Doch hat die Tatsache, daß Deutschnationalismus dort erzielt, wo er auf die Form der konnte. Agenten des deutschen Imperialismus mit aller Energie das Organisation oder Kampagne gänzlich verzichtete und eine österreichische Volk bearbeiteten, auf den verschiedensten unpolitische, rein nationale weltanschauliche oder Gebieten sichtbare Wirkungen gezeitigt. So gelang es den Propaganda zugunsten Deutschla.nds betrieb. So scheinbar Deutschnationalen, den uralten, in Österreich längst begrabenen die in Deutschland gebräuchliche Glorifizierung be­ kulturelle Zwist zwischen Katholiken und Protestanten neu zu beleben. Führerpersönlichkeiten mit Geschick nach Österreich wurde Schönerer initiierte die Los-von-Rom-Kampagne, um den ·erpflanzt. Daß bei uns ein veritabler Kult Richard Wagners .. stimmter künftigen Anschluß Österreichs an das protestantische Preußen und Bismarcks entstand, war auch, wenn schon nicht ausschließ­ zu erleichtern.* Es war nur eine seiner kleineren Kampagnen. lich, ein Ergebnis deutschnationaler Werbetätigkeit. Soweit die Im Jahresdurchschnitt brachte sie vier-, fünftausend Personen ·Bismarck-Schwärmerei in Frage steht, bedarf dies keines Nach­ dazu, aus der katholischen Kirche aus- und zur· evangelischen Minder einfach ist die Sache, soweit Wagner in Betracht :ommt. Wagner nimmt in der Musikgeschichte eine so eminente * Vgl. das im Anhang, Noten, angegebeneBuchvonR.Vrba: ,,Österreichs ;weises. Bedränger", 1903, das den Untertitel führt: ,,Die Los-von-Rom-Bewegung". * A. R. v. Wotawa, ,,Der Deutsche Schulverein 1880-1905", 1905.

Fuchs, Geistige Strömungen 194 Deutschnationalismus chnationale Kultureinflüsse 195 Stellung ein, daß es nur natürlich war, wenn ihm in Österreich .ungen. Sie waren mitschuldig daran, daß die kitschigen Aufmerksamkeit gezollt wurde. In dem Kampf, den die „Neue .ne von Felix Dahn, Rudolf Herzog, Walter Bloem Öster­ Freie Presse" und andere Blätter gegen ihn führten, spielten überschwemmten. Selbstverständlich wurden sie bei ihrer Gehässigkeit und doktrinäre Beschränktheit mit. Er hatte ten kulturellen und Weltanschauungspropaganda von dem Feinde auch unter den Deutschnationalen. So ließen Wilhebn :nhaften publizistischen ·Apparat des „Reiches" unterstützt. Scherer und seine Schule kein gutes Haar an ihm. Anderseits deutsche Kitsch regte viele österreichischeAutoren zur Nach­ sind seine Opernbücher und seine ästhetischen Schriften über­ ung an - kein Wunder angesichts der Tatsache, daß für voll von Keimen der neudeutschen Barbarei. Manche seiner .echte chauvinistische Sachen ein Markt von sechzig Millionen Gegner, z. B. der feine kritische Kopf Hanslick, wurden in sehen offenstand, während gute Bücher mit österreichischer der Polemik außer von einem anfechtbaren musikalischen ·bung jenseits der Grenze kaum beachtet wurden. Zwar kam nie Konservativismus zweifellos von gesundem österreichischem .e österreichische Literatur zustande, die ausgesprochenen Empfinden geleitet. Nach Wagners Tod wurde Bayreuth vollends tscbnationalen Parteicharakter getragen hätte, doch wurden zu einer ideologischen Zentrale des deutschen Imperialismus. .mengen von Romanen, Theaterstücken, Gedichten geschrieben, Dafür sorgte schon allein Wagners Schwiegersohn Chamberlain, ·�die allgemeinen Ideen des Deutschnationalismus ausdrückten. der spätere Mentor Adolf Hitlers.15 Die Verbreitung, die Cham­ ir verweisen bloß auf die Produktion von Hans Hopfen, berlains Bücher, voran die „Grundlagen des 19. Jahrhunderts", 1 Hans Strobl, Hans Watzlik, Walter von Molo, Hugo in unserem Land fanden, war zum Teil gleichfalls ein Ergebnis inz, Rudolf Haas, Guido Glück. Es gab also zahllose Wege, der Bemühungen der österreichischen Deutschnationalen. ,uf denen die deutschnationale Ideologie in das Geistesleben Chamberlain und Langbehn10 förderten die „deutsche" Welt­ sterreichseindrang. Nimmt man die Fülle der Veranstaltungen anschauung vielleicht noch nachdrücklicher, als Wagner­ mittels derer die anderen politischen Parteien die milderen Kommerse und Bismarck-Feiern es taten. Nietzsche, in dem 1Fonnen der Deutschtümelei in die Volksmassen trugen, dann Maß, als er bekannt wurde, förderte sie auch, obwohl er nicht inzu,:winnt man einen Begriff von dem geistigen Druck, dem die das Deutschtum verherrlichte. Es genügte, daß er dem Macht­ ,terreichischeTradition und Denkweise ausgesetzt waren. Der wahn eine philosophische Hülle lieferte. "deutscheMonop olkapitalismus hätte die Österreicher nie dorthin Die deutsche oder „arische" Weltanschauung war um 1900 gebracht, wo er sie haben wollte, wären ihm bloß die politischen in Österreich geradezu Mode: Sie wurde häufig selbst von Juden Gruppen der Schönerer, Wolf, Steinwender zu Diensten ge­ akzeptiert, und zwar einschließlich des Antisemitismus. Otto den. Erst die raffinierte Kombination der politischen mit Weiningers Werk „Geschlecht und Charakter" ist das auffälligste, kulturellen, der offenen mit der getarnten Propaganda gab aber durchaus nicht das einzige Zeugnis dieser Perversion. die Möglichkeit, hunderttausende Österreicher zu bewußten Wußten die Deutschnationalen durch philosophische Bücher der unbewußten Imperialisten zu machen. Die verhängnis­ wie die von Chamberlain und Langbehn an intellektuelle Kreise Uen Tendenzen, die uns am Ende des francisco-josephinischen heranzukommen, so waren sie erst recht am Werk, das Publikum :italters.er in manchen Volksschichten begegnen: die Mißachtung der populären Literatur mit ihrem Zeug zu versorgen. Sie Demokratie, der rassische Antisemitismus, der Haß gegen machten jede erdenkliche Reklame für Schriften, durch die � Slawentum - sie sind nicht von selber entstanden, sondern die Jugend chauvinistisch zu infizieren war - für Geschichten lurch Mißbrauch sämtlicher Methoden der modernen Volks­ von deutschen Erfindern und Entdeckern, für die großdeutsche iehung künstlich geschaffen worden. Vieles von diesen Ten­ Knabenzeitschrift „Der gute Kamerad", für Karl Mays Reise- n hat den Umsturz von 1918 und die Jahre der Republik 196 Deu.tschnationalismiis

überdauert und nach 1930 den Aufstieg des Faschismus be­ günstigt. Vieles ist bis auf den heutigen Tag lebendig. Die in den letzten Jahrzehnten der Monarchie begründete antiöster­ reichische Tradition des Deutschnationalismus zu beseitigen, ist eine große Aufgabe, aber keine unlösbare, eben weil es sich nicht darum handelt, eine natürliche Entwicklung abzuschneiden, sondern eine forcierte und provozierte Entwicklung rückgängig IDEALISTISCHE PHILOSOPHIE zu machen.

... Von allen Gegensätzen, welche die Geschichte der neueren ilosophie durchziehen, ist der zwischen Idealismus und Mate- '.alismus der bedeutsamste. Seit dem r7. Jahrhundert sind die .terialisten bemüht, eine Erkenntnistheorie auszubilden, die it den Einsichten der modernenNaturwissenschaft harmoniert; ·.e Idealisten arbeiten, mag es ihnen bewußt sein oder nicht, ·an einer Theorie, die bei Anpassung an die naturwissenschaft­ Betrachtungsart auch der religiösen Spielraum läßt. Materialistisch sind die Lehren der Enzyklopädisten Holbach, Lamettrie,iche Diderot, die in Deutschland von Feuerbach und dann Marx und Engels fortgesetzt wurden. Repräsentative idealistische- Systeme rühren her von Berkeley, von Comte, von,n den deutschen „klassischen" Philosophen Fichte, Schelling, Schopenhauer. Eine mittlere Linie zwischen den Extre­ suchten Hume und Kant zu finden. Im letzten Halbjahr­ Hegel,hundert ist die Führung der materialistischen Doktrin auf die menmarxistischen Denker Rußlands (Plechanow, Lenin, Stalin) tibergegangen. Die idealistische Richtung hat sich in zahllose Sonderschulen gespalten. Eine davon, eine Schule, die inter­ nationalen Einfluß erlangte, hatte ihren Ursprung in Österreich. ist mit dem Namen Ernst Mach verknüpft. Bevor wir die Lehre Machs, seiner Anhänger und seiner ... Sie darstellen, wollen wir die Meinungsverschiedenheit, wie der alten Diskussion zwischen Materialisten und Idealisten Gegner.ervortritt, in wenigen Worten klarzulegen suchen. Die ·.ein Auffassung besteht wesentlich darin, daß die Existenz · er vom menschlichen Bewußtsein unabhängigen Außenweltmate­ ialistische.genommen wird. Die Welt war da, lange bevor denkende 1 die Erde bevölkerten. Sie ist, was sie ist, ohne Rücksicht wie wir sie uns vorstellen. Alle wissenschaftlichen Wesen darauf, 200 Idealistische Philosophie ·ialismus und Idealismus 201

Bestrebungen haben den Zweck, uns eine adäquate Vorstellung die Sinneseindrücke erzeugen, nicht annehmen darf. Weiter: der Wirklichkeit zu vermitteln. Wir sprechen von Erkenntnis, Erkenntnis der Geologie, daß die Erde um Millionen Jahre wenn sich in unserem Bewußtsein ein Stückchen Wirklichkeit ist als das Menschengeschlecht, muß offenbar falsch sein. richtig abbildet, von Irrtum, wenn Wirklichkeit und Abbild „seiri" gleich ist „wahrgenommen werden", dann ist es differieren. Kurz: Der Materialismus ist die Erkenntnistheorie, :kter Widersinn, zu behaupten, daß die Erde existierte, von der jeder Naturforscher, was immer seine philosophischen ,r Menschen existierten, sie wahrzunehmen. Schließlich: Überzeugungen seien, sich praktisch leiten läßt; zugleich ist Idealist wird notwendig zu der Ansicht gedrängt, daß er, er die Theorie, die der einfache Mensch im Alltag seinen Hand­ , das denkende, philosophierende Subjekt, nicht das Glied lungen zugrunde legt. .er Gemeinschaft gleichartiger Wesen, sondern vielmehr das Für die idealistische Auffassung ist es charakteristisch, daß mit Bewußtsein ausgestattete Wesen in der Welt ist. sie sich sehr weit von den Denkgewohnheiten des einfachen ur Sinneseindrücke und psychologische Selbstbeobachtung Menschen entfernt, ja es als ihr Hauptziel hinstellt, diese Ge­ ,ige Quelle der Erkenntnis sein. Niemals kann XY vom Be­ wohnheiten zu korrigieren. Unsere angebliche Kenntnis der tsein des Z einen Sinneseindruck haben. Durch Selbst­ Außenwelt - erklärt sie - rührt aus der Erfahrung her. .en,bachtung kann er des fremden Ichs schon gar nicht habhaft hören die Uhr schlagen, sehen und tasten das Buch, das wir in 'den. Das Bewußtsein des Z gleicht dauernd einem Zimmer, der Hand halten. Genauer: So scheint es zu sein. UntWirer.­ en Tür vor XY versperrt ist. Wie ein solches Zimmer für suchen wir aber den Inhalt der Erfahrung näher, so stellt sich Idealisten nicht existiert, so auch das fremde Ich, sämtliche heraus, daß sie uns nur Empfindungen (Sinneseindrücke) de Iche. Der Idealismus mündet in die tolle Vorstellung, liefert. Sie sagt uns nichts über „Dinge", die „hinter" den nur der Denkende existiert, mündet in den „Solipsismus". Empfindungen stehen und sie hervorbringen. Daß solche Dinge Wer die Geschichte der Philosophie studiert, stößt nur auf vorhanden sind, das legen wir erst in die Erfahrung hinein. z wenige Denker, die sich bis zum Solipsismus vorgewagt Wir begeben uns damit auf das Gebiet der Metaphysik, d. h. .ben. Wir können das verstehen. Es ist eine etwas kompro­ fällen ein Urteil, das die Grenzen des möglichen Wissens über­ mittierende Anschauung. Überhaupt empfinden die Idealisten steigt. Der Philosoph muß die Verdoppelung der Welt aus­ ·.e Absurditäten, die aus ihrer Voraussetzung erfließen, als schalten, die mit der Annahme von die Empfindungen ver­ erlegenheit. Die meisten von ihnen sind deshalb bemüht, zu ursachenden Dingen begangen wird. daß die unnatürlichen Ergebnisse der idealistischen Das klingt gewiß sonderbar, im ersten Moment aber auch Betrachtungsart vermieden werden können. Aus solchem Be­ harmlos. Denn was für einen Unterschied soll es ausmachen,. leigen, ist zum Beispiel Kants Lehre vom „Ding an sich" hervor­ ob ich von einem „Buch" spreche oder von der „Gesichts- und gangen. Kant ist echter Idealist insofern, als er sagt: Die Tastempfindung ,Buch' " ? In Wahrheit ist der Unterschied mühen,inne spiegeln uns ein Trugbild der Welt vor. Doch bezieht er .. gewaltig. Die materialistischen Schriftsteller weisen eindringlich .vermittelt den materialistischen Standpunkt, indem er die monströsen Konsequenzen nach, die sich aus dem idealisti­ hinzufügt: Das Trugbild muß durch irgendwelche Dinge ver- schen Standpunkt ergeben. Zunächst folgt aus diesem Stand­ sacht sein. Wie die Dinge „an sich" sind, wissen wir nicht; punkt, daß das Zimmer, in dem ich eben noch arbeitend gesessen :ß sie sind, vermögen wir einzusehen. Kaum nötig, zu erwähnen, bin, verschwindet, wenn ich hinausgehe und die Tür hinter mir dies eine höchst inkonsequente Theorie ist. Sie hat auch von schließe. Ich habe nun keinen Sinneseindruck mehr von dem istischen Philosophen der verschiedensten Spielarten, selbst Zimmer, und es wurde gesagt, daß ich den Bestand von Dingen, ,n Kantianern, Ablehnung erfahren. 202

Es mag merkwürdig erscheinen, daß der Idealismus sich mstIm Machs Jahre Empirio-Kritizismus1898 erlitt Mach einen Schlaganfall, der ihn zwang,203 durch Jahrhunderte am Leben erhalten hat, trotz den Künst­ · Lehramt niederzulegen, doch setzte er seine wissenschaft­ lichkeiten, mit denen er operiert, trotz den unendlichen Schwie­ e Tätigkeit fort. Sein wohl meistgelesenes Werk „Erkenntnis rigkeiten, die sich aus ihm ergeben. Seine Lebenskraft beruht d Irrtum" erschien zuerst 1905. nicht auf seinem wissenschaftlichen Wert. Sie ist vielmehr in Die von Mach initiierte Richtung ist unter dem Namen sozialen Umständen begründet, ist darin begründet, daß er ,Empirio-Kritizismus" in die Geschichte der Philosophie einge­ iJililler wieder in den Wechselfällen der abendländischen Ge­ gen. Als Schöpfer des Empirio-Kritizismus wird neben schichte einflußreichen Klassen als nützliche und insofernrichtige .ach stets auch sein Freund, der Züricher Professor Richard Philosophie erschien. Zu verschiedenen Zeiten waren es recht .venarius (1843-96), angeführt. Zahlreiche Autoren in ver­ verschiedene Klasseninteressen, die durch ihn gedeckt wurden. Ländern akzeptierten Machs Anschauungen, suchten Welche Funktion er in der Gegenwart ausübt, davon wird weiter auszugestalten und zu popularisieren. Zu nennen wären später gesprochen. Hier nur so viel: Der Idealismus läßt sich echieden�nTheodor Beer, Friedrich Adler in Österreich, Hans mit der religiösen Denkweise vereinen, der Materialismus nicht. ·.e Josef Petzoldt, Rudolf Willy, Hans Kleinpeter in Ist die Welt Geist, so mag Gottes Geist in ihr walten. Bringt Deutschland,a: Karl Pearson in England. Ohne den Empirio- die Natur (Materie) den Geist hervor, so bleibt für Gott nur eine Henning,'tizismus geradezu zu übernehmen, kamen dieser Lehre un­ untergeordnete, eine ungöttliche Funktion. Deshalb ist, sejt nahe die deutschen „Immanentisten" (Wilhelm Schuppe, der Kampf zwischen der mittelalterlichen und der modernen Rehmke, Richard Schubert-Soldern). Mach selbst Weltanschauung begonnen hat, dem Idealismus von konser­ gemein als Gesinnungsverwandte auch die Franzosen vativer oder halbkonservativer Seite allerhand Begünstigung JohannesD11hem und Henri Poincare. Nach dem Weltkrieg ent­ zuteil geworden. bezeichneteder sogenannte „Wiener Kreis" (Moritz Schlick, Philipp Nach diesen einleitenden Bemerkungen wird es nicht schwer •Frank,Fierre Rudolf Carnap),der den „Verein ErnstMach" begründete. sein, Machs Theorie und die Diskussionen, die sich an sie stand Mitglieder des Wiener Kreises stimmten in den Grund­ knüpften, im Umriß zu beschreiben. mit Mach überein, andere, wie Schlick, distanzierten sich Ernst Mach (1838-1916) * wirkte als Professor der Physik Mancheihm. 1 in Graz und an der deutschen Universität in Prag, ab 1895 als fragenBesonders starken Widerhall rief der Empirio-Kritizismus Professor der Philosophie in Wien. Er schrieb: invon Rußland hervor. Unter den russischen Mach-Schülern be­ sich die Sozialdemokraten Basarow, Bogdanow, Luna­ .,Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit", tscharsky, Berman, Juschkewitsch, Valentinow. Die Tatsache, Grun ini n n 1872; ., dl en der Lehre von de Bewegungsempfindunge ", 1875; ,.Die fandendaß auf diese Art der Idealismus in die Arbeiterbewegung Mechanik in ihrer Entwicklung. Historisch kritisch dargestellt.", 1883; ,.Die 1 Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen", veranlaßte Plechanow, den ältesten russischen Inter­ 1885; .,Prinzipien der Wärmelehre", 1896; weiters viele physikalische Spezial• der marxistischen Lehre, und Lenin, den Führer der untersuchungen und etliche Lehrbücher. eindrang, sich mit dem Wiener Philosophen auseinander­ ·eten Lenin veröffentlichte 1908 das Buch „Materialismus * Vgl. H. Buzello, .,Kritische Untersuchung von Ernst Machs Erkenntnis• BolschewikEmpirioi, -Kritizismus", das die Wiener Richtung scharf theorie", 19u; H. Henning, .,Ernst Mach als Philosoph, Physiker und Psy• zusetzen. eine Analyse auch anderer zeitgenössischer Rich­ cholog", 1915; R. Wlassak, .,Ernst Mach" (Gedächtnisrede), 1917; Anton d Lampa, .,Ernst Mach", 1918; R. Bouvier, .,La Pensee d'Ernst Mach", 1923; ·en gab und die Marxisten in aller Welt auf das nachdrück­ C. B. Weinberg, ,,Mach's Empirio-Pragmatism in Physical Science", 1937. kritisierte,·.chste beeinflußte. si Machs Empirio-Kritizismus 205 204 Idealistische Philosophie

Eine summarische Darstellung muß aus der Fülle von Dok­ dem gebräuchlichen naturwissenschaftlichen Denken und trinen, die der Empirio-Kritizismus einschließt, einige wenige, dem gesunden Menschenverstand. Das Kompromiß, zu er sich entschloß, sah so besonders wichtige auswählen. Die wichtigsten sind unzweifel­ aus, daß er, ohne den Idealismus haft: a) die idealistische These, b) die sogenannte Elementen­ ,zuschalten, in seine Theorie den widerspruchsvollen, halb Lehre, c) die Lehre von der Denk-Ökonomie. 'stischen, halb materialistischen Begriff der Weltelemente Zu a): Der idealistische Gedanke durchzieht Machs gesamtes .fnahrn. Dadurch wurde jene Selbsttäuschung möglich. Lebenswerk. Er sprach im Alter einmal von der „idealistischen .,Alle Wissenschaft kann nur Komplexe von jenen Elementen nach­ Jugendphase seines Denkens", die längst hinter ihm liege.• en und vorbilden, die wir gewöhnlich Empfindungen nennen. Es handelt um den Zusammenhang dieser Elemente .. . Der Zusammenhang von A Das war eine Selbsttäuschung. Wirklichkeit wurde er den tze) und B (Flamme) gehört der Physik, jener von A und N (Nerven) Auffassungen, die er am Beginn seiner Laufbahn vertreten hatte, Physiologie an. Keiner ist allein vorhanden, beide sind zugleich da. Nur nie ganz untreu. einer ArbeitIn von 1872 sagte er: '.tweilig können wir von dem einen oder andern absehen. Selbst die schein­ rein mechanischen Vorgänge sind also stets auch physiologisch . . . "* .,Die Aufgabe der InWissenschaft kann nur sein: .,Wo in dem Folgenden neben oder für die Ausdrücke ,Element', ,Elemen­ I. die Gesetze der Verbindung der Vorstellungen zu bestimmen (Psychologie); :omplex' die Bezeichnungen ,Empfindung', ,Empfindungskomplex' ge- 2. die Gesetze der Verbindung der Empfindungen zu entdecken (Physik); ,ucht werden, muß man gegenwärtig halten, daß die Elemente nur in der be­ 3. die Gesetze der Verbindung zwischen Empfindungen und Vorstellungen ',chneten Verbindung (nämlich in der Verbindung von ,Komplexen, die wir zu erklären (Psychophysik)."** ·öhnlich Körper nennen', mit ,dem Komplex, den wir unseren Beziehung, in der bezeichnetenfunktionalenA bhängigkeit Klarer konnte man nicht sprechen. Aber auch ein Menschen­ sind in anderer funktionaler Beziehung zugleich alter später drückte er sich unzweideutig aus: ,,Eine Farbe ist ein physikalisches Objekt, wenn wir z.B. der Lichtquelle untersuchen ...Wenn wir hingegen ihre Abhängigkeit „Während es keiner Schwierigkeit unterliegt, jedes physische Erlebnis :etzhaut.. .betrachten, ist sie ein psychologisches Objekt, eine Empfin- aus Empfindungen, also psychischen Elementen aufzubauen, ist keine Möglich­ ·H••• keit abzusehen, wie man aus den in der heutigen Physik gebräuchlichen Elemen­ All das mag recht dunkel erscheinen. Es wird aber durch­ ten: Maßen und Bewegungen (in ihrer für diese Spezialwissenschaft allein dien­ lichen Starrheit) irgendein psychisches Erlebnis darstellen könnte." :htig, wenn man den Kommentar ließt, den Lenin dazu ge­ :ben hat. In seinem kritischen Werk heißt es: Mit Recht urteilt Friedrich Jodl über diesen, in „Erkenntnis ,.Also besteht die Entdeckung der Weltelemente in folgendem: und Irrtum" (3. Aufl., S. 13) vorkommenden Satz, daß er 1) Alles Seiende wird für Empfindung erklärt. Idealismus reinsten Wassers sei.*** 2) Die Empfindungen werden Elemente genannt. 3) Die Elemente werden in Physisches und Psychisches eingeteilt. Das Zu b): Die Elementen-Lehre war von den Achtzigerjahren :ztere ist von den Nerven des Menschen, vom menschlichen Organismus an das Zentrum des empirio-kritischen Systems. Wie viele ·haupt, abhängig. Das erstere aber nicht. Idealisten, war Mach durch die unsinnigen Folgesätze seiner 4) Die physischen und psychischen Elementenzusammenhänge werden Grundanschauung beunruhigt. Er suchte nach einem Ausgleich nicht unabhängig voneinander existierend erklärt; sie existieren nur im ,mmenhang. * .,Erkenntnis und Irrtum", 3. Aufl., S. 14. 5) Man kann von dem einen oder anderen Zusammenhang nur zeitweilig ** ,.Die Geschichte und die Wurzel des Satzes von der Erhaltung der ,hen. Arbeit", 1872, S. 57f. • ,.Die Mechanik etc.", 4. Aufl., S. 543. *** Vgl. Jodls Rezension über „Erkenntnis und Irrtum", die zuerst in der •• ,.Die Analyse der Empfindungen etc.", 5. Aufl. S. 1901, .,Neuen Freien Presse" erschien und in der 3. Auflage des Machschen Werkes, ••• Ebenda, S. 14. S. 464ff., abgedruckt ist. 1906, 13. Idealistische Philosophid Machs Empirio�Kritizismus

2066) Die ,neue' Theorie wird für eine Theorie erklärt, die nicht einseitig ist. . Merken wir uns aber die Brechungsexponenten für die vorkommenden207 Hier haben wir es allerdings nicht mit Einseitigkeit zu tun, sondern Ill)t ·e von Medien und das bekannte Sinusgesetz, so können wir jeden beliebigen dem zusammenhanglosesten Durcheinander entgegengesetzter philosophischer der Brechung ohne Schwierigkeit in Gedanken nachbilden oder ergänzen. Standpunkte. Da ihr nur von den Empfindungen ausgeht, so werdet ihr mit Vorteil besteht in der Entlastung des Gedächtnisses, welche noch durch dem Wörtchen ,Element' die Einseitigkeit eures Idealismus nicht korrigieren. schriftliche Aufbewahrung d€:r Konstanten unterstützt wird."* Ganz all­ Ihr verwirrt nur die Sache, ihr versteckt euch feige vor eurer eigenen Theorie. :in kann die Wissenschaft „als eine Minimumaufgabe angesehen werden, In Worten beseitigt ihr den Gegensatz zwischen Physischem und Psychischem, darin besteht, möglichst vollständig die Tatsachen mit dem geringsten zwischen Materialismus (der Natur, Materie für das Ursprüngliche hält) und kenaufwand darzustellen."** ,.Den sparsamsten, einfachsten begriff­ Idealismus (der Geist, Bewußtsein, Empfindung für das Ursprüngliche hält), Ausdruck der Tatsachen erkennt sie als ihr Ziel."*** in Wirklichkeit aber stellt ihr diesen Gegensatz sofort von neuem wieder her, und zwar heimlich, indem ihr von eurer Grundvoraussetzung abrückt! Denn Wenn man diese und ähnliche Ausführungen bei Mach liest, wenn die Elemente ,Empfindungen' sind, dann dürft ihr keinen Augenblick :kt einen zunächst eine gewisse Verwunderung. Es scheint, die Existenz der Elemente unabhängig von meinen Nerven, meinem Bewußtsein der berühmte Gelehrte hier mit Aplomb höchst einfache, annehmen. Nehmt ihr aber einmal solche, von meinen Nerven, von meinen man kann sagen banale Ideen entwickelt. Allerdings: Eine Empfindungen unabhängige, physische Objekte an, die die Empfindung nur durch Einwirkung auf meine Netzhaut erzeugen, so verlaßt ihr schmählich .tiplikation läßt sich schneller vollziehen als die Summe der euren ,einseitigen' Idealismus, um zu dem Standpunkt des ,einseitigen' Mate­ ·.tionen, durch die sie ersetzt werden könnte; ein physikali- rialismus überzugehen!"• .es Gesetz läßt sich leichter im Gedächtnis behalten als die Zu c): Die Lehre von der Denk-Ökonomie ist die bekannteste ltatsachen, von denen es abgenommen ist. Sehr wahr - unter den Machschen Theorien. Nicht nur hat die philosophische ist es eine hervorragende Leistung, so etwas festzustellen? Literatur sie eingehend erörtert, sie ist weit über die Kreise näherer Überlegung ergibt sich freilich, daß Mach mit der onr1mielehre doch mehr und überhaupt etwas anderes sagen der Fachleute hinausgedrungen. Auf die kürzeste Formel redu­ . : ziert, besagt sie, daß wissenschaftliche Sätze die Funktion haben, .., als im ersten Augenblick vermutet werden kann. Man muß uns Denkarbeit zu ersparen. In dieser Hinsicht sind die Sätze :nken: er ist Idealist. Das bedeutet, daß für ihn die vom der verschiedenen Spezialgebiete einander sehr ähnlich. .terialistischen Standpunkt selbstverständliche Definition des ,wahren" Satzes als des „mit der Wirklichkeit übereinstim­ „ So sonderbar es klingen mag, die Stärke der Mathematik beruht auf der Vermeidung aller unnötigen Gedanken, auf der größten Sparsamkeit der den" Satzes nicht gilt; von Wirklichkeit zu sprechen, ist Denkoperationen ... Man wird keinen Widerspruch erheben, wenn wir sagen, ,,Metaphysik". Und nun soll offenbar durch den Ökonomie- die elementarste wie die höchste Mathematik sei ökonomisch geordnete, für den ·_ff der Wahrheitsbegriff neu bestimmt werden. Daß ein Gebrauch bereitliegende Zählerfahrung."** ,tz wahr ist, soll soviel bedeuten wie daß er Denkarbeit er­ Ebenso ist „die Physik ökonomisch geordnete Erfahrung . .. Die Physik teilt mit der Mathematik die zusammenfassende Beschreibung, die kurze, . Danach ist die Ökonomielehre ganz und gar nicht banal, kompendiöse, doch jede Verwechslung ausschließende Bezeichnung der .dem im Gegenteil paradox. Eine Nebenqualität der Erkennt­ Begriffe, deren mancher wieder viele andere enthält, ohne daß unser Kopf wird durch sie zur Hauptqualität, zum konstituierenden dadurch belästigt erscheint. Jeden Augenblick aber kann der reiche Inhalt 'kmal gemacht. Wer es unglaubhaft findet, daß Mach sich hervorgeholt und bis zu voller sinnlicher Klarheit entwickelt werden."••• weit verirrt haben könnte, der ziehe in Betracht, daß der , ,Die verschiedenen Fälle der Lichtbrechung könnte kein Gedächtnis ·smus notwendig zu einer paradoxen Wahrheitsdefinition • W. I. Lenin, ,.Materialismus und Empirie-Kritizismus", 1909, Sämtliche ; daß Avenarius, der Mitbegründer der Ökonomielehre, Werke, XIII. Bd., S. 36/37. ** E. Mach, ,.Populär-wissenschaftliche Vorlesungen", 5. erw. Aufl. 1923, S.226. •• ,.Die Mechanik etc.", 4. Aufl. 1901, S. 519. ••• Ebenda, S. 228. ••• .,Populär-wissenschaftliche Vorlesungen", S. 238. 208 Idealistische Philosop S1,hüler Machs: Beer und Adler 209

