Davidstern Und Doppeladler
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Universitäts- und Landesbibliothek Tirol Davidstern und Doppeladler Gaisbauer, Adolf Wien, 1988 Zweiter Teil. Theodor Herzl - Die zionistische Weltbewegung urn:nbn:at:at-ubi:2-18501 ZWEITER TEIL Theodor Herzl - Die zionistische Weltbewegung Am 14. Februar 1896 veröffentlichte der Wiener Journalist und Schriftsteller Dr. Theodor Herzl eine schmale Broschüre mit dem Titel „Der Judenstaat“, am 4. Juni 1897 ließ derselbe Theodor Herzl die erste Nummer eines zionistischen Zentralorgans („Die Welt“) erscheinen und am 29. August 1897 eröffnete er in Basel den ersten allweltlichen Zionistenkongreß: Der Zionismus war auf dem Wege zu einer durchorganisierten, zentral (und von einer großen Persönlichkeit) geleiteten, in der internationalen Politik präsenten national-politischen Weltbe¬ wegung. Theodor Herzl 1860( - 1904):') Ein eleganter, kultivierter, ehrgeizig-unsicher- melancholischer Wiener Feuilletonist, Verfasser seichter Konventions-Lustspiele, aufmerksam-sensibler Berichterstatterund Korrespondent - mit einem Wort: ein (im Positiven und Negativen) geradezu „typischer“ deutsch-jüdischer Literat der „zweiten Generation“! Und dann : ein kaum minder typischer aufgeschreckter, zutiefst verwundeter, von einer höhnenden und aggressiven Umwelt auf ein trotzig-stolzes Bekenntnis zum Jude-Sein zurückgeworfener, der „Judenfrage“ (als Bedrängnis und Aufgabe) ausgesetzter Assimilant. In einer deutsch geprägten Pester Judenfamilie aufgewachsen, als Student in Wien Mitglied einer deutschen Verbindung(die 1883„judenrein“ wurde), a-religi- ös, dem Judentum weitgehend entfremdet, nicht ganz frei von einem weitverbreite¬ ten assimilatorischen jüdischen Selbsthaß, Pariser Korrespondent und dann - Traum vieler Wiener Literaten! - Feuilletonredakteur der deutsch-„jüdischen“ Zeitung der Monarchie, der „Neuen Freien Presse“, begann in ihm - um eine lange, komplexe Entwicklung in wenigen Stichworten wenigstens anzudeuten - ange¬ sichts des zunehmenden Judenhasses in Frankreich und Österreich die „Judenfra¬ ge“ zu schwären. Er reagierte zunächst mit kraß assimilatorischen„Lösungs“-Vor- schlägen(u.a.: freiwillige, feierliche Massentaufe der Juden) und suchte sich dann I Auf eine nähere biographische Befassung mit Herzl muß hier (aus Raumgründen) und darf hier(nach dem Konzept der Arbeit und angesichts der beträchtlichen Herzl-Literatur) verzichtet werden. Unbedingt zu verweisen ist aber auf die bisher dreibändige Ausgabe der „Briefe und Tagebücher“ (hrsg. v. A. Bein u.a.), Berlin, Frankfurta. M., Wien 1983- 1985, und vor allem auf die den beiden ersten Bänden vorangestellten „Einführungen“ (A. Bein). In dieser Arbeit kann es lediglich darum gehen, Theodor Herzl in kurzen (vielleicht auch etwas vereinfachenden) Charakterisierungenin den von der „Einleitung“ angedeuteten Gesamtzusammenhang zu stellen. Kernerfahrung: Judennot 83 des ihn immer stärker bedrängenden „Themas“ literarisch zu entledigen (Drama „Das neue Ghetto“; Plan eines „Judenromans“). Schließlich brach im Sommer 1895- eruptiv, unter heftigsten Erschütterungen, als eine riesenhafte Vision- die Lösung der „Judenfrage“ aus ihm hervor - der „Judenstaat“: „Wir haben überall