den Begriff der Materie eliminieren zu können glaubt im Hin Kraft den Kampf gegen diese Geistesrichtung aufgenommen. blick auf die Ersparung an Denkarbeit, die hiedurch erziel· eh soll die Schädlichkeit der Machschen Philosophie nicht wird,* daß auch Mach die Ökonomielehre in klarem logische Anlaß sein, den Mann und seine Lebensarbeit in Bausch Zusammenhang mit der idealistischen Doktrin vorträgt. Leni Bog�n zu verurteilen. Ei; war ein sozial denkender Mensch. hatte guten Grund, die Darlegungen Machs in dem angegebenen politische Gesinnung war die kleinbürgerlich-radikale, Sinn zu interpretieren, er hatte guten Grund, die Empirio­ keineswegs die schlechteste, die im alten Österreich Ver­ Kritizisten darauf aufmerksam zu machen, daß das mensch-· .tung hatte. Für die Arbeiterbewegung, deren Theorie ihm liehe Denken nur dann Arbeit erspart, wenn es die objektive .dblieb, empfand er lebhafte Sympathie. Der Sitz im Herren­ Wahrheit richtig widerspiegelt. 2 , den er in vorgerückten Jahren erhielt, gab ihm wiederholt Die Polemik, die Lenin gegen Mach richtete, war überaus ·enheit, diese Einstellung durch die Tat zu erweisen.' Als energisch. Sie verband Folgerichtigkeit der Argumente mit :nschaftshistoriker und Naturforscher genoß er berechtigtes Schonungslosigkeit des Ausdrucks, und sie schlug den Empirio­ .en. In seinen Büchern über Mechanik und Wärmelehre Kritizismus kurz und klein. Der Grund, warum Lenin solche die Entwicklung der beiden Disziplinen trefflich darge­ Schärfe entfaltete, ist leicht einzusehen. Mach brachte Ver­ .t. Er gehörte zu den ersten, die die Unhaltbarkeit des älteren wirrung in die intellektuellen Kreise der Arbeiterbewegung, vor Lnistischen Weltbildes und zugleich die Notwendigkeit allem der russischen. Sein Empirie-Kritizismus war dem dialekti­ Relativismus erkannten, welcher die moderne Physik be­ schen Materialismus diametral entgegengesetzt. Wer „Machist" :ht. Leider wurde er gerade durch diese Einsichten zu wurde, ging als Marxist verloren. Obwohl Mach selbst bewußter · tischen Gedankengängen verleitet - eine Wendung, die Atheist war, ebnete seine Lehre, einfach auf Grund ihres ideali­ :utlich nicht eingetreten wäre, wenn er rechtzeitig mit der stischen Charakters, den Weg für religiöse Ideen. Ihre objektive chen Dialektik Bekanntschaft gemacht hätte. Funktion „läuft ganz hinaus auf Handlangerdienste für die Wie steht es mit der Schule, die Mach heranzog? Haben Fideisten in ihrem Kampf gegen den Materialismus überhaupt zahlreichen jüngeren Philosophen, denen er Anregungen gab, und gegen den historischen Materialismus insbesondere".** Theorien in bemerkenswerter Weise fortgebildet? Das kann Weiters förderte der Empirie-Kritizismus die Neigung zur behauptet werden. Die Petzoldt, Kleinpeter und wie sie Apathie und Passivität, die von der Arbeiterbewegung immer heißen, sind weder originelle noch sonst sehr eindrucksvolle aufs neue überwunden werden muß. Jede idealistische Philo­ :oren. Wenn ihre Schriften von Interesse sind, dann haupt­ sophie tendiert dazu, Passivität zu erzeugen. Ist die Welt nichts ich deshalb, weil sie den idealistischen Zug im Empirio- als meine Vorstellung, dann schrumpft die Bedeutung des izismus viel deutlicher hervortreten lassen, als es die Werke Lebenskampfes, des Klassenkampfes zu einem Nichts zusammen. Meisters tun. Wir wollen das am Beispiel zweier österreichi­ Den Schein der Gesellschaftsordnung, der heute besteht, durch Mach-Schüler demonstrieren. ... irgendwelchen anderen Schein zu ersetzen, kann nicht sehr Theodor Beer6 schildert in dem Büchlein „Die Weltan­ wichtig sein. 3 Kurz: Der Empirie-Kritizismus war vom Stand­ .uung eines Naturforschers" (1903) mit überschwänglichen punkt der Arbeiterbewegung gesehen eine Gefahr. Die Bolsche­ en Machs Persönlichkeit und Doktrin. Wenn man ihm wiki wären nicht die Bolschewiki gewesen, hätten sie nicht mit .ben dürfte, wäre der Empirie-Kritizismus ein unvergäng­ Markstein in der Geschichte menschlichen Denkens. In Mittelpunkt des Buches stellt er die Elementenlehre. In * R. Avenarius, .,Philosophie als Denken der ·welt gemäß dem Prinzip Interpretation sieht sie folgendermaßen aus: des kleinsten Kraftmaßes", 1876, S. 30, 51ff. ** W. I. Lenin, a, a. 0., S. 367. Kritiker des IdeaUsmus: Boltzmann und odl 210 · J 211 „Was wir Ding, Körper, Materie nennen, ist nichts außer dem Zusamm Was die Relation Empiriokritizismus-Marxismus anlangt, hang der Farben, Töne, Düfte, Wärmen etc., nichts außer jenen Merkmal, 'nt Adler, daß Mach für die Erkenntnis der Natur dasselbe unseren Empfindungen."* .,Wie wir noch immer im Bilde und sogar in Wir: lichkeit vom Aufgehen der Sonne sprechen, sie unzweifelhaft aufgehen se .bracht habe wie Marx und Engels für die Erkenntnis der wiewohl wir seit Jahrhunderten lernen, wissen und lehren, daß die Erde aufgeh! schaft.* Einmal nimmt er einen Anlauf zu dem Nach- so hielt uralte Gewohnheit äen Gedanken eines tastbaren Kerns der Dinge .. , daß Engels eigentlich Empirio-Kritizist gewesen sei.** fest, auch nachdem sich längst die Erkenntnis Bahn gebrochen hatte, aber scheint er dieser Entdeckung doch nicht froh zu Sehen, Hören, Riechen und auch Tasten durchaus verwandt sind. Info!, en und erhebt gegen den Verfasser des „Anti-Dühring" der mächtigen Entwicklung der mechanischen Physik wurde dem Räumliche1 . und Zeitlichen eine Art höherer Realität gegenüber den Farben, Tönen, Düfte1 Vorwurf, er sei in die Anfangsgründe der Erkenntnistheorie zugeschrieben. Nun legt aber die Physiologie der Sinne klar, da ß Räu .t eingedrungen. Er habe nicht gewußt, was Erfahrung ist.*** und Zeiten ebensogut Empfindungen genannt werden können als Farben u .er klärt uns über das Wesen der Erfahrung auf: Töne; die Welt ist dann nichts anderes als die Gesamtheit ablaufender Em d e fin ungs-Komplex ." ** ,,Die Schwierigkeiten, mit denen Enge ls kämpft, sieht man bei seinen ungen über das Verhältnis von Denken und Sein. Wenn er ... von Wenn das so ist, hätte Mach sich die Mühe, den Be griffen als den ,Abbildern der wirklichen Dinge' und auch von dem ,gelbilde' der Wirklichkeit in den Köpfen der Menschen spricht, so schließt ,,Element" einzuführen, ruhig ersparen können. ein Mißverständnis nicht aus. Denken kann der Mensch natürlich nur Friedrich Adler gibt in einer Schrift, die er währe�d das, was früher seine Erfahrung gewesen ist ... Das ,Spiegelbild' im Kopf seiner Strafhaft in Stein a. d. Donau verfaßte,*** nicht nur einen Menschen ist nicht die Spiegelung von etwas, mit dem er bisher nichts Überblick über die Machsche Lehre, sondern versucht zugleich tun hatte, sondern die Widerspiegelung (Erinnerung) seiner früheren Emp­ u:>.gen d e h das Verhältnis des Empirio-Kritizismus zum Marxismus zu un G fü le."t präzisieren. Es war eine mutige (obgleich sehr anfechtbare) Tat, Adlers Arbeit über Mach ist ein Dokument des schlimmsten die ihm die Gefängnisstrafe eingetragen hatte. Die Courage ver­ arrs. Sie gereicht dem Austro-Marxismus nicht zur Ehre. ließ ihn auch nicht gegenüber den Paradoxen des Idealis­ Es hätte um das philosophische Denken in unserem Land mus: 1 bestellt sein müssen, wäre dem Empirio-Kritizismus nur russischer und nicht auch von österreichischer Seite die ,.Die beiden Ausdrücke: ,das Blatt ist grün' und ,das Ich hat die Empfin­ .tige Anschauung entgegengehalten worden. Zwei der her­ dung grün' reduzieren sich bei genauerer Betrachtung auf den einen Tatbestand: ·agendsten Gelehrten, die die Wiener Universität in den Es tritt in verschiedenen ,Ichs' die Empfindung grün wiederholt auf. Wenn kriegsjahren besaß, Boltzmann und Jodl, unternahmen eine , Ich' und ,das Blatt' in Relation zueinander sind, tritt ein Grün auf. Wenn ich wegblicke, besteht die Empfindung grün nicht mehr. Ist das Blatt noch: derlegung des Empirio-Kritizismus. Genauer: eine Wider­ grün? In dem Sinn wie früher sicher nicht mehr. Wenn ich wieder hinsehe, g des Idealismus. Obwohl sie in ihren anti-idealistischen ist es wieder grün. Von dem Blatt, das niemand ansieht, wissen wir nichts. iften Mach ganz gewiß meinen oder mit-meinen, nennen Annahmen darüber, wie das nicht angesehene Blatt aussieht, können nur Intro­ ihn nicht beim Namen. Wir wissen nichts über die Ursache jektionen sein. Das Blatt ist grün, wenn ,Ich' und ,Blatt', oder allgemeiner: wenn Subjekt und Objekt in Relation miteinander stehen."t er Behutsamkeit. Vielleicht hat die Rücksicht auf Machs .enden Zustand eine Rolle gespielt. Noch in einer anderen

D We sch n he s * ., ie ltan auung ei es Naturforsc r ", 1903, S. 25. • Eb enda, S. 162f. E d ** ben a, S. 28. •• Ebenda, S. 135. Erns a e nd des e a i ria s *** ., t M chs Üb rwi ung m ch n schen Mate li mus", ••• Ebenda, S. 147. da t Eben , S. 81. t Ebenda, S. 148f. des Idealismus: Boltzmann und odl 213 212 Idealistische Philosop, · •· ritiker J Beziehung zeigen Boltzmann und Jodl die gleiche Vorsicht. s· ·.cht durch die Tatsache, daß es ein großer Naturforscher gebrauchen für ihre gemeinsame Auffassung den Termin von dem sie geltend gemacht werden. „Realismus", nicht „Materialismus". Zweifel über das, was si1 Friedrich J odl behandelt das Problem in sehr gründ­ sagen wollen, sind aber nicht möglich . Art. Seine „Kritik des Idealismus"* ist eine seiner Ludwig Boltzmann (1844-1906)* war einer der führen-, .en Leistungen, vielleicht die beste, die wir von ihm besitzen. den Physiker seiner Zeit. Er wurde mit fünfundzwanzig Jahren: läßt die bekanntesten älteren und neueren idealistischen ordentlicher Professor in Graz, später lehrte er in Wien, dann eme Revue passieren. Dem Meister der ideengeschicht­ neuerlich in Graz und in deutschen Städten. 1902 kam er wieder .en Darstellung genügen jeweils ein paar knappe Bemerkungen, nach Wien, u. zw. als Nachfolger Machs, d. h. er hielt außer eine subtile Theorie zu kennzeichnen. Auch seine kritische Vorlesungen über Physik auch solche über Philosophie. Sein yse beschränkt sich regelmäßig auf ein kurzes Räsonnement. philosophischer Standpunkt ist aus seinen „Populären Schriften" wird keiner der Gesichtspunkte, von denen aus ein Vor- zu ersehen, einem merkwürdigen Buch, das mit einer Parodie 18 gegen die idealistische These möglich ist, außer acht ge­ der „neuen" (d. i. der jetzt geltenden) Orthographie beginnt, mit . Die Betrachtung ist so vielseitig, daß das Buch nicht einer humoristischen Reisebeschreibung endet und zwischen ialuntersuchung bleibt, sondern sich zum Kompendium der diese beiden Stücke eine Reihe durchaus ernster, keineswegs :enntnistheorie ausweitet. Als solches ist es in der Universitäts­ immer populärer Abhandlungen stellt, die naturwissenschaft­ tur unübertroffen. Unter seinen wichtigsten Vorzügen muß lichen und erkenntnistheoretischen Problemen gewidmet sind. Unermüdlichkeit genannt werden, mit der es auf die Unter­ Die Polemik gegen den Idealismus ist über viele Kapitel ver­ ,tzung hi'.nweist, die auch ein äußerlich ganz religionsfremdes streut. Beispielsweise wird in einer Auseinandersetzung mit ·.f..itisches .System der religiösen Anschauung zuteil werden Wilhelm Ostwald auf die solipsistischen Konsequenzen hinge­ ,t. Wir wollen eine Stelle wiedergeben, durch welche die wiesen, denen der Idealist nicht entrinnen kann: .uptergebnisse des Buches zusammengefaßt werden. Hier ist wahrhaft abschließendes Urteil gerade über diese Seite der ,, . . . Überhaupt hat das Mißtrauen zu den aus den direkten Sinneswa.hr• e gefällt. nehmungen erst abgeleiteten zu dem dem früheren naiven Glauben entgegen­ gesetzten Extrem geführt. Nur die Sinneswahrnehmungen sind uns gegeben, „ Wir haben im ganzen und großen die Argumentation des Idealismus daher - heißt es - darf man keinen Schritt darüber hinausgehen. Aber ·blickt, wie sie historisch entstanden ist und sich entwickelt hat. Diese wäre man konsequent, so müßte man weiter fragen: sind uns auch unsere mentation wird von sehr vielen für unwiderlegbar gehalten; sie erscheint gestrigen Sinneswahrnehmungen gegeben? Unmittelbar gegeben ist uns jedoch die selbstverständliche Voraussetzung einer philosophischen Weltbetrach­ nur die eine Sinneswahrnehmung oder der eine Gedanke, den wir jetzt im ; als ein in der Gegenwart keines weiteren Beweises bedürftiges Theorem, Moment denken. Wäre man konsequent, so müßte man nicht nur alle anderen welchem die Beseitigung des ,Materialismus' von selbst gegeben ist. Die Hilf­ Wesen außer dem eigenen Ich, sondern sogar alle Vorstellungen, die man zu :keit, mit welcher ein großer Teil der neueren Philosophie diesen Theorien .. früheren Zeiten hatte, leugnen."** übersteht, welche man skeptisch nennen muß, obwohl sie sämtlich als Theo­ zur Sicherung und Begründung wahrer Erkenntnis auftreten, wäre erstaun- An anderen Stellen (S. 168 f., 176 f.) ist noch eine Anzahl ja kaum begreiflich, wenn nicht die ganze geistige Haltung des plato­ nden Idealismus den Gedanken nahelegte, daß sie eine freiwillige ist. weiterer Argumente zu finden. Sie bekommen alle erhöhtes will die Gegenseite zu jener Argumentation nicht sehen, weil dadurch Reinheit des idealistischen Weltbildes getrübt und gewisse Konstruktionen * Vgl. den Aufsatz von G. Jäger in „Neue österr. Biographie", r. Abt., ,glich gemacht werden könnten; weil man Erkenntniskritik hauptsächlich 2. Band, 1925, S. II7-37. ** ,.Populäre Schriften", 1905, S. 132. • Erschienen 1920, nach dem Tod des Verfassers. 214 Brentano und seine Lehre

zu dem Zweck betreibt, das Wissen - nach guten Kantschen Mustern - au 1itel an die Betrachtung des Empirio-Kritizismus em1ge215 zubauen, um zum Glauben Platz zu bekommen. Da der Bau des modern, .erkungen über die Philosophie Brentanos angereiht werden. Wissens viel zu mächtig und weitverzweigt ist, um so ohne weiteres fortgeschafft, Franz Brentano* (1838-1917) stammte aus der in der werden zu können; da dies nicht einmal die Kirche mit ihren außerordentlichen Machtmitteln und ihrer nie rastenden agitatorischen Regsamkeit fertiggebracht .tschen Geistesgeschichte berühmten Familie dieses Namens. hat; da eine offene Erklärung gegen das Wissen auch äußerst w'!nig wissen­ seinen Verwandten gehörten der romantische Dichter Clemens schaftlich, vielmehr höchst reaktionär klingt - so läßt man die ganze Wissen• Goethes Freundin Bettina Brentano. Der Nationalökonom schaft ruhig am Platze, um sie dafür mit philosophischen Methoden desto besser 1jo Brentano war sein Bruder. Franz Brentano verbrachte zu verdächtigen, ihre Erkenntnisgrundlage zu unterwühlen, sie als eine bloße Scheinwissenschaft, d. h. als eine Wissenschaft von Erscheinungen für jedes .e Kindheit und frühe Jugend in Bayern,studierte Philosophie tiefere geistige Bedürfnis herabzusetzen."* katholische Theologie und wurde Philosophieprofessor in zburg. Im Infallibilitätsstreit, der Ende der Sechzigerjahre Wir haben im Empirio-Kritizismus ein idealistisches System Gemüter erhitzte, verfocht er den antipäpstlichen Stand­ kennengelernt, das sich mehr oder minder direkt von Berkeley . Die Beschlüsse des Vatikanischen Konzils veranlaßten herleitet. Berkeley war es, der am Beginn des naturwissen­ , aus dem geistlichen Stand auszutreten; er verzichtete auch schaftlichen Zeitalters das Mißtrauen gegen die sinnliche Wahr­ das Würzburger Lehramt. Der liberale Unterrichtsminister nehmung, welches die Naturwissenschaft erzeugte, in eine extrem ayr brachte ihn 1874 an die philosophische Fakultät in subjektivistische Lehre ummünzte. Nun gab es aber stets und . Hier wirkte er mehr als zwei Jahrzehnte lang, zuerst als gibt es auch heute neben der Berkeleyschen eine idealistische essor, sodann - seltsamerweise - als· Privatdozent. 6 1895 Philosophie von einfacherer Art. Eine Philosophie, die nicht .iedelte er nach Italien, kehrte allerdings noch oft nach Öster­ darauf ausgeht, mittels Spitzfindigkeiten die äußere Welt zu zurück, um seine Besitzung in der Wachau aufzusuchen. eliminieren, sondern die Materie als gegeben annimmt und sich betagt starb er während des Weltkrieges in der begnügt, ihre Unterordnung unter den Geist zu verkünden. Es .weiz. wird behauptet, der Geist habe die Materie hervorgebracht, Aus dem System Brentanos wollen wir eine Theorie behandeln, er zwinge ihr sein Gesetz auf, er wohne allen Dingen inne etc.! , obwohl sie einflußlos blieb, charakteristisch ist, den psy­ Das Bewußtsein (Geist), um das es sich handelt, kann das ilogischen Gottesbeweis, und etliche Theorien, die, obwohl menschliche sein, oft ist aber auch von einem über- und außer­ im ersten Augenblick unscheinbar wirken, den stärksten .. natürlichen, vom göttlichen Bewußtsein die Rede. Ganz all­ uß erlangten: die Lehren von der Intentionalität des Be­ gemein legen die spekulativen Doktrinen dieser Sorte wenig tseins, von den apriorischen Urteilen, den irrealen Gegen­ Wert darauf, ihre Affinität zu religiösen Gedankengängen zu den und cen evidenten Wertungen. verhüllen. Hierin unterscheiden sie sich von manchen, im Der psychologische Gottesbeweis besteht aus zwei Teilen. Berkeleyschen Idealismus wurzelnden Lehren, wie etwa vom .ächst wird das menschliche Bewußtsein als nicht dreidimen­ ... Empirio-Kritizismus. Doch darf man sich nicht vorstellen, daß .ale, folglich unkörperliche, folglich geistige Substanz ge- der Unterschied sehr tief geht. Eine Doktrin, welche die Welt als spirituell bedingt ansieht, muß sich offenbar mit einer anderen, • Vgl. 0. Kraus, ,,Franz Brentano", mit Beiträgen von C. Stumpf E. Husserl, derselbe, ,,Franz Brentano", in „Neue österr. Biographie", der die Welt als schlechthin spirituell gilt, eng berühren. Deshalb Abt., Bd., S. V. Hauber, ,,Wahrheit und Evidenz bei , 1919; bedarf es keiner weiteren Rechtfertigung, wenn im vorliegenden Brentano", die Aufsätze von Alfred Kastil, P. F. Linke, Eber­ 3. 1926, 102-18; Rogge in „Naturwissenschaft und Metaphysik" (Sammelband zum 1936; * ,,Kritik des Idealismus", S. 79f. .tnis des Geburtstages Franz Brentanos),

1920, 100. 1938 .. 216 Idettlistische Philosop.' ' Brentano und seine Lehre 217

schildert.* Sodann wird der Nachweis versucht, daß der Ur, .er „Psychologie", in dem er zum erstenmal die Idee von der sprung des Menschengeistes nur in Gottes Geist gelegen sein kann: ,tentionalität des Bewußtseins darlegt, weist er ausdrücklich seine Lehrmeister hin: ,.Die ausdehnungslose Substanz kann nicht durch Zeugung von den elter, liehen Organismen abstammen, muß also entweder vorher bestanden ha· .,Jedes psychische Phänomen ist durch das charakterisiert, was die Scho­ oder in einem bestimmten Zeitpunkt der embryonalen Entwicklung entstandea ·r des Mittelalters die intentionale (auch wohl mentale) Inexistenz eines sein. ·nstandes genannt haben und was wir, obwohl mit nicht ganz unzweideutigen Gegen die erste Annahme spricht, daß in nichts und bei keinem sich die cken, die Beziehung auf einen Inhalt, die Richtung auf ein Objekt geringste Spur solcher Präexistenz zu erkennen gibt, während doch anderseitl nter hier nicht eine Realität zu verstehen ist) oder die immanente Gegen­ die Seele von der Art ist, daß die früheren Erlebnisse auf alle folgenden Zeiten .dlichkeit nennen würden. Jedes enthält etwas als Objekt in sich, obwohl Einfluß üben. t jedes in gleicher Weise. In der Vorstellung ist etwas vorgestellt, in dem So verdient denn die zweite den Vorzug. Dann aber zeigt sich womöglich il ist etwas anerkannt oder verworfen, in der Liebe geliebt, in dem Hasse noch deutlicher als für die Körper, daß sie durch ein bewußt wirkendes Prinzip .ßt, in dem Begehren begehrt usw. schöpferisch hervorgebracht sein müsse. Denn daß ein Geist einen Körper Diese intentionale.Inexistenz ist den psychischen Phänomenen ausschließ­ wirken könne, wenn er eine Vorstellung von ihm hat, ist leichter annehmbar, eigentümlich. Kein physisches Phänomen zeigt etwas Ähnliches. Und somit als daß umgekehrt aus bewußtlosen Prinzipien etwas, was Bewußtsein hat, n wir die psychischen Phänomene definieren, indem wir sagen, sie seien hervorgehe. (Ähnlich, wie eher Bewegung zur Ruhe, als Ruhe zur Bewegung Phänomene, welche intentional einen Gegenstand in sich enthalten."* führen kann.) Ist die Intentionalität (Gegenständlichkeit) das Hauptmerkmal der psy­ Freilich müssen wir, wenn wir die Seele durch Schöpfung entstanden .en Akte, so muß es möglich sein, auf Grund der verschiedenen Arten denken, mit einer Sukzession von Schöpfungsakten rechnen, während viele Intentionalität die Akte passend zu klassifizieren. Tatsächlich gibt es drei doch die Schöpfung mit einem einzigen Akt abgeschlossen denken. Aber nichtl ,n, sich auf einen Gegenstand zu beziehen, und somit auch drei Klassen berechtigt sie dazu. Im Gegenteil, der optimistische Gedanke, welcher den r,sychischen Phänomenen: 1. Vorstellen, 2. Urteilen, 3. Gemütsbewegung, größten Theisten als Konsequenz des Gottesglaubens gilt, scheint eine solche se oder Liebe. Beim Vorstellen verhalte ich mich zum Gegenstand Folge von neuen Schöpfungsakten geradezu zu fordern ... :erent. Das Urteil enthält notwendig eine Vorstellung in sich, doch tritt Wird man einwenden dürfen, daß damit das Wunder in Permanenz erklärt eine zweite intentionale Beziehung: Anerkennung oder Verwerfung, wäre ? Keineswegs, wofern wir nur das schöpferische Wirken der ersten Ursache . Analoges gilt von der Gemütsbewegung, bei der die bloße Vorstellung nicht regellos willkürlich denken, sondern als Ausfluß eines einheitlichen und :h die Beziehung Liebe oder Haß ergänzt wird.** unverbrüchlich festgehaltenen Weltenplanes. Was speziell die Schöpfung der Seele anlangt, so ist es als ein Gesetl An die Intentionalitätslehre, bzw. die Klassifikation der anzusehen, daß eine solche immer und notwendig entsteht, sobald ein Organis­ ·chischen Erscheinungen knüpft nun Brentano mehrere mus zur Aufnahme der Wechselwirkung mit ihr reif geworden ist."•• .nkenreihen an, die in einem negativen Sinn fruchtbar Das Räsonnement ist hier noch nicht zu Ende. Brentano ·esen sind, insofern nämlich, als sie dazu beigetragen haben, untersucht noch genauer die Möglichkeit der Wechselwirkung .e stattliche Zahl moderner Philosophen maßlos zu verwirren. zwischen Körper und Geist. Es erübrigt sich, ihm auf diesem a) Das Urteil, worin die Intentionalität des Psychischen festgestellt wird, ... Weg zu folgen, da schon die angeführten Sätze zeigen, was sie offenbar dem Wissensbereich der Psychologie an. Es ist ein evidentes zeigen sollen: welch starke scholastische Färbung seinem Denk­ il, d. h. eines, dem solche Klarheit eignet, daß Zweifel an seiner Richtigkeit stil anhaftet. Sein Austritt aus dem Klerikerstand bedeutete ,t möglich sind. Wer sich die Sache genau überlegt, erkennt mit Gewißheit, keinen Bruch mit der katholischen Philosophie. In dem Kapitel • F. Brentano, ,.Psychologie vom empirischen Standpunkt", herausgeg. 0. Kraus, 1. Ba:, 1924, S. 124f. Ursprünglich erschien der erste Band der • F. Brentano, , ,Vom Dasein Gottes". Aus seinem Nachlaß herausgegeben .ologie" im Jahre 1874. von A. Kastil, 1929, S. 417ff. •• SieheF.Brentano, ,.Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis", 1889, S. 14ff; ** Ebenda, S. 432. .ologie etc.", 2, Bd., 1925, S. 28ff .

' 218 Idealistische Philosop o und die spätere idealistische Philosophie 219

er „sieht ein", daß jeder psychische Akt sich auf einen Gegenstand bezieh! .m und Unwissenheit in uns erzeugt. Das eine und das andere ist nicht und beziehen muß. Irgendwelche Erfahrungen brauchen nicht gesa111rcelt, iv, wie Gefallen oder Mißfallen an bestimmten Farben, Gerüchen, Induktionen brauchen nicht durchgeführt zu werden. Anders gesagt: Wir äcken, sondern wir würden von einer Spezies, die im Gegensatz zu uns haben hier ein im Kantschen Sinn apriorisches Urteil vor uns. Solcher Urteile Irrtum liebte und die Erkenntnis haßte, sagen, sie hasse, was unzweifelhaft gibt es auf psychologischem Gebiet eine Fülle. Es ist z.B. auch evident, da8 und liebe, was unzweifelhaft schh;cht sei. Allerdings ergeben sich insofern nichts beurteilt wird, was nicht vorgestellt wird, daß kein Lieben oder Hassen rierigkeiten, als wir an sehr verschiedenen Dingen (an Erkenntnis z. B. stattfindet ohne Vorstellung dessen, womit wir uns emotionell beschäftigen. an edler Liebe) Gefallen finden und oft im ersten Augenblick nicht wissen, Somit ist die Psychologie nur zum Teil Erfahrungs-, z.um anderen Teil aber nun eigentlich das höhere Gut ist. Doch dürfen wir darauf vertrauen, apriorische Wissenschaft. Den apriorischen Teil nennt Brentano deskriptive sich eine einleuchtende Lösung finden läßt. Es gibt Akte des Vorziehens, Psychologie oder Psychognosie, der induktive Teil heißt bei ihm genetische ebenso durch Richtigkeit charakterisiert sind wie andere Akte des Liebens Psychologie. Die deskriptive Disziplin geht der genetischen logisch voran. Hassens. Prinzipiell ist es stets möglich, ,.richtig" vorzuziehen, d. h. Sie liefert in absolut gewissen und allgemeingültigen Sätzen eine Beschreibung der wirklichen Rangordnung der Güter zu entscheiden. Aus all dem des psychischen Aktes, die man bereits kennen muß, will man ein erfolgreiches hervor, welche Leistung wir von der Moralphilosophie erwarten dürfen. empirisches Studium des Aktes aufnehmen.• Moralphilosophie soll die evident richtigen Wertungen ermitteln und soll b) Urteile, wie alle anderen psychischen Akte, beziehen sich notwendig entsprechend der Rangordnung der Güter zu einem überschaubaren System auf Gegenstände. Damit ist jedoch über diese besondere psychische Kategorie .enfassen. • noch sehr wenig gesagt. ,,Gegenstand" ist ein sehr weiterBegriff. Will man mehr über das Urteil erfahren, so muß man untersuchen, was für Arten von Gegen• Die eben skizzierten Ideen Brentanos werden noch lange in ständen im Urteil intendiert sein können. Die einfachste Art ist das reale Geschichte der Philosophie figurieren. Sie kehren nämlich „Ding", das ich meine, wenn ich sage: ,,Die Rose hier ist rot" oder: ,,Die und .er als die Grundgedanken der Phänomenologie, einer Rich­ die Erinnerung schmerzt mich". Kann aber ein Urteil nicht auch auf andere Gegenstände gehen? Doch ! Fälle ich z.B. ein Existentialurteil, sei es positiv , die sich um 1900 zu rühren begann, zuerst nur Fachleute oder negativ (.,Es gibt Tiger", ,,Es gibt keine Drachen"), fälle ich ein Urteil, ·essierte, aber in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen das eine Möglichkeit, eine Unmöglichkeit, eine Notwendigkeit ausdrückt, so herrschenden deutschen Doktrin aufstieg. Die Phänomeno­ intendiere ich nicht Dinge, sondern Sachverhalte. Gegenstand des Urteils, ·.e wurde von Edmund Husserl (1859- 1938) begründet.** wonach es keinen Drachen gibt, ist das Nichtsein des Drachen, Gegenstand des Urteils, ,.daß ich jetzt fortgehen muß", ist die Notwendigkeit des Fort­ sserl kam in Proßnitz, also in Alt-Österreich zur Welt, stu­ gehens. Solch ein Sachverhalt ist zwar kein Wesen im Sinne des realen Wesens, e in Wien bei Brentano und lehrte selbst in Göttingen und aber ein irreales Etwas, eine irreale Wesenheit. ,ter in Freiburg, weshalb man die Phänomenologie auch als Wir müssen also eine eigenartige Existenzform eigenartiger Gegenstände - iburger Schule anzuführen pflegt. Von 1930 an vermischte sich die Sachverhalte sind weder physisch noch psychisch -als Faktum annehmen.•• Freiburger Theorie vielfach bis zur Ununterscheidbarkeit mit .. c) Das einzige, was uns über die Richtigkeit eines Urteils beruhigt, ist die Evidenz. Haben wir etwas „eingesehen", so sind weitere Zweifel unmöglich, nationalsozialistischen Ideologie. Daran trug nicht Husserl ja absurd. Das Phänomen der Evidenz hat aber eine Analogie auch außerhalb t ch S. 17-30; der Urteilssphäre. Unter den Akten des Liebens und Hassens sind ebenfalls • F. Brentano, ,,Vom Ursprung si tli er Erkenntnis", bes. solche, die das Charakteristikum der Richtigkeit an sich tragen. Ein Beispiel Kraus, .,Franz Brentano", S. 61ff. c und die bietet das Gefallen, das wir am Wissen finden, und das Mißfallen, welches •• Vgl. über Husserl: W. Jerusalem, ,.Der kritis he Idealismus Zusammen- Logik", 1905; W. Ehrlich, .,Kant undHusserl", 1923. Was den r s. insbesondre: * Siehe F, Brentano, ,.Psychologie etc.", 2. Bd., 1925, S. 1-9; ,,Vom Ur­ zwischen der PJ;tänomenologie und Brentano bet ifft, c etc.", 2.Bd., sprungsittlicher Erkenntnis", 1889, Anmerkung 27; .,Meine letzten Wünsche für Brentano, ,,Wahrheit und Evidenz", S. 153ff.; ,,Psy hologie o in der Einleitung zu Österreich", 1895, S. 23; 0. Kraus inder Einleitungzum 1.Bd.der „ Psychologie", 158 ft.; 0. Kraus, ,,FranzB rentan ", S. 25 ff.; derselbe Nachwort zu meinen S. XVII ff.; derselbe in „Franz Brentano", S. 21. .tanos „Psychologie", 1.Bd. ,_ S. XVII ff.; E. Husserl, ,, XI (1930), *"' Siehe F.Brentan o, ,,Wahrheit und Evidenz", herausgeg. von 0. Kraus, einer reinen Phänomenologie", Jahrb. f. Phänomenologie zu Franz 1930, bes. S. 22ff.; Kraus' Anmerkung 14, die sich in diesem Sammelband 564f.; Maria Brück, ,,Über das Verhältnis Edmund Husserls auf S. 170 findet; V. Hauber, a, a. 0., S. 16ff. .ta.no", 1933. 220 tmtl tlie spätere idealistische Philosophie 221