ehrlich versucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzuge¬ hen . Man läßt es nicht zu . Die Judenfrage besteht. Es wäre töricht, sie zu leugnen. Die Judenfrage besteht überall, wo die Juden in merklicher Anzahl leben. Wo sie nicht ist, da wird sie durch hinwandernde Juden eingeschleppt. Ich halte die J udenfrage weder für eine soziale, noch für eine religiöse. Sie ist eine nationale Frage, und um sie zu lösen, müssen wir sie vor allem zu einer politischen Weltfrage machen, die im Rate der Kulturvölker zu regeln sein wird. Wir sind ein Volk , ein Volk. Der ganze Plan ist in seiner Grundform unendlich einfach . Man gebe uns die Souveränität eines für unsere gerechten Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche, alles andere werden wir selbst besorgen . .“2) Daraus wurde in kurzer Zeit ein knappes, einprägsames zionistisches Programm: „Wir wollen dem jüdischen Volke eine rechtlich gesicherte Heimstätte bereiten, in seiner alten Heimat Palästina. Das halten wir für die endgültige Lösung der Judenfrage ?‘3) Es entstand jener „Herzl -Zionismus “, den man (vereinfachend ) mit folgenden Stich Worten skizzieren und abgrenzen könnte: drei Kernelemente - „Judennot“ („Judenfrage“), „Volk“ und „Heimstätte“; zwei Methoden: Politik (Diplomatie) und Organisation (Diplomatie, gestützt auf - und legitimiert durch - eine organisierte jüdische Massenbasis); zwei Einseitigkeiten: weitgehende Veren¬ gung des Zionismus auf das Formal-Politische (unter Außerachtlassung aller geistig-kulturellen Elemente) und Fixiertsein auf eine politische „Nah-Erwartung“ (unter Verzicht auf Gegenwartsarbeit in Palästina und in der Diaspora). I. KERNERFAHRUNG : JUDENNOT Dabei erlebte, verstand, dachte und bedachte Theodor Herzl „Zionismus“, „Volk“ und „Heimstätte“ nahezu ausschließlich von der Kernerfahrung „Juden- not “ her: 1. Die Zionisten sind „nur von der Judennot ausgegangen“,4) Zionismus ist für Herzl im wesentlichen (reaktiver, postassimilatorischer) „Judennot“-Zionismus; die zionistische Bewegung leitet sich für ihn her aus der überall wachsenden Judenfeindschaft, aus der nahezu allgegenwärtigen, drängenden (moralischen und materiellen) „Judennot“: „In allen Ländern , wo sie in merklicher Zahl leben, werden sie (das heißt die Juden) mehr oder weniger verfolgt. Die Verfolgungen haben verschiedenen Charakter nach Ländern und Gesellschaftskreisen. Aber: „Ich glaube, der Druck ist überall vorhanden.“5) 2 Th. Herzls zionistische Schriften , Berlin 1920, S. 26ff. 3 Die Welt, Jg. 1899, Nr. 26, S. 2. 4 Th. Herzl : Briefe und Tagebücher . Hrsg. v. A. Bein u.a., Bd. 3, Berlin, Frankfurt a. M., Wien 1985, S. 656 (Tagebucheintragung vom 26. 1. 1904). 5 Th. Herzls zionistische Schriften , Berlin 1920, S. 254. 84 Theodor Herzl - Die zionistische Weltbewegung Herzl identifizierte dabei in hohem Maße sein persönliches Schicksal (als „Jude“) mit dem seines Volkes:6) Er selbst wußte sich als nur unter dem Druck und Eindruck der „Judennot“ zum bewußten Jude-Sein zurückgekehrt7) und Zionist geworden und sah in dieser seiner Bekehrung ein „Modell“: „Ich glaube, ich wußte vorher gar nicht mehr, daß ich ein Jude war.