die Schuld. Obgleich wissenschaftlicher Reaktionär, stan, icolai Hartmann) behandeln vom phänomenologischen e h mit seinen vornehmen Charaktereigenschaften, mit delil ,kt die Probleme der Ethik, wobei sie vi lfac direkt n n s n im seines Erkenntnisstre bens den Nazi unendlich fern. Die S tano schöpfen können. Bre ta os Au führunge b ni erls hatten jüngere Autoren, die in der gar nicht rassenreinen Ph sittlicher Erkenntnis", kom i ert mit Huss sse n ne e steme menologie - Hu rl stammte von Jude ab- ei brauch' machen es l eicht, axiologische Syst me (d. i. Sy en sch n en n e h e s e e erfahren Waffe geg die fort rittliche Richtung i d r P iloso· 1tender W ertungen) zusamm nzu t ll n. Wir c en e e e n e Tod ein erbli kt . Husserl-Schülem z.B., daß L b n i W rt, i e e ver­ Die Phänomenologie, wie Husserl sie in den „Logis, ist, daß der Wert des Glücks m t d m d r Macht e e s s teht* Untersuchungen" (2 Bde., r900/or) und später mit A ist, daß er im G egensatz zum W rt d s Leide h e s e i Neu­ chungen in den „Ideen zu einer reinen Phänomenologie Anhängern der Frei burger Le r i t w iters e ne e ie phänomenologischen Philosophie" (r9r3) und in anderen Sc: g der Ästhetik, der Rechtsphilosophie, d r Soziolog e e n Geiger, entwickelt, übernimmt von Brentano den Gedanken der .en worden (vgl. die Arb it n vo Moritz s n s ch e schen e n i ei es ndteile kriptive P y ologie, di mit apriori Urt ile operi, Reinach, Gerhart Husserl, Ed th St n). B ta h e e den Gedanken des Innewohnens von Gegenständen in psychis en gegen r930 Gemeingut der versc i d nsten 1 wurd en en G n en e s e en ns e s es en s h n Universi­ Akt , d eda k d r be ond r Sei w i e b timm bischen Richtungen, die an d deut c e G ns e n ch n n h e s n n en be naus in die ege tänd , die i t vo di g aft r Natur i d. vertreten waren, und dra g darü r hi s e c ei bung, tsschreibung, Literatur-, Kun tg s hichtsschr Während diese Gegenstände bei Brentano als recht nebensächlich am n n b en der Tageszeitu gen. e c e e e e und sel bst i die Kulturru rik stand n, rü k n sie bei Husserl in d n Mitt lpunkt d r Betrachtung. Z �ik e n een ss ch in s eine erst Arten von ihnen werden uns vorgestellt. Es gehören zu ihnen z. B. die Abs .cherlei Wegen kame Id Hu erls au 1 (Farbe, Röte, Geschicklichkeit, Geiz, Schönheit), die Gattungen (Tiger, S1 , nach Österreich, zurück. tier, Tier), die mathematischen Begriffe (Kugel, Trapezoid, Zahlen von n e eichen h sophen, die gibt noch eine Reihe vo rfolgr P ilo bis Unendlich), Sätze und andere Bedeutungen, also auch Ausdrücke e s e be e I en ins e wurden. Die m i t n völk rn, „das Nichtsein des Drachen". Wie diese Gegenstände sich verhalten, darf1 Br tano piri rt n ealen Gegenständen. können wir Konstatierungen machen, die durch Allgemeinheit und No Busserl,die Welt mit Myriade von id en s n h s dessen Würz­ digkeit ausgezeichnet sind. Wir erkennen z. B., daß ein Ton eine Höhe und Stumpf, ein Freund Br tano oc au e e i c e e e s ch von „Ge- Int nsität hab n muß, daß zwe mal acht se hz hn ist, daß Sätz nicht _ Zeit, Professor in Prag, Halle, B rlin, pri t sein können. Unsinnig wäre es, von Gegenständen, über die wir so viel und n nh en", Ale xius ', Anton Marty (Prag) vo „I alt Gewisses auszusagen vermögen, zu behaupten, daß sie nicht „sind". Offe­ en n e n „Objektiv ". Die e e e c e e e e e e e e e Graz) vo „Obj kte " und ,,sind" si in ihr r sp zifis h n W is als id al G g nständ , Ide n oder W, ng ( c s s e h enologie so ähnli h, Das Verfahren, durch welches wir der für sie geltenden Gesetze habhaft wer, andstheorie Meinong i t d r P änom e e c e e e be e e e c e e b ein Priori- ist di Vll senss hau. Di W s nsschau st ht ig ntli h in nichts and rem '1schen dem Grazer und dem Fr i urger Autor in der Konzentration der Aufmerksamkeit auf den Gegenstand, im geist' n s er treueste Schüler '.t stattfinden konnte.** Soda n i t d Anstarren des Gegenstandes sozusagen. Sie hilft uns auf außerempirisc: e treueste .. n nnen, Os c ar Kraus (Prag) - d r Weg zu einer Erweiterung unseres Wissens, liefert uns apriorische U: .os zu e e ch Altersphilosophie, j ener Sorte, die Kant synthetische genannt hat.8 , als er nach einigem Zög rn si die s e en machte. dgültige" P hilosophie des Mei ters zu ig Husserls Arbeitsgebiet ist hauptsächlich Psychologie, Logi enn n e e se ne h e n e • Hartmann, .,Ethik", 1926, S. 310, 332, 333. Erk t istheori . Vi le i r Sc ül r (Alexa d r Pfänd, e e e reinen P hänom nologi etc.", 1913, nn e n e e e s he ese ben Vgl. E. Husserl, .,Ide n zu einer Herma Ritz l, Marti H id gg r) uc n di l Di Meinong, .,Über Möglichkeit rkung) und S. 228 (Anmerkung); A. plinen zu fördem. Andere (Max Scheler, Dietrich von Hil, :heinlichkeit", 1915, S. IXf. 222 Idealistische Philoso stalt Franz Brentanos 223 Brentano war nämlich mit der Theorie der irrealen Einheite: eit, die empirische, d. h. die wissenschaftliche Untersuchung wie Husserl, Meinong usw. sie aufstellten, nicht einveT!:>tandi dort auszuschalten, wo sie unbequeme Resultate ergab, und revozierte die Äußerungen, die der Ausgangspunkt d, ·.eh fortschrittliche Gedankengänge stützte. Nun mußte Phänomenologie etc. gewesen waren. Seine Berichtigung, Demokratie, Menschenrechte, internationales Recht nicht wurden von den Autoren, für die sie vor allem bestimmt waren. auf Grund von Tatsachen abgehandelt werden. Die nicht beachtet. 9 :rtung sozialer Institutionen konnte außerempirisch, sie Nun ein paar Worte zur Einschätzung Brentanos und seini te nach Gutdünken erfolgen. So bahnte die Wesensschau, Nachfolger. Auf Grund von ihm gegebener Anregungen ist eini Husserl selbst öfters auch Intuition nennt, den Weg für den sehr zweifelhafte Richtung der Philosophie erwachsen. Man m .tionalismus, der ein Hauptbestandteil der faschistischen bedauern, daß er die Ambition der Forschung auf apriorisch ,Iogie ist, für die Intuition Hitlers und seiner Unterführer. Erkenntnisse lenkte. Apriorische Sätze sind notwendig ana, hat neben verhängnisvollen Irrtümern auch feine, lytisch. Analytische Sätze sind oft -wiewohl gewiß nicht immi Betrachtungen vorgetragen ;11 unter seinen nächsten - banal. So stehen in der phänomenologischen Literat .ülern,erl sind ein paar seriöse Gelehrte, ein paar Schematiker massenhaft Banalitäten. Wenn uns umständlich bewiesen wird, politischen Konservativismus, ein paar Scharlatane; unter daß Rot nicht zugleich Blau sein kann, daß jeder Ton eine Stärk, entfernteren Schülern sind viele waschechte National­ besitzt, fragen wir uns, ob wirklich der Apparat der Philosophi1 ialisten. in Bewegung gesetzt werden muß, um solch ein Nichts an Ein-, Esen bleibt noch übrig, der Gestalt Franz Brentanos dieselbe sieht zu produzieren.* Die Hinwendung zu den idealen Wesen chtigkeit widerfahren zu lassen, die wir einem Husserl, war erst recht schädlich. Eine sinnlosere Beschäftigung hätte; Mach und zuvor manchem anderen Forscher schuldig die Philosophie gar nicht finden können. Diese Wesen si nd sein glaubten. Brentano und die Wirkungen, die Spätwir­ Phantasiegebilde, Wahngebilde, Wiederbelebungen der plato­ seiner Philosophie - das ist zweierlei. Keineswegs nischen Ideen oder der Universalien, mit denen sich die Mönche e er für die faschistische Ideologie, die erst nach seinem des Mittelalters herumschlugen. 10 Wie merkwürdig, daß nach . gentstand,en Sympathien empfunden. Aus der österreichischen den großartigen Ergebnissen, die das wissenschaftliche Denken alen Oberschicht, der er seit seiner Berufung nach Wien gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebracht ha tte, ·ehörte, ragte er nicht durch radikale Anschauungen, aber die Philosophie zu uralten Begriffskonstruktionen zurückkehrte! ·eh Unabhängigkeit und Unbeugsamkeit der Gesinnung her­ Merkwürdig - aber nicht unerklärlich. Durch welche indivi­ . Als akademischer Lehrer machte er auf die Zuhörerschaft duellen Umstände immer die Denkarbeit Brentanos, Husserls, starken, ja faszinierenden Eindruck. Seine Vorlesungen Meinongs ausgelöst wurde - die enorme Verbreitung, die die lange die bestbesuchten der Wiener Universität, auch Phänomenologie fand, war nicht Zufall, sondern die Folge davon, .endem man ihn zum Privatdozenten degradiert hatte. (Ein daß sie einem Zeitbedürfnis entsprach. Vor allem die Wesens­ ·en der hier noch nicht erwähnt wurde und der ihm nachmals schau kam bestimmten deutschen Intelligenzschichten gelegen. Freundschaft_ verbunden blieb, war T. G. Masaryk.) Bren­ Von der Erkenntnistheorie, der Psychologie auf die Sozial­ ·er,Werke sind heute, nach zwei Menschenaltern, noch höchst wissenschaften übertragen, lieferte die Wesensschau die Mög- swert. Sie bringen einzelne treffliche Beiträge zur Logik, .osSystematik der Psychologie, zur Deskription der psychischen * Auf diese Seite der Sache .wird überzeugend hingewiesen von Moritz Schlick in dem Aufsatz: ,.Gibt es ein materiales Apriori?", ,.Gesammelte e. Und sie haben noch andere Vorzüge. Das Studium der Aufsätze", 1938, S. 19-30. .osophie ist großenteils Studium von Problemstellungen . 224

Aufklärungen über Problemstellungen zu geben, sind vielfa auch solchen Autoren geeignet, die die richtigen Lösungen nich1 oder nur selten gefunden haben. Keiner ist dazu besser geeigne· als Brentano, der didaktisch und stilistisch den größten Künstlern: der Darstellung, von denen die neuere philosophische Literat bereichert wurde, die Waage hält. Eine Anzahl kleiner Essa� PSYCHOANALYSE und Vorträge*, ein reizvolles Rätselbuch • • vervollständigen ein Lebenswerk, das durch Geist und Aufrichtigkeit für manche Defekte entschädigt.

• Z.B. .,Über die Gründe der Entmutigung auf philosophischem Gebiet", 1874; .,Das Genie", 1892; .,Das Schlechte als Gegenstand dichterischer Dar­ stellung", 1892; .,Über die Zukunft der Philosophie", 1893. ** .,Neue Rätsel" von Aenigmatias, 1879.

, Gei8tige Strömungen ie Psychoanalyse hat, im großen und ganzen gesehen, 'lei vollbracht: sie hat die wissenschaftliche Psychologie iert, und sie hat von der Psychologie aus das moderne :bild reformiert. Dank diesen Leistungen nimmt sie - trotz Irrtümern, an denen sie es nicht fehlen ließ - eine hervor­ de Stellung in der Geistesgeschichte ein. Nicht nur in österreichischen Geistesgeschichte, sondern in der gesamt- 1päischen. Die Psychologie befand sich zu der Zeit, als Sigmund Freud beiten begann (Achtziger-, Neunzigerjahre), in ein'em Zu­ d der Erstarrung. Sie beschäftigte sich mit der Klassifi­ .on der psychischen Phänomene, mit den Gesetzen, nach ,en Vorstellungen assoziiert werden, mit Experimenten, .e in die Nähe der Sinnesphysiologie führten. Manche eher verloren sich in spekulative Gedankengänge, andere .dten ihre Kräfte an die Fe$tstellung konkreter, aber wenig .erkenswerter Fakten. Dezennien lang wurden keine wirk­ .eo Fortschritte erzielt. Die Fortschritte kamen auf einmal Freud. Von dem Wunsch geleitet, eine Therapie gegen ·sse nervöse Erkrankungen zu finden, untersuchte er das schliche Triebleben, dem die Wissenschaft niemals ernste erksamkeit geschenkt hatte. Damit gelangte er an den Ein­ zur Tiefendimension der Seele. So weit hätte leicht auch ein rer vordringen können. Aber er besaß den Mut, in die Tiefe 1unterzusteigen. Durch die Tatsachen, die er zutage förderte, e die Wissenschaft bis zur Unerkennbarkeit umgestaltet. Die Armseligkeit der vor-Freudschen Psychologie war kein . Durch ihre Armseligkeit harmonierte sie wunderbar bestimmten Grundanschauungen der herrschenden Schichten. Oberklasse des vorigen Jahrhunderts hatte sich eine ebenso 228 IJfil�"l• utung und Persönlichkeit Sigmund Freuds 229 falsche wie banale Vorstellung vom Menschen zurechtgelt, Die Herkunft Sigmund Freuds (1856-1939) war die der Mensch war ein farbloses Normalwesen, von Natur zu e ausgezeichneter Männer des alten Österreich: er war der bürgerlichen Laufbahn prädestiniert. In allen Handlungen·· unbemittelter mährischer Juden. Als kleines Kind kam er sich vom Intellekt leiten. Seine Gedanken strömten ü ach Wien. Hier besuchte er das Gymnasium, studierte er von Wohlanständigkeit. Gewalttaten oder obszöne Dinge kam · .in - mehr auf Wunsch seines Vaters als auf seinen eigenen in ihnen nicht vor. Wohl kannte er Emotionen, ab eh. Das Doktorat erwarb er relativ spät, doch konnte nur bei den Gelegenheiten und in den Intensitäten, die zuläss:' sich schon bald danach für Neurologie habilitieren (1885). waren. Kurz, er war die Sorte von Berufsträger, Gatte dlage der Habilitation waren Arbeiten, die er unter An­ Vater, die dem Bourgeois das Geldverdienen, der Obrigk,' g des Physiologen Brücke und des Gehirnanatomen das Regieren leicht werden ließ. Es war der Psychoanaly .ert durchgeführt hatte. Der Zustand seines Spezialfaches wenn auch keineswegs ihr allein, vorbehalten, die Fiktion "ckte ihn. Die Wiener Ärzte standen gerade derjenigen und Abstraktionen des liberalen Spießertums zu zerstöre: einung, um derentwillen sie von den meisten Patienten Freud enthüllte die Menschenseele in ihrer wahren 1 Gestal ultiert wurden, der Neurose, hilflos gegenüber. Sie wußten und es war keine schöne Gestalt. Er zeigte, wie mühsam der Regel nichts anderes zu tun, als nach knapper Unter­ schmale Landstrich des sozialen Daseins der Flut der Trie ung eine Kur in einer Wasserheilanstalt zu verordnen. Er abgewonnen wird. Er zeigte, wie mit jedem Menschen d ifand es als Glück, daß er durch Vermittlung Brückes ein Chaos neu geboren wird, die Zivilisation neu geschaffen werd, :ndium erhielt, welches ihm eine längere Studienreise muß. War er ein Rebell, ein Aufrührer? Keineswegs. Er ttete. Bei Charcot in Paris erlernte er die hypnotische ein bürgerlicher Gelehrter und gab nie vor, etwas anderes dlung der Hysteriker; heimgekehrt, begann er sie selbst sein. Doch hat seine Denkarbeit durch ihre Richtung auf ei 1 praktizieren. Damals kam er zum erstenmal mit der offiziellen zentrales Thema, durch ihre Furchtlosigkeit und Unbeirrbarkei nschaft in Konflikt. In der „ Gesellschaft der Ärzte" gewaltig dazu beigetragen, die liberale Sozialphilosophie auf• 'de sein Bericht über die in Paris gemachten Erfahrungen zulösen. In einem Entwicklungsprozeß, dessen gesellschaftlic : 1 aufgenommen, worauf er sich von dieser Körperschaft und persönliche Bedingungen näheren Studiums sehr we: dte und sich nie wieder um sie kümmerte. Die nächsten wären, wuchs er über den Liberalismus, in dem er wurzelt, ·e vergingen mit Arbeiten, die ihn vom Problem der Neurose hoch hinaus. Seine eigenen sozialphilosophischen Versuc: 'germaßen ablenkten. Erst eine Entdeckung, die einem mißglückten. Seine Lehren von den verborgenen Kräften d, vielbeschäftigten Familienarzt (,,Hausarzt") Doktor Seele hingegen, die Lehren, d, dem die man unter dem Namen Tief, war, brachte ihn auf den Punkt seines psychologie zusammenzufassen pflegt, :f Breuer, gelungen sind ein integrierend, • ;,:r :nschaftlichen Hauptinteresses zurück. Breuer hatte eine Bestandteil des heutigen wissenschaftlichen Weltbildes. s Selb t, 1terikerin in hypnotischen Schlaf versetzt, hatte ihr aber verständlich müssen sie auch im Gedankensystem .. des Prol, nicht, wie gebräuchlich, Aufträge gegeben, sondern sie tariats ihren Platz finden. In diesem Sinn kann und muß vo den Ursprung ihrer Symptome befragt und zu seinem Freud als einem Reformator der modernen Weltanschau •: en vernünftige Antworten bekommen. Die Patientin gesprochen werden. Befragt, in welchem Denker der Gegenw te in der Hypnose bestimmte unerfreuliche Episoden aus die Geisteskraft des österreichischen Volkes sich am sichtbarst Vergangenheit reproduzieren, von denen sie im Wachen manifestiert, wüßten wir keinen besseren Namen als den sein.,.~ Möglichkeit der Aussprache, die zu nennen. ., .ts zu wissen schien. Die gegeben war, die Möglichkeit, das Erlebte gewissermaßen 230 D Oantl lu1,g und Persönlichkeit Sigmund Freuds 231

abermals zu erleben, damit verbundene Affekte „abzureagieren .ehens, des gesunden wie des pathologischen. Die ungeheure

führte zu einer sichtbaren Besserung in ihrem Be1i11d1. � mig des Geschlechtstriebs im Menschendasein, vormals von Freud und Breuer erprobten nun die neue Methode, die und Metaphysikern geahnt, seit der „Katharsis" die „kathartische" nannten, an einer Reihe von Fällen

dendienst am Menschen beendet, dann erst beginnt die denkerische Ausges ieselbe, wenn wir ein paarmal hintereinander eine triviale Verrichtung, die tung der Resultate, jene Arbeit, welche die Welt für seine einzige hält. Und uns vorgenommen haben (etwa die Absendung einesBriefes}, vergessen. Die diese riesenhafte, diese pausenlose, an Tausenden von Menschen praktisch .t wird von einer Gegenabsicht durchkreuzt. Antipathie gegen den Adressa­ kende und zu Millionen von Menschen fortwirkende Leistung geschieht ein hal Furcht vor cl,er zu erwartenden Antwort od. dgl. schiebt sich als Hindernis Jahrhundert lang ohne Helfer, ohne Sekretär, ohne Assistenten; jeder Brief' Stets ist es die, ,zweite Tendenz", in rj.erwir die Ursache der Fehlleistung er- mit der eigenen Hand geschrieben, jede Untersuchung allein zu Ende gefü n müssen. Ermüdung, Nervosität, überhaupt die physiologische Dis- jedes Werk allein zur Form gestaltet. Nur diese grandiose Gleichmäßigkeit , '.on schafft bloß die Bedingungen, dank welchen jene sichtbar wird. Das schöpferischen Kraft verrät hinter der banalen Außenfläche seines Daseins tnis zwischen Ursache und auslösenden Bedingungen kann durch einen wahrhafte Dämonie. Erst aus der Sphäre des Geschaffenen enthüllt dies .eich anschaulich gemacht werden. ,,Nehmen Sie an, ich ginge in dunkler scheinend normale Leben seine Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit."' ,tstunde an einem einsamen Orte, würde dort von einem Strolch überfallen, mir Uhr und Börse wegnimmt, und trüge dann, weil ich das Gesicht des Räu­ Wir wollen Freuds wichtigste Ideen kennenlernen, ind nicht deutlich gesehen habe, meine Klage auf der nächsten Polizeistation mit wir ihm auf dem Gedankenwege folgen, den er in den „ Vorlesun, Worten vor: Einsamkeit und Dunkelheit haben mich soeben meiner Kostbar­ gen zur Einführung in die Psychoanalyse" zurücklegt. D ,n beraubt. Der Polizeikommissar kann mir darauf sagen: Sie scheinen da erste Band dieses Werkes formuliert die Ergebnisse, zu denen Unrecht einer extrem mechanistischen Auffassung zu huldigen. Stellen wir und seine Schule bis 1917 gelangt waren; der zweite, wei· Sachverhalt lieber so dar: Unter dem Schutz der Dunkelheit, von der Ein­ it begünstigt, hat Ihnen ein unbekannter Räuber Ihre Wertsachen ent- schmälere Band bringt Ergänzungen und Korrekturen, die ih . Die wesentliche Aufgabe an l hrem Falle scheint mir zu sein, daß wir den bis 1932 nötig erschienen. Die Vorträge des ersten Ban .ber ausfindig machen. Vielleicht können wir ihm dann den Raub wieder wurden wirklich gehalten, die des zweiten sind fiktiv. Freui war nach seiner Kieferoperation nicht mehr imstande, öffentli Können ·schon der Fehlleistung merkwürdige Einsichten abgewonnen .en,.en.''* so gilt das in noch höherem Grad vom Traum. Auch der Traum wird zu sprechen. Die Lebendigkeit der Darstellung ist aber in de der traditionellen Wissenschaft kurzerhand erledigt. Es wird gesagt, daß ganzen Werk dieselbe. Ebenso das Geschick, womit die schwi, äußere sinnliche Reize (Läuten eines Weckers od. dgl.) oder auf Leibreize rigste Materie in eine leicht faßliche verwandelt wird. ·er, Durst) zurückzuführen ist, dann etwa noch, daß Ereignisse des Vortages hineinzuspielen pflegen. Das ist alles. In Wahrheit bleiben so die meisten Die Psychologie kann unter Umständen gerade dadurch zu fundamental, wichtigsten Träume, bzw. Trauminhalte unerklärt und unbeachtet. Wir Erkenntnissen gelangen, daß sie von unscheinbaren Dingen ihren Ausga: .en einen großen Schritt vorwärts, wenn wir den Traum als psychisches nimmt. Solche Dinge sind z.B. die Fehlleistungen: Versprechen, Verlesen, omen auffassen, wenn wir verstehen, daß die überwiegende Mehrzahl der Namen-Vergessen etc. Die Fehlleistungen wurden früher von der Wissensc e seelische Regungen aus tieferen Regionen zum Ausdruck bringt. Fehl­ wenig beachtet, es wurde über sie nur Oberflächliches gesagt: daß sie Ermü, g und Traum haben gemeinsam, daß da und dort Unbewußtes nach der dungserscheinungen sind, daß am Versprechen außerdem der Gleichkla ·e desBewußtseins vorstößt. Dies vorausgesetzt, gelangen wir relativ leicht zweier Worte beteiligt ist, und ähnliches mehr. Nun zeigt aber die Untersuchu Deutung einzelner Traumelemente. Derjenige, der den Traum gehabt hat, einzelner Fälle, daß die Fehlleistungen doch auch wesentlich interessant, die Deutung wesentlich fördern, indem er dem Analytiker die Einfälle Feststellungen zulassen. Studieren wir ein paar Fälle des Versprechens. Ein t, die sich bei ihm an die betreffenden Elemente anreihen. Beispiel: Ein junger Mann, der auf der Straße einer Unbekannten gefolgt ist, fragt sie, ob er sieht im Traum seinen Bruder in einem Kasten. Nach seinen Einfällen sie ein Stück „begleit-digen" dürfe. Eine Frau rühmt den Hut einer Freundin, , assoziiert er zunächst zu dem Kasten das gleichbedeutende Wort indem sie erklärt, er sei wunderbar „aufgepatzt". Ein Festredner bringt einen und interpretiert. dann selbst das Geschehene als seinen Wunsch, Toast aus mit den Worten: ,,Ich fordere Sie auf, mit mir auf das Wohl des Jubi• derBruder sich einschränken möge". Der Traum hat den zugrunde liegen­ lars aufzustoßen". Alle diese Personen haben offenbar außer dem Gedanken, Gedanken entstellt, aber nicht ganz unerkennbar gemacht. Die „Traum­ den sie aussprechen wollten, noch einen zweiten gedacht. Der junge Mann ung" ist das Resultat einer spezifischen „Traumarbeit". Die Traum­ war sicherlich ein Schüchterner. Die Frau wollte den Aufputz des Hut, '.t bedient sich verschiedener Methoden: der „ Verdichtung" lang hingezoge- rühmen, fand den Hut aber eigentlich verpatzt. Der Festredner hielt im Grunde seines Herzens recht wenig von dem Jubilar. Die zweite Tendenz war jedesmal • ,.Vorlesungen etc.", r. Bd., 1917, S. 13-80. Die im Wortlaut angeführte eine bedenkliche, ungehörige. Deshalb sollte sie verborgen bleiben. Die Sachlage findet sich auf S. 38. 236 o „ Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" 237 ..• .,~onna,. ..

is der ner Gedanken in einen einzigen kurzen Vorgang, der„ Verschiebung des Akzen t:t1:s Verständnis des Traums ist e ine gute Grundlage zum Verständn von der Hauptsache auf ein Detail, der Ersetzung unsinnlicher Ideen durch s' ischen Symptome. Die Analyse beschäftigt sich vor allem mit drei Arten ist liehe (.,sich einschränken" - .,Schrank"). Der Analytiker hat die Aufgabe, Neurose: der Zwangs-, hysterischen und Angstneurose. Die erste Art am schärfsten Weg der Traumarbeit in entgegengesetzter Richtung zu durchmessen, vom„ ·ge,. in der sich die entscheidenden Merkmale der Neurotik s fort­ festen Trauminhalt" her die , ,latenten Traumgedanken" ausfindig zu machen, ·en. Das Leiden des Zwangsneurotikers be teht darin, daß er Mit dem Versuch, isolierte Traumelemente zu erklären, kommen wir man, :nd einen ganz bestimmten seltsamen Gedanken denken, eine bestimmte mal vom Fleck, aber nicht immer. Hingegen gelangen wir zu einer allgemei e Handlung ausführen muß. Der Zwang ist für ihn qualvoll; er versteht Vorstellung vom Wesen des Phänomens, wenn wir die unentstellten Träu Symptom nicht, er kann sich davon nicht befreien. Der Analytiker erklärt betrachten, die im Kindesalter häufig sind. Diese sind unverkennbar re' Symptom nach derselben Methode, nach der er Träume deutet. Ebenso wie Wunscherfüllungen. Ein K i nd träumt etwa, daß es alle Kirschen aus ein, Traum stößt er alsbald auf ein sexuelles Motiv. Beispiel: Ein junges Mäd­ Korb, den es tags zuvor gesehen, aufgegessen hat; oder es träumt seinen Nam, hat ein extrem kompliziertes, scheinbar sinnloses „Schlafzeremoniell". Zu und dazu einen Speisezettel aus Lieblingsgerichten. In den Träumen der Vorbereitungen, die sie machen muß, um einschlafen zu können, gehört es wachsenen müssen wir ebenfalls, trotz den Entstellungen, halluzinierte Wuns, , daß

Neurose. Doch gibt es noch eine weitere Möglichkeit: die Libido wend, in der Zeit nach dem Weltkrieg ergaben, sollen gewiß nach einem Objekt zurück, das ihr vormals, in der Kindheit, Beft ' •' 11:n .terschätzt werden. An grundlegend neuen Auffassungen währt hat, und wäre es auch bloß eine vorgestellte, phantasierte Befrie, gewesen. Man spricht von ,;Regression der Libido". Das gesa, •te iibri, 'eite Band aber doch viel ärmer als der erste. Wir haben erhebt gegen diese Wendung Einspruch. Ein halbwegs reifer Mensch kann eine verhältnismäßig kurze Strecke zu durchmessen. ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, zur infantilen Sexualität . kehren. In dem Konflikt, der zwischen der Libido und dem Ich ausgef, ,teilung der psychischen Phänomene ist eine ungenaue, besser gesagt wird, siegt entweder die Libido: dann bildet sich eine Perversion Seit je anerkennt die Analyse, wenn sie vom dynamischen nichts anderes ist als das Fortschleppen infantiler Züge in die Periode d, ,nkt urteilt, eine dritte Kategorie von Erscheinungen: die vorbe- wachsenheit); oder das Ich siegt: dann wird die Libido ins Unbewußtehera111 g, atatische.Eig enart ist es, daß sie, obschon unbewußt, relativ leicht ins ,,verdrängt". Doch bleibt ihr Kraft genug, ein neurotisches Sympto: 'n gerufen werden können, während die im engeren Sinne unbewußten erzeugen. Das neurotische Symptom verhält sich zur verdrängten Deren:h nur durch einen mühsamen Prozeß ans Tageslicht bringen lassen. der manifeste Trauminhalt zum latenten Traumgedanken. Es ist die i Gliedt.rung des Psychischen in Bewußtes, Vorbewußtes, Unbewußtes Befriedigung, aber so maskiert, daß das Bewußtsein sie passieren läßt.Libido noch eine andere möglich, die sich mit der ersten überschneidet: der eine Ersatzhandlung für die infantile Befriedigung, vermischt mit Reminis findet es zweckmäßig, vom „Ich" das „Über-Ich" und das „Es" an die Situation, von der die Erkrankung ausging.* n. Das Über-Ich tritt in extremer Form bei gewissen Geisteskranken Wie sieht die Therapie aus, die der Analytiker gegen die Neurose zur An· ie dauernd das quälende Gefühl des Beobachtet- und Kontrolliert­ dung bringt ? Das Prinzip ist einfach: es handelt sich darum, die unbe Dasselbe Gefühl kennt in milder Form auch der normale Inhalte der Libido ins Bewußtsein zu heben, damit der Patient in die Lage kommt es, daß sich vom Ich eine Kontroll-Instanz lostrennt ? sie geistig so zu verarbeiten, daß sie sein Wohlbefinden nicht mehr stören. haben.hung des Über-Ich hängt mit dem Ödipuskomplex zusammen. Häufig Durchführung ist allerdings schwierig. Gewöhnlich erhebt sich beim Pati,ko: Wielibidi nöse Strebungen, daß wir uns mit dem Objekt der Libido (dem ein heftiger „Widerstand" gegen das Bewußtwerden der verdrängten I Menschen, in populärer Sprache) identifizieren. Die kindliche Libido, e t e t r r Dieselben Kräfte, die seinerzeit die Verdrängung bewirkt haben, wehren der Zi lr_ich ung auf di El ern nicht du chdringt, schafft sich E satz dagegen, daß sie annulliert wird. Eine zweite Schwierigkeit ist das Auftau, Identifizierung. Beim Auflassen des Ödipuskomplexes setzt der „Übertragung". Der Patient überträgt im Laufe der Behandlung des kindlichen Ich an Stelle der Eltern, übernimmt die Aufsichts­ oder Haßgefühle, die vormals anderen Personen gegolten haben, auf den aolchendie vorh er die Eltern ausgeübt haben. Allmählich geht in das Über-Ich In den Anfängen der Analyse schien es, als flöße hieraus eine Quelle unend!i

Das :enntnistheoretiker sehen nun hier einen Widerspruch. identisch; einen 1, ·sehe und das Bewußte, meinen sie, ist Die Analyse wird seit je beschuldigt, daß sie alles und jedes auf einen ein a a ist ebenso sinnvoll, :wußten Seelenvorg ng nzunehmen, Trieb, den sexuellen, zurückführe. Der Vorwurf ist nicht begründet Ursp viereckigen Kreis zu reden. Mit vollem Recht lieh nahm die Analyse an, daß außer den sexuellen sogenannte „Ich-Trie von einem l s a zurückgewiesen. Seine bestehen; sie konstruierte die Psyche so ähnlich, wie das Schillersche Gedicht Freud diese Bedenken kurzerh nd a a s als existent tut, demzufolge die Welt „durch Hunger und durch Liebe" zusammengehal 1bachtungen zwingen einf ch d zu, da Unbewußte s ahr­ wird. Die Entdeckung des „Narzißmus", der merkwürdigen Tatsache, begreifen. Die Wirkungen des Unbewußten ind den W sich die Libido auf das eigene Ich richten kann, zwingt, diese Hypothese a darf die Analyse IIungen zugänglich. Von den Wirkungen geben. Was zuerst als Ich-Trieb angesehen wurde, ist bloß eine spezielle Ä· s a a ssen- die Ursache schließen, genau o wie es lle N turwi rung des Geschlechtstriebs. Damit ist aber nicht gesagt, daß neben di, eine durch nicht noch eine zweite Kategorie von Trieben existiert. Im Gegenteil: die ten in tausend analogen Fällen tun. Stimmt schen Denk­ scheinungen des Sadismus und Masochismus lassen sich von keiner and, ng fundierte Hypothese mit philosophi s s für die Denk­ Voraussetzung aus erklären. Der Masochismus (geschlechtliche Lust am Sch .,,hnheiten ' nicht überein - um o chlimmer enthält in sich sowohl das Sexuelle als auch eine Komponente, die ihm entge müssen revidiert werden, nicht etwa die läuft. Das Sexuelle (Eros) ·zielt auf Fortbestand, Fortpflanzung. Das Ziel ,,'Ohnheiten. ' Sie zweiten, im Masochismus sichtbaren Triebes ist Selbstvernichtung, Tod. Gle· ,othe- se. s wird jedem anderen ist auch der Todestrieb vielfacher Verwandlung fähig. N: Der Einwand gegen den Begriff de Unbewußten Oft aber außen gekehrt, wird er Lust an Aggression und Destruktion. Mit dem Geschlecl .er öfters von ganz ehrlichen Leuten vorgebracht. liehen vermischt, wird die Aggressionslust zum Sadismus. Das Über-Ich 2.er nur die Maske eines a nderen, der sich auch unverhüllt mag die Aggression von der Außenwelt abzuziehen. Auf das Ich zurückgeke: 'Ortratit: des Einwandes gegen den von Freud behaupteten erzeugt sie das Schuldgefühl oder Strafbedürfnis, das, scheinbar ohne vernü uns, ohne lt des Unbewußten. Nach Freud trägt jeder von gen Grund, bei unzähligen Menschen auftritt. Es ist einer der wichtigs mit psychischen Komplexe; auch die Pädagogik, die Kriminalistik muß sich mit· ahnen, einen brodelnden Kessel von Scheußlichkeiten s s auseinandersetzen. Sexualtrieb und Todestrieb können auf ein gemeinsa: herum. Die gemeinsten Wünsche, be onders ge chlechtlicher biologisches Prinzip zurückgeführt werden: den Wiederholungszwang. Nicht Das kann", wird zu­ , sind unablässig in uns a m Werk. ,, das seelische, auch das vegetative Leben ist von Trieben beherrscht. Stets weil es nicht wahr sein darf. Es das Ziel des Triebes Wiederholung von Früherem. So wie Eros das Leben gesagt, ,,nicht wahr sein, s s den Men­ erneuern strebt, so will der andere Trieb durch Selbstvernichtung den Zus t uns a lle Achtung vor uns elb t. Es reduziert a s Worte wiederherstellen,Nicht nur ausin demihren das Anfängen Leben allererst wurde hervorgegan die Angen ist.*ly e he auf die Stufe des Tieres." Man muß wohl nicht viel s s s ang nicht kritisiert; die Kritik i t zum großen Teil bi heute lebendig .en, um zu erklären, daß ein olcher Gedankeng a s a uns die blieben. M n hat viele un innige Einwendungen geltend schaftlich ist. Die Psychologie h t die Aufgabe, a s a a a s s wir sie gern m cht, ander eits ber doch uch m nche, die den und jeni de s Menschen zu zeigen, wie ie i t, nicht, wie wir richtigen Gesichtspunkt enthalten. Wir wollen uns mit einig1 möchten. Ist sie voll von Häßlichkeiten, so werden D und Argumenten der Analysegegner auseinandersetzen. Das �· abermals genötigt sein, enkgewohnheiten, :icht n, eine gute Methode, zu einem eigenen Urteil über die Sache ·.cht sogar höher gewertete als jene erkenntnistheoretische s s a wenn wir uns gelangen. zu lassen. Aber wir setzen un elbst her b, r. Das wahrscheinlich älteste aller gegen Freud erhoben, , der Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Bedenken ist philosophischer Natur. Freud geht davon a a ist nicht richtig, weil sie nicht ·.; „Die nalytische Lehre a s s a s argumentieren, d ß e unbewußte Vorstellungen, Triebe u w. gibt, und daß ·.eh ist" - so wird nur ein n iver Men ch Welt­ in unserem Leben eine entscheidende Rolle spielen. Gewi regelmäßig wohl auch nur einer, der der konservativen s aber auch uung zuneigt. Ein ähnliche Argument wird

* Ebenda, S. 132-53.

bs, Geistige Strömungen 242 D 243 von fortschrittlich Denkenden gebraucht. Es lautet ungeH ng überprüfbar sind, werden so sep.r erweitert, daß sie ,,Für die Analyse 1 sind die höchsten menschlichen Tätigkeit, ·.eßlich Richtiges und Falsches in sich begreifen. Dieser Feh­ wie soziale und künstlerische Tätigkeiten, bloßeÄußerungen ammtdaher, daß Freud von gewissen mechanistischen Ideen, sublimierten Geschlechtstriebes. Das Edle ist demzufolge a: in seiner Jugendzeit das bürgerliche Denken beherrschten, demselben Stoff wie das Gemeine. Dadurch wird das E :bens nicht losgekommen ist.* Seine Psychologie behandelt entwertet. Der Ansporn zur Höherentwicklung der Gesellsc Menschen an sich." Er sieht nicht die Dialektik der histo­ geht verloren." Wieder haben wir es mit einem unstichhältig, Entwicklung. Er sieht nicht, daß „der Mensch" im Ur- Bedenken zu tun. Der Maßstab für den Wert einer wissensch ., unismus, ,,der Mensch" im Kapitalismus, ,,der Mensch" in liehen Lehre ist ihr Wahrheitsgehalt. ,,.., Eine richtige wissenscha· sozial.en istischen Gesellschaft ganz verschiedene Wesen sind. liehe Doktrin kann „an sich" nie sozialschädlich sein. Bloß· alb schreibt er z.B. der Lehre vom Ödipuskomplex die Mißbrauch kann es unter Umständen sein. Im übrigen ist :rellst mögliche Geltung zu, während anthropologische Theorie von der Sublimierung nicht um eine Spur gefährlich1 chungen zeigen konnten, daß die Angehörigen eines primi- als alle Theorien, die uns über die Entstehung des Höheren a Stammes in Melanesien von diesem Komplex frei sind und dem Niedrigeren unterrichten, z. B. der Darwinismus. D keinen ähnlichen kennen.** Die Latenzperiode der Sexuali­ der Mensch vom Affen und letztlich von einzelligen Lebewes, die sich nach Freud zwischen das vierte Lebensjahr und abstammt, hindert uns nicht, ihn über das Tier zu stellen. D Pubertät einschiebt, fehlt bei manchen Stämmen in Mela­ die künstlerische Produktion . letztlich dem Sexualtrieb en m, Samoa, Mittelaustralien.*** Der Todestrieb, wenn er stammt, hindert uns, selbst wenn wir es vollinhaltlich akzepti1 ·haupt als existent angenommen werden soll, ist sicher zeit­ ren, in keiner Weise, sie wertmäßig vom unvergeistigten g1 schlechtlichen Verlangen scharf ldassenbedingt; an Wichtigkeit ist er sicher mit dem Sexual­ abzusondern. Freud selb ib nicht vergleichbar. In der analytischen Lehre werden vollzieht diese Sonderung, t er betont nachdrücklich, daß er uner, viele ähnliche Willkürlichkeiten vorgetragen. achtet seiner genetischen Auffassung die Höherwertigkeit d1 5. Ein weiterer ernster Fehler der Analyse besteht darin, sublimierten Triebe gegenüber den unsublimierten anerkenn sie die Bedeutung gesellschaftlicher Umstände für die Allerdings hätte das in Rede stehende analysefeiridliche Ar des Individuums übersieht, anderseits zu ment keinerlei Verbreitung gefunden, ·sehe Entwicklung träte nicht bei den Les :bührlicher Expansion in das Feld der Gesellschaftswissen­ psychoanalytischer Schriften manchmal .. die Tendenz hervor, d1 'ten neigt. Sie möchte geradezu all diese Wissenschaften ein­ genetischen und den Wertgesichtspunkt zu vermengen. Au, und in ihrem Sinn umgestalten. Das Auftreten einer durchgebildete Analytiker bekunden oft die erstaunlie,hs· Tendenz ist sozusagen etwas Natürliches. Für eine erfolg­ Geringschätzung sozialer, speziell politischer Leistungen, de ·.ehen.e ps ychologische Doktrin lag es nahe, sie zu entwickeln. Motiv sie durchschaut haben - oder durchschaut zu hab., Sozialwisse.en nschaften handeln durchwegs vom menschlichen glauben. ·halten.. .. 4. Ungleich Menschliches Verhalten ist der Gegenstand der schwerer als die bisher erwähnten Einwäni 1 wiegt ein anderer.* Die Analyse gibt vielen ihrer Behauptung1 Denac:i eine zu allgemeine Fassung. s. 28, 121. Thesen, die an sich richtig und dur, S. 52 ff. Bartlett stützt sich auf B. Malinowski, ., Sex and :ion in a Savage Society", 192 7. Ebenda,Ebenda, S . 100. Hier kann Bartlett außer Malinowski auch Margaret * Vgl. zum folgenden: F. H. Bartlett, ., Sigmund Freud, A Ma ' e e Essay." 1938. und d n Analytiker Geza Roheim als Gewährsl ute anführen. Ebenda, S, 137. Z44 Steliung im modernen Geistesleben 245

1 Psychologie. Sollte es nicht möglich sein, Geschichte l.1te sie günstigstenfalls die Möglichkeit sozialer Erscheinun­ geschichte, Nationalökonomie als Einzeldisziplinen der „ den, niemals aber zeigen können, warum das und das wandten Psychoanalyse aufzufassen? Selbstverständlirh iJ ter Zeit an bestimmtem Ort wirklich geschehen ist . ein krasser Fehlschluß. Die menschlichen Akte, um die e:. · berichtet die Geschichte, trotz Aggressionstrieb, von Sozialwissenschaften geht, sind nur teilweise psychisch tm Friedensperioden? Warum blieben, selbst in den größten zugleich hundertfältig außerpsychisch determiniert: durch der Gegenwart, viele Länder neutral? Warum hat die oder Mangel an materiellen Ressourcen, durch den Stan1 e proletarische Revolution nicht unter den Ruriks statt­ Produktivkräfte, durch die gesamte soziale Organisation, · n? All das sind beantwortbare Fragen, die Beantwortung der einzelne hineingeboren wird, die er, was immer seine Trie nicht besonders schwer, nur muß man ökonomisches und diktieren mögen, zur Kenntnis nehmen, mit der er rechnen es Material zur Verfügung haben. Die Analyse kann Die Psychoanalyse ist vielfach in die Falle gegangen, die ausfüllen, Episoden verständlich machen, Eigenarten soziologisch ungeübten Denken hier gestellt ist. Freud selb: akter historischer Gestalten oder in der Haltung kleiner den Anfang gemacht. Zum Beispiel ist seine psycholo Gruppen aufhellen. Aber mehr kann sie nicht tun. Das Darstellung der Urgeschichte genau so haltlos wie andere i auf sozialwissenschaftlichem Gebiet ist eine Gefahr stische Geschichtskonstruktionen. 6 Haltlos ist seine Mein Freudsche Schule. Gar zu leicht fällt von da ein Schatten daß in der Geschichte Phasen der Aggression mit solchen auf·.eren ihre positiven Leistungen. Sie sollte es begrüßen, wenn 7 wechseln, in denen Eros herrscht ; daß der Kampf gegen alytisch und soziologisch geschulter Autor wie Walter Krieg hauptsächlich gegen das psychische Phänomen des eher es unternimmt, die Grenzen zwischen Psychologie und sionstriebs gerichtet werden muß. 8 Seine Irrtümer kehr, .ogie abzustecken.* vergröberter Form bei seinen Schülern wieder. Ein Anal legt dar, daß zur Friedenssicherung die Ausschaltung der off1 Lebenswerk Freuds ist ein großes Werk. Wahrscheinlich Aggressionslust nicht genügt, und fordert Beseitigung des ·.eh einmal zeigen, daß ihm außer den eben erwähnten sozial­ wußten Sadismus, der in vielen Friedensfreunden am chaftlichen auch rein psychologische Irrtümer unter- Ein anderer erklärt die Währungspolitik, die England um sind. Wahrscheinlich werden auch seine Grundanschau­ betrieb, aus gewissen unbewußten (wohl sadistischen?)Werk MO' durch spätere Forschungen Korrekturen erfahren. Sein der Regierenden. 9 Ein dritter glaubt, daß der politische Ko: .st wird sich dadurch nicht verringern. Die Entdeckung vativismus (wann und wo immer er in der Weltgeschichte .unbewußten Seelenvorgänge, des Verdrängungsapparates, tritt) durch Identifizierung mit dem Vater, die demokrati egenwart des Sexuellen sichert ihm jedenfalls Unsterblich- oder radikale Gesinnung (wann und wo immer sie auftritt) d, Die Fruchtbarkeit seiner Ideen ist außerordentlich. Sie ... den Ödipuskomplex erzeugt ist.** Es ist ein ganz primi .entiert sich nicht nur in der internationalen analytischen Fehler, dessen sich diese Schriftsteller schuldig machen: ng (die, soweit sie Probleme behandelt, welche zur psy- wechslung von Möglichkeiten und Wirklichkeit. Die tischen Lehren vom Mechanismus der Triebe sind so allgem W. Hollitscher, .,Sigmund Freud. An Introduction", 1947. - Ver­ Grenzziehung sind schon öfters gemacht worden, so von R. Waelder * E. Glover, .,War, Sadism and Pacifism", 1933, S. 41 ff. Vgl.sur l'Etiologie et !'Evolution des Psychoses collectives. La Situation ** Vgl. M. D. Eder, .,Psychoanalysis in Relation to Politics", in derue actuelle",in dem Band „L'Esprit, l'Ethique et la Guerre", heraus­ von Jones herausgegebenen Band „Social Aspects of Psychoanalysis", vom Internationalen Institut für geistige Zusammenarbeit, 1934) und s. 128-68. . Osborn (.,Freud and Marx", 1937). 247 246 •_ßJ.•r.s'"7"1I Stellung im modernen Geistesleben um chologischen Erfassung taugen, nützliche Arbeit t11t). Fi ".chen Rationalismus des Ig. Jahrhunderts, aber nur, Irratio- hat weit über die Fachkreise hinaus das zeitgenössische De:11 noch oberflächlicheren, einen höchst gefährlichen . befruchtet. Es sei nur an die Fülle von Anregungen eri inert, mus_an seine Stelle zu bringen. In dem Wertkonflikt zwischen er der Dichtung gegeben hat. Die Schriften der österreiclus unft und Unvernunft optierten sie für die zweite. So wirkten Modeme und des Expressionismus wären ohne ihn ungleich ä als Mauerbrecher für die abscheuliche Mystik der Faschisten. eine Menge der interessantesten Figuren und Motive würde fe.., it hat Freud nicht das geringste zu tun. Er ist überhaupt Seine Wirkung auf die deutsche, französische, englische, t Irrationalist in dem Sinn wie die Dichter undPhilosophen, kanische Dichtung ist ebenfalls beträchtlich. Viele von denen man ihn zu vergleichen pflegt. Von den dunklen geprägte Begriffe - Verdrängung, Sublimierung, Fehlleis enten der Menschenseele wußte er so viel wie sie, und noch zu Ödipuskomplex - sind Gemeingut der Gebildeten geworden. · ·es mehr; sich der Dunkelheit zu unterwerfen oder sie gar sein Format seinem Werk stecken auch hohe ästhetische und ethische W1 :n, kam ihm nicht in den Sinn. Seine Eigenart, Ästhetische : er ist ein Prosakünstler ersten Ranges; die :� n sich gerade darin, daß er, der Zermalmer bürgerlicher Vorur- von I789 die heit und Freiheit seiner Sprache hat oft etwas Hinreiße: 1, ' den besten Ideen des Bürgertums, den Ideen Ethische: die Welt von Haß, die gegen ihn aufstand, hat .e hielt. Er erkannte die bedrohte Lage der heutigen Zivili­ der Drohung vor seinem nicht dazu gebracht, auf ein Jota seiner Wahrheit zu verzi II (wenn sich auch der Ursprung Wenn irgendeiner, so konnte er sagen: ,,Hätt' Wahrheit verzerrte). Er glaubte, daß die Welt der Zivilisation, die geschwiegen, mir wären Hulder viel." Ein Österreicher, und t,in in der Vernunft,Freiheit, Gesittung regieren, in Kampf und ein Antipode des Opportunismus: welch ein Schauspiel! W1 arbdt gegen die Barbarei gesichert werden könne, und daß ein Beispiel! die Aufgabe- der modernen Menschheit zu suchen sei. Diese Hundertmal hat man versucht, ihn in einen besti nkenrichtung tritt in seinen Altersschriften unmißver­ geistesgeschichtlichen Zusammenhang einzureihen. Man _dlich hervor. Sie verbindet ihn nicht nur mit dem bürger­ ihn neben Nietzsche, Knut Hamsun, Ludwig Klages, Os .en, sondern auch mit dem proletarischen Emanzipations­ Spengler gestellt als einen der Denker, die am Beginn des J: .pi. Er ist ein fortschrittlicher Philosoph - fortschrittlich hunderts die Weltanschauung des Ig. überwanden; die dem Motiv seines Schaffens genau so wie nach der imma­ Intellektsherrschaft, durch welche jene gekennzeichnet20. ten Tendenz seiner Lehre. Der weiseste seiner Schüler, stürzten und die nicht-rationalen Kräfte der Psyche in ihre mas Mann, war berechtigt, ihn den großen Aufklärern zuzu­ daß er einen stammten Rechte einsetzten. Daran ist etwas Richtiges und 1 _en. Er war berechtigt, von ihm zu rühmen, Fundament der viel Falsches. Richtig ist, daß Freud den Kampf gegen die 1tigen Baustein beigetragen habe „zum chologischen Fiktionen der liberalen Bourgeoisie nicht allein ...nft, zur Wohnung einer befreiten und wissenden Mensch- führen brauchte. Sein Schaffen fällt in die Epoche des Imp lismus. Die Zersetzung des kapitalistischen Systems, die in di , Epoche vor sich geht, war von allem Anfang an und mit b derer Heftigkeit Zersetzung der liberalen Ideologie. Nietzs, Hamsun und die Legion anderer, die ihnen folgten, wiesen müdlich auf die Unterschätzung des Triebhaften hin, deren ,, sich früher schuldig gemacht hatte. Trotzdem sind sie d· 1 einen Abgrund von Freud getrennt. Sie beseitigten den o ' • Th. Mann, ,,Die Stellung Freuds in der modernen Geistesgeschichte" .,Die Forderung des Tages", 1930, S. 224.

Üie österreichische Friedensbewegung ist ein Teil der inter­ .tionalen, hat sich in Verbindung mit dieser entwickelt und ebreitet. Die internationale Bewegung selbst ist - wenn­ ich der Wunsch der Menschheit nach dauerndem Frieden in fernsten Vergangenheiten zurückverfolgt werden kann - 'hältnismäßig jungen Datums. Sie entstand in den Achtziger- .d Neunzigerjahren des r9. Jahrhunderts als Reaktion auf Übergang des Kapitalismus zu imperialistischen Formen. 'elch tiefe ökonomische, soziale, ideologische Wandlungen als einsetzten, wurde nur von wenigen erkannt. Daß das ettrüs't:en der Großmächte, das gleichzeitig einsetzte, die :fahr eines gewaltigen Krieges involvierte, sahen viele Freunde liberalen Gedankens in seiner ursprünglichen Gestalt, unde des sozialreformerischen Gedankens, endlich religiös .gestellte Menschen fingen an, sich intensiv mit dem Problem Friedenssicherung zu beschäftigen. Sie schufen in den isten europäischen Ländern und in Amerika Organisationen, ehe Mittel der Friedenssicherung ausfindig zu machen, die 'ölker auf die Zuspitzung der internationalen Lage hinzu­ :isen trachteten. Ein charakteristischer Zug in der Geschichte ,eser Organisationen war es, daß sie von etlichen Großkapita­ en finanzielle, von etlichen Regierungen politische Unter- 'tzung bekamen, und daß sie trotzdem ihr eigentliches Ziel t wesentlich zu fördern vermochten. Nicht nur war die 'edensbewegung in den kritischen Jahren um r9ro ohne jeden ergleich schwächer als die zum · Krieg treibenden Kräfte; sie 1nnte auch nicht verhindern, daß im August r9r4 Millionen­ en die hereinbrechende Katastrophe mit Jubel begrüßten. ,tzdem leistete die Friedensbewegung Nützliches. War sie erstande, die chauvinistische Hetze zu paralysieren, so wußte 252 Entwicklung der internationalen Friedensbewegung 253

sie sie doch ein wenig zu erschweren. Trug sie in ihren Büche das Schiedswesen zu einer b eherrschenden Institution des und Revuen manche irrige Auffassung vor, so verbreitete sie Jo 11kerlebens g emacht werden könne. Der Unterschied d er auch manche wertvolle sozialwissenschaftliche Einsichten. Ver, ·sammlungen lag hauptsächlich in der Zusammensetzung: schaffte sie dem Völkerrecht nicht die überragende Autorität. Interparlamentarische Union rekrutierte sich aus mehr oder die sie i hm gerne verschafft hätte, so gab sie doch zahlreich iger prominenten Politikern, d er Weltkongreß wurde von Anregungen zu seiner weiteren Ausgestaltung. Vor allem erziel senorganisationen beschickt. Die Pariser Tagungen weckten sie einen sittlichen Effekt : sie brachte Tausenden und Tausend der Welt lebhaften Widerhall. In Österreich, Ungarn, Deutsch­ das Humanitätsideal nahe. Österreich partizipierte von Anbeg· .d, Norwegen, Holland usw. wurden neue Vereine gebildet, in reichem M aß an d en Leistungen des internationalen Pazifi: .e sich der internationalen Bewegung angliederten. Der Welt­ mus. Auf organisatorischem, publizistischem, wissenschaft greß richtete 1892 ein ständiges Büro in Bern ein. Als liebem G ebiet wurde von unseren Landsleuten schon in der Vor, :kretär fungierte Elie Ducommun. Auch die Interparlamentari- kriegszeit gute Arbeit getan. 1914-18 gaben ein paar öster, .e Union schuf sich eine ständige Zentralstelle. D er Pazifismus reichische Pazifisten ein prächtiges Beispiel d er Standhaftigkei oß die Hilfe zweier rechtswissenschaftlicher Korporationen, im antiimperialistischen Kampf. Das Werk dieser Männer-das Institut de Droit International in Genf u nd der I nternatio­ Werk eines Kraus, Lammasch, Zweig - ist e ines der Ruhmes­ Law Association in London. Große Hilfe bedeutete es, blätter in der österreichischen Geschichte. .ß der schwedische Multimillionär Alfre d Nobe l, der Erfinder Zunächst einige Angaben zur Chronologie der internationalen Dynamits, in s einem T estament die Friedensbewegung b e­ Bewegung.* Der erste Anstoß kam aus den demokratischen .chte (1896). Er bestimmte, daß die Zinsen s eines V ermögens Ländern d es W estens. Als 1882 die Vereinigten Staaten von in 35 Millionen Schweden-Kronen alljäh rlich als Preise für Amerika e rklärten, mit anderen Staaten Schiedsverträge a� deutende kulturelle Leistungen verteilt werden sollen. E iner schließen zu wollen, s tarteten englische und französische Abge­ Preise sollte einem hervorragenden Förderer des Weltfriedens ordnete, voran Sir Randal Cremer u nd Frederic Passy, eine allen. D em Beispiel Nobels folgend, errichtete ein amerikani- Kampagne, um ihre Regierungen zur Annahme des amerikani­ er Industrieller, A n dre w C a r n e gie , ebenfalls eine Stiftung. schen Vorschlags zu bewegen . 1888 brachten Cremer und Passy t s.tellte den Betrag von 10 Millionen Dollar für Arbeiten im in Paris eine Konferenz von Abgeordneten verschiedener Parla­ ,teresse des Friedens zur Verfügung (1910). Ein merkwürdiges mente zustande, aus der die Interparlamentarische Union hervor­ 1litisches Ereignis, das die Entwicklung d er Friedensbewegung ging. Im folgenden Jahr (23.-27. Juni 1889) tagten in Paris einflußte, trat 1898 ein. Der absolute Herrscher d es r eaktio­ Delegierte von Friedensvereinen verschiedener Länder: der sten Großstaates, der russische Zar, veröffentlichte ein Mani- Erste Weltfriedenskongreß; einige Tage darauf ( 29. -30. Juni 1889) t, in dem er sich einige Hauptideen d es P azifismus (Schieds­ wurde in der s elben S tadt die e rste Tagung der I nterparlamen­ 'chte, Rüstungsbeschränkung) zueigen machte. D ie leitenden .. tarischen Union, die Erste Interparlamentarische Konferenz, abge­ ,taatsmänner E nglands und Frankreichs fanden es nun a uch halten. Beide Versammlungen diskutierten die Frage, auf welche .chtig, Interesse für die Friedensbewegung zu zeigen. 1899 trat Haag eine Mächtekonferenz zu Beratungen zusammen, deren dem • Vgl. hiezu: Ludwig Quidde, ,,Die Geschichte des Pazifismus" in •rundlage das Zarenmanifest war. Die meisten Delegierten von K. Lenz und W. Fabian herausgegebenen Sammelband , ,Die Friedens­ t ten e e e n t e te ie e e e bewegung", 1922, S. 6-36. Reiches Material finden wir in den „Memoiren" ch e ihr R gi ru g im Lich r ins r Fr d nslieb r­ von B. v. Suttner, (1909), und im „Handbuch der Friedensbewegung" von .einen zu lassen. Nur die deutsche Delegation demonstrierte A. H. Fried (r. Aufl. 1904, 2 Aufl., 2. Bde., 19n-13). hneigung gegen den Pazifismus. Das Resultat der Konferenz 1gisr ,ö Grundlage des Pazifismus 255 254 Da 1 - eine völlig einheitliche war bescheiden: ein „fakultatives"1 Schiedsgericht wurde wir, daß - wie nur begreiflich .. sind alle Pazi­ schaffen, genaues Studium der Rüstungsfrage den Reg1t;1„n . ogie nicht existiert. In gewissen Punkten In anderen differieren sie sehr empfohlen. Das Schiedsgericht hatte in den 1 derselben Auffassung. nächsten Ja und der anderen wiederholt Gelegenheit, kleinere Streitfälle zu entsche1u1..n, · ..Wir wollen etliche Punkte der einen orie anführen. erwies sich als recht brauchbar. r907 trat eine zweite Konfer, was das im Haag zusammen. Sie beschloß Regeln zur Humanisierung . Es herrscht selbstverständlich Übereinstimmung, Landkrieges, des Seekrieges, kam aber, was Friedenssiche anlangt. Friedenssicherung, wie obligatorische nicht vorwärts. Abermals war die Haltung der deutschi . Manche Mittel der betrifft, gutgeheißen. Delegation eine negative. Inzwischen war die Tätigkeit ·.edsgerichte, werden von den weitaus meisten 3. Der Kampf des Pazifismus richtet sich vor allem gegen pazifistischen Organisationen inhaltlich und umfänglich w,� in ihm den ge- über die Anfänge hinausgewachsen. Von der Erkenntnis a Chauvinismus. Die Friedensfreunde sehen dabei regelmäßig zu gehend, daß die Frage der Friedenssicherung aufs engste 'lichsten Friedensfeind. Sie gelangen Bewegungen als zahlreichen anderen Problemen der modernen Gesellsch lebhaften Mißtrauen gegen die nationalen e. Sie unterscheiden nicht genügend zwischen diesen beiden insbesondere mit kulturellen Problemen zusammenhing, nah . sondern die Friedensvereine Stellung gegen den Mißbrauch der Sch i ·egungen und ihren reaktionären Ausartungen, nationale Empfinden ausmerzen oder zu chauvinistischen Zwecken, gegen die Todesstrafe, gegen II' ten am liebsten das sie tendieren, ist die Duellwesen, für Einführung der Weltsprache Esperanto, für sehr abschwächen. Die Position, zu der Internationalismus, kulturellen Rechte nationaler Minderheiten etc. Mit Ausbruch nationalen Indifferenz, mögen sie sie .op:.üitisml!S oder wie immer nennen. Weltkrieges trat im pazifistischen Lager eine scharfe Differ, isoliert zierung ein. Nur ein Teil der Pazifisten begriff, daß jetzt 4. Die Pazifisten glauben, daß das Friedensproblem ,ar ist; d. h. sie glauben, daß der Friede dauernd gesichert Augenblick der Bewährung gekommen war, daß gerade jet im Kräfte­ mit der größten Tatkraft auf Frieden hingearbeitet werden muß .en kann, ohne daß wesentliche Verschiebungen �•tnis der bestehenden sozialen Welt vorauszugehen brau­ Die übrigen vertagten die Friedenspropaganda auf bess daß zwischen Zeiten und akzeptierten den Standpunkt der „Vaterlandsv, . Zwar sind sie nicht so blind, zu verkennen, Defekten unserer teidigung", d. h. den Standpunkt, den die Imperialisten Kriegsgefahr und manchen anderen z.B. ihre Bemü­ einzelnen Vaterländer einnahmen. Das letzte Kriegsjahr brach: ···sation ein Konnex vorhanden ist. (Daher Hingegen verschließen sie mit der allgemeinen Friedenssehnsucht ein neues Anschwellen 1:· en um bessere Schulerziehung.) ankommt. Sie pazifistischen Bewegung. Die Gründung des Völkerbundes · Augen vor dem Konnex, auf den es eigentlich daß die Kriege des Jahr r9r9 entsprang unter anderem dem Wunsch der Sieg, ließen ihre Augen vor der Tatsache, Jahrhunderts den Interessen des Monopolkapitalismus ent­ mächte, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Manche Pazi . Diktatur fisten erblickten im Völkerbund die Erfüllung ihrer Träume. Di gen; daß die Monopolisten eine unbeschränkte ... Einrichtungen aus­ konsequenten Friedensfreunde freilich erkannten sogleich d' alle staatlichen und gesellschaftlichen ; daß daher eine Beseitigung der Kriegsgefahr nur in dem Konstruktionsfehler, die ihm anhafteten und die sich zwisch, werden . r9r9 und r939 so katastrophal auswirken sollten. möglich ist, in dem die Monopolisten entmachtet Dinge: Fragen wir nach der Ideologie der Friedensbewegung, * Strittig sind unter den Pazifisten folgende I. Die Begründung, die dem (gemeinsamen) Friedensziel * Vgl. zu den folgenden Bemerkungen: L. Groß, ,,Pazifismus u Man kann hier drei Meinungen unterscheiden: Imperialismus", r93r, S. 67-306. geben ist. 256 Da ogische Grundlagen des Pazifismus 257 die utilitarische, die ethische, die religiöse. Die Dringt man ein wenig in die Ideologie des Pazifismus ein, weisen darauf hin, daß die Rüstungsausgaben wirtslJ. · ft'· verlieren gewisse historische Episoden, die früher erwähnt Unsinn sind, daß der Krieg ein schlechtes Geschäft ist. den, jene Unbegreiflichkeit, die ihnen zuerst anzuhaften Ethiker berufen sich mit Vorliebe auf den Kantscheu kat · t. Aus seinen Unklarheiten heraus richtete der Pazifismus sehen Imperativ, der die höchste Achtung vor jedem Mens, Kampf nicht gegen das kapitalistische System als solches, leben gebietet. Für die religiösen Pazifisten ist die Unverein .dem bloß gegen etliche von dessen Ausdrucksformen (Wett­ keit des Militarismus mit der Lehre Christi der entschei en, militärische Propaganda usw.). Eine Bewegung, die so Gesichtspunkt. Natürlich ist die Grenze zwischen den drei .damentale Irrtümer beging, war nicht sehr furchterregend. tungen nicht scharf. Von den Utilitaristen werden auch ethi ,erialistische Staatsmänner von einiger Geschmeidigkeit von den Ethikern auch Nützlichkeitserwägungen angeführt ten leicht auf den Gedanken kommen, den Pazifismus zu 2. Die Stellung zur Militärdienstpflicht. Die Mehrzahli Zwecken oder doch zur Verschleierung ihrer Zwecke zu Pazifisten meint, daß die Dienstpflicht, die im Zuge der rall brauchen. Die Erfahrung bewies, daß es ein „guter" Gedanke besserung der internationalen Organisation überflüssig w1 . Der Zar Nikolaus II. erntete mit seinem Manifest, das ihn und wegfallen wird, im heutigen Stadium dort, wo sie besteht, .t mehr als den Entschluß zur Abfassung kostete, begeistertes nun einmal vorhandene Institution anzuerkennen ist. in den liberalen Zeitungen der ganzen Welt, die ihn noch Minderzahl von Pazifisten, hauptsächlich religiös gesinnte gelobt hatten. Entente-Politiker, wie z. B. Leon Bourgeois fassend, erklärt, daß der einzelne der Aufforderung zu kri, Balfour, schufen sich durch ihr Eintreten für den Pazifismus sehen Diensten keinesfalls Folge leisten darf. ihren Ländern einen Kredit als Friedensfreunde, der ihnen 3. Das „Recht der staatlichen Notwehr". Die Mehrzahl 14, ihre unfriedliche Rolle erleichterte. Wenn sogar solche kennt, daß ein Krieg unter Umständen ein gerechter Vert, .te, sagte sich der kleine Mann, plötzlich für den Krieg waren, gungskrieg, also unterstützungswürdig sein kann. Eine Min, war es offenbar ein echter Verteidigungskrieg. Der organi­ heit, aus den Quäkern, Tolstoianern, also abermals aus e Pazifismus in Westeuropa strebte vielfach, den kleinen religiösen Pazifisten sich rekrutierend, will von Unterstüt ,. in seinem Gedankengang zu bestärken, warf also sozu­ eines Krieges, welches immer sein Ursprung oder Inhalt sein :n noch eine Extra-Dividende ab. Daß eine allen radikalen nichts wissen. ,trebungen so abholde Bewegung wie der Pazifismus Multi­ Die Prinzipien, die der Pazifismus aufstellt, sind unte ·onäre mit karitativen Neigungen als „die" große Chance ander von sehr ungleichem Wert. Seine Ansicht über das Schi, Weltrettung zu beeindrucken vermochte, ist nur natür- wesen ist z. B. vernünftig. Sein Nichtverstehen des nation . Bleibt höchstens noch zu erklären, warum just der Gedankens fordert zur Kritik heraus. Seine schlimmste Schw: .tsche Imperialismus den Pazifismus ablehnte. Der Grund ist das Nichtverstehen des Zusammenhangs von Kriegsge: einfach: die deutsche Herrenklasse war eben ungeschickt und Monopolkapitalismus. Durch die Oberflächlichkeit, mit · , demokratische Bewegungen für ihre Absichten zu ver- er diese Sache behandelt, unterscheidet sich der (bürgerlii en. Pazifismus zu seinem Nachteil von den Friedensbestreb Wir wenden uns nun speziell der österreichischen Bewegung der Arbeiterschaft, die sich während der hier erörterten Pe · Deren Geschichte und Ideologie wird in den wesentlichen im Rahmen der Zweiten Internationale entfalten - und· ·en erkennbar werden, wenn wir die Friedensarbeit von vier seits auch wieder hinter den Möglichkeiten und Aufgaben z -" ' . utenden Menschen darstellen, die Friedensarbeit vonSuttner, bleiben. •·. ed,• Larnmasch und Karl Kraus. Für jene Phase der Be-