“ Der Antisemitismus „wirkte auf mich, wie wenn ich einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte. Und so ist es wohl manchem westlichen Juden ergangen, der sein Volkstum schon völlig vergessen hatte: die Antisemiten haben es in ihm wieder aufgeweckt“.8) „Die Judenfrage ist leider wirklich vorhanden, und wer sie am Leib und an der Seele erfahren hat, der wird den Schmerz nie wieder los. Und in solcher Lage befinden sich die meisten Juden der Welt.“9) 2. Die „Judennot“ hat nicht nur die zionistische Bewegung erzeugt, sie nährt und stärkt sie auch unaufhörlich, sie bewirkt und garantiert ihr weiteres Anwach¬ sen („. unsere Kraft wächst mit dem Druck, der auf uns ausgeübt wird . .“I0)); sie ist für Herzl der „überall vorhandene Druck“ 11) auf die Juden, den Zionismus als einzige noch mögliche(dafür aber auch endgültige) Rettung anzuerkennen, und alle antisemitischen Übergriffe sind die „leider zahlreichen Beweise für die Notwendigkeit (auch: die Not-wendigkeit) des Zionismus“.12) „. mein Plan (basiert auf der) Verwendung einer in der Natur vorkommenden Treibkraft. Was- ist diese Kraft? Die Judennot !“13) 3. Die „Judennot“, die Angriffe, der Haß, die Feinde machen die Juden wieder zu einem Volk , re-konstituieren das jüdische Volk . „Vielleicht könnten wir überall in den uns umgebenden Völkern spurlos aufgehen, wenn man uns nur zwei Generationen hindurch in Ruhe ließe. Man wird uns nicht in Ruhe lassen. So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht, eine historische Gruppe von erkennbarer Zusammengehörigkeit. Wir sind ein Volk -der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu . .“14) Und so definiert Herzl denn auch die „Nation“ im allgemeinen und die jüdische Nation im besonderen als „eine historische Gruppe Menschen von erkennbarer Zusammengehörigkeit, die durch einen gemeinsamen Feind zusammengehalten wird“ 15) - „das sind wir, ob wir es leugnen oder nicht, 6 M. Buber schrieb in diesem Zusammenhang über Pinsker und Herzl: „Beiden ist die Geschichte die Geschichte ihrer selbst , das heißt die Geschichte ihres Volkes ist ihnen im wesentlichen nur in der Gestalt des Judenhasses, also in der Gestalt der ,Anderen Seite1 entgegengetreten; die eine Seite, ihre eigene Seite, ist ihnen kaum zum inneren Besitz geworden . .“M( . Buber, Israel und Palästina, München 1968, S. 128). 7 Frühes Gespräch mit Nordau in Paris : „Auch darin waren Nordau und ich einig, daß uns nur der Antisemitismus zu Juden gemacht habe“ (Tagebucheintragungvom 6.7. 1895. Th. Herzl : Briefe und Tagebücher. Hrsg. v. A. Bein u.a., Bd. 2, Berlin, Frankfurta. M., Wien 1984, S. 210). 8 Th . Herzls Zionistische Schriften , Berlin 1920, S. 256 f. 9 Ebenda, S. 151. 10 Ebenda, S. 23. 11 Ebenda, S. 33. 12 Ebenda, S. 219. 13 Ebenda, S. 23. 14 Ebenda, S. 38. 15 Ebenda, S. 152. Judenfrage- politische Weltfrage 85 ob wir es wissen oder nicht, ob wir es wollen oder nicht“:16) „Wir sind eine Nation.“17) 4. Die Allgegenwart und Unabsehbarkeit der „Judennot“ verlangt eine radikale und endgültige Lösung der Judenfrage: Die in der Bedrängnis wieder Volk werdenden (gewordenen) Juden müssen eine gesicherte „Heimstätte“ bekom¬ men. Die Juden brauchen zu ihrer Rettung „eine Heimat, ein Land, das ihnen völkerrechtlich gehört“.18) Die angestrebte „Heimstätte“ sollte also nicht nur eine ausreichend große,