�cne. 1xe1st1ge Stromungen 258 a v. Suttner und der österreichische Pazifismus 259 wegung, die durch die Jahre 1914-18 bezeichnet ist, wird Reihe von Ergänzungen notwendig sein. ,itration and Peace Association informiert wurde. Aus diesem :bnis heraus schrieb sie den Roman „Die Waffen nieder!", Bertha v. Suttner (1843-1914)* ist unbestritt durch ein - übrigens frei erfundenes - Einzelschicksal die maßen die Schöpferin des österreichischen Pazifismus. Sie :heulichkeit des Krieges zu illustrieren suchte. Der Roman auch zum Aufstieg des Pazifismus in anderen Ländern wes, lieh beigetragen. Mit ihrem Mädchennamen hieß sie G zunächst von einigen Verlegern aus politischen Gründen ''.ckgewiesen. Als er dann doch erschien (1890), war er augen­ Bertha Kinsky, d. h. sie stammte aus einer der angesehen de'ch ein Best-Seller. Binnen vier Jahren wurde er zwölfmal Familien des österreichischen Adels. Allerdings war die V der Kinsky, zu der sie gehörte, verarmt. Die kluge und gebil, aufgelegt, in acht fremde Sprachen übersetzt. Bertha Komtesse mußte sich als Erzieherin ihren Unterhalt verdien ner war mit einem Schlag weltberühmt, ihr Name einer , glänzendsten, über die der Pazifismus verfügte. 1891 In dieser Eigenschaft kam sie in das Haus des Baron Sut sie die ins Leben, in Wien. Der jüngste Sohn ihres Dienstgebers, Arthur Gunda , sich als Sektion der internationalen Friedensbewegung (1850-1902), wurde ihr Gatte. Da die Vermählung ohne Wi Österreichische Friedensgesellschaft und gegen den Willen der Familie Suttner erfolgte, bega ,tituierte. Sie erwirkte ferner den Anschluß österreichischer famentarier an die Interparlamentarische Union, begründete sich die jungen Leute auf längere Zeit ins Ausland. Eine fre Revue „Die Waffen nieder!" (zusammen mit A. H. Fried), schaftliche Beziehung zur Fürstin von Mingrelien (Georgi1 bewog sie, sich im Lande des Kaukasus niederzulassen. Währ1 riff die Initiative zur Bildung von Friedensgesellschaften in 'lin und Budapest. Es war nur natürlich, daß das Nobel­ der neun Jahre, die sie dort verbrachten, wurden sie beide 2 Schriftstellern. A. G. Suttner veröffentlichte Erzählungen :aitee in_ Christiania ihr den Preis zusprach (1905). Bis ins dem kaukasischen Milieu. Bertha Suttner begann mit Feuillet Alter beteiligte sie sich. an der Leitung der großen pazi­ hen Kongresse, unternahm Vortragsreisen durch die halbe dann folgten Romane (,,Ein schlechter Mensch", ,,Ranna· dann ein Buch mit philosophischen Betrachtungen (,,In .t, usw. Von ihren späten Werken sind die „Memoiren" (1909) ein utopischer Roman (,,Der Menschheit Hochgedanken", tarium einer Seele", 1879). Ein ähnliches Buch von ihr, I) hervorhebenswert. Der Tod - sie starb eine Woche vor· anonym herauskam, nachdem sie in die Heimat zurückgek, Schüssen von Sarajewo - ersparte es ihr, mitansehen zu war (,,Das Maschinenzeitalter", 1889), erregte Aufsehen. n, wie das zivilisierte Europa, um das sie ein Vierteljahr­ liberale Abgeordnete Bartholomäus von Carneri erwähnte es .dert lang gebangt hatte, in Flammen aufging. einer Reichsratsrede, ohne zu ahnen, wer der Autor war. Ca Herkunft und Lebensgang Bertha Suttners sind so geartet, war später ein Freund der Friedensbewegung. Bertha Sut niemand erwarten kann, in ihren Werken auf revolutionäre wußte bis zu ihrem vierundvierzigsten Jahr nicht, daß e: zu stoßen. Extreme Tendenzen lagen ihr fern. Ein wenig solche Bewegung existierte, obwohl sie, wie ein Kapitel ·.chtsvoller als die mit Scheuklappen behafteten österreichi­ .. „Inventarium" zeigt, mit den Zielen der Bewegung übe Liberalen, war sie doch die typische Liberale im west- stimmte. Sie empfing einen starken Eindruck, als sie 1887 d· 1päischen Sinn. Jedem ernsten Problem gegenüber suchte einen Bekannten über Bestand und Tätigkeit der Internati, einer Kompromißlösung. Sie war nicht strenggläubig, • Vgl. Bertha v. Suttner, ,.Memoiren", 1909; L. Katscher, ,.Bertha auch nicht ungläubig, sondern freireligiös.* Die bestehende Suttner, die ,Schwärmerin' für Güte", 1903; Caroline E. Playne, .,Bertha: nachschaftsordnung schien ihr im wesentlichen unabänderlich, Suttner and the Stru ggle to avert the World-War", 1936; Nagl-Zeidler­ a. a. 0., 3. Bd., S. 77off., 4. Bd., S. r334f. • ,,Inventarium einer Seele", 1879, S. 33off. f-{ ermann Fried 261 260 andere Kategorie. Schon allein, daß sie in einer für die ge­ doch meinte sie, daß gewisse soziale Reformen Pl;,tz .e Öffentlichkeit unüberhörbaren Weise von der Kriegsgefahr mußten, damit es nicht eines Tages zu einem furchtbaren :h, war dankenswert. Mit ihrer Selbstlosigkeit und Uner­ bruch der Volkswut komme.* In der Begründunb

Neben der Schriftstellerei größeren Stils lief die jonrnal' Die sehe Tätigkeit einher, die beträchtliche Ausdehnung Ü.1' Pazifisten, soweit sie nicht utopistisch angehaucht sind, wollen nicht Schon 1908 konnte er ein Verzeichnis von tausend seinPr F, auch n an n n ,.ewigen" Frieden. Sie ehmen sich ein Beispiel de Inge ieuren, entstammenden Artikeln zusammenstellen. Der internaLio .cken n a nn n n Die nicht frage , ob die von ihnen geb nuten Tu els oder Eise bah ­ Pazifismus ließ ihm viele Ehrungen zuteil werden. So unendliche Lebensdauer haben werde . '-,nen n n a er zum Mitglied des Berner Büros und zum Korresponden Vernünftigen u ter den Pazifisten si d pr ktische Leute. Speku­

einer Abteilung der Camegie-Stiftung ernannt. Er enthielt a über die Ewigkeitn irgendwelcher menschlicher Schöpfungen erscheinen n sinnlos.* Der I genieur, der Erfinder: er ist die überragende Figur als einziger Österreicher nach Bertha Suttner den Nobels a rer Epoche. Die Technik hat die Erde neu gest ltet, ihre entlegensten Ö n n n n n Friedenspreis (19n). Vor dem Krieg war er nach sterr,· ".e miteinander verbu de , fü f Ko tinente zu ei em gemacht. Grund­ zurückübersiedelt, während des Krieges verlegte er seine Tä n ehena des a20. Jahrhu derts sind der Weltverkehr, der Weltmarkt,n der keit in die Schweiz, die der „Friedens-Warte" Asyl gew" th ndel, d s nallmähliche Wachstum einer Weltkultur. Die zwische staat- .e Organisatio ist hinter dieser Entwicklung zurückgeblieben, sie steht Die Arbeit seiner letzten Jahre galt vornehmlich der Propagan, ".cht. a n n 1te noch auf einer Stufe, die einem früherenn zivilisn torischen Stadium e t­ für die Ideen Wilsons und gegen den Diktatfrieden. (S ** Immer noch denken die Staate le ker dara , die wichtigeren bücher: ,,Der Völkerbund" 1919; ,,Der Weltprotest gegen ,en n n a n einer'erenzen mit ihren Kollege durch Krieg auszutr gen. Die Kriegsrüstungen Versailler Frieden" 1920.) gerade in jü gster Zeit unerhörte Dimensionen angenommen, sie si d furchtbaren Bürde für die meisten Völker geworden. Das Rüsten ist Die Schriften Frieds sind durch ein doppeltes Bemühen er n :chaftlicher Widersinn. Die Kriegsgeräte sind icht Werte, die selber kennzeichnet: er möchte den Pazifismus aus der Zone sgaben n Gefühlsmäßigen heraus auf den sicheren Boden wissensch neue Werte erzeuge . Die Rüstungsausgaben müssen als unproduktive bezeichnet werden.*** Sollte wirklicha ein Krieg zwischen großen licher Erkenntnis führen; und er möchte ihn durch maßvo ,ten ausbrechen, so steht schon jetzt fest, d ß es ein überaus grausamer

Auftreten, durch kaufmännisch-rechenhaftes Gebaren ge g sein v·ird. Ern wird erstn recht wirtschaftlichenn Schaden mit sich nbringen.n Einwendungen abdichten, ihn sozusagen respektabel mach, unmittelbare Koste der Durchführu g militärischer Operatio e sind r mo dernen Verhältnissen enorm. Dabei sind sie nur ein Teil, und zwar Die zwei Tendenzen fließen oft unerkennbar ineinander. , n geringere Teil dern Gesamtkosten. ,,Jeder Krieg ist n... i seinen wirtschaft­ n Folgen alsn ei gleichzeitiges Zusammenwirken verschiedenern nKrisen, n n H re Produktio skrisis,a einern Geldkrisis, ei er Konsume tenkrisis u dH einer Studieren wir die nallgemeinere HDarlegu gen,n die das „ andbuch ,tzkrisis zu betr chte . Dien Bedrohungn dern Seezufuhrn wird den andel Friedensbewegung"a bri gt - Frieds auptwerk u d zugleich eines der die Industriea n n unterbinde . Der Ma gel a Rohstoffe , ann Arbeitskräftenn sent tiven Bücher des gesamten Pazifismus! Wissenschaftliches Denken, vor lle Di gen die Unsicherheit kaufmännischer Unter ehmu gen wird er da, beginnt mit einer klaren Terminologie. Der Pazifismus ist u. a. a· n Wirtschaft hemmen.n nDer nKredit wird auf das ärgste erschüttertn sein."t deshalb Anfeindu gen ausgesetzt, weil die Mehrdeutigkeit des Wortes „Frl, n nn ,eh der Verlusta a Me sche leben ist vomn ökonomische Standpunkt aus Mißverständnisse erzeugt. Im biologische Si gebraucht, bedeutet das W, veranschl gen. Gehtn man von den Koste aus, die die Gesellschaft auf- so vieln wie Aufhören jeglichen Kampfes, absolute Ruhe,a Tod.n Der biologis, -·�er.den muß, um Ha dwerker, Ärzte, Gelehrte. etc. hervorzubringen,a so er-n Friede sbegriff war es, vonn dem ausgehendn Moltken s gen kon te: ,,Der e 1tsich, daß die Vernichtung dieser Berufsträger in großer Z hl die Vernichtu g Friede ist ein Traum, und icht ei mal ein schö er." Die Pazifistenn sind ni einerökono mischern Werte bedeutet. ,,Danachn würde dern materielle Verlust so verrückt, solchen Frieden zu fordern. Anderseits kö nen sie sich ni .., n im russisch-japaH ischen Kriegn zugrun de gegangene 500.000 Menschenn mit dem Zustand begnügen, der i militärischen Kreisen Friede gena im inblick auf den iedrige Kulturstand der russisch-japa ischen Höhe a n n wird: mit dem Schwebezustand nach Beendigung des einen, vor Beginn n n n i .massen mit nura 5000 M rk npro Individuum a zunehmende Summe nächsten Krieges.n Ihr Zieln nist der Friede i ei em dritte Sinn, der Fri von 2 ½ Milli rden erreiche . Im Kriege hochentwickelter europäischer als zwische staatliche Ordn u g, die den Gegensatz bildet nzu der heute herrsca : den, in extremen Fälle durch Krieg sich äußernde zwischenst afü • Ebenda, S. 11 ff. Anarchie.* **t Ebenda, S. 25-42. Han . "' ,, dbuch etc.", 2. Aufl., r. Bd., S. 7-10, 15-22. ••• Ebenda, S. 47-64 Ebenda, S. 85. 264 265

Kulturvölker würde sich der Verlust 1ommenheit für Deutschland ist in anderen Schriften noch wirtschaftlichen Schäden, die mit Bestimmtheit zu erwarten sin • �b· ·er ausgeprägt als im „Handbuch". So setzte er sich in der der nächste Krieg ernste soziale Unruhen herbeiführen. Es wäre de daß die Soldaten nachher die Waffen nicht mehr hergeben, daß ai ·, dem ·.ft „Der Kaiser und der Weltfriede" (1910) die nicht leichte die soziale Revolution wächst.** Die zahlreichen und verschiedenartigen gabe,. Wilhelm II. als Hort des Pazifismus zu zeigen. Die fahren, die der Krieg in sich schließt, müßten die verantwortlichen Poli sich verdienstlichen Antikriegsaufsätze, die er in der Kriegs­ bestimmen, unermüdlich am Abbau der zwischenstaatlichen Anarchie schrieb, sind gegenüber den mannigfachen Völkerrechts­ arbeiten. In der Tat geht die Entwicklung sichtbar nach dieser Rich .eben der Deutschen sehr zurückhaltend.* Wenn wir trotz In den letz ten Jahrzehnten hat sich eine umfängliche internationale Verwal etabliert (Weltpostunion, Meterkonvention, Union für Schutz des industri Fried als demokratischen Denker einschätzen und schätzen, Eigentums, etc. etc.), viele Streitigkeiten, die in früheren Jahrhunderten deshalb, weil eine vernünftige Beurteilung das allgemeine Krieg gemündet hätten (der deutsch-französische Marokko-Konflikt, 1905, ·eau seiner Zeit, seiner Gesellschaftsschicht mit berücksich- j apanisch-amerikanische Pazifik-Konflikt etc.) wurden friedlich-schiedlich muß. Die Ehrlichkeit seiner Absichten ist unbezweifelbar. gelegt. Der Pazifismus schöpft Hoffnungen aus den mannigfachen Ansä· zur Überwindung der Anarchie, die heute schon vorhanden sind.D er Pazifis e Broschüren und Artikel machten viele für den Imperialis­ ist eine realistische, keine utopische Bewegung, weil er nicht ein System kompromittierende Tatsachen weithin bekannt. So hat er, der Luft konstruiert, sondern einen durch die Naturgesetze bedingten Or, ,chon selbst in mancherlei Illusionen befangen, doch auf­ iationsvorgang der Gesellschaft vorwärts treibt, indem er ihn bewußt ·end gewirkt. Unter den politischen Schriftstellern der und die Energie der Menschheit in seinen Dienst stellt.*** cisco-josephinischen Ära steht er nicht an führender, aber an ehrenvoller Stelle. Die Gedankengänge Frieds sind vielfach anfechtbar. Bertha Suttner und A. H. Fried waren zeitlebens Privat­ Sein utilitarischer Pazifismus ist lange nicht so wissensch ,te, ireie Schriftsteller. Anders Heinrich Lammasch, der lieh, wie er sich dünkt. Fried sagt mit keinem Wort, daß „offizielle" Persönlichkeit, als Träger hoher Staatsämter Kampf gegen den Krieg ein Kampf gegen den Monopolkapit für den Friedensgedanken einsetzen konnte.** Lammasch mus als solchen sein muß. Bei so geringem Verständnis 53-1920) war in Seitenstetten (Niederösterreich) geboren, sozialen Zusammenhänge kann der Pazifismus den (von chte verschiedene Gymnasien, darunter das Schotten­ Marxisten entlehnten) Plan, bestehende soziale EntwicklunJ asium, studierte Jus an der Wiener Universität und er­ tendenzen zu fördern, nur in äußerst schwächlicher Weise a· te sodann seine Studien durch Aufenthalte in Deutschland, führen. Die von Fried beliebte Hintansetzung ethischer kreich, England. 1879 bekam er auf Grund seiner straf­ gunsten ökonomischer Betrachtungen macht den Eindruck .tlichen Abhandlung (,, Über das Moment der objektiven Zaghaftigkeit. Oder welch trauriger Einfall, selbst vemicht, :ährlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuches") die Venia Menschenleben (die Leben „minderwertiger" Russen di in Wien. 1885 bekam er eine Professur in Innsbruck, Japaner) noch auf Mark umzurechnen! Besonders zaghaft ;9 in Wien (Professor des Straf- und Völkerrechts). In den Fried dort, wo es darauf ankommt, zum deutschen Militari Stellung zu nehmen. Wir haben den kuriosen Versuch kenn, • Vgl. z. B. den Aufsatz über die Versenkung der „Lusitania" in: .,Vom gelernt, dem widerwärtigen Ausspruch Moltkes über den ewi, .tkrieg zum W eitfrieden", 1916, S. 28ff. Frieden einen akzeptablen Sinn zu unterlegen. Frieds Vore' •• Vgl. über Lammasch: Aufsatz von Hans Sperl in: .,Neue Österr. Biogr.", Abt., r.Bd., 1923, S.44-54; F.Hertz bei Lenz-Fabian, S. 2oo f.; Karl Kraus * Ebenda, S. 88. der „Fackel", Nr. 474-83/1918, Nr. 521-30/1920, Nr. 657-67/1924; ** Ebenda, S. 9o ff. Redlich, .,Österreichische Regierung u nd Verwaltung im Weltkriege", 1925, Ebenda, S. 4, 95ff, u7ff. *** s84f. 266 D,.~···!ll Lammasch 267

e Achtzigerjahren publizierte er zwei Arbeiten aus dem G ' Militärclique, die in Österreich um r9ro von Tag zu Tag des internationalen Strafrechts: ,,Die · Auslieferung ·· tiger wurde, fand ihn höchst verdächtig. Bei Kriegsaus­ politischer Verb .ch beantragte der Generalstab, ihn, der tatsächlich von rechen" und „Auslieferungspflicht und 1 ~ recht". Das ..., .fang an Defaitist war, in Haft zu nehmen, was jedoch nicht Jahr 1899 brachte mehrere für seine L c1fb 1 wichtige Ereignisse. Sein „Grundriß des österreichischen S :hah, da Kaiser Franz Josef ein Veto einlegte. Lammasch rechts" erschien. Der Kaiser machte ihn zum Mitglied te in der Kriegszeit literarisch weiterarbeiten; r9r7 ver­ Herrenhauses. Die Regierung entsandte ihn als juristischen entlichte er die Schrift „Das Völkerrecht nach dem Kriege", rater der österreichischen Delegation auf die InHaager Fried, er eigenen Meinung nach sein Hauptwerk. Er konnte weiters konferenz. Seine Bemühungen im Haag zielten vor allem Versuch machen, seine internationalen Beziehungen auszu­ die Durchführung der Schiedsgerichts-Idee. den folgen 1 en, um für Österreich einen Separatfrieden zu erlangen. Es anderthalb Jahrzehnten hatte er Gelegenheit, die Anwend in erster Linie die Person des Präsidenten Wilson, die ihm keit dieser Idee in der Praxis darzutun. Er wurde viermal 1 ,ffnungen einflößte. Durch den amerikanischen Schrift­ Richter des Haager Schiedshofes bestellt und wirkte an der E: er G. D. Herron setzte er sich mit Wilson in Verbindung. scheidung folgender Rechtssachen mit: einer Schadenersa· er die Charakterschwäche Kaiser Karls und der Starrsinn sache zwischen Deutschland und England einer-, VeneZUi Grafen Czernin vereitelten seine Pläne. r9r7/r8 hielt er im anderseits; des sog. Maskat-Streites zwischen England enhaus drei sensationelle Reden, worin er seine Stellung Frankreich; des Streites zwischen den Vereinigten Staaten Friedensfrage umschrieb. (Gedruckt in dem Band „Europas betreff end die Orinoco-Schiffahrtsgesellschaft; e Stunde", r9r8.) Der Sturm, der sich gegen ihn erhob, ! Streites zwischen England und den Vereinigten Staaten um anla3te ihn aus der Mittelpartei des Herrenhauses, der er Fischereirechte an den nordatlantischen Küsten. In dem zule· eh 18 Jahre angehört hatte, auszuscheiden. Ende Oktober genannten Prozeß - es handelte sich um eine überaus v1 18 berief ihn Kaiser Karl zum Ministerpräsidenten des bersten­ wickelte, seit hundert Jahren zweifelhafte Angelegenheit, grol Reiches. Mitglieder der Regierung Lammasch waren u. a. materielle Interessen standen auf dem Spiel - lieferte er · ••az Seipel und Josef Redlich. Die Regierung konnte in den ganz besondere juristische Leistung. Sie hat seinen Namen zwei Wochen ihrer Amtszeit nichts anderes tun, als die anglo-amerikanischen Fachkreisen bis heute lebendig erhalt, dankung des Kaisers vorzubereiten. Lammasch reiste danach Er wirkte auch als Vizepräsident der Kommission für das Schi als Sachverständiger mit der Friedensdelegation nach wesen auf der zweiten Haager Konferenz und verfaßte ein g . Germain, verfaßte den Entwurf eines Völkerbund-Vertrages legendes Werk über diese Materie (,,Die Lehre von der Schie ·e ein Buch „ Völkermord und Völkerbund", das nach seinem gerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfang", r9r3/r4). D .e herauskam. Seit langem kränklich, überlebte er das alte die Tätigkeit des Völkerrechtlers wurde diejenige des St erreich' nur um ein knappes Jahr. Er ist in Salzburg, wo er rechtlers nicht ausgeschaltet. Eine Kommission, der Lamm .t 1914 seinen Wohnsitz hatte, begraben. In präsidierte, legte r9r2 als Resultat langwieriger Studien .,Das geistige Bild Lammaschs ist merkwürdig; es verquickt Entwurf eines neuen Strafgesetzes widers. prechende Züge, daß es nicht leicht unter einen be­ vor. Der Entwurf wurde vo: Herrenhaus debattiert und angenommen, gelangte aber ni, ten ideologischen Typus subsumiert werden kann. ins Abgeordnetenhaus, wurde also nicht Gesetz. Natürlich .en Dingen hielt Lammasch treu am Hergebrachten fest. Er Lammasch durch seine Arbeit im Haag und für den Haag ein religiöser Mensch, ein strenger Katholik. Kirche und der pazifistischen Bewegung in engsten Kontakt gekomm �st standen ihm höher als alles in der Welt. Seine philoso- 268 Da amma 269 phischen Anschauungen waren antiquiert. Das zeigte sirh in Art, wie er die Grundprobleme seines ersten Fachgl;birt�. :herrschte: der Wille, das Völkerrecht zum Instrument der Strafrechts, behandelte. Z:wangsläufig geriet er in einen Geg 1 ,zialen Höherentwicklung zu machen. Der Kampf um den satz zur „soziologischen" Schule, die das Strafrecli1 an II rieden, den er 1914- 18 führte, war eine großartige Sache Doktrinen der zeitgenössischen bürgerlichen Natur- und Sozi bei aller Unklarheit über den einzuschlagenden Weg, bei forscher anpassen wollte. 4 Die Monarchie galt ihm im all1 .er professoralen und herrenhausrnäßigen Zurückhaltung, die meinen als ehrwürdige Institution. Die österreichische Monarc: sich in der Form seiner Äußerungen auferlegte. Im Gegensatz im besonderen war Gegenstand seiner herzlichen Zuneigu anderen Pazifisten begriff er sehr genau, welch ein Verhängnis Noch während des Krieges, als er ihre Politik energisch anfo Österreich das Bündnis mit Deutschland darstellte. Gegen hielt er es für richtig, sie gegen „Masaryk und Konsorten", :n „Mitteleuropa" genannten Plan zur weiteren Festigung des er sich ausdrückte, in Schutz zu nehmen.* Zwar erkannte ,ündnisses (einen, wie wir wissen, von zahlreichen und selbst die Notwendigkeit, den Völkern des Habsburgerreiches .,, zialistischen Politikern gebilligten Plan), trat er in einer höheres Maß an Freiheit zu gewähren. Aber gegen den Gedanke ,t.nkschrift auf.* Als Deutschland im Zenith der Macht stand, daß die Bewegungen, die dies forderten, progressiver Natur sei, dte er sich - Herrenhausrede vorn 27. 10. 1917 - mit sträubte sich der Altösterreicher in ihm. Der Pazifist mit sein, ärfe gegen den unheilvollen , .. Geist von Potsdam".** Zwar a-nationalen Denkart bestärkte den Altösterreicher in sein, :rsicherte er in derselben Rede Deutschland der unverbrüch­ Meinung. Vom Jahr 1917 an betrachtete Lammasch den „B .chen österreichischen Bündnistreue, das hinderte aber nicht, schewikismus" als eine furchtbare Gefahr. Er glaubte, daß · ß er durch Heron dem Präsidenten Wilson sagen ließ, Öster­ der Volksseele dunkle Kräfte verborgen seien, die eines Tag, :ich sei bereit, Frieden zu machen und so auch Deutschland verheerend hervorbrechen könnten. ,,Nicht Skythen Frieden zu zwingen.*** In dem Buch „Das Völkerrecht Chazaren bedrohen unsere Zeit, nicht fremde Völker; aus eigen eh dem Krieg" erklärte er mit trockenen juristischen Worten, Schoß ringt los sich der Barbar!" sagte er im Anschluß ß militärische Bündnisse grundsätzlich ungültig seien und daß Grillparzer.** Alles in allem: ein konservativer Denker un, der Bündnispartner jederzeit berechtigt sei, einen Separat­ Staatsmann. Und zugleich ein ganz und gar nicht konservativ, 'eden zu schließen. t Gewiß, sein Zutrauen zu Wilson war Lammaschs religiöses Empfinden war die Quelle eines ungeme' .aiv, seine Absicht, das österreichisch-deutsche Bündnis durch starken sozialen Pflichtbewußtseins. Diesem wieder entspr. in österreichisch-italienisch-amerikanisches zu ersetzen, tt war sein eifervolles Bemühen um den Ausbau der pazifistisch ,ein Traum, und nicht einmal ein schöner". Die Grundlage Bewegung, den Ausbau des Völkerrechts - zwei Dinge, die i 1 .eint eine v::i.ge Vorstellung von einem permanent friedlichen, dem Juristen, mehr oder weniger identisch zu sein schiene ,tlos demokratischen und anti-imperialistischen Amerika ge- Er war in den Jahren vor dem Krieg als einer der bedeutendst, sen zu sein - eine ganz verfehlte Vorstellung. Doch ist es Völkerrechtslehrer international anerkannt. Was ihm se· bstverständlich, daß ein bürgerlicher Gelehrter nur an einen Stellung gab, war außer seinem Scharfsinn, seiner Gelehrs "·gediehen Ausweg aus der Kriegskatastrophe zu denken ver- keit, der Eleganz seiner Argumentation auch in erster Re" 1 die hohe Idee, die sichtbar sein gesamtes literarisches Wer. * Vgl. ebenda, S. 174. ** Ebenda, S. 153. * Vgl. ,.Europas elfte Stunde", 1918, S. 137 (Herrenhausrede *** H. Sperl, a. a. 0., S. 53. 28.6.1917). t „Das Völkerrecht nach dem Krieg" in „Publications de !'Institut ** Ebenda, S. 172 (Herrenhausrede vom 28. 2. 1918). obel Norvegien", 3. Bd., 1917, S. 159-71. tt Darüber H. Sperl, a. a. 0., S.54. ·l T{r,1,•us und der Weltkrieg 270 1914-18 271

mochte. Erstaunlich genug die Kühnheit, mit der L11n elligenz von Anfang an gespalten. Im Zuge der Ereignisse sich der herrschenden Klasse in Österreich, seiner Klasse iefte sich die Spaltung. Als Hunger und Niederlagen kamen, gegenstellte. Erstaunlich die Entschiedenheit, mit dt_ "r " .chs, wie im gesamten Volk, so auch in den gebildeten Schich­ die Kriegspolitik der katholischen Partei in Österreich, , die· Zahl der Kriegsgegner. Um Friedrich Adler sammelte ihm weltanschaulich nächsten Partei, den Stab brach. 6 schon zur Zeit der Marneschlacht eine Schar jüngerer Milde seines Wesens war sprichwörtlich; doch als Verteid" 'alisten mit pazifistischen Anschauungen. In Fried und des Humanitätsgedankens konnte er Unerbittlichkeit ze· asch haben wir zwei bürgerliche Denker kennengelernt, Nicht umsonst haben die Historiker der Epoche, soweit sich durch die plötzlich so weit verbreitete Begeisterung nicht absolut verblendet sind, für ihn den stereotypen Aus den Massenmord in ihren Überzeugungen nicht erschüttern „ der edle Lammasch". ,,So waren die Element' in ihm gemis en. Gesinnungsverwandte des liberalen Reformers Fried daß die Natur aufstehen durfte und der Welt verkünden: ·en Rudolf Goldseheid und Friedrich Hertz*, die bereits war ein Mann!" 4/15 für einen Verständigungsfrieden plädierten.** Auf Die Lebensbeschreibungen Frieds und Lammaschs haben Gebiet der Literatur war es vor allem Karl Kraus, der schon bis mitten in die Kriegszeit hineingeführt. In den Somm die „einrückend gemachte" Menschheit das Wort ergriff. monaten r9r4 begann eine Überschwemmung des österrei, und Rainer Maria Rilke - auch ein Kriegsgegner, sehen Volkes mit chauvinistischer Propaganda. Alle politis :h einer, der, seiner milden Natur gemäß, durch Schweigen Parteien, einschließlich der Arbeiterpartei, waren an dieser ,testierte-:- hatten um r9ro der expressionistischen Dichter­ paganda beteiligt. Sie hatten durch Jahre und Jahrzehnte .ule entscheidende Anregung und Förderung gegeben. Die Gift der deutsch-imperialistischen Ideologie in sich aufgenomm gen Expressionisten: Georg Trakl, Albert Ehrenstein, Franz nun brach es wie eine ekelerregende Krankheit aus ihnen hera 'erfel, sprachen sehr offen ihren Abscheu gegen den Militaris­ Wir haben der Stellung der politischen Gruppen zum Krieg aus. Wie dem Morden ein Ende gesetzt werden könnte, mach­ den Kapiteln „Liberalismus", ,,Katholizismus" usw. Erwähn sie jedoch nicht deutlich, wahrscheinlich hatten sie davon getan. Höchst interessant war die Haltung der nicht, oder do, e deutlichen Vorstellungen. Die Eigenart ihrer Ausdrucks­ . nicht unmittelbar, parteigebundenen Intelligenz. Es war absol: e verhinderte, daß ihre Ideen in die Massen drangen. Ein keine einheitliche Haltung. Wesentliche Teile der Intellig ·g abseits von den Expressionisten stand Stefan Zweig, der wurden, durch die Kundgebungen der Regierung, durch mit Romain Rolland befreundet war und 1915 in Salzburg Taumel der Massen beeindruckt, mitgerissen. Ärzte und Musik1 mit Lammasch in Berührung kam. Sein pazifistisches Drama Nationalökonomen und Philosophen wetteiferten in Zeitun, eremias" erregte bei der Aufführung in der Schweiz Sensation. artikeln und Deklarationen, ihre Unfähigkeit zu selbständig kann aber nur auf die Antikriegs-Kampagne, die Karl ... Denken zu erweisen. Besonders schlimme Verheerungen gab raus führte, näher eingegangen werden. im Felde der Literatur. Autoren von großem und begründet Kraus ist uns auf unserem Weg durch das Geistes­ Ruf, wie Peter Rosegger, Hugo v. Hofmannsthal, Rich der francisco-josephinischen Ära mehrere Male begegnet. Schaukal, Hermann Bahr, verfaßten Verse und Feuilleto wissen, daß er sich in den ersten anderthalb Jahrzehnten welche die Raubtaten und -pläne der Mittelmächte glorifiziert Was Schriftsteller geringeren Ranges (Ottokar Kernsto, • Historiker und Soziologe, der Verfasser des hier oft zitierten Buches Bruder Willram, · Hans Müller) an Beschränktheit und H ,tionalgeist und Politik". losigkeit vollbrachten, spottet der Beschreibung. Doch war •• F. Hertz bei Lenz-Fabian, a. a. 0., S. 201. 272 Kraus und der Weltkrieg 1914-18 273 der „Fackel" große Verdienste als Antikorruptionist ' fäind des Machtgedankens auf den Plan; die Hinopferung der des Justizwesens, Kulturkritiker erwarb, daß er lange vor:;,· ten jungen Menschen den Erzfeind des Barbarentums, das vierzigsten Jahr einen exzeptionellen Me e e M n Rang als ist"r deutKri . ' n den Geist sündigte; di Zerstörung von illione Privat­ Prosa erreicht hatte. Wir wissen aber auch, daß sein Haß terizen den zornigen Verteidiger auch der kleinsten und arm­ e die liberale Press ihn zum Antiliberalismus, sodann um 19101 . sten Privatexistenz. Kraus war alles mögliche gewesen, nur Verneinung der demokratischen Fundamente, zur konservati, .es nicht: Opportunist. Sich als Einzelner der ganzen Öffent- Weltanschauung führte, d. h. zu einem Standpunkt, von dem eit entgegenzustellen, wenn seine Überzeugung es verlangte·, die Vorstellung „Krieg" als eine mögliche, wenn nicht gar war für ihn eine Selbstverständlichkeit, ja es war fast sein eine n otwendige Sache erschien. Nach der Ermordung :bensberuf. So brachte er es über sich, den Konservativen in Thronfolgers brachte die „Fackel" den mit keinem Ton• Augenblick die Freundschaft zu kündigen, als sie obenauf Frieden gestimmten, im Gegenteil rechtsradikalen � '" en. „Franz Ferdinand und die Talente". (,,Die Fackel", Juli 19 Die zweite Frage wird beantwortet durch das Gesamtwerk Nach Ausbruch der Feindseligkeiten schwieg Kraus einige '/ in Kraus, das während des Krieges entstand. Kraus' Wesensart still. Im November 1914 erschien die „Fackel" mit dem Auf: oß es aus, daß er sich an den Bestrebungen irgendeiner pazi­ ,,In dieser großen Zeit", der schärfsten denkbaren Kriegsan: ischen Organisation beteiligte. Mit den politischen Zirkeln, an den Krieg. Es war ein völlig unerwarteter Umsch denen Lammasch sich bewegte, hatte e r nichts zu tun. Sein doppelt auffallend in einem Moment, da so viele Leute den pf gegen d en Krieg konnte nur Kampf mit schriftstelle- e n e g ge g setzten Standpunktwechsel vollzogen. Wie kam di,• 1en Mitteln sein. Genauer: mit künstlerischen M itteln. Er Umschwung zustande ? Und was bedeutete er? nie ein politischer Schriftsteller des durchschnittlichen Die erste Frage läßt sich nicht mit Sicherheit beantwo• us gewesen, auch nicht �wischen 1914-18. Er führte Wahrscheinlich verhielt es sich so: Kraus hatte die konservati · e Chronik der wichtigen Tagesereignisse, er studierte nicht Anschauungen nicht bis in die letzte Konsequenz durchda, durch den Krieg aufgeworfenen Probleme des Verfassungs­ Seine Tiraden gegen das Wahlrecht, die Menschenrechte etc.w d Völkerrechtes, er prüfte nicht die wirtschaftlichen Kriegs- nicht Ausdruck einer soliden Überzeugung, sondern entspran, ·en. Was er. tat, war: er destillierte aus tausend winzigen zum Teil wenigstens, einem stilistischen Bedürfnis, dem W obachtungen den Geist des Krieges, dieses besonderen Krieges, den Liberalismus bis in seine letzte Konsequenz zu negi, .d gab ihn dem Spott preis. Das Material seiner Beobachtungen Manche Anschauungen der Vorkriegs-,,Fackel" wollten si .tnahm er nur selten der Wirklichkeit, sondern zumeist der lieh nicht buchstäblich genommen s ein. Als nun die Rea die ja stets die Anregerin seiner satirischen Produktion mit all der Buchstäblichkeit, die der Wirklichkeit innewohnt, esen war. Die Presse verkündete mit Triumphgeheul, daß Erscheinung trat, als ihr Wesen sich in der Anwendung brut se,dso viele feindliche Soldaten tot vor der Frontlinie Gewalt für eine nicht noble Sache enthüllte, erkannte Kraus n; sie sprach von feindlichen Truppen als dem „Men­ einem Schlag die Gefahren, die in der eigenen reaktion" nmaterial", sie „bevvies", daß die Engländer und Franzosen Phraseologie verborgen lagen. Der Individualist Kraus r Zivilisation bar waren; sie verzeichnete in ihren Spalten wieder lebendig, der Individualist, der lange vor dem kon: chehnisse des Hinterlandes: das Auftauchen eines neuen vativen Philosophen dagewesen, von dem letzteren mit Z tznahrungsmi ttels, die Verhaftung eines Schleichhändlers, verdrängt und vernichtet worden war. Die Zusammenball .e Judenmißhandlung. Das waren die Dinge, die Kraus ver­ kolossaler Macht in den Händen unfähiger G enerale rief ..ete. Er druckte wörtlich ab, was in der Zeitung stand.

a.cne. ue1st1ge :::;t:.romunsreD 274 'raus und der Weltkrieg 1914-18 275

Oft enthielt er sich jedes Kommentars, setzte nur ein p�·u :hen Imperialismus zu durchschauen, die Eigenart der unter­ sonders dumme oder rohe Worte in Sperrdruck. Oft fügte er den Monarchie, die Mischung aus Hofzeremoniell und Palla- knappe Anmerkung bei, die die zitierte Stelle vom mor1lisc ch, Blut und Gemütlichkeit meisterhaft zu schildern. Der logischen, sprachlichen Gesichtspunkt beleuchtete. Zuwe· 1tsche ·1mperiallsmus hatte keinen grimmigeren Hasser als ihn. legte er in einem Aufsatz dar, welche kulturell-symptomati Industrielle Thyssen, der Admiral Tirpitz, der Jagdflieger Bedeutung einer Reihe von Zeitungsaufrufen oder -arti thofen, der Dichter Paul Ernst wuchsen in seinen Schriften zukam. Schwerlich hätte ein anderer mit dieser Methode · düsteren Symbolen des neudeutschen Ungeistes empor. sam agitieren können. Die Methode war kompliziert, umwe: Bündnismit Deutschland begriff er als den Fluch, der es war. abwegig. Kraus, ihr Erfinder, entfaltete mit ihrer Hilfe · Eintreten für Lammasch, seine satirischen Betrachtungen blendende Agitation und schuf zugleich ein Meisterwerk. Vor :r Czernin machten deutlich, wie er über die Bündnistreue Augen des Lesers erwuchs aus tausend Einzelheiten ein Gern� te. Während des Krieges entwickelte sich Kraus, der zuvor des Krieges, wild, häßlich, grotesk. Die Zensur war h' wenige Gedichte veröffentlicht hatte, zu einem sprachgewal­ gegen einen Autor, der beinahe ausschließlich Kulturkri Lyriker. Seine „Worte in Versen" gestalteten viele Themen, betrieb. Ganz selten fand sie eine Handhabe gegen ihn. selbstverständlich war der Krieg ein Hauptthema. Kraus wie viele Handhaben fand er gegen den Staat, die Minister, '.dete dann die Aufsätze und Glossen der „Fackel" in drama­ Generale! Die hohen Herren, die in Österreich unbeschrä .e Form. Mit ihrem Witz und Pathos, ihrer strömenden regierten - beschränkt nur inihrerintellektuellen Kapazität .e an Motiven, Ideen, Figuren, ihrem erbarmungslosen sitt­ er zeigte sie, indem er ihre Phrasen zergliederte, ihre Metaph .en Emst sind „Die letzten Tage der Menschheit" eine der korrigierte, in ihrer ganzen Jämmerlichkeit und Lächerlichke: ksten Schöpfungen der modernen Weltliteratur. Österreich Noch um ein paar Grade schlimmer ging es den Journalisten, in Karl Kraus einen großen Geist, der, mochte er sich zeit­ Schriftstellern. Moritz Benedikt, Alice Schalek, Hans Müller ·•·g in bloßem sprachlichem Artistentum gefallen, an einem den durch seinen Witz in weiten Kreisen einfach unmöglich. orischen Wendepunkt sich zu seiner vollen Höhe aufrichtete. Hohn, mit dem er Bahr, Hofmannsthal, Auernheimer übersch .tten wir von ihm gelernt, so wären uns andere, harte Lektio­ tete, konnte diese Männer nicht aus der Literaturgeschi1 erspart geblieben . löschen, war aber eine verdiente Rache für den Unsinn, den zusammenschrieben. Man kann nicht sagen, daß Kraus Ursachen und die bewegenden Kräfte des Krieges richtig schätzte. Er neigte unverkennbar zu einer idealistischen schichtsphilosophie. Die Kriegsereignisse waren ihm der A· .. fluß einer geistigen Entartung. Er nahm an, daß der Ve· der Sprachkultur, herbeigeführt von der Presse, die Phantasie Menschheit geschwächt und so die Katastrophe ermöglicht ha' Diese Theorien hinderten ihn aber nicht, die Tricks des öste

* Das ist am deutlichsten gesagt in dem kurz nach dem Krieg entstand1 Aufsatz „Gespenster", .,Die Fackel", Jahrgang XXI, 1919, Nr. 514• s. 21-86. ANHANG

Anmerkungen - Namenregister - Bibliographie LIBERALISMUS

1 Es handelt sich hier um einen Mangel, den man nicht den besten Männern ,n 1848 zum Vorwurf machen kann, nicht einem Fischhof oder Kudlich, l aber den meisten späteren Führern. In den Sechziger- und Siebziger­ en standen Herbst, Giskra, Ignaz v. Plener, Kaiserfeld, Kuranda, J. N. ,rger an der Spitze der Bewegung. Mit Ausnahme Bergers, der jung starb, keiner den Problemen des Tages gewachsen. Die nächste Generation '(Ernst v. Plener, Johann v. Chlumecky) war es genau so wenig. Das ist bei ielen Historikern der Epoche nachzulesen. Josef Redlich charakterisiert die Führer der Sechzigerjahre mit Worten, die auch auf die späteren gemünzt in könnten: ..... Solche Äußerungen in den Debatten und Ausschüssen leuchten scharf den Mangel an politischem Scharfblick, der die österreichischen Liberalen in ihrer klassischen Epoche ebenso charakterisiert wie ihre völlige Unkenn'"nis der Sinnesart, der politischen Ideale, Empfindungen und Ge­ ,nkengänge, die den nicht-deutschen Völkern innerhalb der Gesamtmonarchie au eigen waren, mit welchen sie doch ihre gemeinschaftlichen parlamentarischen :nstitutionen, den österreichischen Staats- und Reichsgedanken teilten, gemein­ .me Staats- und Reichspolitik zu betreiben hatten ... Man sah die anderen Völker und Parteien immer nur so, wie sie einmal durch das Programm der Partei gewissermaßen ex cathedra festgesetzt waren: als erbitterte Feinde des tDeutschtums, weil sie selbst doch ihre nationale Eigenheit erhalten und .twickeln wollten, als Feinde des österreichischen Staatsgedankens ... Von Anbeginn vergaß man, daß eine große herrschende Partei in der Politik doch : immer einer mittleren Linie zustreben muß, auf der sie sich mit den übrigen, an der Staatsgemeinschaft grundsätzlich festhaltenden Parteien in einer die Dauer verbürgenden Form schrittweise verständigen kann. Diese eigentümliche Schwerfälligkeit des politischen Denkens der Führer des österreichischen Liberalismus ist seit der Eröffnung des neuen konstitutionellen Lebens in :terreich ein hervorstechender Charakterzug in dem Gesamtbild der jungen lamentarischen Politik Österreichs." ( J. Redlich, , ,Das österreichische Staats- nd Reichsproblem", 2. Bd., 1926, S. 642.)

1 Sein Wesen „verkörperte eine Mischung von Autorität und liberaler sinnung und war der Denkweise des großen Bürgertums deutscher Zunge pathisch und verwandt." (R. Sieghart, .,Die letzten Jahrzehnte einer ·roß.macht", 1932, S. 66.) 280 281

3 Sieghart gibt in dem Werk „Die letzten Jahrzehnte einer Groß1, :r liberale Gedanke kann nicht altern, denn immer wieder die Menschheit eine Schilderung seiner Stellung, die klingt, als wäre mit der G,,, verjüngen ist allein sein Sinn, und wenn sich diese Jugend von ihm lossagt, er selbst gemeint; in Wirklichkeit handelt es sich um die Monarchie. sie sich von sich selbst los; das ist das Unbegreifliche!' Und dann saßen Schilderung klingt unwahrscheinlich, wird aber im Wesentlichen vo. TH _ehenVäter noch lange stumm und sannen nach und fragten bloß immer wieder: kern des Zeitabschnitts bestätigt (vgl. J. Redlich, ,,österreichische as bat man aus unseren Söhnen in Wien gemacht, was kann denn nur ge­ gierung und Verwaltung im Weltkriege", 1925, S. 66ff.). Nati, sein, was ist denn nur mit ihnen geschehen?' " (H. Bahr, In Troppau als Sohn armer Leute geboren, kam Sieghart 1883 nach .ustriaca", 19u, S. u5f.) studierte Jus und habilitierte sich an der Wiener Universität für ·orten (Fi 1 ökonomie. 1884--94 arbeitete er im Politischen und Preßbüro der Libe: Dieser Sinn des Begriffes ,,Österreichertum" ko�mt z.B. in den folgenden zuletzt als Leiter des Büros, dann übersiedelte er in den Staatsdienst Ernst v. Pleners zum Vorschein: ,,In den Jahren des Kampfes ver­ ministerium). Einer Zufallsbekanntschaft mit Ernest v. Koerber verd .tete sich meine Zugehörigkeit zur Partei, die deutsch-böhmische Sache er eine phantastische Laufbahn. Als Koerber Ministerpräsident wurde, erna· ich mit besonderem Schwung auf und ihr verdanke ich meine besten er den noch nicht vierzigjährigen Sieghart zum Chef des „Ministerra ··,tungen, dadurch wurde ich nationaler als früher, obwohl mein starkes sidiums", d. b., nach seinem eigentümlichen Verwaltungssystem, zu s, · -rreichertummir immer ganz bestimmte Grenzlinien zog." (,,Erinnerungen", Stellvertreter in den wichtigsten Angelegenheiten. Daß Sieghart binnen Bel., S. 286f.) Dieselben Begriffe bei Sieghart, wenn er (a. a. 0., S. 298) Zeit Sektionschef und Geheimer Rat wurde (mit welchem Titel sich die A die Vereinigte Deutsche Linke sagt: ,.Als Staatspartei gut österreichisch Exzellenz verband), war nur ein unzureichender Ausdruck seiner wirkli, die Ratio über die Natio stellend, vermochte sie der steigenden Flut des Position: er konnte in jedes Regierungsressort diktatorisch eiugreifen, tscb)natioi:J.alen Radikalismus keinen Damm entgegenzusetzen." er griff häufig ein, 1907 leitete er die Ausgleichsverhandlungen mit U 1 Dann machte man ihn - gegen den Willen des Thronfolgers F • Czernin war formell bloß Außenminister, faktisch aber der Leiter der Ge- Ferdinand, der in längerem Kampf unterlag - zum Gouverneur 1tpolitik Österreich-Ungarns ( J. Redlich, , , Österr. Regierung und Verwaltung Weltkriege", S. 259,267). Für die Fortsetzung des Krieges ab 1917 und damit Bodencreditanstalt. Kaiser Karl ließ Sieghart entfernen, die RepublikVon 1 ihm die Möglichkeit, seine Position wieder zu erlangen. Sieghart revanchier ich für a.Jes, was dem österreichischen Volk von damals an zustieß, trifft sich, indem er alle möglichen reaktionären Bestrebungen unterstützte. dern Liberalen ein- guter Teil der Verantwortung. In seinen Memoiren ver­ Bodencreditanstalt her und durch privaten Aktienbesitz kontrollierte .ere.t er darzulegen, warum er die Loslösung von den deutschen Imperialisten, Steyrermühl A. G. und damit das „Neue Wiener Tagblatt". Den Einfluß insgeheim viele Kräfte arbeiteten, vereitelt hat. Er behauptet, daß eine die Steyrermühl behielt er auch, als 1929 die Bodencreditanstalt Politik nicht möglich war: Separatfriedensbestrebungen von öster­ chischer Seite hätte Deutschland mit dem sofortigen Einmarsch von Truppen brach und von der Creditanstalt übernommen werden mußte. Wi : , Österreich beantwortet (0, Czernin, ,,Im Weltkriege", 1919, S. 25ff. 4 Hermann Bahr, der 1863 in Linz geboren war, bezog 1882 die S. 183-252). Wenn das wirklich eine für die Monarchie gefährliche Even- Universität. Als er zum erstenmal seine Eltern daheim besuchte, brachte 'ität war, so ist es der stärkste Beweis für den hilflosen Zustand, in den sie :h das Bündnis geraten war. In Wahrheit hat Czernin die Separatfriedens­ die Nachricht mit: ,, ,Der Liberalismus ist aus, eine neue Zeit brichtgemacht an, für uns!' Und ich sehe noch den ratlosen Blick meines alten Herrn und wohl deshalb zurückgewiesen, weil er an den Sieg glaubte oder doch eine seine Stimme noch beklommen fragen:, Was hat man in Wien aus dir .erlage von der Schwere, wie sie dann eintrat, nicht voraussah. Dann stand er auf, ging zwischen den kleinen Beeten durch den engen G 7 hin und sagte von Zeit zu Zeit bloß immer wieder: ,Was ist denn mit dir Plener wird auch von Schriftstellern, die sonst den Liberalen gar nicht schehen, was ist denn geschehen?' Ich aber, fröhlich hinter ihm her und gesinnt sind, respektiert, so von A. J. P. Taylor (,,The Habsburg Mon­ bunte Mütze schwenkend, rief immer wieder: ,Ja, jetzt sind wir da, und ·Y", 1941), der ihn ein großes Talent nennt (S. 199). muß jetzt anders werden!' Und dann begab es sich noch, daß seine Freu 1 kamen, alte Liberale wie er und auch Väter von Söhnen, und alle diese Sö: Artikel von Eduard Sueß, Franz Klein, Eugen Böhm-Bawerk und anderen hatten es aus Wien mitgebracht, daß der Liberalismus vorüber sei. Und n, lwig,tional bekannten Gelehrten waren in der „Presse" keine Seltenheit. saßen die Väter beisammen und konnten es nicht fassen, die ganze Jug, ihren Feuilletonisten waren die hervorragendsten Hugo Wittmann, abtrünnig zu sehen, und verstanden die Welt nicht mehr. Einer sagte mit Speidel, Daniel Spitzer, Eduard Hanslick, später Theodor Herz!, Ergebenheit der Erfahrung: , Ja, das ist der Wandel der Zeiten, die Jug, Berger, sodann Felix Salten, Julius Korngold, Raoul Auernheimer, will stets anders glücklich sein!' Das erzürnte meinen Vater und er spr, Zweig. Der literarische Teil der „Presse" war seit etwa 1900 ein Zentrum 282

der „Modeme", der Bahr, Schnitzler, Hofmannsthal, Beer-Ho!mann hörten.

9 In Österreich kam als liberale Konkurrenz wohl nur das ,.'"•eue Wi Tagblatt" in Betracht. Julius Szeps, der das „Tagblatt" von 1867, leitete, genoß eine außerordentliche Reputation. Er stand dem Kronpr' Rudolf persönlich nahe und erhielt von ihm auch Beiträge für die (Vgl. das Buch „ Kronprinz Rudolf: Politische Briefe an einen F: 1882-89", herausgeg. und eingeleitet von Julius Szeps, 1922.) Zei KATHOLIZISMUS

1 Glück und Ende des Ministeriums Hohenwart ist in der Literatur oft 10 Die „ Times", gewöhnlich ein sehr höfliches Blatt, und doppelt erörtert worden. Es handelt sich um eine interessante Episode der österreichi- in Nachrufen, schrieben aus Anlaß von Benedikts Tod: ,,Benedikt verl 1ehen Verfassungsgeschichte; die von Hohenwart und seinem Ministerkollegen perte ... jene Tendenzen, welche man am besten mit ,jüdischem Panger Schäffle mit dem böhmischen Landtag vereinbar ten „Fundamentalartikel" mus' bezeichnen kann. Er war skrupellos, fanatisch, unermüdlich und waren noch lange Jahre später Gegenstand erregter Auseinandersetzungen. Schädling ... Seinen Einfluß verwendete er fast ausnahmslos gegen jene Eine ausführliche Darstellung der Sache findet sich in Schäffles „Aus meinem und Bewegungen, welche Österreich vor der Katastrophe retten wollten, Lebeu", (Vgl. ferner : R. Kralik, ,,Österreichische Geschichte", 1913, S. 58off., als Folge der Unterordnung unter die deutsche Politik unausbleiblich war K. Tschuppik, ,,Franz Josef I.", S. 289ff., R. Sieghart, ,,Die letzten Jahrzehnte Sein Andenken und sein Beispiel werden lange die Länder deutscher Z etc.", S. 388ff., F. Hertz, ,,Nationalgeist und Politik", 1937, S. 378ff.) daran erinnern, was ein Journalist nicht sein sollte." (,,Times", 20. März 1

1 1883 .wurde im Parlament „zur Feststellung des Normalarbeitstages 11 n n o r n n Die Berechtigu g, de Geldl hn, den de U ter ehmer auszahlt, eine Expertise abgehalten, welcher der Obmann des Gewerbeausschusses, der r nn n n a r a wa tsgut zu ne e , immt Böhm-B werk dahe , d ß der Arbeiter klerfüale Abg�ordnete Zallinger, präsidierte. Es waren 103 Experten, Abge­ o Kon n a n a a Geld s gleich summittel (Gege w rtsgüter) ei t uschen k nn. ordnete, Arbeitgeber und Arbeiter geladen, die alle Fragen der Sozialpolitik für in den Kreis der Erörterungen zogen, so daß zum erstenmal in Österreich on a n a o n a 12 V österreichischen M rxiste h t, s weit ich sehe k nn, eine eine Art Arbeiterparlament versammelt war. Beide Fraktionen der organi­ K r n r n r r n ar n r a S, ritik de Me ge -Schule u Hilfe di g geliefert, und zw i de uf sierten Arbeiterschaft (d. h. ,,Gemäßigte" und „Radikale", siehe unten S. 86f.) an a ar Note * geführten Studie „Böhm-B werks M x-Kritik". waren auf der Expertise vertreten. Die ,Radikalen' hatten zwar vor der Beratung erklärt, sie würden an der Beratung nicht teilnehmen, weil sie es mit ihrer a or ra a r n n n r on 13 D s W t „ dik l" ist hie icht im Si ne ei e bes ders energi grundsätzlichen Stellung nicht vereinbaren könnten, doch erschienen auch r n n r n Denkweise zu ve stehe u d hat auch nichts mit de De kweise der „ sie schließlich im Beratungssaal .. . Die Expertise hatte übrigens ein negatives n r n n kalen" i de österreichische Arbeiterbewegu g zu tun; es ist dem politi Ergebnis, denn die Arbeiter werteten die von den feudal-klerikalen Gesetz. a n n no n o n a Vokabul r Engla ds e t mme , w ri es ziemlich gen u einen·,;· gebern gemachten Vorschläge.. . als völlig unzureichende Maßnahmen für n Liberalen" bezeich et. eine Besserstellang der Arbeiterschaft. Die Wortführer beider Fraktionen ■timmten hierin völlig überein." (L. Brügel, ,, Geschichte der österreichischen 14 Unbedankt und unbelohnt ist eigentlich ein zu milder Ausdruck. Sozialdemokratie", 3. Bd., S. 291.) waren den heftigsten Anfeindungen ausgesetzt. Als Fischhofs 70. Geb ... bevorstand, wurde im Wiener Gemeinderat eine Ehrung vorgeschlagen. Lu, 8 Franz Josef war ein Meister der „bonapartistischen " Taktik, d. h. er damals noch nicht Antisemit, sprach sich in den wärmsten Worten für verstand es, durch Ausspielen der sozialen Gegensätze sich zeitweise von den Antrag aus. Die liberale Mehrheit des Gemeinderates brachte den An kämpfenden Klassen unabhängig zu machen und eine Schiedsrichterstellung zu Fall. (R. Charmatz, ,,Adolf Fischhof", 1910, S. 296.) gewinnen. Sozialpolitische Schritte, die die Hohenwart-Partei unternahm, wurden auf Grund der besonderen Struktur dieser Partei von manchen Kreisen unmittelbar der Krone zugute gehalten.

4 Dieser Anhänger ist Wiard Klopp; sein Buch, 1894 erschienen, heißt ,Die sozialen Lehren des Freiherrn Karl von Vogelsang". W. Klopp schrieb 285 284

auf dem Lande, der christliche Sozialismus in den Städten." (G.Kolmer, a. a. 0., auch: ,.Leben und Wirken des Sozialpolitikers Freiherrn Karl von Vn; ·l"" 1930. Die Herkunft W. Klopps verdient registriert zu werden. Sein V,ücr 5. Bd., S. 169.) der aus Ostfriesland gebürtige, durch seine Sachkenntnis wie durch 10 Vgl. R. Sieghart, S. 312: .,Lueger selbst hatte keine Spur vom Antisemiten antipreußische Einstellung bemerkenswerte Historiker Onno Klopp (, in sich, wohl aber sah er in der Strömung einen willkommenen Mauerbrecher 1903). Onno Klopp erlebte insofern ein ähnliches Schicksal wie Vogels: gegen die großbürgerlich-liberale Partei." Ähnlich A. J. P. Taylor, .,The Habs­ als auch er konvertierte und in Österreich eine dauernde Heimstätte burg Monarchy", S. 219. Ein paar Jahre wirkte er als Lehrer des Erzherzogs Franz Ferdinand. J zehntelang war er mit der politischen und kulturellen Bewegung der ös· 11 Einiges spricht tatsächlich für sie: Luegers oft wiederholte Erklärung, reichischen Katholiken in lebhaftem Kontakt. daß er gegen die anständigen Juden nichts einzuwenden habe; sein oft zitiertes Wort: .,Wer ein Jud ist, bestimm ich!"; die rein zufällige Art, wie seine erste 6 Diese Enzyklika, eine Art Charter der katholischen Sozialpolitik, antisemitische Rede entstand (darüber W. Klopp, a. a. 0., S. 306); u. a. m. 1890 unter Leo XIII. heraus. Sie wurde 1930 durch das Rundschreiben„ Qua, gesimo anno" ergänzt. 12 Zu den von Lueger Disziplinierten gehörten u. a. Otto Glöckel und 6 Dies wurde auch von Viktor Adler festgestellt. Vgl. das Zitat aus ein, Karl Seitz. (Vgl. L. Brügel, a. a. 0., 5. Bd., S. 142; V. Adler, a. a. 0., lI, Heft, Adlersehen Artikel, das sich in Klopps „Leben und Wirken etc.", S. 34 s. 86f.) Note 12, findet. 18 In ihren Anfängen waren Lueger und Schönerer Freunde gewesen. Sie 7 So wurden Diskussionsabende genannt, die 1889-98 regelmäßig i hatten z.B. Wahlkämpfe gemeinsam durchgeführt. Aber i!l den Neunzigerjahren Hotel „Zur Goldenen Ente" in der Riemergasse stattfanden. Vorsitzend, zerschlugen sie sich gründlich, und von da an flogen die gröbsten Schimpf­ war Prälat Dr. Franz M. Schindler, Teilnehmer waren u. a.: Vogelsang, Lueger, worte zwischen ·ihnen hin und her. Wesentlich besser waren die Beziehungen Geßmann, Prinz Alois Liechtenstein, Weiskirchner, Kunschak, Funder, Truxa.• zwischen de.n Christlichsozialen und den gemäßigten Deutschnationalen (Stein­ (W, Klopp, a. a. 0., S. 347ff.) wender-Richtung). Zusammenarbeit dieser Gruppen war keine Seltenheit.

8 Der große Förderer der Christlichsozialen in Rom war Kardinal Rampolla, 14 Dieser Plan sah vor, daß die südslawischen Gebiete von Österreich und Er verhinderte, daß die Denkschrift dem Papst überreicht wurde. (G. Kolmer, von Ungarn abgetrennt und zu einer Einheit zusammengefaßt werden sollten, .,Parlament und Verfassung in Österreich," 1902-14, 5. Bd., S. 413.) die dann dieselbe Stellung gehabt hätte wie „Zisleithanien" und „Translei­ Als der österreichische Botschafter beim Vatikan noch separat zugunsten thanien". der Mission Schönborns intervenierte, sagte Rampolla, daß der päpstliche Segen, den die Denkschrift erwähnt, .,nur den Dank für eine dem Heiligen 16 „Groß-Österreich" war ein Gedanke, der vor allem von Aurel Popovici, Vater dargebrachte Huldigung und keineswegs eine Billigung der von Personen einem Rumänen ungarischer Staatszugehörigkeit, vertreten wurde. Öster­ oder Zeitungen verfolgten Tendenzen bedeute. Der Segen werde ohne Rück­ reich sollte nach rein ethnographischen Gesichtspunkten, also ohne Rücksicht sicht auf die politische Parteistellung erteilt." (L.Brügel, a. a. 0., 4. Bd., S. 263). auf die Kronlandsgrenzen, in eine Föderation umgebaut werden. Für größere Plener urteilt später (.,Erinnerungen", 3. Bd., S. 220), daß die Vorstellungen deutsche Enklaven, die im Siedlungsgebiet anderer Nationen bestanden, sah der Regierung zwar „gut gemeint, aber angesichts der Haltung des Wiener Popovici Minderheitenschutz vor. Kleinere Enklaven wären durch Umsiedlung Nuntius und der allgemeinen Richtung der römischen Kurie nicht zweck­ oder Assimilation beseitigt worden. (Vgl. A. Popovici, .,Die Vereinigten Staaten mäßig" gewesen seien. Nach dem Tod Leos XIII. sollte Rampolla zum Papst von Groß-Österreich'', r 906.) gewählt werden. Kaiser Franz Josef machte von dem Vetorecht, das ihm zu­ stand, Gebrauch und verhinderte die Wahl. Brügel (a. a. 0., 4. Bd., S. 263) 16 Franz Ferdinand.(1863-1914) war in seiner Eigenschaft als Thronfolger bringt das damit in Zusammenhang, daß Rampolla die Christlichsozialen ein maßgebender Mann in der politischen Welt. Seine Stellung wurde noch unterstützt ha�te. durch seine ungewöhnliche Energie verstärkt. Zweifellos besaß er einige politi­ sche Einsicht. Das geht schon daraus hervor, daß er einen Umbau der Monarchie 9 Auf dem Linzer Katholikentag von 1892 „definierte Prinz Alois Liechten­ im föderalistischen Sinn erwog. Aber die Methode, mit der er seine Absicht stein, der die Christlichsoziale Partei vertrat, das Verhältnis dieser Partei durchzuführen, mit der er überhaupt zu regieren gedachte, war rein auto­ zur klerikalen. Beide bilden Armeen der Kirche, die konservative Partei operiere kratisch. Er gab offen sei.nen absolutistischen Neigungen Ausdruck. Seine 286

Redeweise hatte eine fatale Ähnlichkeit mit der Wilhelms II. Als eine wichtigsten Pflichten der Staatsgewalt erschien ihm das „Ordnuug ru� , , ,Niederwerfen', , Schießen' und. ähnliche Drohungen führte er . . . oft Munde." So berichtet ein Biograph, der ihn schätzt: Edmund Glaise-I ·rste der österreichische Quisling. (,,Neue österreichische Biographie", 1. 3. Bd., S. 20.) , dem Erzherzog gleichfalls zugetan, erw: befremdliche Charakterzüge. So war Franz Ferdinand „bis zu einem gewi ARBEITERBEWEGUNG Grade geschmeichelt", als eine Wahrsagerin ihm prophezeite, er werdewußte einen Weltkrieg entfesseln (0. Czernin, ,,Im Weltkriege", S. 57). Im ganzen gab es niemanden, der unpopulärer gewesen wäre als er, und das auch selbst (Ebenda, S. 47 f.). In Aristokratenkreisen wurde davon ,tte,l Die „Erste" Internationale war 1864 von Marx gegründet worden und sprachen, er werde einmal, seiner Schroffheit wegen, einem Attentat zum ,72, bzw. 1876 au�einandergefallen. Das wichtigste Ereignis, woran sie Anteil fallen (J. M. Baernreither, ,.Fragmente etc.", S. 193). Daß die Christ·· war die Pariser Commune von 1871. Die Ursache des Zerfalls der Inter­ soziale Partei sich diesen Mann zum Schutzherrn wählte, war gründlich ,tionale war der allenthalben auftretende Gegensatz zwischen Anarchisten fehlt. Scheicher ist zu milde, wenn er (.,Erlebnisse und Erinnerungen", 6. Marxisten, der in vieler Hinsicht dem Gegensatz glich, der in den Achtziger­ S. 396) die „Hof- und Belvederegeherei" der Parteiführer tadelt. Im Belved, ·en zwischen den österreichischen Radikalen und Gemäßigten bestand. hatten sie noch viel weniger zu suchen als selbst bei Hof. 17 :I.M. Beer, ,,Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe", Aufl. 1929, S. 684 ff.) Dieser populäre Raufbold sprach oft furchtbaren Unsinn. z. B. Leo Tolstoi einen alten Teppen. 1 18 Engels, dessen Wohnsitz in England war, hielt sich im Herbst 1893, kurz aAbfassung dieses Briefes, vorübergehend in Österreich auf. Die Idee der kulturellen Autonomie wird von Seipel entwickelt in „Na · .850-1932), und Staat", S. 138, und etwas genauer in „Gedanken zur österreichisc Der bekannteste Verfechter des Revisionismus war Eduard Bernstein Verfas�ungsreform", 1917, S. 31 ff. Seipel vertrat also in einer wichtigen S einer der Führer der deutschen Sozialdemokratie. Die Richtung dieselbe Anschauung wie Otto Bauer, der Mann, mit dem er in der Republ' 'd Revisionismus genannt, weil sie die Lehren von Marx zu revidieren beab­ ein nie endendes Rededuell führen sollte. Gruppen, die Bernsteins Ansichten teilten, gab es in den meisten 19 .tigte. dem. Der einzige streng katholische und dabei international bedeutende öst, reichische Künstler dieser Zeit dürfte Anton Bruckner gewesen sein. revolutionärere, in Taten reformistische Richtung der Name „Zentrismus" gebräuchlich geworden. 20 Von Organisationen wären außer den bereits erwähnten etwa noch 6 Vgl.V.Adlers„Aufsätze, Reden,Briefe", 4.Heft, S.92ff. Adler hatte ganz nennen: der Katholische Schulverein, der Verein Volkslesehalle, der Piusver, t, wenn er den Gedanken zurückwies, als ob nur ein mit Blut erkaufter zur Förderung der katholischen Presse, der Volksbund der Katholiken. schritt revolutionär genannt werden dürfe. Aber er ging einen guten itt zu weit mit der Behauptung, er verstehe gar nicht den Unterschied 21 „Was ist nun eigentlich der Gralbund? So wird mancher fragen. Es gii ··,chen revolutionär und reformatorisch, das seien „Worte, nichts als Worte". keinen Verein, keine Organisation dieses Namens, keinen Präsidenten, ke:' Statuten. Der Gralbund im weiteren Sinn ist ein ideales Band, das Gleich: • Brügel gibt (4.Bd., S. 347) einen Polizeibericht wieder, der die Ergebnisse 1 sinnte vereinigt. Im engsten Sinn besteht der Gralbund aus jenen wenies Parteitags folgendermaßen zusammenfaßt: ,, Praktische Gegenwartspolitik Namen, die mit dem Verlag zur Gründung des ,Gral' in Verhandlung getre auch die eigentliche Veranlassung, daß die österreichische Sozialdemokratie sind und die Redaktion bestellt haben. Ich gehöre nicht zur Redaktion, gi .n gegangen ist, ihre revolutionäre Hainfelder Prinzipienerklärung umzu­ .. keine Redaktionssitzungen. Die Redaktion ist allein berechtigt und ver, eln. Die erbitterte Feindschaft gegen die bürgerliche Gesellschaft, der wortlich. Ich bin nur Mitarbeiter." (R. Kralik, ,.Die katholische Literatur --' ,nggläubige Marxismus kommen in dem neuen Programm nur mehr in sehr wegung der Gegenwart", 1909, S. 91.) Als Herausgeber der Monatssc:- ·blaßter Form zum Ausdruck ... Die österreichische Sozialdemokratie ist, zeichnete damals Franz Eichert. sehr es auch ihre Führer zu verschleiern bestrebt sind, bereits auf dem Wege, 289 288 fotion fort, .,sind sie verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten sich mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung abzufinden uncl .-li mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte mehr als eine sozialreformatorische Partei entgegenzutreten ... Dr. haftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunützen bestritt zwar mit großer Beharrlichkeit, daß der neue Entwurf eine Ko tladurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleu­ an Eduard Bernstein bedeute (an den Revisionismus), und auch die •. n." Die Beschlüsse der internationalen Kongresse von Kopenhagen (1910) Bebe! und Kautsky gaben in diesem Sinn Erklärungen auf dem Partei Basel (1912) wiederholten diese Erklärungen. Aber im Sommer 1914 gerie­ aber in Wirklichkeit unterstanden alle drei - bewußt oder unbewußt - sie ganz in Vergessenheit. überall unterstützten die Sozialdemokraten die steinschen Einflüssen, ohne sich ihnen entziehen zu können. Dr. Adler ;ierungen und den Krieg. Es waren bloß kleine Gruppen, die da und dort op­ verstanden, in seinem Referat Bernsteinsche Theorien derart marxistisch ierten. Es waren ausschließlich die russischen Bolschewiki, die sofort den rück- zustellen, daß es ihm leicht gelungen ist, das erwachte Mißtrauen der Ve .tslosen Kampf gegen den Krieg begannen. (Vgl. M. Beer, a. a. 0., S. 699ff.) ten zu beheben." Es scheint, daß die Polizei einen marxistisch gut geschulten Mann in' Etliche sehr krasse Artikel (.,Der Tag der deutschen Nation", August Sold hatte. 11 '14, .,Nach Paris!", September 1914) stammten von Austerlitz, dem Chef­ akteur. (Vgl. Max Ermers, ,,Viktor Adler", 1932, S. 317f.) 7 Der Umstand, daß die Sozialdemokraten an den Machtkampf nicht Friedrich Austerlitz (1862-1931) hatte sich um die Zeitung und um die ten, hatte viele verhängnisvolle Wirkungen. Eine solche Wirkung war, gung überhaupt sehr verdient gemacht. Viele Leser konnten 1914 gar die Grundfrage der proletarischen Revolution, die Frage der Verbünde .t glauben, daß er der Autor der chauvinistischen Artikel war. In der Proletariats, ignorierten. So kam es, daß sie sich ohne ernsthafte Gege teren Phase des Krieges wurde er Pazifist und führte einen tapferen Kampf damit abfanden, daß die österreichische Bauernschaft den Altklerikalen , n den Terror der Militärgerichte. dann den Christlichsozialen Gefolgschaft leistete. Die Gleichgültigkeit über den katholischen Bauern ermöglichte wieder eine andere Verirrung, Diese Unterscheidung ist freilich eine mehr äußerliche, da Österreich der lieh den oberflächlichen Antiklerikalismus gewisser Parteiredner und -sc 11 ll Deutschlands war, der Standpunkt österreichischer „Vaterlandsver­ Mit Recht verlangte die Partei die Trennung von Kirche und Staat, Schule igung" ,.lso auch, dem deutschen Imperialismus zugute kam. Überdies Kirche; hingegen war die Form, in der zu religiösen Dingen Stellung geno de Renner durch sein Groß-Österreichertum nicht gehindert, den Nau­ wurde, oft ein Muster der Taktlosigkeit. chen Mitteleuropa-Gedanken, d. h. die dauernde Unterordnung Österreichs Jer das Deutsche Reich, in den Grundzügen zu akzeptieren. (Vgl. K. Renner, 8 Es scheint, daß Viktor Adler vor dem Krieg bloß einmal zur Bü erreichs Erneuerung", 1916, r. Bd., S. rr9-60.) politik Stellung genommen hat. 1909, in der Periode der bosnischen sagte er in einer Parteitagsrede: ,, ... Und wie stehen wir heute politisch 1 Friedrich Adler, geb. 1879, hatte als Privatdozent der Physik und Heraus- Ist unser Verhältnis zu den anderen Mächten, ist unsere Stellung in Europa 1 ber des , , Volksrechts'' in Zürich gelebt und war sodann in Österreich Reichs­ sicherere, gefestigtere, als sie vor der Annexion war ? Wir haben das feste Bü 1 bgeordneter, Redakteur der Zeitschrift „Kampf" etc. geworden. mit dem Deutschen Reich, und es wäre sehr zu wünschen, daß dieses Bü nicht nur dazu benützt würde, um auf Österreich einen Teil der Kosten zu 11 Friedrich Adlers Einstellung von 1914 geht aus dem Konzept eines Schrei­ wälzen, die der deutsche Imperialismus für notwendig hält in seinem Wt an .den Parteivorstand hervor, das er damals verfaßte. Er schrieb: .,Die kampf mit dem englischen Imperialismus. Der Vorteil, den wir davon haben, 'öhrer des Proletariats hätten die Pflicht gehabt, anstatt in die Reihen der daß wir die deutsche Reichspolitik unterstützen sollen, indem wir nun :Urra-Kanaille einzuschwenken, die Kraft aufzubringen, diesen Krieg mit schwere Kriegsschiffe bauen." (Adler, ,,Aufsätze, Reden, Briefe", 9.Heft, S. .hneknirschen als ein Attentat auf die Internationale des Proletariats über Adler sah hier schärfer als die meisten seiner Zeitgenossen. Aber als eh ergehn zu lassen." (L. Brügel, a. a. 0., 5. Bd., S. 179.) zielbewußter Kampf gegen das Bündnis ·kann diese isoiierte Bemerkung , gewertet werden. H Unter dem monarchistischen Regime hatte Hartmann trotz einstimmigem ·orschlag des Professorenkollegiums nicht Professor werden können, da er 9 Der Stuttgarter Kongreß der Internationale hatte 1907 eine Resolu· essionslos war. beschlossen, die für den Fall akuter Kriegsgefahr die Arbeiterklasse und d, parlamentarische Vertreter verpflichtete, ,,alles aufzubieten, um durch lli Hartmann meint, intensive Vergesellschaftung bedeute zugleich Abschwä­ Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Krie, ,ung der Klassengegensätze, (Ebenda, S, 61). Das kann sein, muß aber nicht bruch zu verhindern". ,,Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte", fuhr

Fuchs, Geistige Strömungen 290 291 sein. Der Besitzer einer afrikanischen Plantage steht z. B. mit dem 1'·cger ndervollen Prinzip, daß der Sozialismus keine nationalen Schranken aner- a .1 unter der Sklaverei ähnlichen Bedingungen ls Arbeiter besLJ ä1111, :nnt, zogen die Sozialdemokraten den Schluß, daß Österreich-Ungarn sich zu enger wirtschaftlicher Beziehung und doch in stärkstem Klasseng, 'J1er einzigen sozialistischen Gemeinschaft entwickeln könne - der theoretische Bei seinem Lob der extensiven'.'Vergesellschaftung denkt Hartmar. w, .usdruck für die Ambitionen eines Gewerkschaftssekretärs, dem es lieber ist, r a lieh an eine Institution wie die Ve einten Nationen oder n die sozia•· ,nn er in Lemberg und Triest, von den Karpathen bis zu denAlpen,Mitglieder a a r Gesellsch ft der Zukunft, die weltumsp nnend sein wird. Abe de en kanB, als wenn er auf Wien und ein paar benachbarte Städte beschränkt erklären, die staatlichen Expansionen, über die die Geschichte berichtet So kam die Sozialdemokratie zu der absurden Konsequenz, die Fortdauer meistens (von der ältesten bis zur neuesten Zeit) aus Gewalt entsprangen, er Habsburger-Monarchie zu befürworten, da sie, wie die Internationale der r a l im ganzen und großen fo tschrittlich, ist doch ein etw s summarisc 'beiter, , über-national' sei, wobei aber die Sozialdemokratie selbst sich in a r f h en. ,tionale Parteien teilte ... Ein paar Jahre später legte die russische Sozial­ emokratieklügere Prinzipien fest. Sie bestand darauf, daß, da der revolutionäre „T : 18 heodorMommsen", 1908, S. 127. DieMommsen-Biographie gibt ,zialismus den Glauben an alles andere ausschließt, nur eine Partei, ohne a mann Gelegenheit zu einer Äußerung über Badeni d durch, daß Mo: .tionalen Unterschied, existieren dürfe, daß aber diese Partei den Völkern ra r r seinerzeit gegen die Sp chenve o dnung Stellung genommen hatte. Ukommene Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf Abtrennung, sichern müsse. Vor allem aber meinten die Russen, daß eine revolutionäre 17 Zu dem Komplex, der unter dem Namen Hanusch-Gesetze b tei auf den Sturz des bestehenden Regimes hinarbeiten muß. Ihr Feind war ist, gehören: die Regelung des Achtstundentages, die Errichtung derAr bei Zarismus,· so wie der Feind der Österreicher die Habsburger hätten sein r r r a r fü so ge, das Gesetz über die Arbeiteru l ube, das Gesetz übe die en. Die russischen Sozialisten sprachen nie hochtrabenden Unsinn über das H ar a verträge und Einigungsämter, die Regelung der eim beit, der Fr uen-, ische Kaiserreich, welches ein großes, der Erhaltung durch den Sozialismus r r r Ko, und Nachta beit, der besonde e Schutz der Berga beiter und der B "-diges Gebiet der Zusammenarbeit sei. Sie griffen das zaristische Regime a a rbeiter, die Abschaffung des Arbeitsbuches, d s Hausgehilfinnengesetz, , weil sie bereit waren, die Macht zu übernehmen; und als die Zeit gekom­ r a r a r mungen übe Inv lidenfürso ge, über Kr nkenversicherung fü Bund n war, übernahmen sie sie." stellte, über die Errichtung von Kammern für Arbeiter und Angestellte 111 Es sei abschließend daran errinnert, daß der Autor beabsichtigte, seine a r r a r 18 Unter bsoluter Rente ve stehtMa x den Betr g, den sich de Eigen· ntersuchungen in einem 2. Band bis in die Gegenwart fortzusetzen. Darin r auch noch des schlechtesten Bodens bei den jetzt her schenden Eigen· Ute er unter anderem zeigen, wie die Tendenzen des politischen O p p o r­ r a a a ve hältnissen bez hlen läßt, wenn er gest tten soll, d ß mit fremdem u n i s m u s, der die oben analysierten Werke der Austromarxisten charak­ r a a und fremder A beit sein Boden nutzb r gem cht wird. Differentialrente ist risiert, die Theorie und Praxis der Sozialdemokratischen Partei, der r r a r rKa· entsp echend höhere Betrag, den die Eigentüme besserer, fruchtb re e utigen Sozialistischen Partei, vollends zersetzte. einstreichen.

19 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß Bauer zu einem viel spä· Zeitpunkt von dieser Annahme abging. Er war an dem sog . .,Nationalit11 programm der Linken" beteiligt, das Anfang 1918 entstand und endlich Selbstbestimmungsrecht der Nationen mit klaren Worten forderte. Unmi' bar vor dem Zusammenbruch der Monarchie hat dann auch noch die mehrheit das Selbstbestimmungsrecht akzeptiert. P, 20 Es gibt ein englisches Buch über Österreich, worin die nationale P, der Sozialdemokratie einer scharfen Kritik unterworfen wird: A. J. P. Ta· „Habsburg Monarchy". Taylor zieht auch eine Parallele zu der so viel reicheren Politik der Bolschewiki. Die Stelle ist wert, im Wo wiedergegeben zu werden. (S. 223): ., ... Die deutsch-österreichische S (der Sozialdemokratie) ... machte den sogar noch größeren Fehler, den bestand des Kaiserreichs als wünschenswert anzunehmen. Ausgehend

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rung schien bereit, dem Druck der Klerikalen nachzugeben. Daraufhin traten die Studenten aller österreichischen Hochschulen in Streik. Sie gaben eine Denk­ schrift heraus, in welcher sie ihre Stellungnahme begründeten. Jodl verfaßte die Einleitul)-g zu der Denkschrift. Das Ende der Sache war, daß Wahrmund Innsbruck verlassen mußte, aber zum Professor in Prag ernannt wurde.

7 Margarete Jod! erzählt (a. a. 0., S. 231), daß in einer Sitzung der theolo­ gischen Fakultät Prälat C. (offenbar Commer) ausrief: .,Maledictus iste Jod!, SOZIALREFORM diabolicus atheista."

1 „Manchester-Doktrin"; streng individualistische Richtung in der Vo: wirtschaftslehre, die jeden Staatseingriff in das Wirtschaftsgetriebe ve

2 Radikalismus: Doktrin der Sozialreform. Die Tatsache, daß die Anar, sten selbst in der österreichischen Arbeiterbewegung unter dem Namen „Radikalen" bekannt waren, wird hoffentlich nicht zu Verwirrungen Anlaß ge

3 Viktor Adler schrieb 1898: .,Die Sozialdemokratie will die Frau nicht z Kampf gegen den Mann führen, sondern mit ihm zu einer gemeinsamen p zusammenschließen. Nicht gegen ihn, sondern mit ihm soll sie kämpfen, nicht Weibsbewußtsein, sondern das Klassenbewußtsein zu wecken, ist in erster•· ihr Ziel. Sie weiß, daß die Geschlechtssklaverei nicht, wie die Frauenrecht nen meinen, allein zu brechen ist, sondern erst mit der Lohnsklaverei fallen wird (.,Aufsätze, Reden, Briefe", 7. Heft, S. 139/40.)

4 Es handelte sich um einen camouflierten Vorstoß. Die christlichso · Gemeinde stellte für den Volksbildungsverein eine Subvention in Aussicht, band damit jedoch Bedingungen, die die Freiheit des Lehrbetriebes eingeschrä hätten. Jod! führte die Verhandlungen mit Lueger und lehnte schließlich Subvention ab.

6 Vgl. oben S. 74 f. Jod! behandelte diesen Streitinder Broschüre,. Geda über Reformkatholizismus", 1902. ,- 6 Ludwig Wahrmund, Professor des Kirchenrechts an der Innsbruc Universität, hielt 1908 in einer Volksversammlung des Vereins „Freie Sch einen Vortrag „Katholische Weltanschauung und freie Wissenschaft", worin die Modernisten gegen den Papst verteidigte. Als der Vortrag in Broschür, form herauskam, setzten die Klerikalen durch, daß er wegen Beleidigung e· Religionsgenossenschaft konfisziert wurde. Außerdem verlangten sie eine -' regelung Wahrmunds und seine Ve�setzung in den Anklagezustand. Die Re, 295

r e S G S 5 Diese Ver in wurde 1891 von dem chriftsteller A. . v. uttner, dem � a a e a e e r e .ervorragendena S Internisten0 rHerm nn NothnS g l und ndoren g g ündr t. (Vgl. ,rth v.a uttner, ,,Memoia en",e 1909, .r 214-19.)r a r Obw hl dema Ve ein viele .ger g1 nzena N men b itraten, wa e uße stande, M ssenwirkung zu im:zielen

r r r a a o e DEUTSCHNA TIONALISMUS 6 1878 e klä te e im P rlament, daß die Wirtsch ftsp litik d r Regierung

den „deutschen"o Ländern Österreichsr bereitsr den Ruf gezeitigtr r o habe: ,.WennG 19 :wir nur sch n zum Deutschen Reich gehö en wü den!" Hie übe M lisch (,, esch. a S S . dtschn t. Bewegung etc." . 97). der, obwohl selbst deutschnational, zugesteht, 1 Th. v. osnosky, Liberaler ohne parteipolitische Bindung, schrieb G o So a e r a aß der „Anschluß"- edanke damals in Österreich keineswegs p pulär war: „ wenig w hrsch inlich eine Änderung des gegenwä tigen Zust ndes r r r a a hönerers Worte „lösten geradezu eine Flut von Verwah ungskundgebungen absehbare Zeit auch ist, so darf man darübe doch nichtauße cht l ssen, a r o a e r o ,us", die us den ve schiedensten V lkskreisen k men. w dieses Bündnis d m Wandela der Zeiten ebenso unte rfen ist wie jedes and, e e r e r (.,Die2 Politik im H bsburgerreiche", 1. Bd., S. 92.) 7 Dies s „Reichsges tz von 21. Oktobe 1878 gegen die gem ingefäh lichen r a e e a o o ,estrebungen de Sozi list n" v rbot bei Str fe s zialistische Versammlungen, „Kleindeutsch" nannte man in den Sechzigerjahren die p litische a a r al a o 1 Vereine und ·Druckschriften, s h die L ndesve weisung sozi istischer Agit ­ tung, die die preußische Hegem nie über die zahlreichen deutschen Königrei r a le r a r r a i toren, die Ve hängung des sogen nnten k inen Belage ungszust ndes über und Fü stentümer erstrebte. Die Bezeichnung stammt dahe , d ß die Hoh r a r o l Bezirke und O te, ,,in denen durch sozi ldemokratische Best ebungen die öffent­ z llern Österreich aus dem Deutschen Bund eliminieren wo lten. Umge re r liche Sicherheit gefährdet schien", und ande ähnliche Maßnahmen zur Unter­ hieß „g oßdeutsch" die Richtung, welche das Verbleiben Österreichs im D e e o e or e o r a l e drückung8 der wachs nd n s zialistischen B wegung v . seh n Bund erstrebte. Das Wo rtr g oßdeutsch hatte also dam ls tei we iseS ei i anderen Sinn als heute, ins fe n nämlich, als es eine unfreundlich tell dem S a r e o Die ·v11endung „Befestigung des Bündnisses durch t atsve trag", die in geg n Preußen ausdrückte. (Vgl. P. Molisch, ,,Geschichte der deutschnati ro a e r a S P gr mm g braucht wird, ist offenba einem Irrtum entsprungen. D s Bewegung in Österreich", 1926, . 64f.} S a e ra r a o Bündnis w

eine

a u u a u 10 1887 veröffentlichte die „Sonn- und Mont gszeit ng" einen StaP Glückwunschadresse zua Bismarcksu asiebzigstemu Geb rtst ug überreicht w rde. der außer allen Zweifel stellte, daß der Urgroßvater der Gattin Schöner, Bismarck weigerteu 1917, sich, B hr z empf ngen, nd ließ ihm d rch einen Beamten a u a r (v. Rottenb rg) eine Lektion erteilen. Bahr erzählte dreißig Jahre später Fr u Philippine von Schönerer, Schm ! Leeb Kahn geheißen hLeopoldtte. F m Jahren (.,Scli.warzgelb", S. 36f.), daß Rottenburg ih folgendes gesagt habe: 1762 in derm JudengemeindePohrlitz in Mähren geboren, in späterenm u u „Bismarck freue sich, ns so g t deutsch gesinnt zu wissen, was wir aber nun Christentua übergetretena und auhatte beia der Taufe dena aNa en a u nir.ht besser beweisen könnten, ls wenn wir nsre ganze Kraft einsetzten, v nder erhalten. N ach der T fe bek m er denu T b k-GroßverschleiB a a a au u a Österreich st rk zu m chen. Deutschl nd rechne auf uns, es br che ns, ber in Pohrlitz. Er starb d selbst 1832. Die „Sonn- nd Montagszeitung"a u u 1892 noch einen von Heinrich Blechner verfaßten Rom n,, Schm l-Leeb-K Österreich. Ein mächtiges Österreich sei Deutschland nentbehrlich." Zu u , m der jene Enthüll ng neu in Erinnerung brachte. Bismarcks achtzigstema Geburtstaga erfolgten1897 aber als Kundgebungena von seiten m deutschnationaler Org nis tionen in Österreich, aberm ls riet Bismarck zu 11 De Konflikt lagen sicher auch politische Meinungsverschiede u a a u u a W Mäßigung. Schließlich erklärte er noch d rch sein Org n, die „H m­ z gr nde - wir kommen uf olfs politischen Gegensatz zu Schönerer a a a u burger N chrichten", die Deutschösterreicher sollten dar n denken, d ß sie S.189f.z rück-, aber in erster Linie war es doch ein persönlicher Kampf u a a u politisch Österreicher und nichts anderes seien. Führung der Bewegung. Der Warum SchöneriW ner Anton Sch lk ap blizierteW 1902 Broschüre: ,, ich K. H. olf für persönlich ehrlos h lte." olf b: a u m u m m 14 Das H bsb rger-Regi e war mit dem jüdischen Finanzkapital viel z eng bei Kreisgericht Brüx die Ehrenbeleidigungsklage ein. I Prozeß a m W verfilzt, als d ß ih heftiger Antisemitismus hätte willkommen sein können. allerlei schmutzige Geldangelegenheiten olfs erörtert, hingegen unter; a a u a a Wäre d s Verhältnis zu Ungarn in eine Person l nion verw ndelt worden, so im Hinblick auf eine Bestimmung des österreichischen Str fgesetzes die am m a u W a wäre d it eine ilitärische Schwächung der Monarchie H nd in Hand ge­ örter ng der Liebesaffären olfs, auf die Sch lk den Vorwurf der Ehrlo: · a u a a a u gangen. Zwei sep rate Armeen, eine österreichische nd eine ung rische, konnten h uptsächlich stützte. Sch lk wurde z einer hohen Geldstrafe ver a u a a a nie die Schl gkraft der einheitlichen k. u. k. Armee erreichen. Der Allde tsche Verband g b d r ufhin folgende Erklärungen ab: ,,Die a u u a Geschworenen h ben agegen ns entschieden.u Die Korruptiona erhebt nun 11 HoaLJton Stewart Ch mberlain (1855-1927), gebürtiger Engländer, kühner adenn je ihr H upt. Der Verurteilte,a nser bek nnter MitkämpferWa später n turalisierter Deutscher, war einer der Begründeru der „rassischen" Dr. Sch lk, dem inm der wichtigsten Prozeßa ngelegenheit der hrheits· Geschichtsauffassung. Seine Lehre wurdem oben S. 73 k rza charakterisiert. verwehrt wurde,u ag unseresa steten, ufrichtigen Dankesm versicherta sein. Nach dem Bräuhausputscha von 1923 beka Hitleru eine Einl dunga nach Bay­ mußte sich ns die Frage aufdrängen, ob wir den Ka pf füra den lldeut reuth.16 Chamberl in erteilte ihm dort Privat nterricht in R ssentheorie. Einheits- und ReinheitsgedW u nken fortführen oder denselbenu ls vergeblich stellen sollen. ir haben ns für das erstere entschieden nd werden somit u a a au a u a Juli s Langbehn (1851-1907) w r der Autor des Buches „Rembr ndt als Gl ben n den endlichen Sieg nserer gerechten S che auch künftighin Erzieher" (1890), das die konservativen Schriftsteller der vorigen und die Kampfe für des Volkes höchste Güter ausharren und die falschen Fre a a u u a W a u faschistischen Schriftsteller unserer Gener tion st rk beeindruckte. Er lebte be W unseres Volkes nschädlich z m chen trachten. ir sind d h�r volla f 1892-94 in ien. tigt unda verpflichtet, dt:n Kampfu gegen Wolf fortzusetzen, adessen Gesinn: und Ch rakter genügend dad rch gekennzeichnet erscheint, d ß er den E

und Festiger des aalldeutschen uGedankensa inu der Ostmark, dena Abg. Schön, auch im Gerichtssa al einen ,gra ha rigen Sch rken' genannt h t." (Vgl. Th. nosky, a. . 0., I. Bd., S. 197 ff., R. Vrba, ,,Österreichs Bedränger", 1 ...s. 314-36.) 12 Einea in München herausgegebene Schriftu der österreichischenu Alldeuts, stelltea mls Ziel Wdie Eroberung Österreichs d rch De tschland hin; der deuwer, K iser üsse olf und Schönerer zu Statthalternu ernennen; alle wicht' Führerstellen der Armee müßten mit reichsde tschen Offizierenm besetztu etc. 1902 schloß Schönerer eine Rede im Parlament mit de R f: ,,Ein 13 1885, und Heil den Hohenzollern!"

a a Eine solchea Gelegenheitm ergab sich a als durch HermannW Bahr, d m ls Vertr uens ann der deutschnation len Burschenschaften iens 299

aber war seine Einstellung zum sozialen Elend der Zeit die des bedauernden Zuschauers. Hieran war nicht zuletzt der idealistische Gedanke schuld, der ihn mit seltsamer Macht überkam. In der autobiographischen Schrift „Le livre de_ mon ami" lesen wir (1885, S. 163f.): .,Alte schmutzige Juden von der Rue du Cherche-Midi, einfältige Bouquinisten vom Seine-Ufer, ihr seid meine Lehrer gewesen. So gut wie die Professoren der Universität, und besser sogar, habt ihr meine intellektuelle Erziehung besorgt. Brave Leute, ihr habt vor meine entzückten Augen alle geheimnisvollen Formen vergangenen IDEALISTISCHE PHILOSOPHIE Lebens hingestellt und alle Arten wertvoller Denkmäler des Menschengeistes. Als ich in euren Läden herumstöberte, als ich eure verstaubten Gestelle be­ 1 In einer Broschüre „Wissenschaftliche Weltauffassung" (1929) sind tr achtete, auf denen die armen Überbleibsel unserer Vorfahren und ihrer Stellung des Wiener Kreises zum Verein Ernst Mach sowie die Aufgabe schönen Gedanken sich häuften, da ist mir unmerklich die einzig sinnvolle Vereines folgendermaßen umschrieben (S. 14): .,Der Wiener Kreis begnügt Weltbetrachtung aufgegangen. Ja, Freunde, als ich wurmzerfressene Bücher nicht damit, als geschlossener Zirkel Kollektivarbeit zu leisten. Er bem, in Händen hielt ... , da packte mich, so sehr ich noch Kind war, ein tiefes sich auch, mit den lebendigen Bewegungen der Gegenwart Fühlung zu ne Gefühl von der Vergänglichkeit der Dinge und der Nichtigkeit des Daseins. soweit sie wissenschaftlicher Weltauffassung freundlich gegenüberstehen Ich begriff, daß die Lebewesen nichts sind als wechselnde Bilder in dem all­ sich von Metaphysik und Theologie abkehren. Der Verein Ernst Mach ist he· umfassenden Traum, und ich neigte von damals an zur Traurigkeit, zur Sanft­ die Stelle, von der aus der Kreis zu einer weiteren Öffentlichkeit spricht. Die mut und zum Mitleid." Verein will, wie es in seinem Programm heißt, ,wissenschaftliche Welta· fassung fördern und verbreiten. Er wird Vorträge und Veröffentlichu 4 Er nahm gewöhnlich seines Gesundheitszustandes wegen an den Ver­ über den augenblicklichen Stand wissenschaftlicher Weltauffassung ve handlungen des Hauses nicht teil. Doch ließ er sich 1901 in einem Kranken­ lassen, damit die Bedeutung exakter Forschung für Sozialwissenschaften wagen rnr Sitzung bringen, als das Gesetz über den Neunstundentag für Naturwissenschaften gezeigt wird. So sollen gedankliche Werkzeuge Bergarbeiter am Fehlen einiger Stimmen zu scheitern drohte. Derselben Strapaz modernen Empirismus geformt werden, deren auch die öffentliche und pri unterzog er sich ein paar Jahre später abermals, als über das Schicksal der Lebensgestaltung bedarf.'Durch die Wahl seines Namens will der Verein Wahlreform entschieden wurde. Grundrichtung kennzeichnen: metaphysikfreie Wissenschaft. Damit er der Verein aber nicht 6 etwa ein programmatisches Einverständnis mit d, Beer war Dozent der Physiologie in Wien. Später übersiedelte er in die einzelnen Lehren von Mach." Schweiz.

2 Allerdings hat Mach gelegentlich auch eine andere Deutung seiner 6 Die Geschichte der rückläufigen Karriere Brentanos ist der Erzählung gegeben. So heißt es in „Erkenntnis und Irrtum", 1905, S. 287: ., Wollte wert, da sie ein Licht auf die Zeitverhältnisse wirft. Der frühere Priester Brentano kurz und allgemein zutreffend das Streben des Naturforschers, seine Tätig genoß natürlich nicht eben die Sympathie der katholischen Kreise in Öster­ in jedem einzelnen Fall, das Ziel, dessen Erreichung ihn befriedigt, bezeichn, reich. Als er 1880 den Entschluß faßte, zu heiraten, war ihm klar, daß er alle so müßte man sagen: Er will seine Gedanken mit den Tatsachen und ers möglichen Schikanen zu gewärtigen hatte. Von Freunden, nämlich von den untereinander in möglichst gute Übereinstimmung bringen. Die ,vollstän<'' lrervorragenden Juristen Glaser und Unger, wurde ihm eröffnet, daß die Praxis und einfachste Beschreibung' (Kirchhoff 1874), ,die ökonomische Darstell der Gerichte entgegen dem Wortlaut und Geist des Gesetzes Ehen früherer des Tatsächlichen' (Mach 1872), ,Übereinstimmung des Denkens mit dem s· Geistlicher für ungiltig erkläre. So verfiel er darauf, die sächsische Staats­ und Übereinstimmung der Denkprozesse unter sich' (Graßmann 1844) ge bürgerschaft, die er ursprünglich besessen hatte, wieder zu erwerben; das in­ mit geringen Variationen demselben Gedanken Ausdruck." Hier ist Mach volvierte Auswanderung und Aufgeben der Wiener Professur. Die Regierung wieder, ähnlich wie in manchen Wendungen der Elementenlehre, Materia'· wollte ihn im Hinblick auf seine ausgezeichnete Lehrtätigkeit nicht scheiden Solche Schwankungen sind nun einmal bei ihm eine typische lassen, wollte ihm aber auch die Garantien, die er verlangte, nicht geben. Nach einigem Hin und Her wählte man einen österreichischen Ausweg: er 3 Daß von der idealistischen Lehre eine Suggestion dieser sollte zunächst nach Sachsen gehen, dann zurückkommen und sich abermals wird durch eine schöne Stelle bei Anatole France illustriert. France wu um Habilitation bewerben; man würde ihn rasch wieder zum Professor vor­ als älterer Mann Sozialist und endlich sogar Kommunist, in seiner Juge: rücken lassen. Wirklich erreichte er auch mit dreiundvierzig Jahren eine 300 301

neue Dozentur. Dann aber blieb er stecken. Während der ganzen DJ.uer der Annahme allgemeiner Gegenstände (Farbe, Klugheit, Tiere etc.) der Auf­ ....r-- e en e i e i Ära Taaffe bemühte er sich, die Regierung zur Einlösung ihres \, cfä1„ fassung d r Phänom olog n nahe. Die „Nominal st n" aus dem Franz skaner­ zu bewegen; vergeblich, man speiste ihn mit weiteren Versprechungen orden vertraten modernere Anschauungen, indem sie die allgemeinen Ausdrücke Er hatte in seinem vierzehnjährigen Kampf alle fortschrittlich •. nke als bloße Namen erklärten, die keine Entsprechungen in der Wirklichkeit Akademiker, auch die, welche seine Philosophie grundfalsch fanden, aut haben. Um den Streit zu illustrieren, können wir zufällig wieder Anatole Seite. Endlich wandte er sich an die Öffentlichkeit, legte seine Sache in France zitieren. Der „Aufruhr der Engel" (1913) entwickelte in einer zugleich .,Neuen Freien Presse" dar, in Artikeln, an welche sich eine erbitterte Po: mythischen und parodistischen Form die Sozialphilosophie des Dichters. Die mit dem klerikalen „Vaterland" und dem Prager Juristen Krasnopolski Engel haben sich unter Luzifers Führung gegen Gott erhoben, sind besiegt schloß, und ging aus Österreich fort. (Vgl. F, Brentano, .,Meine letzten Wü und auf die Erde verbannt worden. Der gefallene Engel Nectaire gibt vom für Österreich", 1895, Buchausgabe einiger Artikel und Gegenartikel.) Standpunkt Luzifers aus einen kurzen Überblick über das, was sich von damals Abgang hatte das eine Gute, daß die Aufmerksamkeit auf die Zustände bis auf unsere Zeit ereignet hat, also einen Überblick über die Weltgeschichte. der philosophischen Fakultät gelenkt wurde. Viele Jahre lang hatte a· Er stellt alles dar als einer, der es selber miterlebt hat. Aus dem Mittelalter seiner Dozentur nur eine gehörig besetzte philosophische Lehrkanzel (die weiß er zu berichten : .,Während unter den Mauern des Klosters die kleinen Zimmermann) bestanden. Das war für eine große Universität ein gro Kinder Marelle spielten, befaßten sich die Mönche mit einem ebenso nichtigen Zustand. Man schuf nun Abhilfe, indem man Mach und Jod! nach Wien Spiel, an dem ich mich aber mit ihnen erfreute; denn man muß die Zeit tot­ was jedoch, da die beiden Freidenker waren, wieder einen Ausgleich schlagen, und das ist sogar, wenn man es richtig bedenkt, die einzig mögliche machte. Daher ernannte man den Theologen Laurenz Müllner ebenfalls Verwendung des Lebens. Unser Spiel war ein Spiel mit Worten, welches die Philosophieprofessor. zugleich feinen und groben Geister der Mönche reizte, die Schulen gegenein­ ander erbitterte und die ganze Christenheit in Aufregung versetzte. Wir teilten 7 Was Husserl mit „Phänomenologie" meint, kommt, obwohl er uns in zwei Parteien. Die eine Partei behauptete, daß es schon vor den Äpfeln Unterschiede behauptet, sehr nahe dem, was bei Franz Brentano „Ps· ,den' Ap fel gab; daß es vor den Papageien ,den' Papagei gab; daß vor den gnosie" heißt. geilen 1md gefräßigen Mönchen ,der' Mönch, ,die' Geilheit und ,die' Ge­ fräßigkeit vorhanden war; daß, bevor es Füße und Hinterteile in der Welt 8 n n e e de e e e e e Ka t u t rsch i t zw i Art n d r apriorischen Urt il . Anal gab, ,der' Tr itt in den Hintern von aller Ewigkeit her im Schoß Gottes ruhte. nen e e ene e en de nt r jen , in d n bloß ausg sproch wird, was in n verwend, Die andei:e Partei erwiderte, daß im Gegenteil die Äpfel dem Menschen die e iffe i e i de e e e d B gr n m tg dacht st. Analytisch ist z. B. r Satz: ,,All Kr is sin Idee des Apfels eingaben, die Papageien die Idee des Papageis, die Mönche e e e in n i i i od r: .,All Rapp n s d schwarz". Sy thetisch he ßt ein apr or sches U: die Ideen des Mönchs, der Gefräßigkeit und der Geilheit, und daß der Tritt en e n e e ffen d in e w n es m hr sagt, als i d n B gri r st ckt. Nach Kant wäre e· in den Hintern nicht existierte, bevor er nicht in gehöriger Weise gegeben e e e e ei e e en e der Satz: .,J d V ränd rung muß n Ursach hab " von synth tis, und empfangen war. Die Spieler ereiferten sich und wurden handgemein. e ei i de e e e ei Charakt r. In Wahrh t st r Glaub , daß es synth tisch Urt le a Ich gehörte zur zweiten Partei, die mir der Vernunft eher gerecht zu werden i e e i e e e n n n gibt, e n Aberglaub . Di Be spi l , di Ka t a führt, si d durchwegs schien, allerdings auf dem Konzil von Soissons verdammt wurde." einanderlegungen vorgegebener Denkinhalte oder sie sind keine Urteile priori. 11 Solche sind hauptsächlich i n den früheren Schriften bis einschließlich e e e fi de 9 Vgl. über die „Altersphilosophie": F. Brentano, .,Psychologie etc.", 2. der „Logisch n Unt rsuchung n" zu n n. S. 158ff.; .,Wahrheit und Evidenz", S. 87 ff.; 0. Kraus, .,Franz Brent S. 31 ff.; derselbe : Einleitung zur „Psychologie", r. Bd., S. XLi ff. Das Be ... werden der Brentanoschen Richtigstellungen ist in erster Linie ein Verdi von Oscar Kraus. Überhaupt hat Kraus viel dazu getan, die Erinnerung den merkwürdigen Philosophen wachzuhalten. Dank den von ihm und Kastil veranstalteten, bei Feli.'C Meiner erschienenen Ausgaben sind viele kaum erreichbare Arbeiten Brentanos zugänglich. Durch Kraus kam auch Brentano-Gesellschaft zustande, die sich in Prag konstituierte.

10 In der scholastischen Philosophie spielte der sog. Realismus-S eine große Rolle. Die „Realisten" aus dem Dominikaner-Orden kamen "-'"\

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7 „Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkräfte so weit gebracht, daß sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie wissen das, daher ein gut Stück ihrer gegen­ wärtigen Unruhe, ihres Unglücks, ihrer Angststimmung. Und nun ist zu er­ warten, daß die andre der beiden ,himmlischen Mächte', der ewige Eros, eine Anstrengung- machen wird, um sich im Kampf mit seinem ebenso unsterb­ lichen Gegner zu behaupten." (S. Freud.,,Das Unbehagen in der Kultur", S. 136.)

8 Der Völkerbund bzw. dessen Internationales Institut für geistige Zu­ PSYCHOANALYSE sammenarbeit, forderte 1932 Albert Einstein auf, mit einer Person seiner Wahl in Meinungsaustausch über eine beliebige wichtige Frage zu treten. 1 Nur durch einen Zufall erhielt Freud den Titel eines Universitätsprof, Einstein wandte sich an Freud und diskutierte mit ihm die Frage: .,Gibt es Hätte nicht eine Patientin mit großen „Konnexionen" für ihn interve Methoden, die Menschheit von der Drohung des Krieges zu, befreien?" Die so wäre er lebenslänglich Privatdozent geblieben. Für eine Lehrkanzel Korrespondenz zwischen den beiden Gelehrten wurde auf englisch unter dem die Mitgliedschaft der Akademie wurde er nie in Betracht gezogen. Titel „Why War?" 1935 veröffentlicht, sodann 1939 von der Peace Pledge Union wieder aufgelegt. Freuds im Text erwähnte These ist auf S. 21 der 2. eng­ 2 Von den Schülern Freuds wurden am bekanntesten: die bereits lischen Ausgabe ausgesprochen. Herausgeber der Imago; Theodor Reik, Karl Abraham, Ernst Kris, Schilder, Robert Waelder (Gelehrte, die in Wien, bzw. Berlin arbeiteten;erwähn; 9 „1915, als die Lebenskosten zu steigen begannen, hatte ich die Kühnheit, Schilder, Waelder gingen später nach den USA.); Sandor Ferenczi (Budap, auf Grund rein psychoanalytischer Erwägungen die Ansicht auszusprechen, der Pfarrer Josef Pfister (Zürich); Ernest Jones, Prinzessin Maria Bonap: daß rationalisierte Motive, hervorgehend aus ganz unbewußten Wurzeln, die (London); Freuds Tochter Anna. Seit dem Tod ihres Vaters ist Anna Fr, Behörd,m dieses Landes veranlassen würden, nach dem Krieg eine Deflations­ die führende Figur der Bewegung. Ihr Spezialgebiet ist die Kinderanalyse politik durchzuführen, deren Schnelligkeit große Leiden verursachen würde, die Anwendung analytischer Methoden auf die Erziehung. und zwar durch hohe Steuern und weit um sich greifende Arbeitslosigkeit." Emest Jones,. .,Social Aspects of Psycho-Analysis", i924, S. 40. Naiverweise 3 1925 existierten Gruppen der „Psychoanalytischen Vereinigung" setzt Jones noch hinzu: .,Dieses Beispiel allein mag zeigen, daß die Psycho­ Österreich, Deutschland, Ungarn, der Schweiz, Großbritannien, Holland, analyse unmittelbare Anwendung auf Tagesereignisse finden kann." Sowjetunion, Indien, den USA. 1935 waren die Gruppen in Deutschland aufgel jedoch waren solche in Frankreich, Skandinavien und Japan dazugeko

4 „Die Heilung durch den Geist", 1931, S. 339ff. Kurz vor Ausbru, des zweiten Weltkrieges, als Freud in London Zuflucht gefunden hatte, Zweig noch mehrmals bei ihm zu Gast. In „Die Welt von gestern" er von diesen seinen letzten Besuchen bei dem Dreiundachtzigjährigen. Tr, dem Exil, trotz der Todeskrankheit, die ihn schon in ihrem Griff hatte,erz Freud ungebrochen. Ein Hauch der mächtigen Wirkung, die er auf se' Umgebung ausübte, weht uns an, wenn wir den Satz lesen: .,Im Augenbli, da man in sein Zimmer trat, war der Wahnsinn der äußeren Welt gleichs, abgetan." (.,Die Welt von gestern", Bermann-Fischer, Wien, 1948, S.

5 Z. B. hängt das lateinische Wort „materia" (Stoff) mit„mater'' (Mut561 zusammen; im Wiener Dialekt wird eine alte Frau eine Schachtel gena

6 Urgeschichte ist eines seiner Lieblingsthemen. Er handelt von ihr in „Totem und Tabu", ,,Massenpsychologie und Ich-Analyse", ,,Das Un hagen in der Kultur", .,Der Mann Moses". z. PAZIFISMUS NAMENREGISTER

8 Freiherr von 1 „Fakultativ" heißt die Schiedsgerichtsbarkeit dann, wenn es deneines, S Abraham, Karl2 302 Bebel, August 2 8 teilen überlassen ist, ob sie das Schiedsgericht anrufen oder den Ko Adler, Alfred 3 2 98, Beck, Max Wladimir,209, 299 9 Adler, Felix 147 Becke, Friedrich 146 auf andere Art lösen wollen. Ein, ,obligatorisches" Schiedsgericht ist 2101 2II1 289 2 Beer, Theodor 203, anzurufen die Streitteile verpflichtet sind. Adler, Friedrich 19,2 II , 127, 282 Beer-Hofmann, Richard 203, 2 71, 2 Nobel hatte die Anregung, einen Friedenspreis zu stiften, ursprün, Adler,99f. Max, II 8 8 Benedikt, Dr. Edmund (Friedjung- Adler, Viktor 17, 64, 7, 9f., 95f., Prozeß) 19 von Bertha Suttner erhalten. (Vgl. A. H. Fried, ,,Handbuch etc.", 2. Aufl., 2. 8 8 8 288 2 Freiherr von 8 S. 4u.) Sie hatte ihn in den Siebzigerjahren durch Zufall kennengelernt,Se 17 , 179, 190, 2 4,2 7, , 92 Benedikt,Moritz2off., 36,274,2 2,3048 durch nämlich, daß sie, auf Ausschau nach einem Posten, eine Zeitungsann, Aehrenthal, Aloys, Graf 9, 19 Berger, Alfred, 39, 2 1 beantwortete, worin ein „sehr reicher, hochgebildeter älterer Herr" eine Albert, Eduard 144 Berger, Johann Nepomuk 6, 36, 39, 279 tärin suchte. Sie blieb danach mit ihm ständig in brieflicher Verbindung. Altenberg, Peter 145 8 sie für die Friedensbewegung zu arbeiten begann, wußte sie den von ihr Andrar,sy, Julius d. Ä., Graf 16 Berkeley, George 199, 214 idealisierten, aber in vieler Hinsicht wirklich ungewöhnlichen Mann ebe Anzengruber, Ludwig 46 Berman, Jakow A.n6, 203 287,

für die Sache zu interessieren. (,,Memoiren", S. 131ff., 236ff, usw.) Ariovist 72 Bernatzik, Edmund 144 288 Bernstein, Eduard u7, Pe· Arrninius 72 Fürst von8 3 Es ist allerdings richtig, daß sie auch berühmte Gelehrte und Küns Auernheimer, Raoul 274, 2892 1 Besant, Annie 141176 in die Bewegung einbezog, so Eduard Sueß, Richard Krafft-Ebing, Auersperg, Adolf, 14 Bielohlawek, HermannFürst von 65 Billroth, Theodor Rosegger. Austerlitz, FriedrichFreiherr 290, von 168, 184, 185, 2 2 Avenarius, Richard 03, 207 Bismarck, Otto, 2 , 5 , 74, Vi 4 174, 176, 193, 194, Die soziologische Schule8 war von dem aus Österreich stammend1 Bach, Alexander,8 6, 44, 2 94, 297 Professor Franz v. Liszt (1 51-1919), der in Berlin lehrte, begründet. 45, 5, 136, 294 2 heute allgemein akzeptierte Anschauungen über den Erziehungszweck Blechner, Heinrich 96 Bacher, Eduard 20 8 8 Strafe, humanen Strafvollzug etc. wurden zuerst von Liszt vertreten. Ge· Bleuler, Egon 231, 232 Badeni, Kasimir,88 8 Grn,f2 4 , 96, 109, 1 3, 2 gab es bei Liszt auch Schematismus und Übertreibungen, und es soll 185, 1 , 1 9, 90, 295 Block, Moritz 5 behauptet werden, daß Lammasch mit seiner Polemik gegen die „Soziologe»: Bloem, Walter 195 von 9, Baernreither, Josef Maria 19, 37,2 38 30, in allen Punkten unrecht hatte. Im ganzen drückte sich in seinen Darlegun Bogdanow,31, 33, Alexander 203 Bahr,8 Hermann8 69, 70, 141, 270, 74, aber doch die Tatsache aus, daß er sich von ein paar überlieferten Vorstellu 2 0, 2 2, 296, 297 Böhm-Bawerk, Eugen8 28 212 25, nicht freimachen konnte. 35, 2 1, 2 Balfour, Arthur 8J. 257 Prinzessin Ballin, Albert 1 6 Boltzmann, Ludwig 2II, 6 8 2 Karl Kraus sprach in Salzburg einmal mit Bonaparte, Maria 30 Lammasch von der Mitschi Bardorf, Josef 7 8 8 der Presse am Krieg. Er meinte, daß Millionen Menschen am Leben geblie Bareuther, Ernst 1 7 II4, 125 Börner, Wilhelm 14 , 151 wären, 2 ,,wenn man rechtzeitig die hervorragendsten Zeitungsherausgeber Basarow, W. 03 Boßhardt van Demerghel, Marie 143 henkt hätte, vor 8 8 2 2 :::llem den Benedikt". Lammasch, mit seinem ganzen leben·· Bauer, Otto 9 , 10 , u , f., Bourgeois, Leon 57 Temperament, 8 das keine Ungerechtigkeit zuließ, rief aus: ,,Aber den Fu 2 6, 290 Braun, Dr. (Gegner des Reformkatho•· auch!" (,,Fackel" Nr. 657-67/1924, S. 42f.) Bauer, Stephan 107 lizismus) 77 20 Fuchs, Geistige Strömungen 306 307

Brentano, Bettina 2 r5 Einstein, Albert 303 Glossy, Carl 38 Höger, Karl 91 Brentano, Clemens 215 Engels, Friedrich 88, 89, 9J, Glück, Guido 195 Hohenwart, Karl, Graf von r6, 43, Brentano, Franz 215-224, 299, 300 150, 199, 2II, 287 Goebbels, Joseph 174 47f,. 54, 56, 57, 283 Brentano, Lujo 141, 215 Ernst, Paul 275 Goldseheid, Rudolf 143, 271 Haibach, Paul Heinrich Dietrich, Breuer, Josef 229f., 238 Etienne, Michael 20 Baron von 199 Brücke, Ernst W. 229 Gomperz, Theodor 144 Faber, Richard 141 Hollitscher, Walter 245 Brügel, Ludwig 284, 287 Graßmann, Hermann G. 298 Ferenczi, Sandor 302 Rudolf 195 Hontheim, Nikolaus von (Febronius) Bruckner, Anton 286 Greinz, Feuerbach, Ludwig 150, 151, 199 Grillparzer, Franz 268 43 Brunner, Sebastian 63 Fichte, Johannes Gottlieb 199 Hopfen, Hans 195 Buresch, Karl 37 Großmann, Stefan 128 Ficker, Ludwig von Br Grünberg, Karl 107 Hoyos, Rudolf, Graf 260 Caes�r, Gajus Julius 72 Fickert, Auguste 143 Gumplowicz, Ludwig 109 Hume, David 199 Carnap, Rudolf 203 Fink, Jodok 58 Baas, Rudolf 195 Hussarek, Max von 66 Carnegie, Andrew 253, 262 Fischhof, Adolf 6, 36, 137, 279, Haecker, Theodor 81 Husserl, Edmund 219ff., 300 Carneri, Bartholomäus, Ritter von 258 Foerster, Friedrich Wilhelm 147 Haenisch, Konrad 125 Husserl, Gerhart 221 Chamberlain, Hauston Stewart 73, Foggazzaro, Antonio 79 Hainisch, Marianne 143 lhering, Rudolf von 186 194, 297 France, Anatole 298, 301 Hainisch, Michael 141f., 146 Jerusalem, Else 144 Charcot, Jean Martin 229 Frank, Philipp 203 Hamsun, Knut 246 Jevons, William St. 25 Chlumecky, Johann, Freiherr von 9, Franz Ferdinand, Erzherzog von Jod!, Friedrich 140, 147-155, 204, 279 Handel-Mazzetti, Enrica 69, 70, 76 280, 284, 285, 286 2II, 212, 213 292, 293, 300 Clark, J. B. 25 Hanslick, Eduard 194, 281 1 Franz Josef I., Kaiser (Österreich) Jod!, Margarete 293 Coit, Stanton 147 Ferdinand 38, nof., 129, 46, 47, 49, 260, 267, 283, 284 Jones, Ernest 302, 303 Commer, Ernst 78, 79, 293 Freiligrath, Ferdinand 106 2�,o Harpner, Dr. (Friedjung-Prozeß) 19 Josef II. (Röm.-Deutscher Kaiser) 44, Comte, Auguste 34, 199 Freud, Anna 302 Hartmann, Ludo Moritz 106f., 146, 46, 166 Conrad, Johannes 141 Freud, Sigmund 10, 99, 227-2 148, 289, 290 Jung, Carl Gustav 231, 232 Coronini-Cronberg, Graf, Karl 260 240-247, 302, 303 Hartmann, Moritz 106 Juschkewitsch, Pawel S. 203 Cassa, Luigi 25 Freund-Markus, Fanny 143 Hartmann, Nicolai 221 Kaiserfeld, Moritz von 279 Cremer, Sir Randal 252 Fried, Alfred H. 257, 259, 261, 2 Kaler-Reinthal, Emil 87 Cunow, Heinrich 125 264, 265, 270, 271 Hartung, Hermann 86 Kanner, Heinrich 141 Czernin, Ottokar, Graf 8, 13, 267, 275, Friedjung, Heinrich 17f., Hasse, Ernst 295 Kant, Immanuel 152, 155, 199, 201, 281, 286 66, 99, 179 Hauptmann, Gerhart rro Hauser, Johann 58 214, 218, 220, 256, 300 Dahn, Felix 195 Friedländer, Max 20 Hearst, William Randolph 20 Karl I., Kaiser (Österreich) 267, 280 Dallago, Carl 8r Friedrich II., Kö;,,ig (Preußen) 74 Georg W. F. 199 Kastil, Alfred 300 Darwin, Charles 109 Funder, Friedrich 66, 284, 304 Hegel, Heidegger, Martin 220 Kautsky, Karl 87, rr2, II3-n8, David, Jakob J. 129 Fürnkranz, Hefarich 179 Henning, Hans 203 125, 288 Derschatta, Julius 187 Gautsch von Frankenthurn, Herbst, Eduard 21, 176, 279 Kernstock, Ottokar 69, 270 Diderot, Denis 150, 199 Freiherr 9 Herron, G. D. 267, 269 Kielmannsegg, Erich, Graf 9 Dollfuß, Engelbert 51 Geiger, Moritz 221 Hertz, Friedrich 271 Kierkegaard, Sören 81 Döllinger, Ignaz von 76 George, Lloyd 133 Herz!, Theodor 281 Kirchhoff, Robert 298 Domanig, Karl 69 Geßmann, Albert 53, 65, 284 Herzog, Rudolf 195 Klages, Ludwig 246 Ducommun, Elie 253 Gide, Charles 25 Hildebrand, Dietrich von 220 Klein, Franz 9, 38, 281 Duhem, Pierre 203 Giskra, Karl 279 Hilferding, Rudolf rr2, rr3, II8 f., 282 Kleinpeter, Hans 203, 209 Eckstein, Gustav rr2 Gizycki, Georg von 147 Hitler, Adolf 17, 189, 194,223,232,297 Klapp, Onno 284 Ehrenstein, Albert 271 Glaise-Horstenau, Edmund 286 Hlatky, Eduard 69 Klapp, Wiard 283, 284 Ehrhard, Albert 77, 78 Glaser, Julius A. 299 Hofmannsthal, Hugo von 69f., 270, Knapp, Georg Friedrich 141 Eichert, Franz 69, 286 Glöckel, Otto 285 274, 282 Knall, Alfred 176

20• 308 309 Koerber, Ernest von 8, 9, 280 Madeyski-Poray, Stanislam, Korngold, Julius 281 von 55 Pantaleoni, M. 25 Rosegger, Peter 270, 304 Rothschild, 21 Kiafft-Ebing, Richard 304 Mahler, Gustav 99 Passy, Frederic 252 Familie der Kralik-Habakuk, Emil 128 Mann, Thomas 247 Patten, S. N. 25 Rudolf, Kronprinz (Österreich) 282 Kralik, Richard von 43, 69, 71-76, Marbod 72 Pearson, Karl 203 Sachs, Hanns 23 2 78, 79 Marc Aurel 72 Penzig, Rudolf 148 Salten, Felix 281 Krasnopolski, Dr. (Gegner Franz Maria Theresia 43 Pernerstorfer, Engelbert 90, 97, 99, Salter, William M. 147 Brentanos) 300 Marty, Anton 221 104f., 141, 142, 148, 178, 184 Schäffle, Albert 283 Kraus, Karl 22, 129, 145, 252, 257, Marx, Karl 25, 27, 93, 101, 113, l Petzold, Alfons 128 Schalek, Alice 274 271ff., 304 II6, II7, II8, 150, 199,209, 2I Petzoldt, Josef 203, 209 Schalk, Anton 296 Kraus, Oscar 221, 300 287, 290 Pfänder, Alexander 220 Schaukal, Richard 27-0 Krickl, Julius 175, 176, 294 Masaryk,Thomas G. 19, 141,223, 2 Pfister, Josef 302 Scheicher, Josef 80, 81, 286 Kris, Ernst 302 May, Karl 194 Philippovich,Eugen von 25, 35, 137, Scheler, Max 220 Kronawetter,Ferdinand 137, 141,142 Mayreder, Rosa 143 141, 142 Schell, Hermann 63,77, 64, 78f. Krupp, Familie der 186 Mazzola, G. 25 Pickert, Karl 176 Schelling, Friedrich W. J. 199 Kudlich, Hans 6, 275 Meiner, Felix 300 Pierson, Nicolas G. 25 Scherer, Wilhelm 194, 294 Kunschak, Leopold 53, 284 Meinong, Alexius 221, 222 Pius X., Papst 78 Scheu, Andreas 86, 87 Kuranda, Ignaz 279 Menger, Anton 143 Plechanow, Georgij W. 199, 203 Schiff, Walter 142 Lamettrie, Julien Offray 199 Menger,Carl 25, 28, 30, 31,33f., 2, Plener, Ernst von 8, 9, 14, 16f., 21, Schilder, Paul 302 Lammasch, Heinrich 36, 67,68,81, 252, Metternich, Klemens,Fürst von 6, 56, 260, 279, 281, 284 Schiller, Friedrich 105, 240 25� 265f., 27� 271,273,275,304 Meynert, Theodor 99, 229 Plener, Ignaz von 14, 279 Schin.dler, Prälat Franz M. 284 Lang, Marie 143 Milde, Vinzenz Eduard 44 Poincare, Henri 203 Schlick, Moritz 203 Langbehn, Julius 194, 297 Molisch, Paul 295 Popovici, Aurel 285 Schmerling, Anton, Ritter von 14, 86, Langgaßner, Anton 179 Molo, Walter von 195 Popp, Julius 90 136 Lassalle, Ferdinand 14, 86, 105 Moltke, Helmuth d. Ä.,Graf von 2 Popper (Lynkeus), Josef 129, 140, Schmied!, Georg 141 Leisching, Eduard 107, 146 167, 262, 264 143, 148, 155, 157, 159f. Schmoller, Gustav von 141 Lenin, Wladimir I. 95,II3, II7, 199, Mommsen, Theodor 107, 290, Prade, Heinrich 187 Schneider, Ernst 53 203, 205, 208 Montaigne, Michel Eyquem de Rampolla, Kardinal Mariano 284 Schnitzler, Arthur 10, 16, 129, 282 Lensch, Paul 125 Most, Johann 87 Rank, Otto 232 Schönborn, Kardinal Franz 55, 284 Leo XIII., Papst 284 Müller, Hans 270, 274 Rauscher, Kardinal Josef Othmar 44 Schönerer, Georg, Ritter von 17, 99, Leuthner, Karl 97 Müllner, Laurenz 69, 300 Redlich, Josef 36, 37, 267, 279 104, 169, 173, 177f., 182-189, Liebknecht, Karl 95 Murri, Romolo 77, 79 Rehmke, Johannes 203 192, 195, 285, 295, 296 Liechtenstein, Alfred, Prinz 47 Muth, Karl 74f,, 78, 79 Reich, Emil 144, 146 Schönerer, Philippine von 296 Liechtenstein, Alois, Prinz 48, 53, 284 Napoleon III., Kaiser (Frankre' Reik, Theodor 302 Schopenhauer, Arthur 199 Liszt, Franz von (Strafrechtler) 304 167 Reinach, Adolf 221 Schöpfer,Ärnilian 58 Loisy, Alfred 77, 79 Naumann, Friedrich Reinhardt, Max 71 Schraffl, Josef 58 ... Lorenz, Ottokar 294 Nietzsche, Friedrich Renner, Karl 64, 90, 97, III, II2, Schubert-Soldern, Richard 203 Lueger, Karl 48, 53, 58-64, 66, 80, Nikolaus II., Kaiser (Rußland) 2 II4, 120-127, 289 Schuhmeier, Franz 90 137, 142, 177, 178, 186, 282, 284, Nobel, Alfred 253, 262, 304 Reumann, Jakob 62, 90 Schulze-Delitzsch, Hermann 86 285, 292 Northcliffe, Alfred Harmsworth, Reyer, Eduard 146 Schuppe, Wilhelm 203 Lunatscharsky, Anatol W. 203 count 20 Ricardo, David 26 Schuschnigg, Kurt von 51 Luxemburg, Rosa 95 Nothnagel, Hermann 295 Richthofen, Manfred,Freiherr von 275 Schwarzenberg, Felix, Fürst zu 44 Mach, Ernst 34, 109, 127, 151, 161, Überwinder, Heinrich 86 Rilke, Rainer Maria 271 Schwarzwald, Eugenie 143 199, 202f., 206-2_12, 223, 297, Ofner, Julius 137, 141, 142 Ritzel, Hermann 220 Seidler,Ernst,Ritter von Feuchtenegg9 300 Ostwald, Wilhelm 161, 212 Rodbertus, Johann K. 109 Seipel, Ignaz 67, 68, 124, 267, 286 Rolland, Romain 271 Seitz, Karl 62, 90, 285 F

310

Shaw, George Bernard 141 Valentinow, Nikolai W. 20• Sieghart, Rudolf 9, 280, 281 Vergani, Ernst 65, 184, 18ll Singer, Isidor 141 Vogelsang, Karl, Freiherr von 49f., 58, Smith, Adam 26 63, 65, 81, 284 Sophokles 237 Voltaire 160 Sosnosky, Theodor von 294 Waelder, Robert 302 Speidel, Ludwig 281 Wagner, Adolf 141 Spengler, Oswald 246 Wagner, Richard 193, 194 Spitzer, Daniel 281 Wahrmund, Ludwig 150, 175,292,293 BIBLIOGRAPHIE Stalin, Josef W. 124, 127, 199 Walras, Leon 25 Starhemberg, Fürst Camillo 260 Wassermann, Jakob 129 Werke allgemeiner Natur Stein, Edith 221 Watzlik, Hans 195 Steinwender, Otto 177, 186, 187, 189, Webb, Beatrice 141 Czedik, Alois v.: ,.Zur Geschichte der k. k. österreichischen Ministerien 1861 bis 192, 195, 285 Webb, Sidney 141 1916", 4 Bde., 1917-20. Stekel, Wilhelm 232 Weininger, Otto 145, 194 Eisenmann, L.: ,.Le Compromis Austro-Hongrois de 1867", 1904. Stern, Josef Luitpold 128 Weiskirchner, Richard 284 Fischer, Ernst: ,.Die Entstehung des österreichischen Volkscharakters", 1945. Steudel, Johann 137 Werfel, Franz 129, 271 ,.Österreich 1848", 1946. Stremayr, Karl, Edler von 215 Wieser, Friedrich von 9, 17, 25, 35 Fuchs, Albert: .,Moderne österreichische Dichter", Essays, 1946. Strobl, Karl Hans 195 Wildgans, Anton 129 Hertz, Friedrich: .,Nationalgeist und Politik", 1937. Strohal, Emil 176, 177, 186 Wilhelm I., Kaiser (Deutsches Reich) Klahr, Alfred (Rudolf) : .,Zur nationalen Frage in Österreich", in „Weg und Stumpf, Carl 221 183 Ziel", 1937, Heft 3. Stürgkh, Karl, Graf von 8, 13, 38, 98 Wilhelm II., Kaiser (Deutsches Reich) Marek, Franz: .,Irrwege der österreichischen Geschichte", 1946. Sueß, Eduard 281, 304 22, 174, 265, 286 Nagl, Johann W. -Zeidler, Jacob - Castle, Eduard: ,.Deutsch-österreichische Suttner, Arthur G. von 258, 295 Willram, Bruder 270 Literaturgeschichte", 4 Bde., 1899-1937. Suttner, Bertha von 257, 258f., 262, Willy, Rudolf 203 Naumann,, Friedrich: .,Mitteleuropa", 1915. 265, 304 \;v"ilson, Woodrow 262, 267, 269 ,.Neue österreichische Biographie", begr. von Anton Bettelheim, r. Abteilung: Szanto, Emil 107 Windischgrätz, Alfred d. J., Fürst zz, Biographien, 8 Bde., 1923-35. Szeps, Julius 282 8, 12, 13, 54 Priester, Eva: .,Kurze Geschichte Österreichs", 1949. Taaffe, Eduard, Graf von 8, 12, 15, 16, Wittelshöfer, Otto 141 Reiter, Ludwig: .,Österreichische Staats- und Kulturgeschichte", 1947. 47, 48, 50, 68, 177, 300 Wittmann, Hugo 281 Sosnosky, Theodor v.: .,Die Politik im Habsburgerreiche", 2 Bde., 19n-13. Taylor, Alan J. P. 281, 290 Wolf, Hugo 143 Wertheimer, Eduard v.: .,Graf Julius Andrassy, sein Leben und seine Zeit", Thun, Franz A., Graf von 37 Wolf, Karl H. 183, 184, 185, 188, 189, 3 Bde., 1910-13. 1 Thun, Leo, Graf von 47, 48, 50, 52 195, 296 Zweig, Stefan: ,.Die \\ elt von gestern", 1948. Thyssen, August 275 Wrede, Adolf, Fürst 260 Tirpitz, Alfred von 275 Wurmbrand, Gundaccar, Graf von B Liberalismus Tolstoi, Leo 286 Zallinger, Dr. (Normalarbeitstags- Baernreither, Josef Maria: .,Fragmente eines politischen Tagebuches", heraus- Trabert, Adam 69 Expertise) 283 geg. und eingeleitet von Josef Redlich, 1928. Trakl, Georg 81, 271 Zang, August 20 Bahr, Hermann: ,.Austriaca", 1911. Truxa, Hanns M. 284 Zimmermann, Robert 149, 300 Berger, Alfred und Wilhelm: .,Im Vaterhaus", Reminiszenzen, 1901. Tyrrell, George 77 Zweig, Stefan 10, 21, 129, 232, 252, Böhm-Bawerk, Eugen v.: .,Kapital und Kapitalzins", 2 Bde.: Unger, Joseph 299 271, 281, 302 r. Bd.: .,Geschichte und Kritik der Kapitalzinstheorien", 1884. 2. Bd.: .,Positive Theorie des Kapitals", 1889. 3. erw. Auflage 1909-14. Charmatz, Richard: ,.Adolf Fischhof", 1910. Czernin, Ottokar: ,,Im Weltkriege", 1919. 312 313

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Seite ALBERT FUCHS - EIN LEBENSBILD .... V-XXXV 1910 -

Wiener Bürgerhaus Wandlungen - Wirklich- LIBERALISMUS.keit 5-39

Die liberale Partei und ihre Ideologie - Ernst v. Plener - Heinrich Friedjung - Moritz Benedikt und die „Neue Freie Presse" - Carl Mengers Grenznutzenlehre - Böhm­ Bawerks Lehre vom Unternehmergewinn - Kritik der Grenznutzenlehre - Die liberale „Opposition" - Die KATHOLIZISMUSEberale. „Opposition" ...... und ihre Vertreter - Alfred Berger . 43-82

Kirche und Staat - Die „Hohenwart-Partei" - Karl v.Vogelsang und seine Lehre -Der Aufstieg der Christlich­ sozialen Partei - Karl Lueger - Josef Scheicher - Die Christlichsoziale Partei am Ziel - Ignaz Seipel - Die katholische Kulturbewegung - Richard v. Kralik - Der katholische Literaturstreit - Katholische Reformbe- ARBEITE. wegungenRBEWEGUNG - Die „Brenner"-Gruppe ..... 85-129

1918 - Fraktionskämpfe -Hainfeld -Die Sozialdemokratie von Hainfeld bis Viktor Adler - Engelbert Perners­ torfer - Ludo Moritz Hartmann - Ferdinand Hanusch­ SOZIALREFORMDie Austro-Marxisten (RADIKALISMUS) - Die Kulturbewegung . 133-162

. Die Grundgedanken der Reformlehre - Radikalismus, Liberalismus und Anarchismus - Die geschichtliche Be­ deutung des Radikalismus - Die Sozialpolitiker - Die '

320 Seite Frauenbewegung - Die Volksbildner - Die ethische Be­ wegung - Friedrich J odl - Josef Popper DEUTSCHN ATION ALTSMUS 165-196 Die großdeutsche Idee und der Habsburgerstaat - Die Entwicklung der deutschnationalen Bewegung - Georg v. Schönerer - Deutschnationale Gruppen - Deutsch­ nati»nale Kultureinflüsse IDEALISTISCHE PHILOSOPHIE 199-224 Materialismus und Idealismus - Ernst Machs Empirio­ Kritizismus - Zwei Schüler Machs: Beer und Adler - Zwei Kritiker des Idealismus: Boltzmann und J odl - Franz Brentano und seine Lehre - Brentano und die spätere idealistische Philosophie - Die Gestalt Franz Brentanos PSYCHOANALYSE. 227-247 Bedeutung und Persönlichkeit Sigmund Freuds - Die ,,Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" - Kritik der Psychoanalyse - Freuds Stellung im modernen Geistesleben PAZIFISMUS ••••••••••••••••••••••• ■ •• 251-275 Die Entwicklung der internationalen Friedensbewegung - Ideologische Grundlagen des Pazifismus - Bertha v. Suttner und der österreichische Pazifismus - Alfred Her­ mann Fried - Heinrich Lammasch - Karl Kraus und der Weltkrieg 1914-18 ANHANG ...... 279-317 Anmerkungen - Namenregister - Bibliographie

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